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Einführung in die Sozialwissenschaften - Jürgen Bellers

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den sozialen Tugenden entgegenstehen. Tatsächlich glauben wir ja zumeist,<br />

zu wohlwollenden, uneigennützigen Empf<strong>in</strong>dungen fähig zu se<strong>in</strong>. Hume<br />

argumentiert aber auch mit e<strong>in</strong>er Reihe von Beispielen, <strong>in</strong> denen der<br />

Zusammenhang zwischen Individual- und Gattungs<strong>in</strong>teresse weitgehend<br />

gelöst ist. So stimmen wir tugendhaften Handlungen selbst dann zu, wenn<br />

wir ke<strong>in</strong>en persönlichen Vorteil von ihnen haben können, weil sie <strong>in</strong> längst<br />

vergangenen Zeiten oder <strong>in</strong> entfernten Ländern stattgefunden haben (vgl.<br />

ebd., 137/215 f.). Auch s<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong> der Lage, <strong>die</strong> großzügige und mutige Tat<br />

e<strong>in</strong>es Gegners anzuerkennen, und zwar sogar dann, wenn <strong>die</strong>se uns<br />

voraussichtlich schaden wird (vgl. ebd., 137/216). Hume läßt nicht gelten,<br />

daß wir <strong>die</strong> genannten Handlungen nur deshalb billigen, weil wir uns <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>jenigen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen, denen sie tatsächlich nützten. Denn wir haben ja<br />

stets eigene, d.h. wirkliche Interessen, <strong>die</strong> sich von jenen bloß vorgestellten<br />

Interessen unterscheiden und <strong>die</strong> zudem stark genug s<strong>in</strong>d, um unsere<br />

Wertschätzungen dauerhaft zu bestimmen (vgl. ebd., 138 f./217).<br />

Hume br<strong>in</strong>gt also Beispiele und Gründe vor, <strong>die</strong> zeigen sollen, daß der<br />

Mensch zu unegoistischen Empf<strong>in</strong>dungen und Handlungen fähig ist. Auch<br />

stützt er se<strong>in</strong>e Position durch den H<strong>in</strong>weis darauf, daß <strong>die</strong> These e<strong>in</strong>es<br />

universellen Egoismus bisher e<strong>in</strong>en bloß hypothetischen Charakter hat (vgl.<br />

ebd., 230 f./298). Hume ist sich aber letztlich darüber im klaren, daß er das<br />

Vorkommen e<strong>in</strong>er altruistischen Neigung nicht im strengen S<strong>in</strong>ne beweisen<br />

kann. Im zweiten Anhang se<strong>in</strong>es Enquiry II, „Über <strong>die</strong> Selbstliebe “ , nimmt er<br />

das Wohlwollen <strong>in</strong> der menschlichen Natur deshalb „aufgrund allgeme<strong>in</strong>er<br />

Erfahrung ohne irgende<strong>in</strong>en weiteren Beweis als wirklich existierend an.“ (ebd.,<br />

230/298, Anm.) Hume weist also jene Theorie zurück, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Billigung der<br />

sozialen Tugenden aus dem Pr<strong>in</strong>zip der Selbstliebe erklärt, und er führt<br />

stattdessen e<strong>in</strong>e eher auf <strong>die</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit bezogene Neigung e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Moraltheorie trägt 15 . Ich werde <strong>die</strong>se Neigung im folgenden näher<br />

bestimmen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren Schritt zeigen, wie Hume von hier aus <strong>die</strong><br />

Entstehung des moralischen Urteils erklärt.<br />

Die Empf<strong>in</strong>dung des Wohlwollens (benevolence) oder der Menschlichkeit<br />

(humanity), auf <strong>die</strong> Hume se<strong>in</strong>e Ethik im Enquiry II gründet (vgl. ebd.,<br />

141/219), ist nicht identisch mit e<strong>in</strong>em unbegrenzten Altruismus, wie <strong>die</strong>s<br />

<strong>die</strong> Unterscheidung zwischen e<strong>in</strong>em besonderen Wohlwollen (particular<br />

benevolence) und e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Wohlwollen (general benevolence) im<br />

zweiten Anhang vermuten lassen könnte (vgl. ebd., 230/298, Anm.). Hier<br />

bestimmt Hume das besondere Wohlwollen als e<strong>in</strong>e Empf<strong>in</strong>dung, <strong>die</strong> wir<br />

nur solchen Menschen entgegenbr<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> uns emotional näher stehen als<br />

andere. Das allgeme<strong>in</strong>e Wohlwollen, das Hume se<strong>in</strong>er Moraltheorie zu<br />

Grunde legt, bezieht sich demgegenüber auf pr<strong>in</strong>zipiell alle Menschen, und<br />

zwar unabhängig davon, ob wir mit ihnen durch Freundschaft,<br />

Bekanntschaft oder Verwandtschaft verbunden s<strong>in</strong>d, oder ob wir sie wegen<br />

15 Hume negiert allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>die</strong> Realität des menschlichen Egoismus; vgl. ebd.,<br />

199/270 f., 201/273, 205/275 f.<br />

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