November 2010 (PDF) - an.schläge
November 2010 (PDF) - an.schläge
November 2010 (PDF) - an.schläge
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Auffälligkeit: „Es ist komischerweise<br />
oder weil es vielleicht durchsichtig ist.<br />
(…) Also zu auffallend soll es nicht<br />
mehr sein.” Eine ebenfalls 68-jährige<br />
Witwe merkt in Bezug auf ihren aktuellen<br />
Kleidungsstil <strong>an</strong>, dass dieser etwas<br />
traditioneller als früher ist: „Ich war<br />
vielleicht nicht g<strong>an</strong>z so eine Konservative,<br />
aber [auch] keine Ausgeflippte.”<br />
Doing Gender, Doing Age. Bei der Bekleidung<br />
für ältere Frauen kristallisieren<br />
sich tendenziell zwei Stile heraus:<br />
Ein figurbetonter, auffälliger Bekleidungsstil<br />
unterstützt – entsprechend<br />
der sozialkonstruktivistischen Theorie<br />
des „Doing Gender” – die Repräsentationsweise<br />
als „Frau”, während ein die<br />
Figur bedeckender und unauffälliger<br />
Bekleidungsstil – im Sinne eines „Doing<br />
Age” – als alterssignifik<strong>an</strong>tes Symbol<br />
gilt. Strategien gesellschaftlicher Regulierung<br />
wie Doing Gender und Doing<br />
Age werden dabei als Mech<strong>an</strong>ismen<br />
interpretiert, die menschliches H<strong>an</strong>deln<br />
entsprechend sozialer Normensysteme<br />
im Kontext neoliberaler Postulate – wie<br />
Eigenver<strong>an</strong>twortung und Leistungsbereitschaft<br />
– sowohl lenken als auch<br />
kontrollieren. Den Aussagen der befragten<br />
Frauen zufolge orientieren sie sich<br />
mit zunehmendem Alter verstärkt <strong>an</strong><br />
einem Bekleidungsstil, mit dem sie der<br />
Gruppe der „Alten” zugeordnet werden,<br />
während sie Figur betonende, eher<br />
durchsichtige und Aufmerksamkeit erregende<br />
Kleidungsstücke seltener tragen<br />
oder bewusst vermeiden. Daraus k<strong>an</strong>n<br />
gefolgert werden, dass ein steigendes<br />
Alter der weiblichen Repräsentationsweise<br />
entgegenläuft und damit eine<br />
Entfeminisierung des äußeren Erscheinungsbildes<br />
von Frauen unterstützt.<br />
Männliche Subjektivierung. Darüber<br />
hinaus scheint die Zuordnung als<br />
entweder weiblich (im Sinne des Doing<br />
Gender) oder alt (Doing Age entsprechend)<br />
eindeutiger zu sein als dies bei<br />
älteren Männern der Fall ist. Dies zeigt<br />
sich beispielsweise <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d der Einstel-<br />
lung eines 65-jährigen verheirateten<br />
Wieners und ehemaligen Universitätsprofessors<br />
zum Schönheitsh<strong>an</strong>deln:<br />
Seine Motivation ist seit vielen Jahren<br />
unverändert durch die Prinzipien der<br />
Funktionalität und Einfachheit gekennzeichnet.<br />
Ein gleichaltriger, ehemaliger<br />
Bauingenieur beschreibt die Vorzüge<br />
des (männlichen) Alter(n)s folgendermaßen:<br />
„Das ist eben der Vorteil, wenn<br />
m<strong>an</strong> schon ein gewisses Alter hat, dass<br />
m<strong>an</strong> ein bisschen eine Narrenfreiheit<br />
genießt.” Die befragten Männer nehmen<br />
kaum Veränderungen im Rahmen<br />
ihrer Bekleidung in den letzten Jahren<br />
wahr und repräsentieren im Großen und<br />
G<strong>an</strong>zen auch weiterhin gesellschaftliche<br />
Vorstellungen von Männlichkeit. Die<br />
männliche Schönheitsnorm des individualisierten<br />
Körpers im Sinne der Beto-<br />
Schönheit vergeht nicht. Schönheit ist<br />
vielmehr ein Produkt gesellschaftlicher<br />
Aush<strong>an</strong>dlungsprozesse, sozialer Normen<br />
und individueller Repräsentationen.<br />
nung körperlicher Besonderheiten, der<br />
Nichtverdeckung von Alterszeichen und<br />
der intellektuellen Repräsentation ist,<br />
so konnte ich in der Studie zeigen, Teil<br />
männlicher Subjektivierungsprozesse.<br />
Schönheit vergeht nicht. Mit den gegenwärtig<br />
vorherrschenden gesellschaftlichen<br />
Körperbildern gehen also auch im<br />
Alter normative Zuschreibungen einher,<br />
die sich geschlechtsspezifisch unterscheiden.<br />
Frauen werden hierbei mit<br />
zunehmendem Alter auf besondere Weise<br />
marginalisiert. So gelten für ältere<br />
Frauen eher <strong>an</strong> Jugendlichkeit geknüpfte<br />
Schönheitsideale wie Makellosigkeit<br />
und Schl<strong>an</strong>kheit, die altersbedingten<br />
körperlichen Veränderungen entgegenstehen<br />
und deutlich repressiver wirken<br />
als die wesentlich individualisierteren<br />
Schönheitsideale älterer Männer. Diese<br />
erlauben es, körperliche Zeichen des<br />
Alter(n)s als Ausdruck von Persönlichkeit<br />
zu deklarieren. Männliche Subjektivierungsprozesse<br />
implizieren im<br />
Vergleich zu weiblichen also deutlich<br />
größere soziale und persönliche Freiräume.<br />
Die Definition dieser Freiräume<br />
wird in gesellschaftlichen Diskursen<br />
kreiert, bestätigt, von den befragten<br />
Frauen und Männern verinnerlicht und<br />
schließlich gelebt. Anh<strong>an</strong>d der Aussagen<br />
der Befragten sind Rückschlüsse<br />
auf (un-)bewusste vergeschlechtlichte<br />
Reproduktionsprozesse möglich, die auf<br />
gesellschaftlichen Vorstellungen konventioneller<br />
Weiblichkeit und Männlichkeit<br />
beruhen. Aus dieser Perspektive k<strong>an</strong>n<br />
die Repräsentation von Körperidealen<br />
als Strategie der Geschlechterdifferenzierung<br />
entschlüsselt werden. Diese ist<br />
hinsichtlich der heterosexuellen Norm<br />
in unserer Gesellschaft von Bedeutung,<br />
wird weibliche Attraktivität doch als<br />
mit männlichem sexuellen Begehren<br />
verknüpft gedacht.<br />
Die Attribute „alt” und „schön” bedienen<br />
damit hochgradig gegenderte,<br />
kulturelle Zuschreibungen, die letztlich<br />
zu einer Reproduktion und Bestätigung<br />
binärer, scheinbar naturgegebener<br />
Geschlechterdifferenzen führen. Umso<br />
selbstreflexiver und gesellschaftskritischer<br />
sollten soziale Inszenierungsformen<br />
über das Medium Körper ausgetragen<br />
werden: Schönheit vergeht nicht.<br />
Schönheit ist vielmehr ein Produkt<br />
gesellschaftlicher Aush<strong>an</strong>dlungsprozesse,<br />
sozialer Normen und individueller<br />
Repräsentationen. l<br />
Grit Höppner ist Absolventin des Masterstudiums<br />
Gender Studies (Universität<br />
Wien). Ihre Abschlussarbeit erscheint im<br />
Februar 2011 unter dem Titel „Alt und<br />
schön. Geschlecht und Körperbilder im<br />
Kontext neoliberaler Gesellschaften“<br />
im VS Verlag für Sozialwissenschaften,<br />
Wiesbaden.<br />
forum wissenschaft<br />
<strong>November</strong> <strong>2010</strong> <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> l 27