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Aufbruch zu neuer Gerechtigkeit! - Abgeordnetenwatch.de

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Z-01 Zukunft <strong>de</strong>r sozialen Sicherung<br />

Antragsteller/innen: Bun<strong>de</strong>svorstand und weitere UnterstützerInnen<br />

Gegenstand: Zukunft <strong>de</strong>r sozialen Sicherung<br />

Anmerkungen: Beschluss vom 31.10.2007<br />

<strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

I. Realität sozialer Spaltung und Ausgren<strong>zu</strong>ng<br />

27. Or<strong>de</strong>ntliche Bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>legiertenkonferenz<br />

23.-25. November 2007<br />

CongressCenter Nürnberg<br />

„Wir wollen eine Gesellschaft gestalten, in <strong>de</strong>r niemand ausgegrenzt wird, in <strong>de</strong>r alle ihre<br />

Chancen <strong>zu</strong>r Entfaltung ihrer Fähigkeiten bekommen,“ mit diesen Eingangsworten stellt<br />

unser Grundsatzprogramm von 2002 Staat und Gesellschaft unter <strong>de</strong>n Anspruch eines<br />

„<strong>Aufbruch</strong>s in eine emanzipative Sozialpolitik“.<br />

Im Jahr 2007 kann von einer Verwirklichung dieses Anspruchs in unserem Land nicht die<br />

Re<strong>de</strong> sein. Wir stehen auch nach <strong>de</strong>n arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen <strong>de</strong>r<br />

letzten Jahre vor <strong>de</strong>m Problem, dass viele Menschen ohne existenzsichern<strong>de</strong>s<br />

Erwerbseinkommen dauerhaft sozial ausgegrenzt wer<strong>de</strong>n. In unserer Gesellschaft fehlt es<br />

nach wie vor an einer Infrastruktur, die <strong>de</strong>n Menschen Zugang <strong>zu</strong> <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n<br />

öffentlichen Gütern ermöglicht – <strong>zu</strong> guter Bildung, <strong>zu</strong> guter Arbeit und <strong>zu</strong> einem würdigen<br />

Auskommen. Deshalb treten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für einen neuen <strong>Aufbruch</strong> in <strong>de</strong>r<br />

Sozialpolitik ein. Wir wollen eine Reform <strong>de</strong>r Individualtransfers, die <strong>de</strong>n Menschen<br />

Möglichkeiten eröffnet und sie <strong>zu</strong> einem selbstbestimmten Leben ermutigt. Und wir streiten<br />

für einen öffentlichen Raum, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen Zugänge bietet. Hierin liegt die tiefe<br />

gerechtigkeitspolitische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Parole „Institution Matters!“- öffentliche Institutionen<br />

sind wichtig. Gesellschaftliche Solidarität kommt nicht aus ohne staatliche Institutionen, auf<br />

die die Menschen angewiesen sind um an öffentlichen Gütern teil<strong>zu</strong>haben.<br />

Eine <strong>zu</strong>nehmen<strong>de</strong> Schere zwischen verfestigter Armut Vieler auf <strong>de</strong>r einen Seite und<br />

drastisch anwachsen<strong>de</strong>m Reichtum Weniger auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren akzeptieren wir nicht. Die lang<br />

anhalten<strong>de</strong> Massenerwerbslosigkeit, geringe Bildungschancen für große Teile <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung, verbreitete Kin<strong>de</strong>r- und wie<strong>de</strong>r steigen<strong>de</strong> Altersarmut sowie die Folgen <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>mografischen Wan<strong>de</strong>ls drohen aber die Spaltung in unserer Gesellschaft <strong>zu</strong> vertiefen.<br />

Bittere Realität in vielen Familien ist, dass Armut und Chancenlosigkeit über Generationen<br />

weitergegeben wer<strong>de</strong>n.<br />

Die kontinuierlich wachsen<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>rarmut ist ein Skandal. 2,2 Millionen Kin<strong>de</strong>r leben in<br />

Deutschland in Armut, je<strong>de</strong>s sechste Kind ist betroffen. Kin<strong>de</strong>rarmut ist dort am größten, wo<br />

die Eltern Schwierigkeiten haben, auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt ihren Platz <strong>zu</strong> fin<strong>de</strong>n, also bei<br />

Alleinerziehen<strong>de</strong>n, bei Familien mit mehreren Kin<strong>de</strong>rn und bei Familien mit<br />

Migrationshintergrund. Der Hartz IV-Regelsatz für kleine Kin<strong>de</strong>r unterstellt, man könne für<br />

2,50 Euro am Tag ein Kind gesund ernähren. Das ist ein Hohn. Tatsache ist: In nicht<br />

wenigen Schulen warten Kin<strong>de</strong>r aus Familien, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind,<br />

während an<strong>de</strong>re ein warmes Schulessen bekommen, im Raum nebenan, weil sie das nicht<br />

bezahlen können. Auch für Nachhilfe o<strong>de</strong>r musische Bildung o<strong>de</strong>r sportliche Betätigung für<br />

diese Kin<strong>de</strong>r ist kein Anteil im Regelsatz vorgesehen, was da<strong>zu</strong> beiträgt, dass im


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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Bildungswesen die sozialen Schieflagen reproduziert wer<strong>de</strong>n. Kin<strong>de</strong>r, die so aufwachsen,<br />

haben es schwer, Selbstbewusstsein <strong>zu</strong> entwickeln und hoffnungsvoll in die Zukunft <strong>zu</strong><br />

blicken.<br />

Die Angst vor <strong>de</strong>m sozialen Abstieg reicht bis tief in die Mitte <strong>de</strong>r Gesellschaft. An vielen<br />

Menschen zieht <strong>de</strong>r Aufschwung vorbei. Dies gilt noch verstärkt in Gegen<strong>de</strong>n mit<br />

dauerhaft hoher Erwerbslosigkeit. Die Wohlstands- und Aufstiegsversprechen<br />

vergangener Jahrzehnte sind leer gewor<strong>de</strong>n. Es droht die dauerhafte Spaltung in<br />

Gewinner und Verlierer: die Spaltung zwischen jenen, die „produktiv“ sind und einer<br />

Erwerbsarbeit nachgehen und somit da<strong>zu</strong> gehören und jenen, die sich überflüssig fühlen<br />

und von <strong>de</strong>r Gesellschaft nicht gebraucht. Diese Spaltung schafft eine neue<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>slücke. Wir nehmen nicht hin, dass viele Menschen nicht o<strong>de</strong>r nur<br />

un<strong>zu</strong>reichend an Bildung, Arbeit, gesundheitlicher Versorgung und Einkommen sowie<br />

Mobilität teilhaben. Daraus ergeben sich die zentralen Herausfor<strong>de</strong>rungen für die<br />

Neuorientierung in <strong>de</strong>r Sozialpolitik. Es gilt die <strong>Gerechtigkeit</strong>slücke zwischen <strong>de</strong>nen die<br />

drinnen und <strong>de</strong>nen die draußen sind, <strong>zu</strong> überwin<strong>de</strong>n.<br />

„Wir setzen auf soziale Sicherheit und gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb auf <strong>de</strong>n Mut <strong>zu</strong>m Wan<strong>de</strong>l. Soziale<br />

Sicherheit braucht <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l. Und <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l braucht seinerseits neue Formen <strong>de</strong>r<br />

Sicherung. Das eine geht nicht ohne das an<strong>de</strong>re. Die gerechte Verteilung <strong>de</strong>r wichtigen<br />

gesellschaftlichen Güter ist Kernbestandteil bündnisgrüner Politik.“ Diese Feststellung <strong>de</strong>s<br />

Grundsatzprogramms stimmt nach wie vor. Wir orientieren uns <strong>de</strong>shalb an unserem<br />

erweiterten Begriff von <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>r Verteilungsgerechtigkeit mit<br />

Teilhabegerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit<br />

verbin<strong>de</strong>t.<br />

1. Aktuelle Debatte und <strong>neuer</strong> <strong>Aufbruch</strong><br />

Die Bun<strong>de</strong>sregierung verweigert eine ehrliche Debatte über die soziale Realität unseres<br />

Lan<strong>de</strong>s. Die Union möchte ihre scharfmacherische Rolle bei <strong>de</strong>r Hartz-Gesetzgebung<br />

vergessen machen, aber von Umkehr ist sie weit entfernt. Die FDP hat sich für soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> seit Jahrzehnten nicht mehr interessiert. Die Linkspartei igelt sich mit<br />

populistischen Parolen ein.<br />

Kurt Beck hat mit seinem – Vorstoß <strong>zu</strong>r Verlängerung <strong>de</strong>s Arbeitslosengeld I für ältere<br />

Arbeitnehmer zwar signalisiert, dass für die SPD die Agenda 2010 nicht mehr völlig<br />

sakrosankt sein soll; er hat damit das Diskussionstabu, an <strong>de</strong>m die SPD <strong>zu</strong> ersticken<br />

droht, relativiert, auch wenn <strong>de</strong>r Alg I Vorschlag in <strong>de</strong>r Sache verfehlt ist.. Aber die<br />

tatsächlichen Prioritäten wie die Frage nach einer das soziokulturelle Existenzminimum<br />

absichern<strong>de</strong>n Höhe <strong>de</strong>s Regelsatzes bei Hartz IV o<strong>de</strong>r nach einem tatsächlich<br />

bedarfs<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n eigenständigen Regelsatz für Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m besseren Schutz<br />

<strong>de</strong>r privaten Altersvorsorge, hat er ausgeklammert. Auch in <strong>de</strong>r SPD-Linken wer<strong>de</strong>n diese<br />

Fragen immer noch ausgeblen<strong>de</strong>t. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, setzen<br />

<strong>de</strong>mgegenüber einen sozialpolitischen <strong>Aufbruch</strong> hin <strong>zu</strong> einem ermutigen<strong>de</strong>n Sozialstaat<br />

auf die Tagesordnung.<br />

Für uns Bündnisgrüne ergibt sich in dieser Lage eine beson<strong>de</strong>re Verantwortung. Es geht<br />

darum, eine Richtung <strong>zu</strong> weisen, die die Menschenwür<strong>de</strong> <strong>zu</strong>m Maßstab hat. Und es geht<br />

insbeson<strong>de</strong>re darum, die unmittelbar anstehen<strong>de</strong>n, drängen<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>n<br />

Mittelpunkt <strong>zu</strong> rücken. Als „Mo<strong>de</strong>rnisierungslinke“ kämpfen wir gegen eine Politik <strong>de</strong>r<br />

sozialen Ausgren<strong>zu</strong>ng, die die Teilhabechancen <strong>de</strong>r Menschen <strong>de</strong>m Zufall <strong>de</strong>r Herkunft<br />

und <strong>de</strong>s Marktes überlässt. Gleichzeitig wen<strong>de</strong>n wir uns mit unserer Reformstrategie<br />

gegen einen sozialen o<strong>de</strong>r nationalistischen Klientelismus, <strong>de</strong>r vielen Ausgegrenzten und<br />

Chancenlosen die Solidarität verweigert – Kin<strong>de</strong>rn in Armut, Menschen mit geringer<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Bildung o<strong>de</strong>r Menschen, die noch nie einen festen Arbeitsplatz hatten, o<strong>de</strong>r Menschen mit<br />

Migrationshintergrund. Unsere Grüne Vision vom ermutigen<strong>de</strong>n Sozialstaat bewährt sich<br />

darin, dass sie uns in die Lage versetzen, das Vordringliche mit Klarheit und<br />

Entschie<strong>de</strong>nheit an<strong>zu</strong>packen. Wir wollen die Ansatzpunkte benennen, für die jetzt um<br />

Mehrheiten gekämpft wer<strong>de</strong>n kann und muss.<br />

Mit <strong>de</strong>r Grünen Grundsicherung haben wir ein Projekt, das sich für <strong>de</strong>n nötigen<br />

sozialpolitischen <strong>Aufbruch</strong> in beson<strong>de</strong>rer Weise eignet: Wir wollen die Realität von Hartz<br />

IV durch die Erkämpfung einer bedarfsorientierten Grundsicherung überwin<strong>de</strong>n, die das<br />

soziokulturelle Existenzminimum sichert und Teilhabe ermöglicht. Dieses Projekt kann ein<br />

Kristallisationspunkt sein für wirkungsmächtige Bündnisse.<br />

Dabei geht es um drei Kernfragen: Was muss an<strong>de</strong>rs wer<strong>de</strong>n, um die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Menschen auch für Langzeiterwerbslose <strong>zu</strong> sichern? Welches Transferniveau ist <strong>zu</strong>r<br />

Sicherung <strong>de</strong>s soziokulturellen Existenzminimums notwendig? Wie kann durch Zugänge<br />

<strong>zu</strong> <strong>de</strong>n zentralen gesellschaftlichen Gütern Arbeit, Bildung, Gesundheit, Mobilität und<br />

<strong>de</strong>mokratische Teilhabe <strong>de</strong>r Ausweg aus Armut ermöglicht wer<strong>de</strong>n? In<strong>de</strong>m wir diese<br />

Fragen überzeugend beantworten, wollen wir <strong>de</strong>r sich ausbreiten<strong>de</strong>n Abstiegsangst<br />

entgegenwirken und die tatsächliche Unsicherheit und Ungleichheit überwin<strong>de</strong>n. Wir<br />

wollen da<strong>zu</strong> beitragen, dass je<strong>de</strong>r Menschen anerkannt wird und einen akzeptierten Platz<br />

in <strong>de</strong>r Gesellschaft fin<strong>de</strong>t.<br />

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reagieren auf die verän<strong>de</strong>rten sozialen Bedingungen nicht<br />

mit Abbau <strong>de</strong>s Sozialstaates, son<strong>de</strong>rn mit Er<strong>neuer</strong>ung seiner mehr <strong>de</strong>nn je notwendigen<br />

Schutz- und Hilfesysteme <strong>zu</strong>r Gewährleistung und Stärkung gesellschaftlicher<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> und Teilhabe.<br />

Seit längerem wird sowohl bei uns wie auch in <strong>de</strong>r ganzen Gesellschaft intensiv um die<br />

Frage gestritten, wie <strong>de</strong>r Sozialstaat <strong>de</strong>r Zukunft aussehen soll. Klar ist: die neoliberale<br />

Hegemonie ist gebrochen. Selbst die Konservativen stellen <strong>de</strong>rzeit trotz großer<br />

programmatischer Kontinuität nicht die marktradikalen For<strong>de</strong>rungen in ihr Schaufenster,<br />

mit <strong>de</strong>nen sie noch <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>stagswahlkampf 2005 bestritten. Den<br />

Meinungsumschwung, <strong>de</strong>r sich darin spiegelt, wollen wir nutzen für Reformen, die sich<br />

<strong>de</strong>n aktuellen Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Sozialpolitik stellen. Globalisierung,<br />

Individualisierung, neue soziale Spaltung, <strong>de</strong>mographischer Wan<strong>de</strong>l und Migration, das<br />

sind die großen aktuellen Herausfor<strong>de</strong>rungen. Sie <strong>zu</strong> meistern und dabei<br />

Verteilungsgerechtigkeit wie Chancengerechtigkeit <strong>zu</strong>gleich im Auge <strong>zu</strong> behalten, darin<br />

muss <strong>de</strong>r Sozialstaat seine Leistungsfähigkeit beweisen. „Er muss mo<strong>de</strong>rnisiert wer<strong>de</strong>n,<br />

um seine integrative Kraft <strong>zu</strong> bewahren und um einen sozialen Ausgleich und<br />

Chancengleichheit für alle nicht <strong>de</strong>m freien Markt <strong>zu</strong> überlassen.“ (Grundsatzprogramm)<br />

2. Hartz IV<br />

Eine ernsthafte Diskussion über soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> muss sich mit <strong>de</strong>n Hartz-Reformen<br />

kritisch auseinan<strong>de</strong>rsetzen.<br />

Wir Bündnisgrüne haben die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen nach einer<br />

Entscheidung unseres Cottbuser Son<strong>de</strong>rparteitags 2003 als Regierungspartei<br />

mitgetragen, ohne dabei unsere Kritik an entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Punkten <strong>zu</strong> verstecken. Die<br />

Agenda 2010 und die Hartz-Reformen beinhalteten positive, von uns schon lange<br />

gefor<strong>de</strong>rte Schritte, etwa die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und<br />

<strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen Zugang und Reintegration vieler vormaliger Sozialhilfeempfänger<br />

<strong>zu</strong>r aktiven Arbeitsmarktför<strong>de</strong>rung. Sie beinhalteten aber auch negative Teile, die von uns<br />

schon bei <strong>de</strong>r Verabschiedung kritisiert wur<strong>de</strong>n In <strong>de</strong>n Verhandlungen mit <strong>de</strong>m Unions-<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

dominierten Bun<strong>de</strong>srat und <strong>de</strong>r damaligen Bun<strong>de</strong>stagsopposition konnten wir viele unsere<br />

For<strong>de</strong>rungen nicht durchsetzen. Wir übernahmen trotz<strong>de</strong>m die Mitverantwortung für diese<br />

Reformen, weil wir nicht <strong>zu</strong>lassen wollten, dass an<strong>de</strong>rnfalls <strong>de</strong>r Sozialstaat durch <strong>de</strong>n<br />

Blocka<strong>de</strong>-Stillstand o<strong>de</strong>r durch einen neoliberalen Durchmarsch <strong>de</strong>r Marktradikalen unter<br />

<strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Krise ganz an die Wand gefahren wird.<br />

Heute müssen wir feststellen, dass <strong>de</strong>r Abstand zwischen unseren Zielen und <strong>de</strong>r Praxis<br />

<strong>de</strong>r Arbeitsmarktpolitik vor Ort, verstärkt noch durch neue Entscheidungen <strong>de</strong>r Großen<br />

Koalition, in einem eklatanten Maße gewachsen ist. Wir wollen <strong>de</strong>shalb unsere Position<br />

neu bestimmen.<br />

Wir können dabei Be<strong>zu</strong>g nehmen auf differenzierte Hartz-Bewertungen unserer Kieler<br />

Bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>legiertenkonferenz 2004 o<strong>de</strong>r unserer „Hartz-Evaluation“ vom Februar 2007.<br />

Richtig bleibt die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, richtig die<br />

Einbeziehung <strong>de</strong>r ehemaligen SozialhilfeempfängerInnen in die Arbeitsmarktför<strong>de</strong>rung,<br />

richtig <strong>de</strong>r Ansatz <strong>de</strong>r fachübergreifen<strong>de</strong>n Hilfe, <strong>de</strong>s Fallmanagements. Bis dahin<br />

ver<strong>de</strong>ckte Armut wur<strong>de</strong> sichtbarer. Einige Maßnahmen haben tatsächlich da<strong>zu</strong><br />

beigetragen, die Beschäftigungswirksamkeit <strong>de</strong>s Wachstums <strong>zu</strong> erhöhen. Doch dies war<br />

verbun<strong>de</strong>n mit Entscheidungen, die gegen unsere massive Gegenwehr <strong>zu</strong>stan<strong>de</strong> kamen<br />

und die sich seither tatsächlich als sozialpolitisch fatal erwiesen: die Verschärfung <strong>de</strong>r<br />

Zumutbarkeitsbedingungen etwa, <strong>de</strong>r <strong>zu</strong> geringe Schutz privater Altersvorsorge, die <strong>zu</strong><br />

niedrigen Zuverdienstgrenzen, die vollständige Anrechnung von Partnereinkommen.<br />

Unsere For<strong>de</strong>rungen nach Gleichstellung <strong>de</strong>r Geschlechter fan<strong>de</strong>n im großkoalitionären<br />

Konsens keine Berücksichtigung. Wir müssen konstatieren, dass bei Hartz die<br />

versprochene Balance zwischen For<strong>de</strong>rn und För<strong>de</strong>rn nie <strong>zu</strong>stan<strong>de</strong> kam, es gab keine<br />

För<strong>de</strong>rung auf gleicher Augenhöhe. Das System ist auf Kontrolle statt auf Ermutigung und<br />

Motivation <strong>zu</strong>r Eigenverantwortung ausgerichtet. Die Zielbestimmung <strong>de</strong>s Gesetzes gab<br />

<strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>r Betroffenen mehr Gewicht als <strong>de</strong>r makroökonomischen<br />

Verantwortung <strong>de</strong>s Staates. Deshalb wur<strong>de</strong>n zahlreiche Regelungen <strong>de</strong>s Gesetzes in <strong>de</strong>r<br />

Praxis <strong>zu</strong> Anlässen bürokratischer Schikane. Die „Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Langzeitarbeitslosen“ wur<strong>de</strong><br />

dadurch höchst antastbar und die „Chancen <strong>zu</strong>r Entfaltung ihrer Fähigkeiten“ blieben oft<br />

theoretisch. Es ist wür<strong>de</strong>los, wenn jemand <strong>zu</strong>m dritten Computer-Kurs geschickt wird,<br />

obwohl schon die ersten bei<strong>de</strong>n keine Vermittlungschancen eröffneten; wenn mit<br />

Einberufung <strong>zu</strong> sinnlosen Maßnahmen überprüft wird, ob jemand <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt <strong>zu</strong>r<br />

Verfügung steht, obwohl <strong>de</strong>r ihm gar kein Angebot machen kann; wenn junge Leute unter<br />

25 Jahren gezwungen wer<strong>de</strong>n, wie<strong>de</strong>r bei ihren Eltern ein<strong>zu</strong>ziehen, um volle Leistungen<br />

<strong>zu</strong> bekommen. Nach wie vor wer<strong>de</strong>n Erwerbslose häufig verdächtigt, sich staatliche<br />

Unterstüt<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> erschwin<strong>de</strong>ln.<br />

Auch die Höhe <strong>de</strong>r finanziellen Absicherung hat sich als ungenügend erwiesen. Wir<br />

orientieren mit unserem Mo<strong>de</strong>ll an <strong>de</strong>n Berechnungen <strong>de</strong>s Deutschen Paritätischen<br />

Wohlfahrtsverban<strong>de</strong>s (DPWV) und for<strong>de</strong>rn einen Regelsatz von 420 Euro. Ein großes<br />

sozialpolitisches Problem ist die häufige Unter<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Kosten <strong>de</strong>r Unterkunft,<br />

wodurch die Not vieler Hilfeberechtigter verschärft wird. Die Wohnkosten sind <strong>de</strong>shalb<br />

künftig nach einem transparenten Verfahren <strong>zu</strong> übernehmen, das sich an einem aktuellen<br />

örtlichen Mietspiegel und an <strong>de</strong>r tatsächlichen Verfügbarkeit von Wohnraum orientiert.<br />

3. Den Staat nicht aus <strong>de</strong>r Verantwortung entlassen<br />

Aus <strong>de</strong>r Hartz-Kritik hat die I<strong>de</strong>e eines bedingungslosen Grun<strong>de</strong>inkommens für alle, die es<br />

seit langem gibt, einen neuen Schub erhalten. Es gibt dabei sehr unterschiedliche<br />

Mo<strong>de</strong>lle, die oft vermischt wer<strong>de</strong>n. Die Mo<strong>de</strong>lle sind ebenso vielfältig wie die<br />

Gesellschaftsbil<strong>de</strong>r ihrer Verfechter. Sie reichen vom utopischen Sozialismus bis <strong>zu</strong><br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

neoliberalen Staatsabbaui<strong>de</strong>ologien. Dabei einen uns <strong>Gerechtigkeit</strong>svorstellungen und<br />

bürgerliche Gleichheitsi<strong>de</strong>ale, während wir neoliberale Staatsabbaui<strong>de</strong>ologien einiger<br />

Grun<strong>de</strong>inkommensbefürworter ablehnen . BefürworterInnen sehen im bedingungslosen<br />

Grun<strong>de</strong>inkommen für alle die Lösung <strong>de</strong>r wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen<br />

Probleme. Es wird das Bild eines einfachen und fairen Sozialstaats gezeichnet, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Individuen ein größtmögliches Maß an Freiheit, Selbstbestimmung und Wür<strong>de</strong> bei<br />

gleichzeitiger finanzieller Existenzsicherung einräumt.<br />

Bei manchen Grun<strong>de</strong>inkommens-Konzepten wie etwa <strong>de</strong>nen von Götz Werner o<strong>de</strong>r Dieter<br />

Althaus ist es offenkundig, dass sie nicht <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen entsprechen, die wir an eine<br />

Grüne Existenzsicherung haben. Es ist falsch, bedingungsloses Grun<strong>de</strong>inkommen für alle<br />

<strong>zu</strong> for<strong>de</strong>rn, weil angeblich <strong>de</strong>r Gesellschaft die Erwerbsarbeit ausgehe – allein im Bereich<br />

<strong>de</strong>r Schwarzarbeit „verstecken“ sich fünf Millionen Jobs. Mo<strong>de</strong>lle eines bedingungslosen<br />

Grun<strong>de</strong>inkommens, wie das von Katja Kipping, die eine hohe Alimentierung ohne<br />

Gegenleistungen versprechen, unterstützen in Wirklichkeit die Ten<strong>de</strong>nz <strong>zu</strong>m Abbau<br />

öffentlicher Infrastruktur. Wir wollen nicht, dass <strong>de</strong>r Staat sich, wie <strong>zu</strong>m Beispiel im<br />

Bürgergeld-Mo<strong>de</strong>ll von Althaus, sich mit <strong>de</strong>r Zahlung einer „Stilllegungsprämie“ aus <strong>de</strong>r<br />

Verantwortung die Teilhabe aller <strong>zu</strong> gewährleisten <strong>zu</strong>rückzieht – und statt<strong>de</strong>ssen auf die<br />

alleinige Verantwortung <strong>de</strong>r Individuen verweist. Die dauerhafte und bedingungslose<br />

Alimentierung von Menschen kann für einen politischen und gesellschaftlichen<br />

Ablasshan<strong>de</strong>l missbraucht wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r schnell <strong>zu</strong>r organisierten Ruhigstellung ganzer<br />

Bevölkerungsgruppen führt. Wir lehnen Grun<strong>de</strong>inkommens-Vorstellungen ab, die<br />

Erwerbslose quasi abfin<strong>de</strong>n wollen, bisherige soziale Sicherungsleistungen dafür gegen<br />

rechnen und die Betroffenen mit <strong>de</strong>r Verantwortung für die Schaffung gesellschaftlicher<br />

Zugänge alleine lassen. Wir lehnen Vorschläge ab, <strong>de</strong>ren Kern darin besteht, als<br />

Kombilohn-Mo<strong>de</strong>lle für je<strong>de</strong>rmann Arbeitgebern die Lohnkosten <strong>zu</strong> senken.<br />

Doch durch solche Kritik ist die Diskussion um ein bedingungsloses Grun<strong>de</strong>inkommen<br />

nicht erledigt. Viele im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m bedingungslosen Grun<strong>de</strong>inkommen<br />

vertretene Argumente bringen nämlich Fehler im bisherigen System <strong>de</strong>r sozialen<br />

Sicherung <strong>zu</strong>r Sprache. Sie plädieren <strong>zu</strong> Recht für ein System, das weniger mit Verdacht,<br />

Misstrauen und Kontrolle arbeitet als vielmehr in Richtung Selbstbestimmung und Respekt<br />

für mündige Bürgerinnen und Bürger mit individuellen Lebenswegen.<br />

Wir haben in <strong>de</strong>r Diskussion über Grüne Grundsicherung und bedingungsloses<br />

Grun<strong>de</strong>inkommen im <strong>zu</strong>rückliegen<strong>de</strong>n Jahr von einan<strong>de</strong>r gelernt und unsere Konzepte<br />

dabei präzisiert. Wir haben von <strong>de</strong>n BefürworterInnen eines bedingungslosen<br />

Grun<strong>de</strong>inkommens konkret <strong>de</strong>n Vorschlag <strong>de</strong>r Brückengrundsicherung aufgenommen.<br />

Auch die Weiterentwicklung <strong>de</strong>r im Grundsatzprogramm vorgesehenen<br />

Kin<strong>de</strong>rgrundsicherung wur<strong>de</strong> in dieser Diskussion beför<strong>de</strong>rt. Es ist möglich, einzelne Ziele<br />

und Elemente <strong>de</strong>r Grun<strong>de</strong>inkommens-Debatte in das Konzept <strong>de</strong>r bedarfsorientierten<br />

Grundsicherung auf<strong>zu</strong>nehmen, aber das ist kein Einstieg in <strong>de</strong>n Systemwechsel <strong>zu</strong>m<br />

bedingungslosen Grun<strong>de</strong>inkommen für alle. Aus <strong>de</strong>r Perspektive unseres Eintretens für<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> legt die Grun<strong>de</strong>inkommens-Debatte einen falschen Schwerpunkt bei <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>neuer</strong>ung <strong>de</strong>s Sozialstaats. Ein Großteil <strong>de</strong>r sozialen Probleme von heute lässt sich<br />

allein durch höhere individuelle Transfers nicht lösen. Statt<strong>de</strong>ssen müssen im Mittelpunkt<br />

unserer grünen Vision eines ermutigen<strong>de</strong>n Sozialstaats <strong>de</strong>r Ausbau und die Reform<br />

öffentlicher Güter und Dienste stehen: insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Bildungssystems, <strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>rbetreuung, <strong>de</strong>r Pflege und <strong>de</strong>r Arbeitsmarktinstitutionen.<br />

Von <strong>de</strong>n Vertretern eine bedingungslosen Grun<strong>de</strong>inkommens wird sehr stark mit zwei<br />

Argumenten geworben: Erstens, dass es <strong>Gerechtigkeit</strong> herstelle, in<strong>de</strong>m es eine<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

substantielle Verbesserung <strong>de</strong>r materiellen Lage breiter Bevölkerungsschichten darstelle.<br />

Zweitens, dass es ein ökonomisches Bürgerrecht auf kulturelle, institutionelle und<br />

materielle Teilhabe an <strong>de</strong>r Gesellschaft schaffe. Tatsächlich wer<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Ziele durch <strong>de</strong>n<br />

Ansatz eines bedingungslosen Grun<strong>de</strong>inkommens für alle verfehlt. Eine breit angelegte<br />

Verbesserung von Transfers, die sich nicht auf die Parteinahme für die sozial Schwachen<br />

konzentriert, son<strong>de</strong>rn kleine und mittlere Einkommen mit bedienen will, behin<strong>de</strong>rt gera<strong>de</strong><br />

die gesellschaftliche, kulturelle und institutionelle Teilhabe, weil sie die Spielräume für die<br />

notwendigen Aufwendungen und Investitionen <strong>zu</strong>gunsten öffentlicher Gemeinschaftsgüter<br />

einschränkt. Der Aufbau einer umfassen<strong>de</strong>n Bildungs-, Vorsorge- und Befähigungsstruktur<br />

kommt damit zwangsläufig <strong>zu</strong> kurz, <strong>de</strong>nn hierfür sind <strong>zu</strong>sätzliche Mittel von rund 60<br />

Milliar<strong>de</strong>n Euro notwendig. Wenn wir aber Armut nicht nur lin<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn <strong>zu</strong>künftig auch<br />

vermei<strong>de</strong>n wollen, haben gera<strong>de</strong> Investitionen in gute Infrastruktur, Zugangsgerechtigkeit<br />

und öffentliche Angebote für Kin<strong>de</strong>r und Erwachsene höchste Priorität.<br />

Es funktioniert nicht, auf <strong>de</strong>n Ausbau öffentlicher Institutionen einfach noch das<br />

bedingungslose Grun<strong>de</strong>inkommen für alle drauf <strong>zu</strong> satteln. Wir setzen auf einen Staat, <strong>de</strong>r<br />

mit seinen Ressourcen klug haushaltet und Unterstüt<strong>zu</strong>ng gezielt <strong>de</strong>nen <strong>zu</strong>kommen lässt,<br />

die sie wirklich brauchen. Nur so bleibt die nötige öffentliche Legitimation und auch die<br />

Bereitschaft <strong>de</strong>r gesamten Gesellschaft <strong>zu</strong>r Solidarität erhalten.<br />

II. Grundsätze Grüner Grundsicherung<br />

Auf die sozialen Herausfor<strong>de</strong>rungen unserer Zeit reagiert die Grüne Grundsicherung<br />

entsprechend <strong>de</strong>n zentralen Werten unserer Partei: <strong>Gerechtigkeit</strong> und Selbstbestimmung.<br />

Zusätzlich <strong>zu</strong>r Verteilungspolitik geht es uns um einen <strong>Aufbruch</strong> im Zeichen von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern, zwischen <strong>de</strong>n Generationen und beim Zugang<br />

<strong>zu</strong> gesellschaftlichen Gütern. Und für einen <strong>Aufbruch</strong> im Zeichen <strong>de</strong>r Selbstbestimmung,<br />

die ein ermutigen<strong>de</strong>r Sozialstaat erst für alle möglich macht. Denn nur eine<br />

emanzipatorische Sozialpolitik gewährleistet nachhaltige soziale Sicherheit und<br />

Teilhabegerechtigkeit ist Vorausset<strong>zu</strong>ng für lebendige Demokratie.<br />

Zentrales Ziel <strong>de</strong>r emanzipativen Sozialpolitik und daher auch <strong>de</strong>r Grünen Grundsicherung<br />

ist es die Vorausset<strong>zu</strong>ngen für Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe <strong>zu</strong><br />

schaffen. Selbstbestimmt leben und mitwirken <strong>zu</strong> können, ist ein soziales Bürgerrecht.<br />

Diesem Ziel entspricht auch, dass wir die Sozialversicherungssysteme <strong>zu</strong><br />

Bürgerversicherungen weiterentwickeln wollen.<br />

Die Grüne Grundsicherung besteht aus zwei gleichberechtigten, sich ergänzen<strong>de</strong>n<br />

Komponenten: Aus <strong>de</strong>r „Existenzsicherung“ auf <strong>de</strong>r einen und <strong>de</strong>r „Teilhabegarantie“ auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite. Denn Armut und gesellschaftliche Ausgren<strong>zu</strong>ng bestehen nicht allein<br />

im Mangel an Geld, son<strong>de</strong>rn auch im eingeschränkten Zugang <strong>zu</strong>r Bildung und an<strong>de</strong>ren<br />

Gemeinschaftsgütern und in <strong>de</strong>r Verweigerung <strong>de</strong>s Zugangs <strong>zu</strong>m Erwerbsarbeitsmarkt.<br />

Wir brauchen bei<strong>de</strong>s: Existenzsichern<strong>de</strong> Transferleistungen und <strong>de</strong>n<br />

diskriminierungsfreien Zugang <strong>zu</strong> sozialen und kulturellen Angeboten, <strong>zu</strong> Räumen <strong>de</strong>r<br />

Befähigung und <strong>de</strong>r Bildung. Nur so lassen sich Armutslebenslagen nachhaltig<br />

überwin<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong> Reduzierung <strong>de</strong>s Sozialstaates auf eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Seiten muss<br />

dagegen scheitern.<br />

Durch angemessene Finanzausstattung einnahmeschwacher Kommunen seitens <strong>de</strong>r<br />

Län<strong>de</strong>r müssen diese in die Lage versetzt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Zugang <strong>zu</strong> öffentlichen Gütern <strong>zu</strong><br />

gewährleisten und Kin<strong>de</strong>rgarten- und Schulessen, Sozialtickets für <strong>de</strong>n ÖPNV sowie<br />

angemessene Ermäßigungen bzw. Freistellung von Gebühren für Bildungs- und<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Kultureinrichtung, die <strong>de</strong>rzeit als rein kommunale, freiwillige Leistung gestaltet sind, bereit<br />

<strong>zu</strong> stellen.<br />

Als Vorbild dienen uns die skandinavischen Län<strong>de</strong>r. Sie verbin<strong>de</strong>n die hohen Investitionen<br />

in Gemeinschaftsgüter, öffentliche Infrastruktur und Hilfesysteme mit <strong>de</strong>r Motivation <strong>de</strong>r<br />

Bürgerinnen und Bürger <strong>zu</strong>r aktiven Mitarbeit. Damit belegen sie eindrucksvoll, dass die<br />

These vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erwerbsarbeit falsch ist. Von Skandinavien können wir lernen <strong>de</strong>n<br />

Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r Arbeitsgesellschaft <strong>zu</strong> gestalten – und gleichzeitig hohe soziale Standards<br />

<strong>zu</strong> erhalten.<br />

Das fängt bereits bei Kin<strong>de</strong>rbetreuung und frühkindlicher Bildung an. Für Kin<strong>de</strong>r- und<br />

Familienpolitik geben Dänemark und Schwe<strong>de</strong>n anteilig mehr aus als unser Land. Die<br />

Barleistungen betragen dort aber nur 30 Prozent, bei uns 70 Prozent. Die Sachleistungen,<br />

wie etwa öffentliche Aufwendungen für Kin<strong>de</strong>rbetreuung machen bei uns nur 30 Prozent<br />

aus, dort 70 Prozent. Die Resultate dieser Prioritätenset<strong>zu</strong>ng sind ein<strong>de</strong>utig: Während in<br />

Deutschland 36 Prozent <strong>de</strong>r Alleinerziehen<strong>de</strong>n und 21 Prozent <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rreichen arm<br />

waren, waren es in Dänemark nur 12 Prozent beziehungsweise 13 Prozent (Zahlen von<br />

2005). Keine an Barleistungen orientierte Familienför<strong>de</strong>rung schafft es, das steile<br />

Einkommensgefälle zwischen Kin<strong>de</strong>rlosen und Familien mit Kin<strong>de</strong>rn nur annähernd<br />

aus<strong>zu</strong>gleichen. Erwerbsbeteiligung bei<strong>de</strong>r Eltern ist entschei<strong>de</strong>nd. Auch bei<br />

Alleinerziehen<strong>de</strong>n mit Kleinkin<strong>de</strong>rn verbessert sich die ökonomische Situation durch<br />

Erwerbstätigkeit enorm. Zu<strong>de</strong>m ist die hohe Be<strong>de</strong>utung frühkindlicher Bildung für die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r unstrittig. Daher die zentrale Be<strong>de</strong>utung von qualitativ guter<br />

Kin<strong>de</strong>rbetreuung. Priorität für die Finanzierung dieses öffentlichen Gutes ist also aus<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>sgrün<strong>de</strong>n unabweisbar.<br />

Die Gesellschaft kann nicht auf die Kompetenzen und Potenziale ihrer Bürgerinnen und<br />

Bürger verzichten. Sie darf nieman<strong>de</strong>n aufs Abstellgleis schieben. Soziale Absicherung<br />

muss so organisiert sein, dass sie die Vorausset<strong>zu</strong>ng einer selbst bestimmten<br />

Lebensführung unterstützt und nicht behin<strong>de</strong>rt. Wir Grüne machen uns vor allem für die<br />

Schwächsten <strong>de</strong>r Gesellschaft stark. Denn wie gerecht und lebenswert eine Gesellschaft<br />

wirklich ist, zeigt sich auch daran, wie sie mit jenen umgeht, die nicht Teil <strong>de</strong>r<br />

“Mehrheitsgesellschaft“ sind.<br />

1. Die Wür<strong>de</strong> ist kein Konjunktiv<br />

Nicht gebraucht <strong>zu</strong> wer<strong>de</strong>n, keinen Beitrag für eine funktionieren<strong>de</strong> Gesellschaft leisten <strong>zu</strong><br />

können – das ist ein nie<strong>de</strong>rschmettern<strong>de</strong>s Signal. Deshalb müssen Staat und Gesellschaft<br />

eine klare Botschaft an je<strong>de</strong> und je<strong>de</strong>n sen<strong>de</strong>n: „Wir können und wollen auf keine und<br />

keinen verzichten, je<strong>de</strong>r und je<strong>de</strong> wird gebraucht! Wir wer<strong>de</strong>n allen ein Leben in Wür<strong>de</strong><br />

ermöglichen!“<br />

Deshalb muss sich die Grüne Grundsicherung klar und ein<strong>de</strong>utig von <strong>de</strong>r heutigen Hartz-<br />

Realität unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Wir brauchen ein solidarisches Sicherungsnetz. Je<strong>de</strong>r Mensch muss sich darauf verlassen<br />

können, dass ihm im Bedarfsfall geholfen wird: schnell, unbürokratisch und<br />

existenzsichernd. Die Garantie einer ausreichen<strong>de</strong>n materiellen Existenzsicherung ist eine<br />

Vorausset<strong>zu</strong>ng für I<strong>de</strong>ntifikation mit und Vertrauen in die Gesellschaft.<br />

Zugänge <strong>zu</strong> gesellschaftlichen Ressourcen müssen so gestaltet sein, dass sie bei <strong>de</strong>n<br />

Individuen und ihren Fähigkeiten ansetzen, dass sie die Entwicklung selbstbestimmter<br />

Menschen unterstützen und <strong>de</strong>ren individuellen Bedürfnisse ernst nehmen und<br />

berücksichtigen. Nur wer Menschen <strong>zu</strong>traut, Verantwortung für sich selbst <strong>zu</strong> übernehmen<br />

und ihnen die notwendigen Möglichkeiten und Freiheiten lässt, schafft Potenziale und<br />

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Räume für Kreativität und Wahrnehmung von Teilhabechancen.<br />

Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

In einem solidarischen System sozialer Sicherung können einerseits alle bei Bedürftigkeit<br />

vorbehaltlose Unterstüt<strong>zu</strong>ng erwarten. An<strong>de</strong>rerseits müssen sich alle, die das<br />

gegenseitige Sicherheitsversprechen garantieren, darauf verlassen können, dass je<strong>de</strong>s<br />

Mitglied <strong>de</strong>r Solidargemeinschaft seinen Anteil <strong>zu</strong>m Erhalt <strong>de</strong>rselben beiträgt. Dieses<br />

Prinzip ist konstitutiv für solidarisches Han<strong>de</strong>ln. Es entspricht daher durchaus unserer<br />

Vorstellung von sozialer <strong>Gerechtigkeit</strong>, dass Menschen, die da<strong>zu</strong> in <strong>de</strong>r Lage sind, für<br />

erhaltene solidarische Unterstüt<strong>zu</strong>ng durch individuelle Transfers auch aktiv <strong>zu</strong>m Wohle<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft beitragen. Unter <strong>Gerechtigkeit</strong> verstehen wir ein wechselseitiges<br />

Verhältnis, in <strong>de</strong>m BürgerInnen durch die Solidargemeinschaft füreinan<strong>de</strong>r eintreten. Ein<br />

gelingen<strong>de</strong>s und vielfältiges Gemeinwesen ist auf die Partizipation seiner Mitglie<strong>de</strong>r<br />

angewiesen. Deshalb heißt Gegenseitigkeit natürlich auch, dass die Gesellschaft vom<br />

Einzelnen soziales, kulturelles o<strong>de</strong>r politisches Engagement entsprechend seiner<br />

individuellen Fähigkeiten erwarten darf und auch die Bereitschaft for<strong>de</strong>rn kann, im<br />

Rahmen seiner Vorstellungen und Fähigkeiten etwas <strong>zu</strong>r Gesellschaft bei<strong>zu</strong>tragen.<br />

Gegenwärtig setzt die Arbeitsmarktpolitik vor allem auf Sanktionen, nicht auf Angebote,<br />

um „Gegenleistungen“ <strong>de</strong>r Transfer-EmpfängerInnen <strong>zu</strong> erreichen. Das ist falsch. Der<br />

Grundbedarf muss je<strong>de</strong>rzeit gewährleistet sein und darf künftig nicht durch Sanktionen<br />

angetastet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Erwartung einer „Gegenleistung“ darf nicht <strong>zu</strong>m Ausgangspunkt wer<strong>de</strong>n für<br />

bürokratische Zumutungen, bei <strong>de</strong>nen am En<strong>de</strong> die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Betroffenen auf <strong>de</strong>r<br />

Strecke bleibt. Statt<strong>de</strong>ssen müssen zwingend die Fähigkeiten, Vorstellungen und<br />

Wünsche <strong>de</strong>r Hilfebedürftigen berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. Es muss ein Wunsch- und Wahlrecht<br />

geben, das Recht je<strong>de</strong>r und je<strong>de</strong>s einzelnen, selbst vor<strong>zu</strong>schlagen, wie sie am besten <strong>zu</strong>m<br />

Nutzen <strong>de</strong>r Gesellschaft beitragen können und wollen. Eigeninitiative soll geför<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n, wobei Engagement bei <strong>de</strong>r Jobsuche, Existenzgründung, Aus- und Weiterbildung,<br />

Familienarbeit, Pflege und Ehrenamt berücksichtigt wer<strong>de</strong>n sollen. Wird Fähigkeiten,<br />

Wünschen und Vorschlägen <strong>de</strong>r Einzelnen nicht Rechnung getragen und besteht keine<br />

Wahl zwischen verschie<strong>de</strong>nen För<strong>de</strong>rangeboten, dürfen keine Sanktionen verhängt<br />

wer<strong>de</strong>n. Angesichts <strong>de</strong>r geringen praktischen Be<strong>de</strong>utung von Sanktionen (bun<strong>de</strong>sweit<br />

durchschnittlich etwa ein Prozent) halten wir auch <strong>de</strong>n Vorschlag eines befristeten<br />

Sanktionsmoratoriums für einen guten Vorschlag, <strong>de</strong>n wir aufnehmen wollen.<br />

Scheinangebote mit <strong>de</strong>m Zweck <strong>de</strong>r so genannten „Überprüfung <strong>de</strong>r Arbeitsbereitschaft“<br />

lehnen wir ab. Auf keinen Fall darf es einen Sanktionsautomatismus geben.<br />

Hilfeempfänger müssen künftig die Möglichkeit haben Sanktionsentscheidungen von<br />

einem paritätisch besetzten Wi<strong>de</strong>rspruchsausschuss prüfen <strong>zu</strong> lassen. Ihr Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

hat – im Gegensatz <strong>zu</strong>r aktuellen Regelung – aufschieben<strong>de</strong> Wirkung. Unser Ziel ist eine<br />

Grundsicherung, die ohne Sanktionen auskommt und das Setzen auf Motivation, Hilfe und<br />

Anerkennung statt Bestrafung. Wir wollen das eigenverantwortliche Engagement eines<br />

und einer je<strong>de</strong>n unterstützen und Mut <strong>zu</strong>r Partizipation machen.<br />

2. Bekämpfung von Armut<br />

Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinan<strong>de</strong>r. Die materielle Armut<br />

nimmt <strong>zu</strong>. Die Zahl <strong>de</strong>r armen Menschen - vor allen Dingen armer Kin<strong>de</strong>r – wächst. Armut<br />

wird von einer Generation an die nächste weitergegeben.<br />

Die Grüne Existenzsicherung garantiert das soziokulturelle Existenzminimum<br />

entsprechend <strong>de</strong>m Bedarf. Sie lin<strong>de</strong>rt damit bereits entstan<strong>de</strong>ne Notlagen. Armut ist aber<br />

auch <strong>de</strong>r Mangel an Möglichkeiten, eigene Talente und eigenes Können <strong>zu</strong> entwickeln und<br />

ein<strong>zu</strong>setzen. Wenn wir die Ursachen <strong>de</strong>r Armut bekämpfen und Armut dauerhaft<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

überwin<strong>de</strong>n wollen, müssen die Transferzahlungen und Vorkehrungen <strong>zu</strong>r Sicherung <strong>de</strong>r<br />

Teilhabe eng in einan<strong>de</strong>r greifen. Die Zugänge müssen so gestaltet sein, dass sie je<strong>de</strong>m<br />

Menschen unabhängig von Herkunft, sozialem Umfeld und finanziellen Möglichkeiten offen<br />

stehen und tatsächlich auch in Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n können. Ver<strong>de</strong>ckte Armut<br />

aus Scham o<strong>de</strong>r Unkenntnis darf es <strong>zu</strong>künftig nicht mehr geben.<br />

Wir akzeptieren nicht, dass Kin<strong>de</strong>r ein Armutsrisiko sind und ein hohes Armutsrisiko<br />

haben. Gera<strong>de</strong> weil Kin<strong>de</strong>r die abhängigsten Mitglie<strong>de</strong>r unserer Gesellschaft sind, muss<br />

die Solidargemeinschaft ein beson<strong>de</strong>res Augenmerk auf ihr Wohl legen. Dies beginnt mit<br />

ihrer ausreichen<strong>de</strong>n materiellen Absicherung. Kin<strong>de</strong>r sind keine „abgeleiteten“<br />

Erwachsenen, son<strong>de</strong>rn haben eigenständige Bedürfnisse, die auch eigenständig ermittelt<br />

und angemessen berücksichtigt wer<strong>de</strong>n müssen. Die Regelsätze für Kin<strong>de</strong>r sind daher <strong>zu</strong><br />

erhöhen. Deshalb setzen wir uns für eine eigenständige und bedingungslose<br />

Kin<strong>de</strong>rgrundsicherung ein, die Stück für Stück verwirklicht wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Eingeschränkte Bildungs- und Teilhabechancen einer immer größer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zahl von<br />

Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen sind nicht nur eine große Ungerechtigkeit gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Betroffenen, son<strong>de</strong>rn auch eine volkswirtschaftliche Fehlleistung erster Güte. Eine<br />

Wissensgesellschaft kann es sich nicht leisten 20-30 Prozent eines Jahrgangs mit einem<br />

schlechtem o<strong>de</strong>r auch ganz ohne Schulabschluss aus <strong>de</strong>m Bildungssystem <strong>zu</strong> entlassen.<br />

Alle Kin<strong>de</strong>r und Jugendlichen brauchen eine faire Chance ihre Potentiale optimal <strong>zu</strong><br />

entwickeln. Das ist gut für die Kin<strong>de</strong>r und Jugendlichen, das ist aber auch entschei<strong>de</strong>nd für<br />

die Zukunftsfähigkeit <strong>de</strong>s Gemeinwesens.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen und sozialen Entwicklung und <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Defizite in<br />

<strong>de</strong>r Altersvorsorge wird in Zukunft das Risiko persönlicher Altersarmut <strong>zu</strong>nehmen. Unsere<br />

bündnisgrüne Perspektive angesichts dieser Herausfor<strong>de</strong>rung ist die Bürgerversicherung.<br />

3. Geschlechtergerechtigkeit<br />

Die Grüne Existenzsicherung entspricht unserem Grundsatz <strong>de</strong>r<br />

Geschlechtergerechtigkeit. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für <strong>de</strong>n eigenständigen<br />

Rechtsanspruch aller Menschen bei<strong>de</strong>rlei Geschlechts auf soziale Absicherung und<br />

grundsätzliche individuelle Ansprüche auf Leistungen. Dieser Individualisierung steht im<br />

Gegen<strong>zu</strong>g <strong>de</strong>r Abbau von Privilegien im Steuersystem und in <strong>de</strong>n Sozialversicherungen<br />

gegenüber, die an die Ehe gebun<strong>de</strong>n sind. Ehegattensplitting, die Steuerklassen drei bis<br />

fünf und bestimmte Regelungen in <strong>de</strong>r Renten- und Krankenversicherung zielen noch<br />

immer auf ein überholtes „Alleinernährer-Mo<strong>de</strong>ll“ und beför<strong>de</strong>rn die Nicht- o<strong>de</strong>r<br />

Teilerwerbstätigkeit vor allem von Frauen. Als Folge treten häufig nicht existenzsichern<strong>de</strong><br />

Einkommen und Renten sowie dauerhafte Abhängigkeit vom Partner /<strong>de</strong>r Partnerin o<strong>de</strong>r<br />

vom Staat ein. Der Zugang <strong>zu</strong>r aktiven Arbeitsmarktför<strong>de</strong>rung muss insbeson<strong>de</strong>re<br />

Frauen, auch wenn sie lange nicht erwerbstätig waren o<strong>de</strong>r aufgrund <strong>de</strong>r<br />

Partnereinkommen aus <strong>de</strong>m ALG-II Be<strong>zu</strong>g fallen, offen stehen, um ihnen <strong>de</strong>n Einstieg in<br />

existenzsichern<strong>de</strong> Erwerbsarbeit <strong>zu</strong> ermöglichen.<br />

Auch <strong>de</strong>r zügige Ausbau <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung samt frühkindlicher Bildung und von<br />

Ganztagsschulen, die individuell för<strong>de</strong>rn, ist nicht nur aus bildungspolitischer, son<strong>de</strong>rn<br />

auch aus Gleichstellungssicht von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung. Er ist ein wichtiger Beitrag<br />

für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer.<br />

In Deutschland beträgt <strong>de</strong>r Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern bei<br />

gleichwertiger Arbeit auch 50 Jahre nach Abschluss <strong>de</strong>r Römischen Verträge im Schnitt 26<br />

Prozent. Deutschland ist damit europaweit auf <strong>de</strong>m drittletzten Platz was Lohngleichheit<br />

angeht. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Pflege und in <strong>de</strong>r Frühkindlichen Bildung, aber auch in vielen<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

an<strong>de</strong>ren frauentypischen Berufen ist die Bezahlung so niedrig, dass Frauen sehr häufig<br />

<strong>zu</strong>sätzlich Transferleistungen in Anspruch nehmen müssen, obwohl sie Vollzeit arbeiten.<br />

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN for<strong>de</strong>rn ein En<strong>de</strong> dieser gravieren<strong>de</strong>n Lohnunterschie<strong>de</strong>. Wir<br />

stehen für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und machen uns <strong>zu</strong><strong>de</strong>m für ein<br />

Gleichstellungsgesetz in <strong>de</strong>r Privatwirtschaft stark.<br />

Mo<strong>de</strong>lle, die da<strong>zu</strong> beitragen, dass Pflege- und/o<strong>de</strong>r Betreuungsarbeit – in <strong>de</strong>r Regel <strong>zu</strong><br />

Lasten von Frauen - weiter individualisiert wer<strong>de</strong>n, sind nicht geschlechtergerecht und<br />

angesichts <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mographischen Wan<strong>de</strong>ls auch nicht <strong>zu</strong>kunftsfest. Nötig ist im Gegenteil<br />

eine Professionalisierung und Humanisierung <strong>de</strong>r Pflege. Mit <strong>de</strong>m Aufbau einer<br />

öffentlichen Infrastruktur in diesem Sektor - wie in <strong>de</strong>n skandinavischen Län<strong>de</strong>rn – entsteht<br />

nicht nur <strong>zu</strong>sätzliche Beschäftigung son<strong>de</strong>rn Betreuung und Pflege kann auch so<br />

organisiert wer<strong>de</strong>n, dass sie nicht mit <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r pflegen<strong>de</strong>n Angehörigen<br />

kollidiert.<br />

4. Unterstüt<strong>zu</strong>ng individuell gestalten – Selbstbestimmung ermöglichen<br />

Ein emanzipativer und ermutigen<strong>de</strong>r Sozialstaat wartet nicht bis <strong>de</strong>r „Versicherungsfall“<br />

eintritt, um dann erst <strong>zu</strong> helfen. Seine Leistungsstärke zeigt sich an <strong>de</strong>r Konsequenz und<br />

an <strong>de</strong>r Kreativität, mit <strong>de</strong>r er seinen BürgerInnen ermöglicht, selbst bestimmt <strong>zu</strong> leben.<br />

Gera<strong>de</strong> in einer Zeit, in <strong>de</strong>r die Individualisierung <strong>de</strong>r Lebensverhältnisse nicht mehr <strong>zu</strong><br />

übersehen ist, kann es nicht eine Antwort für alle geben. Je<strong>de</strong>r Mensch hat eigene<br />

Lebensumstän<strong>de</strong>, eigene Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten, Stärken, aber auch<br />

Schwächen – und benötigt <strong>de</strong>shalb individuelle Unterstüt<strong>zu</strong>ng. Das Konzept <strong>de</strong>r Grünen<br />

Grundsicherung berücksichtigt diese Individualität. Nötig ist eine bessere Vernet<strong>zu</strong>ng von<br />

staatlicher, professioneller, familiärer und bürgerschaftlicher Unterstüt<strong>zu</strong>ng voraus – einen<br />

welfare mix als neues sozialpolitisches Miteinan<strong>de</strong>r. Ein Sozialstaat <strong>de</strong>r befähigt und<br />

ermutigt, sucht <strong>de</strong>shalb gemeinsam und auf Augenhöhe mit <strong>de</strong>n Betroffenen nach Wegen<br />

<strong>zu</strong> mehr Teilhabe<br />

Die persönliche Beratung muss Vorrang haben vor <strong>de</strong>r schematischen Fallbearbeitung<br />

mittels EDV-Masken. In je<strong>de</strong>m Einzelfall muss ein qualifiziertes Fallmanagement dafür<br />

sorgen, dass die Bemühungen um Einglie<strong>de</strong>rung und Qualifizierung greifen. Das<br />

Sozialgesetzbuch II hat die Möglichkeit eröffnet, Vielfalt und Flexibilität walten <strong>zu</strong> lassen.<br />

Diese Vielfalt muss noch wesentlich stärker genutzt wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Reglementierung und<br />

Behin<strong>de</strong>rung durch bürokratische Vorschriften dagegen muss Schluss sein.<br />

Die Gewährung einer materiellen Existenzsicherung ist in eine umfassen<strong>de</strong> Hilfestruktur<br />

eingebun<strong>de</strong>n. Sie zielt darauf, die Hilfebedürftigkeit <strong>zu</strong> been<strong>de</strong>n und umfasst neben <strong>de</strong>r<br />

Arbeitsför<strong>de</strong>rung weitere Leistungen, die die Einglie<strong>de</strong>rung in das Erwerbsleben<br />

unterstützen. Da<strong>zu</strong> gehören etwa die Schuldnerberatung und Angebote <strong>de</strong>r<br />

psychosozialen Hilfe.<br />

Ein gut ausgebil<strong>de</strong>ter arbeitsloser Aka<strong>de</strong>miker braucht an<strong>de</strong>re Hilfen als ein ungelernter<br />

Langzeitarbeitsloser. Eine Mutter aus <strong>de</strong>r Mittelschicht, die nach einem beruflichem<br />

Wie<strong>de</strong>reinstieg sucht, braucht wie<strong>de</strong>rum eine an<strong>de</strong>re Unterstüt<strong>zu</strong>ng als die Zwanzigjährige<br />

mit zwei Kin<strong>de</strong>rn, die keinen Berufsabschluss hat. Schwächen von Migrantinnen und<br />

Migranten müssen in Stärken verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m die sprachlichen Kompetenzen<br />

geför<strong>de</strong>rt und <strong>de</strong>r interkulturelle Reichtum genutzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Vielfalt <strong>de</strong>r Probleme erfor<strong>de</strong>rt eine Vielzahl von Lösungsansätzen. Nach diesem<br />

Grundsatz funktioniert die Grüne Grundsicherung. Sie garantiert, bei allen<br />

unterschiedlichen Bedürfnissen, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – auf drei<br />

Ebenen: durch <strong>de</strong>n Zugang <strong>zu</strong> Arbeit, durch <strong>de</strong>n Zugang <strong>zu</strong> Bildung und<br />

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Gemeinschaftsgüter und durch eine gesicherte Existenz.<br />

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III. Die Grüne Grundsicherung eröffnet Teilhabe an Erwerbsarbeit<br />

1. Erwerbsarbeit –Schlüssel <strong>zu</strong>r Teilhabe<br />

Zugang <strong>zu</strong> Erwerbsarbeit ist unverzichtbar für die eigenständige Existenzsicherung, ist ein<br />

Schlüssel <strong>zu</strong> gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung sowie für die Einbindung in<br />

soziale Zusammenhänge. Sie ist <strong>zu</strong>gleich Quelle für Selbstsicherheit und<br />

Selbstbestätigung. Für die allermeisten Menschen ist es eine Frage <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong>, sich <strong>de</strong>n<br />

Lebensunterhalt eigenständig <strong>zu</strong> verdienen. Deshalb bleibt es eine wesentliche Aufgabe<br />

für sozial gerechte Politik, allen <strong>de</strong>n Zugang <strong>zu</strong> würdiger Erwerbsarbeit <strong>zu</strong> ermöglichen.<br />

Die aktive Arbeitsmarktpolitik muss ausgebaut wer<strong>de</strong>n. Neben individueller Beratung sind<br />

Weiterbildungs-, Umschulungs- und Qualifizierungsangebote sowie För<strong>de</strong>rprogramme <strong>zu</strong>r<br />

Existenzgründung notwendig, um Wege in die Arbeitswelt <strong>zu</strong> eröffnen.<br />

Unterstüt<strong>zu</strong>ngsangebote müssen <strong>zu</strong> <strong>de</strong>n Erwerbslosen passen - nicht umgekehrt.<br />

Auch für Erwerbslose, die auf absehbare Zeit keine Chance auf <strong>de</strong>m ersten Arbeitsmarkt<br />

haben, sind spezifische Angebote <strong>zu</strong> entwickeln. Für sie ist die Einrichtung eines sozialen<br />

Arbeitsmarktes notwendig, <strong>de</strong>r verlässlich funktioniert, ohne <strong>de</strong>n Weg in <strong>de</strong>n ersten<br />

Arbeitsmarkt <strong>zu</strong> verbauen.<br />

Junge Menschen brauchen Perspektiven. Für sie ist eine Ausbildung immer noch die<br />

beste Vorausset<strong>zu</strong>ng, um auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt Fuß <strong>zu</strong> fassen. Es muss für je<strong>de</strong>n jungen<br />

Menschen ein Angebot für Ausbildung geben. Dafür tragen Unternehmen und Staat die<br />

Verantwortung. Das System <strong>de</strong>r dualen Berufsausbildung muss gestärkt wer<strong>de</strong>n.<br />

Warteschleifen, in <strong>de</strong>nen viele Jugendliche <strong>de</strong>motiviert und perspektivlos <strong>zu</strong>rückbleiben,<br />

sind nicht akzeptabel. Alternativangebote wie <strong>zu</strong>m Beispiel Produktionsschulen, die<br />

<strong>zu</strong>verlässig <strong>de</strong>n Einstieg in eine eigenverantwortliche Erwerbskarriere erlauben, sind<br />

aus<strong>zu</strong>bauen.<br />

Mit <strong>de</strong>r Einführung von Min<strong>de</strong>stlöhnen, unserem Progressiv-Mo<strong>de</strong>ll <strong>zu</strong>r Senkung <strong>de</strong>r<br />

Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich und besseren<br />

Hin<strong>zu</strong>verdienstmöglichkeiten wollen wir die Rahmenbedingungen für existenzsichern<strong>de</strong><br />

Arbeit verbessern. Denn Erwerbsarbeit schafft die Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür, das Leben<br />

unabhängig von Transferleistungen <strong>zu</strong> gestalten.<br />

2. Min<strong>de</strong>stlöhne gegen Lohndumping<br />

Im Westen Deutschlands sind nur noch die Hälfte <strong>de</strong>r Betriebe tariflich gebun<strong>de</strong>n, im<br />

Osten weniger als ein Viertel. Unter diesen Bedingungen können Gewerkschaften nicht<br />

mehr alleine faire Min<strong>de</strong>starbeitsbedingungen sichern. Insgesamt rund vier Millionen<br />

Vollzeitbeschäftigte arbeiten für einen Niedriglohn. Die Zahl <strong>de</strong>r Erwerbstätigen, die<br />

ergänzend Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, ist inzwischen auf über eine Million<br />

Menschen gestiegen; ca. 344.000 davon gehen einer Vollzeitbeschäftigung nach. Armut<br />

trotz Arbeit ist für viele Menschen in Deutschland Realität. Diese Menschen haben mehr<br />

verdient! Wir nehmen nicht hin, dass immer mehr Arbeitgeber versuchen, sich auf Kosten<br />

<strong>de</strong>r Allgemeinheit vor <strong>de</strong>r Zahlung eines angemessenen Lohns <strong>zu</strong> drücken und das<br />

Arbeitslosengeld II als flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Kombilohn missbrauchen. Es kann nicht richtig<br />

sein, dass Beschäftigte mit ihren Steuern die Hungerlöhne in ihren Konkurrenzbetrieben<br />

subventionieren.<br />

Deshalb wollen wir Min<strong>de</strong>stlohnregelungen durchsetzen, die es in <strong>de</strong>n meisten Län<strong>de</strong>rn<br />

Europas bereits gibt. Wir haben schon seit 2004 Min<strong>de</strong>stlohnregelungen gefor<strong>de</strong>rt, als die<br />

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Gewerkschaften darüber noch uneinig waren und an<strong>de</strong>re Parteien das Thema noch<br />

ignorierten. Branchenspezifische Min<strong>de</strong>stlöhne, ob über das Entsen<strong>de</strong>gesetz o<strong>de</strong>r über<br />

ein reformiertes Gesetz über Min<strong>de</strong>starbeitsbedingungen sind sinnvoll. Aber es braucht<br />

auch eine allgemein wirken<strong>de</strong> Min<strong>de</strong>stlohnschranke gegen Lohndrückerei. Alle<br />

Erwerbstätigen müssen daher von einer gesetzlich ein<strong>zu</strong>richten<strong>de</strong>n<br />

Min<strong>de</strong>stlohnkommission verbindlich gegen Lohndumping geschützt wer<strong>de</strong>n.<br />

Min<strong>de</strong>stlohne durch<strong>zu</strong>setzen be<strong>de</strong>utet auch, die Finanzierung für die Grüne<br />

Grundsicherung nicht durch Kombilohn-Kosten <strong>zu</strong> überlasten und <strong>zu</strong> verhin<strong>de</strong>rn, dass<br />

allein dadurch immer mehr Menschen als „Aufstocker“ von Grundsicherung abhängig<br />

wer<strong>de</strong>n. In genau dieselbe Richtung wirkt auch das Progressivmo<strong>de</strong>ll. (Ebenso übrigens<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<strong>zu</strong>schläge beziehungsweise perspektivisch die Kin<strong>de</strong>rgrundsicherung.) Es ist<br />

daher falsch <strong>zu</strong> behaupten, dass durch Leistungsverbesserungen im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Grundsicherung quasi automatisch Millionen Menschen <strong>zu</strong>sätzlich von Transferleistungen<br />

abhängig wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Progressivmo<strong>de</strong>ll: Kleine Arbeitseinkommen entlasten und Jobs schaffen<br />

Viele Menschen mit geringen Qualifikationen in einfachen Tätigkeiten können von ihrem<br />

Arbeitseinkommen nicht leben. Mitverantwortlich dafür sind die hohen Lohnnebenkosten,<br />

die kleine Einkommen überproportional belasten. Sie wirken wie eine einheitliche Flat-Tax<br />

mit Beitragsbemessungsgrenze nach oben und ist damit doppelt unsozial. Mit <strong>de</strong>m grünen<br />

Progressivmo<strong>de</strong>ll wollen wir die Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich radikal<br />

absenken, und sie langsam progressiv ansteigen lassen. Was bei <strong>de</strong>r Steuer als gerecht<br />

empfun<strong>de</strong>n wird – kleine Einkommen: geringe Steuern; große Einkommen: hohe Steuern<br />

– soll auch für die Sozialversicherungsbeiträge gelten. Das Prinzip heißt: Je geringer das<br />

Einkommen <strong>de</strong>sto geringer <strong>de</strong>r Beitragssatz.<br />

Das Progressivmo<strong>de</strong>ll schafft neue Jobs insbeson<strong>de</strong>re im Dienstleistungsbereich. Allein in<br />

<strong>de</strong>r Gesundheitsbranche kann bis 2020 mit 600.000 neuen Arbeitsplätzen gerechnet<br />

wer<strong>de</strong>n. Die skandinavische Entwicklung zeigt, dass eine gute öffentliche Infrastruktur<br />

nicht nur die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männern för<strong>de</strong>rt,<br />

son<strong>de</strong>rn auch für mehr Beschäftigung sorgt.<br />

Durch die sinken<strong>de</strong>n Arbeitskosten haben auch Geringqualifizierte bessere Chancen auf<br />

<strong>de</strong>m Arbeitsmarkt. Mit <strong>de</strong>m Progressiv-Mo<strong>de</strong>ll lohnen sich einfache Jobs wie<strong>de</strong>r. Auch <strong>de</strong>r<br />

Anreiz <strong>zu</strong>r Schwarzarbeit wird erheblich gesenkt, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r geringere finanzielle Vorteil<br />

lässt das Risiko <strong>de</strong>r Illegalität unverhältnismäßig wer<strong>de</strong>n.<br />

Derzeit schlecht abgesicherte MinijobberInnen wer<strong>de</strong>n künftig vollwertige Mitglie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

Sozialversicherung – mit stark reduzierten Beiträgen. Auch hiervon profitieren<br />

insbeson<strong>de</strong>re Frauen. Da die geringeren Sozialbeiträge von <strong>de</strong>r Solidargemeinschaft mit<br />

Steuermitteln aufgestockt wer<strong>de</strong>n, bleiben die Ansprüche beim Arbeitslosengeld I und in<br />

<strong>de</strong>r Rentenversicherung trotz <strong>de</strong>r niedrigeren Beitragssätze für die NutznießerInnen <strong>de</strong>s<br />

Progressiv-Mo<strong>de</strong>lls erhalten.<br />

4. Bessere Zuverdienstmöglichkeiten beim Arbeitslosengeld II<br />

Ein eigenes Einkommen soll auf die Grundsicherung weniger stark angerechnet wer<strong>de</strong>n<br />

als beim heutigen Arbeitslosengeld II. Bis <strong>zu</strong> einem Verdienst von 400 Euro soll je<strong>de</strong>r<br />

zweite Euro anrechnungsfrei bleiben, darüber hinaus soll ein Anteil <strong>de</strong>s Verdienstes bei<br />

<strong>de</strong>n EmpfängerInnen verbleiben, <strong>de</strong>r 20 Prozent nicht übersteigt. Damit wollen wir<br />

Verbesserungen für kleine Einkommen erreichen und auch <strong>zu</strong>sätzliche<br />

Handlungsspielräume für diejenigen eröffnen, die z.B. als Alleinerziehen<strong>de</strong> nicht ohne<br />

weiteres in <strong>de</strong>r Lage sind, einen Vollzeitjob aus<strong>zu</strong>üben. Die Hin<strong>zu</strong>verdienste wirken mit<br />

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<strong>de</strong>m Progressiv-Mo<strong>de</strong>ll <strong>zu</strong>sammen, im Zusammenspiel unterstützen sie gemeinsam die<br />

Aufnahme von Erwerbstätigkeit.<br />

5. Bessere Arbeitsverwaltung und sozialer Arbeitsmarkt<br />

Wir brauchen eine Arbeitsverwaltung, die nicht nach “Schema F“ han<strong>de</strong>lt, son<strong>de</strong>rn<br />

gemeinsam mit <strong>de</strong>n Arbeitsuchen<strong>de</strong>n an Lösungen arbeitet. Regionalisierung <strong>de</strong>r<br />

Arbeitsmarktpolitik samt einer klaren Verantwortung <strong>de</strong>r Kommunen sind dafür<br />

erfor<strong>de</strong>rlich. Die Bun<strong>de</strong>sarbeitsagentur muss gegenüber <strong>de</strong>n Kommunen <strong>zu</strong>r<br />

Dienstleisterin wer<strong>de</strong>n. Statt Arbeitslose <strong>zu</strong> gängeln und <strong>zu</strong> bestrafen, müssen ihnen die<br />

VermittlerInnen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Es gibt bereits gute Erfahrungen mit<br />

Jobcentern, in <strong>de</strong>nen dieses Verständnis von Vermittlung umgesetzt wird. Von diesen<br />

Erfahrungen sollten wir lernen und profitieren.<br />

Zwar bietet das vorhan<strong>de</strong>ne arbeitsmarktpolitische Instrumentarium eigentlich die<br />

Grundlage für eine maßgeschnei<strong>de</strong>rte individuelle För<strong>de</strong>rung, und die in Deutschland <strong>zu</strong>r<br />

Verfügung stehen<strong>de</strong>n Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik entsprechen in etwa <strong>de</strong>nen in<br />

Schwe<strong>de</strong>n. Aber trotz dieser guten Vorausset<strong>zu</strong>ngen gibt es erheblichen<br />

Verbesserungsbedarf: Das Angebot <strong>zu</strong>r Weiterbildung muss qualitativ und quantitativ<br />

ausgeweitet wer<strong>de</strong>n, beson<strong>de</strong>rs für Jugendliche und ältere ArbeitnehmerInnen.<br />

Jugendliche sollen vor allem die Möglichkeit bekommen, einen Schulabschluss<br />

nach<strong>zu</strong>holen o<strong>de</strong>r eine Ausbildung <strong>zu</strong> machen. Ältere ArbeitnehmerInnen brauchen<br />

Zugang <strong>zu</strong> guter, langfristig angelegter Weiterbildung, um ihre Arbeitsmarktchancen<br />

dauerhaft verbessern <strong>zu</strong> können.<br />

Mangeln<strong>de</strong> Qualifikation, gesundheitliche Probleme und an<strong>de</strong>re Handicaps führen da<strong>zu</strong>,<br />

dass unter <strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeitigen Bedingungen für schät<strong>zu</strong>ngsweise 400.000 Menschen <strong>de</strong>r Weg<br />

in <strong>de</strong>n ersten Arbeitsmarkt versperrt bleibt. Für sie gilt es, Arbeit statt Arbeitslosigkeit <strong>zu</strong><br />

finanzieren. Diese Menschen benötigen öffentlich finanzierte sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsverhältnisse, die mit langfristig konzipierter Beschäftigung und Qualifizierung ein<br />

sinnstiften<strong>de</strong>s Angebot unterbreiten, ohne <strong>de</strong>n Zugang <strong>zu</strong>m ersten Arbeitsmarkt <strong>zu</strong><br />

verbauen.<br />

IV. Teilhabe durch Zugang <strong>zu</strong> öffentlichen Gütern<br />

Wenn wir als grüne Strategie eine Stärkung von öffentlichen Gütern und öffentlichen<br />

Institutionen for<strong>de</strong>rn, dann meinen wir damit nicht eine Stärkung <strong>de</strong>s institutionellen Status<br />

Quo. Es braucht vielmehr konzeptionellen Ehrgeiz, um die Frage <strong>zu</strong> beantworten, wie wir<br />

die bestehen<strong>de</strong>n Institutionen weiterentwickeln und verän<strong>de</strong>rn müssen, damit sie ihre<br />

öffentliche Funktion überhaupt o<strong>de</strong>r besser erfüllen können.<br />

Aus grüner Sicht ist die Qualität öffentlicher Institutionen unabdingbar mit <strong>de</strong>r<br />

Gewährleistung von Zugängen verbun<strong>de</strong>n. Öffentliche Institutionen müssen unabhängig<br />

von sozialer und ökonomischer Lage für die Menschen offen sein, die auf das öffentliche<br />

Gut angewiesen sind. Institutionen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung beispielsweise, die nur für<br />

Berufstätige mit hohem Einkommen <strong>zu</strong>gänglich sind, sind keine „öffentlichen“. Gleiches gilt<br />

etwa für Schulen o<strong>de</strong>r Hochschulen, die nur für Schüler mit reichen Eltern erschwinglich<br />

sind.<br />

Für eine grüne Strategie öffentlicher Institutionen spielt <strong>zu</strong>m Zweiten das Recht auf<br />

Partizipation und Mitbestimmung <strong>de</strong>r Betroffenen eine wichtige Rolle. Als lebendige und<br />

lernen<strong>de</strong> Institutionen kommt es darauf, die Interessen und die Stärken <strong>de</strong>r einzelnen<br />

Akteure ins Spiel <strong>zu</strong> bringen, anstatt sie in einer autoritären Struktur <strong>zu</strong> ersticken.<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Öffentliche Institutionen sind nicht nur per Gesetz <strong>de</strong>mokratisch legitimiert, son<strong>de</strong>rn sie<br />

haben <strong>zu</strong>gleich nach innen <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Beteiligung <strong>zu</strong> berücksichtigen.<br />

Als offene und partizipative Institutionen gestehen wir <strong>de</strong>n Institutionen drittens eine starke<br />

Autonomie <strong>de</strong>r Binnenorganisation <strong>zu</strong>r Erreichung <strong>de</strong>r qualitativen Ziele <strong>zu</strong>. Anstatt<br />

Institutionen in einer starren Hierarchie <strong>zu</strong> begreifen, kommt es darauf an, die Eigenarten<br />

und die Kompetenz <strong>de</strong>r jeweiligen Akteure als Ausgangspunkt institutioneller Qualität <strong>zu</strong><br />

verstehen. Hier kommt auch ein Element von Qualitätswettbewerb ins Spiel.<br />

Es wäre falsch, bei öffentlichen Institutionen die Qualitätsfrage gegen die Strukturfrage<br />

aus<strong>zu</strong>spielen. Gera<strong>de</strong> im öffentlichen Raum sind Qualitätsverbesserungen nur über<br />

Strukturverän<strong>de</strong>rungen <strong>zu</strong> erreichen. Am Beispiel <strong>de</strong>r Institution Schule: Die For<strong>de</strong>rung<br />

nach einem bestimmten Bildungskanon ist ebenso ein „Strukturvorschlag“ wie die nach<br />

mehr Schulautonomie o<strong>de</strong>r die For<strong>de</strong>rung nach einer Überwindung <strong>de</strong>s starren<br />

dreigliedrigen Schulsystems.<br />

Ein weiterer Kurzschluss läge sodann darin, die Qualitätsfrage gegen die Notwendigkeit<br />

einer Erhöhung institutioneller Transfers aus<strong>zu</strong>spielen. Es ist offenkundig, dass zentrale<br />

Strukturreformen <strong>zu</strong>r Qualitätsverbesserung in bestimmten Institutionen nur in Verbindung<br />

mit <strong>zu</strong>sätzlichen öffentlichen Investitionen <strong>zu</strong> realisieren sind. Auch hier wie<strong>de</strong>r das<br />

Beispiel Schule: Eine <strong>de</strong>utliche Verbesserung <strong>de</strong>r Qualität dieser Institution ist nur über ein<br />

Bün<strong>de</strong>l an Maßnahmen möglich, die teilweise finanzrelevant sind und teilweise nicht. Klar<br />

ist aber, dass etwa eine Erhöhung <strong>de</strong>s Betreuungsschlüssels als Grundvorausset<strong>zu</strong>ng für<br />

stärker individualisiertes Lernen und Lehren erhebliche <strong>zu</strong>sätzliche Investitionen erfor<strong>de</strong>rt.<br />

Diese faktischen Zusammenhänge zwischen Qualitätsverbesserung, Strukturreformen und<br />

Investitionsbedarf sind <strong>de</strong>r Grund, warum eine grüne Institutionen-Strategie das<br />

Augenmerk auf die Finanzierungsfrage lenken muss.<br />

1. Bildung, Erziehung und Betreuung<br />

Die Vorausset<strong>zu</strong>ngen für gesellschaftliche Teilhabe wer<strong>de</strong>n ganz am Anfang eines<br />

Menschenlebens geschaffen. Qualifikation und soziale sowie ethnische Herkunft haben in<br />

Deutschland stärkeren Einfluss auf die Beschäftigungs- und Lebenschancen als in <strong>de</strong>n<br />

meisten an<strong>de</strong>ren OECD-Staaten. Bildungsarmut wird hier<strong>zu</strong>lan<strong>de</strong> quasi vererbt. Diese<br />

skandalöse Abhängigkeit <strong>de</strong>r Zugangschancen von <strong>de</strong>r sozialen Herkunft muss been<strong>de</strong>t<br />

wer<strong>de</strong>n. Wir brauchen die Talente und die Kreativität von allen.<br />

Die frühkindliche Bildung in <strong>de</strong>n ersten Lebensjahren bis hin <strong>zu</strong>m Vorschuljahr muss<br />

quantitativ und qualitativ verbessert wer<strong>de</strong>n, Krippen und Kitas müssen wir <strong>zu</strong> Bildungs-,<br />

Erziehungs- und Betreuungsseinrichtungen ausbauen. Eltern soll ein Rechtsanspruch auf<br />

Tagesplätze für Kin<strong>de</strong>r ab <strong>de</strong>m ersten Lebensjahr <strong>zu</strong>stehen. Dafür müssen insgesamt<br />

800.000 <strong>zu</strong>sätzliche Betreuungsplätze für Kin<strong>de</strong>r unter drei Jahren eingerichtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Um dieses Ziel <strong>zu</strong> erreichen, müssen wir Eltern und Kommunen unterstützen.<br />

ErzieherInnen sollen entsprechend ausgebil<strong>de</strong>t und weiter qualifiziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Damit alle Kin<strong>de</strong>r ihre Talente entwickeln können, muss das sozial hoch selektive<br />

Schulwesen grundlegend reformiert wer<strong>de</strong>n. Künftig sollen individuelle För<strong>de</strong>rung und<br />

gemeinsames Lernen im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Schulpädagogik stehen. Nach <strong>de</strong>n erfolgreichen<br />

skandinavischen Vorbil<strong>de</strong>rn wollen wir eine Schule etablieren, in <strong>de</strong>r alle Kin<strong>de</strong>r bei<br />

individueller För<strong>de</strong>rung neun Jahre gemeinsam lernen können und in <strong>de</strong>r ihre<br />

Verschie<strong>de</strong>nheit als Chance für alle genutzt wird. Zu<strong>de</strong>m brauchen wir ein<br />

flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>s Angebot an Ganztagsschulen.<br />

Deutschland hat im internationalen Vergleich <strong>zu</strong> wenige Studienplätze in <strong>zu</strong> schlecht<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

ausgestatteten Hochschulen. Sie platzen aus allen Nähten und sind genau wie die<br />

Schulen sozial hoch selektiv. Nicht <strong>zu</strong>letzt wegen <strong>de</strong>s wachsen<strong>de</strong>n Mangels an<br />

Fachkräften ist das inakzeptabel. Aber es han<strong>de</strong>lt sich ebenso wie bei <strong>de</strong>n<br />

Studiengebühren auch schlicht um eine Frage <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Allen jungen Menschen<br />

müssen wir eine ausreichen<strong>de</strong> und elternunabhängige Finanzierung ihres Studiums<br />

garantieren.<br />

Kontinuierliche Weiterbildung kommt in Deutschland noch immer <strong>zu</strong> kurz. Dabei ist klar,<br />

dass das einmal in Lehre, Berufsschule o<strong>de</strong>r Studium erworbene Wissen nicht mehr <strong>de</strong>n<br />

Erfor<strong>de</strong>rnissen eines langen Berufslebens genügt.<br />

Auch im lebenslangen Lernen ist Skandinavien ein Vorbild. Um die Quoten an<strong>de</strong>rer<br />

Län<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Weiterbildung <strong>zu</strong> erreichen, muss in Deutschland ein qualifiziertes System<br />

<strong>de</strong>r Bildungsberatung verankert wer<strong>de</strong>n. Wir müssen die organisatorischen und<br />

finanziellen Rahmenbedingungen verbessern – mit <strong>de</strong>m Ziel, Anreize für neue<br />

Bildungsphasen nach Schule und (Erst-) Ausbildung <strong>zu</strong> geben. Aus finanziellen Grün<strong>de</strong>n<br />

darf niemand von <strong>de</strong>r Weiterbildung abgehalten wer<strong>de</strong>n. Hier sind Unternehmen und<br />

Gesetzgeber gleichermaßen gefragt. So braucht es beispielsweise bun<strong>de</strong>sweit <strong>de</strong>n<br />

Anspruch auf Bildungsurlaub, welcher individuelle, kulturelle o<strong>de</strong>r politische Bildung eines<br />

und einer je<strong>de</strong>n ermöglicht.<br />

2. Unterstüt<strong>zu</strong>ng von Kin<strong>de</strong>rn und Familien<br />

Kin<strong>de</strong>r und Familien brauchen zielgenauere Angebote und Strukturen. Neben <strong>de</strong>r<br />

klassischen Jugend- und Familienhilfe zählen hier<strong>zu</strong> beispielsweise Familienzentren,<br />

soziale Frühwarnsysteme, Hebammenprojekte für Familien in schwierigen Situationen. Um<br />

insbeson<strong>de</strong>re diejenigen Kin<strong>de</strong>r und Familien <strong>zu</strong> erreichen, die häufig von pädagogischen,<br />

sportlichen und kreativen Angeboten ausgeschlossen sind, sollen Angebote dort<br />

geschaffen wer<strong>de</strong>n, wo sich die Kin<strong>de</strong>r und Familien aufhalten: <strong>zu</strong>m Beispiel in <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rtagesstätten, Schulen und kommunalen Begegnungsstätten. Kin<strong>de</strong>r mit<br />

Migrationshintergrund müssen dabei beson<strong>de</strong>rs berücksichtigt wer<strong>de</strong>n, damit sie von<br />

Anfang an integriert sind. Die Angebote können durch Gutscheinsysteme unterstützt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Gesundheitliche Prävention und Unterstüt<strong>zu</strong>ng für Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen<br />

Körperliche und psychische Krankheiten sind vielfach <strong>zu</strong>gleich sowohl Ursache als auch<br />

Folge von sozialen Problemen und Ausgren<strong>zu</strong>ng. Sie erschweren <strong>de</strong>n Betroffenen die<br />

Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsprozess <strong>zu</strong>nehmend. Wir müssen<br />

daher Gesundheitsför<strong>de</strong>rung und Prävention grundlegend reformieren, um sie stärker als<br />

bisher auf sozial benachteiligte Gruppen aus<strong>zu</strong>richten.<br />

In <strong>de</strong>r Prävention spielen partizipative Strategien eine wichtige Rolle. Angebote müssen<br />

<strong>zu</strong>sammen mit <strong>de</strong>n Betroffenen entwickelt und umgesetzt wer<strong>de</strong>n. Ein geeigneter Ansatz<br />

ist beispielsweise die Gesundheitsför<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>r Schule o<strong>de</strong>r im Stadtteil.<br />

„Niemand darf wegen seiner Behin<strong>de</strong>rung benachteiligt wer<strong>de</strong>n“ – diesem<br />

Benachteiligungsverbot in Artikel 3 <strong>de</strong>s Grundgesetzes muss eine diskriminierungsfreie<br />

Grundsicherung für Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen entsprechen. Bezüglich ihrer<br />

Lebensbedürfnisse dürfen Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Grundsicherung also nicht<br />

an<strong>de</strong>rs gestellt wer<strong>de</strong>n als an<strong>de</strong>re auch. Bedarfe, die sich trotz Barrierefreiheit allein<br />

aufgrund einer Behin<strong>de</strong>rung ergeben wie beispielsweise eine Arbeitsassistenz, sind als<br />

Nachteilsausgleich anrechnungsfrei <strong>zu</strong> stellen.<br />

Ein schwer durchschaubarer Dschungel an unterschiedlichen Leistungssystemen und<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Institutionen im Sozialrecht verhin<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>rzeit, dass Behin<strong>de</strong>rten die Teilhabe an allen<br />

gesellschaftlichen Bereichen ohne Vorbedingung gewährt wird. Mittelfristig gehört es<br />

<strong>de</strong>shalb <strong>zu</strong>r Grünen Existenzsicherung, dass ein einheitliches Bun<strong>de</strong>sleistungsgesetz für<br />

Menschen mit Behin<strong>de</strong>rungen die rechtlichen Grundlagen schafft.<br />

4. Mobilität für alle sichern<br />

Der Zugang <strong>zu</strong> einem bezahlbaren und gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr<br />

auf Straße und Schiene ist Vorausset<strong>zu</strong>ng für die Mobilität gera<strong>de</strong> von armen und<br />

bedürftigen Menschen. Auch angesichts höherer Energiepreise und mit Blick auf <strong>de</strong>n<br />

Klimawan<strong>de</strong>l ist <strong>de</strong>r konsequente Ausbau <strong>de</strong>r öffentlichen Verkehrsinfrastruktur<br />

erfor<strong>de</strong>rlich. Dabei setzen wir Grünen uns für die Einführung von Sozialtickets ein.<br />

V. Teilhabe durch eine gesicherte Existenz<br />

Wir verstehen die Grundsicherung als einen Rechtsanspruch, nicht als Almosen. Ihren<br />

Anspruch müssen Bedürftige ohne Diskriminierung o<strong>de</strong>r Gängelung durch die Behör<strong>de</strong>n in<br />

einem leicht verständlichen Verfahren geltend machen können. Die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

AntragstellerInnen muss dabei immer gewahrt bleiben. Niemand soll mehr aus Scham<br />

o<strong>de</strong>r Angst vor Ämtern in Armut leben müssen. Das Arbeitslosengeld II erfüllt diese<br />

Bedingungen nicht: Die Regelsätze sind <strong>zu</strong> niedrig, und die Anrechnung von Ersparnissen<br />

für das Alter ist ungerecht. Die verschärfte Anrechnung <strong>de</strong>s PartnerInneneinkommens hat<br />

vor allem die Situation von Frauen verschlechtert. Die <strong>de</strong>rzeitigen, und durch die große<br />

Koalition verschärften Regelungen hin<strong>de</strong>rn junge Menschen daran, aus <strong>de</strong>m Elternhaus<br />

aus<strong>zu</strong>ziehen und sich selbständig <strong>zu</strong> orientieren.<br />

1. Regelsatz auf 420 Euro erhöhen<br />

Die Höhe <strong>de</strong>s soziokulturellen Existenzminimums muss künftig in einem nachvollziehbaren<br />

transparenten Verfahren ermittelt und jährlich an die verän<strong>de</strong>rten Lebenshaltungskosten<br />

angepasst wer<strong>de</strong>n. Sachleistungen sollen ergänzend beson<strong>de</strong>re Bedürfnisse <strong>de</strong>cken.<br />

Experten beziffern <strong>de</strong>n notwendigen monatlichen Regelsatz <strong>de</strong>rzeit auf zwischen 390 und<br />

460 Euro. Wir gehen in unseren Berechnungen von <strong>de</strong>m durch <strong>de</strong>n DPWV ermittelten<br />

Regelsatz von 420 Euro aus.<br />

2. Schutz <strong>de</strong>r Altersvorsorge<br />

Vermögen, das <strong>de</strong>r Absicherung im Alter dient, muss beson<strong>de</strong>rs geschützt wer<strong>de</strong>n. Denn<br />

wer selbstverantwortlich für das Alter gespart hat, soll diese Vorsorge auch in Anspruch<br />

nehmen können. In Anlehnung an die grüne I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Altersvorsorgekontos sollen künftig<br />

bis <strong>zu</strong> 3000 Euro pro Lebensjahr steuerfrei <strong>zu</strong>rückgelegt wer<strong>de</strong>n können. Diese<br />

Ersparnisse wer<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r Hilfebedürftigkeit nicht berücksichtigt und<br />

wer<strong>de</strong>n nicht für Existenzsicherung herangezogen. Sie sind für <strong>de</strong>n Bezieher <strong>de</strong>r<br />

Existenzsicherung auch erst ab <strong>de</strong>m Renteneintritt verfügbar.<br />

3. PartnerInnen als eigenständige Individuen betrachten<br />

Die Grüne Existenzsicherung betrachtet auch in Partnerschaft leben<strong>de</strong> Männer und<br />

Frauen als eigenständige Individuen. Die Existenzsicherung darf ihnen nicht aufgrund <strong>de</strong>s<br />

Einkommens ihres Partners vorenthalten wer<strong>de</strong>n, da sie sonst finanziell abhängig vom<br />

Partner wür<strong>de</strong>n. Deshalb soll die Existenzsicherung langfristig vollständig individualisiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Dieser Prozess muss jedoch von <strong>de</strong>r Individualisierung an<strong>de</strong>rer Systeme wie <strong>de</strong>r<br />

Einkommensteuer sowie <strong>de</strong>r Kranken- und Rentenversicherung begleitet wer<strong>de</strong>n. Schon<br />

jetzt müssen aber Ehe- und LebenspartnerInnen einen eigenständigen Anspruch auf<br />

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Beratung und auf aktive För<strong>de</strong>rung bei <strong>de</strong>r Arbeitsplatzsuche haben.<br />

4. Existenz von Kin<strong>de</strong>rn sichern<br />

Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Beim Kin<strong>de</strong>r<strong>zu</strong>schlag für GeringverdienerInnen soll die Einkommensgrenze erhöht und<br />

<strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>r Leistungen an <strong>de</strong>n Bedarf angepasst wer<strong>de</strong>n. Wir wollen das Antrags-<br />

und Bewilligungssystem vereinfachen. Dadurch wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlich mehr Kin<strong>de</strong>r vom<br />

Kin<strong>de</strong>r<strong>zu</strong>schlag profitieren.<br />

Auch die Kin<strong>de</strong>r von ALG II-EmpfängerInnen wollen wir besser unterstützen. Der<br />

<strong>de</strong>rzeitige Regelsatz für Kin<strong>de</strong>r in Höhe von 60 bzw. 80 Prozent <strong>de</strong>s Regelsatzes eines<br />

Erwachsenen wird <strong>de</strong>n eigenständigen Bedürfnissen von Kin<strong>de</strong>rn nicht gerecht. Die<br />

Regelsätze für Kin<strong>de</strong>r müssen nach kindgerechten Maßstäben und mit transparenten<br />

Indikatoren ermittelt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Erhöhung <strong>de</strong>r Regelsätze für Kin<strong>de</strong>r auf 300 bis 350 Euro abhängig vom Alter und <strong>de</strong>r<br />

Ausbau <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>r<strong>zu</strong>schlags sind für uns vorrangige Maßnahmen. Sie sollen erste<br />

Schritte <strong>zu</strong> einer bedingungslosen Kin<strong>de</strong>rgrundsicherung sein, die für alle Kin<strong>de</strong>r das<br />

Existenzminimum individuell gewährleistet. Ohne vorherige Durchführung <strong>de</strong>r genannten<br />

Schritte wür<strong>de</strong> eine bedingungslose Kin<strong>de</strong>rgrundsicherung gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n ärmsten Kin<strong>de</strong>rn<br />

wenig <strong>zu</strong>gute kommen. Daher sind wir nicht dafür, diesen zweiten Schritt vor <strong>de</strong>m ersten<br />

<strong>zu</strong> machen.<br />

Darüber hinaus sollen auch Sachleistungen <strong>zu</strong> einer optimalen Entfaltung und Entwicklung<br />

von Kin<strong>de</strong>rn beitragen. Die Übernahme von Kosten für die Schulmahlzeit, <strong>de</strong>n Nahverkehr,<br />

die Bibliotheken und für <strong>de</strong>n außerschulischen Sport- o<strong>de</strong>r Musikunterricht erreichen<br />

Kin<strong>de</strong>r aus ärmeren Familien oft zielgenauer als Geldleistungen.<br />

5. Brücken-Existenzsicherung<br />

Die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Erwerbsbiografien führt immer häufiger da<strong>zu</strong>, dass Phasen <strong>de</strong>r<br />

Erwerbsarbeit sich abwechseln mit Zeiten <strong>de</strong>r Bildung, <strong>de</strong>r Familienarbeit und <strong>de</strong>s<br />

ehrenamtlichen Engagements. Dabei soll die Brücken-Existenzsicherung für eine<br />

begrenzte Zeit ohne Gegenleistung eine einfache und unbürokratische Hilfe sein. Sie<br />

richtet sich an Menschen, die nur materielle Absicherung benötigen. Um alles an<strong>de</strong>re –<br />

<strong>de</strong>n nächsten Auftrag, <strong>de</strong>n nächsten Job o<strong>de</strong>r die neue berufliche Perspektive – kümmern<br />

sie sich eigenständig.<br />

Für solche selbst bestimmten Phasen wollen wir größere Spielräume eröffnen. Ohne ihre<br />

Ansprüche auf För<strong>de</strong>rung und Beratung <strong>zu</strong> verlieren, bekommen die Betroffenen Zeit und<br />

Raum, um in Eigenregie ihre Projekte <strong>zu</strong> konzipieren und an<strong>zu</strong>stoßen. Davon profitieren<br />

<strong>zu</strong>m Beispiel Menschen, die im sozialen, künstlerischen o<strong>de</strong>r im Medienbereich tätig sind<br />

und oft in Jobs arbeiten, die zeitlich begrenzt sind. Ganz bewusst richtet sich die Brücken-<br />

Existenzsicherung aber auch an Selbständige, die auf diese Weise vorübergehen<strong>de</strong><br />

Zeiten mit keinem o<strong>de</strong>r geringem Einkommen überbrücken können.<br />

6. Gleiche Grundsicherung für AsylbewerberInnen<br />

Nach wie vor liegen die Leistungen nach <strong>de</strong>m Asylbewerberleistungsgesetz noch unter<br />

<strong>de</strong>m Sozialhilfeniveau. Diesem Missstand gilt es endlich <strong>zu</strong> begegnen. Wir wollen, dass<br />

AsylbewerberInnen sowohl die Grundsicherung für sich als auch für ihre Kin<strong>de</strong>r in gleicher<br />

Höhe wie an<strong>de</strong>re Bedürftige erhalten. Außer<strong>de</strong>m sollen sie leichter eine Arbeitserlaubnis<br />

bekommen können. Wir wollen auch nicht hinnehmen, dass Menschen ohne legalen<br />

Aufenthaltsstatus und ihre Kin<strong>de</strong>r vom Zugang <strong>zu</strong> Bildung und Gesundheitsleistungen<br />

ausgeschlossen sind.<br />

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VI. Finanzierung<br />

Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Teilhabe für alle gibt es nicht <strong>zu</strong>m Nulltarif, die Grüne Grundsicherung kostet Geld. Die<br />

von uns benannten Investitionen in Gemeinschaftsgüter, institutionelle Transfers und<br />

bessere individuelle Transfers machen <strong>de</strong>utlich, dass wir dafür höhere steuerliche<br />

Realerträge benötigen. Insgesamt müssen wir Ausgaben in Höhe von min<strong>de</strong>stens 60<br />

Milliar<strong>de</strong>n Euro gegen finanzieren. Gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Finanzierung zeigt sich, dass die grüne<br />

Grundsicherung auch ein Beitrag <strong>zu</strong> mehr Verteilungsgerechtigkeit ist: während <strong>zu</strong>m<br />

Beispiel die Zugänge <strong>zu</strong> öffentlichen Institutionen allen offen stehen, wollen wir bei <strong>de</strong>r<br />

Finanzierung stärkere Schultern auch stärker belasten.<br />

Ein wichtiger Ansatz <strong>zu</strong>r Finanzierung besteht darin, Steuerschlupflöcher <strong>zu</strong> schließen,<br />

Steuerflucht und Steuerhinterziehung endlich konsequenter <strong>zu</strong> bekämpfen – <strong>de</strong>nn ein<br />

Großteil <strong>de</strong>r umverteilen<strong>de</strong>n Wirkung <strong>de</strong>r Einkommensteuer geht durch die<br />

Steuerhinterziehung von Einkommensstärkeren verloren. Im Rahmen <strong>de</strong>s zweiten Teils<br />

<strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>ralismusreform for<strong>de</strong>rn wir <strong>de</strong>shalb auch eine bun<strong>de</strong>seinheitliche<br />

Steuerverwaltung. Natürlich wissen wir, dass in einer globalisierten Welt<br />

Steuererhöhungen so gestaltet wer<strong>de</strong>n müssen, dass sie die Steuerflucht nicht dramatisch<br />

erhöhen, da sie an<strong>de</strong>rnfalls das Finanzierungsproblem verschärfen statt es <strong>zu</strong> lösen. Wir<br />

fin<strong>de</strong>n es inakzeptabel, dass private Spitzenverdiener durch Wohnsitzverlagerung ins<br />

Ausland <strong>de</strong>r Besteuerung entgehen können. Daher streben wir eine Lösung ähnlich wie in<br />

<strong>de</strong>n Vereinigten Staaten an, <strong>de</strong>ren im Ausland leben<strong>de</strong> Staatsbürger in <strong>de</strong>n USA<br />

einkommensteuerpflichtig sind. Wir halten allerdings die Erhöhung <strong>de</strong>r privaten<br />

Einkommensteuer unter voller Einbeziehung privater Kapitalerträge für sinnvoll. Der<br />

Spitzensteuersatz soll auf 45 Prozent steigen. Einkommen aus Vermietung und<br />

Verpachtung müssen realistisch ermittelt wer<strong>de</strong>n. Die Abschmel<strong>zu</strong>ng <strong>de</strong>s<br />

Ehegattensplittings erbringt ebenfalls erhebliche Mehreinnahmen. Der steuerliche Beitrag<br />

<strong>de</strong>r Vermögen ist in Deutschland beson<strong>de</strong>rs niedrig. An einer Heranziehung von<br />

Vermögen für die Finanzierung <strong>de</strong>s Sozialstaats wollen wir festhalten. Wir wollen<br />

insbeson<strong>de</strong>re eine gerechtere Besteuerung hoher Erbschaften erreichen, <strong>de</strong>nn es ist nicht<br />

ein<strong>zu</strong>sehen, dass diese Vermögen nicht ihren angemessenen Anteil <strong>zu</strong>m<br />

Steueraufkommen beitragen. Dass es besser ist, in Bildung <strong>zu</strong> investieren als glücklichen<br />

Erben leistungslose Reichtümer <strong>zu</strong> sichern – dafür wer<strong>de</strong>n wir Verständnis fin<strong>de</strong>n. Zur<br />

Stärkung <strong>de</strong>r Kommunen ist die Gewerbesteuer <strong>zu</strong> einer Gemein<strong>de</strong>wirtschaftsteuer<br />

weiter<strong>zu</strong>entwickeln.<br />

Außer<strong>de</strong>m treten wir dafür ein, die ökologische Finanzreform fort<strong>zu</strong>setzen und dabei die<br />

Verbindung ökologischer und sozialer Ziele ins Zentrum <strong>zu</strong> rücken. Pro Jahr können wir<br />

umweltschädliche Subventionen in zweistelliger Milliar<strong>de</strong>nhöhe sparen. Derzeit steigen die<br />

Subventionen durch Ausnahmen bei <strong>de</strong>r Ökosteuer sogar noch. Außer<strong>de</strong>m wollen wir <strong>de</strong>n<br />

Vorschlag eines Öko-Bonus aufgreifen. Die ökologisch sinnvolle Besteuerung von Strom-<br />

und Wärmeverbrauch soll erhöht wer<strong>de</strong>n, um soziale Umverteilung <strong>zu</strong> verwirklichen, die<br />

Einkommensschwachen und <strong>zu</strong> Gute kommt, die Energieeffizienz und Energieeinsparung<br />

umsetzen.<br />

VII. Ausblick: Gesicherte Existenz, neue Chancen<br />

Die Grüne Grundsicherung markiert einen <strong>Aufbruch</strong> in <strong>de</strong>r Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.<br />

Einen <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> einem ermutigen<strong>de</strong>n Sozialstaat, einem Sozialstaat, <strong>de</strong>r Mut statt Angst<br />

macht und <strong>de</strong>r das Potenzial aller BürgerInnen <strong>zu</strong> schätzen und <strong>zu</strong> nutzen weiß.<br />

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Z-01 <strong>Aufbruch</strong> <strong>zu</strong> <strong>neuer</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>!<br />

Die Grüne Grundsicherung ist die Antwort auf die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Gesellschaft, die wir<br />

heute für morgen in Angriff nehmen können und müssen. Sie ist unser Konzept gegen die<br />

aktuelle Aufspaltung in Gewinner und Verlierer und für mehr <strong>Gerechtigkeit</strong> und<br />

Selbstbestimmung. Wir wollen die Menschen nicht nur materiell versorgt wissen, son<strong>de</strong>rn<br />

ihnen gleichzeitig Chancen bieten, ihre Fähigkeiten <strong>zu</strong> entfalten und auf ihre Weise an <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft teil<strong>zu</strong>haben und sie voran<strong>zu</strong>bringen.<br />

Die Grüne Grundsicherung heute an<strong>zu</strong>packen, heißt nicht, die Diskussion über die Zukunft<br />

<strong>de</strong>s Sozialen damit ein<strong>zu</strong>stellen. Mit diesem Beschluss ist auch die Diskussion über das<br />

Grun<strong>de</strong>inkommen nicht been<strong>de</strong>t – <strong>zu</strong>mal sie ja in <strong>de</strong>r Gesellschaft weitergeht. Die<br />

Diskussion soll weitergehen. Zum Beispiel über die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich<br />

eine negative Einkommenssteuer, die in einigen Grun<strong>de</strong>inkommensmo<strong>de</strong>llen<br />

vorgeschlagen wird, auch mit <strong>de</strong>m Grünen Grundsicherungskonzept verbin<strong>de</strong>n lässt. Wir<br />

wollen weiter diskutieren über die Ausgestaltung <strong>de</strong>r Bildungsfinanzierung sowie über die<br />

Existenzsicherung im Alter angesichts <strong>de</strong>r Gefahr sich ausbreiten<strong>de</strong>r Altersarmut. So<br />

kommen wir Schritt für Schritt <strong>zu</strong> einem konzeptionell starken und die Menschen<br />

überzeugen<strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>stagswahlprogramm für 2009.<br />

Dieser Antrag wird außer<strong>de</strong>m unterstützt von:<br />

Daniela Schneckenburger, Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Jürgen Suhr, Antje Hermenau,<br />

Theresa Schopper, Sepp Daxenberger, Tarek Al-Wazir, Julia Seeliger, Fritz Kuhn, Renate<br />

Künast, Volker Beck, Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt, Marlis Bre<strong>de</strong>horst, Sibyll Klotz ,<br />

Stephan Schilling, Felix Tintelnot, Peter Siller, Britta Hasselmann, Silke Krebs, Bärbel<br />

Höhn<br />

Thea Dückert, Karoline Linnert, Arndt Klocke (ergänzt am 08.11.2007)<br />

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