November 2010 (PDF) - an.schläge
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postsozialismus<br />
10 l <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> <strong>November</strong> <strong>2010</strong><br />
Die Stahlarbeiterin<br />
im Kindergarten<br />
Im Kommunismus em<strong>an</strong>zipiert,<br />
im Kapitalismus degradiert?<br />
Ramona Vogel wirft einen<br />
Blick auf die aktuelle Gleichstellungspolitik<br />
in Tschechien<br />
und den ambivalenten Umg<strong>an</strong>g<br />
mit den Geschlechterbildern<br />
der realsozialistischen Verg<strong>an</strong>genheit.<br />
Auf die Revolution von 1989 ist m<strong>an</strong> in<br />
Tschechien zurecht stolz: Männer wie<br />
Frauen wehrten sich gleichermaßen<br />
gegen das repressive realsozialistische<br />
System und seine verkrusteten Strukturen<br />
– mit Erfolg. Ende gut, alles gut?<br />
Die GewinnerInnen von Revolutionen<br />
sind selten deren VorkämpferInnen, und<br />
in Tschechien haben die Frauen klar<br />
verloren.<br />
Betrachtet m<strong>an</strong> die Arbeitsmarktdaten,<br />
stehen die tschechischen Frauen glänzend<br />
da: In kaum einem <strong>an</strong>deren L<strong>an</strong>d<br />
der Welt arbeitet ein so hoher Anteil <strong>an</strong><br />
Frauen in Vollzeit wie hier. Nur vier bis<br />
fünf Prozent der Frauen in Tschechien<br />
bleiben zu Hause. Allein dies schon<br />
als Zeichen für Gleichberechtigung zu<br />
interpretieren, wäre allerdings falsch:<br />
„In Tschechien ist das Familienmodell<br />
auf zwei Verdiener ausgelegt”, erklärt<br />
Alena Krˇížková, Leiterin der Abteilung<br />
für Gender-Forschung <strong>an</strong> der Akademie<br />
der Wissenschaften in Prag, der<br />
einzigen Forschungsstelle dieser Art im<br />
g<strong>an</strong>zen L<strong>an</strong>d.<br />
Der Durchschnittslohn beträgt in Tschechien<br />
rund 950 Euro – und dies bei mit<br />
Österreich und Deutschl<strong>an</strong>d vergleich-<br />
baren Lebenshaltungskosten. Zusätzlich<br />
ergaben Erhebungen des Europäischen<br />
Statistikamtes, dass tschechische Frauen<br />
über 25 Prozent weniger verdienen<br />
als ihre männlichen Kollegen. In den<br />
M<strong>an</strong>agementpositionen gehen Schätzungen<br />
von bis zu 40 Prozent Lohnunterschied<br />
aus. Allerdings muss m<strong>an</strong><br />
die Größenordnung der Einkommensunterschiede<br />
relativieren: So geht die<br />
Schere bei den 25- bis 37-Jährigen am<br />
weitesten ausein<strong>an</strong>der – also in jener<br />
Altersgruppe, in der es am häufigsten zu<br />
Arbeitsunterbrechungen aufgrund von<br />
Schw<strong>an</strong>gerschaften kommt. Rechnet<br />
m<strong>an</strong> all diese Faktoren aus der Statistik<br />
heraus, bleibt ein Einkommensunterschied<br />
von rund zehn Prozent, der somit<br />
im europäischen Benachteiligungsdurchschnitt<br />
liegt.<br />
Mehrfachbelastungen. Obwohl die<br />
Arbeitszeiten von Frauen und Männern<br />
ungefähr gleich l<strong>an</strong>g sind, sind<br />
die privaten Verhältnisse innerhalb<br />
von (Ehe-) Partnerschaften klar<br />
getrennt. Laut einer Untersuchung der<br />
deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
verbringen Frauen in Tschechien im<br />
F<strong>an</strong>gor Wojciech: Figures/Postaci, 1950. Museum of Art in Łód´z<br />
Durchschnitt 21 Stunden pro Woche<br />
mit Hausarbeit, Männer aber nur rund<br />
fünf Stunden.<br />
Unterstützt wird dies durch die<br />
schwierige Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie. Jungen Müttern stehen in<br />
Tschechien drei verschiedene Modelle<br />
zur Wahl: Sie können zwei, drei<br />
oder vier Jahre zu Hause bleiben und<br />
erhalten einen ihrem Gehalt <strong>an</strong>nähernd<br />
entsprechenden Lohnausgleich. Pavla<br />
Špondrová, Gleichstellungsbeauftragte<br />
der tschechischen Regierung, kritisiert<br />
dieses Modell: „In keinem <strong>an</strong>deren<br />
europäischen L<strong>an</strong>d gibt es derart l<strong>an</strong>ge<br />
Erziehungszeiten. Das ist sehr schlecht<br />
für die Frauen, denn nach diesen vier<br />
Jahren haben sie den Bezug zur Arbeit<br />
verloren. Wenn sie ihren Job überhaupt<br />
noch haben, müssen sie quasi bei fast<br />
Null <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen.”<br />
Staatliche Kinderkrippen, die Kinder ab<br />
zwei Jahren aufnehmen, sind in Tschechien<br />
rar. Der Bedarf sei nicht gegeben,<br />
argumentiert die Regierung.<br />
Em<strong>an</strong>zipiert = staatsfeindlich. Noch<br />
deutlicher wird das Bild <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der<br />
Ergebnisse einer europaweiten Erhe-