November 2010 (PDF) - an.schläge
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Am Abh<strong>an</strong>g l Bergliteratur<br />
wird zwar nur von Alpinist_innen<br />
als Genre geführt, wird<br />
aber dennoch unterschätzt,.<br />
Neu in der Liste ist der<br />
Rom<strong>an</strong> „Fallhöhe”, der ein<br />
(seltsamerweise ziemlich<br />
überschaubares) Klassentreffen<br />
in den Bergen zum Thema hat. 15 Jahre<br />
nach der Matura w<strong>an</strong>dern drei Frauen und zwei<br />
Männer gemeinsam in der Schweizer Heimat.<br />
Glücklich sind die Mittdreißiger nur auf den<br />
ersten Blick. Die allseits beliebte Marina hat<br />
ihre Potenziale verspielt und ist nicht aus dem<br />
Ort der Kindheit weggekommen. S<strong>an</strong>dra reist<br />
aus K<strong>an</strong>ada nach zehn Jahren zum ersten Mal<br />
wieder in die Schweiz. Ihre alte Jugendliebe<br />
hat seinen Traum vom Künstlerdasein nicht<br />
verwirklicht. Eveline ist voller Neurosen und<br />
hat ihrer ehemals besten Freundin Marina<br />
alte Konflikte nicht verziehen. Und Frido lebt<br />
als verheirateter Anwalt bürgerlich mit zwei<br />
Kindern. Die Nacht in der Berghütte gestaltet<br />
die Autorin Sabina Altermatt als kriminalistisch<br />
<strong>an</strong>gehauchtes Kammerspiel und lässt es richtig<br />
krachen: Der Alkohol bringt alte Verletzungen<br />
wieder <strong>an</strong>s Licht, Rückblicke zeigen die<br />
Entwicklung der desillusionierten Freund_innen.<br />
S<strong>an</strong>dra offenbart endlich den eigentlichen<br />
Grund ihrer Rückkehr: Sie möchte eine Sterbehilfeorg<strong>an</strong>isation<br />
aufsuchen. Und Marinas<br />
jugendlicher Sohn taucht in der Einöde auf mit<br />
der Absicht, endlich seinen Vater kennenzulernen.<br />
Die Autorin lässt die Leserin mit gekonnt<br />
klarer, nüchterner Sprache auf ihre Figuren<br />
blicken und zwischen Realismus und Resignation<br />
hin- und herschw<strong>an</strong>ken. Fiona Sara Schmidt<br />
Sabina Altermatt: Fallhöhe<br />
Limmat <strong>2010</strong>, 23,20 Euro<br />
Endlich absolut l Es wurde<br />
Zeit, dass in der von Klaus<br />
Theweleit herausgegebenen<br />
Reihe „absolute” über<br />
„Schlüsseldiskurse der<br />
Gegenwart” Frauen wieder<br />
mal sichtbar werden.<br />
Bisher widmete sich nur<br />
einer der 17 erschienen Bände einer Frau und<br />
Feministin, nämlich Simone de Beauvoir. Nun<br />
also ein B<strong>an</strong>d der wieder stark verdichtet, um<br />
sozusagen alles gut zu machen, zum Komplex,<br />
zum riesigen Feld, zur Herausforderung „Feminismus”.<br />
Das ist schon schön. Diese Kompilation<br />
feministischer Texte wurde zusammengestellt<br />
und kommentiert von Gudrun Ankele aus Wien,<br />
bek<strong>an</strong>nt geworden mit ihrem Perform<strong>an</strong>ce-Trio<br />
Schwestern Brüll. Die Erwartungen werden<br />
erfüllt, besser noch, die Leserin bekommt Unerwartetes<br />
unter die Nase gerieben und wird mit<br />
Verbindungen konfrontiert, die neugierig machen.<br />
So finden sich Valie Export und Olympe de<br />
Gouges gemeinsam im Abschnitt „Komplizierte<br />
Kollektive” oder Monique Wittig mit Kathleen<br />
H<strong>an</strong>nah/Bikini Kill im Kapitel „Exklusive<br />
Utopien”. Ankele stellt Pop-Autorin Virginie<br />
Despentes neben Judith Butler, Gustav oder die<br />
Guerrilla Girls neben Donna Haraway. Aber auch<br />
weniger bek<strong>an</strong>nte bzw. historische Texte wie beispielsweise<br />
von Mina Loy oder Helene Druskowitz<br />
sind hier zu lesen. Damit eröffnet das Buch<br />
unterschiedlichste Lesemöglichkeiten und bietet<br />
auch Nicht-so-Eingecheckten die Möglichkeit für<br />
einen Quereinstieg – bek<strong>an</strong>ntlich der lustvollste<br />
Weg, sich ein neues Terrain zu erobern.<br />
Karo Rumpfhuber<br />
Gudrun Ankele (Hg.in): absolute Feminismus<br />
or<strong>an</strong>ge press <strong>2010</strong>, 18,50 Euro<br />
(In) Freiheit denken l Dieses<br />
Buch hat das nicht unbescheidene<br />
Ziel, Geschlechterdifferenz<br />
neu zu denken,<br />
um „die derzeitigen Diskussionen<br />
über das Geschlecht<br />
als ‚soziale Konstruktion’<br />
(…) aus der Dichotomie<br />
von M<strong>an</strong>n und Frau (…), aus dem Dualismus<br />
von Biologie und Kultur, Natur und Gesellschaft<br />
<strong>an</strong>.lesen<br />
(…) [zu] erlösen”. Die Herausgebenden haben<br />
u.a. Textauszüge von Beauvoir über Butler<br />
bis Muraro eingeleitet, kommentiert und<br />
verknüpft. Es wird damit nicht nur eine Fülle<br />
von verstreuten und wieder zu entdeckenden<br />
Quellen dargeboten, sondern auch die Möglichkeit,<br />
sich einzelnen Autorinnen zu widmen,<br />
oder den verschiedenen Denkbewegungen<br />
nachzugehen. Das Elementare ist die Sichtung<br />
der vielschichtigen Bedeutungen des Begriffs<br />
der Differenz (wie Andersheit, Nichtidentität,<br />
Différ<strong>an</strong>ce, Alterität) sowie die Unterscheidung<br />
zwischen diskurslogischen Gewohnheiten, über<br />
die Geschlechter zu reden und in der Differenz<br />
sinnvoll zu sprechen.<br />
Ein Lehr- und Lernbuch für alle, die Unterschiede<br />
jenseits festgefahrener Grenzen<br />
philosophisch begreifen wollen, und für jene,<br />
für die das Gleichheitsideal ein gefälschtes ist.<br />
Denn erst die Freiheit der Anderen ermöglicht<br />
die eigene. Birge Krondorfer<br />
Anke Drygala, Andrea Günter (Hg.innen):<br />
Paradigma Geschlechterdifferenz. Ein philosophisches<br />
Lesebuch<br />
Ulrike Helmer <strong>2010</strong>, 30,80 Euro<br />
Fernes Dasein l „Ich habe<br />
mir beim Naschmarkt feine<br />
Sachen eingekauft. Hab heute<br />
Abend Gäste. Die Lampe,<br />
den Teppich, die Kommode,<br />
die Nähmaschine, die neuen<br />
Vorhänge”, erklärt Josi ihrem<br />
Sohn. Und das ist nicht<br />
mal gelogen: Denn die Protagonistin lebt,<br />
nachdem sich ihr M<strong>an</strong>n als schwul geoutet hat,<br />
alleine – <strong>an</strong> Einrichtungsgegenstände gerichtete<br />
Monologe sind <strong>an</strong> der Tagesordnung. Josi,<br />
die weiß, dass das Unglück – im Gegensatz<br />
zum Glück – immer öfter als einmal kommt,<br />
muss außerdem mit einer Krebsdiagnose<br />
und den Folgen leben: Wo früher ihre Brüste<br />
waren, sind nun Kreuze.<br />
Im Urlaub auf Hydra werden die Beziehungskonstellationen<br />
interess<strong>an</strong>t. Hier trifft Josi<br />
zum einen Max Lorber, der sie fasziniert, zum<br />
<strong>an</strong>deren die Familie Köhlmeier und somit ihre<br />
eigene Erfinderin: Denn die Autorin Monika<br />
Helfer ist die Ehefrau von Michael Köhlmeier,<br />
ihre gemeinsame Tochter Paula verunglückte<br />
2003 bei einer W<strong>an</strong>derung. Die Protagonistin<br />
Josi lernt nun die 12-jährige Paula kennen<br />
und freundet sich mit ihr <strong>an</strong>. Doch wie auch<br />
die Beziehungen zu allen <strong>an</strong>deren, bleibt diese<br />
Freundschaft ambivalent: mal nah, d<strong>an</strong>n wieder<br />
dist<strong>an</strong>ziert. Es ist ein ständiges Ringen für<br />
Josi, wie sie mit <strong>an</strong>deren umgehen soll, aber<br />
<strong>November</strong> <strong>2010</strong> <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> l 39