November 2010 (PDF) - an.schläge
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ung, die die Einstellung zu Geschlechterrollen<br />
<strong>an</strong>alysiert. Über die Hälfte<br />
der befragten TschechInnen stimmten<br />
Aussagen zu wie: „Der M<strong>an</strong>n sollte<br />
das Geld verdienen, die Frau sollte sich<br />
um den Haushalt kümmern.” Damit<br />
liegt Tschechien europaweit <strong>an</strong> der<br />
Spitze. „In <strong>an</strong>deren Bereichen sind die<br />
TschechInnen hingegen sehr liberal”,<br />
resümiert Pavla Špondrová, „so sind<br />
viele mit der Gleichberechtigung von<br />
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften<br />
einverst<strong>an</strong>den.”<br />
Em<strong>an</strong>zipationsbemühungen stoßen in<br />
Tschechien nicht nur auf das übliche<br />
patriarchalische Ablehnungsmuster<br />
– sie werden gleichsam mit Staatsfeindlichkeit<br />
und Rückwärtsgew<strong>an</strong>dtheit<br />
identifiziert. „Em<strong>an</strong>zipierte<br />
Frauen werden mit Kommunisten<br />
gleichgestellt” und würden in der<br />
tschechischen Gesellschaft vollkommen<br />
diskreditiert, darin stimmen<br />
Alena Krˇížková und Pavla Špondrová<br />
überein.<br />
Der Kommunismus formulierte schon<br />
zur Zeit seiner Entstehung das Ziel<br />
der Gleichberechtigung von M<strong>an</strong>n und<br />
Frau. In der Tschechoslowakei der<br />
1950er Jahre wurde die Em<strong>an</strong>zipation<br />
der Frau jedoch von der sowjetischen<br />
Besatzung als zentrales Element der<br />
kommunistischen Staatsdoktrin ausgegeben.<br />
Ob der Staat d<strong>an</strong>n auch auf der<br />
Grundlage dieser hehren Grundsätze<br />
h<strong>an</strong>delte, sei dahingestellt. Tatsache<br />
ist, dass bei der niedrigen Produktivität<br />
nicht auf die Hälfte der arbeitsfähigen<br />
Bevölkerung verzichtet werden<br />
konnte. Mehr noch: Frauen wurden<br />
nicht nur als dringend benötigte Produktionsfaktoren<br />
auf den Arbeitsmarkt<br />
geholt, sondern gezielt gefördert. Dabei<br />
erk<strong>an</strong>nte m<strong>an</strong>, dass ein entscheidender<br />
Faktor der Benachteiligung<br />
der Frauen ihre eigene Berufswahl<br />
war – ein Erkenntnismoment, der 50<br />
Jahre später fast in Vergessenheit<br />
geraten scheint.<br />
Recht auf Arbeit. Wie auch in <strong>an</strong>deren<br />
Ländern werden die weniger gut verdienenden<br />
und gesellschaftlich geschätzten<br />
Tätigkeiten wie Erziehungsarbeit im<br />
Kindergarten und in der Grundschule<br />
fast vollständig von Frauen ausgeübt.<br />
Sobald das Ansehen und der Verdienst<br />
steigen, nimmt die Zahl der Männer zu,<br />
und in den höchsten Positionen kehrt<br />
sich das Verhältnis d<strong>an</strong>n fast vollständig<br />
um. Mittels Propag<strong>an</strong>da versuchten<br />
die KommunistInnen, dieses Rollenbild<br />
aufzubrechen. So wurden etwa in den<br />
damaligen Kinderbüchern Frauen als<br />
Stahlarbeiterinnen, Chemikerinnen oder<br />
Ärztinnen gefeiert.<br />
Die Zahl der in klassischen Männerberufen<br />
arbeitenden Frauen war während<br />
des Realsozialismus wesentlich höher<br />
Em<strong>an</strong>zipationsbemühungen stoßen in<br />
Tschechien nicht nur auf das übliche<br />
patriarchalische Ablehnungsmuster – sie<br />
werden gleichsam mit Staatsfeindlichkeit<br />
und Rückwärtsgew<strong>an</strong>dtheit identifiziert.<br />
als heute und wurde explizit unterstützt.<br />
Frauen, die in typischen Männerberufen<br />
arbeiteten, galten als Symbole der<br />
Überlegenheit des kommunistischen<br />
Regimes gegenüber dem Westen. „Dies<br />
hat sich im Bewusstsein der Menschen<br />
hier in Tschechien ver<strong>an</strong>kert.<br />
Die Gleichstellung der Frauen ist ein<br />
Thema, das m<strong>an</strong> unmittelbar verbindet<br />
mit dem alten, ungewollten Regime”,<br />
sagt Alena Krˇížková. „Dies führt nun<br />
zu einer Ablehnung des Themas, und es<br />
wird sogar mit Rev<strong>an</strong>chismus gleichgesetzt.”<br />
Und das sowohl von Männern als auch<br />
von Frauen. Denn im Gegensatz zu<br />
den kapitalistischen Ländern mussten<br />
tschechische Frauen das Recht,<br />
arbeiten zu gehen, nicht erst erkämpfen<br />
– sie wurden von Staats wegen dazu<br />
verpflichtet. Hinzu kommt, dass die<br />
Regierung, die diese Schritte einleitete,<br />
von der Bevölkerung des L<strong>an</strong>des immer<br />
als „Besatzer” begriffen wurde.<br />
Links ausgeschlossen. Alles, was in<br />
Tschechien auch nur den Anschein von<br />
linken Denkmustern erweckt, wird<br />
gesellschaftlich unterminiert. So wurde<br />
Ende September dieses Jahres die<br />
Soziologin Tereza Stöckelová unter<br />
großem Aufsehen vom renommierten<br />
deutsch-tschechischen Gesprächsforum<br />
ausgeschlossen. Als Begründung wurde<br />
ihr Engagement in einer NGO gen<strong>an</strong>nt,<br />
die sich zum linken Spektrum bekennt.<br />
In den tschechischen Medien f<strong>an</strong>d sich<br />
dies, wenn überhaupt, als R<strong>an</strong>dnotiz<br />
wieder.<br />
Auch J<strong>an</strong>a Kavková, Vorsitzende der<br />
außerparlamentarischen Vereinigung<br />
„Pro50Prozent”, die sich für eine Frauenquote<br />
in der Politik einsetzt, kennt<br />
diese Vorurteile: „M<strong>an</strong> wird immer<br />
wieder mit diesen Vorwürfen abgek<strong>an</strong>zelt.<br />
Alles, was auch nur im Verdacht<br />
steht, mit dem alten Regime zu tun zu<br />
haben, trifft auf Ablehnung.” Selbst<br />
wenn es sich um Projekte h<strong>an</strong>delt, die<br />
von der Regierung selbst ausgehen. So<br />
wurde vor einigen Jahren eine eher<br />
harmlose Broschüre in Schulen verteilt,<br />
die über politisch korrekte Formulierungen<br />
aufklären sollte. „Das Medienecho<br />
war enorm. Die Broschüre wurde derart<br />
hart sowohl von den Politikern als auch<br />
von den Medien attackiert, dass wir<br />
sie zurücknehmen mussten,” sagt Pavla<br />
Špondrová. Doch das sei nicht einmal<br />
das größte Problem: „Es betrifft ja<br />
auch die Männer. Sie stehen durch diese<br />
starren Rollenklischees selbst enorm<br />
unter Druck.” Ihrer Meinung nach ist<br />
häusliche Gewalt eine der Folgen dieses<br />
Drucks und ein Problem, auf das sie sich<br />
jetzt konzentrieren will. l<br />
Ramona Vogel ist freie Journalistin und<br />
lebt und arbeitet zurzeit in Prag.<br />
postsozialismus<br />
<strong>November</strong> <strong>2010</strong> <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> l 11