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Man Ray und L. Fritz Gruber<br />

Marinus und Heartfield<br />

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editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser, Dear Reader,<br />

den Titel des neuen Kölner MuseumsBulletins schmückt<br />

eine Aufnahme zur Ausstellung „teX – Textiles von morgen“<br />

im Museum für Angewandte Kunst. In dieser eigens<br />

für das Haus konzipierten Schau experimentieren Barbara<br />

Esser und Wolfgang Horn mit der textilen Kunst.<br />

Entstanden sind künstlerische Entwürfe und Kompositionen,<br />

die als gewebte Bilder, Raumteiler und Objekte mit<br />

unserer Wahrnehmung spielen.<br />

In seinen für das Bulletin entstandenen Aufnahmen ist es<br />

dem Photographen Andreas Pohlmann (reinformat) gelungen,<br />

die Sinnlichkeit der dreidimensionalen Objekte<br />

einzufangen. Wir danken ihm an dieser Stelle ganz herzlich<br />

für die Chance, diese Bilder für das Heft kostenfrei zu<br />

verwenden.<br />

Mit den Themen des Titelblattes möchten wir Akzente<br />

setzen. Auf dem Cover soll zukünftig eine Projektionsfläche<br />

für die Photoszene in Köln entstehen. Thema dabei<br />

sind immer die Museen und ihre Sammlungen. Nicht in<br />

einer nüchternen Wiedergabe des Objekts, sondern als<br />

Stimmungsbild, als Szene, als Situationsanalyse. Damit<br />

trifft sich die Gestaltung des Covers mit Aufgabe und<br />

Zielsetzung des Bulletins.<br />

Zu Gast im aktuellen Heft ist diesmal die Photographische<br />

Sammlung der SK Stiftung – auf Umwegen wird die Photographie<br />

fast so etwas wie ein hintergründiges Leitmotiv des<br />

Heftes, passend zur „Internationalen Photoszene Köln“ im<br />

September. Daneben kommen fast alle Häuser zu Wort, zumeist<br />

mit aktuellen Meldungen zu Ausstellungen oder Forschungen<br />

zu einzelnen Objekten. Daneben finden sich überraschende<br />

Erkenntnisse, wie zu römischen Spardosen oder<br />

gotischen Bodenfliesen, ein Interview mit einem Sammlerpaar<br />

und eine Studie zu antiken Schicksalsgöttinnen.<br />

Viel Vergnügen beim Lesen wünscht Ihnen<br />

Matthias Hamann<br />

on the title page of the new Kölner MuseumsBulletin is<br />

a photograph of the „teX – Textiles von morgen“ (teX<br />

– Textiles of Tomorrow) exhibition at the Museum für<br />

Angewandte Kunst / Museum of Applied Arts. In this<br />

show, conceived specifically for the Museum, Barbara<br />

Esser and Wolfgang Horn experiment with textile art. The<br />

outcome is a set of artistic designs and experimental compositions<br />

that, as woven pictures, partition-screens and<br />

objects, play games with our perception.<br />

In his photographs for the Bulletin, photographer Andreas<br />

Pohlmann of reinfomat has succeeded in capturing the<br />

lusciousness of the three-dimensional objects. We take<br />

this opportunity to thank him very sincerely for the kindness<br />

of letting us use these pictures free of charge for the<br />

journal.<br />

As for the title page, there is design behind the design.<br />

The motifs are the first in what is to be a site reflecting<br />

the photography scene in Cologne – always as manifested<br />

through the subject of our museums and their collections.<br />

This is not to imply a sober reproduction of the object, but<br />

as a rendering of atmosphere, a scene, the analysis of a<br />

situation. That is where the cover design and the brief and<br />

aims of the Bulletin meet.<br />

The guest in the current issue is the SK Foundation’s<br />

Photograph Collection. Indirectly, then, photography<br />

constitutes almost a kind of background leitmotif for this<br />

journal. In the process, almost all the museums have a<br />

say, in most cases with news on exhibitions or on research<br />

into individual items. Then there are surprising findings<br />

such as those concerning Roman moneyboxes or Gothic<br />

floor tiles, an interview with a collector couple and a study<br />

of the Fates of Classical antiquity.<br />

Wishing you pleasurable reading<br />

Matthias Hamann<br />

Dr. Matthias Hamann<br />

Direktor Museumsdienst<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

editorial<br />

1


Ansicht der Ausstellung „teX. Textiles von morgen“<br />

im Museum für Angewandte Kunst, Köln, mit Werken<br />

von Barbara Esser und Woflgang Horn.


Kölner Museums Bulletin<br />

Berichte, Forschungen und Aktuelles aus den Museen der stadt Köln<br />

s eite 4<br />

Ausstellungen August bis Dezember 2008<br />

s eite 6<br />

Peter doig erhält den<br />

Wolfgang-hahn-Preis KÖln 2008<br />

Carla Cugini<br />

PAGe 09 Peter Doig awarded the Wolfgang-Hahn-Preis<br />

Köln 2008<br />

s eite 10<br />

Wem gehören die Bilder?<br />

Andreas Blühm<br />

PAGe 13 Who owns the Pictures?<br />

s eite 14<br />

rembrandt, ein Jugendtraum<br />

ein interview mit dem Sammlerehepaar Kremer<br />

Stefan Swertz<br />

s eite 20<br />

Man ray und l. Fritz Gruber<br />

Claudia Schubert<br />

PAGe 25 Man ray and l. Fritz Gruber –<br />

Years in Friendship, 1956 to 1976<br />

s eite 26<br />

Visuelle anarchien<br />

Bodo von Dewitz<br />

PAGe 31 Visual Anarchies<br />

s eite 32<br />

ein römisches hafentor auf dem<br />

Kurt-hackenberg-Platz<br />

Marcus Trier<br />

PAGe 37 A roman Port Gate at Kurt-Hackenberg-Platz<br />

s eite 38<br />

Kunst im doppelpack<br />

Andreas Baumerich<br />

PAGe 41 Preview: Art in a Double-Pack –<br />

Museum für Angewandte Kunst presents<br />

new Design Department<br />

s eite 42<br />

der Blick des Publikums<br />

Sebastian Potschka<br />

s eite 44<br />

anton legner zu ehren<br />

Hiltrud Westermann-Angerhausen<br />

s eite 48<br />

auf dem Boden bleiben…<br />

Horst Mauke<br />

PAGe 53 Feet firmly on the Ground...<br />

s eite 54<br />

römische Spardosen aus Köln<br />

Constanze Höpken<br />

PAGe 59 roman Moneyboxes from Cologne<br />

s eite 60<br />

„Spin(n)et noch lange den Faden des lebens“<br />

Parzen, Gesundheit und die Bitte um ein langes<br />

leben<br />

Thomas Blisniewski<br />

PAGe 68 the Fates, Good Health and the Plea for a long<br />

life – (May you) ‚spin yet long the thread of life’<br />

s eite 72<br />

angelika Kauffmann: Bildnis thomas reade<br />

Thesy Teplitzky<br />

PAGe 79 Angelika Kauffmann: Portrait of thomas reade<br />

s eite 80<br />

impressum<br />

0 2 8<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

inhalt<br />

3


Museen der stadt Köln<br />

Ausstellungen August – Dezember 2008<br />

Wallraf-richartz-Museum & Foundation Corboud<br />

bis 5. Okt. 2008 Rembrandt, ein Jugendtraum – Die Sammlung Kremer<br />

31. Okt. 2008 bis 8. Febr. 2009 Künstlerpaare – Liebe, Kunst und Leidenschaft<br />

Museum Ludwig<br />

bis 31. Aug. 2008 Matti Braun. Özurfa<br />

bis 21. Sept. 2008 Tobias Rehberger – Die „Das-kein-Henne-Ei-Problem“-Wandmalerei<br />

bis 19. Okt. 2008 Hitler blind und Stalin lahm –<br />

Marinus und Heartfield – Politische Fotomontagen der 1930er Jahre<br />

bis 9. Nov. 2008 David Shrigley – Monotypien<br />

18. Okt. bis 1. Febr. 2009 Gerhard Richter. Abstrakte Bilder<br />

24. Okt. 2008 bis 25. Jan. 2009 RUHE 1. Hörspiel im Raum von Paul Plamper<br />

24. Okt. 2008 bis 25. Jan. 2009 Thomas Bayrle<br />

8. Nov. 2008 bis 1. März 2009 Looking for mushrooms – Beat Poets, Hippies, Funk und Minimal Art:<br />

Kunst und Counterculture in San Francisco um 1968<br />

8. Nov. 2008 bis 1. März 2009 Jonas Mekas<br />

Römisch-Germanisches Museum<br />

bis 26.Okt. 2008 Echnaton und Amarna. Wohnen im Diesseits<br />

verlängert bis Juni 2009 Auge in Auge. Kaiserbilder aus einer norddeutschen Privatsammlung<br />

Museum für Angewandte Kunst<br />

bis 24. Aug. 2008 Schmuckpole – Wilhelm Nagel und Karl Fritsch<br />

bis 24. Aug. 2008 „teX – Textiles von morgen“. Barbara Esser – Wolfgang Horn<br />

19. Sept. bis 9. Nov. 2008 „...in Toplage. Architekturfantasien im zeitgenössischen Schmuck“<br />

22. Okt. 2008 bis 1. Febr. 2009 Nico – Köln, Berlin, Paris, New York. Stationen einer Popikone<br />

ab 1. Nov. 2008 Kunst und Design im Dialog –<br />

die neue Design- Abteilung mit der Sammlung Winkler<br />

Archäologische Zone / Praetorium<br />

verlängert bis 14. Sept. 2008 Statthalterluxus<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

4<br />

a u SStellunG SStellunGSKalender<br />

en und aKtuelleS


Museum für Ostasiatische Kunst<br />

bis 30. Nov. 2008 Kunst des esoterischen Buddhismus<br />

bis 30. Nov. 2008 Hiroshige. Ansichten von Edo und mehr<br />

18. Okt. bis 26. April 2009 Feuer und Erde. Chinesische Keramik<br />

Kölnisches Stadtmuseum<br />

bis 14. Sept. 2008 Robert Blum (1807-1848). Visionär, Demokrat, Revolutionär<br />

27. Sept. bis 9. Nov. 2008 Wolf Vostell in Köln<br />

22. Nov. 2008 bis 21. Febr. 2009 Colonia Kolonial<br />

5. Dez. 2008 bis 1. März 2009 Die vergessenen Europäer: Kunst der Roma – Roma in der Kunst<br />

NS-Dokumentationszentrum<br />

bis 31. Aug. 2008 „Willkommen, Bienvenue, Welcome…“.<br />

Politische Revue – Kabarett – Varieté in Köln 1928 bis 1938<br />

5. Sept. bis 26. Okt. 2008 Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Slowenien<br />

und der Kampf um Entschädigung<br />

11. Nov. 2008 bis 18. Jan. 2009 Ausstellung Lodz / Jüdisches Schicksal in Köln<br />

artothek<br />

bis 26. Aug. 2008 Kalin Lindena. Stunde mehr als Hälfte. Art Cologne-Preis für junge Kunst<br />

4. Sept. bis 28. Okt. Koji Sekimoto<br />

6. Nov. bis 23. Dez. 2008 Ralph Merschman<br />

Kölnischer Kunstverein<br />

bis 28. Sept. 2008 Michael Krebber<br />

23. Aug. bis 28. Sept. 2008 Olivier Foulon, Soliloque du balai/ Soliliquy of the broom.<br />

In Kooperation mit der Marcel-Proust Gesellschaft e.V.<br />

23. Aug. bis 28. Sept. 2008 Many challenges lie ahead in the near future - mit Milos Tomic,<br />

Bojan Sarcevic, Vladimir Nikolic und Lulzim Zeqiri<br />

15. Nov. bis 21. Dez. 2008 Seth Price. Einzelausstellung<br />

nähere informationen und aktuelle Öffnungszeiten im internet: www.museenkoeln.de<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG a u SStellunGSKalender<br />

en und aKtuelleS<br />

5


Peter Doig erhält den<br />

Wolfgang-Hahn-Preis Köln 2008<br />

von Carla Cugini<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

6 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 1: Verleihung Wolfgang-Hahn-Preis KÖLN 2008<br />

im Museum Ludwig Köln.<br />

neuerwerbung für das Museum ludwig<br />

Peter Doigs Œuvre besticht durch eine einzigartige<br />

malerische Komposition von Stimmungen und Motiven.<br />

In seinen jüngeren Arbeiten ist die Hinwendung zur Verdichtung<br />

der Form, die Fokussierung einzelner Motive, ja<br />

fast schon das Oszillieren zwischen Figuration und Abstraktion<br />

die bemerkenswerte Weiterentwicklung des<br />

1959 auf Trinidad geborenen britischen Künstlers, der<br />

bereits ein substanzielles Gesamtwerk geschaffen hat.<br />

Die Gesellschaft für Moderne Kunst zeichnete den zeitgenössischen<br />

Maler mit dem Wolfgang-Hahn-Preis KÖLN<br />

2008 aus, der mit 100.000 Euro dotiert ist (Abb. 1). Zudem<br />

wurde das Gemälde ,Man dressed as Bat (Embah)‘ für die<br />

Sammlung des Museum Ludwig erworben (Abb. 2).<br />

Betrachtet man Peter Doigs großformatiges Werk ,Man<br />

dressed as Bat (Embah)‘, ist man fasziniert von der Vielschichtigkeit<br />

und der vibrierenden Feinfühligkeit des<br />

Gemäldes (Abb. 2). Der Bildvordergrund zeigt eine schemenhafte<br />

Figur im Fledermauskostüm vor einem türkisgrün<br />

flackerndem Hintergrund, der wie mit einem milchweissen<br />

Schleier überdeckt wirkt. Doig konzentriert sich<br />

dabei in seiner Bildorganisation auf das einzelne Motiv<br />

der Fledermaus. Sie steht im Zentrum des Bildes, während<br />

die Umgebung diffus und unfassbar belassen ist.<br />

Doigs feinfühliger künstlerischer Umgang mit der Farbe<br />

zeigt sich einerseits an diesem fast gespenstisch lebendigen<br />

Hintergrund, der im Auge des Betrachters zu<br />

vibrieren scheint. Andererseits kreiert Doig mit Pastell-<br />

Farben und einem nahezu durchscheinenden Farbauftrag<br />

den Eindruck einer Nachtgestalt, die auch Trugbild<br />

sein, einen zum Narren halten könnte. Zwar ist das Motiv<br />

der Fledermaus noch erkennbar – doch könnte die Figur<br />

ebensogut nur der flüchtige Schatten ihrer selbst, oder


Abb. 2: Peter Doig vor ‚Man dressed as Bat (Embah)‘,<br />

2008, anlässlich der Wolfgang-Hahn-Preisverleihung<br />

am 14. April 2008.


gar eine abstrakte Form sein, die man schlaftrunken als<br />

Fledermaus interpretiert. Die einsame Figur ist weder<br />

gegenständlich noch abstrakt, schwankt zwischen Realität<br />

und Imagination, scheint Traumverlorenheit und<br />

Einsamkeit, Sehnsucht und Todesangst zugleich zu verkörpern.<br />

Die vermehrte Beschäftigung mit der Linie, einhergehend<br />

mit der Wahl von abgedämpften Farben, ist bezeichnend<br />

für Doigs jüngeres Werk. Anders als in seinen<br />

früheren Bildern, in denen oft einzelne Personen und<br />

detailreiche gemalte Landschaften dargestellt sind, ist<br />

in seinem jüngeren Schaffen eine Fokussierung einzelner<br />

Motive festzustellen, was Doigs malerisches Können,<br />

seinen Umgang mit Form und Farbe umso stärker in den<br />

Vordergrund treten lässt. Weiß man um Doigs Vorliebe<br />

für den Film, ist man versucht, bei dieser Fokussierung<br />

auf ein einzelnes Motiv von einem ‚close-up‘ zu sprechen,<br />

während man bei früheren Arbeiten eher einen Weitwinkel-Ausschnitt<br />

sieht. Dabei könnte Doigs Hinwendung<br />

zu einer reduzierten Bildsprache nicht zuletzt auch aus<br />

seiner Beschäftigung mit Filmplakaten resultieren. Diese<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

8 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 3: Peter Doig: ‚Taxi Driver‘, 2004,<br />

Öl auf Papier, 72,5 x 57,5 cm.<br />

Plakate begann er 2003 zu malen; das Museum Ludwig<br />

präsentierte sie in der Ausstellung Peter Doig. StudioFilm-<br />

Club (23. April bis 24. Juli 2005). Zur Ankündigung der<br />

Filmabende in seinem Atelier auf Trinidad entwirft Doig<br />

Plakate, die sich durch ihre Unmittelbarkeit und mit wenigen<br />

Pinselstrichen skizzierten Motive auszeichnen (Abb.<br />

3). Diese schafft Doig in Anlehnung an die auf Trinidad<br />

üblichen handgemalten, abstrakten Werbeplakate mit<br />

groß geschriebenem Text und bunten Farbflächen. Während<br />

die Filmplakate jedoch als einmaliges Instrument<br />

zur Ankündigung gedacht sind, arbeitet Doig an seinen<br />

Gemälden gerne über ausgedehnte Zeiträume hinweg.<br />

So ist ‚Man Dressed as Bat (Embah)‘ nach Angabe des<br />

Künstlers im Laufe von mehreren Jahren entstanden.<br />

Die Vielschichtigkeit von Doigs Malerei verdeutlicht sich<br />

sowohl an kunsthistorischen wie auch populären Bezügen.<br />

So findet man bei ihm – anders als bei den Young<br />

British Artists, zu deren Generation er gerne gezählt<br />

wird – Referenzen zu den Anfängen, respektive Vorläufern<br />

der Moderne. In ,Man Dressed as Bat (Embah)‘<br />

erinnert der Umgang mit der Linie an Honoré Daumier,


das Motiv des einsamen Individuums inmitten einer<br />

verlorenen Landschaft an Edvard Munch, die Farbwahl<br />

lässt an William Turner und die diffuse Lichtstimmung<br />

an impressionistische Bilder denken. Von dieser Fülle<br />

an möglichen kunsthistorischen Referenzen sollte man<br />

sich jedoch nicht verführen lassen. ,Man Dressed as Bat<br />

(Embah)‘ hat ebenso viel mit populärer Kultur zu tun. Jedoch<br />

nicht – wie man gerne annehmen würde – mit der<br />

Film-Figur ‚Batman‘ (diese Assoziation lehnte der Künstler<br />

im Gespräch explizit ab), sondern mit lokalen Bezügen<br />

zu seinem Wohn- und Arbeitsort. Inspiriert zu dem<br />

Gemälde wurde Doig von einem Geschenk seines Künstlerfreundes<br />

Embah (geb. 1938). Die kleine Fledermausskulptur,<br />

die in den karibischen Nächten ihre Schatten<br />

auf seine Atelierwände warf, weckte Doigs Faszination.<br />

Zudem hat die Kostümierung als Fledermaus eine lange<br />

Tradition im Trinidadschen Karneval: Das nachtliebende<br />

Tier tanzt im grellen Licht, ganz im Sinne der bunten<br />

Karnevalstage, die die herrschende Ordnung der Dinge<br />

auf den Kopf stellen. Damit zollt Doig nicht nur seinem<br />

Lebensmittelpunkt Port of Spain Tribut, sondern schlägt<br />

auch die Brücke zu Kölns ‚fünfter Jahreszeit‘. Peter Doig<br />

sagte selbst bei seinem Besuch anlässlich der Wolfgang-<br />

Hahn-Preisverleihung, sein Gemälde sei „auf eine gewisse<br />

Art und Weise ein Gemälde über Karneval, aber<br />

sehr subtil. Port of Spain – Köln!“<br />

Der Jury, die über die Verleihung des Wolfgang-Hahn-<br />

Preises 2008 zu entscheiden hatte, lagen rund 50 Vorschläge<br />

der Mitglieder der Gesellschaft für Moderne<br />

Kunst vor. „Doigs magischer Realismus bringt die Malerei<br />

in unerforschte Territorien – dies macht ihn zu<br />

einem der bedeutendsten Maler seiner Generation“,<br />

begründete Iwona Blazwick, Gastjurorin und Direktorin<br />

der Whitechapel Gallery, London, die Wahl. Zu den Anforderungen<br />

des Preises gehört, dass der Künstler sein<br />

Œuvre konsequent über Jahre entwickelt hat und in der<br />

Kunstwelt entsprechend anerkannt ist. Zudem ist ein<br />

museales Werk des Künstlers mit dem Etat von 100.000<br />

Euro für das Museum Ludwig zu erwerben.<br />

Mit dem Namen des Preises erinnert der Förderverein<br />

des Museum Ludwig an Wolfgang Hahn (1924-1987),<br />

Chefrestaurator des Wallraf-Richartz-Museum / Museum<br />

Ludwig, weitsichtiger Sammler und Gründungsmitglied<br />

des Fördervereins. In diesem Jahr ermöglichten<br />

Sonderspenden der Mitglieder sowie Groß-Spenden des<br />

Bankhaus Sal. Oppenheim, der Unternehmensgruppe M.<br />

DuMont Schauberg sowie des Unternehmens Rolex und<br />

eine Beteiligung der Stadt Köln die Erwerbung von ,Man<br />

dressed as Bat (Embah)‘ – Zeugnis des lebendigen Engagements<br />

für die zeitgenössische Kunst in Köln.<br />

Literatur:<br />

A. Koegel, K. König (Hrsg.): Peter Doig. StudioFilmClub,<br />

Ausst.-Kat. Museum Ludwig Köln (23. 4. bis 24. 7. 2005),<br />

mit Beiträgen von A. Koegel, N. Laughlin (Köln 2005).<br />

Autorin:<br />

Dr. Carla Cugini<br />

Geschäftsführung Gesellschaft für Moderne Kunst<br />

am Museum Ludwig<br />

Peter doig awarded the<br />

Wolfgang-hahn-Preis KÖln 2008<br />

An utterly persuasive aspect of Peter Doig’s work<br />

lies in the unique painterly composing of mood<br />

and motif. in his more recent work, the trend<br />

towards a concentration of form with its focus<br />

on individual motifs, one might almost say the<br />

oscillation between figuration and abstraction,<br />

constitutes the remarkable next phase of development<br />

in this British artist who was born in<br />

trinidad in 1959 and who already has a substantial<br />

oeuvre to look back on. the Gesellschaft für<br />

Moderne Kunst has awarded this contemporary<br />

painter the 2008 Wolfgang-Hahn Köln Prize,<br />

which comes with 100,000 euros. in addition,<br />

the painting „Man dressed as Bat (embah)“<br />

has been acquired for the Museum ludwig<br />

Collection.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

9


Wem gehören die Bilder?<br />

von Andreas Blühm<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

10 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

im Juni beschloss der rat der Stadt Köln die<br />

rückgabe eines Gemäldes von hendrick ter<br />

Brugghen. 1938 hatte das Wallraf-richartz-<br />

Museum dieses Bild auf einer auktion in<br />

Berlin erworben. in diesem artikel erläutert<br />

der direktor des Wallraf, dr. andreas<br />

Blühm, die Position des Museums in Fragen<br />

der restitution nS-verfolgungsbedingt entzogenen<br />

Kulturgutes.<br />

Seit einigen Jahren sorgen versuchte, gelungene<br />

und gescheiterte rückgaben von Kunst aus öffentlichen<br />

Sammlungen für Schlagzeilen.<br />

Staaten fordern von anderen Staaten Kunstwerke zurück,<br />

die ihnen vor Jahrzehnten und Jahrhunderten geraubt<br />

worden sein sollen. Das berühmteste Beispiel sind<br />

die sogenannten Elgin Marbles des British Museum in London.<br />

Die Reliefs vom Parthenon in Athen waren von Lord<br />

Elgin käuflich erworben worden, aber aus Sicht der Griechen<br />

in betrügerischer Absicht, zumal das Land damals<br />

unter osmanischer Herrschaft stand. In Athen steht nun<br />

ein nagelneues Museum, das diese fabelhaften Skulpturen<br />

beherbergen soll. In London hingegen will man auf<br />

diese Forderung nicht eingehen, zumindest jetzt noch<br />

nicht.<br />

Der Transport des Parthenonfrieses von Athen nach<br />

England geschah vor 200 Jahren. Es handelt sich auch<br />

im strengen Sinne nicht um Raubkunst, da Lord Elgin ja<br />

einen Preis bezahlt hat. In Deutschland erhitzen sich die<br />

Gemüter um Kunstwerke, die vor ca. 70 Jahren geraubt<br />

wurden. Unter dem Regime der Nazis wurden viele Deutsche<br />

entrechtet, aus dem Land getrieben, eingesperrt<br />

und ermordet. Wer rechtzeitig ins Exil flüchten konnte,<br />

hatte Glück. Das betraf natürlich vor allem die Deutschen<br />

jüdischen Glaubens. Man hatte sie zuvor aus ihren<br />

Berufen gedrängt, ihre Geschäfte ‚arisiert‘; eine Perspektive<br />

hatten sie in ihrem Heimatland nicht mehr. Wer sich<br />

noch von seinem Privateigentum trennen konnte, tat<br />

das. Darunter gehörten auch Kunstwerke und ganze<br />

Sammlungen.


Abb.1: Hendrick ter Brugghen: Dudelsackspieler,<br />

1624, Öl auf Leinwand, 101 x 83 cm, Privatbesitz.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

11


Man kann sich kaum vorstellen, was das für den Kunstmarkt<br />

bedeutete. Er wurde in den späten 1930er Jahren<br />

geradezu überschwemmt, und nicht zuletzt die Museen<br />

machten sich diese Lage zunutze. Die Direktoren, die dagegen<br />

moralische Bedenken hätten äußern können, waren<br />

im Zweifelsfalle längst ihres Amtes enthoben und durch<br />

Mitglieder der NSDAP oder Sympathisanten ersetzt worden.<br />

Auch das Wallraf-Richartz-Museum in Köln profitierte<br />

von dieser Situation. In der Sammlung befanden und befinden<br />

sich immer noch Gemälde, die zwischen 1935 und<br />

1945 hinzukamen. Katja Terlau hat in einem zweijährigen<br />

Forschungsprojekt die Herkunftsgeschichte vieler dieser<br />

Bilder erforscht, aber längst nicht alle Wissenslücken<br />

konnten geschlossen werden. Deshalb kann es immer<br />

wieder passieren, dass ein ehemaliger Eigentümer identifiziert<br />

wird, dem eines dieser Bilder gehörte, und der sich<br />

davon unter Druck trennen musste. Angesichts der vielen<br />

Jahrzehnte, die zurückliegen, kommen oft erst die Erben<br />

in die Gelegenheit, einen Besitzanspruch zu erheben.<br />

Im jüngsten Fall des Museums, der Restitution von<br />

Hendrick ter Brugghens ,Dudelsackspieler‘ von 1624<br />

(Abb. 1), war die Angelegenheit eindeutig. Das Museum<br />

wusste um die Herkunft des Bildes, dessen Gegenstück<br />

aktuell in der Sonderausstellung Rembrandt, ein Jugendtraum<br />

zu sehen ist (Abb. 2), aus einer Auktion in Berlin<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

12 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 2: Hendrick ter Brugghen:<br />

Singender Lautespieler, 1624,<br />

Öl auf Leinwand, 100,3 x 83,5 cm,<br />

Sammlung Kremer.<br />

im Jahre 1938. Allein das dort gegebene Kürzel „VK“ konnte<br />

nicht identifiziert werden. Erst vor wenigen Monaten<br />

löste sich das Rätsel. Es handelte sich nicht um Initialen,<br />

sondern das Kürzel für „von Klemperer“. Es war dann auch<br />

ein bewegender Moment, als der inzwischen 90jährige<br />

Sohn der Familie, der das Bild noch im Berliner Elternhaus<br />

gesehen hatte, in meinem Büro erstmals wieder vor diesem<br />

Erbstück stand.<br />

Die Behandlung eines solchen Anspruchs erfordert große<br />

Gewissenhaftigkeit und Fingerspitzengefühl. Die Bundesregierung<br />

hat dazu eine Handreichung veröffentlicht,<br />

die kürzlich mit kleinen Änderungen erneuert wurde<br />

(http://www.lostart.de/handreichung/handreichung.php3).<br />

Eine Handreichung ist – wie der Name schon sagt – kein<br />

Gesetz oder gar eine Handlungsanweisung. Juristische<br />

Verjährung, die Kulturhoheit der Länder und die unterschiedliche<br />

Trägerschaft der öffentlichen Sammlungen<br />

machen eine strengere Formulierung unmöglich. Daher<br />

ist jeder Fall als Einzelfall zu betrachten, was auch angemessen<br />

ist, da jeder Fall nun einmal anders ist. Das Problem<br />

ist sehr komplex und sollte auch nicht vereinfacht<br />

dargestellt werden. Gleichwohl gibt es ein paar Leitlinien,<br />

die wenigstens das Vorgehen des Wallraf-Richartz-<br />

Museums bestimmen sollen: Das Museum empfiehlt die<br />

Rückgabe, wenn Bild, Eigentümer und die relevanten


Umstände eindeutig geklärt sind, und zwar nur dann.<br />

Es empfiehlt die Rückgabe auch, wenn es zwischen 1935<br />

und 1945 verkauft, also dafür ein Preis erzielt wurde. Dieser<br />

dürfte nämlich nicht dem Wert des Kunstwerkes auf<br />

einem freien Markt entsprochen haben. Im Falle des Ter<br />

Brugghen musste die Familie den Erlös gleich als ‚Reichsfluchtsteuer‘<br />

wieder abgeben. Das Museum empfiehlt<br />

die Rückgabe selbst dann, wenn das Bild erst nach 1945<br />

in gutem Glauben in die Sammlung gelangte – es hat<br />

dann nämlich seine Hausaufgaben einer gewissenhaften<br />

Provenienzforschung nicht gemacht. Aber auch bei guter<br />

Datenlage kann es einem Museum passieren, dass es alles<br />

richtig gemacht hat und das betreffende Kunstwerk dennoch<br />

als Raubkunst identifiziert wurde. Das bräuchte eine<br />

Privatperson nicht zu interessieren, aber als öffentliche<br />

Institutionen sollten die Museen sich nicht mit Werken<br />

bereichern, die ihnen nicht gehören dürften.<br />

Wann ist es denn endlich damit vorbei, wird oft gefragt.<br />

Es ist schmerzhaft, aber einen Schlussstrich kann es nicht<br />

geben, zumindest nicht, solange die Provenienz des letzten<br />

Kunstwerks nicht lückenlos erschlossen wurde.<br />

Der Kunsthandel kann und soll weder im Guten noch im<br />

Schlechten eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen<br />

eine Rückgabe spielen. Es handelt sich um Vereinbarungen<br />

zwischen dem jeweiligen Museum bzw. seinem<br />

Träger und den ehemaligen Eigentümern bzw. Erben.<br />

Ob das Werk danach in den Kunsthandel geht oder im<br />

Familienbesitz bleibt, ist bei erfolgter Restitution einzig<br />

und allein eine Angelegenheit der Eigentümer. Sie haben<br />

sich nur ihr gutes Recht wieder erworben. Natürlich ist zu<br />

hoffen, dass ein Kunstwerk im öffentlichen Raum bleibt,<br />

vielleicht sogar in dem Museum, in dem es die letzten<br />

Jahrzehnte hing.<br />

Das Museum ist Treuhänder der Bilder, nicht Eigentümer.<br />

Es ist dem Rat der Stadt verpflichtet, für sein Eigentum zu<br />

sorgen und ihn darauf aufmerksam zu machen, wenn das<br />

Eigentum auf unrechtmäßige Weise erworben wurde.<br />

Die Leidenschaft des Besitzes, die einen Privatsammler<br />

vollkommen beherrschen kann und darf, sollte in einem<br />

öffentlichen Institut abgewogen werden mit der historischen<br />

Bewertung der Eigentümergeschichte. Ein Museum<br />

und sein Träger sollten sich nicht, auch nicht nach 70<br />

Jahren, mit Werken zieren, an denen – nicht nur im übertragenen<br />

Sinne – Blut klebt.<br />

Autor:<br />

Dr. Andreas Blühm<br />

Direktor des Wallraf-Richartz-Museums<br />

& Fondation Corboud Köln<br />

Who owns the Pictures?<br />

this June, the Council of the City of Cologne<br />

voted to return to the rightful owners a painting<br />

by Hendrick ter Brugghen. the Wallraf-richartz-<br />

Museum had acquired the painting at auction<br />

in Berlin in 1938. in this article, the Wallraf’s<br />

Director, Dr. Andreas Blühm, elucidates the<br />

Museum’s standpoint on the restitution of cultural<br />

assets that were taken in the course of nazi<br />

persecution.<br />

the Wallraf-richartz-Museum & Fondation<br />

Corboud stands behind the recommendations<br />

of the Washington Agreement and those of<br />

the Federal German Government in matters<br />

of restitution. the case of the ter Brugghen<br />

painting is unequivocal to an extent not often<br />

encountered; but each instance is different<br />

and is scrupulously examined before the<br />

recommendation to return the work is issued.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

13


embrandt, ein Jugendtraum<br />

Ein Interview mit dem Sammlerehepaar Kremer<br />

von Stefan Swertz<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

14 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

einen echten rembrandt sein eigen nennen<br />

zu können, davon träumen viele, denn<br />

der holländische Maler ist ein weltweit bekannter<br />

Mythos. Sein landsmann George<br />

Kremer ist einer der wenigen, der sich diesen<br />

traum, seinen persönlichen ‚Jugendtraum‘<br />

, erfüllen konnte. rembrandts ‚alter<br />

Mann mit turban‘ ist ein highlight seiner<br />

hochkarätigen Sammlung von 48 Meisterwerken<br />

aus dem ‚Goldenen Zeitalter‘ der<br />

niederlande. Sie vereint weitere Meister<br />

wie Gerrit dou, Frans hals, Pieter de hooch,<br />

abraham Bloemaerts, Gerrit van honthorst<br />

oder Michael Sweerts. Mit „rembrandt, ein<br />

Jugendtraum“ ist die gesamte Sammlung<br />

Kremer zum ersten Mal im rahmen einer<br />

Sonderausstellung zu sehen.<br />

anlässlich der Sonderausstellung „rembrandt,<br />

ein Jugendtraum - die Sammlung Kremer“ im<br />

Wallraf-richartz-Museum & Fondation Corboud<br />

(laufzeit bis 5. oktober 2008) sprach Stefan<br />

Swertz, Pressesprecher des Wallraf, mit George<br />

und ilone Kremer über ihre Sammlertätigkeit.<br />

STEFAN SWERTZ: Einer der ausschlaggebenden Momente<br />

in Ihrem Leben war, als Sie, George, als 10jähriger Junge<br />

im Amsterdamer Rijksmuseum vor einem Gemälde von<br />

Rembrandt standen?<br />

GEORGE KREMER: Ja, das stimmt. Das war ‚Die jüdische<br />

Braut‘.<br />

STEFAN SWERTZ: Was war das für ein Moment?<br />

GEORGE KREMER: Nun, das Verrückte ist: Ich habe diese<br />

Situation immer noch vor mir. Ich stand vor diesem großen<br />

Gemälde. Und ich fand es großartig, überwältigend.<br />

Dieses Bild hat sich auf meiner Netzhaut eingebrannt.<br />

STEFAN SWERTZ: Dieser eine Blick auf ‚Die jüdische Braut‘<br />

sollte 30 Jahre später den Impuls zum Aufbau Ihrer<br />

Sammlung bedeuten. Bezahlt mit dem Geld, das Sie im<br />

Ölgeschäft verdienten. Warum gilt Ihre Vorliebe den<br />

Alten Meistern?<br />

GEORGE KREMER: Ich habe mich für die Alten Meister<br />

entschieden, weil diese sowohl mich als auch meine Frau<br />

Ilone am meisten fesseln. Sie sind unsere erste Liebe.


Abb. 1: Rembrandt Harmensz. van Rjin:<br />

Alter Mann mit Turban, 1627/28,<br />

Öl auf Holz, 26,5 x 20 cm, Sammlung Kremer.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

15


Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

16 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 2: Gerrit van Honthorst: Alte Frau prüft eine Münze<br />

vor einer Laterne (das Sehen oder die Habsucht), 1623,<br />

Öl auf Leinwand, 75 x 60 cm, Sammlung Kremer.


STEFAN SWERTZ: Der im Januar 2007 verstorbene Kunsthändler<br />

Robert Noortman spielt eine große Rolle beim Zustandekommen<br />

der Sammlung Kremer. Er war nicht nur Geschäftspartner,<br />

sondern auch ein guter Freund?<br />

GEORGE KREMER: Ja, er hat uns den Weg zur Kunst gezeigt.<br />

Robert war als Autodidakt zu einem der wichtigsten<br />

Kunsthändler Europas geworden, und er fand es toll, wie<br />

begeistert wir als Laien waren. Deshalb hat er uns auch<br />

immer wieder Bilder, die er neu im Angebot hatte, zuerst<br />

gezeigt. Er war natürlich in erster Linie ein Geschäftsmann,<br />

aber in zweiter auch ein guter Freund für uns.<br />

STEFAN SWERTZ: Ist es nicht schade, dass die prachtvollen<br />

Gemälde Ihrer Sammlung nicht bei Ihnen zu Hause hängen?<br />

Oder genießen Sie mehr das Wissen, dass die Bilder<br />

in verschiedenen Museen sehr gut und vor allem sicher<br />

aufbewahrt werden?<br />

ILONE KREMER: Nein. Es ist nicht der Sicherheit wegen.<br />

Natürlich ist es schade, dass man nicht mit ihnen zusammenlebt.<br />

Aber man kann sie nicht für sich alleine zu Hause<br />

haben. Wir genießen es, durch ein Museum zu laufen,<br />

in dem Bilder von uns hängen. Manchmal schließen wir<br />

uns einem Museumsführer an, und der erzählt dann etwas<br />

über unser Gemälde. Sie erzählen manchmal auch<br />

persönliche Dinge dazu, dass sie es für ein schönes Gemälde<br />

halten oder ein schmuckes Bild. Wir stehen dann<br />

dahinter, ohne dass wir jemandem verraten können: Das<br />

ist unseres.<br />

STEFAN SWERTZ: Aber Sie finden es schön, dass nun so viele<br />

Menschen Ihre Bilder genießen können?<br />

ILONE KREMER: Ja, auf jeden Fall.<br />

STEFAN SWERTZ: Es dient darüber hinaus keinem anderen<br />

Zweck. Denn Sie wollen es nicht verkaufen. Ich nehme an,<br />

Sie wollen die Sammlung komplett lassen?<br />

GEORGE KREMER: Wir wollen die Sammlung ganz sicher komplett<br />

lassen. Wir haben mit den Kindern darüber gesprochen.<br />

Die verstehen das auch. Sie bekommen dafür eine<br />

Art Lebenswerk. Und das ist eine ziemlich einzigartige<br />

Sammlung. Die Vorstellung, dass jedes Jahr 250.000 Menschen<br />

in das Den Haager Mauritshuis kommen und da<br />

unsere Gemälde inmitten all der anderen Meisterwerke<br />

hängen sehen, gibt einem einen Kick.<br />

STEFAN SWERTZ: Das klingt komisch. Inwiefern gibt Ihnen<br />

das einen Kick?<br />

GEORGE KREMER: Es ist letztlich die Malerei. Das muss man<br />

mit anderen Menschen teilen. Das klingt sehr idealistisch.<br />

Aber nur so funktioniert es. Wir sind immer noch unwahrscheinlich<br />

aufgeregt, kann ich Ihnen versichern, wenn wir<br />

ein neues Meisterwerk entdecken.<br />

STEFAN SWERTZ: Ist Ilone da auch aufgeregt?<br />

ILONE KREMER: Ja, und ich bin auch tief enttäuscht, wenn<br />

Dinge nicht funktionieren. Sehr oft läuft es schief. Auf<br />

Auktionen gibt es so viel Konkurrenz. In dem Moment hat<br />

man einen bestimmten Preis im Kopf, und wenn es dann<br />

nicht gelingt, dann tut das auch mal weh.<br />

GEORGE KREMER: Aber es ist wohl so, dass es für uns eine<br />

enorme Bereicherung des Lebens bedeutet. Wir reisen um<br />

die ganze Welt mit der Sammlung. Wir gehen auf Eröffnungen,<br />

wir gehen in Museen. Wir kennen viele Menschen<br />

in der Museumswelt. Wir widmen 50, 60 Prozent unserer<br />

Zeit der Sammlung und der Kunst. Und das ist fantastisch.<br />

STEFAN SWERTZ: Sie haben das Ölgeschäft seit dieser Zeit<br />

hinter sich gelassen. Ist es eine abgeschlossene Periode?<br />

GEORGE KREMER: Das waren Geschäfte, ja.<br />

STEFAN SWERTZ: Und jetzt sammeln Sie Kunst?<br />

GEORGE KREMER: Das ist ein Gefühl. Nicht zu vergleichen mit<br />

der Arbeit, die uns die finanzielle Basis für unsere Sammelleidenschaft<br />

beschert hat.<br />

STEFAN SWERTZ: Wann haben Sie sich entschlossen, Ihre<br />

Sammlung öffentlich zu machen?<br />

GEORGE KREMER: Nun, wir haben die Entscheidung eigentlich<br />

getroffen, als wir unseren Katalog veröffentlichten.<br />

Ich hatte immer den Wunsch, darüber einen Katalog zu<br />

machen, einen guten Katalog. Das war ein großes Projekt<br />

und hat vier, fünf Jahre gedauert.<br />

STEFAN SWERTZ: Nun wird Ihre gesamte Sammlung zum<br />

ersten Mal ausgestellt. Warum?<br />

GEORGE KREMER: Letztlich ist das derselbe Grund, weshalb<br />

wir mit Gemälden im Mauritshuis hängen oder in der<br />

Lakenhal in Leiden oder im Frans Hals Museum in Haarlem:<br />

um Menschen zu zeigen, wie schön Kunst sein kann.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

17


STEFAN SWERTZ: Und warum tun Sie das ausgerechnet im<br />

Wallraf-Richartz-Museum?<br />

GEORGE KREMER: Es ist ein Museum mit einem ausgezeichneten<br />

Ruf. Weltweit möchte ich behaupten. Hier meine Bilder<br />

hängen zu sehen, ist wunderbar. Sie fügen sich auch<br />

sehr gut in die Ständige Sammlung des Hauses ein. Als<br />

Andreas Blühm, den ich seit einigen Jahren kenne, mich<br />

fragte, ob wir uns vorstellen könnten, unsere Sammlung<br />

im Wallraf zu zeigen, habe ich keine Sekunde gezögert<br />

und Ilone auch nicht. Wir waren von dieser Idee sofort<br />

begeistert.<br />

STEFAN SWERTZ: Aber finden Sie es nicht komisch, dass die<br />

Ausstellung in Deutschland stattfindet? Wäre für Sie als<br />

niederländischer Sammler statt Köln nicht Amsterdam<br />

oder Den Haag die bessere Adresse gewesen?<br />

GEORGE KREMER: Nein, im Gegenteil. Für mich ist das fast ein<br />

wenig, wie nach Hause kommen. Schließlich hat mein Vater<br />

vor seiner Vertreibung durch die Nazis lange in Köln<br />

gewohnt und gearbeitet. Er war glücklich hier. Und deshalb<br />

ist es für mich auch ein schönes Gefühl, mit meiner<br />

Sammlung hierhin zurückzukommen. Da schließt sich ein<br />

Kreis.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

18 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 3: Gerard Dou: Selbstbildnis, ca. 1645, Öl auf Holz,<br />

12,4 x 8,3 cm, Sammlung Kremer.<br />

STEFAN SWERTZ: Sie haben in knapp 13 Jahren 45 Gemälde<br />

aus dem ‚Goldenen Jahrhundert‘ zusammengetragen.<br />

Ferner gehören drei Kupferplatten von Rembrandt zu Ihrer<br />

Sammlung. Haben Sie einen Favoriten?<br />

GEORGE KREMER: Die Frage wurde mir oft gestellt. Die Antwort<br />

ist: Nein. Ich habe viele, wirklich viele Favoriten in<br />

meiner Sammlung.<br />

STEFAN SWERTZ: Auch nicht Ihr Rembrandt ‚Alter Mann mit<br />

Turban‘?<br />

GEORGE KREMER: Er ist einer der Favoriten, aber nicht der<br />

einzige. Sicherlich ein tolles Bild. Es ist in einem guten Zustand,<br />

was für einen Rembrandt ziemlich ungewöhnlich<br />

ist. Zudem stammt es aus seiner frühen Periode in Leiden.<br />

Niemand weiß, wer der portraitierte Mann ist, seine Identität<br />

ist bis heute nicht geklärt.<br />

STEFAN SWERTZ: Gleiches galt auch lange für die Autorenschaft.<br />

Lange wurde das Gemälde allen möglichen Künstlern<br />

zugeschrieben, wie zum Beispiel Jan Lievens oder Jacques<br />

de Rousseaux.<br />

GEORGE KREMER: Das stimmt.


STEFAN SWERTZ: Bis der große Experte Ernst van de Wetering<br />

sagte: „Nein. Es ist ein echter Rembrandt.“ Woher wusste<br />

er das?<br />

GEORGE KREMER: Die Studie des Rembrandt Research Projects<br />

hat rund zweieinhalb Jahre gedauert. Das Gemälde<br />

wurde strengstens geprüft. Dabei wird versucht, etwas<br />

zu finden, was nicht stimmen kann. Man weiß dann, dass<br />

es kein Rembrandt ist.<br />

STEFAN SWERTZ: Ist Kunst inspirierender als Öl?<br />

GEORGE KREMER: Sicherlich inspirierender als Öl. Weil sie mit<br />

menschlichem Können zu tun hat. Öl ist eine Möglichkeit,<br />

Geld zu verdienen. Aber wenn man sieht, was die Niederlande<br />

in der damaligen Zeit nicht nur in der Malerei, sondern<br />

auch in der Silber- und Goldschmiedekunst und in<br />

der Möbelkunst geleistet haben, war das zu Recht ‚Das<br />

Goldene Jahrhundert‘.<br />

Abb. 4: Pieter de Hooch:<br />

Ein Mann liest einer Frau einen Brief vor, 1670-74,<br />

Öl auf Leinwand, 77 x 69,9 cm, Sammlung Kremer.<br />

STEFAN SWERTZ: Und nun werden Ihre Alten Meister aus jener<br />

Zeit in einem hippen Ausstellungsdesign zu sehen sein.<br />

Wie passt das zueinander?<br />

ILONE KREMER: Es ist gerade dieser Brückenschlag in die heutige<br />

Zeit, der uns an der Konzeption der Ausstellung so<br />

begeistert hat. Als wir die Pläne der Agentur concrete in<br />

Amsterdam das erste Mal gesehen haben, waren wir sofort<br />

überzeugt, dass es so funktioniert. Qualität und Qualität<br />

passen immer zueinander. Ganz gleich, aus welcher<br />

Epoche oder Gattung sie kommen.<br />

GEORGE KREMER: Rob Wagemans und sein Team haben eine<br />

private Atmosphäre geschaffen, ohne dabei zu heimelig<br />

zu werden. Toll finde ich an dem Entwurf zudem, wie clever<br />

sie immer wieder das ‚Goldene Jahrhundert‘ zitieren.<br />

STEFAN SWERTZ: Wie würden Sie abschließend Ihre Sammelleidenschaft<br />

beschreiben?<br />

GEORGE KREMER: Es ist eine Krankheit, die nicht heilt. Es ist<br />

eine Krankheit im positiven Sinne des Wortes. Ich denke,<br />

dass sie meine Frau und mich den Rest unseres Lebens<br />

begleiten wird.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

19


Man ray und l. Fritz Gruber<br />

von Claudia Schubert<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

20 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Zwischen dem bedeutenden Künstler Man<br />

ray und dem passionierten Photographiesammler,<br />

organisator und autor l. Fritz Gruber<br />

bestand 20 Jahre lang ein anhaltender<br />

Kontakt, der sich mit mehreren Projekten<br />

verband. darüber hinaus haben renate und l.<br />

Fritz Gruber in den 1960er Jahren begonnen,<br />

eine vielfältige Privatsammlung zum Werk<br />

Man rays zusammenzutragen, die die Grundlage<br />

dieser ausstellung bildet. das Konvolut<br />

beinhaltet neben Photographien auch Gemälde<br />

und objekte, die erstmals mit leihgaben<br />

aus mehreren Museen und weiteren<br />

Privatsammlungen präsentiert werden.<br />

Jahre einer Freundschaft 1956 bis 1976<br />

Zu den besonderen Schätzen der Sammlung von Renate<br />

und L. Fritz Gruber zählt Man Rays Aufnahme ‚Violon<br />

d’Ingres‘ aus dem Jahre 1924 (Abb. 1). Zu sehen ist ein<br />

sitzender weiblicher Rückenakt. Modell saß Kiki de Montparnasse,<br />

Man Rays damalige Geliebte, mit zwei auf ihrem<br />

Körper aufgebrachten schwarzen ‚f-Löchern‘, die in<br />

Verbindung mit der Silhouette des Rückens ein Violoncello<br />

oder eine Geige assoziieren. Viel ist um die Entstehung<br />

bzw. den Herstellungsprozess des faszinierenden Bildes<br />

gerätselt worden. Den entscheidenden Hinweis gab Man<br />

Ray (1890–1976) schließlich selbst in einem Brief vom<br />

23. Juni 1962, den er an den passionierten Kölner Photographiesammler,<br />

Organisator und Autor L. Fritz Gruber<br />

(1908–2005) richtete: „The f-holes were applied during<br />

enlargement, like in a Rayograph“ (Die ‚f-Löcher‘ wurden<br />

während der Vergrößerung eingefügt, wie bei einer Rayographie).<br />

Dieses Schreiben mit dem für die kunstwissenschaftliche<br />

Forschung wichtigen Detail sowie weitere rund 120 hand-<br />

oder maschinenschriftliche Briefe und Karten befinden<br />

sich in der privaten Man-Ray-Sammlung von Renate und L.<br />

Fritz Gruber. Die Photographische Sammlung/SK Stiftung<br />

Kultur, Köln, hat diesen Bestand nun aufgearbeitet und in


Abb. 1: Man Ray: Violon d’Ingres, 1924, Museum Ludwig Köln,<br />

Sammlung Gruber.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

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Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

22 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 2: Man Ray, Kiki, 1926, Museum Ludwig Köln,<br />

Sammlung Gruber.


der Ausstellung Man Ray und L. Fritz Gruber – Jahre einer<br />

Freundschaft 1956 bis 1976 im Mediapark präsentiert. Eine<br />

Entdeckung sind ebenso erstmalig präsentierte Konvolute<br />

aus der Privatsammlung Gruber, mit kleinformatigen<br />

Rayographien und Portraits. Wertvolle Leihgaben, darunter<br />

viele Spitzenmotive des Künstlers, bereichern die Ausstellung<br />

(aus dem Kölner Museum Ludwig, dem Museum<br />

Abteiberg Mönchengladbach, dem Museum Folkwang<br />

Essen, den Staatlichen Museen zu Berlin / Kunstbibliothek<br />

Berlin sowie von weiteren privaten Leihgebern).<br />

Das Konvolut der Privatsammlung beinhaltet neben Photographien,<br />

Malereien und Objekten des Künstlers auch<br />

zahlreiche Monographien, Ausstellungskataloge und Rezensionen<br />

aus der internationalen Presse. In diesem komplexen<br />

Bestand bildet sich das persönliche Engagement<br />

des Kölner Photoexperten L. Fritz Gruber für das Werk des<br />

Künstlers ebenso ab, wie er wichtige Informationen über<br />

Abb. 3: Man Ray: Solarisation, 1931, Museum Ludwig Köln,<br />

Sammlung Gruber.<br />

die letzten Schaffensjahre von Man Ray enthält. Mit der<br />

Ausstellung und der Publikation wird so auch ein weiteres<br />

Kapitel der Photographierezeption in Deutschland aufgeschlagen<br />

und neu beleuchtet. Darüber hinaus wird die<br />

wichtige kulturelle Bedeutung des Rheinlandes mit seiner<br />

überaus lebendigen und mannigfaltigen Kunstlandschaft<br />

an diesem Beispiel anschaulich gemacht.<br />

L. Fritz Gruber hatte schon früh die Qualität von Man Rays<br />

künstlerischem Werk erkannt. Wie er selbst in seinen<br />

Photographischen Erinnerungen 1988 formulierte, faszinierten<br />

ihn die Arbeiten des Surrealisten und Dadaisten<br />

Man Ray schon in den 1930er Jahren. „Mich begeisterte<br />

eine vielseitig kreative Persönlichkeit, deren Werke damals<br />

Aufsehen erregten: der Amerikaner in Paris Man Ray.<br />

[...] Es dauerte bis 1957, bis ich ihn und seine Frau Juliet<br />

kennen und lieben lernte. [...] Den Bildband »Man Ray<br />

Portraits«, den ich 1963 herausgab und einleitete, versah<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

23


er mit eigenwilligen Text- und Zahlenwertungen, immer<br />

noch Dadaist. Ein Magier, besonders der Photographie,<br />

und jeder Besuch bei ihm war wie eine Verjüngung.“ Über<br />

einen Zeitraum von 20 Jahren waren sich Man Ray und<br />

L. Fritz Gruber beruflich wie privat verbunden, gemeinsame<br />

Projekte wie die Einzelausstellung Man Rays 1960<br />

im Rahmen der photokina-Bilderschauen, dem 1963<br />

erschienenen Buch Man Ray. Portraits oder die Kulturpreisverleihung<br />

der Deutschen Gesellschaft für Photographie<br />

1966 an Man Ray erregten beim Publikum wie<br />

in der Fachwelt große Aufmerksamkeit. Darüber hinaus<br />

hat Gruber zahlreiche Artikel in der nationalen wie internationalen<br />

Presse über Man Ray verfasst – und auch damit<br />

einen wichtigen Beitrag zur Publizität des Künstlers<br />

geleistet.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

24 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 4: Man Ray: Rayographie, 1923,<br />

1958/1959, Die Photographische Sammlung /<br />

SK Stiftung Kultur / Sammlung der Deutschen<br />

Gesellschaft für Photographie.<br />

Ausstellung:<br />

Man Ray und L. Fritz Gruber – Jahre einer Freundschaft<br />

1956 bis 1976. Eine Ausstellung der Photographischen<br />

Sammlung / SK Stiftung Kultur, Köln.<br />

16. Mai bis 31. August 2008.<br />

Literatur:<br />

Ausstellungskatalog: Man Ray, L. Fritz Gruber:<br />

Jahre einer Freundschaft 1956-1976, hrsg. von:<br />

Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Köln<br />

(Göttingen 2008).<br />

Autorin:<br />

Claudia Schubert<br />

Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Köln


Man ray and l. Fritz Gruber –<br />

Years in Friendship, 1956 to 1976<br />

the renowned artist, Man ray, and the passionate<br />

photograph collector, organiser and writer,<br />

l. Fritz Gruber, maintained a steady, twenty-year<br />

acquaintanceship in the course of which several<br />

projects came about. in addition, in the 1960s,<br />

renate and l. Fritz Gruber began to assemble a<br />

many-sided private collection of Man ray's work,<br />

and this now forms the basis of the present exhibition.<br />

the ensemble adds to the photographs<br />

with which his name is so bound, some of ray's<br />

paintings and objects, presented here for the first<br />

time as loans from a number of museums and<br />

other private collections.<br />

Abb. 5: Man Ray: Rayographie 1962-1963,<br />

Privatsammlung Gruber.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

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Visuelle Anarchien<br />

von Bodo von Dewitz<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

26 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

noch heute irritieren die Fotomontagen der<br />

Zeitung ‚Marianne‘, die in den 1930er Jahren<br />

mit böser ironie Politik und Zeitgeschichte<br />

kommentierten. Sie zeigen hitler als stumpfen<br />

anstreicher, als verblödeten Bräutigam<br />

aus Wagners oper ‚tristan und isolde‘, als<br />

Kanevalsjeck oder als bösen dämon und<br />

vieles mehr. der urheber war der erst kürzlich<br />

identifizierte däne Jacob Kjeldgaard, der<br />

das Pseudonym ‚Marinus‘ verwendete. Seine<br />

obskuren Montagen aus Kunstgeschichte,<br />

Film und Photographien der tagespolitik<br />

erweitert die Mediengeschichte der 1930er<br />

Jahre um eine sensationelle Bilderwelt.<br />

Marinus, heartfield und die politische<br />

Fotomontage der 1930er Jahre<br />

Das Bildmedium der politischen Fotomontage war im<br />

Frankreich der 1930er Jahre äußerst populär. Neben den<br />

Illustrierten Voilà, Regards und VU erschien ab 1932 auch<br />

die Zeitung Marianne, die bis 1940 über 250 Fotomontagen<br />

– vorwiegend auf der Titelseite – den Lesern offerierte<br />

(Abb. 1-3). Ganz offenkundig waren die Fotomontagen<br />

von John Heartfield, die dieser seit 1930 für die AIZ (Arbeiter-Illustrierte-Zeitung)<br />

hergestellt hatte, ein prägendes<br />

Vorbild, welches allerdings virtuos und facettenreich variiert<br />

wurde. John Heartfields Fotomontagen der 1920er<br />

und 1930er Jahre besaßen für viele Studenten vor rund<br />

40 Jahren geradezu Kultcharakter, weil deren Emotion,<br />

politischer Hintersinn, die verwendeten Allegorien und<br />

Symbole der Gemütslage einer ganzen Generation vollkommen<br />

zu entsprechen schienen.<br />

Während Leben und Werk von John Heartfield inzwischen<br />

umfassend aufgearbeitet worden sind, galt der Bildautor<br />

von Marianne als unbekannt, bis Yves Aubry und Manfred<br />

Eisenbeis in den 1970er Jahren auf einem Flohmarkt in Paris<br />

auf Reste des Nachlasses stießen und den Namen des<br />

Fotomonteurs ermitteln konnten: Es war der Däne Jacob<br />

Kjeldgaard, der sich lebenslang hinter dem Pseudonym<br />

‚Marinus‘ versteckt hatte. Danach dauerte es 25 Jahre bis<br />

Gunner Byskov sich in Dänemark und Paris erneut auf die<br />

Spurensuche nach Marinus begab und fündig wurde: Es<br />

gelang ihm, die seltsame Geschichte dieses seltsamen<br />

Mannes zu recherchieren, der nach seiner ‚Flucht‘ aus<br />

Dänemark vor dem Ersten Weltkrieg bis zu seinem Tod<br />

1964 in Paris lebte und nie wieder in seine Heimat zurückgekehrt<br />

ist.


Abb. 1: Titelseite der Zeitung Marianne (Nr. 379)<br />

Paris, 24. Januar 1940 mit der Fotomontage<br />

„Sie sind Dummköpfe“ von Marinus.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

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Seit 1933 war er Mitarbeiter der Redaktion von Marianne<br />

und der Urheber der Fotomontagen, die ein ganz<br />

außergewöhnliches Bilderrepertoire entfalteten. Aus<br />

französischer Sicht wurde die nationalsozialistische Politik<br />

karikiert, aber auch die mächtigen Staatsmänner der<br />

westlichen Welt als zweifelhafte Drahtzieher und Friedenskämpfer<br />

der 1930er Jahre dargestellt. Hitler wurde als<br />

Anstreicher, als stumpfer Bräutigam aus Wagners Oper<br />

‚Tristan und Isolde‘ oder als Karnevalsprinz vorgeführt,<br />

aber auch Mussolini und Stalin als verschlagene Politiker<br />

gezeigt. Marinus verarbeitete Kunstwerke von Leonardo,<br />

Breughel, Delacroix, Rodin und Franz von Stuck (Abb. 5<br />

und 7), aber auch Standphotographien aus Historienfilmen<br />

wie z.B. aus ‚Ben Hur‘. Noch heute irritieren diese Fotomontagen<br />

den Betrachter in ihrer Perfektion und historischen<br />

Finesse, die damals den Leser subtil informieren<br />

und aufrütteln sollten.<br />

Fotomontagen haben eine eigene Geschichte und setzen<br />

sich nicht nur aus den Traditionen von Photographie, Film,<br />

Karikatur, Illustration und Malerei, sondern eigentlich aus<br />

den gesamten Bildtraditionen der westlichen Welt zusammen.<br />

Als populärste Beispiele für den Einsatz der Photographie<br />

zu Zwecken der politischen Propaganda gelten<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

28 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 2: Titelseite der Zeitung Marianne (Nr. 385)<br />

Paris, 6. März 1940 mit der Fotomontage<br />

„Schrecken der Neutralen“ von Marinus.<br />

Abb. 3: Titelseite der Zeitung Marianne (Nr. 339)<br />

Paris, 19. April 1939 mit der Fotomontage<br />

„Auf dem Weg zum Abenteuer“ von Marinus.<br />

die Photographien von Ernest Eugène Appert, die dieser<br />

als ganze Serie ‚Crimes de la Commune‘ im Visitenkartenformat<br />

zur Denunziation der Pariser Commune 1871<br />

hergestellt hat. Damals waren die Photographien durch<br />

Montagen aus Zeichnung und ausgeschnittenen Photographien<br />

zu agitatorischen Aussagen gegen die Kämpfer<br />

der Commune verfälscht und in Umlauf gebracht worden.<br />

Ab Ende des 19. Jahrhunderts übernahm dann die Bildpostkarte<br />

in ihrem gigantischen Repertoire aus Ansichten,<br />

Herrscherportraits und Kitschdarstellungen auch die Aufgabe<br />

der politischen Satire und Agitation aus oft montierten<br />

Darstellungen von Zeichnung, Malerei, Illustration<br />

und Photographie. Die Massenauflagen der Bildpostkarten<br />

als Photographien konkurrierten an den Verkaufsständen<br />

um 1900 allerdings noch sehr mit den Darstellungen<br />

der Illustration, die mit Farbe und Zeichenstift ein<br />

viel drastischeres Repertoire aus Blut, Schweiß, Tränen<br />

und (zuweilen) politischer Kritik dem Konsumenten anzubieten<br />

vermochten.<br />

Die abstrakten Montagen der Kubisten und Futuristen,<br />

Kurt Tucholskys Aufforderung zu Mehr Fotografien von<br />

1912, die massenhafte Bildpropaganda der Kriegszeit<br />

1914-18 oder auch Karl Kraus und seine sparsame aber dezidiert<br />

bissige Bildverwendung von Kriegsphotographien


in seinem Werk Die letzten Tage der Menschheit mögen<br />

Spuren hinterlassen haben, als unmittelbar nach dem<br />

Krieg Fotomontagen und Fotocollagen für John Heartfield,<br />

Hannah Höch, Raoul Hausmann und George Grosz<br />

als Mittel ihrer künstlerischen und eminent politischen<br />

Arbeit absolute Priorität bekamen. Sie alle gehörten zur<br />

Gruppe der Berliner Dadaisten, die montierte und collagierte<br />

Photographien für ihre radikale Kritik an allen Autoritäten<br />

verwendeten, um mit „Empörung, Hohn und<br />

Spott“ die Gesellschaft und die Politik der Nachkriegszeit<br />

zu attackieren.<br />

In der Sowjetunion, dem Land der radikalsten gesellschaftlichen<br />

und politischen Veränderung nach dem<br />

Ende des Weltkriegs, erfuhr die Fotomontage eine<br />

besondere Aufwertung als Medium der politischen<br />

Agitation, deren Verwendung öffentlich diskutiert<br />

wurde. Man bezog sich auf George Grosz und andere<br />

Dadaisten des Westens als Vorbilder und verwendete<br />

Fotomontagen zur Illustration von Büchern und Zeit-<br />

Abb. 4: Marinus: Fotomontage "Neues aus Berlin", Paris 1940<br />

Museum für Fotokunst, Odense, Dänemark.<br />

schriften, für Plakate und Agitationstafeln zum Aufbau<br />

der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung.<br />

Die Verwendung der Bildersprache aus Fotocollagen<br />

und Fotomontagen fand breiteste Akzeptanz und<br />

wurde paradigmatisch in radikaler Abkehr traditioneller<br />

Darstellungen z.B. der Zeichnung und Malerei<br />

herausgestellt.<br />

Am Ende der 1920er Jahre hatte sich die Fotomontage<br />

auch in den westlichen Ländern als Gestaltungsmittel für<br />

viele Bereiche der Publizistik, des Films und der politischen<br />

Propaganda durchgesetzt, so dass sich von links bis rechts<br />

alle politischen Lager collagierter und montierter Photographien<br />

bedienten. Vor allem die Printmedien der Zeitschriften<br />

und Illustrierten nahmen sich der Fotomontage<br />

an, denn es galt nunmehr in der ersten großen Phase der<br />

Konkurrenz zum Film und zum Radio zu bestehen.<br />

Eine fundierte Geschichte der Fotomontage, die die Einflüsse<br />

und Wirkungsweisen der fotografischen Bildmani-<br />

Abb. 5: Marinus: Fotomontage "Der Geist des Bösen", Paris 1940<br />

Museum für Fotokunst, Odense, Dänemark.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

29


pulation (außerhalb der vorsätzlichen Bildfälschungen),<br />

die Geschichte ihrer Bildquellen, Bildideen, Metaphern<br />

und Verwendungen, und natürlich die Viten ihrer Protagonisten<br />

erschöpfend darstellt, steht noch aus, obwohl<br />

dies im Zeitalter der digitalen Photographie, die die Möglichkeiten<br />

aller nur denkbaren Montagen auszuschöpfen<br />

vermag, eigentlich als eine Selbstverständlichkeit<br />

betrachtet werden müsste. Weil Einzelforschungen und<br />

vergleichende Betrachtungen zur Geschichte der politischen<br />

Fotomontage selten sind, erhält die Ausstellung<br />

Marinus- Heartfield eine ganz besondere Bedeutung.<br />

Ein besonderes Beispiel kann dies veranschaulichen:<br />

Den ‚Drahtseilakt‘ der nationalsozialistischen Politiker<br />

stellten Heartfield und Marinus ganz gleichartig dar:<br />

Heartfield ließ 1935 die Hauptakteure des Dritten Reichs,<br />

angeführt von Hitler und vor dem Hintergrund einer riesigen<br />

Hakenkreuzfahne mühsam auf einem Seil, dem<br />

Inbegriff einer Gefahrenssituation balancieren. Marinus<br />

dramatisierte 1940 das gleiche Thema (Abb. 6), indem er<br />

sie als übereinandersitzende Akrobaten auf einem fast<br />

gerissen Seil darstellte und das Ende gleich mitlieferte:<br />

den unvermeidlichen Fall in die aufgestellten Speerspitzen.<br />

Der Vergleich ist in diesem Fall der Verwendung<br />

ähnlicher Bildideen besonders spannend, denn beide<br />

haben – verschoben durch die sich zuspitzende Kriegsgefahr<br />

von 1935-1940 – zu anderen Darstellungen gefun-<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

30 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 6: Marinus: Fotomontage "Drahtseilakt", Paris 1940<br />

Archiv Robert Lebeck, Berlin.<br />

den: Führte Heartfield die NS-Politiker noch als durchgedrehte<br />

Seiltänzer vor, lies Marinus sie 1940 nach dem<br />

deutschen Einmarsch in Polen in den ‚wohlverdienten‘<br />

Abgrund taumeln.<br />

Heartfield und Marinus arbeiteten mit einem komplexen<br />

Bilderrepertoire aus Photographie, Film und Malerei<br />

und verdichteten ihre Fotomontagen in symbolischen,<br />

allegorischen und metaphorischen Kommentaren zur<br />

politischen Situation in Europa, die auch heute noch in<br />

ihrer visionären Kraft verblüffen und für Unruhe sorgen.<br />

Die Frage, ob beide sich je begegnet sind, kann nicht<br />

beantwortet werden. Dass Marinus die Montagen von<br />

Heartfield kannte, muss als gesichert gelten, denn im<br />

Frühjahr 1935 reiste John Heartfield nach Paris, um in<br />

der Maison de la Culture in der Rue Navarin seine erste<br />

Ausstellung von 150 Fotomontagen in Frankreich vorzubereiten.<br />

Veranstaltet von der Association des Écrivains<br />

et Artistes Révolutionnaires wurden die Ausstellung 150<br />

photo-montages politiques satiriques d’actualité de J. Heartfield<br />

von Paul Westheim, Pierre Merin und G.J. Gros in<br />

den Zeitungen der Emigranten und in der französischen<br />

Presse rezensiert. Am 2. Mai 1935 trafen außerdem zehn<br />

Künstler, darunter Tristan Tzara und Aragon, zusammen,<br />

um über die Frage: „Ist die Fotomontage eine Kunst?“ zu<br />

diskutieren. Aragon trug an diesem Abend seinen Essay


John Heartfield und die revolutionäre Schönheit öffentlich<br />

vor. All dies wird Marinus, der seit den Jahren des<br />

Ersten Weltkriegs mit Fotomontagen beschäftigt war,<br />

nicht entgangen sein. Ganz sicher hat er die Arbeiten<br />

von Heartfield als Inspirationsquelle empfunden. Ganz<br />

sicher hat er aber auch seinen eigenen Bilderkosmos besessen<br />

und zu packenden eigenen politischen Fotomontagen<br />

verdichtet.<br />

Schon 1933 hatte er das Thema ‚Hitler als Monster‘ über<br />

dem Gebäude des Völkerbundes in Genf in Anspielung<br />

und unter Verwendung einer Filmphotographie von King<br />

Kong aufgegriffen. Heartfield benutzte erst 1943 die Figur<br />

von Hitler als Monster King Kong, das mit Schwert<br />

und Helm als pelziges Ungeheuer lauernd auf der Erdkugel<br />

sitzt: ein Hinweis auf die Verarbeitung von Filmerfahrungen,<br />

die Marinus im noch friedlichen Paris zu einer<br />

Zeit machen konnte, als John Heartfield sich bereits auf<br />

der Flucht vor den Nationalsozialisten verstecken musste.<br />

Marinus arbeitete für Marianne bis zur letzten Ausgabe<br />

vom 5. Juni 1940 und zog sich dann völlig zurück, um<br />

nicht von den deutschen Invasoren gefasst zu werden.<br />

Da sein Name zuvor (fast) nie genannt wurde, konnte er<br />

sich der lebensbedrohlichen Verfolgung entziehen.<br />

Erstmalig werden im Museum Ludwig sämtliche noch<br />

erhaltenen originalen Fotomontagen von Marinus und<br />

nahezu das Gesamtwerk der gedruckten Ausgaben der<br />

Zeitschrift Marianne in Deutschland gezeigt. Es gilt, Marinus,<br />

dessen eindrucksvollsten Montagen kurz vor dem<br />

Einmarsch der deutschen Truppen in Paris entstanden<br />

sind, neben John Heartfield als bedeutenden politischen<br />

Fotomonteur zu entdecken und die Mediengeschichte<br />

der 1930er Jahre um die Dimension dieser Bilderwelt aus<br />

Kunstgeschichte, Film und photographierter Tagespolitik<br />

zu erweitern. Das Werk von John Heartfield steht<br />

nunmehr nicht mehr isoliert da, denn die Fotomontage<br />

war neben Film und Radio ab 1930 das wichtigste Medium<br />

der politischen Agitation.<br />

Ausstellung des Museum Ludwig:<br />

Hitler blind und Stalin lahm.<br />

Marinus und Heartfield –<br />

Politische Fotomontagen der 1930er Jahre<br />

9. August bis 19. Oktober 2008<br />

Autor:<br />

Bodo von Dewitz<br />

Museum Ludwig Köln, Kurator der Ausstellung<br />

Visual anarchies<br />

even now the photomontages of the paper<br />

„Marianne“, pitched with a wicked irony at politics<br />

and contemporary history in the 1930s, are unsettling.<br />

they show Hitler as a stolid house painter,<br />

as a moronic bridegroom out of Wagner’s<br />

Opera tristan und isolde, as a carnival fool or as<br />

an evil demon and much more. their creator has<br />

only recently been identified as the Dane, Jacob<br />

Kjeldgaard, named only once under his pseudonym,<br />

‘Marinus’. His obscure montages of art<br />

history, film and photographs from the world of<br />

current affairs add a sensational panorama to the<br />

history of the media in the 1930s.<br />

Abb. 7: Marinus: Fotomontage „Der Blinde und der Lahme“,<br />

Paris 1940, Musée français de la Photographie, Bièvres.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

31


ein römisches Hafentor auf dem<br />

Kurt-Hackenberg-Platz<br />

von Marcus Trier<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

32 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Bei archäologischen ausgrabungen für den<br />

Bau der nord-Süd Stadtbahn wurde auf<br />

dem Kurt-hackenberg-Platz ein teilstück<br />

der rheinseitigen, römischen Stadtmauer<br />

mit einem der hafentore und dem auslass<br />

eines großen abwassersammlers freigelegt.<br />

der einzigartige römische Baubefund<br />

wird dauerhaft erhalten und in einem unterirdischen<br />

Besucherraum öffentlich zugänglich<br />

gemacht.<br />

archäologische ausgrabungen<br />

nord-Süd Stadtbahn Köln<br />

1893 stießen Arbeiter in einem Graben für einen neuen<br />

Abwasserkanal sechs Meter unter der Bischofsgartenstraße<br />

auf die römische Stadtmauer und mächtige Kalksteinquader.<br />

Die Kalksteinblöcke ragten vier Meter über<br />

die Flucht der römischen Stadtmauer nach Osten vor.<br />

Lage und Qualität des Bauwerks veranlassten die verantwortlichen<br />

Stadtbauräte Rudolf Schultze (1854-1935) und<br />

Carl Steuernagel (1848-1919), die sich intensiv mit der römischen<br />

Geschichte Kölns beschäftigten, dort eines der<br />

Hafentore der römischen Kolonie zu lokalisieren. 1895<br />

haben die beiden Ingenieure den römischen Baubefund<br />

in ihrem Buch Colonia Agrippinensis beschrieben und in<br />

einer Zeichnung vorgelegt.<br />

Auf dem Kurt-Hackenberg-Platz wird zur Zeit in offener<br />

Baugrube die Nord-Süd-Stadtbahn an den in den 1960er<br />

Jahren errichteten U-Bahn-Tunnel ‚Am Domhof‘ angeschlossen,<br />

der zur bestehenden unterirdischen Haltestelle<br />

Dom / Hauptbahnhof führt. Bei diesen Arbeiten kamen<br />

nun die römischen Baubefunde mehr als einhundert Jahre<br />

später wieder ans Tageslicht (Abb. 1).<br />

Der Kurt-Hackenberg-Platz – ein Ergebnis des Wiederaufbaus<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg – vermittelt seinen


Abb. 1: Bei den Ausgrabungen auf dem Kurt-Hackenberg-Platz<br />

wird ein Teilstück der rheinseitigen, römischen Stadtmauer<br />

mit vermauerter Toröffnung und Kanalauslass freigelegt.<br />

Ansicht von Südosten.


Abb. 2: Die römische Stadtmauer mit Torhaus von Norden aus<br />

gesehen. Der Durchbruch durch die römische Stadtmauer<br />

(linker Bildrand) geht auf die Kanalarbeiten des Jahres 1893<br />

zurück.


Abb. 3: Die Baugrube auf dem Kurt-Hackenberg-Platz und<br />

die Domumgebung im Luftbild. Die rote Linie markiert den<br />

Verlauf der römischen Stadtmauer.<br />

Besuchern keinen Eindruck von seiner mehr als zweitausendjährigen<br />

wechselvollen Geschichte. Er liegt über einer<br />

alten Rheinnebenrinne, die im 1. und 2. Jahrhundert<br />

n. Chr. den Hafen der römischen Stadt bildete. Am Fuß<br />

des Hanges zum hochwassersicheren Stadtplateau wurde<br />

in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. die<br />

östliche römische Stadtmauer errichtet. Die Stadtmauer,<br />

deren erhaltene Oberkante ca. 2 Meter unter den Platz<br />

reicht, quert die Baugrube auf 25 Meter Länge in Nord-<br />

Süd-Richtung (Abb. 3). Ihr Bauentwurf entspricht dem<br />

bekannten Schema: Über einem drei Meter breiten Sockel<br />

erhebt sich das aufgehende, 2,4 Meter mächtige<br />

Mauerwerk mit einem Gussmauerkern (opus caementitium)<br />

und Schalmauern aus sorgfältig zugehauenen Grauwackehandquadern.<br />

Der archäologische Befund, der in der Baugrube seit dem<br />

Spätherbst 2007 mit voranschreitender Grabungstiefe<br />

ans Tageslicht kam, bot einige Überraschungen. Das<br />

Abb. 4: Die rekonstruierte römische Hafenstraße mit einem<br />

Teilstück des Abwassersammlers von Osten aus gesehen.<br />

6,5 x 7,4 Meter große Torhaus (Abb. 2) ragte nicht – wie<br />

erwartet – nach Osten in das Hafenbecken vor, sondern<br />

nach Westen zur Stadtinnenseite. Die bereits 1893 freigelegten<br />

großen Kalksteinquader gehören stattdessen zu<br />

einem großen Abwasserkanal, der in die römische Stadtmauer<br />

eingelassen war und im Hafenbecken mündete.<br />

Ein 16 Meter langer Abschnitt dieses Kanals wurde 1978<br />

bei Bauarbeiten freigelegt.<br />

Ein Teilstück ist heute neben der mit Basalten gepflasterten<br />

römischen Hafenstraße aufgebaut (Abb. 4). Das<br />

Torhaus besitzt eine 2,7 Meter breite Toröffnung mit<br />

großen Sandsteinblöcken als Torgewänden; zum Hafen<br />

öffnete es sich über dem 2 Meter hohen, mit großen<br />

Tuffsteinquadern abgedeckten Auslass des Abwassersammlers.<br />

Unmittelbar vor der Stadtmauer verlief ein<br />

4 Meter breiter Kai aus sorgfältig gebeilten, rechteckigen<br />

Eichenhölzern. In den Grundwasser führenden<br />

Erdschichten haben sich die römischen Hölzer sehr gut<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

35


erhalten: Dendrochronologische Untersuchungen der<br />

Universität Köln datieren den Bau der Kaimauer in die<br />

Jahre 90/91 n. Chr.<br />

Der Kaimauer war nur eine kurze Nutzungsdauer beschieden,<br />

denn die Strömungsverhältnisse im Hafen<br />

änderten sich zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. Aus<br />

der durchflossenen Rinne wurde ein nach Norden offener<br />

Altarm. Im Hafenbecken sammelten sich Sande und illegal<br />

verkippte Abfälle. Auf der Hafensohle wurden mehrere<br />

hunderttausend Tierknochen, Austernschalen und<br />

Bruchstücke von zerbrochenen Keramikgefäßen wie Amphoren<br />

geborgen. Anhand von Pinselaufschriften lassen<br />

sich die Amphoren, in denen Olivenöl, Wein und Würzsaucen<br />

transportiert wurden, in ihre Ursprungsregionen<br />

bis nach Italien, Spanien, Frankreich und Zypern zurückverfolgen.<br />

Die Funde zeugen vom regen Warenumschlag<br />

im Hafen der römischen Stadt. In weniger als 50 Jahren<br />

bildeten sich mehr als 4 Meter mächtige Ablagerungen.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

36 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 5: Das Hafentor wurde mit wieder verwendeten Werksteinen<br />

im 4. Jahrhundert n. Chr. zugemauert. Unter den<br />

Kalk-,Tuff- und Sandsteinblöcken erkennt man das regelmäßige<br />

Schalmauerwerk aus Grauwackehandquadern des<br />

1. Jahrhunderts n. Chr.<br />

Abb. 6: Auch ältere Architekturteile, wie diese Säulenbasis,<br />

wurden in der Toröffnung vermauert.<br />

Holzfunde zeigen an, dass das alte Hafenbecken in den<br />

Jahren 148/149 n. Chr. vollständig aufgefüllt war. Der Hafen<br />

wurde auf das Ostufer der ehemaligen Rheininsel an<br />

den offenen Strom verlegt.<br />

Im 4. Jahrhundert n. Chr. war die Insel längst landfest<br />

an das Stadtgebiet angebunden. Die römische Provinz<br />

Niedergermanien und ihre Hauptstadt Köln waren zunehmend<br />

den germanischen Übergriffen auf römischen<br />

Boden ausgesetzt. Auch das Hafentor gibt Zeugnis von<br />

dieser Krise des Reiches, denn es wurde mit wieder verwendeten<br />

Werksteinen zugemauert (Abb. 5). Hierfür<br />

nutzte man unter anderem Architekturteile wie Säulenfragmente,<br />

ältere Grab- und Weihesteine (Abb. 6).<br />

Der einzigartige römische Architekturbefund wird dauerhaft<br />

erhalten und öffentlich zugänglich gemacht (Abb.<br />

7). Die Stadt Köln bekennt sich auf diese Weise ihrer<br />

Verantwortung gegenüber ihrem kulturellen Erbe und


Abb. 7: Im Rahmen der dauerhaften Sicherung des römischen<br />

Baubefundes wurden zunächst Stahlträger im Fundament<br />

des Kanalauslasses verankert. Sie werden später in den Boden<br />

des Besucherraumes integriert.<br />

nimmt ihre Vorbildaufgabe wahr. Nach Abschluss der<br />

Bau arbeiten für die Nord-Süd Stadtbahn wird man über<br />

einen Treppenzugang auf dem Kurt-Hackenberg-Platz<br />

in einen unterirdischen Besucherraum hinabsteigen<br />

können. Köln wird um eine außergewöhnliche stadtgeschichtliche<br />

und archäologische Attraktion reicher.<br />

Literatur:<br />

R. Schultze, C. Steuernagel: Colonia Agrippinensis,<br />

Bonner Jahrbuch 98, 1895, 115 ff.<br />

C. Dietmar, M. Trier: Mit der U-Bahn in die Römerzeit.<br />

Ein Handbuch zu den archäologischen Ausgrabungsstätten<br />

rund um den Bau der Nord-Süd Stadtbahn<br />

(2. Aufl., Köln 2006)<br />

Autor:<br />

Dr. Marcus Trier<br />

Stellvertretender Direktor Römisch-Germanisches Museum /<br />

Archäologische Bodendenkmalpflege der Stadt Köln<br />

a roman Port Gate at<br />

Kurt-hackenberg-Platz<br />

Archaeological excavations in the course of<br />

construction of the north-south stadtbahn line<br />

have revealed a section of the roman city wall at<br />

Kurt-Hackenberg-Platz, where, fronting on the<br />

rhine, the wall incorporates one of the gates to<br />

the port and the outlet of a large trunk sewer.<br />

this unique find of roman architecture is to be<br />

preserved for posterity and made accessible to<br />

the public in an underground visitors’ space.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

37


Kunst im Doppelpack<br />

von Andreas Baumerich<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

38 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Moderne Kunst als vielfältiges und in sich<br />

dialogisches Phänomen wird nur selten - und<br />

dann oftmals nur in temporären ausstellungen<br />

- wahrnehmbar. dies ist für Bildende<br />

Kunst und design umso bedauerlicher, da<br />

gerade sich in deren dialogischer Zusammenführung<br />

wesentliche Züge der Moderne<br />

insgesamt offenbaren können. durch die<br />

Schenkung der Sammlung Prof. r.G. Winkler<br />

mit ihren hochkarätigen Beständen aus design<br />

und Bildender Kunst an das Museum für<br />

angewandte Kunst Köln eröffnen sich für die<br />

Besucher neue Möglichkeiten, design nicht<br />

isoliert, sondern in enger Beziehung mit<br />

Werken der Bildenden Kunst zu betrachten.<br />

So führt ab november die neupräsentation<br />

der design-dauerausstellung des Museums<br />

‚design und Kunst im dialog‘ die komplexen<br />

Verflechtungen des designs mit den künstlerischen<br />

entwicklungen im rahmen der Zeitgeschichte<br />

vor augen.<br />

Vorschau auf die neue designabteilung im<br />

Museum für angewandte Kunst<br />

Wo begegnen Sie der modernen Kunst? Man ist sich<br />

oft nicht bewusst, dass die Durchdringung des täglichen<br />

Lebens mit ‚Moderne‘ in weit größerem Umfang durch<br />

das Design (und die moderne Architektur) als durch die<br />

moderne Bildende Kunst erfolgt. Wir sind umgeben von<br />

dieser Alltagskunst, die in einem spannenden Wechselverhältnis<br />

zur ‚hohen‘ Kunst steht. Beide zusammenzuführen<br />

leistet die neue Designabteilung des Museums für<br />

Angewandte Kunst in Köln.<br />

In ihr treffen nun die Protagonisten von moderner Bildender<br />

Kunst und Design auf engstem Raum in einmaliger<br />

Weise auf andere Werke höchster Qualität. So besteht die<br />

Möglichkeit, Beziehungen zwischen ihnen zu entdecken.<br />

Man kann sie miteinander in einen Dialog treten lassen.<br />

Ermöglicht hat dies die Schenkung Prof. Dr. R.G. Winklers.<br />

In dieser hochkarätigen Sammlung ist das Design durch<br />

zahlreiche Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts vertreten:<br />

Möbel, Leuchten, Haushaltsobjekte, Kameras und Radios,<br />

gestaltet von wegweisenden Entwerfern wie Frank Lloyd<br />

Wright, Charles und Ray Eames, Dieter Rams oder Philippe<br />

Starck. In fruchtbaren Dialog mit ihnen treten neben<br />

herausragenden Werken der freien Kunst von Piet Mondrian<br />

und Wassily Kandinsky Arbeiten von Günther Uecker,<br />

Jésus-Raffael Soto und Victor Vasarely.<br />

Diese bedeutendste Neuerwerbung der jüngeren Museumsgeschichte<br />

erfordert eine gänzlich neue Präsentation<br />

der Sammlungsabteilung. Das vom Vitra Design Museum<br />

in Weil entwickelte Konzept sieht dafür drei Bereiche vor:<br />

Design, Kunst und Kontext. Die beiden Ausstellungsetagen


Abb.1: Marcel Breuer: Lattenstuhl, 1922,<br />

Holz und Gewebe, 955 x 556 x 574 cm,<br />

Museum für Angewandte Kunst Köln,<br />

Inv. Nr. A1938w .<br />

der Designabteilung sind jeweils durch lose angeordnete<br />

Kabinette gegliedert, in denen die Designobjekte in thematisch-chronologischer<br />

Ordnung gezeigt werden. Ein<br />

Rundgang führt die Besucher um die Kabinette, an deren<br />

Außenwänden sie die Kunstwerke der Sammlung Winkler<br />

in klassischer Galeriehängung finden. Einzelne davon treten<br />

in engen Kontakt mit ausgewählten Schlüsselwerken<br />

des Designs. Eine bebilderte Zeitleiste an den Außenwänden<br />

mit integrierten Biographien der Designer erschließt<br />

dann den zeitgeschichtlichen Kontext. Ergänzt wird der<br />

Zeitstrang durch Filme, Photos und weitere Dokumente.<br />

Die Ausstellungsarchitektur selbst ermöglicht mit offenen<br />

Räumen und fensterartigen Durchblicken das<br />

eigenständige Schauen der Besucher. So ergibt sich für<br />

Abb. 2: Werner Graeff: Z-Kon 2, 1921, Tuschezeichnung,<br />

204 x 171 cm, Museum für Angewandte Kunst Köln,<br />

Inv. Nr. MK0021w.<br />

sie ein Dialog zwischen Kunst und Design, Personen und<br />

Werken, zwischen Formen, Materialien und Motiven. In<br />

dieser Konstellation bieten sich verschiedene ‚Dialogpartner‘<br />

an, die – auch über Jahrzehnte hinweg – kommunizieren<br />

können. Dabei ist der Besucher frei, eigene<br />

‚Paarungen‘ zu finden.<br />

So könnte man mit dem in Europa nur hier gezeigten<br />

‚Büroschreibtisch mit integriertem Stuhl‘ von Frank<br />

Lloyd Wright aus dem Jahre 1904 das ‚Gemälde ohne<br />

Titel‘ von Auguste Herbin 1921 in Verbindung bringen.<br />

Neben der farblichen Ähnlichkeit ist es bei beiden<br />

der Reiz des Zusammenspiels von – visuell oder real –<br />

ruhenden bzw. dynamisierten Flächen. Der Schreibtisch<br />

erscheint als eine Art Raumcollage und das Bild als<br />

collagenartiges Gemälde.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

39


Den Bauhausschwerpunkt in der Sammlung Winkler<br />

soll hier Marcel Breuers ‚Lattenstuhl‘ von 1922 vertreten.<br />

Der nahe liegende Vergleich mit dem Bild ‚Z-Kon 2‘ von<br />

1921 (Abb. 1 und 2) des Bauhausschülers Werner Graeff<br />

bietet sich an. Er macht Gemeinsamkeiten der reduktionistischen<br />

Bauhausarbeiten deutlich. So sehen die<br />

unverbundenen winkelförmigen Elemente in Graeffs<br />

Gemälde wie ein zum Versand zerlegter Lattenstuhl aus.<br />

Der ungefüllte Raum zwischen den vorhandenen Elementen<br />

wird bei beiden Kunstwerken zum Mitspieler.<br />

Neben dem funktionalen Aspekt hat die Welt modernen<br />

Produktdesigns durchaus ihre luxuriös-repräsentative<br />

Seite. Hierfür kann als popularisierte Variante<br />

des Art Déco Walter von Nessens ‚Coronet Coffee Urn<br />

Service Nr. 90121‘ von 1933-36 stehen. Der amerikanische<br />

Designer nutzt die reduktionistischen Form- und<br />

Materialansätze der Moderne, aber er kombiniert sie<br />

mit Assoziationsmomenten des Luxuriösen. Durch elfenbeinfarbene<br />

Griffe wird das glänzende Chrom zum<br />

‚Silber‘ und durch Riffelung die tragende Stütze unter<br />

dem ‚centre-piece‘ zum ‚Säulenstumpf‘. Wenn man das<br />

Service aber mit Walter Dexels ‚Weiße Scheibe‘von 1927<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

40 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 3: Charles und Ray Eames:<br />

Schranksystem ‚ESU’ (Eames Storage Unit),<br />

1950, Holz, Metall und Kunststoff,<br />

1478 x 1200 x 430 cm,<br />

Museum für Angewandte Kunst Köln,<br />

Inv. Nr. A1947w.<br />

vergleicht, dann fällt auf, dass bei beiden Kugel und<br />

Kreis als in sich ruhende, aber auch potentiell rollende<br />

Form in eine Art von Auflager-System einbezogen sind.<br />

Und auch das Streifenmotiv gemahnt an die Riffelung<br />

technischer Geräte.<br />

Die technische Seite wird bei Charles und Ray Eames’<br />

Schranksystem ‚ESU‘ (Eames Storage Unit) von 1950<br />

(Abb. 3) deutlicher hervorgekehrt. Das funktionale Modulsystem<br />

mit in Metallschienen eingehängten Kastenelementen<br />

erfährt allerdings seine ‚kalifornische Belebung‘<br />

durch buntfarbige Oberflächen, die asymmetrisch<br />

verteilt werden. Hier zeigt sich in spielerischer Weise die<br />

popularisierte Adaption von Mondrians Gestaltungstendenzen,<br />

wie sie auch schon Theo van Doesburg etwa in<br />

‚Stijl Composition‘ von 1925 (Abb. 4) übernommen hatte.<br />

Van Doesburgs Ausrichtung vergleichbar übertragen<br />

die Eames Mondrians Gestaltungselemente in die dreidimensionale<br />

Alltagswelt. Wobei die Farbigkeit nicht nur<br />

dekorativ ist, sondern Funktionsteile kennzeichnet.<br />

Die gerundete Großform ist Basis vieler Designstücke der<br />

1960er Jahre. Peter Ghyczys Stuhl ‚Gartenei‘ von 1968 ist


Abb. 4: Theo van Doesburg: Stijl Composition, 1925, Gouache,<br />

214 x 240 cm, Museum für Angewandte Kunst Köln,<br />

Inv. Nr. MK0015w.<br />

dabei eine überraschend poppige, aber auch praktische<br />

Lösung aus der DDR. Mit Lucio Fontanas ‚Concetto<br />

spaziale 62-0-23 Grün‘ von 1956 verbindet ihn – neben<br />

der formalen Gemeinsamkeit über Oval und Öffnung –<br />

die Frage nach dem Raum ‚dahinter‘. Der hermetische<br />

Charakter der Stuhloberfläche im geschlossenen Zustand<br />

und der Leinwand im unversehrten wird in beiden<br />

Fällen von einer durchaus überraschenden ‚Öffnung‘ in<br />

Frage gestellt. Durch ihre Öffnung wandelt sich jeweils<br />

die Funktion der Oberfläche – bei Ghyczy wird sie zur<br />

Rückenlehne und bei Fontana zur Membran.<br />

Neben dem eher spielerischen Einsatz moderner Gestaltungsmomente<br />

steht immer parallel eine Betonung des<br />

Funktionalen. Norman Fosters Tisch ‚Nomos T 1016‘ von<br />

1987 zeigt seine technische Struktur und statischen Gegebenheiten<br />

in einer kühlen, aber auch u. a. durch das<br />

glänzende Metall eleganten Weise. Wie bei Manfred<br />

Mohrs Bild ‚P-197/20-387‘ von 1977 wird die Gestaltung<br />

auf ein System linearer Elemente reduziert, wobei diagonale<br />

Linien betont werden und dem Ganzen Dynamik<br />

verleihen. Beim Tisch und bei den zeichenhaften Bildeinheiten<br />

ergeben sich Assoziationsmöglichkeiten mit<br />

technischen Gerätschaften, aber auch mit Tieren oder<br />

Pflanzen.<br />

Welche Dialogpaare der Besucher auch wählen mag, die<br />

neue Präsentation bietet für Schüler und Studenten ein<br />

ideales Medium für eine einfach verständliche Designgeschichte,<br />

während Kenner neue interdisziplinäre Bezüge<br />

entdecken können. In der neuen Konzeption vermittelt<br />

sich den Besuchern im Miteinander von Design und Kunst<br />

ein aktueller, erweiterter Designbegriff, nach dem Kunst<br />

und Funktionalität vielfältig miteinander verbunden sind.<br />

Die Flexibilität der modularen Architektur mit ihrer Kabinettstruktur<br />

ermöglicht den regelmäßigen Austausch<br />

von Themengruppen und Objekten. Dieser Wechsel lässt<br />

jeden erneuten Besuch zu einem spannenden Erlebnis<br />

werden.<br />

Autor:<br />

Dr. Andreas Baumerich<br />

Gastkurator<br />

Overstolzengesellschaft<br />

Förderer des Museums für Angewandte Kunst e.V.,<br />

gegründet 1888<br />

Preview: art in a double-Pack –<br />

Museum für angewandte Kunst presents<br />

new design department<br />

Design and modern art will find a platform for fruitful<br />

dialogue from november, 2008, at the newly<br />

redesigned Department of Design at Cologne’s<br />

Museum of Applied Arts. that dialogue has been<br />

made possible by the generosity of Prof. r. G.<br />

Winkler in donating his collection of numerous<br />

key works of design, among them those of Wright,<br />

eames and starck, and masterpieces of visual art<br />

(e.g. by Mondrian, Kandinsky and Vasarely).<br />

the display concept developed by the Vitra<br />

Design Museum features objects of design in a<br />

thematic and chronological arrangement and<br />

works of art in classical gallery hanging, with<br />

selected dialogue pairs complemented by a<br />

chronological time-scale. Visitors are free to<br />

find additional pairs of their own, such as the<br />

examples mentioned in this article.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

41


Der Blick des Publikums<br />

von Sebastian Potschka<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

42 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

die haltung der Besucher ist wichtig, oftmals<br />

sogar entscheidend für die Wahrnehmung<br />

und das image eines Museums. in loser Folge<br />

publiziert das Kölner MuseumsBulletin<br />

deshalb ausstellungsbezogene umfragen,<br />

größere analysen zu einzelnen häusern oder<br />

Studien zu besucherbezogenen Fragen. damit<br />

hofft die Zeitschrift, den Blick zu schärfen,<br />

Gutes hervorzuheben oder Missstände<br />

aufzuzeigen.<br />

eine Besucherbefragung zur ausstellung<br />

Zhou Jun im Museum für ostasiatische Kunst Köln<br />

Ein halbes Jahr lang, vom 10. November 2007 bis zum<br />

20. April 2008, stand die Ausstellung des Museums für<br />

Ostasiatische Kunst im Zeichen der Tuschmalerei. Rund<br />

100 Arbeiten des 1955 in Shanghai geborenen und seit<br />

1989 in den Niederlanden lebenden Künstlers waren<br />

erstmals in einer Ausstellung in Europa zu sehen: eine<br />

gute Ausgangssituation, um unser Publikum nach den<br />

Beweggründen für ihren Museumsbesuch und ihrer<br />

Meinung zur Ausstellung zu fragen. So führten wir in<br />

den letzten beiden Monaten der Ausstellung eine Besucherbefragung<br />

durch, an der sich insgesamt knapp 100<br />

Besucher beteiligten und 303 Einzeldaten lieferten.<br />

Anhand von drei Fragekomplexen wollten wir in Erfahrung<br />

bringen, woher der Besucher von der Sonderausstellung<br />

wusste, welche Schulnote er der Präsentation<br />

geben würde und schließlich – in einem frei formulierbaren<br />

Teil – was wir in Zukunft verbessern könnten.<br />

Dabei wurden keinerlei Daten der Befragten erhoben,<br />

um die Hemmschwelle und den zeitlichen Aufwand<br />

möglichst gering zu halten. Bei der ersten Frage nach<br />

Informationsquellen gaben 35,9 % der Besucher an, eine<br />

Empfehlung aus dem eigenen, persönlichen Umfeld erhalten<br />

zu haben. 29,3 % wurden durch Plakatwerbung<br />

angezogen, gefolgt von 22,8 %, die durch das Internet<br />

und 21,74 %, die durch Zeitungsartikel und –anzeigen<br />

aufmerksam wurden. Die wenigsten Besucher wurden<br />

durch Radio, Flyer oder Fernsehbeiträge inspiriert.<br />

Die Ergebnisse zu dieser Frage werden uns zukünftig zu<br />

einer Intensivierung von Kulturpatenschaften führen,<br />

um eine engere Bindung bestimmter Zielgruppen zu<br />

erreichen. Damit lässt sich der Impuls, das Museum auf<br />

persönliche Empfehlung hin zu besuchen, noch steigern.<br />

In der Gesamtbeurteilung vergaben vier von fünf Besuchern<br />

die Note gut oder sehr gut, 18 % des Publikums


urteilten zurückhaltender. Damit bekam das Museum<br />

insgesamt die Note 1,98. Folglich findet sich in dem<br />

frei formulierbaren Abschlussteil zahlreiches Lob: „Die<br />

aktuelle Ausstellung war wunderschön“, oder: „Ein Ort<br />

der Stille, des Sehens, der Lernens“ sind exemplarische<br />

Statements unserer Besucher. Immer wieder wurde die<br />

Anordnung und Hängung der Ausstellungsstücke, das<br />

freundliche Personal, vor allem aber die ruhige, kraftvolle<br />

Stille und Atmosphäre des Hauses betont.<br />

Trotz der auf die Ausstellung bezogenen, ausgesprochen<br />

positiven Rückmeldungen, blieben den Besuchern<br />

infrastrukturelle Defizite, insbesondere im Vergleich<br />

mit anderen Häusern nicht verborgen. So wurden wir<br />

mehrfach auf die wenig zeitgemäße didaktische Aufbereitung<br />

der Ausstellungsinhalte, auf die mittlerweile<br />

sanierungsbedürftige Sanitäranlagen und die zu kühl<br />

eingestellte Klimaanlage aufmerksam gemacht. Darüber<br />

hinaus wurde die vernachlässigte Pflege des japanischen<br />

Innengartens, 1976 durch den japanischen Bildhauer<br />

Masayuki Nagare als eigenständiges Kunstwerk in<br />

der Tradition japanischer Meditationsgärten angelegt,<br />

deutlich wahrgenommen und bemängelt. Hier gibt es<br />

also Nachbesserungsbedarf, dem wir uns in nächster<br />

Zeit im Rahmen unserer Möglichkeiten widmen werden.<br />

Dennoch können wir mit der hinter uns liegenden Ausstellung<br />

zufrieden und stolz darauf sein, positives Feedback<br />

von unseren Besuchern erhalten zu haben.<br />

Autor:<br />

Sebastian Potschka<br />

Museum für Ostasiatische Kunst Köln<br />

Abb. 1: Zhou Jun:<br />

Vögelgezwitscher 1,<br />

66,5 x 66,3 cm,<br />

Nijmegen, 2001.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

43


Anton legner zu ehren<br />

von Hiltrud Westermann-Angerhausen<br />

am 28. august vollendet<br />

Professor dr. anton legner sein 80. lebensjahr.<br />

Nach 20 Jahren als Direktor des Schnütgen-Museums<br />

hielt er vor 18 Jahren am 28. August 1990 in St. Cäcilien<br />

eine Abschiedsrede, die im Kölner Museumsbulletin (Heft<br />

3, 1990) abgedruckt wurde. An gleicher Stelle sei dem<br />

Jubilar aus dem Kreis der Museen der Stadt Köln nun ein<br />

herzlicher Geburtstagsglückwunsch übermittelt.<br />

Anton Legner beherrscht eine Kunst, die die mittelalterlichen<br />

Denker und Deuter in Vollendung angewendet<br />

haben, um neue Gedanken und Einsichten auf den Schultern<br />

der Tradition in ihrer jeweils eigenen Zeit zu vergegenwärtigen.<br />

Es ist die Kunst des auslegenden, Sinnzusammenhänge<br />

stiftenden Zitierens. Deshalb soll der<br />

Jubilar in diesem Glückwunsch selbst zitiert werden.<br />

Wo immer man eines seiner Bücher aufschlägt, trifft man<br />

auf die getreulich und ungekürzt überlieferten Stimmen<br />

von Reisenden, Theologen und Dichtern, Männern und<br />

gelegentlich auch Frauen; es sind begeisterte oder bornierte,<br />

gebildete oder unwissende ebenso wie weise und<br />

fromme Stimmen aus den letzten beiden Jahrtausenden,<br />

die das betrachtet und gedeutet haben, was Anton Legner<br />

einem großen Publikum in jeder seiner Ausstellungen<br />

und in seinen Büchern bis heute anschaulich nahe brachte<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

44 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

Abb. 1: Anton Legner führt Königin Fabiola von Belgien durch<br />

die Ausstellung Rhein und Maas, 1972.<br />

und bringt. Es ist die „…Einordnung der ästhetischen<br />

und kultischen Präsenz der Gegenstände in dasjenige<br />

Weltbild, aus dem die Gegenstände stammen…“.<br />

Mit diesem Ziel vor Augen, das neben dem stupend kenntnisreichen<br />

Kunsthistoriker auch den begeisterten Künder<br />

und listenreichen Kämpfer mit und gegen Sachzwänge<br />

fordert, hat Anton Legner vielen Menschen die Augen für<br />

die körperliche und geistige Schönheit der sakralen Kunst<br />

des Mittelalters geöffnet (Abb.1 und 2). „…denn den Ansatz<br />

zum Verständnis von Geschichte gewinnt man nicht,<br />

indem man sich die Historie aus Denkgewohnheiten oder<br />

Gedankenzwängen der Gegenwart verfügbar macht,<br />

sondern indem man die Quellen selbst nach den Mentalitäten<br />

der Menschen von einst befragt…“ In diesem<br />

Satz steckt erlebte, erlittene und mitgestaltete Wissenschafts-<br />

und Museumsgeschichte. Diese Geschichte in<br />

der derzeitigen „…Arbeitsgemeinschaft im Dienste unseres<br />

Museums…“ weiter zu schreiben, ist uns im Rückblick<br />

auf die Zeit des dritten Direktors des Schnütgen-<br />

Museums Ansporn und Auftrag. Dies besonders jetzt,<br />

da das erneuerte Museum Schnütgen kurz vor seinem<br />

100jährigen Jubiläum und nach „…den langen Jahren, als<br />

ich noch auf eine Befriedigung der Raumverhältnisse unseres<br />

Domizils gehofft habe…“ endlich jene Erweiterung<br />

der Ausstellungsfläche und grundlegende Verbesserung<br />

aller Arbeitsumstände erreichen wird, um die Anton Legner<br />

in seiner ganzen Amtszeit gerungen hat.<br />

In seiner Abschiedsrede hat er vielen Institutionen und<br />

vielen Menschen gedankt, darunter auch „...den Studiosi<br />

in Münster und Köln, die so viel zum fruchtbaren Gedankenaustausch<br />

beigetragen haben“. Zu diesen Studiosi gehörte<br />

1971 auf 1972 an der Münsteraner Universität auch<br />

die Unterzeichnende, die damals kurz vor der Promotion<br />

– und in Verfolgung eines letzten noch fehlenden Scheines<br />

in Kunstgeschichte – um Aufnahme in ein Seminar über<br />

spätgotische Kleinplastik gebeten hatte. Es wurde von<br />

einem neuen Lehrbeauftragten und späteren Honorar-


professor (1975) aus Köln angeboten. Von Anton Legner<br />

trotz des fortgeschrittenen Semesters noch freundlich<br />

aufgenommen, wurde die Kandidatin mit den anderen<br />

Studierenden zu einer sehr direkten Sehweise auf Kunstwerke<br />

herausgefordert, die keineswegs im Zentrum des<br />

Interesses standen. Dass aber im behutsamen und oft<br />

auch provokativen Betrachten und Besprechen dieser<br />

Kleinkunstwerke mehr über das Wesen von Skulptur zu<br />

lernen war, als in manchen Hörsälen und Handbüchern,<br />

das haben viele ‚Studiosi‘ Anton Legner zu danken; nachzulesen<br />

ist das auch jenseits der Spätgotik in seinem Buch<br />

Deutsche Kunst der Romanik von 1982.<br />

Auch auf anderen Feldern haben seine eigene Neugier,<br />

seine Begeisterung und sein schalkhaft-sokratisches Fragen<br />

sich in Erkenntnisse und Taten verwandeln lassen.<br />

Anton Legner konnte nämlich nicht nur bei den ‚Studiosi‘,<br />

sondern auch im Gespräch mit Entscheidungsträgern<br />

aus Wissenschaft und Kunst, Politik und Finanzwelt seine<br />

ureigenen Gedanken und Projekte durch eben dieses<br />

Fragen den Gesprächspartnern so überzeugend als deren<br />

Ideen wieder entlocken, dass sie dann mit ihm gemeinsam<br />

die Realisierung als selbstverständlich ansahen.<br />

Dies alles geschah unter Einsatz eines nicht unbeträchtlichen<br />

Temperamentes, mit gelegentlicher Neigung zur<br />

Explosivität, immer aber gepaart mit einer nie verbissenen,<br />

jedoch umwerfend beharrlichen Zähigkeit bei<br />

der Verfolgung einmal gesteckter Ziele. Diese Begabung<br />

hat große Gemeinschaftsleistungen ermöglicht, wie es<br />

die beispielgebenden Mittelalterausstellungen zwischen<br />

1972 und 1985 mit Rhein und Maas und Ornamenta Ecclesiae<br />

samt ihren handbuchartigen Katalogen gewesen sind.<br />

Im Zentrum stand neben Monumenta Annonis 1975 vor<br />

nun 30 Jahren die unvergessliche Parlerausstellung von<br />

1978. Mit ihr hat Anton Legner im Bewusstsein seiner böhmischen<br />

Ursprünge neben der gesamteuropäischen Versammlung<br />

großartiger Kunstwerke auch Energieströme<br />

und Austauschmöglichkeiten zwischen Kolleginnen und<br />

Kollegen in europäischen Regionen eröffnet, die damals<br />

Abb. 2: Anton Legner mit Bundespräsident Gustav Heinemann<br />

bei der Eröffnung der Ausstellung Rhein und Maas, 1972.<br />

noch weit entfernt von ungehinderter Kommunikation<br />

waren. Damit gewann dieses Ereignis von der Vorbereitung<br />

bis zur Eröffnung eine Brisanz und ein Befreiungspotential,<br />

die heute, eine Generation ,danach‘ für viele<br />

Jüngere kaum noch vorstellbar sind.<br />

Ausstellungen, Lehre und Publikationen, ja schon die Art<br />

der Umgestaltung der Cäcilienkirche 1977 wurden zunehmend<br />

beherrscht von einem immer wichtiger werdenden<br />

Thema, den Reliquien und ihrer „Verehrung und Verklärung“.<br />

Hier hat Anton Legner in immer größer gezogenen<br />

Kreisen den essentiellen Zusammenhang von Kunst, Kult<br />

und der „Präsenz des Irrealen“ zur Darstellung gebracht.<br />

Das Thema hat ihn auf vielen Reisen mit seiner Frau quer<br />

durch Europa, von der Spätantike bis in die Neuzeit geführt.<br />

Nach Rheinische Kunst und das Schnütgen-Museum 1991, Heilige<br />

und Reliquien 1995 und Kölner Heilige und Heiligtümer<br />

2003 ist, so hört man, wieder ein Buch in Arbeit.<br />

„…Demut im Sinn und eifriges Forschen und ruhiges Leben…“<br />

ermöglichen eine solche Lebensleistung. Und „…<br />

dass die Abgeschiedenheit … und ein Ort, wo es keine<br />

Kritiker gibt, und die tiefste Stille und Ruhe beim Schreiben<br />

am besten tun, das wird niemand bezweifeln…“.<br />

In die Stille, die Anton Legner so mit Bernhard von Clairvaux<br />

und Quintilian beschworen hat, sollen, aus dem<br />

Kreis der Kölner Museen wie ein „…Glockenklang von St.<br />

Cäcilien…“ herzliche Grüße und Glückwünsche hinein<br />

klingen, die für den Jubilar weiteres segenreiches Schaffen<br />

erhoffen mit dem weiten, lichten Blick, der in seinen<br />

Büchern erlebbar wird, und damit jene inspirierte Schau<br />

auf Kunst und Kult, die nicht nur für Anton Legner zeitlos<br />

zeitgemäße Gegenwart ist.<br />

Autorin:<br />

Prof. Dr. Hiltrud Westermann-Angerhausen<br />

Direktorin des Museums Schnütgen Köln<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

45


Spaziergang<br />

durch die<br />

Kinder für die wunderbare Welt<br />

der Kunst zu begeistern, ist unser<br />

Anliegen! Wir zeigen und erklären<br />

berühmte Gemälde und Skulpturen,<br />

aber auch, wie ein Trickfilm entsteht<br />

oder sich ein Sinfonieorchester<br />

zusammensetzt. Kunst ist spannend,<br />

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Auf dem Boden bleiben…<br />

von Horst Mauke<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

48 WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

Fußböden werden begangen, belaufen, abgenutzt,<br />

ausgewechselt. Sie sind oft der<br />

meist strapazierte teil eines Bauwerks, und<br />

beim auswechseln wird der alte Boden entsorgt.<br />

So ist denn ein linoleumteppich, mit<br />

teppichrahmung und Mustern bedruckt,<br />

eine der raren Kostbarkeiten des Kölnischen<br />

Stadtmuseums aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.<br />

im Mittelalter war die Situation<br />

nicht anders. Mittelalterliche Fliesen, deren<br />

herkunft wir kennen, sind daher ein interessantes<br />

untersuchungsobjekt.<br />

die frühen Fliesen der Katholischen Pfarrkirche<br />

St. aposteln zu Köln<br />

1965/66 wurden bei der Erneuerung des Drainagesystems<br />

an der Nordseite des Westturms der Kirche St.<br />

Aposteln gestempelte, stark abgelaufene Fliesen gefunden<br />

(Abb.1-3). 1 Die unglasierten, schrägkantigen Fliesen<br />

sind aus rotem, grob gemagerten Ton und teils grau bis<br />

schwarz gefärbt. Unter den 585 Fliesen befinden sich vier<br />

Stücke mit einem eingeprägten, nach rechts gewandten,<br />

geflügelten Drachen, weitere sechs zeigen einen Stern<br />

aus vier Spitzovalen, in die Diagonale gestellt im quadratischen<br />

Rahmen. Alle übrigen Fliesen sind leider soweit<br />

abgelaufen, dass ihr Muster nicht mehr zu erkennen ist.<br />

Die Fliesen haben die Abmessungen 8,0 x 8,0 cm bei einer<br />

Höhe von 1,8 bis 2,0 cm, zum Teil sind noch Reste weißer<br />

Engobe sichtbar.<br />

Der Baubefund von St. Aposteln (Abb. 12) lässt drei wesentliche<br />

Bauepochen erkennen. Die erste umfasst den<br />

Bau der Krypta und den spätottonischen Gründungsbau<br />

vom ersten Drittel des 11. Jahrhunderts. Als Fußbodenbelag<br />

diente ein Mörtelestrich mit Ziegelsplittzusatz.<br />

Die zweite Bauperiode im 12. Jahrhundert erbrachte die<br />

Erneuerung der Stützen im Krypta-Ostabschnitt und die<br />

Einbringung eines neuen Fußbodens mit Plattenbelag.<br />

Die dritte Bauperiode folgte 1643/44. 2 Der in der zweiten<br />

Periode verlegte Fußboden ist vermutlich nicht mit dem<br />

Boden der Bilderfliesen identisch; diese dürften um 1230<br />

verlegt worden sein. Es handelt sich hier um die frühesten<br />

Bilderfliesen in einer Kölner Kirche. 3 Später wurden nur<br />

noch größere Fliesen hergestellt, ihre Maße wechselten<br />

je nach Zeit zwischen 12,5 x 12,5 cm und 13,5 x 13,5 cm.


Abb. 1: Fliese von St. Aposteln, Köln mit Abbildung eines<br />

geflügelten Drachen, KSM 2001/593 a.<br />

Abb. 2: Gelbfarbige Fliese von St. Aposteln Köln mit Abbildung<br />

eines Sterns aus vier Spitzovalen in die Diagonale gestellt,<br />

KSM 2001/593-5.<br />

Abb. 3: Graufarbige Fliese von St. Aposteln, Köln<br />

(wie vorstehend), KSM 2001/593-6.<br />

Abb. 4: Ockerfarbige mit dem Modell geprägtes Blütenornament<br />

von Margarethenkloster, Köln, RGM 80, 1401.<br />

Abb. 5: Anthrazitfarbige Fliese mit gestempelten Blütenornamenten<br />

vom Margarethenkloster, Köln, KSM 2001/593-7.<br />

Abb. 6: Fliese von St. Aposteln, Köln mit hochrot gebranntem<br />

Split, KSM 2001/593-24.


50<br />

Bei Ausgrabungen am Margarethenkloster in Köln, der<br />

Margarethenkapelle, wurden fast 60 Fliesen gefunden.<br />

Sie lagen eingebettet in groben Kalkmörtel und Ziegelsplitt<br />

an ihrer ursprünglichen Stelle (Abb. 7). Die Farben<br />

der Fliesen wechseln von anthrazit bis ockerfarbig. Die<br />

unglasierten, sich nach unten verjüngenden Fliesen (8,5<br />

x 8,5 cm) tragen ein mit einem Model geprägtes oder<br />

Abb. 8: Fliese von St. Aposteln, Köln, mit Rissen durch<br />

Fremdkörpereinschluss, KSM 2001/593-222.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

Abb. 7: Fliesenboden der Margarethenkapelle in situ.<br />

ein gestempeltes Blütenornament (Abb. 4 und 5). Von<br />

einem drei Zentimeter großen Mittelkreis strebt in jede<br />

der vier Ecken ein Blütenblatt, das mit einem lilienartigen<br />

Ornament gefüllt ist. 4 Im Kölnischen Stadtmuseum und<br />

im Römisch-Germanischen Museum befinden sich solche<br />

Fliesen, 5 auch das Erzbischöfliche Diözesan-Museum Kolumba<br />

besitzt zwei derartige Stücke. 6<br />

Abb. 9: Fliese von St. Aposteln, Köln, mit schwarzen Flecken<br />

durch Umwandlung von organischen Stoffen, KSM 2001/593-9.


Für die Fliesenherstellung wurden überwiegend fette<br />

Tone verwandt. Durch Beimischung von Sand verschiedener<br />

Körnung wurde eine verringerte Schwindung beim<br />

Brennen, größere Festigkeit und Formbeständigkeit<br />

erreicht und das Reißen des Scherbens beim Brand vermieden.<br />

Immer scheint das jedoch nicht gelungen zu sein,<br />

wie die oft längs- und querverlaufenden Risse an den Fliesenseiten<br />

zeigen. Sternförmige beim Brand entstandene<br />

Risse lassen grobkörnige Einschlüsse vermuten (Abb. 8).<br />

Die beigemischte Schamotte, zerkleinerte Scherben aus<br />

Ausschussware, auch als Ziegelmehl bezeichnet, erhöht<br />

die Härte und Haltbarkeit und ist meist als hochrot gebrannter<br />

Split zu erkennen (Abb. 6). Die Vorbereitung des<br />

Tons zur Fliesenherstellung ist die gleiche wie die zur Herstellung<br />

von Gebrauchskeramik. Der gegrabene Ton wird<br />

einem mehrmonatigen Faulprozess ausgesetzt, bei dem<br />

sich eingeschleppte Pflanzenteile und organische Stoffe<br />

zersetzen. Anschließend wird der Ton durch Wässern<br />

und Schlämmen gereinigt, gemagert und geknetet, um<br />

Luftblasen zu entfernen. Noch verbliebene Unreinheiten<br />

durch pflanzliche Bestandteile im Scherben wandeln sich<br />

beim Brand in Kohlenstoff um und hinterlassen schwarze<br />

Flecken (Abb. 9).<br />

Fliesen, verschiedenfarbig, rötlich bis grau und schwarz,<br />

können zur gleichen Zeit im gleichen Ofen gebrannt worden<br />

sein. Entsprechend dem Anteil des Restsauerstoffs im<br />

Feuer – Oxidations- oder Reduktionsbrand – entwickelt<br />

sich die Färbung. 7 Fliesen und Gebrauchskeramik wurden<br />

oft im selben Ofen gleichzeitig gebrannt. 8<br />

Für den Formgebungsprozess wurde der Ton in vorbereitete,<br />

nach unten leicht konisch zulaufende Rahmen gestrichen<br />

und deren Oberfläche geglättet. Die Unterseite<br />

Abb. 10: Fliese von St. Aposteln, Köln mit weißer Engobe<br />

und sichtbarer Eintauchtiefe, KSM 2001/593-5.<br />

blieb meist rauh und unbearbeitet. Das Herausnehmen<br />

des Rohlings aus der Holzform gestaltete sich durch die<br />

vorgegebene Schräge der Fliesenseiten unproblematisch.<br />

In die angetrocknete Fliese, noch im Formkasten, wurde<br />

mit einem Model – vermutlich aus wenig fasrigem Holz –<br />

das Muster eingestempelt. Von diesem Model konnten<br />

dann beliebig viele Tonmodel abgenommen werden. Die<br />

flache Prägung der Fliese von einer Rillenbreite bis zu 1,5<br />

mm wurde mit weißem Pfeifenton ausgefüllt oder in einen<br />

Tonschlicker, einem aus sehr fein geschlämmten, mit<br />

Wasser flüssig gemachten und durch Farbzusätze getönten<br />

Tonbrei, der so genannten Engobe, getaucht. Die Eintauchtiefe<br />

im Tonschlicker ist noch an einem Absatz an<br />

den Fliesenseiten sichtbar. Der heruntergelaufene Tropfen<br />

entsteht beim Umstürzen des getauchten Gutes (Abb. 10).<br />

Das Einsetzen der Platten in den Ofen dürfte vor dem Einbringen<br />

der übrigen Gebrauchskeramik erfolgt sein. Bei<br />

einer Temperatur von etwa 170°C im Brennofen verdunstet<br />

das im normalen Trocknungsprozess nicht entfernte<br />

hygroskopisch gebundene Wasser. Den nächsten Schritt<br />

erreicht man bei ca. 400°C. Jetzt wird das chemisch gebundene<br />

Wasser abgegeben. Dieser Vorgang ist bei einer<br />

Temperatur von mehr als 700°C abgeschlossen. Erst ab<br />

1000°C beginnt der Sinterungsprozess, einzelne Bestandteile<br />

beginnen zu schmelzen. Der Brennvorgang ist bei<br />

1200°C bis 1250°C beendet. Der Scherben ist nun völlig<br />

verdichtet, er ist wasserundurchlässig, ritz- und säurefest.<br />

Wir haben also Steinzeug vor uns.<br />

Die Fliesen mussten dick genug sein, so dass sie sich im<br />

Brand nicht wölbten und die späteren großen Belastungen<br />

aushielten. Die Schrägen der Fliesen ermöglichten ein fast<br />

fugenfreies Verlegen in einem Mörtelbett (Abb. 11). 9<br />

Abb. 11: Fliese von St. Aposteln, Köln, mit Mörtelrest,<br />

KSM 2001/593-16.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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52<br />

Es wurde angenommen, dass die kölnischen Fliesen der<br />

Margarethenkapelle aus Urbar im Landkreis Koblenz<br />

stammen, denn 1906 sollen Fliesen gleichen Musters bei<br />

Ausgrabungen in Urbar zum Vorschein gekommen sein. 10<br />

Allerdings wurden bei späteren Grabungen keine weiteren<br />

Fliesenscherben aufgefunden. 1958 wurden in der<br />

Gemarkung Urbar in der Höhe des Kanuheims, etwa 40<br />

Meter ostwärts der Bundesstraße 42 bei Ausschachtungsarbeiten<br />

drei mittelalterliche Töpferöfen angeschnitten.<br />

Die Brennstellen liegen in dem von Osten nach Westen<br />

zum Rhein abfallenden Gelände, etwa 20 Meter ostwärts<br />

der nach Urbar führenden alten Straße. In den Töpferbrennstellen<br />

lagerten eine große Anzahl mittelalterliche<br />

Gefäßscherben, mit Schlacke und Brennschutt durchsetzt.<br />

11 Der oberhalb des Töpfergebietes liegende Garten,<br />

ein Grundstück am Rheineck, zeigt terrassenartige, jetzt<br />

wieder zugewachsene Abstufungen. Vermutlich wurde<br />

hier einmal Ton abgebaut, worauf auch der frühere Name<br />

„Ton Kaule“ schließen lässt. 12<br />

Die Bodenfliesen aus dem ehemaligen Dominikanerkloster<br />

zu Koblenz 1250/60 sind unglasiert: Ritter zu Pferd<br />

(14,0 x 14,0 cm), Hirsch (14,2 x 14,2 cm) und Fliesen mit<br />

einer Lilienblüte über einem Viertelkreis (12,3 x 12,3 cm)<br />

wurden nachweisbar in Worms hergestellt. 13<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

Abb. 12: St. Aposteln von Nordwesten. Photo um 1900,<br />

Graphische Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums.<br />

Es ist zu vermuten, dass Fliesen immer rheinabwärts<br />

geliefert wurden. Um die Herkunft der Kölner Fliesen zu<br />

ermitteln, wurden von Prof. Dr. Hans Mommsen Untersuchungen<br />

im Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik<br />

der Universität Bonn vorgenommen. Die Fliesen<br />

aus der Margarethenkapelle im Römisch-Germanischen<br />

Museum (Inv.-Nr. 80, 1401; teils rot, teils graufarbig) waren<br />

in der Tonzusammensetzung unterschiedlich. Verglichen<br />

mit den Fliesen von St. Aposteln konnte auch<br />

keine Übereinstimmung festgestellt werden. Vergleichsuntersuchungen<br />

aus Urbar (Fundorte oberhalb der Proizstraße:<br />

Es wurden 23 Scherben verschiedener Epochen<br />

aus Urbar mit den Fliesen aus Köln verglichen) ergaben<br />

keine Übereinstimmung.<br />

Die Herkunft der Fliesen ist also bis heute nicht sicher zu<br />

ermitteln. Wenn die Erkenntnisse zu allen Kölner Fliesen<br />

ausgewertet werden, ergibt sich eine Übereinstimmung<br />

mit einem bekannten Muster aus Brühl-Pingsdorf. Diese<br />

Herkunft ist jedoch leider nicht mit Sicherheit beweisbar.<br />

14 Es heißt also auch hier wieder „auf dem Boden<br />

(der Tatsachen) zu bleiben“ und zu ertragen, dass mehr<br />

Sicherheit nicht zu gewinnen, kein „sicherer Boden“ wissenschaftlich<br />

zu erreichen ist.


Feet firmly on the Ground...<br />

Glazed or unglazed tiles with more or lesse decoration,<br />

animals or pure ornaments, have been<br />

common in Cologne as elsewhere in europe from<br />

roman times to the present. uncommon are the<br />

excavations of high medieval tiled floors as in<br />

happened in Cologne twice in the second half of<br />

the 20th century. in 1965/66 nearly 600 tiles from<br />

about 1230 were found during constructionwork<br />

near the norther wall of the dominant western tower<br />

of the former collegiate church st. Aposteln,<br />

the earliest decorated tiles found up to today in<br />

situ in Cologne. near the cathedral another 60<br />

decorated tiles were found in the early eighties as<br />

former floor of the chapel st. Margarethen, again<br />

from about 1230.<br />

Horst Mauke has spent much time in research<br />

on the origin of these tiles. A first hint, that they<br />

might have been produced near Koblenz, had<br />

to be excluded. the material analysis of the clay<br />

used for the tiles showed that the tiles have no<br />

common origin, but that both lots have probably<br />

been produced in the "Vorgebirge", a production<br />

area of pottery since early mediveal times some<br />

10 kilometers south from the medieval walls of<br />

Cologne.<br />

Anmerkungen<br />

1 Die als Raubgrabung geborgenen Fliesen wurden dem Kölnischen<br />

Stadtmuseum erst später angeboten (Dr. Werner Jüttner †). Angaben<br />

über den Ankauf liegen nicht vor.<br />

2 A. Mann: Die Krypta von St. Aposteln in Köln. Bericht über die<br />

Fliesen, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 31/32 (1957)<br />

11-31. – C. Koenen: Gotische Töpferei bei Urbar, in: Bonner<br />

Jahrbücher 114/115 (1906) 339-343. – G. Stracke: Köln. St. Aposteln,<br />

Stadtspuren Bd. 19 (Köln 1992).<br />

3 Auskunft von Dr. Eleonore Landgraf, Duisburg.<br />

4 S. Seiler: Ausgrabungen am Margarethenkloster in Köln. Die<br />

Margarethenkapelle, in: Kölner Jahrbuch 20, 1987, 201-218.<br />

5 Inv.-Nr.: KSM 2001/593 (Nachinventarisierung). Die Herkunft ist<br />

nicht bekannt.<br />

6 Inv.-Nr.: E 32 a+b, Kat. Nr. 76.<br />

7 Zwei Fliesen der Margarethenkapelle wurden in der Fachhochschule<br />

in Höhr-Grenzhausen nachgebrannt. Die Brenntemperatur<br />

betrug ca. 1220°C, die Brenndauer acht Stunden. Die Untersuchung<br />

durch D. J. Wolf Matthes ergab einen hellen Scherben, offensichtlich<br />

sehr stark gemagert; die Magerung, Quarzsand aber auch Körnung<br />

von rot- bis schwarzbraun und glänzend. Die Stücke zeigen eine<br />

deutliche geschichtete Formgebungsstruktur im Bruch.<br />

8 W. Lung: Die Ausgrabung nachkarolingischer Töpferöfen in<br />

Paffrath, Gemeinde Bergisch Gladbach, in: Bonner Jahrbücher<br />

155/156 (1955/56) 355-387.<br />

9 Versuche ergaben einen Mörtel, der aus 30% Kalk- und 70%<br />

Sandanteil besteht. Die Körnung betrug 1-10 mm. Der Anteil der<br />

feinen Körnung überwog jedoch. Herzlichen Dank Franz Schimschak,<br />

Köln, der mich bei diesen Untersuchungen unterstützte.<br />

10 Vgl. Koenen (Anm. 2) und Seiler (Anm. 4). Oberkonservator Dr.<br />

Axel von Berg, Koblenz, konnte mir keine Auskunft über einen<br />

Fliesenfund in Urbar geben. In den Depots von Koblenz befinden sich<br />

keine Fliesen oder Fliesenreste davon.<br />

11 Grabungsbericht Mbl Nr. 5611 Koblenz Fo. Urbar, Koblenz Land<br />

1958, Fundnummer 834.<br />

12 Herzlichen Dank der Familie Dr. Erwin Hoffecker für die<br />

Unterstützung meiner Untersuchungen.<br />

13 Freundliche Mitteilung von Dr. Mario Kramp, Koblenz.<br />

Ich danke: Frau Dr. Eleonora Landgraf, Duisburg, für die Anregungen<br />

zu diesem Bericht, Herrn Dr. Matthias Riedel (†) vom Römisch-Germanischen<br />

Museum Köln, für die gute Zusammenarbeit, Herrn D. J.<br />

Wolf Matthes, Leutersdorf, für die durchgeführten Brennversuche in<br />

Höhr-Grenzhausen, Herrn Dr. Axel von Berg, Koblenz, für die<br />

Überlassung der zu untersuchenden Urbarer Scherben, Herrn Prof.<br />

Dr. Hans Mommsen, Bonn, für die unbürokratisch ermöglichten<br />

wissenschaftlichen Untersuchungen, Frau Dr. Elsa Hähnel, Rheinisches<br />

Freilichtmuseum Kommern, für ihre hilfreiche Vermittlungstätigkeit,<br />

Frau Dr. Ingeborg Unger, Kempen, für die Durchsicht des<br />

Berichts, Herrn Dr. Werner Schäfke, Köln, für die Unterstützung<br />

meiner Arbeit.<br />

Autor:<br />

Horst Mauke, Köln<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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54<br />

römische spardosen aus Köln<br />

von Constanze Höpken<br />

Spardosen sind aus rom und vielen Provinzen<br />

des römischen reiches bekannt – auch<br />

aus Köln. unklar ist indes ihre lateinische<br />

Bezeichnung. nach Plautus’ Komödie ‚aulularia‘,<br />

in der es um einen Münzschatz in einem<br />

topf geht, wurde vorgeschlagen, die Begriffe<br />

‚aululae‘ oder ‚aululariae‘ könnten Spardosen<br />

bezeichnen. Wenn römische Münzschätze<br />

gefunden werden, liegen sie meist in einfachen<br />

töpfen. Spardosen sind hingegen fast<br />

immer leer. Welche Funktion hatten die in<br />

Köln gefundenen Stücke dann? 1<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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Sparten die Menschen schon in der antike Geld<br />

in Spardosen?<br />

Sparen setzt voraus, dass im Alltag Geld übrig blieb,<br />

das der Zirkulation entzogen werden konnte. Zu Beginn<br />

eines Sparerdaseins waren es wohl geringe Werte – große<br />

Bronzemünzen – und erst Stück für Stück wertvollere und<br />

kleinformatigere Münzen. Und dann, ab in die Spardose?<br />

Römische Spardosen finden sich selten mit Münzinhalt,<br />

beispielsweise in Pompeji oder Lincolnshire. Sind die in<br />

Köln gefundenen Behälter mit eingeschnittenem Schlitz<br />

(Abb. 1) tatsächlich Spardosen gewesen?<br />

Durch Funde in Pompeji und Herculaneum ist bekannt,<br />

dass im Atrium reicher Häuser auf dem Boden festgedübelte<br />

Truhen standen, in denen Wertsachen aufbewahrt<br />

wurden. Kleine Beträge, vielleicht persönliche Barschaft,<br />

fand Platz in Kästchen mit Schiebedeckel, den loculi<br />

(Abb. 2). 2 Für den täglichen Bedarf hatte man Armreifgeldbörsen<br />

(Abb. 3) und vor allem einfache Geldbeutel<br />

aus Stoff oder Leder, die sich nur selten erhalten haben.<br />

Das Geld konnte aus diesen Behältnissen einfach wieder<br />

entnommen werden. Anders die Spardose: Einmal im<br />

Behälter, blieb das Geld darin, bis dieser meist gewaltsam<br />

geöffnet bzw. zerschlagen wurde.<br />

Spardosen waren im gesamten Römischen Reich verbreitet<br />

und treten meist als Einzelstücke in Siedlungszusam-


menhängen 3 , in Gräbern 4 oder Heiligtümern 5 auf. Sie<br />

sind aus verschiedenen Materialien überliefert – manchmal<br />

recht schlicht aus Ton, manchmal reich dekoriert<br />

auch aus Metall, zur Zierde sichtbar aufgestellt (Abb. 5).<br />

Hier zeigen insbesondere die in Pompeji gefundenen<br />

truhenförmigen Exemplare einen engen Bezug zur privaten<br />

Geldaufbewahrung. Andere besitzen eine Aufschrift,<br />

die sie als Neujahrsgeschenke und Glücksbringer<br />

ausweisen. 6 Viele metallene Sparbüchsen tragen Statuetten,<br />

wie sie auf den privaten Hausaltären, den Lararien,<br />

zu finden sind. 7 Daher ist anzunehmen, dass Spardosen<br />

in Hausschreinen aufgestellt waren und die Möglichkeit<br />

boten, eine Münze zu opfern statt Weihrauch in einer<br />

Räucherschale zu verbrennen.<br />

Neben den verzierten Spardosen gab es auf der Töpferscheibe<br />

gedrehte einfache Behälter (Abb. 1). Sie sind<br />

die direkten Vorgänger schlichter mittelalterlicher und<br />

neuzeitlicher Spardosen 8 und wurden in verschiedenen<br />

Keramikarten hergestellt. Mal sind sie fein gemagert<br />

und glattwandig, mal grob gemagert und rauwandig,<br />

seltener poliert und reduzierend schwarz gebrannt. 9<br />

Die Warenart hatte offenbar keinen Einfluss auf die Ver-<br />

Abb. 1: In Köln gefundene römische Spardosen,<br />

Römisch-Germanisches Museum Köln.<br />

wendung; zudem macht ihre beliebige Auswahl deutlich,<br />

dass diese Spardosen nicht als Dekoration aufgestellt<br />

wurden, sondern Gebrauchsgegenstände mit kurzer Lebensdauer<br />

waren.<br />

In Köln wurden zahlreiche sehr unterschiedliche Spardosen<br />

dieses einfachen Typs gefunden (Abb. 1). Unter<br />

ihnen fallen insbesondere zwei Gruppen von gleichförmigen<br />

glattwandigen Exemplaren auf, die wohl jeweils<br />

von gleicher Hand gefertigt sind (Abb. 4): relativ große,<br />

schlanke 10 und mittelgroße, kugelige mit dickem Boden.<br />

11 Wegen ihres cremefarbenen und fein gemagerten<br />

Scherbens, der charakteristisch für Kölner Keramik<br />

ist, handelt es sich um lokale Erzeugnisse.<br />

Die drei größeren stammen aus Gräbern an der Luxemburger<br />

Straße; ihr Spiegel – die Oberseite, in die der<br />

Münzschlitz eingeschnitten war – ist tief eingewölbt. Der<br />

benachbarte Fundort aller drei Exemplare und das Fehlen<br />

dieser Form in den anderen Gräberfeldern im Norden und<br />

Süden Kölns sprechen dafür, eine Werkstatt in der Umgebung<br />

der Gräber an der Luxemburger Straße anzunehmen.<br />

Da aus Kölner Töpfereischutt generell nur kleinere Spardo-<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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56<br />

Abb. 2: Loculus, Verschließbares Kästchen aus Bein<br />

zur Aufbewahrung von Münzen,<br />

Römisch-Germanisches Museum Köln Inv. 29,1023.<br />

sen überliefert sind, 12 darf man annehmen, dass die großen<br />

in einer noch unbekannten Töpferei gefertigt wurden.<br />

Auch die mittelgroßen kugeligen Spardosen mit dickem<br />

Boden finden kein Pendant im Spektrum der bekannten<br />

Kölner Töpfereien und wurden demnach ebenfalls in einer<br />

weiteren noch unentdeckten Werkstatt hergestellt.<br />

Der Standort kann nicht ohne weiteres rekonstruiert<br />

werden: Zu verstreut sind diese Spardosen in den Kölner<br />

Gräberfeldern. Ein Exemplar stammt aus einer Grablege<br />

am Severinswall, ein weiteres soll in der Rosenstraße oder<br />

Abb. 6: Große Spardosen aus Apulum,<br />

Muzeul National al Unirii Alba Iulia.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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Abb. 3: Bronzene Armreifgeldbörse aus Osterburken,<br />

Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg.<br />

Follerstraße gefunden worden sein – also wiederum im<br />

Gräberfeld um St. Severin im Kölner Süden. Das dritte<br />

Stück stammt aus einem Grab an der Luxemburger Straße,<br />

und von der vierten Spardose ist lediglich bekannt,<br />

dass sie in einem Kölner Grab lag. Damit kann der Produktionsort<br />

geographisch nicht deutlich eingeschränkt werden,<br />

wenn auch einiges für eine Lokalisierung der produzierenden<br />

Werkstatt im Kölner Süden spricht.<br />

Es ist auffällig, dass viele der Kölner Spardosen aus Gräbern<br />

stammen. Und immer sind sie leer, in der Regel<br />

oben aufgehebelt, das Geld entnommen. Aber auch<br />

die Gräber, in denen sie gefunden wurden, enthalten<br />

selten Münzen. Eine Ausnahme bildet ein Grab des 4.<br />

Jahrhunderts an der Luxemburger Straße. 13 Dem in<br />

einem Sarg bestatteten Toten waren viele wertvolle<br />

Beigaben für die Reise ins Jenseits in das<br />

Grab mitgegeben worden. Außer Keramik- und<br />

Glasgefäßen, Gegenständen zur Schönheitspflege<br />

und anderem Kleingerät gehörten hierzu<br />

auch eine Spardose und 22 Münzen. Die Münzen<br />

befanden sich aber nicht, wie zu erwarten wäre, in<br />

der Spardose, die aufgebrochen zu Füßen des Toten


Abb. 4: Römische Spardosen aus Köln,<br />

Römisch-Germanisches Museum Köln.<br />

stand. Statt dessen waren sie am Kopf des Toten niedergelegt.<br />

Dieser Fund macht deutlich, dass die Spardosen<br />

im Grab nicht als Behälter oder symbolischer Ersatz für<br />

Geld dienen sollten, sondern dass ihnen eine andere Bedeutung<br />

zukam.<br />

Vielleicht fanden durch Aufhebeln unbrauchbar gewordene<br />

Spardosen, ähnlich Fehlbränden, im Grab noch als<br />

Beigabe Verwendung. In einem Fall diente die aufgebrochene<br />

Spardose gar als Behälter für den Leichenbrand. 14<br />

Dennoch können sie wohl nicht als wahllose Topfbeigabe<br />

angesehen werden.<br />

Einen Hinweis auf eine mögliche Bedeutung geben<br />

Spardosen aus dem rumänischen Alba Iulia, dem antiken<br />

Apulum (Abb. 6). Dort fanden sich einem Heiligtum<br />

zahlreiche große Spardosen, die allesamt oben aufgehebelt<br />

oder vollständig zerscherbt waren, um sie zu entleeren<br />

– offenbar wurde in ihnen wie bei einer Kollekte Geld<br />

gesammelt, entnommen und folglich wohl auch ausgegeben.<br />

Nachdem sie aufgebrochen oder zerschlagen<br />

waren, wurden sie in Gruben innerhalb des Heiligtums<br />

entsorgt.<br />

Abb. 5: Römische Spardose<br />

in Form einer Bettlerin,<br />

J. Paul Getty Museum,<br />

Los Angeles.<br />

Auch die Kölner Spardosen könnten als Sammelbehälter<br />

gedient und eine Bedeutung im Zusammenhang der<br />

Bestattung gehabt haben: Möglicherweise war für die<br />

Beerdigung Geld im Freundes- und Verwandtenkreis gesammelt<br />

worden – hierauf könnte eine Metallspardose<br />

in Form eines Grabdenkmals hinweisen (Abb. 7) – oder<br />

sie dokumentierten vielleicht die Freigiebigkeit eines<br />

Menschen, der in jede aufgestellte Sammelbüchse einen<br />

Obolus entrichtete. Die einfachen römischen Spardosen<br />

waren also, soweit sich dies durch die Fundkontexte erschließt,<br />

wohl seltener zum langfristigen Sparen und<br />

Aufbewahren von privatem Geld bestimmt, sondern eher<br />

– um Geld für einen bestimmten Anlass zu sammeln – bei<br />

den Spardosen in Gräbern vielleicht für die Beerdigungszeremonie.<br />

Einige der Kölner Spardosen sind jedoch nicht aufgebrochen<br />

worden. Sie sind mit fünf bis sieben Zentimetern<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

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58<br />

Durchmesser sehr viel kleiner als ihre aufgebrochenen<br />

und zerscherbten Gefährten aus den Gräbern (Abb. 8). Ein<br />

Exemplar wurde innerhalb der Stadt an der Hohe Pforte in<br />

einem römischen Keller gefunden, eine andere in der römischen<br />

Villa von Köln Müngersdorf. 15 Bei der dritten ist<br />

der Fundort nicht bekannt. Wieder lassen sich Parallelen<br />

aus dem Heiligtum im rumänischen Alba Iulia/Apulum<br />

heranziehen: Neben den großen Spardosen, die allesamt<br />

aufgebrochen, entleert und fortgeworfen worden waren,<br />

gab es auch kleine nachlässig gefertigte Spardosen, die<br />

oft vollständig intakt waren (Abb. 9). Eine Messung der<br />

eingeschnittenen Münzschlitze ergab, dass umlaufende<br />

Münzen nicht hindurch gepasst hätten. Diese kleinen<br />

Spardosen waren offensichtlich nie dazu bestimmt, Geld<br />

aufzunehmen. Sie waren stattdessen rituell niedergelegt<br />

worden. 16 Entsprechendes ist für die Kölner Spardosen anzunehmen,<br />

denn auch sie sind intakt und leer. Es könnte<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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Abb. 8: Miniaturspardosen aus Köln,<br />

Römisch-Germanisches Museum Köln.<br />

Abb. 7: Römische Spardose in<br />

Form eines Grabdenkmals,<br />

J. Paul Getty Museum, Los Angeles.<br />

sich um Bauopfer handeln, die zum Schutz des Hauses<br />

und vielleicht auch zur Sicherung und Mehrung des Wohlstands<br />

deponiert wurden. Was sie aber letztlich symbolisieren<br />

sollten, entzieht sich heute unserer Kenntnis.<br />

Den einfachen scheibengedrehten Spardosen kam also<br />

je nach Größe eine unterschiedliche Funktion zu: Die<br />

größeren Spardosen dienten der Kollekte, als Sammelbüchse<br />

– in ihnen wurde, für bestimmte gemeinschaftliche<br />

Zwecke kurzfristig Geld gesammelt, das zeitnah<br />

entnommen und wohl oft für ein Fest ausgegeben wurde.<br />

Die kleinen Spardosen, die per se unbrauchbar waren,<br />

hatten hingegen reinen Symbolcharakter und dienten<br />

rituellen Zwecken – als Opfergabe für die Götter. Dass<br />

diese Spardosen aber zum langfristigen Aufbewahren<br />

des privaten Sparpfennigs gedient hätten, ist in keinen<br />

Fall nachgewiesen oder zu vermuten.


oman Moneyboxes from Cologne<br />

roman moneyboxes are known both from rome<br />

itself and from many of the provinces of the empire,<br />

not least from Cologne. they survive in a variety of<br />

materials and forms. A rare kind consists of figurative<br />

or lavishly decorated examples of metal or clay,<br />

which presumably fulfilled decorative purposes in<br />

sites such as lararia. By contrast, the numerous simple<br />

clay moneyboxes turned on the potter’s wheel<br />

received scant regard as objects in use and probably<br />

had a much shorter life. Parallel finds in romania,<br />

from a sanctuary in iulia Apulum, have shown that<br />

large moneyboxes like those found in tombs in Cologne<br />

served as collecting boxes. small moneyboxes,<br />

found in the cellars of roman houses at Cologne, for<br />

example, were kept there as a ritual placements.<br />

Anmerkungen<br />

1 Ich danke M. Kemkes (Rastatt), B. Schneider (Köln), M. Fiedler<br />

(Berlin/Köln) für ihre Unterstützung.<br />

2 H. Graeven: Die thönerne Sparbüchse im Altertum, Jahrbuch<br />

des Kaiserlichen Deutschen Archäologischen Instituts 16, 1901,<br />

188-189. Das abgebildete Stück ist veröffentlicht in: U. Friedhoff:<br />

Der römische Friedhof an der Jakobstraße zu Köln, Kölner<br />

Forschungen 3 (Mainz 1991) Taf. 64.<br />

3 Zum Beispiel G. Behrens: Mainzer Zeitschrift 12/13, 1917/18,<br />

39, Abb. 26.1. – A. Hensen: Eine Spardose aus Wiesloch, Archäologische<br />

Nachrichten aus Baden 59, 1998, 3-6. – S. F. Pfahl: Das<br />

Bruchstück einer tönernen Spardose der Römerzeit, Trierer Funde<br />

und Ausgrabungen in Trier 32, 2000, 38-42.<br />

4 Zum Beispiel R. Pirling: Das Römisch-Fränkische Gräberfeld<br />

von Krefeld-Gellep. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit<br />

B, Fränkische Altertümer im Rheinland 2 (Berlin 1966)<br />

46, Taf. 26.6, Grab 239. – G. Müller: Die römischen Gräberfelder<br />

von Novaesium. Novaesium VII, Limesforschungen 17 (Berlin<br />

1977) Taf. 71. – P. Krebs/A. Schmidt/U. Schoenfelder: Eisenzeitliche<br />

Besiedlungsspuren und ein römisches Gräberfeld in<br />

Meckenheim, in: H. Koschik (Hrsg.): Archäologie im Rheinland<br />

1998 (Köln 1999) 55-57, Abb. 37.<br />

5 Zum Beispiel J. Eingartner/P. Eschbaumer/G. Weber: Der<br />

römische Tempelbezirk in Faimingen-Phoebiana, Limesforschungen<br />

24 (Mainz 1993) 159, Taf. 40.25. – M. Fiedler/C. Höpken:<br />

Spardosen und Miniatur-Spardosen. Neufunde aus dem römischen<br />

Apulum (Rumänien), in: Keramik auf Sonderwegen.<br />

Außergewöhnliche Formen und Funktionen, Beiträge des 37.<br />

Internationalen Hafnereisymposiums, Herne 19.9 bis 25.9. 2004,<br />

Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 44, 2007, 95-99.<br />

6 Vgl. Graeven 1901 (Anm.2 ) 178.<br />

7 Kaufmann-Heinimann: Götter und Lararien aus Augusta<br />

Raurica, Forschungen in Augst 26 (Augst 1998) 168-180. Vgl. auch S.<br />

M. Cheilik: A Roman Terracotta savings bank, American Journal of<br />

Archaeology 67, 1963, 70-71.<br />

8 Vgl. Graeven 1901 (Anm. 2) 160-189.<br />

9 Zur Beschreibung und Bestimmung der Kölner Warenarten<br />

siehe C. Höpken: Die römische Keramikproduktion in Köln, Kölner<br />

Forschungen 8 (Mainz 2005).<br />

10 RGM Köln, Inv. 72,16; 98,608; 98,625.<br />

11 RGM Köln, Inv. L2136; 25,664; 84,1140; 86,3550.1.<br />

12 Höpken 2005 (Anm. 9) 114; 140 mit Abb. 20-035, 22-158,<br />

34-084, 35-055, 35-150, 42-099.<br />

13 Informationen zu dieser Bestattung verdanke ich<br />

D. v. Boeselager.<br />

14 RGM Köln, Inv. 56,448; Norbertstraße 26.<br />

15 Hohe Pforte: RGM Köln, Inv. 84,1215; Müngersdorf, Gebäude IX,<br />

vgl. F. Fremersdorf: Der römische Gutshof in Köln-Müngersdorf,<br />

Römisch-Germanische Forschungen 6 (Berlin/Leipzig 1933) 39, Taf.<br />

33,23; ohne Fundort: RGM Köln, Inv. N 2999.<br />

16 Fiedler/Höpken 2007 (Anm. 5).<br />

Autorin:<br />

Constanze Höpken, Köln<br />

Abb. 9: Miniaturspardosen aus Apulum,<br />

Muzeul National al Unirii Alba Iulia.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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60<br />

„spin(n)et noch lange den Faden<br />

des lebens“<br />

Parzen, Gesundheit und die<br />

Bitte um ein langes leben<br />

von Thomas Blisniewski<br />

die antiken Schicksalsgöttinnen, die Parzen,<br />

sind in der nachantiken Kunst oft beim<br />

Spinnen der lebensfäden für die Menschen<br />

dargestellt worden. Soll ein Mensch sterben,<br />

dann wird der Faden, den Klotho und lachesis<br />

erhalten haben, von atropos durchtrennt.<br />

dies ist ein euphemistischeres todesbild als<br />

das bis ins 18. Jahrhundert übliche Skelett.<br />

Mit der darstellung der Parzen wird seit der<br />

Mitte des 18. Jahrhunderts auch der Wunsch<br />

verbunden, dass sie den Faden noch möglichst<br />

lange spinnen mögen, der Mensch ein<br />

langes leben haben möge. in den Sammlungen<br />

der Kölner Museen haben sich drei<br />

bemerkenswerte, aber wenig beachtete<br />

darstellungen der Parzen auf Werken des 16.<br />

und 19. Jahrhunderts erhalten. Sie sollen in<br />

dieser abhandlung kunsthistorisch und kulturhistorisch<br />

in die Geschichte der Parzendarstellungen<br />

seit dem späten Mittelalter<br />

eingeordnet werden.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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die Parzen – Schicksalsgöttinnen im Wandel<br />

In den Sammlungen der Kölner Museen haben sich<br />

drei interessante Darstellungen der Parzen erhalten.<br />

Die Graphische Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums<br />

– Fondation Corboud besitzt eine lavierte Zeichnung<br />

(Abb. 1), die um 1587 entstanden sein dürfte. 1 Im<br />

Museum für Angewandte Kunst wird ein Böhmischer<br />

Becher aufbewahrt, der, um 1830/ 40 angefertigt, die<br />

drei Göttinnen zeigt (Abb. 2) und zudem die Inschrift:<br />

„Spin(n)et noch lange den Faden des Lebens“ aufweist. 2<br />

Schließlich findet sich im Kölnischen Stadtmuseum,<br />

Graphische Sammlung, eine gezeichnete und gemalte<br />

Urkunde (Abb. 3), die im Jahre 1863 dem Kölner Arzt<br />

Dr. Johann Benedikt Daniel Nückel zum 50. Doktorjubiläum<br />

überreicht wurde. 3<br />

Wer oder was sind aber die Parzen? Die römischen Parzen<br />

sind Schicksalsgottheiten, die in der griechischen Mythologie<br />

Moirai heißen. Klotho (die ‚Spinnerin‘), Lachesis (die<br />

‚Aus-Loserin‘) und Atropos (die ‚Unabwendbare‘) sind ihre<br />

Namen, die meist auch in der lateinischen Dichtung aus<br />

dem Griechischen übernommen werden, die lateinischen<br />

Namen Nona, Dicima oder Decuma und Morta sind – vor<br />

allem in der nachantiken Dichtung – kaum anzutreffen.<br />

Die Schwestern, je nach Überlieferung, Töchter der Nacht<br />

(Nyx) oder der Themis, sind Geschwister von Schlaf (Hypnos)<br />

und Tod (Thanatos), die meist als spinnende Frauen<br />

dargestellt werden. 4 Der Faden, den Klotho aus Rocken<br />

oder Kunkel zieht, wird von Lachesis weitergesponnen<br />

und schließlich von Atropos mit der Hand, den Zähnen<br />

oder einer Schere durchtrennt. Das Zertrennen des Fadens<br />

ist der Moment des Todes eines Menschen.


Abb. 1: Umkreis Hendrik Goltzius, um 1587, Feder in Grau,<br />

grau laviert, 14,9 x 16,8 cm, Wallraf-Richartz-Museum &<br />

Fondation Corboud, Graphische Sammlung, Alter Bestand,<br />

Inv.-Nr. Z 4093.<br />

In der griechischen und römischen Mythologie gibt es<br />

zahlreiche Varianten und auch Widersprüchliches. So<br />

können z.B. Aufenthaltsort der Parzen oder auch ihr Alter<br />

variieren. Mal leben sie in der Unterwelt bei Pluto und<br />

Proserpina, mal halten sie sich in den himmlischen Sphären<br />

auf. Oft sind die Schwestern in der nachantiken Kunst<br />

zugleich Symbole für die Lebensalter des Menschen, wobei<br />

Klotho meist die Jüngste ist, da sie den Faden beginnt.<br />

Atropos ist dann die Älteste, da der Mensch – im besten<br />

Falle im Alter – stirbt. Aber es gibt auch (etwa Platon, Politeia<br />

X.616 ff.) die Konstruktion, dass Klotho die älteste<br />

der Schwestern ist. Hier liegt der Gedanke zugrunde, dass<br />

bei der Geburt eines Menschen der Faden bereits gesponnen<br />

ist, also die entsprechende Handlung in der Vergangenheit<br />

geschah. Folglich ist Atropos die Jüngste, weil<br />

ihr todbringendes Tun erst in der Zukunft erfolgen wird. 5<br />

Nach Hesiod (Theogonie 218) teilen die Parzen den Menschen<br />

auch das Gute und Schlechte im Leben zu, bestimmen<br />

also nicht nur über die Länge des Lebens, sondern<br />

auch über die Qualität. Es ist noch zu erwähnen, dass die<br />

Parzen zwar in vielen Mythen und Dichtungen erwähnt<br />

werden, dass es aber keine Mythen gibt, in denen sie die<br />

Hauptakteurinnen wären. Ihre Rolle ist dennoch nicht<br />

zu unterschätzen, da sie über Leben und Tod herrschen.<br />

Dem Spruch der Moirai sind – jedenfalls in der Frühzeit,<br />

etwa bei Homer – selbst die Götter und sogar Zeus unterworfen.<br />

Da die altitalischen Parcae ursprünglich auch<br />

Geburtsgöttinnen waren, wirkt ihre Macht noch existenzieller,<br />

denn sie umfasst das gesamte menschliche Leben<br />

vom Augenblick der Geburt bis zum Zeitpunkt des Todes.<br />

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Das Spinnen, bis ins späte 18. Jahrhundert überall eine<br />

alltägliche Verrichtung, symbolisierte seit der Antike die<br />

Vergänglichkeit menschlichen Lebens. In allen sozialen<br />

Schichten wurden diese Arbeit verrichtet, doch unter unterschiedlichen<br />

Vorzeichen. Was wohlhabenden Frauen<br />

Zeitvertreib am Abend war, diente armen ganztags als<br />

mühevoll-kärglicher Broterwerb. Dies spiegelt sich beispielsweise<br />

im Sprichwort wider: „Spinnen am Morgen<br />

bringt Kummer und Sorgen. Spinnen am Abend erquickend<br />

und labend.“ Das Spinnen ist untrennbar mit weiblicher<br />

Tugendhaftigkeit verbunden, was vermutlich auch<br />

bei der Beurteilung der Parzen seit dem Mittelalter mitschwingen<br />

dürfte. 6 Da die Wolle bzw. der Flachs auf dem<br />

Spinnrocken chaotisch ungeordnet ist, bringt der Vorgang<br />

des Spinnens Ordnung. Die ungeordneten Fasern werden<br />

in eine geordnete und damit beherrschbare Struktur<br />

überführt sowie im späteren Weben auf ein Neues geordnet<br />

und in ein System eingebracht. Die Parzen ordnen analog<br />

also nicht nur die Wolle, sie ordnen und bestimmen<br />

gleichzeitig auch den Gang der Welt und führen durch<br />

Leben(lassen) und Sterben(lassen) eine Systematik ein.<br />

Mit der Christianisierung Italiens, Griechenlands und dem<br />

übrigen Europa ging der Glaube an die alten Götter verloren,<br />

doch das gesamte Mittelalter hindurch war die antike<br />

Mythologie bekannt und auch Thema der künstlerischen,<br />

literarischen und theologischen Auseinandersetzung.<br />

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Abb. 2: Glasbecher, Böhmen, 1830/ 1840, H 11,8 cm,<br />

Museum für Angewandte Kunst Köln, Inv.-Nr. F 953.<br />

Die Mythologie konnte fortbestehen, weil sie in starkem<br />

Maße uminterpretiert und so dem neuen Glauben nutzbar<br />

gemacht und unterworfen wurde. Christliche Ausdeutungen<br />

der Mythen waren üblich, was verhinderte, dass<br />

sie in Vergessenheit gerieten. In der Renaissance änderte<br />

sich der Zugang zum griechisch-römischen Mythos dadurch,<br />

dass der Kenntnisstand antiker Kunstwerke und<br />

antiker Literatur- und Kulturgeschichte wuchs. 7<br />

So blieben auch die Parzen stets Thema der christlichen<br />

Mythographen, wobei die Vielgestaltigkeit des Berichteten<br />

eher zu-, denn abnimmt. Fulgentius (um 500), Isidor<br />

von Sevilla (gestorben 636) oder die Vaticanischen Mythographen,<br />

drei Autoren des 7. Jahrhunderts, deren Identität<br />

unbekannt ist und deren Texte nach Handschriften im<br />

Vatican benannt werden, erwähnen die Parzen. Dies setzt<br />

sich über Zwischenstufen fort bis hin zum quellenreichen<br />

Werk des Giovanni Boccaccio, den Genealogie Deorum,<br />

die seit 1347 entstanden sind. 8 Auch gehen die Parzen ein<br />

in die großen Dichtungen des Mittelalters wie etwa in den<br />

Rosenroman (Verse 19.763-19.831), wo die betreffenden<br />

Verse um 1290 von Jean de Meun gedichtet wurden.<br />

Meist werden in diesen Werken die Parzen als Göttinnen<br />

aus dem Gefolge von Pluto und Proserpina aufgefasst. Ein<br />

Holzschnitt, der 1484 der ersten, in Brügge gedruckten<br />

Ausgabe des Ovidius moralizatus beigegeben wurde, tradiert<br />

dies bildlich sehr eindrucksvoll (Abb. 4). 9 Ein fürchterliches<br />

Untier reißt seinen (Höllen-)Rachen auf, um für<br />

Pluto und sein Gefolge einen Thronraum zu schaffen. In<br />

der Mitte thront der Gott der Unterwelt, an den sich von<br />

rechts Proserpina, seine Gattin, schmiegt. Der dreiköpfige<br />

Cerberus dient dem Gott als Fußschemel. Rechts im<br />

Bild sind mit Schlangenhaaren die Furien zu erkennen,<br />

und links haben sich die drei Parzen zur Spinnarbeit eingefunden.<br />

Klotho zieht Wolle aus einem Standrocken und<br />

spinnt sie, Lachesis ist mit Haspel und Spindel beschäftigt,<br />

im Vordergrund sitzt Atropos am Boden. Der Faden wird<br />

von ihr durch den Mund geführt, sie ist im Begriff, ihn<br />

mit einer Schere zu durchtrennen. 10 Die Parzen werden<br />

hier als scheinbar harmlose Spinnerinnen und Wollarbeiterinnen<br />

gezeigt, wie sie der spätmittelalterlichen Lebenswirklichkeit<br />

entsprungen sein könnten. Wüsste der<br />

Betrachter nicht um ihr todbringendes Tun, und gäbe es<br />

nicht die enge Beziehung zum Herrn über das Totenreich,<br />

könnte dieses Handarbeiten für eine Genreszene gehalten<br />

werden.<br />

Diese sehr früh entwickelte Ikonographie wird sich bis in<br />

das späte 19. Jahrhundert behaupten können, jedoch unter<br />

stilistischen und zeittypischen Wandlungen. Insofern<br />

ist die reine Bildanalyse der Parzen schnell beendet, denn


Abb. 3: Umkreis David Levy Elkan:<br />

Ehrenurkunde für Dr. Johann Benedikt<br />

Daniel Nückel, 1863, Aquarell und Gouache,<br />

Kölnisches Stadtmuseum,<br />

Graphische Sammlung.<br />

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das Spinnen und Zerschneiden eines Fadens entbehrt<br />

jeglicher spektakulärer Momente. Was sich aber wandelt,<br />

sind die Kontexte, in denen die Schicksalsschwestern dargestellt<br />

werden. 11<br />

Nun ein Sprung in das 16. Jahrhundert. Hendrik Goltzius<br />

(1558-1616) ist der entwerfende Künstler und vielleicht<br />

auch der Stecher eines kreisrunden Stiches (Abb. 5), der<br />

1587 oder kurz davor entstanden ist. 12 In felsiger Landschaft<br />

haben sich die Parzen niedergelassen. Ihre Körper<br />

sind, dem Zeitgeist und -stil gemäß, muskulös gestaltet.<br />

Rechts ist Klotho dabei, den Faden zu ziehen, während<br />

Lachesis, die die Spitze der pyramidalen Komposition<br />

bildet, mit weit ausladender Geste Flachs zum Spinnen<br />

herrichtet. Hier zeigt sich ein Problem, das mit dem<br />

Vorgang des Spinnens und der Dreiheit der Göttinnen<br />

zusammenhängt. Der Vorgang des Spinnens lässt sich<br />

nur schwer auf zwei oder gar drei Agierende verteilen,<br />

insofern ist die Inventionskraft des Künstlers gefragt.<br />

So kommt Goltzius zum Motiv des Flachsteilens, das<br />

im ersten Moment wie das kraftvolle Zerreißen eines<br />

mächtigen Gespinstes wirkt. Die todbringende Atropos<br />

aber sitzt ganz eindeutig unten links. Sie ist es, die mit<br />

der geöffneten Schere nach Klothos Faden zielt, um ihn<br />

zu durchtrennen. Das Füllhorn zu Füßen der Klotho ist,<br />

wie auch andere Bilddetails, eine Übernahme aus einem<br />

wenig älteren Stich der École de Fontainebleau, der auf<br />

Pierre Milan bzw. Rosso Fiorentino zurückgeht und als<br />

Zeichen blühender Kraft gedeutet wird. 13<br />

Die Zeichnung in der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums<br />

& Fondation Corboud (Abb. 1) ist<br />

offenbar stark von Goltzius’ Stich abhängig. Der unbekannte<br />

Künstler, die Signatur „Spranger“ des Blattes<br />

ist nicht authentisch, zeichnete mit der Feder und<br />

lavierte die Zeichnung. Die bei Goltzius stark muskulösen<br />

Frauen haben hier an Körperkraft eingebüßt und<br />

sind zudem mit Tüchern umfangen. Auffällig ist, dass<br />

das große, velumartige Tuch, das sich hinter Lachesis<br />

bläht, die nun längst nicht mehr so energisch-aggressiv<br />

agiert, von Goltzius übernommen wurde. Es erinnert –<br />

hier wie dort – an das Velum, das auf zahlreichen Darstellungen<br />

die Fortuna, das wandelbare Glück, umgibt.<br />

Das Füllhorn aber, das Goltzius übernommen hatte,<br />

lässt dieser Zeichner fort. Die Szene ist ruhiger und arkadischer<br />

gestaltet als Goltzius’ Stich und wirkt daher<br />

genrehaft, was aber durch Atropos’ Schere schnell als<br />

Fehlinterpretation entlarvt wird. Die Zeichnung wird<br />

in den Niederlanden oder auch im Umkreis des Prager<br />

Hofes anzusiedeln und bald nach dem Goltzius-Stich<br />

entstanden sein. 14<br />

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Abb. 4: Pluto und sein Gefolge, Buchholzschnitt aus: Collard<br />

Mansion 1484.<br />

Die Geschichte der Parzendarstellungen ist aufs engste<br />

mit einem euphemistischen Todesbild verbunden. Nicht,<br />

dass die Parzen nicht auch Angst und Schrecken verbreiten<br />

könnten, wenn sie den Faden durchtrennen oder das<br />

Leben kärglich und armselig verlaufen lassen, doch das<br />

Skelett als Darstellung des Todes, wie es in der europäischen<br />

Kunstgeschichte bis zum späten 18. Jahrhundert<br />

üblich war, ist noch viel schauerlicher als spinnende, oftmals<br />

junge und hübsche Frauen.<br />

Seit dem 18. Jahrhundert kommt eine andere Darstellung<br />

der Parzen – man möchte sagen in Mode: Parzen,<br />

die ihr Tun verschlafen oder am Schneiden des Fadens<br />

gehindert werden. Diese neue Kontextualisierung kann<br />

treffend auf die Worte verkürzt werden: Parzen, Gesundheit<br />

und ein langes Leben. Ein Kunstwerk, das dieser<br />

Ikonographie zum Durchbruch verhilft, ist Johann Joachim<br />

Kaendlers (1706-1775) Parzengruppe (Abb. 6) für die rus-


sische Zarin Katharina II. (1729-1796). Die Zarin hatte 1772<br />

bei der Meißner Porzellanmanufaktur 40 allegorische<br />

und mythologische Porzellangruppen bestellt, die ihre eigene<br />

und die Größe Russlands zum Thema haben sollten.<br />

Gefertigt wurde dieses anspruchsvoll-panegyrische Ausstattungsprojekt<br />

für das Schloss Oranienbaum nahe St.<br />

Petersburg. Zwischen 1772 und 1774 kamen die Gruppen<br />

zur Ausführung, wobei die ,Parzengruppe für Katharina<br />

II.‘ als eine der letzten Gruppen von Johann Joachim Kaendler<br />

selbst modelliert wurde. Die große Bedeutung<br />

dieses Auftrages wird durch die Tatsache unterstrichen,<br />

dass die Gruppen nicht als Tafelaufsätze konzipiert waren,<br />

sie dienten vielmehr, auf Konsolen stehend, als Wandschmuck<br />

im Oranienbaumer Arbeitszimmer der Zarin. 15<br />

Auf einem steinernen Sockel haben sich die Parzen eingefunden<br />

und gehen ihren üblichen Beschäftigungen nach.<br />

Doch schon beim ersten Hinsehen wird dem Betrachter<br />

klar, dass die Szene empfindlich gestört wird, es gibt einen<br />

Eindringling, der sich brutal verhält. Mit kraftvollem<br />

Arm reißt Chronos-Saturn, der geflügelte Gott der Zeit,<br />

Atropos an den Haaren unsanft zu Boden, um ihr die unheilvolle<br />

Schere zu entwinden. Es besteht kein Zweifel:<br />

Die Zeit hindert Atropos zu schneiden und verhindert so<br />

den Tod der Monarchin. 16 Aber nicht nur die Zeit sorgt<br />

sich um das Leben der Fürstin. Auch ein Putto ist zu sehen,<br />

der nahe bei Lachesis steht und dieser<br />

neue Wolle oder neuen Flachs bringt.<br />

Das Rohmaterial des Fadens soll<br />

und darf nicht enden, das<br />

Leben Katharinas auch<br />

nicht. Das ist ein neuer<br />

Gedanke, den Kaendler<br />

hier in einer<br />

kleinformatigen<br />

Porzellangruppe,<br />

die auch heute<br />

noch in Schloss<br />

Oranienbaum<br />

aufbewahrt wird,<br />

umsetzt. 17<br />

Eine ähnliche Idee<br />

setzt der württembergische<br />

Hof bildhauer<br />

Johann Heinrich<br />

Dannecker<br />

(1758-1841), rund 20 Jahre<br />

nach Kaendler, im Jahre<br />

1791 um. Im Auftrag der Herzogin<br />

Franziska von Württemberg<br />

(1748-1811) entwirft er ‚Parzen<br />

als Uhrengehäuse‘. Das erste Modell wird von Dannecker<br />

bald nach der Vollendung verändert, und das neu<br />

geschaffene dient dann mindestens noch sechs weiteren<br />

Ausführungen als Vorlage. Alle Exemplare sind –<br />

Württemberg war arm und sparsam – in Ton ausgeführt,<br />

zu einer Ausarbeitung in Marmor, die sich<br />

Dannecker und die Fürstin gewünscht hatten, ist es nie<br />

gekommen. Im folgenden soll das ursprüngliche Modell<br />

(Abb. 7, 8) vorgestellt werden, das aus Danneckers<br />

Nachlass in die Stuttgarter Staatsgalerie gelangt ist;<br />

Herzogin Franziska hat es wohl nie besessen. 18<br />

Auf einem antikisierenden Altar hat sich Klotho zum<br />

Spinnen niedergelassen. Links neben bzw. hinter ihr<br />

steht Lachesis, die der Schwester die Hand auf die<br />

Schulter legt. Wichtiger aber ist Atropos, die auf den<br />

Stufen zum Altar, ihr Haupt auf Klothos Beine bettend,<br />

niedergesunken ist. Sie schlummert. Die Botschaft ist<br />

eindeutig: Solange Atropos schläft, kann sie mit der im<br />

Schoß liegenden Schere (Abb. 8) den Lebensfaden der<br />

Fürstin – oder einer anderen Person – nicht durchtrennen.<br />

Atropos schläft und somit ist der Tod fern, wenn<br />

nicht gar aus der Welt. Die Sockelzone des Uhrengehäuses<br />

zeigt kleine, eingeritzte Zeichnungen, die sich auf<br />

die Lebensalter des Menschen beziehen. Aber noch ein<br />

weiterer Bezug ist wichtig: In der Altarplatte<br />

ist eine kleine Aussparung zu sehen,<br />

in der die Uhrzeit angezeigt<br />

werden sollte. Der Zeiger ist<br />

in Form eines Aesculapstabes<br />

19 gebildet, die<br />

Beziehung zum langen<br />

Leben der Herzogin<br />

ist auch hier<br />

evident: Die Gesundheit<br />

bemisst<br />

das (lange) Leben<br />

der Fürstin.<br />

Das alles müssen<br />

aber letztlich<br />

Wünsche bleiben,<br />

worauf die Inschrift<br />

des Altares<br />

hinweist: „Hoc erit<br />

in votis“ (Das werde<br />

ich mir wünschen). 20<br />

Abb. 5: Hendrik Goltzius: Die drei Parzen,<br />

um 1587, Kupferstich.<br />

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Abb. 6: Johann Joachim Kaendler: Parzen für Katharina II.<br />

aus der russischen Bestellung, 1774, Neuausformung des<br />

19. Jahrhunderts, Porzellan, H. 37, ehemals Kunsthandel.<br />

KaKaendler wie Dannecker schaffen Werke, die in der<br />

langen Tradition der Panegyrik stehen, Objekte also, die<br />

zum Lobpreis des Herrschers oder der herrscherlichen Familie<br />

geschaffen werden. Solch aristokratische Gedanken<br />

und ausgefeilte Programme verbürgerlichen im späten 18.<br />

Jahrhundert. Das zuerst auf Fürsten Bezogene wird vom<br />

Bürgertum übernommen, das sich nun selbst und seinesgleichen<br />

– und nicht mehr an erster Stelle dem Landesherren<br />

– in und mit ähnlichen Bildwerken Glück und ein<br />

langes Leben wünscht.<br />

Der Glasbecher (Abb. 2) in der Sammlung des Museums<br />

für Angewandte Kunst in Köln ist ein schönes Beispiel<br />

für solche Verbürgerlichungen. Ein Becher aus klarem<br />

Glas wurde um 1830/40 mit rubinrotem Glas überfangen,<br />

aus dem der unbekannte Künstler die Darstellung<br />

herausschliff, die nun wie rot gerahmt wirkt. Die biedermeierlich<br />

gewandeten Parzen, die also in der Mode der<br />

Entstehungszeit des Bechers gekleidet sind, sitzen auf<br />

einer Wolke und spinnen. 21 Damit hat sich auch der Aufenthaltsort<br />

der Göttinnen aus Plutos Unterwelt in höhere<br />

Sphären verlagert. Die genrehafte Spinnszene wird durch<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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die Unterschrift erklärt: „Spin(n)et noch lange den Faden<br />

des Lebens.“ Solche Becher, und auch Porzellantassen mit<br />

ähnlichen Motiven, waren seit dem späten 18. Jahrhundert<br />

sehr beliebt. Sie wurden zu Fest- und Feiertagen<br />

verschenkt und waren gleichsam Geschenk<br />

und Glückwunschkarte in einem. Auch<br />

daran zeigt sich, wie euphemistisch das Todesbild<br />

seit der Mitte des 18. Jahrhunderts geworden war,<br />

da nun Todesgöttinnen als Feiertagsgeschenke dienlich<br />

sein konnten. 22<br />

Damit steht der Kölner Glasbecher in Tradition und<br />

Nachfolge zahlloser ‚Parzentassen‘, die vor allem in<br />

den Porzellanmanufakturen zu Berlin (KPM), Meißen<br />

und Fürstenberg seit dem späten 18. Jahrhundert geschaffen<br />

wurden. 23 Auf Tasse oder Spiegel der Untertasse<br />

werden meist zwei oder drei Parzen bei ihren üblichen<br />

Verrichtungen in antikisierender Gewandung oder Empiremode<br />

gezeigt. Dass die Zahl der Parzen oft auf<br />

zwei reduziert wird und Atropos häufig fehlt, ist in<br />

der Zeit nichts Ungewöhnliches, um so die Grausamkeit,<br />

das Unabwendbare, zu mildern. 24 Auch<br />

solche Tassen waren kostbares Geschenkgut. 25<br />

Eine Tasse mit Untertasse in Privatbesitz (Abb. 9)<br />

zeigt die verschleierte Atropos, wie sie gerade Klothos<br />

Spinnarbeit durchschneiden will. Anfang und Ende des<br />

menschlichen Lebens werden so gegenübergestellt, und<br />

beim kleinen Bildfeld können die verbliebenen Parzen<br />

etwas größer und deutlicher dargestellt werden. Klotho<br />

aber wehrt ihre Schwester ab, indem sie deren Arm festhält.<br />

Auch wenn die Szene in der Art ihrer Darstellung eher<br />

betulich, denn aggressiv oder dramatisch wirkt, geht es<br />

doch um ein menschliches Leben. Die Beischrift scheint<br />

Klothos Rede an Atropos zu sein: „O! Laß mich noch lange<br />

diesen theuren Lebensfaden spinnen.“ Auf der zugehörigen<br />

Tasse ist eine Frau zu sehen, die vor einem Räuchergefäß<br />

niederkniet und betet. Die Überschrift lautet dieses<br />

Mal: „Ich bete für Dein Wohl.“<br />

Im Jahre 1863 feierte der Kölner Dr. Johann Benedikt<br />

Nückel, Arzt am Bürger-Hospital der Stadt Köln, das neben<br />

den Kirchen St. Peter und St. Caecilien gelegen war,<br />

sein 50. Doktorjubiläum. 26 Aus diesem Anlass wurde dem<br />

Mediziner eine Ehrenurkunde von den Trägern des Hospitals<br />

verehrt (Abb. 3). Der Text der Urkunde lautet: „Dem<br />

Königl. Geheimen-Sanitätsrath, Herrn Med. Doct. Nückel,<br />

seit// länger als dreißig Jahren Ober-Arzt im Bürger-Hospital<br />

in Köln// am Tage seines fünfzigjährigen Doctor-Jubiläums<br />

zum bleibenden// Andenken hochachtungsvoll<br />

gewidmet.// Köln, den 4ten Juni 1863.“ Unterzeichnet<br />

wird die Widmung mit: „Der Inspector des Hospitals//


Geh.-Regierungs-Rath// Tauweil“ sowie „Die Vorsteherin<br />

d. Kloster-Gemeinde// und Namens derselben// Dominica<br />

Barth Schw.“ Die Urkunde (Abb. 3), die sich heute<br />

im Kölnischen Stadtmuseum befindet, ist in drei Zonen,<br />

einem gotischen Flügelaltar nicht unähnlich, gegliedert. 27<br />

Wird die untere Zone von der zitierten Inschrift und dem<br />

kölnischen Wappen beherrscht, so ist die Mittelzone einer<br />

Ansicht der Wirkungsstätte des Arztes, dem Bürger-Hospital,<br />

vorbehalten. Rechts hinter dem Bau ist der Turm von St.<br />

Peter zu erkennen. Die obere Bildzone, die von einem fantastischen<br />

Maßwerk gerahmt wird, das zugleich merkwürdig<br />

orientalisierend wirkt, zeigt in der Mitte die drei Parzen.<br />

Es ist wohl Klotho, die der leicht erhöht stehenden Lachesis<br />

den Spinnrocken entgegenhält. Aus diesem zieht die Göttin<br />

den Faden, den Atropos zu durchschneiden trachtet. Aber<br />

aus der rechten Bildzone heraus, die architektonischen<br />

Trennglieder missachtend, greift Aesculap ein. Mit seinem<br />

von einer Schlange umwundenen Stab, dem Aesculapstab,<br />

Zeichen der Heilkunst, hindert er die Parze an ihrem todbrin-<br />

Abb. 7: Johann Heinrich Dannecker: Parzen als Uhrengehäuse,<br />

1791, Ton, H 42 cm, Stuttgart Staatsgalerie, Inv.-Nr. P 506.<br />

genden Tun. Wieder wird eine enge Verbindung zwischen<br />

Heilkunst, Medizin und Parzen hergestellt. Auf der linken<br />

Seite steht schließlich Valetudo (griech. Hygieia), Tochter<br />

des Aesculap und Göttin der Gesundheit.<br />

Formal scheint der Künstler bei der Darstellung der beiden<br />

heilenden Götter durch Darstellungen antiker Gewandfiguren<br />

beeinflusst worden zu sein. Offenbar ist es die<br />

Heilkunst des Arztes, die (mit göttlicher Unterstützung)<br />

verhindert, dass die Kranken im Bürger-Hospital sterben.<br />

Er hindert die Parzen, ihr Tun zu vollenden. So rettet und<br />

bewahrt Dr. Nückel mit tatkräftiger Unterstützung von Valetudo<br />

und Aesculap die Menschen vor Parzen und Tod. Ist<br />

auch der Gedanke des Blattes für den Kölner Mediziner nicht<br />

gänzlich neu, so schuf der leider unbekannte Künstler, der<br />

aus dem Umkreis des Kölner Graphikers David Levy Elkan<br />

(1808-1865) stammen könnte, dennoch liebevoll und kunstfertig<br />

ein bemerkenswertes Blatt mit einem hohen Lob auf<br />

die ärztliche Heilkunst.<br />

Abb. 8: Ausschnitt aus Abb. 7. Photo: nach Holst (Anm. 18) 44.<br />

1791, Ton, H 42 cm, Stuttgart Staatsgalerie, Inv.-Nr. P 506.<br />

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Einen ähnlichen Bildgedanken hatte in der Mitte der<br />

1770er Jahre der Berliner Graphiker und Maler Bernhard<br />

Rode (1725-1797). Er schuf eine kleine Radierung,<br />

die durch die Unterschrift „Doctor Moehsen“ gewidmet<br />

ist (Abb. 10). 28 Vor einer Höhle sitzen die drei<br />

Parzen. Sie alle sehen keineswegs furchterregend aus,<br />

selbst Atropos nicht, die mit gewissenhafter Konzentration<br />

den soeben gezogenen Faden durchtrennen<br />

möchte. Ein geflügelter Putto fällt jedoch der Göttin<br />

in den Arm, die sich einstweilen, so scheint es, nicht<br />

vom Tun des Knaben beeinflussen lässt. Dieser scheint<br />

ein Genius der Gesundheit zu sein, denn zwischen<br />

und vor seinen Füßen liegt ein – für ihn viel zu großer<br />

und schwerer – Aesculapstab. Auch bei Rode wird<br />

die irdisch-ärztliche Heilkunst mit höheren Mächten<br />

in Verbindung gebracht, die den Arzt bei seinen Therapien<br />

helfen und unterstützen. Unter „Doctor Moeh-<br />

Abb. 9: Königliche Porzellanmanufaktur Berlin, Parzentasse,<br />

um 1800, Porzellan, H. 6 cm (Tasse), Durchmesser 13 cm<br />

(Untertasse).<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

sen“ ist „zugeeignet von B. Rode“ zu lesen. Vielleicht<br />

war es der Dank des genesenen Künstlers, der dieses<br />

Blatt entstehen ließ? Dr. Johann Carl Wilhelm Moehsen<br />

(1712-1795) war schließlich nicht irgendein Arzt in<br />

Berlin, vielmehr war er der Leibarzt Friedrich II. Damit<br />

bekommt seine Fähigkeit zu Heilen eine staatstragende<br />

und staatspolitische Dimension.<br />

Die besprochenen Kunstwerke zeigen, wie sehr das<br />

Parzenmotiv in der europäischen – und vor allem<br />

deutschen – Kunst- und Kulturgeschichte verwurzelt<br />

ist, und welche Wandlungen sich in der Zeit um 1800<br />

vollziehen. Und gerade die späten Beispiele machen<br />

deutlich, was Johann Gottfried Herder (1744-1803)<br />

bereits am Ende des 18. Jahrhunderts dichtete:<br />

„Heiter sind des Schicksals Schwestern / Keine blassen<br />

Furien.“ 29<br />

the Fates, Good health and the Plea for a<br />

long life – ‘Spin(n)et noch lange den Faden<br />

des lebens’ / (May you) ‘Spin yet long the<br />

thread of life’<br />

the fates of classical antiquity – fate’s three goddesses,<br />

the Moirai (lat.: Parcae or Fata), were<br />

depicted with great frequency in post-classical<br />

art. the fates spin the threads of mortals’ lives.<br />

if a mortal is to die, then the thread obtained by<br />

Clotho and lachesis is severed by Atropos. it is a<br />

more euphemistic image of death than the skeleton<br />

that was the stock emblem until into the<br />

eighteenth century. From the middle of that century,<br />

the image of the fates was also associated<br />

with the wish that they might continue spinning<br />

their thread for as long as possible. to aid and<br />

abet them, there was Medicine, metaphorically<br />

holding Atropos back in order to stop death in its<br />

tracks. three examples, a drawing dating from<br />

about 1587, a glass goblet of the Biedermeier<br />

period and a drawn and painted deed of 1863,<br />

are placed in the context of european representations<br />

of the fates from an art-historical and culture-historical<br />

point of view.


Abb. 10: Bernhard Rode: Parzen für Dr. Moehsen,<br />

um 1775, Radierung, 17,6 x 12 cm (Platte).<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

69


70<br />

Anmerkungen<br />

1 Alter Bestand, Inv.-Nr. Z 4093. Vgl. Th. Blisniewski: „Kinder der<br />

dunkelen Nacht“ – Die Ikonographie der Parzen vom späten<br />

Mittelalter bis zum späten XVIII. Jahrhundert. Diss. Köln 1992 (Köln<br />

1992) 85. – H. Robels: Niederländische Zeichnungen vom 15. bis 19.<br />

Jahrhundert im Wallraf-Richartz-Museum Köln (Köln 1983)<br />

(=Kataloge des Wallraf-Richartz-Museums, Graphische Sammlung Bd.<br />

1), 238, Nr. 521.<br />

2 Inv.-Nr. F 953.<br />

3 Th. Blisniewski: Eine Urkunde für Dr. Nückel, in: M. Frank/F. Moll<br />

(Hrsg.): Kölner Krankenhaus-Geschichten (Köln 2006) 114 ff.<br />

4 Zur seltenen Darstellung der Moirai und Parcae in der antiken<br />

Kunst vgl.: St. De Angeli: Moirai, in: Lexicon Iconographicium<br />

Mythologiae Classicae Bd. VI, 2 Bde. (München/Zürich 1992) Bd. 1:<br />

636 ff. u. Bd. 2: 375 ff.<br />

5 Vgl. Blisniewski (Anm. 1) mit ausführlicher Bibliographie zum<br />

Parzenthema.<br />

6 Th. Blisniewski: „... und schafft mit emsigen Händen“ – Weibliche<br />

Handarbeiten in Werken von R. Schadow, C. J. Begas und J. A.<br />

Ramboux im Wallraf-Richartz-Museum - Fondation-Corboud, in:<br />

Kölner Museums-Bulletin. Berichte und Forschungen aus den Museen<br />

der Stadt Köln, Heft 3, 2001, 4 ff.<br />

7 Vgl. zum Fortleben antiker Mythologie noch immer: J. Seznec: Das<br />

Fortleben der antiken Götter. Die mythologische Tradition im<br />

Humanismus und der Kunst der Renaissance (München 1990). Die<br />

erste Ausgabe erschien 1940. – E. Panofsky/F. Saxl: Classical<br />

Mythology in Mediaeval Art, in: Metropolitan Museum Studies Bd. 4<br />

(2. Teil) 1933, 228 ff. – N. Himmelmann: Antike Götter im Mittelalter<br />

(Mainz 1986) (=7. Trierer Winckelmannsprogramm). – H. Blumenberg:<br />

Arbeit am Mythos (Frankfurt am Main 1979).<br />

8 Zu den einzelnen Mythographen vgl. Blisniewski (Anm. 1) bes. 33 ff.<br />

9 Beim Ovidius moralizatus handelt es sich um eine christliche<br />

Uminterpretation der Metamorphosen des Ovid, die auf Petrus<br />

Berchorius (Pierre Bersuire) zurückgeht und in der Mitte des 14.<br />

Jahrhunderts in Avignon und Paris entstanden ist. Berchorius fügt<br />

seinem Werk eine mythologische Übersicht (Reductorium morale)<br />

bei, die die antiken Götter charakterisiert und ihre wichtigsten Taten<br />

und Aufgabengebiete benennt. P. Berchorius: Reductorium morale.<br />

Liber XV, cap. I: „De formis figurisque deorum“, naar de Parijse druk<br />

van 1509: Metamorphosis Ouidiana Moraliter a Magistro Thoma<br />

Walleys ... (Utrecht 1960) (=Werkmateriaal Bd. 1). – M. D. Henkel: De<br />

houtsneden van Mansion’s ‚Ovide Moralisé Bruges 1484’. Met en<br />

toelichtening door M. D. Henkel (Amsterdam 1922).<br />

10 Blisniewski (Anm. 1) 48 f.<br />

11 Zu diesen Wandlungen durch die Jahrhunderte vgl. Blisniewski<br />

(Anm. 1).<br />

12 Blisniewski (Anm. 1) 83 ff. – W. L. Strauss (Hrsg.): Hendrik<br />

Goltzius 1558-1617. The Complete Engravings and Woodcuts Bd. 2<br />

(New York 1977) 430 f., Nr. 251.<br />

13 Blisniewski (Anm. 1) 78 ff. – E. A. Carroll: Rosso Fiorentino:<br />

Drawings, Prints and Decorative Arts, Ausst.-Kat. National Gallery of<br />

Art Washington 1987 (Washington 1987) 336 ff.<br />

14 Vgl. Anm. 1.<br />

15 Th. Blisniewski: Parzen für die Zarin. Johann Joachim Kaendlers<br />

Parzengruppe für Katharina II. von Russland, in: Weltkunst 1994 (8),<br />

1052 f.<br />

16 Blisniewski (Anm. 15) 1052.<br />

17 Einen Vorläufer für diese Idee kann man in Peter Paul Rubens<br />

(1577–1640) Eingangsbild zum Medici-Zyklus (1622–1625) im<br />

Louvre sehen, bei dem Juno ihren Gatten Jupiter umgarnt, um die<br />

Parzen gnädig zu stimmen. Vgl. Blisniewski (Anm. 1) 130 ff. – R. F.<br />

Millen/R. E. Wolf: Heroic Deeds and Mystic Figures. A New Reading of<br />

Rubens’ Life of Maria de’ Medici (Princeton 1989).<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

18 Blisniewski (Anm. 1) 145 ff. – Ch. v. Holst (Hrsg.): Johann Heinrich<br />

Dannecker. Der Bildhauer, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart 1987<br />

(Stuttgart 1987) 174 ff., Nrn. 39 a, b.<br />

19 Äskulap hat außerdem einstmals Hippolytos ins Leben zurückgeholt,<br />

was Lachesis aber in heftigen Zorn geraten ließ (Ovid, Fast<br />

VI.746 ff.).<br />

20 Bei dem Zitat handelt es sich um eine abgewandelte Stelle des<br />

römischen Dichters Horaz (Serm. II.6,1).<br />

21 Der Becher ist, bis auf eine Besprechung des Autors im ‚Bild der<br />

Woche‘ (12. bis 19. Februar 2001) auf der Homepage der Museen der<br />

Stadt Köln (www.museenkoeln.de) unpubliziert.<br />

22 Diese Entwicklung beginnt mit Gotthold Ephraim Lessings<br />

(1729-1781) Schrift ‚Wie die Alten den Tod gebildet. Eine Untersuchung‘<br />

(Berlin 1769). Darin versucht Lessing nachzuweisen, dass in<br />

der bildenden Kunst der Antike der Tod nicht als Skelett dargestellt<br />

worden sei. Die Parzen spielen bei Lessing in diesem Kontext keine<br />

Rolle.<br />

23 Eine Popularisierung des Parzenthemas mag auch durch das<br />

‚Grabmal des Grafen von der Mark‘ (1790) von Johann Gottfried<br />

Schadow (1764-1850) in der Dorotheenstädtischen Kirche in Berlin<br />

begünstigt worden sein, das in Nachstichen in zahlreichen<br />

Almanachen der Zeit um 1800 abgebildet wurde und in Berlin eine<br />

Besucherattraktion darstellte. Allerdings werden die Parzen bei<br />

Schadow als unheilvolle, den Lebensfaden eines Knaben zerstörende<br />

Göttinnen gezeigt. Vgl. Blisniewski (Anm. 1) 142 ff. – H. Mackowsky:<br />

Die Bildwerke Johann Gottfried Schwadows (Berlin 1951) 42 ff. mit<br />

Nachweis etlicher druckgraphischer Reproduktionen aus der<br />

Entstehungszeit.<br />

24 Vgl. etwa Friedrich Schillers (1759–1805) Jugendgedicht ‚An die<br />

Parzen‘ von 1782, in dem Schiller auch Atropos übergeht. F. Schiller:<br />

An die Parzen, in: Schillers sämtliche Werke, hrsg. von E. von der<br />

Hellen/R. Weißenfels, Bd. 2 (Stuttgart/ Berlin 1904) 33 f. (=Säkular-<br />

Ausgabe).<br />

25 Vgl. M. Meinz: Die Parzen – Schicksalsgöttinnen und gute<br />

Wünsche, in: H. Wiewelhove (Hrsg.): Biedermeier-Tassen. Widmungen<br />

auf Porzellan. Die Sammlung Homann (Stuttgart 2005) 127.<br />

Leider ist der kurze Aufsatz über Parzentassen nicht sehr instruktiv.<br />

Dazu noch immer: G. Lenz: Die empfindsame Tasse in der Berliner<br />

Königlichen Porzellanmanufaktur, in: Kunst- und Kunsthandwerk 20,<br />

1917, 247. – H. Westhoff-Krummacher (Hrsg.): Berliner Porzellan aus<br />

Privatbesitz (Münster 1991) 68 f. (= Bildhefte des Westfälischen<br />

Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte 31).<br />

26 Vgl. zum Bürger-Hospital die Festschrift zum 100. Gründungsfest:<br />

M. Frank/F. Moll (Hrsg.): Kölner Krankenhaus-Geschichten (Köln<br />

2006).<br />

27 Vgl. Blisniewski (Anm. 3) 114.<br />

28 Blisniewski (Anm. 3) 115 f. – R. Jacobs: Das graphische Werk<br />

Bernhard Rodes (1725-1797). Diss. Kiel 1989 (Münster/Hamburg<br />

1990) 328 ff., Nr. 208. – Die Verbindung von Aesculap, den Parzen<br />

und Kranken findet sich z.B. auch in einem Giebelfeld am Hôtel Dieu<br />

in Paris (erbaut 1800-1804). Vgl. Blisniewski (Anm. 1) 223.<br />

29 B. Suphan (Hrsg.): Herders sämmtliche (sic !) Werke, Bd. 29<br />

(Berlin 1889) 122.<br />

Autor<br />

Dr. Thomas Blisniewski<br />

Institut für Textilwissenschaft der Universität zu Köln


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Bald wird es viele Landschaften, wie wir sie<br />

heute noch kennen, nicht mehr geben. Die<br />

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72<br />

Angelika Kauffmann:<br />

Bildnis thomas reade<br />

von Thesy Teplitzky<br />

das Wallraf-richartz-Museum & Fondation<br />

Corboud konnte 2007 als Geschenk seines<br />

Fördervereins ein Bildnis von angelika Kauffmann<br />

erwerben, der berühmtesten Malerin<br />

des 18. Jahrhunderts. das um 1775 datierte<br />

halbfigurenportrait zeigt den jungen englischen<br />

aristokraten thomas reade in einem<br />

sogenannten van dyck-Kostüm, das in england<br />

im 18. Jahrhundert für Maskeraden und<br />

Portraits sehr beliebt war. es stand in der<br />

tradition Karls i., dessen hof von der englischen<br />

Gesellschaft des 18. Jahrhunderts als<br />

Vorbild für eleganz und kultivierte lebensart<br />

angesehen wurde, und seines hofmalers<br />

anthonis van dyck, der in seinen Bildnissen<br />

die eleganz der Mode überliefert hatte.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

Zur Schenkung der Freunde des Wallraf-richartz-<br />

Museums und des Museums ludwig e.V.<br />

Als sich das heutige Wallraf-Richartz-Museum noch im<br />

Bau befand, entschloss man sich, im Interesse besserer<br />

Lichtverhältnisse auf die ursprünglich vorgesehenen Fensterschlitze<br />

zu verzichten und an ihrer Stelle zur Gliederung<br />

der Außenfassade Schieferplatten mit den Namen<br />

der berühmten im Museum vertretenen Maler einzusetzen.<br />

Der Wunsch, darunter auch die Namen von Malerinnen<br />

aufzuführen, ließ sich allerdings nur begrenzt realisieren:<br />

Außer der französischen Impressionistin Berthe<br />

Morisot (1841-1895) stand nur noch die wenig bekannte<br />

österreichisch-britische Präraffaelitin Marianne Stokes<br />

(1855-1927) zur Verfügung. Inzwischen könnte auch Angelika<br />

Kauffmann genannt werden, die berühmteste Malerin<br />

des 18. Jahrhunderts. Als Geschenk der Freunde des Wallraf-Richartz-Museums<br />

und des Museums Ludwig e.V. und der<br />

privaten Spender Christel Müller-Bertgen und Johannes<br />

Müller erwarb das Museum 2007 ihr Portrait des jungen<br />

englischen Aristokraten Thomas Reade (Abb. 1), das eine<br />

erfreuliche Ergänzung der Bestände des 18. Jahrhunderts<br />

darstellt.<br />

Der junge Mann, der den Blick mit ernstem Ausdruck auf<br />

den Betrachter gerichtet hat, ist in Halbfigur dargestellt.<br />

Für das relativ kleine Format hat die Malerin ein ausgewogenes<br />

Kolorit mit wenigen, sorgfältig aufeinander<br />

abgestimmten Farbtönen gewählt. Das Kastanienbraun<br />

der schulterlangen Locken, die auf den weißen Spitzenkragen<br />

fallen, wird in den Schattenpartien des rötlichen<br />

Gewandes wieder aufgenommen und harmoniert mit<br />

dem changierenden Mittelbraun des Hintergrunds. Der<br />

matte Goldton von Korb und Parierstange des Degens, den<br />

der Jüngling mit lockerem Griff in der Rechten hält und der


Abb. 1: Angelika Kauffmann: Bildnis Thomas Reade, um 1775,<br />

Öl auf Leinwand, 76,2 x 62,7 cm, Wallraf-Richartz-Museum &<br />

Fondation Corboud, Köln.<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

73


74<br />

seinen vornehmen Stand<br />

bezeichnet, fügt sich ebenfalls<br />

harmonisch ein. Hell<br />

und glatt leuchtet das mit<br />

Präzision ausgearbeitete<br />

Gesicht des wohl 13 bis<br />

15 Jahre jungen Mannes<br />

hervor. Trotz der Jugend<br />

lässt das Gesicht schon<br />

bestimmte Wesenszüge<br />

erkennen: Selbstsicherheit,<br />

Standesbewusstsein, vielleicht<br />

sogar eine Spur von<br />

Arroganz; der junge Mann<br />

kennt seine Position, deren<br />

Bedeutung ihm natürlich<br />

durch sein Umfeld<br />

ständig bewusst wird. Im<br />

Gegensatz zur sorgfältigen<br />

Ausarbeitung des Gesichts<br />

ist das Gewand fast flüchtig<br />

gemalt, wodurch die stofflichen Qualitäten aber besonders<br />

intensiv zur Geltung kommen: Die glänzende rötliche Seide<br />

und die kostbaren Spitzen erscheinen greifbar. Thomas<br />

Reade ist nicht im Stil der Zeit um 1775, also in der Mode des<br />

ausgehenden Rokoko, gekleidet, sondern trägt ein Kostüm,<br />

das der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstammt.<br />

Auf die Gründe hierfür wird später einzugehen sein.<br />

Die wichtigsten Lebensdaten von Thomas Reade sind<br />

bekannt. Er war der Sohn des 5. Baronet John Reade und<br />

lebte von 1762-1837. Sein wenige Minuten vor ihm geborener<br />

Zwillingsbruder John erbte Familientitel und Besitzungen.<br />

Thomas Reade heiratete Catherine Hill, aus der<br />

Ehe gingen vier Kinder hervor; der älteste Sohn, John Edmund<br />

Reade, wurde als Dichter bekannt. Die Familie lebte<br />

in Barton Manor in Berkshire in Südengland. 1<br />

Ausgehend vom ungefähren Alter des Portraitierten<br />

wird das Bildnis um 1775 datiert. Die Malerin Angelika<br />

Kauffmann befand sich zu dieser Zeit auf der Höhe ihres<br />

Ruhmes und ließ sich ihre Arbeiten entsprechend honorieren.<br />

Für ein Halbfigurenportrait mit Hand, dem Bildnis<br />

des Thomas Reade entsprechend, nahm sie 40 Guineas,<br />

eine stattliche Summe, die den Preisen ihrer beiden berühmtesten<br />

Portraitisten-Kollegen in England entsprach,<br />

Joshua Reynolds (1723-1792) und Thomas Gainsborough<br />

(1727-1788). 2 Allein dieses Preisniveau zeigt die Bedeutung,<br />

die Angelika Kauffmann zu Lebzeiten hatte, zweifellos<br />

ganz ungewöhnlich für eine Malerin im 18. Jahrhundert.<br />

Welche Herkunft und welcher Werdegang ermöglichten<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

diese zu ihrer Zeit einzigartige<br />

Karriere?<br />

Angelika Kauffmann<br />

wurde 1741 als Tochter<br />

eines Wandermalers<br />

aus Vorarlberg in Chur<br />

in der Schweiz geboren.<br />

Der Vater Joseph Johann<br />

Kauffmann stammte aus<br />

Schwarzenberg im Bregenzer<br />

Wald. Dem Heimatort<br />

ihres Vaters war Angelika<br />

Kauffmann lebenslang<br />

verbunden und ließ auch<br />

ihren Verwandten dort<br />

finanzielle Unterstützung<br />

zukommen. Zwei ihrer<br />

Selbstbildnisse zeigen sie<br />

in Bregenzerwälder Tracht:<br />

Als junges Mädchen portraitierte<br />

sie sich als Malerin mit Pinsel, Palette und Malstock<br />

in dieser Kleidung, 3 später entstand ein Brustbildnis<br />

in der Tracht (Abb. 2), das der Malerin offensichtlich viel<br />

bedeutete, denn es hing bis zu ihrem Lebensende in ihrem<br />

Haus in Rom. 4 Da Frauen zu ihrer Zeit noch keinen Zugang<br />

zu Akademien erhielten, übernahm der Vater selbst die<br />

Ausbildung seiner hochbegabten Tochter. Ihm assistierte<br />

Angelika, die das einzige Kind blieb, bereits als Sechsjährige.<br />

Als Angelika 17 Jahre alt war, starb ihre Mutter, was<br />

Vater und Tochter noch enger aneinander band. 1762<br />

gingen sie zusammen nach Italien; sie erhielten Zugang<br />

zu vielen der berühmten Privatgalerien, und Angelika kopierte<br />

die großen Maler der Renaissance zu Studienzwecken.<br />

Von 1764 bis 1766 lebten Vater und Tochter in Rom;<br />

die polyglotte, gebildete, attraktive und liebenswürdige<br />

Malerin wurde bald zu einem Mittelpunkt der dortigen<br />

Ausländer-Kolonie. Sie schloss Freundschaft mit Johann<br />

Joachim Winckelmann (1717-1768), der sie in die Welt der<br />

Antike einführte und den sie in einem frühen Meisterwerk<br />

von hoher Sensibilität portraitierte.<br />

Abb. 2: Angelika Kauffmann: Selbstbildnis in<br />

Bregenzerwälder Tracht, 1781, Öl auf Leinwand, 61,4 x 49,2 cm,<br />

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck.<br />

Zu Angelika Kauffmanns Freunden in Rom zählten der<br />

amerikanische Maler Benjamin West (1738-1820), der<br />

sich 1763 in London niederließ, und die Engländerin Lady<br />

Wentworth, auf deren Initiative die Malerin 1766 nach<br />

London übersiedelte. Lady Wentworth und Benjamin<br />

West führten sie in die Londoner Gesellschaft und in die<br />

maßgeblichen Künstlerkreise ein; sie wurde bald mit Aufträgen<br />

überhäuft und verdiente schnell ein Vermögen. Zu<br />

ihrem Erfolg trug sicherlich die Anpassung an den eng-


lischen Geschmack bei, die unter dem Einfluss der Bilder<br />

von Reynolds und Gainsborough erfolgte. Der fast 20 Jahre<br />

ältere Malerfürst Reynolds wurde zu ihrem Freund und förderte<br />

ihren Aufstieg. Ein kurze Ehe, die Angelika 1767 einging,<br />

endete unglücklich; ein Betrüger hatte es nur auf das<br />

Vermögen der Malerin abgesehen. Angelika Kauffmanns<br />

berufliche Karriere führte jedoch weiter steil aufwärts. Im<br />

Jahr 1768 gehörte sie zu den 40 Gründungsmitgliedern<br />

der Royal Academy, die außer ihr nur eine zweite Frau aufnahm,<br />

die auf Still-Leben spezialisierte Malerin Mary Moser<br />

(1744-1819). Still-Leben und Portraits waren bis weit in<br />

das 19. Jahrhundert hinein die einzigen Bildgattungen, die<br />

für Frauen als angemessen galten. Angelika Kauffmann<br />

hat sich allerdings nicht auf sie beschränkt, sondern ihr<br />

Talent auch mit der in der Rangfolge der Bildgattungen an<br />

erster Stelle stehenden Historienmalerei unter Beweis gestellt,<br />

die den Malern ein beachtliches Maß an Bildung und<br />

Wissen abverlangten. Um 1780 portraitierte sich Angelika<br />

Kauffmann mit Minerva-Büste (Abb. 3), womit sie sich als<br />

pictor doctus, als umfassend gebildete Malerin auswies.<br />

Angelikas Vater war seiner Tochter bald nach England gefolgt.<br />

Auf seinen Wunsch heiratete sie 1781, im Alter von<br />

40 Jahren, den 15 Jahre älteren venezianischen Maler Antonio<br />

Zucchi (1726-1795);<br />

wenige Monate danach<br />

starb der Vater. Antonio<br />

Zucchi übernahm an seiner<br />

Stelle die Rolle des<br />

Betreuers, er grundierte<br />

Leinwände für seine Frau,<br />

beschaffte Rahmen und<br />

andere Utensilien für ihre<br />

Arbeit und trieb das Geld<br />

ein. 1782 zog das Ehepaar<br />

nach Rom und erwarb ein<br />

Haus in der Via Sistina, das<br />

zuvor im Besitz des deutschen,<br />

damals in ganz Europa<br />

hoch geschätzten Malers<br />

Anton Raphael Mengs<br />

(1728-1779) gewesen war.<br />

Mengs’ Werke hatten entscheidenden<br />

Einfluss auf<br />

Angelika Kauffmann.<br />

Das Ehepaar führte ein<br />

glänzendes großbürgerliches<br />

Leben; in ihrem<br />

Sa l on empfing Angelika<br />

Kauffmann Aristokraten,<br />

Kardinäle, Künstler und<br />

Abb. 3: Angelika Kauffmann: Selbstbildnis mit der Büste<br />

der Minerva, 1780/81, Öl auf Leinwand, 93 x 76,5 cm,<br />

Bündner Kunstmuseum, Chur.<br />

Gelehrte vieler Nationen. Johann Gottfried Herder (1744-<br />

1803) nannte sie „die vielleicht kultivierteste Frau in Europa“.<br />

5 Mit Goethe verband Angelika Kauffmann während<br />

seiner beiden Aufenthalte in Rom in den Jahren 1786 bis<br />

1788 eine enge Freundschaft; der Dichter war regelmäßiger<br />

Gast in ihrem Haus in der Via Sistina. Über einen dieser<br />

Besuche schreibt er am 15. Februar 1787: „Vor meiner<br />

Abreise nach Neapel konnte ich einer nochmaligen Vorlesung<br />

meiner ,Iphigenia‘ nicht entgehen. Madam Angelika<br />

und Hofrat Reiffenstein waren die Zuhörer, und selbst Herr<br />

Zucchi hatte darauf gedrungen, weil es der Wunsch seiner<br />

Gattin war; er arbeitete indes an einer großen architektonischen<br />

Zeichnung, die er in Dekorationsart vortrefflich zu<br />

machen versteht. […] Die zarte Seele Angelika nahm das<br />

Stück mit unglaublicher Innigkeit auf; sie versprach mir,<br />

eine Zeichnung daraus aufzustellen, die ich zum Andenken<br />

besitzen sollte.“ 6 Angelika malte nicht nur eine Szene<br />

der Iphigenia, 7 sondern auch Goethes Portrait, mit dem er<br />

allerdings nicht zufrieden war. Sie portraitierte ihn zur selben<br />

Zeit wie sein Freund Johann Heinrich Wilhelm Tischbein<br />

(1751-1829), und Goethe schrieb darüber am 27. Juni<br />

1787: „Tischbein ist sehr brav […]. Mein Portrait wird glücklich,<br />

es gleicht sehr, und der Gedanke gefällt jedermann;<br />

Angelika malt mich auch, daraus wird aber nichts. Es<br />

verdrießt sie sehr, dass es<br />

nicht gleichen und werden<br />

will. Es ist immer ein hübscher<br />

Bursche, aber keine<br />

Spur von mir.“ 8 Tatsächlich<br />

gilt für Angelikas Goethe-<br />

Bildnis (Abb. 4) jedoch<br />

das gleiche wie für alle<br />

ihre Portraits: Es ist nicht<br />

nur mit perfektem technischen<br />

Können, sondern<br />

auch mit dem ihr eigenen<br />

psychologischen Einfühlungsvermögen<br />

gemalt;<br />

es zeigt ein durchgeistigtes,<br />

sensibles Gesicht,<br />

das der Portraitierenden<br />

mit freundlicher Aufmerksamkeit<br />

zugewandt ist.<br />

Über den Grad der Ähnlichkeit<br />

zu urteilen, ist der<br />

Nachwelt allerdings kaum<br />

möglich. Herder sah das<br />

Portrait 1789 im Atelier<br />

der Malerin und schrieb<br />

darüber: „Goethes Bild<br />

hat sie sehr zart ergriffen,<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

75


76<br />

zarter als er ist, daher die<br />

ganze Welt über Unähnlichkeit<br />

schreiet; die doch<br />

aber wirklich im Bilde existiert.<br />

Die zarte Seele hat<br />

ihn sich so gedacht, wie sie<br />

ihn gemalt.“ 9 Herder hat<br />

wohl richtig erkannt, dass<br />

die Gefühle der Malerin für<br />

den attraktiven, jüngeren<br />

Dichter, mit dem sie Geistesverwandtschaft<br />

und<br />

allem Anschein nach auch<br />

große Zuneigung verbanden,<br />

in das Bildnis eingeflossen<br />

sind, und es mag<br />

sein, dass die von ihrem<br />

Empfinden bestimmte<br />

Sicht mit der Realität nicht<br />

ganz übereinstimmte. Das<br />

schöne, unprätentiöse<br />

Brustbildnis genügte Goethe<br />

jedenfalls nicht. Er bevorzugte die große Inszenierung<br />

als Dichterfürst in theatralischer Pose und Gewandung,<br />

im antikisierenden Umfeld und vor dem Relief mit einer<br />

Iphigenie-Darstellung als Hinweis auf seine in Italien gerade<br />

entstehende Iphigenie, die Tischbein mit dem berühmten<br />

Gemälde ,Goethe in der römischen Campagna‘<br />

ins Bild gebracht hatte. 10 Abgesehen von der Unzufriedenheit<br />

mit seinem Bildnis war Goethe jedoch einer der großen<br />

Bewunderer der Malerin: „Sie hat ein unglaubliches und<br />

als Weib wirklich ungeheures Talent.“ 11 Zu den Auftraggebern<br />

der Malerin gehörten nun auch die Angehörigen<br />

europäischer Herrscherhäuser wie Kaiser Joseph II., Zar<br />

Paul I., Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und<br />

das Königspaar von Neapel und Sizilien. Angelika Kauffmann<br />

blieb bis zu ihrem Lebensende in Rom. Nach ihrem<br />

Tod im Jahr 1807 wurde sie mit großen Ehren in der Kirche<br />

San Andrea delle Fratte beigesetzt; wie bei Raffael trugen<br />

Malerkollegen der Accademia di San Luca den Sarg.<br />

Den jungen Thomas Reade hat Angelika Kauffmann in<br />

einem historischen Kostüm aus dem 17. Jahrhundert portraitiert,<br />

wie es von etwa 1620 bis 1650 in Mode war. Charakteristisch<br />

für die Kleidung dieser Zeit sind die vertikal<br />

gesetzten Schlitze im Obergewand. Unter den Schlitzen<br />

der roten Seidenjacke von Thomas Reade ist das weiße<br />

Hemd zu sehen; Kragen und Manschetten sind reich mit<br />

Spitzen verziert. Der große flach aufliegende Spitzenkragen,<br />

meist Schweden-Kragen genannt, war in der ersten<br />

Hälfte des 17. Jahrhunderts sehr beliebt. Er verdankt sei-<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

Abb. 4: Angelika Kauffmann: Johann Wolfgang von Goethe,<br />

1787/88, Öl auf Leinwand, 64 x 52 cm,<br />

Goethe-Nationalmuseum, Weimar.<br />

nen Namen König Gustav II.<br />

Adolf von Schweden (1611-<br />

1632), der besonders kostbare<br />

Exemplare dieser Art<br />

zu tragen pflegte. 12 Ebenfalls<br />

charakteristisch für<br />

die Mode der Zeit ist das<br />

wulstartige Achselstück,<br />

das Piccadilly oder Piccadilly-Abschluss<br />

genannt wird,<br />

nach einem Schneider, zu<br />

dessen Spezialitäten diese<br />

Achselstücke gehörten.<br />

Nach ihm sind übrigens<br />

auch die Geschäftsstraße<br />

Piccadilly und der Platz<br />

Piccadilly Circus in London<br />

benannt. 13<br />

Geschlitzte Kleiderpartien<br />

kamen in der Renaissance<br />

in Mode; um 1480<br />

tauchten sie erstmals auf. Im 16. Jahrhundert wurden<br />

hauptsächlich die Ärmel mit Schlitzen versehen, vor allem<br />

die Ärmelpuffen von Damen- und Herrenkleidung. Auch<br />

die kurzen Pluderhosen und die Kniehosen der Herren waren<br />

mit unterlegten Schlitzen verziert. Besonders beliebt<br />

waren die Schlitztrachten bei den deutschen Landsknechten<br />

des 16. Jahrhunderts; da der aufgeschnittene Oberstoff<br />

mit andersfarbigem Stoff unterlegt werden konnte,<br />

ließen sich mit den Schlitztrachten Farbeffekte erzielen. 14<br />

Auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts blieb die<br />

Schlitzmode aktuell, sowohl in der militärischen Kleidung<br />

des Dreißigjährigen Krieges als auch in der Zivilkleidung.<br />

Um 1650, nach dem Ende des Krieges, endete auch die<br />

Mode der Schlitztrachten.<br />

Ein anschauliches Beispiel für die Schlitzmode in einer<br />

späten Form besitzt das Wallraf-Richartz-Museum mit<br />

dem Bildnis des berühmten Kölner Kunstsammlers Everhard<br />

IV. Jabach (1618-1695), das um 1650 datiert und dem<br />

niederländischen Maler Peter Lely (1618-1680) zugeschrieben<br />

wird (Abb. 5). Everhard IV. Jabach, einer Kölner Kaufmannsdynastie<br />

entstammend, ging in jungen Jahren<br />

nach Paris, avancierte zum erfolgreichen Bankier und<br />

Handelsherren und spielte als Kunstsammler und Mäzen<br />

eine bedeutende Rolle. Seine zahlreichen Portraits gab er<br />

nur bei den berühmtesten Malern der Zeit in Auftrag; so<br />

portraitierten ihn Anthonis van Dyck (1599-1641), Hofmaler<br />

Karls I. von England, und Hyacinthe Rigaud (1659-1743),<br />

Hofmaler Ludwigs XIV. von Frankreich. Peter Lely war


Hofmaler Karls II. von England und zu seiner Zeit der renommierteste<br />

Portraitmaler Englands. Everhard Jabach<br />

sitzt frontal zum Betrachter im Sessel vor einer Mauer mit<br />

dem Ausblick auf eine Flusslandschaft links im Bild. Das<br />

von schulterlangen Locken umrahmte Gesicht ist im Dreiviertelprofil<br />

zu sehen. Jabach trägt ein weißes Hemd mit<br />

glattem Kragen und Rüschenmanschetten und darüber<br />

das geschlitzte schwarze Gewand. Im Unterschied zum<br />

Gewand von Thomas Reade sind hier nicht Schlitze in den<br />

Stoff geschnitten, vielmehr bestehen Ärmel und Oberteil<br />

des Gewandes aus schmalen Bändern, die am Mieder, an<br />

den Schulterpartien und an den Manschetten befestigt<br />

sind. Die Schlitzmode erscheint im Gewand von Everhard<br />

Jabach in einer besonders extravaganten Form. 15<br />

Warum wählte Angelika Kauffmann ein historisches Gewand<br />

aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts? Die Darstellung<br />

in einem sogenannten van Dyck-Kostüm war gerade<br />

bei englischen Portraits bis ins späte 18. Jahrhundert<br />

sehr beliebt. Sie steht in der Tradition der Portraitmalerei<br />

Anthonis van Dycks am Hof Karls I. von England. 16 Van<br />

Dyck, 1632 von Karl I. an den englischen Hof berufen und<br />

zum Hofmaler ernannt, war der bedeutendste Portraitmaler<br />

seiner Zeit. Er wurde 1599 in Antwerpen geboren;<br />

seine Begabung zeigte sich<br />

bereits in seinen Lehrjahren<br />

bei Hendrik van Balen<br />

(um 1775-1632) und Rubens<br />

(1577-1640). Im Alter von<br />

19 Jahren wurde er als Meister<br />

in die Antwerpener<br />

Lukasgilde aufgenommen.<br />

Nach mehreren Jahren in<br />

Italien in den 1620er Jahren,<br />

wo er zahlreiche Aufträge<br />

des Adels erhielt, wurde<br />

er 1630 Hofmaler der<br />

Statthalterin Erzherzogin<br />

Isabella am Brüsseler Hof.<br />

Nach seiner Berufung nach<br />

England 1632 erhob ihn<br />

Karl I. noch im selben Jahr<br />

in den Adelsstand.<br />

In den 1630er Jahren entstanden<br />

zahlreiche Portraits<br />

Karls I. (Abb. 6) 17<br />

und Angehöriger des englischen<br />

Hochadels. Van<br />

Dyck verstand es, seine<br />

Auftraggeber als Standes-<br />

Abb. 5: Peter Lely, zugeschrieben: Everhard Jabach, um 1650,<br />

Öl auf Leinwand, 124 x 105 cm, Wallraf-Richartz-Museum &<br />

Fondation Corboud, Köln (WRM 1041).<br />

personen mit ihren Wünschen nach Würde und Eleganz<br />

zu erfassen. Er entwickelte einen neuen Portraitstil, geprägt<br />

von Mode und Stoffen; in dekorativer Kleidung, die<br />

er virtuos zu malen verstand, wurden die Portraitierten<br />

effektvoll und repräsentativ in Szene gesetzt. Da Karl I.<br />

außerordentlich an modischer Eleganz interessiert war,<br />

liegt die Vermutung nahe, dass diese Vorliebe seines Königs<br />

den Maler veranlasste und inspirierte, kostbare Stoffe<br />

und modische Kleidung für wirkungsvolle Portrait-Inszenierungen<br />

einzusetzen.<br />

Van Dycks überaus erfolgreicher Karriere am englischen<br />

Hof war keine lange Dauer beschieden; 1641 erkrankte der<br />

Maler und starb Ende des Jahres im Alter von nur 42 Jahren.<br />

Wenig später brach der englische Bürgerkrieg aus, und<br />

damit endete auch das glanzvolle Leben am Hof Karls I.<br />

Das Jahrzehnt zwischen 1630 und 1640 blieb aber unauslöschlich<br />

mit dem Namen van Dyck verbunden, und sein<br />

Portraitstil aus dieser Zeit beeinflusste die Portraitmalerei<br />

an den europäischen Höfen bis zum Ende des Jahrhunderts.<br />

Viele Maler übernahmen van Dycks Kompositionskonzepte,<br />

das von der venezianischen Malerei beeinflusste<br />

Kolorit und den Stil der Kleidung. In England blieb die<br />

höfische Portraitmalerei noch stärker unter dem Einfluss<br />

van Dycks als im übrigen<br />

Europa. Sein direkter<br />

Nachfolger als führender<br />

Hofmaler Karls II. war Peter<br />

Lely, der dem Stil van<br />

Dycks treu blieb, wie das<br />

vorgestellte Portrait Everhard<br />

Jabachs belegt. Es<br />

war bezeichnenderweise<br />

bis zum Ende des 19. Jahrhunderts<br />

van Dyck zugeschrieben.<br />

18<br />

Im Lauf des 18. Jahrhunderts<br />

kam Kleidung im<br />

Stile van Dycks in den<br />

Gesellschaftsportraits<br />

allmählich aus der Mode.<br />

Sie findet sich noch bei<br />

Portraitmalern wie Godfrey<br />

Kneller (1646-1723),<br />

der den Stil Lelys in England<br />

fortführte, oder bei<br />

Nicolas de Largillière<br />

(1656-1746) und François<br />

de Troy (1645-1730) in<br />

Frankreich, wird jedoch<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

77


zunehmend durch aktuelle Moden oder durch Phantasiekostüme<br />

ersetzt. Im 18. Jahrhundert waren historische<br />

Kostüme ebenso wie Phantasiekostüme vor allem für<br />

Maskeraden sehr beliebt; so gab es Shakespeare-Kleidung,<br />

türkische Gewänder und Hirtenkostüme aus der<br />

imaginierten Zeit einer arkadischen Idylle, wie sie für<br />

die Schäferspiele am Hof Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes<br />

von Frankreich getragen wurden. In solchen<br />

Kostümen ließ man sich auch portraitieren. In England<br />

blieb man dem van Dyck-Stil jedoch länger verbunden; in<br />

der Zeit von etwa 1730 bis 1790 war ein Vandyke dress genanntes<br />

Kostüm besonders populär, wobei das anglisierte<br />

Vandyke nun als Bezeichnung für einen bestimmten<br />

Kostümtypus, der sich an der Mode der Zeit van Dycks<br />

orientierte, verwendet wurde. Vandyke-Kleidung wurde<br />

von Damen und Herren getragen; man ging damit zu Kostümfesten<br />

und wählte diese Ausstattung auch gerne für<br />

Portraits. Häufig passte man die Haartracht ebenfalls der<br />

des 17. Jahrhunderts an. 19 Daher ist anzunehmen, dass<br />

die schulterlangen Locken von Thomas Reade passend<br />

zur van Dyck-Kleidung frisiert worden sind. Lange gelockte<br />

Haare, die zu kräuseln und zu pflegen viel Aufwand<br />

erforderte, galten zudem als Privileg der Oberschicht<br />

und waren damit auch ein Standeszeichen. 20<br />

Die besondere Vorliebe für Kostüme im Stil van Dycks in<br />

Portraits des englischen Adels im 18. Jahrhundert ist aus<br />

einer möglicherweise auch leicht verklärenden Rückschau<br />

auf die Zeit Karls I. und seines berühmten Hofmalers<br />

zu verstehen. Der Hof Karls I., der zu seiner Zeit<br />

zu den führenden kulturellen Zentren Europas gehörte,<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

78 WiSSenSChaF tliC he BeriC hte<br />

Abb. 6: Anthonis van Dyck: König Karl I. von England und<br />

Königin Henrietta Maria, 1632, Öl auf Leinwand, 113,5 x 163 cm,<br />

Schloss Kromeriz (Kremsier), Tschechische Republik.<br />

repräsentierte in der Vorstellung der englischen Gesellschaft<br />

des 18. Jahrhunderts den Höhepunkt von Eleganz<br />

und kultivierter Lebensart, wobei die Bildnisse van Dycks<br />

die Eleganz der Mode überliefert hatten. Bei einigen Auftraggebern<br />

des Hochadels konnte hinzukommen, dass<br />

ihre Vorfahren einst von van Dyck portraitiert worden<br />

waren, und sie in Anspielung darauf in der Kleidung seiner<br />

Zeit erscheinen wollten. 21<br />

Ein anschauliches Beispiel für van Dyck-Mode im 18. Jahrhundert<br />

gibt auch das vermutlich populärste englische<br />

Bildnis der Zeit: ,The Blue Boy – Jonathan Buttall‘ von<br />

Thomas Gainsborough (Abb. 7). Es entstand um 1770,<br />

also fast zeitgleich mit Angelika Kauffmanns Bildnis von<br />

Thomas Reade. Auch der junge Jonathan Buttall wurde im<br />

van Dyck-Kostüm portraitiert, und wesentliche Details<br />

seiner Kleidung stimmen mit Details der Kleidung von<br />

Thomas Reade überein: Der blaue Anzug ist aus schwerer<br />

glänzender Seide, die Jacke hat Piccadilly-Achselstücke,<br />

und ihre Ärmel weisen die charakteristischen Schlitze<br />

auf, die das weiße Hemd sehen lassen. Spitzenkragen<br />

und Spitzenmanschetten sind bei den Kostümen sehr<br />

ähnlich. Jonathan Buttall wurde allerdings in Ganzfigur<br />

vor dekorativem Landschaftshintergrund portraitiert;<br />

sein Vater hat in das Bildnis offensichtlich etwas mehr investiert<br />

als der 5. Baronet John Reade in das Bildnis seines<br />

Sohnes Thomas. Der Vergleich lässt auch erkennen, dass<br />

Angelika Kauffmann in ihrem malerischen Können Thomas<br />

Gainsborough nicht nachsteht – ein weiterer Beweis<br />

dafür, dass das Museum mit der Neuerwerbung einen<br />

glücklichen Griff getan hat.


Abb. 7: Thomas Gainsborough: The Blue Boy –<br />

Jonathan Buttall, um 1770, Öl auf Leinwand, 178 x 122 cm,<br />

Henry E. Huntington Art Gallery, San Marino, USA.<br />

angelika Kauffmann:<br />

Portrait of thomas reade<br />

in 2007, the Wallraf-richartz-Museum & Fondation<br />

Corboud had the good fortune to acquire<br />

a portrait by Angelika Kauffmann. Dating from<br />

about 1775, the half-length portrait shows the<br />

young english aristocrat, thomas reade, in a<br />

historical costume harking back to the first half<br />

of the seventeenth century and known as a van<br />

Dyck costume. this was highly popular in eighteenth-century<br />

england both for masquerades<br />

and for portaits. it harked back to a tradition begun<br />

by Charles i and his renowned court painter,<br />

Anthony van Dyck, who, working at the english<br />

court in the 1630s, had evolved a new style of<br />

portraiture. english society in the eighteenth<br />

century pictured Charles i’s court as the ultimate<br />

in elegance and sophistication.<br />

Anmerkungen<br />

1 Vgl. Bildakte.<br />

2 Vgl. G. Czymmek: Angelika – Das kauf(f)männische Talent, in:<br />

150 Jahre Freunde. Kunst erleben – Kunst fördern. Festschrift zur<br />

150-Jahrfeier der Freunde des Wallraf-Richartz-Museums und des<br />

Museums Ludwig e.V. (Köln 2007) 45f.<br />

3 Selbstbildnis in der Tracht der Bregenzerwälderin mit Pinsel und<br />

Palette, um 1757-1759, Öl auf Leinwand, 46 x 33 cm, Uffizien, Florenz.<br />

4 Vgl. B. Baumgärtel (Hrsg.): Angelika Kauffmann 1741-1807.<br />

Retrospektive, Ausst.-Kat. Düsseldorf/München/Chur 1998/1999<br />

(Düsseldorf 1998) 232.<br />

5 Brief Herders an seine Frau Karoline vom 28. März 1789. Vgl.<br />

Baumgärtel (Anm. 4) 323.<br />

6 Goethe, Italienische Reise. Hrsg. und kommentiert von H. v.<br />

Einem (München 1981) 169.<br />

7 Goethe schreibt dazu: „Angelika hat aus meiner ,Iphigenie‘ ein<br />

Bild zu malen unternommen; der Gedanke ist sehr glücklich, und sie<br />

wird ihn trefflich ausführen. Den Moment, da sich Orest in der Nähe<br />

der Schwester und des Freundes wiederfindet. Das, was die drei<br />

Personen hintereinander sprechen, hat sie in eine gleichzeitige<br />

Gruppe gebracht und jene Worte in Gebärden verwandelt. Man sieht<br />

auch hieran, wie zart sie fühlt und wie sie sich zuzueignen weiß, was<br />

in ihr Fach gehört. Und es ist wirklich die Achse des Stücks.“ Ebd. 205.<br />

8 Ebd. 353.<br />

9 Vgl. Baumgärtel (Anm. 4) 83.<br />

10 Das große Bild blieb längere Zeit unvollendet; bis heute ist nicht<br />

geklärt, unter welchen Umständen es fertig gestellt worden ist.<br />

Goethe hat das vollendete Bildnis nie gesehen und deshalb wohl<br />

auch nie erfahren, dass er darin mit zwei linken Füßen posiert. Vgl.<br />

Prestel-Museumsführer. Städelsches Kunstinstitut und Städtische<br />

Galerie Frankfurt a. M. (München/Berlin/London/New York o. J.) 89f.<br />

11 Italienische Reise (Anm. 6) 385. So auch der Titel einer Ausstellung<br />

in Bregenz 2007 anlässlich des 200. Todesjahres der Malerin; T. G.<br />

Natter (Hrsg.): Angelika Kauffmann – Ein Weib von ungeheurem Talent,<br />

Ausst.-Kat. Vorarlberger Landesmuseum Bregenz (Ostfildern 2007).<br />

12 Vgl. I. Loschek: Reclams Mode- und Kostümlexikon (Stuttgart 1987)<br />

324.<br />

13 Ebd. 379.<br />

14 Im Zusammenhang mit dem schlechten Ruf, den sich die<br />

Landsknechte im 16. Jahrhundert zuzogen, bekam die Schlitztracht<br />

partiell auch eine negative Bedeutung: In manchen Darstellungen<br />

der Zeit wurde der Teufel mit Landsknechtstracht, vor allem mit<br />

den dafür charakteristischen geschlitzten Pluderhosen ausgestattet.<br />

Vgl. dazu A. Blühm: Der Streit der Tugenden um die Menschheit<br />

– Ein Beitrag zur Ikonographie der Reformationszeit, in: Niederdeutsche<br />

Beiträge zur Kunstgeschichte, 28, 1989, 67ff.<br />

15 Das Wallraf-Richartz-Museum besitzt insgesamt drei Portraits von<br />

Everhard IV. Jabach, außer dem aufgeführten ein weiteres, Peter Lely<br />

zugeschriebenes Portrait, ebenfalls aus der Zeit um 1650, sowie ein<br />

Altersportrait von Hyacinthe Rigaud. Vgl. dazu H. Vey: Die Bildnisse<br />

Everhard Jabachs, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch XXIX, 1967, 157ff.<br />

16 Ausführlich zu Mode und Portraitmalerei im Stil van Dycks im<br />

18. Jahrhundert E. E. S. Gordenker: Anthony van Dyck (1599-1641)<br />

and the Representation of Dress in Seventeenth-Century<br />

Portraiture (Turnhout 2001) 77.<br />

17 Das Doppelportrait von Karl I. und Königin Henrietta Maria wurde<br />

aus der Versteigerung der Kunstsammlung Karls I., die nach dessen<br />

Hinrichtung im Januar 1649 vom 15.8.1649 bis zum 1.2.1653 in London<br />

stattfand, von dem Kölner Kunstsammler Franz von Imstenraedt<br />

(1632-1694) erworben, einem Neffen von Everhard IV. Jabach, der<br />

ebenfalls die eigene Sammlung mit Käufen aus der Londoner Versteigerung<br />

bereichert hat. Imstenraedt verkaufte das Doppelportrait<br />

mit seiner Sammlung 1680 an Karl von Liechtenstein, den Bischof<br />

von Olmütz. Es befindet sich heute in der Erzbischöflichen Gemäldesammlung<br />

auf Schloss Kremsier (Kromeriz) in Südmähren, der<br />

ehemaligen Sommerresidenz der Bischöfe und späteren Erzbischöfe<br />

von Olmütz. Ausführlich zur Sammlung Imstenraedt J. Seyfarth: Ein<br />

Schatzhaus des Apelles (Iconophylacium). Beschreibung der Bildersammlung<br />

des Kölner Ratsherrn Franz von Imstenraedt, 1667, Abb. des<br />

Doppelportraits 226, erklärender lateinischer Text – den von Franz von<br />

Imstenraedt, wie die lateinischen Texte zu allen Gemälden seiner zum<br />

Verkauf angebotenen Sammlung, offenbar selbst verfasst hat – mit<br />

deutscher Übersetzung von J. Seyfarth 224ff, in der Reihe W. Schäfke<br />

(Hrsg.): Coellen eyn Croyn. Renaissance und Barock in Köln (Köln 1999).<br />

18 Vgl. G. v. d. Osten/H. Keller (Hrsg.), H. Vey/A. Kesting (Bearb.):<br />

Katalog der niederländischen Gemälde von 1550 bis 1800, Kataloge<br />

des Wallraf-Richartz-Museums III (Köln 1967) 66.<br />

19 Vgl. Gordenker (Anm. 16) 77.<br />

20 Vgl. M. Jedding-Gesterling/G. Brutscher (Hrsg.): Die Frisur. Eine<br />

Kulturgeschichte der Haarmode von der Antike bis zur Gegenwart<br />

(Hamburg 1990) 100ff.<br />

21 Vgl. Gordenker (Anm. 16) 79.<br />

Autorin:<br />

Thesy Teplitzky, Köln<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

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79


impressum<br />

Kölner MuseumsBulletin<br />

Berichte, Forschungen und Aktuelles aus den<br />

Museen der stadt Köln<br />

Heft 2/2008<br />

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DruCK:<br />

asmuth druck + crossmedia, Köln<br />

t itel:<br />

titel: Blick in die Ausstellung „teX. textiles von morgen.<br />

Barbara esser – Wolfgang Horn“ im Museum für<br />

Angewandte Kunst<br />

C OPYriGHtnACHWeis:<br />

Titel, S. 2: © A. Pohlmann, Köln (reinformat); S. 8: © Peter Doig; S. 21-25:<br />

© Man Ray Trust, Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2008; S. 27-31:<br />

© N. Kjieldgaard u. G. Byskov, Dänemark; S. 32: © E. Wirdeier, DGPh;<br />

S. 39-41: © S. Fuis, Köln; S. 74: © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum,<br />

Innsbruck; S. 75: © Bündner Kunstmuseum, Chur; S. 76: © Klassik-<br />

Stiftung Weimar; S. 67, 69: © Staatsgalerie Stuttgart<br />

Kölner MuseuM s - Bulletin 2|2008<br />

80 a u SStellunG en und aKtuelleS<br />

P HOt O n ACHWeis:<br />

Bièvres, Musée français de la Photographie: S. 31; T. Blisniewski: S. 66;<br />

Chur, Bündner Kunstmuseum: S. 75; M. Fiedler, Berlin/Köln: S. 56 (Abb.<br />

6); S. Fuis, Köln: S. 39-41; nach: M. D. Henkel: De houtsneden van<br />

Mansion’s Ovide Moralisé Bruges 1484. Met en toelichtening door M.<br />

D. Henkel (Amsterdam 1922): S. 64; Innsbruck, Tiroler Landesmuseum<br />

Ferdinandeum: S. 74; Archiv Robert Lebeck, Berlin: S. 30; J. Littkemann,<br />

Berlin (Courtesy: Contemporary Fine Arts, Berlin): S. 8; Los Angeles,<br />

J. Paul Getty Museum: S. 57 (Abb. 5), S. 58 (Abb. 7); Man Ray Trust,<br />

Paris: S. 21-25; nach: M. Rosenthal: The Art of Thomas Gainsborough.<br />

‘A little business for the Eye’ (New Haven und London 1999): S. 79;<br />

P. Otten u. E. M. Spiegel (Römisch-Germanisches Museum der Stadt<br />

Köln): S. 34; Jürgen Schulzki: S. 6-7; nach: W. L. Strauss (Hrsg.): Hendrik<br />

Goltzius 1558-1617. The Complete Engravings and Woodcuts Bd. 2<br />

(New York 1977): S. 65; Stuttgart, Archäologisches Landesmuseum<br />

Baden-Württemberg (Hoffmann): S. 56 (Abb. 3); Staatsgalerie<br />

Stuttgart: S. 67, 69; M. Trier (Römisch-Germanisches Museum der<br />

Stadt Köln): S. 35-37; Klassik-Stiftung Weimar: S. 76; nach H. Westhoff-<br />

Krummacher (Hrsg.): Berliner Porzellan aus Privatbesitz (Münster<br />

1991): S. 68; nach: A. K. Wheelock/S. J. Barnes/J. S. Held et al.: Anthony<br />

van Dyck, Ausst.-Kat. National Gallery of Art Washington (Wetteren<br />

1990): S. 78; E. Wirdeier, DGPh: S. 32.<br />

Alle anderen Abbildungen: Rheinisches Bildarchiv, Köln (M. Albers, H.<br />

Buchen, M. Mennicken, W.F. Meier, B. Schlier, A. Wagner, S. Walz)<br />

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Förderer des Museums für Angewandte Kunst<br />

Fördererkreis des Museums für Ostasiatische Kunst<br />

PrO Arte MeDii AeVi –<br />

Freunde des Museum schnütgen e.V.<br />

Freunde des Kölnischen stadtmuseums e.V.<br />

Freunde der Kunst- und Museumsbibliothek<br />

der stadt Köln e.V.<br />

Museumspädagogische Gesellschaft e.V.


VAN HAM<br />

Kunstauktionen<br />

Günther Uecker (*1930)<br />

„Struktur“ | 1965<br />

Schätzpreis: € 100.000<br />

Candida Höfer (*1944)<br />

„U-Bahnstation Theaterplatz<br />

Oslo I 2000“<br />

Schätzpreis: € 12.000<br />

Juwelen-Smaragd Ring<br />

Platin | Smaragd | Diamanten<br />

Schätzpreis: € 26.000 - 30.000<br />

Ernst Barlach (1870–1938)<br />

„Frau im Wind“ | 1931 | Gips<br />

rötlich getönt | Eines von zwei<br />

bekannten Exemplaren<br />

Schätzpreis: € 35.000<br />

Andreas Achenbach (1815–1910)<br />

„Der Seesturm“ | 1849<br />

Schätzpreis: € 22.000<br />

Pendule Au Nègre<br />

Bronze vergoldet<br />

Paris spätes 18. Jh.<br />

Schätzpreis: € 8.000 - 12.000<br />

Dekorative Kunst | 10. September 2008 | Vorbesichtigung: 6. – 8. Sep 2008<br />

Schmuck-Sonderauktion in Luxemburg | 12. Oktober 2008<br />

Vorbesichtigung: 10. – 12. Oktober 2008<br />

Teppiche | 31. Oktober 2008 | Vorbesichtigung: 24. – 29. Oktober 2008<br />

Alte Kunst | 21. November 2008 | Vorbesichtigung: 12. – 18. November 2008<br />

Europäisches Kunstgewerbe & Schmuck<br />

20. + 22. November 2008 | Vorbesichtigung: 12. – 18. November 2008<br />

Moderne & Zeitgenössische Kunst | 3. Dezember 2008<br />

Vorbesichtigung: 27. November – 1. Dezember 2008<br />

Photographie | 5. Dezember 2008 | Vorbesichtigung: 27. November – 1. Dez 2008<br />

Unsere Experten informieren Sie gerne über die aktuelle Marktsituation und geben Ihnen kostenlose<br />

Einschätzungen für Ihre Kunstwerke. Wir freuen uns auf Ihren Anruf, Ihre E-Mail bzw. Ihre Post. Einlieferungen<br />

von Sammlungen, Nachlässen und Einzelstücken sind bis zwei Monate vor den Auktionen möglich.<br />

Informationen | Termine | Online-Kataloge: www.van-ham.com | Mo–Fr 10–18 h | Sa 10–16 h | So 11–16 h<br />

Schönhauser Straße 10 – 16 | 50968 Köln | Tel + 49 (0)221 · 92 58 62- 0 | Fax + 49 (0)221 · 92 58 62- 4 | E-Mail info@van-ham.com


WWW.COFAA.DE<br />

Cologne Fine Art & Antiques 2008<br />

Koelnmesse GmbH<br />

Messeplatz 1<br />

50679 Köln<br />

Tel. +49 221 821-3248<br />

Fax +49 221 821-3734<br />

cofaa@koelnmesse.de<br />

www.koelnmesse.de<br />

19. – 23. November 2008<br />

Kunst- und Antiquitätenmesse

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