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Einführung in die Sozialwissenschaften - Jürgen Bellers

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Individuen ihr <strong>in</strong>dividuelles Verständnis von der Situation und den<br />

beteiligten Personen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Handlungsablauf e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Das bedeutet<br />

allerd<strong>in</strong>gs auch, daß sie <strong>in</strong> Interaktionen gezwungen s<strong>in</strong>d, ihr subjektives<br />

S<strong>in</strong>nverstehen aufe<strong>in</strong>ander abzustimmen und ihre modifizierten<br />

S<strong>in</strong>nsetzungen zu koord<strong>in</strong>ieren. Dadurch handeln sie letztendlich aus, was<br />

gelten soll, und wie <strong>die</strong> angewandte Symbolik aufzufassen ist. Der<br />

Notwendigkeit, im Handeln kulturellen S<strong>in</strong>n nachzuvollziehen und zu<br />

deuten, entspricht deshalb der permanente Zwang, <strong>in</strong> Interaktionen kulturell<br />

verfügbare Symbole mit anderen zu verhandeln. Daraus aber resultiert<br />

Variation und Wandel, so daß Interaktion immer auch <strong>die</strong> Chance e<strong>in</strong>schließt,<br />

kulturelle Symbole neu zu gestalten.<br />

Auch <strong>die</strong> Ideen und Bilder zum Wesen der beiden Geschlechter unterliegen<br />

selbstverständlich permanenter Veränderung. Indem Männer und Frauen<br />

<strong>in</strong>teraktiv <strong>die</strong> kulturelle Geschlechtersymbolik nachvollziehen, variieren sie<br />

<strong>die</strong> Zeichen oder entwickeln sie fort. Gleichzeitig br<strong>in</strong>gen sie ihren<br />

<strong>in</strong>dividuellen S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>die</strong> Handlungssituationen e<strong>in</strong>. Bis zu e<strong>in</strong>em gewissen<br />

Grad bleibt es dabei ihrer Kreativität überlassen, wie sie <strong>die</strong> kulturellen<br />

S<strong>in</strong>nbezüge ihres Geschlechts <strong>in</strong>dividualisieren und <strong>in</strong> <strong>die</strong> eigenen<br />

Handlungen e<strong>in</strong>fügen. Frauen wie Männer können deshalb niemals als<br />

Marionetten der Zweigeschlechtlichkeit und ihrer Symbolik betrachtet<br />

werden, beide s<strong>in</strong>d immer auch ihres <strong>in</strong>teraktiven Glückes Schmied. Zwar<br />

werden sie gezwungen, <strong>die</strong> S<strong>in</strong>nvorgabe ihres Handelns durch S<strong>in</strong>nreproduktion<br />

soweit zu standardisieren, daß den Empfängern ihrer Zeichen<br />

e<strong>in</strong> Entschlüsseln der Symbole möglich ist. In <strong>die</strong>sem Rahmen aber dürfen<br />

sie den S<strong>in</strong>n ihres Handelns so weit <strong>in</strong>dividualisieren, daß er mit ihrer<br />

subjektiven Zielsetzung harmoniert oder zum<strong>in</strong>dest mit ihren eigenen<br />

Bedürfnissen möglichst wenig konfligiert.<br />

E<strong>in</strong>es ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Zusammenhang jedoch bemerkenswert: Auch wenn<br />

beide Geschlechter gleichermaßen <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> kulturellen Ideen<br />

über <strong>die</strong> Geschlechter und ihr daran orientiertes Handeln kreativ zu<br />

verändern, so bemühen sich Frauen und Männer doch mit unterschiedlicher<br />

Intensität darum, ihre Geschlechts<strong>in</strong>szenierung zu variieren oder gar dem<br />

gesamtgesellschaftlichen S<strong>in</strong>n von Weiblichkeit und Männlichkeit zu<br />

entziehen. In allen Gesellschaften sche<strong>in</strong>en für Männer<br />

geschlechtsspezifische Segregationsprozesse und damit zusammenhängend<br />

der Nachweis, daß ihr Handeln im traditionellen S<strong>in</strong>n ihrem Geschlecht entspricht,<br />

weitaus bedeutsamer zu se<strong>in</strong> als für Frauen (Müller 1984: 101 ff.,<br />

Tyrell 1986: 465). Vielleicht läßt sich <strong>die</strong>ser Unterschied dadurch erklären,<br />

daß das kulturelle Geschlechterverständnis nicht nur e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>är symmetrisches,<br />

sondern auch e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>är asymmetrisches Verhältnis zwischen Frauen<br />

und Männern hervorbr<strong>in</strong>gt. Für Männer bedeutet e<strong>in</strong> Unsichtbarwerden der<br />

Geschlechterdifferenz oder e<strong>in</strong>e Angleichung an das Gegengeschlecht wenig<br />

Vorteile. Ihnen droht meist e<strong>in</strong> Statusverlust, wenn sie den symbolischen<br />

S<strong>in</strong>n der Zweigeschlechtlichkeit verändern. Bei Frauen dagegen könnte e<strong>in</strong><br />

Statusgew<strong>in</strong>n <strong>die</strong> Folge se<strong>in</strong>. Frauen s<strong>in</strong>d deshalb eher als Männer darum<br />

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