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Einführung in die Sozialwissenschaften - Jürgen Bellers

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tausendelang als männlich apostrophierte Jagd - weniger das Kriegeführen -<br />

steht ihnen offen. Doch noch immer erwartet man, daß Frauen sich mehr auf<br />

<strong>die</strong> Familie konzentrieren, so daß ihr Leben auch heute eher von direktem<br />

Personbezug und regionaler Kle<strong>in</strong>räumigkeit gekennzeichnet ist, als von<br />

Tätigkeiten, <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>schaften oder Gruppen übergreifen und deshalb zu<br />

Macht und E<strong>in</strong>fluß <strong>in</strong> der weiteren Gesellschaft führen. Unter der<br />

Geschlechtsperspektive lassen sich deshalb "primitive" und "zivilisierte"<br />

Gesellschaften kaum vone<strong>in</strong>ander scheiden. Beide nutzen <strong>in</strong> gleicher Weise<br />

<strong>die</strong> Polarisierung der Geschlechter, um Arbeitsteilung zusammen mit der<br />

Plazierung von Oben und Unten, von Führern und Geführten zu<br />

konstituieren.<br />

Dieses hierarchische Arrangement der Geschlechter ist e<strong>in</strong> wiederkehrendes<br />

Merkmal <strong>in</strong> allen Gesellschaftstypen. Es zeigt deshalb <strong>die</strong> tiefe Bedeutung<br />

der sozio-kulturellen Geschlechterdifferenzierung an. Mit der Aufgliederung<br />

nach Geschlechtern erreichen Gesellschaften e<strong>in</strong>e enorme Vere<strong>in</strong>fachung<br />

ihrer arbeitsteiligen Organisation. Sobald Frauen und Männer geschlechtlich<br />

geschieden s<strong>in</strong>d, können sie auf der Grundlage e<strong>in</strong>er unveränderbaren<br />

Natur dazu gebracht werden, zum Wohle sozialer Integration <strong>in</strong> bestimmter<br />

Weise zu handeln und sich <strong>in</strong> dem daraus entstehenden<br />

Hierarchieverhältnis nahezu widerspruchslos e<strong>in</strong>zurichten. Die symbolischideologische<br />

Untermauerung <strong>die</strong>ses Handelns und Plazierens führt dann zu<br />

e<strong>in</strong>er Festigung der gewünschten Arbeitsteilung, was se<strong>in</strong>erseits - wie <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em circulus vitiosus - <strong>die</strong> geschlechtsspezifische Bedeutung der<br />

Arbeitsteilung perpetuiert. Entgegen der herkömmlicher Ideologie besitzen<br />

deshalb nicht Fähigkeit und Qualifikation e<strong>in</strong>es Individuums<br />

Schlüsselfunktionen für se<strong>in</strong>e beruflichen und gesellschaftlichen Chancen,<br />

sondern umgekehrt, <strong>die</strong> Geschlechterordnung und das <strong>in</strong> sie e<strong>in</strong>gebundene<br />

Hierarchieverhältnis br<strong>in</strong>gt Fähigkeiten, Qualifikationen und entsprechendes<br />

Handeln hervor - auch entgegen der Idee gleicher Chancen für alle und<br />

selbst entgegen den emanzipatorischen Strukturen moderner Gesellschaften.<br />

Die Lebens- und Arbeitsorientierung der Geschlechter hat somit viel zu tun<br />

mit den Zwängen gesellschaftlicher Organisation und dem legitimen<br />

Zugang zu E<strong>in</strong>fluß und Macht im sozialen Ordnungsgefüge. Entsprechend<br />

ihrer zentralen Bedeutung wird <strong>die</strong> geschlechtsorientierte Scheidung von<br />

Handlungsmustern bereits <strong>in</strong> der Familie e<strong>in</strong>geübt. Auch wenn heute bei<br />

K<strong>in</strong>dern und Heranwachsenden geschlechtsspezifisches Rollenverhalten<br />

immer weniger deutlich gefordert wird - viele Eltern sogar bewußt dagegen<br />

anerziehen wollen -, noch immer lernt der Sohn, daß er kräftiger und<br />

robuster als se<strong>in</strong>e Schwester ist, er deshalb vergleichsweise ungefährdet<br />

weite Räume durchstreifen und - im konkreten wie übertragenen S<strong>in</strong>ne - als<br />

Pionier erobern kann. Die Tochter dagegen wird noch immer als zarter und<br />

verletzlicher angesehen. Man gewährt ihr deshalb vielfältigen Schutz, so daß<br />

sie lange <strong>in</strong> der Nähe ihrer Familie oder unter der Obhut von Erwachsenen<br />

verbleibt. Dadurch lernt sie - von anderen gelenkt und geführt -, sich auf<br />

personale B<strong>in</strong>dungen zu konzentrieren und <strong>die</strong> gefährliche Welt der<br />

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