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ung, die die Einstellung zu Geschlechterrollen<br />

<strong>an</strong>alysiert. Über die Hälfte<br />

der befragten TschechInnen stimmten<br />

Aussagen zu wie: „Der M<strong>an</strong>n sollte<br />

das Geld verdienen, die Frau sollte sich<br />

um den Haushalt kümmern.” Damit<br />

liegt Tschechien europaweit <strong>an</strong> der<br />

Spitze. „In <strong>an</strong>deren Bereichen sind die<br />

TschechInnen hingegen sehr liberal”,<br />

resümiert Pavla Špondrová, „so sind<br />

viele mit der Gleichberechtigung von<br />

gleichgeschlechtlichen Partnerschaften<br />

einverst<strong>an</strong>den.”<br />

Em<strong>an</strong>zipationsbemühungen stoßen in<br />

Tschechien nicht nur auf das übliche<br />

patriarchalische Ablehnungsmuster<br />

– sie werden gleichsam mit Staatsfeindlichkeit<br />

und Rückwärtsgew<strong>an</strong>dtheit<br />

identifiziert. „Em<strong>an</strong>zipierte<br />

Frauen werden mit Kommunisten<br />

gleichgestellt” und würden in der<br />

tschechischen Gesellschaft vollkommen<br />

diskreditiert, darin stimmen<br />

Alena Krˇížková und Pavla Špondrová<br />

überein.<br />

Der Kommunismus formulierte schon<br />

zur Zeit seiner Entstehung das Ziel<br />

der Gleichberechtigung von M<strong>an</strong>n und<br />

Frau. In der Tschechoslowakei der<br />

1950er Jahre wurde die Em<strong>an</strong>zipation<br />

der Frau jedoch von der sowjetischen<br />

Besatzung als zentrales Element der<br />

kommunistischen Staatsdoktrin ausgegeben.<br />

Ob der Staat d<strong>an</strong>n auch auf der<br />

Grundlage dieser hehren Grundsätze<br />

h<strong>an</strong>delte, sei dahingestellt. Tatsache<br />

ist, dass bei der niedrigen Produktivität<br />

nicht auf die Hälfte der arbeitsfähigen<br />

Bevölkerung verzichtet werden<br />

konnte. Mehr noch: Frauen wurden<br />

nicht nur als dringend benötigte Produktionsfaktoren<br />

auf den Arbeitsmarkt<br />

geholt, sondern gezielt gefördert. Dabei<br />

erk<strong>an</strong>nte m<strong>an</strong>, dass ein entscheidender<br />

Faktor der Benachteiligung<br />

der Frauen ihre eigene Berufswahl<br />

war – ein Erkenntnismoment, der 50<br />

Jahre später fast in Vergessenheit<br />

geraten scheint.<br />

Recht auf Arbeit. Wie auch in <strong>an</strong>deren<br />

Ländern werden die weniger gut verdienenden<br />

und gesellschaftlich geschätzten<br />

Tätigkeiten wie Erziehungsarbeit im<br />

Kindergarten und in der Grundschule<br />

fast vollständig von Frauen ausgeübt.<br />

Sobald das Ansehen und der Verdienst<br />

steigen, nimmt die Zahl der Männer zu,<br />

und in den höchsten Positionen kehrt<br />

sich das Verhältnis d<strong>an</strong>n fast vollständig<br />

um. Mittels Propag<strong>an</strong>da versuchten<br />

die KommunistInnen, dieses Rollenbild<br />

aufzubrechen. So wurden etwa in den<br />

damaligen Kinderbüchern Frauen als<br />

Stahlarbeiterinnen, Chemikerinnen oder<br />

Ärztinnen gefeiert.<br />

Die Zahl der in klassischen Männerberufen<br />

arbeitenden Frauen war während<br />

des Realsozialismus wesentlich höher<br />

Em<strong>an</strong>zipationsbemühungen stoßen in<br />

Tschechien nicht nur auf das übliche<br />

patriarchalische Ablehnungsmuster – sie<br />

werden gleichsam mit Staatsfeindlichkeit<br />

und Rückwärtsgew<strong>an</strong>dtheit identifiziert.<br />

als heute und wurde explizit unterstützt.<br />

Frauen, die in typischen Männerberufen<br />

arbeiteten, galten als Symbole der<br />

Überlegenheit des kommunistischen<br />

Regimes gegenüber dem Westen. „Dies<br />

hat sich im Bewusstsein der Menschen<br />

hier in Tschechien ver<strong>an</strong>kert.<br />

Die Gleichstellung der Frauen ist ein<br />

Thema, das m<strong>an</strong> unmittelbar verbindet<br />

mit dem alten, ungewollten Regime”,<br />

sagt Alena Krˇížková. „Dies führt nun<br />

zu einer Ablehnung des Themas, und es<br />

wird sogar mit Rev<strong>an</strong>chismus gleichgesetzt.”<br />

Und das sowohl von Männern als auch<br />

von Frauen. Denn im Gegensatz zu<br />

den kapitalistischen Ländern mussten<br />

tschechische Frauen das Recht,<br />

arbeiten zu gehen, nicht erst erkämpfen<br />

– sie wurden von Staats wegen dazu<br />

verpflichtet. Hinzu kommt, dass die<br />

Regierung, die diese Schritte einleitete,<br />

von der Bevölkerung des L<strong>an</strong>des immer<br />

als „Besatzer” begriffen wurde.<br />

Links ausgeschlossen. Alles, was in<br />

Tschechien auch nur den Anschein von<br />

linken Denkmustern erweckt, wird<br />

gesellschaftlich unterminiert. So wurde<br />

Ende September dieses Jahres die<br />

Soziologin Tereza Stöckelová unter<br />

großem Aufsehen vom renommierten<br />

deutsch-tschechischen Gesprächsforum<br />

ausgeschlossen. Als Begründung wurde<br />

ihr Engagement in einer NGO gen<strong>an</strong>nt,<br />

die sich zum linken Spektrum bekennt.<br />

In den tschechischen Medien f<strong>an</strong>d sich<br />

dies, wenn überhaupt, als R<strong>an</strong>dnotiz<br />

wieder.<br />

Auch J<strong>an</strong>a Kavková, Vorsitzende der<br />

außerparlamentarischen Vereinigung<br />

„Pro50Prozent”, die sich für eine Frauenquote<br />

in der Politik einsetzt, kennt<br />

diese Vorurteile: „M<strong>an</strong> wird immer<br />

wieder mit diesen Vorwürfen abgek<strong>an</strong>zelt.<br />

Alles, was auch nur im Verdacht<br />

steht, mit dem alten Regime zu tun zu<br />

haben, trifft auf Ablehnung.” Selbst<br />

wenn es sich um Projekte h<strong>an</strong>delt, die<br />

von der Regierung selbst ausgehen. So<br />

wurde vor einigen Jahren eine eher<br />

harmlose Broschüre in Schulen verteilt,<br />

die über politisch korrekte Formulierungen<br />

aufklären sollte. „Das Medienecho<br />

war enorm. Die Broschüre wurde derart<br />

hart sowohl von den Politikern als auch<br />

von den Medien attackiert, dass wir<br />

sie zurücknehmen mussten,” sagt Pavla<br />

Špondrová. Doch das sei nicht einmal<br />

das größte Problem: „Es betrifft ja<br />

auch die Männer. Sie stehen durch diese<br />

starren Rollenklischees selbst enorm<br />

unter Druck.” Ihrer Meinung nach ist<br />

häusliche Gewalt eine der Folgen dieses<br />

Drucks und ein Problem, auf das sie sich<br />

jetzt konzentrieren will. l<br />

Ramona Vogel ist freie Journalistin und<br />

lebt und arbeitet zurzeit in Prag.<br />

postsozialismus<br />

<strong>November</strong> <strong>2010</strong> <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> l 11

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