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Vorlesung Strafrecht Allg. Teil I WS 1996/97 - Studentenverbindung ...

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Proff. K.-L. Kunz und G. Jenny <strong>WS</strong> <strong>1996</strong>/<strong>97</strong><br />

Anwälte und Richter waren nicht mehr Repräsentanten einer höheren, unwiderlegbaren<br />

Macht. Sie waren nun Menschen, die sich auch irren können und die voreingenommen<br />

sein können. Die Folge davon war die Einführung von Rechtsmitteln, die eine<br />

Anfechtung von Urteilen ermöglichten.<br />

(Die gleiche Entwicklung hat später zur Gewaltenteilung nicht nur im Staat, sondern<br />

auch innerhalb der Judikative geführt: Der Ankläger konnte nicht mehr gleichzeitig<br />

Richter sein, wie er es etwa im Rahmen der Inquisition noch gang und gäbe gewesen war.)<br />

Jedoch auch schon die Inquisition bedeutete einen Fortschritt gegenüber den früher<br />

üblichen Gerichts- und Beweisprüfungsverfahren. Nicht mehr das Gottesurteil (bei dem<br />

etwa eine mutmassliche Hexe gefesselt ins Wasser geworfen wurde: Ertrank sie, war sie<br />

wohl unschuldig, konnte sie sich über Wasser halten, so war sie als Hexe zu verurteilen!)<br />

war für die Wahrheitsfindung von zentraler Bedeutung, sondern das Geständnis des<br />

Beschuldigten als einzig gültiges Beweismittel. Eine Folge dieser Entwicklung war<br />

allerdings die Folter, weil anders kaum dieses Geständnis zu erhalten war. Im - seltenen -<br />

Falle, dass jemand die Folter überstand, ohne ein Geständnis abgelegt zu haben, war er<br />

natürlich frei.<br />

Waren die Verhandlungen damals nicht öffentlich, dienten dagegen die Hinrichtungen der<br />

öffentlichen Belustigung und hatten, in einer Zeit, in der sonstige Unterhaltung fehlte,<br />

eine in dieser Hinsicht wichtige Funktion. (Heute sind die Verhandlungen öffentlich,<br />

nicht aber die Vollstreckung.)<br />

Mit der Verwissenschaftlichung des <strong>Strafrecht</strong>s unter dem Einfluss des Römischen<br />

Rechts in der Renaissance verlor es gleichzeitig seine Volksnähe (öffentliche<br />

Hinrichtungen u. dgl.).<br />

Im 18./19. Jh. (unter dem Einfluss der Aufklärung und des Idealismus) verstärkte sich<br />

diese Tendenz, während zugleich immer mehr auf drastische Strafen (Todesstrafe,<br />

Prügelstrafe) verzichtet wurde. Neu hinzu kam die Freiheitsstrafe, die auf dem Grund der<br />

beginnenden Industrialisierung wuchs: Durch Arbeit in einer Anstalt sollte der Straftäter<br />

erzogen werden.<br />

In der Zeit der Helvetischen Republik wurde ein einheitliches, modernes <strong>Strafrecht</strong> (u.a.<br />

ohne Folter) eingeführt. Es ersetzte die uneinheitlichen, von jedem Kanton oder gar jeder<br />

Gemeinde eigenständig gehandhabten <strong>Strafrecht</strong>e. Nach der Helvetik setzten die<br />

Kantone die alten <strong>Strafrecht</strong>e wieder ein.<br />

Unter dem Einfluss von deutschen Liberalen, die nach der gescheiterten Revolution in<br />

die Schweiz geflohen und hier oft als Professoren an den Universitäten (insbes. Bern und<br />

Zürich) tätig waren, wurde in der Mitte des 19. Jh. erneut der Versuch einer<br />

Vereinheitlichung des <strong>Strafrecht</strong>s (eines europäischen <strong>Strafrecht</strong>s) unternommen.<br />

1881 gab der Bundesrat dem Berner CARL STOOSS den Auftrag die verschiedenen<br />

kantonalen Regelungen zu sichten und ein einheitliches Strafgesetzbuch zu entwerfen.<br />

Dieser damals epochemachende Entwurf war ganz Ausdruck der liberalen,<br />

gesamteuropäischen Bestrebungen.<br />

Der Bundesrat setzte darauf eine Expertenkommission ein, die mehrere Jahrzehnte<br />

benötigte, um schliesslich den fast unveränderten Entwurf STOOSS als Gesetz vorzuschlagen,<br />

das 1937 endlich in Kraft trat.<br />

Das heutige Schweizerische Strafgesetzbuch (StGB) ist im Grundkonzept noch immer<br />

gleich dem vor 100 Jahren. Es ist veraltet; deswegen hat man sich an das Entwerfen eines<br />

neuen <strong>Allg</strong>emeinen <strong>Teil</strong>es gemacht. Der Vorentwurf erschien 1993 (VE 93).<br />

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