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Museumspädagogische Arbeitsmaterialien zur Sonderausstellung ...

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<strong>Museumspädagogische</strong> <strong>Arbeitsmaterialien</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Sonderausstellung</strong><br />

Rembrandts Landschaften<br />

Kassel, Museum Schloß Wilhelmshöhe<br />

Gemäldegalerie Alte Meister, Rembrandtsaal<br />

23. Juni bis 17. September 2006<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr, (Sa, 2.9., 14 – 1 Uhr)<br />

Eintritt:<br />

5,- EUR / 4,- EUR bzw. 6,50 EUR / 5,50 EUR für beide <strong>Sonderausstellung</strong>en<br />

Katalog:<br />

Begleitend <strong>zur</strong> Ausstellung ist im Hirmer Verlag München ein Katalog erschienen. Er ist<br />

im Museumsshop für 32,90 EUR und im Buchhandel für 39,90 EUR erhältlich.<br />

Weitere Station der Ausstellung:<br />

Leiden, De Lakenhal<br />

6. Oktober bis 7. Januar 2007<br />

Die Ausstellungsreihe „400 Jahre Rembrandt“ steht unter der Schirmherrschaft des<br />

Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch.<br />

Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung,<br />

des Ernst von Siemens Kunstfonds, des Fördervereins R. D. e. V. und der Firma K + S.<br />

Abteilung Museumspädagogik<br />

Sabine Buchholz<br />

Schloß Wilhelmshöhe<br />

Postfach 41 04 20<br />

34066 Kassel<br />

Tel. (05 61) 3 16 80-700<br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

Einführung in die Ausstellung<br />

Rembrandts Landschaften<br />

1. Die gemalten Landschaften<br />

1.1 Geschichte der Ölmalerei<br />

1.2 Technik der Ölmalerei<br />

1.3 Rembrandt als Maler in Öl<br />

1.3.1 Landschaftsmalerei zu Rembrandts Zeit<br />

1.3.2 Inszenierte Wirklichkeit im Gemälde<br />

1.3.3 Schüler und Nachfolger Rembrandts<br />

2. Die gezeichneten Landschaften 6<br />

2.1 Theorie der Zeichnung 6<br />

2.2 Geschichte der Zeichnung 8<br />

2.3 Technik der Zeichnung 9<br />

2.4 Rembrandt als Zeichner<br />

2.4.1 Rembrandt und sein Publikum - Gesellschaft und<br />

10<br />

Kunstmarkt im Holland des 17. Jahrhunderts<br />

11<br />

2.4.2 Spaziergang mit Rembrandt - Amsterdam und das Umland<br />

2.4.3 Verfallene Gehöfte und verwachsene Bäume – Was ist<br />

12<br />

„malerisch“?<br />

14<br />

2.4.4 Rembrandts Skizzenblätter in Schwarzer Kreide 14<br />

2.4.5 Rembrandts Federzeichnungen 15<br />

2.4.6 Schüler und Nachfolger Rembrandts<br />

16<br />

3. Die radierten Landschaften 16<br />

3.1 Geschichte der Radierung 16<br />

3.2 Technik der Radierung 17<br />

3.3 Rembrandt als Radierer 19<br />

3.3.1 Druck - Graphik zu Rembrandts Zeit<br />

3.3.2 Variationsbreite von Rembrandts Radierungen - Formate<br />

19<br />

und Motive<br />

3.3.3 Geätzt, gegraben und geritzt - Die graphischen Techniken<br />

Rembrandts<br />

4. Weiterführende Literatur 22<br />

2<br />

3<br />

3<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

5<br />

5<br />

20<br />

21


Einführung in die Ausstellung<br />

Mit der Ausstellung „Rembrandts Landschaften“ vom 23. Juni bis 17. September 2006 schließen<br />

die Staatlichen Museen Kassel ihre Trilogie anlässlich des 400. Geburtstags von Rembrandt ab.<br />

Der verhältnismäßig kleine und eigenständige Themenbereich in Rembrandts Œuvre wurde<br />

noch nie in einer Ausstellung behandelt und erfährt nun erstmals eine umfassende Würdigung.<br />

Nur fünfzehn Jahre lang, etwa ab 1637, hat sich Rembrandt mit der Landschaft beschäftigt,<br />

mehr nebenher und zu seinem eigenen Vergnügen. So skizzierte er auf Wanderungen in und<br />

um Amsterdam Grachten und Deiche, Mühlen und Bauernhäuser. Im Atelier führte er manches<br />

Blatt sorgsam aus oder verarbeitete das Motiv für eine Radierung. Der private Charakter dieser<br />

Blätter ist auch in seinen gemalten Landschaften zu spüren, die er - ohne Verkaufsabsicht - als<br />

ganz persönliche Weltbilder schuf. In ihnen überhöhte er die Wirklichkeit seiner holländischen<br />

Umwelt - so inszenierte er etwa eine Windmühle, die er auf dem Bollwerk einer Stadtbefestigung<br />

abbildete, als grandioses, vom Abendlicht getroffenes Wahrzeichen voller Pathos. Oder er<br />

orientierte sich an der Weltlandschaft des 16. Jahrhunderts, indem er die Naturkräfte eines<br />

Gewitters mit Wind und Wetter in einer Überschaulandschaft ins Bild brachte.<br />

Rembrandt führte diese Landschaften ganz unabhängig von den damaligen Spezialisten des<br />

Fachs aus. Uns gestatten sie heute, Rembrandt, den sonst so ambitionierten Historien- und<br />

Porträtmaler, bei einer eher spielerischen Arbeit kennen zu lernen - vielleicht der beste Zugang<br />

anlässlich seines 400. Geburtstags.<br />

Der wichtige Komplex der Landschaftsmalerei im Werk Rembrandts erfährt mit dieser<br />

Ausstellung erstmals eine umfassende Aufarbeitung und Würdigung.<br />

Lediglich acht gemalte Landschaften Rembrandts sind heute überhaupt bekannt, sechs davon<br />

sind in der Ausstellung vertreten, dazu über 20 Zeichnungen sowie alle 32 Radierungen mit<br />

landschaftlichen Motiven.<br />

Ehemals Rembrandt zugeschriebene Werke und Schülerarbeiten ergänzen die Schau, darunter<br />

Gemälde und Zeichnungen von Govert Flinck, Ferdinand Bol, u. a. Die Zusammenführung<br />

dieser Werke aus Sammlungen in Washington, London, Cambridge, Dublin, Paris, Madrid, Oslo<br />

und anderen Städten ermöglicht eine einzigartige neue Sicht auf Rembrandts Landschaften, ihre<br />

Typik und ihren Einfluss.<br />

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Städtischen Museum De Lakenhal in<br />

Rembrandts Geburtstadt Leiden, wo sie im Anschluss vom 6. Oktober 2006 bis 7. Januar 2007<br />

zu sehen ist.<br />

3


Rembrandts Landschaften<br />

Rembrandt strebte schon früh eine Karriere als Historienmaler an. Obwohl Historienbilder das<br />

höchste Ansehen innerhalb der Hierarchie malerischer Genres genossen, wagte er sich auch an<br />

die Landschaftsmalerei, vermutlich, um hiermit sein vielseitiges Können zu betonen. Die Zahl<br />

der Gemälde in diesem Genre blieb jedoch auf eine Handvoll beschränkt.<br />

Anders stellt sich dies bei Rembrandts Œuvre auf Papier dar, wo die Landschaften einen<br />

ansehnlichen Teil ausmachen. Von keinem anderen Meister des 17. Jahrhunderts, der nicht<br />

explizit auf Landschaften spezialisiert war, sind so viele nach der Natur geschaffene Blätter<br />

erhalten geblieben. Rembrandt schloss sich in vielerlei Hinsicht mit seinen<br />

Landschaftszeichnungen und -drucken einer langen Tradition an, wich aber dennoch in<br />

gewissem Sinne von den gängigen Normen ab. Dies mag daran gelegen haben, dass er sich als<br />

Nichtspezialist weniger an diese gebunden fühlte und sich bestimmte Freiheiten herausnahm,<br />

was im Ergebnis zu einem besonders vielfältigen und unübertroffenen Œuvre von gezeichneten<br />

und radierten Landschaften führte.<br />

1. Die gemalten Landschaften<br />

1.1 Geschichte der Ölmalerei<br />

Die Ölmalerei entstand nach und nach im 15. Jahrhundert auch aus dem Bedürfnis heraus, die<br />

Grenzen der eher linear betonten Technik der Temperamalerei zu überwinden. Die ältesten<br />

bekannten Rezepte finden sich im Straßburger Manuskript.<br />

Die entscheidende Vervollkommnung dieser neuen Technik und wesentliche Impulse zu deren<br />

Verbreitung werden vor allem dem niederländischen Maler Jan van Eyck (um 1390-1441)<br />

zugeschrieben. Antonello da Messina (um 1430-1479) brachte sie nach Italien, wo sie sich<br />

zunächst wesentlich langsamer als in Nordeuropa verbreitete. Noch während des 16.<br />

Jahrhunderts war es dort üblich, die Technik mit Temperafarben zu kombinieren, aber auch<br />

andere Maler wie beispielsweise Rubens verwendeten parallel Temperafarben.<br />

1.2 Technik der Ölmalerei<br />

Als Malgrund dient in der Regel eine Temperaschicht auf Holz oder Leinwand in weiß oder in<br />

Form einer Untermalung, auf die pastose, deckende, halbdeckende, „nass-in-nass“ oder in<br />

mehreren getrennten Schichten aufgetragene, lasierende Ölfarben mit Pinsel oder (vor allem in<br />

der Moderne) mit Malspachtel und direkt aus der Tube Ölfarbe aufgebracht werden.<br />

Die lange Trocknungszeit des Malmittels erlaubt es, dass die Farben relativ lang vermalbar und<br />

damit korrigierbar bleiben.<br />

Dass die Ölmalerei als „klassische Königsdisziplin“ der Kunst gilt, liegt vor allem an den guten<br />

Eigenschaften des überwiegend verwendeten Malmittels Leinöl (fast immer zusammen mit<br />

Terpentin). Um dessen Eigenschaften weiter zu verbessern und um bei der Alterung Rissbildung<br />

und Vergilben zu vermeiden, wird das Gemälde nach vollständiger Trocknung und Aushärtung<br />

(oft erst nach über einem Jahr) meist mit einem Firnis überzogen – man unterscheidet hierbei<br />

Zwischenfirnisse und Schlussfirnisse.<br />

4


1.3 Rembrandt als Maler in Öl<br />

1.3.1 Landschaftsmalerei zu Rembrandts Zeit<br />

Die Darstellung von Landschaften hatte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer eigenen<br />

Gattung entwickelt. Zuvor im Fensterausschnitt oder als Hintergrundfolie für Historienbilder stark<br />

eingeschränkt, hatten Künstler wie Joachim Patinir und Herri met de Bles das Verhältnis<br />

zugunsten der Landschaft umgekehrt: Nun fand man die Figuren in weiten Landschaften klein<br />

eingebettet. Die holländischen Maler im 17. Jahrhundert spezialisierten sich mehr und mehr auf<br />

einzelne neuartige Gattungen der Landschaft: Bei dem einen sind es die Flussufer, beim<br />

nächsten die Dünen, selbst norwegische Gebirge oder der nächtliche Mondschein konnten <strong>zur</strong><br />

Spezialität eines Malers werden. Gemeinsam ist den meisten dieser Landschaftsmaler das Ziel,<br />

eine möglic hst wahrhaftige Wiedergabe der Natur zu schaffen.<br />

Landschaftsgemälde waren meist wesentlich preiswerter als Porträts oder Historien. Der Grund<br />

liegt sicher in der traditionellen Hierarchie der Gattungen, die die Historien- und Porträtmalerei<br />

über die Landschaftsmalerei stellte. Rembrandt selbst wird sich als Historienmaler gesehen<br />

haben. Landschaften zeichnete er bei Wanderungen in der Umgebung Amsterdams eher zu<br />

seinem persönlichen Vergnügen. Dies erklärt auch, warum er nur wenige Landschaftsgemälde<br />

schuf, die sich darüber hinaus sehr von denen seiner Zeitgenossen unterscheiden.<br />

1.3.2 Inszenierte Wirklichkeit im Gemälde<br />

Das Insolvenz-Inventar Rembrandts führt 1656 zwölf wenig präzise benannte<br />

Landschaftsgemälde von seiner Hand auf, die meist nur allgemein als kleine Werke und mit dem<br />

Zusatz „naer ’t leven“ (nach dem Leben) gekennzeichnet werden. Wie die Zeichnungen aus der<br />

Umgebung Amsterdams wird Rembrandt auch diese Gemälde als ganz persönliche „Weltbilder“<br />

geschaffen haben. Er führte sie unabhängig von den damaligen erfolgreichen Spezialisten im<br />

Fach der Landschaftsmalerei aus und behielt offensichtlich die meisten für sich.<br />

Nach heutigem Wissensstand haben sich nur acht originale Landschaftsgemälde Rembrandts<br />

erhalten, von denen die Flußlandschaft mit Windmühle von einem Nachfolger großenteils<br />

überarbeitet bzw. vollendet wurde. Sechs dieser originalen Werke sind in der Ausstellung zu<br />

sehen. Mit der frühen Gewitterlandschaft von 1637/38 schuf Rembrandt eine „Weltlandschaft“ im<br />

Sinne des 16. Jahrhunderts, die mit seinen spätesten Landschaften konfrontiert wird. Diese<br />

könnten unterschiedlicher nicht sein: die wirklichkeitsnahe Winterlandschaft von 1646 und die<br />

ungewöhnliche Nachtlandschaft mit der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten von 1647.<br />

Phantastische Inszenierungen sind die drei Gemälde Landschaft mit Schloss (1640-42), Die<br />

Mühle (um 1645) und Flusslandschaft mit Windmühle (um 1640 und später). Sie alle vereinen<br />

Grundzüge einer Komposition, die jeweils ein signifikantes Bauwerk erhöht vor dem Himmel<br />

aufragen lässt.<br />

Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Gewitterlandschaft, um 1637/38, Öl auf Holz, Herzog Anton Ulrich-Museum,<br />

Braunschweig<br />

• Rembrandt (und Nachfolger), Flußlandschaft mit Windmühle, und 1640 und später, Öl auf<br />

Holz, Staatliche Museen Kassel, Gemäldegalerie<br />

• Rembrandt, Landschaft mit Schloss, um 1640/42, Öl auf Holz, Louvre, Paris<br />

• Rembrandt, Die Mühle, Öl auf Leinwand, The National Gallery of Art, Washington<br />

• Rembrandt, Winterlandschaft, 1646, Öl auf Holz, Staatliche Museen Kassel, Gemäldegalerie<br />

5


• Rembrandt, Nachtlandschaft mit der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1647, The National<br />

Gallery of Ireland, Dublin<br />

1.3.3 Schüler und Nachfolger Rembrandts<br />

Die Ausstellung legt mit ihrer Aufarbeitung der landschaftlichen Motive im Werk des Meisters ein<br />

breites Fundament für die weiterführende wissenschaftliche Erforschung. Dazu gehört mit<br />

Sicherheit auch die Beschäftigung mit seinen Schülern und Nachfolgern, durch die noch so<br />

manche offene Frage im Fall Rembrandt geklärt werden kann.<br />

Im Fall der Landschaftsgemälde konnten Werke, die noch bis vor wenigen Jahren als Originale<br />

Rembrandts betrachtet wurden, mehr oder weniger überzeugend Malern wie Govert Flinck oder<br />

Ferdinand Bol zugeschrieben werden. Während diese Künstler als Schüler Rembrandts berühmt<br />

wurden, ist Jacob de Villeers nahezu unbekannt geblieben. Seine ehemals Rembrandt<br />

zugeschriebene Landschaft aus Dresden verdient aber beachtet zu werden, verweist sie mit<br />

ihren Eigenheiten doch auf die Gewitterlandschaft Rembrandts in Braunschweig.<br />

Bildbeispiele:<br />

• Adriaen van Ostade, Landschaft mit alter Eiche, 1639, Öl auf Holz, Beuningen, Rotterdam,<br />

Sammlung Stichtung Willem van der Vorn<br />

• Ferdinand Bol, zugeschrieben, Landschaft mit der Taufe des Kämmerers, um 1640, Öl auf<br />

Leinwand, Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover<br />

• Govert Flinck, zugeschrieben, Landschaft mit steinerner Brücke, um 1640, Öl auf Holz,<br />

Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz<br />

• Jacob de Villeers, Berglandschaft mit Wassermühle, um 1650, Öl auf Leinwand, Staatliche<br />

Kunstsammlungen, Dresden<br />

2. Die gezeichneten Landschaften<br />

2.1 Theorie der Zeichnung<br />

Die Zeichnung betont die Linienführung und Umrisse eines dargestellten Gegenstandes. Dabei<br />

ist die Linie als künstlerisches Mittel selbst abstrakt. Insofern die Zeichnung Gegenstände<br />

naturalistisch, d.h. "nach der Natur " darstellt, reduziert der Zeichner die Natur auf das für das<br />

Auge Wesentliche der Wahrnehmung. Abstraktion und Reduktion von visuellen Information auf<br />

die bloße Kontur ist eine bedeutende intellektuelle Leistung. Deshalb gilt die Schule der<br />

Zeichnung gemeinhin auch als Grundschule des aufmerksamen und genauen Sehens.<br />

Dennoch ist der eigenständige Wert einer Zeichnung erst seit dem 15. Jahrhundert allmählich<br />

erkannt worden. Zwar galt bereits in der mittelalterlichen Kunstlehre die Zeichnung als eine<br />

Grundlage der Kunst, aber sie war nur Mittel der Einübung und des Erlernens, kein autonomes<br />

Kunstwerk. Unklar war in der theoretischen Bewertung der Zeichnung im Verhältnis <strong>zur</strong> Malerei,<br />

was grundlegendere Bedeutung hat: die Entwicklung des Bildes aus der Linie oder aus der<br />

Farbe. Überlieferte Zeichnungen aus dieser Zeit sind Skizzen, Entwürfe, Studien und Vorstudien<br />

<strong>zur</strong> Malerei. Dass überhaupt Zeichnungen überliefert sind, ist dem Umstand zu verdanken, dass<br />

diese Zeichnungen als Geschenkblätter sehr beliebt waren, insbesondere wenn sie von<br />

berühmten Malern stammten oder Vorstudien berühmter Werke waren. An der grundlegenden<br />

Wertung hielt man allerdings fest: Die theoretische Betrachtung ging von einem Zwei-Stufen-<br />

Modell aus, nämlich der Idee für ein Bild, wie sie sich in einer skizzierten Zeichnung<br />

niederschlägt und der Ausführung der Idee als der eigentlichen künstlerischen Leistung.<br />

6


Bedeutende Zeichner wie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer haben in der Zeichnung in<br />

erster Linie eine Möglichkeit gesehen, sich ein Sujet systematisch zu erarbeiten, mit dem Ziel,<br />

diese Studien für die zweite Stufe, die Ausarbeitung etwa in einem Gemälde, zu verwenden. Als<br />

Zwischenschritt von der Idee <strong>zur</strong> Ausführung galt das Aquarell, das in der Kunsttheorie lange<br />

Zeit der Zeichnung selbst zu- und untergeordnet wurde, und zwar als nachträglich kolorierte<br />

Zeichnung.<br />

Die Aufwertung der Zeichnung in der Kunsttheorie setzt mit Federico Zuccaris Überlegungen<br />

zum Verhältnis von Idee (concetto) und Zeichnung (designo) (1607) ein. Im Streit zwischen dem<br />

Primat der Linie und dem Primat der Farbe stellt er sich auf die Seite der Zeichner. Zuccari<br />

vergleicht die Zeichnung mit dem göttlichen Schöpfungsakt. Am Anfang der Schöpfung steht die<br />

Idee als einer Art innerer Zeichnung (concetto; Konzept). Dieser geistige Akt äußert sich in der<br />

Zeichnung (disegno), die in ihrer Ursprünglichkeit mit der Idee eins ist. Sie ist die notwendige<br />

äußere Gestalt der Idee. Die weitere künstlerische Ausgestaltung ist dann nur noch Zugabe und<br />

Vollendung. Zuccari nimmt mit seinen Äußerungen Stellung zu einem zunächst in der<br />

akademischen Kunst Italiens geführten Streit, der aber schon bald in ganz Europa geführt wird.<br />

Neben Italien ist ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung Frankreich, wo sich für das Primat<br />

der Linie die so genannten Poussinisten einsetzen, für das Primat der Farbe die Rubenisten.<br />

Der akademische Diskurs mündet in eine allgemeine Anerkennung des Primats der Linie, mit<br />

der Folge, dass in der Zeichenlehre die Zeichnung <strong>zur</strong> Grundtechnik erklärt wird. Allerdings gibt<br />

es eine Tendenz, die Zeichnung auf Zeichentechnik zu verkürzen und ihr verstärkt wieder den<br />

Charakter der vorbereitenden Studie und Übung zuzuschreiben. Zugleich wird die Zeichnung<br />

aber auch zunehmend als eigenständiger künstlerischer Ausdruck anerkannt. Eine breite<br />

Sammlerbewegung tut ihr übriges, um die Zeichnung neben den akademischen<br />

Auseinandersetzungen auf dem sich entwickelnden Kunstmarkt zu etablieren. Es sind vor allen<br />

Liebhaber und Kenner, die im 18. Jahrhundert dem Eigenwert der linearen Darstellung zum<br />

Durchbruch verhelfen. Insbesondere Pierre-Jean Mariette betont in seinen Publikationen den<br />

besonderen Wert des Schwarzweiß-Kontrastes ohne Kolorierung. Mariettes Auffassung, der<br />

Strich lasse die Sache erkennen und arbeite damit das Wesentliche einer bildlichen Darstellung<br />

heraus, setzt sich allgemein durch und wird wegbereitend für die Aufwertung der Zeichnung als<br />

eigenständige Kunstgattung im 20. Jahrhundert.<br />

Unterstützt wird dieser Prozess im 19. Jahrhundert durch die romantische Entdeckung des<br />

ästhetischen Reizes des Frangments. Das Fragment als das Abgebrochene und Unvollendete<br />

wird gerade in der Zeichnung entdeckt. Es birgt die genialische Ursprungsidee, die gerade<br />

deshalb fasziniert, weil sie unausgeführt bleibt. Stattdessen wird in der Zeichnung die<br />

Handschrift des Zeichners sichtbar: Man sieht ihm gewissermaßen bei der Arbeit zu. Bei Georg<br />

Wilhelm Friedrich Hegel wird deshalb die Zeichnung als eine der höchsten Künste angesehen.<br />

Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts bleibt es bei der theoretischen Unterscheidung von<br />

Zeichnung und Malerei. In der akademischen Bewertung behält die Zeichnung zudem ihren<br />

untergeordneten Rang. Die künstlerische Praxis beginnt sich aber zunehmend von den<br />

normativen Ansprüchen der akademischen Ästhetik zu lösen. Künstler wie Paul Cézanne<br />

beginnen damit, das Prinzip der Linie für die Zeichnung anzuzweifeln und entwickeln<br />

Zeichnungen aus farblichen Eindrücken heraus. Die alte Diskussion zwischen "Zeichnern" und<br />

"Malern", die nach dem Primat von Linie oder Farbe für die Malerei gefragt hatten, betrifft nun<br />

die Zeichnung selbst. Sie ist nicht mehr festgelegt auf lineare Darstellung und reduzierten<br />

Farbeinsatz. Die verschiedenen Kunstbewegungen am Anfang des 20. Jahrhundert nehmen<br />

diesen Ansatz auf, so dass die theoretische Grenze zwischen Malerei und Zeichnung<br />

zunehmend verwischt. In der gegenwärtigen ästhetischen Theorie wird das Fehlen einer Theorie<br />

der Zeichnung beklagt.<br />

7


2.2 Geschichte der Zeichnung<br />

Mittelalter<br />

Im Mittelalter hat die Zeichnung nicht nur Bedeutung als Mittel des Entwurfs für Malerei, Skulptur<br />

und Architektur, sondern gewinnt insbesondere in der Buchmalerei einen neuen<br />

Entwicklungshöhepunkt. Allerdings bleibt sie in ihrer Funktion eingebunden, ist also nicht<br />

selbstständiges Kunstwerk. Wichtigster Ausdruck der Zeichenkunst sind Miniaturen und<br />

Marginalzeichnungen am Rande wertvoller Handschriften. Die meisterhafte Beherrschung findet<br />

ihren Ausdruck insbesondere in den Handschriften iroschottischer und italienischer Klöstern und<br />

Abteien. Eines der wichtigsten Dokumente ist das irische „Book of Kells“ aus dem 9.<br />

Jahrhundert. Mit der Möglichkeit der Papierherstellung, das ab dem 14. Jahrhundert zunehmend<br />

an die Stelle des teuren Pergaments tritt, werden Studien und Übungszeichnungen möglich. In<br />

den europäischen Malschulen sind Meisterzeichnungen und Skizzenbücher weit verbreitet, die<br />

den Schülern als Vorlagen für ihr reproduzierendes Schaffen nach den Malregeln des jeweiligen<br />

Meisters gelten.<br />

Neuzeit<br />

Im 15. Jahrhundert beginnt die Zeichnung an Eigenständigkeit zu gewinnen. Die wichtigste<br />

ästhetische Neuerung dieser Zeit ist die Entwicklung der Zentralperspektive, die einhergeht mit<br />

einem neuen Bemühen um realistische Darstellung. Die Antike und ihre Kunstwerke werden<br />

zum ästhetischen Ideal erhoben (Renaissance). Der Zeichnung kommt hier als Mittel des<br />

Studiums und als Entwurfsmedium eine besondere Bedeutung zu. Zudem wird sie zu einem<br />

beliebten Sammlerobjekt, was die reichhaltige Überlieferung seit dieser Zeit erklärt.<br />

Einen neuen Höhepunkt erreicht die Zeichnung in der italienischen Renaissance und<br />

insbesondere im Manierismus. Viele Zeichnungen sind in Skizzenbüchern enthalten, was darauf<br />

verweist, dass die Zeichnung des bevorzugte Medium für bildliche Studien war. In der Regel<br />

wird auf Papier gezeichnet, wobei Silberstift, Kohle, Rötel und weiße Kreide zu den wichtigsten<br />

Zeichenwerkzeugen zählen. Auch Feder, Pinsel und Tinte werden verwendet. Stilistisch lassen<br />

sich deutliche Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa ausfindig machen. Während in<br />

Südeuropa das künstlerische Leitmedium die Malerei ist, sind es in Nordeuropa in besonderer<br />

Weise Drucke und Stiche. In den Zeichnungen aus Deutschland und Holland ist dieser Einfluss<br />

unverkennbar. In Barockzeit und im Rokoko dominiert aber auch im Norden die Malerei den<br />

Zeichenstil. Bedeutendster Zeichner diese Zeit ist Rembrandt, der über 2000 Zeichnungen<br />

hinterlassen hat, meist Studien und Entwürfe.<br />

Im 18. Jahrhundert geht ein neuer Entwicklungsimpuls für die Zeichnung von der<br />

Neuentwicklung von Buntkreiden und Pastellfarben. Vor allem Jean-Antoine Watteau hat mit<br />

diesen neuen Medien experimentiert und eine prägende Formsprache entwickelt. Beliebte<br />

Sujets sind Porträtstudien- Ausdruck der bürgerlichen Betonung des Individuums - und<br />

Landschaftszeichnungen. Die Zeichnung gewinnt immer stärker an unterschiedlichen<br />

gestalterischen Elementen. Ausdruck dafür ist zum Beispiel die enge Verbindung von Zeichnung<br />

und Aquarell.<br />

Moderne<br />

Die moderne Zeichnung seit Ende des 19. Jahrhunderts ist geprägt durch eine große Freiheit in<br />

der Wahl zeichnerischer Mittel. Die Grenze zwischen Malerei und Zeichnung verwischen, umso<br />

stärker die farbliche Gestaltung etwa mit Hilfe von Pastellfarben und Kreiden oder die plastische<br />

Gestaltung durch Verwischen und Verreiben die Eindeutigkeit der Linie in den Hintergrund treten<br />

lassen. In einigen Richtungen, etwa dem Pointilismus und Impressionismus, scheinen<br />

zeichnerische Mittel ganz zu verschwinden. Im Expressionismus weicht die Linie dem<br />

ausdruckstarken, dramatischen Strich. Auf der anderen Seite finden sich zum Beispiel bei Pablo<br />

8


Picasso Gemälde, die aus nichts weiter als der Linie aufgebaut sind. Ob ein Bild Zeichnung oder<br />

Malerei ist, lässt sich mit Hilfe der klassischen Kriterien nicht mehr eindeutig beantworten. Das<br />

aber ist gerade ein Ziel der unterschiedlichen Kunstbewegung bis ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts: Die akademischen Formregeln sollen nicht mehr ohne weiteres gelten.<br />

Obwohl einige bedeutende Künstler seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder Zeichnungen<br />

produziert haben, spricht man aufgrund der Uneindeutigkeit der zeichnerischen Mittel von einer<br />

Krise der Zeichnung in der Moderne. Die ästhetische Hochkultur konzentriert sich auf die<br />

klassischen Modi Malerei, Skulptur und Architektur. Als eigenständiges Medium erlangt die<br />

Zeichnung Bedeutung vor allem in der Populärkultur, zum Beispiel in Gestalt der Karikatur und<br />

des Comic. Dessen ungeachtet ist die zeichnerische Produktivität seit Ende des 2. Weltkriegs<br />

ungebrochen. Zeichner wie Alberto Giacometti und Horst Janssens und A. R. Penck haben auf<br />

ihre Weise neue Impulse für die moderne Zeichnung gegeben.<br />

2.3 Technik der Zeichnung<br />

Grundtechnik der Zeichnung ist das Zeichnen einer Linie. Im reinen Konturenzeichnen markiert<br />

die Linie die Grenzen der Umrisse eines Gegenstandes und charakteristische Kontraste, wie sie<br />

sich zum Schatten ergeben. Ohne jede Schattierung lassen sich so die Grundzüge eines<br />

Gegenstandes festhalten, beispielsweise die Umrisse einer Frucht, die sich von seinem<br />

Hintergrund abgrenzt, und Falten, die ja nichts weiter sind als kontraststarke Schatten. Auch bei<br />

nicht-gegenständlicher Darstellung ist die Linie das hervorstechende Merkmal, auch wenn in der<br />

modernen Zeichnung die Grenzen nicht immer eindeutig zu ziehen sind.<br />

Schraffur<br />

Die Schraffur setzt den zeichnerischen Gedanken der Linie in der Fläche fort. Sie wird<br />

eingesetzt, um in der Zeichnung räumliche Effekte und unterschiedliche Tonwerte darzustellen.<br />

Dazu werden in gleichmäßigen Abständen dünne Linien in einem Winkel schräg <strong>zur</strong> Hauptlinie<br />

gezogen. In der reinen Zeichnung ist es verpönt, dabei die Linien so eng zu ziehen, dass sie<br />

verschmieren - zum Beispiel durch einen schräg gehaltenen Bleistift - weil damit die Grenze zu<br />

Malerei als einem flächigen Arbeiten überschritten wird. Mittlerweile ist aber auch dieses<br />

flächige Arbeiten mit Grafit und Kohlestiften weit verbreitet.<br />

Weitere Abstufungen in den Tonwerten lassen sich durch eine zweite Schraffierung erzeugen,<br />

die leicht versetzt über die erste Schraffur gesetzt wird und deren Linien kreuzt. Man spricht<br />

deshalb auch von Kreuzschraffur. Mit dem Mittel der Kreuzschraffur lassen sich bei gleich<br />

bleibender Liniestärke viele verschiedenen Schattierungen und Tonwerte erzeugen. Besondere<br />

Bedeutung hat die Kreuzschraffur beim farbigen Arbeiten, weil durch verschiedenfarbige<br />

Schraffuren neue Farben erzeugt werden können.<br />

Lavieren<br />

Die Lavierung kommt bei flüssigen Zeichenmitteln als Technik <strong>zur</strong> Schattierung und Tönung<br />

zum Einsatz. Das klassische Einsatzgebiet ist das Lavieren von Tuschezeichnungen. Dazu wird<br />

die fertige Linienzeichnung durch stark verdünnte, wasserlösliche Tusche getönt. Wie beim<br />

Aquarell, von dem diese Technik übernommen wurde, arbeitet man von hellen zu dunklen<br />

Tönungen. Die Nähe von Aquarellmalerei und Zeichnung wird auch darin sichtbar, dass<br />

Zeichnung mit Hilfe von Aquarellfarben farblich eingetönt werden - entweder monochrom oder<br />

mit mehreren Farben. Zwar kommen in der Praxis zuweilen auch andere Farben zum Einsatz,<br />

aber Aquarellfarben und wasserlösliche Tinten eignen sich vor allem deshalb, weil sie<br />

transparent oder zumindest nur teilweise opak sind und dadurch den Eindruck vermeiden, bloß<br />

nachträgliche Eintönungen bzw. -färbungen zu sein.<br />

9


Kombinierte Techniken<br />

Viele Künstler überschreiten die Grenzen, die bestimmten Zeichentechniken gesetzt sind, indem<br />

sie unterschiedliche Zeichen- und Maltechniken miteinander kombinieren. Klassische Beispiele<br />

sind kombinierte Grafit- und Tuschezeichnungen, mit Tusche lavierte Bleistiftzeichnungen oder<br />

Tusche- und Bleistiftzeichnungen mit Aquarelltechniken. Auch das Höhen, also das Setzen von<br />

Glanzlichtern durch den Einsatz von Deckweiß gehört zu den klassischen Methoden.<br />

Umso stärker die Grenzen zwischen Malerei und Zeichnung verwischte, desto stärker kamen<br />

auch flächige Malmethoden zum Einsatz. Dazu gehört zum Beispiel das Schattieren mit Hilfe<br />

des "Schummerns". Schummern heißt, mit einem Grafit- oder Kohlestift großflächig vermalen,<br />

statt zu schraffieren. Auch das nachträgliche Verwischen mit dem Finger oder einem speziellen<br />

Wischer (Estompes) oder das Polieren mit einem weißen Stift bzw. einem Polierstift gehören<br />

dazu. Umgekehrt werden in der Malerei ursprünglich klassische Zeichenmethoden eingesetzt,<br />

und zwar nicht nur als Vorskizze, sondern bereits als Ausführung. In der Aquarellmalerei kommt<br />

häufig die Pinselzeichnung zum Einsatz.<br />

Weitere Beispiele für kombinierte Techniken sind die Collage, Sgraffito und verschiedene<br />

Nasspinseltechniken.<br />

2.4 Rembrandt als Zeichner<br />

Rembrandts Arbeiten auf Papier gehören zum Großartigsten in der Geschichte der<br />

Zeichenkunst und genießen seit jeher höchste Wertschätzung bei Sammlern und<br />

Museumsleuten. Sein freier, skizzenhafter Stil ist untypisch für die holländische Zeichnung im<br />

17. Jahrhundert, die vorrangig an der Wiedergabe naturgetreuer Gegebenheiten orientiert ist,<br />

eher einen bildmäßigen, abgeschlossenen Charakter hat. Rembrandts "offener" Duktus hat<br />

seine Wurzeln in der italienischen und flämischen Kunst. An Rubens, Van Dyck und Adriaen<br />

Brouwer mag sich sein zeichnerischer Stil am Beginn orientiert haben, aber auch an seinem<br />

Lehrer Pieter Lastman. Ein Wesensmerkmal der meisten Zeichnungen von seiner Hand ist der<br />

Eindruck ihrer Spontaneität, sowohl bei Studien nach dem Leben als auch bei erfundenen<br />

biblischen Szenen. Geistreich werden ganze Kompositionen, Körper und Figurengruppen,<br />

Gebärden und Mimiken der Personen, aber auch Landschaften mit wenigen Strichen der Feder<br />

oder des Kreidestiftes treffend erfasst. Nur wenige Zeichnungen galten der Vorbereitung von<br />

Gemälden und Radierungen. Rembrandt zeichnete in erster Linie zu dem Zweck, Bewegungs-<br />

und Ausdrucksmotive zu studieren und sich eine Vorbildsammlung anzulegen, auf die er selbst<br />

und die Mitarbeiter in seiner Werkstatt <strong>zur</strong>ückgreifen konnten. Die Studien und Skizzen waren<br />

ein Mittel innerer Reflexion und nahmen im Schaffen des Meisters den gleichen unabhängigen<br />

Rang ein wie Malerei und Druckgraphik.<br />

2.4.1 Rembrandt und sein Publikum - Gesellschaft und Kunstmarkt im Holland des<br />

17. Jahrhunderts<br />

Die meisten holländischen Künstler des 17. Jahrhunderts, von denen Landschaftszeichnungen<br />

bekannt sind, hatten sich auf dieses Genre spezialisiert. Ihre Arbeiten lassen sich in zwei<br />

Gruppen einteilen: Zeichnungen, die in der Natur entstanden, und Zeichnungen, die im Atelier<br />

angefertigt wurden. Eine Trennlinie zwischen diesen beiden Gruppen kann nicht immer<br />

eindeutig gezogen werden. Doch scheinen die meisten Zeichnungen nicht als direkte Vorstudien<br />

für Gemälde angefertigt worden zu sein, was bei andersgearteten Zeichnungen, wie<br />

beispielsweise Figuren- und Kompositionsstudien, durchaus gängig war. Landschaftskünstler<br />

wie Bloemaert arbeiteten nach der Natur, um auf diese Weise einen Bestand an Motiven und<br />

Kompositionen aufzubauen.<br />

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Die für den Verkauf bestimmten Landschaften wurden hingegen im Atelier produziert. Edwin<br />

Buijsen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Künstler durch das Zeichnen in<br />

der Natur die Landschaft derart intensiv in sich aufnahm, dass er beim Malen im Atelier zum Teil<br />

aus der Erinnerung arbeiten konnte. Das Arbeiten »naer het leven« (nach dem Leben) und »uyt<br />

den gheest« (aus dem Gedächtnis) waren wichtige Aspekte in der Ausbildung eines Künstlers,<br />

was unter anderem von Karel van Mander ausgeführt wird.<br />

Es ist zu vermuten, dass Rembrandt während seiner Zeichenstunden unter freiem Himmel die<br />

Landschaft rund um Amsterdam so gut im Gedächtnis memorierte, dass er für die Anfertigung<br />

der Radierungen keine gezeichneten Vorstudien mehr benötigte. Denn für die<br />

Landschaftsradierungen sind nahezu keine Vorstudien bekannt. Außer der Tatsache, dass das<br />

Zeichnen in der Natur eine wichtige Übung für den Maler und sicherlich erst recht für den<br />

Spezialisten dieses Genres war, muss es im 17. Jahrhunderts einen spezialisierten Markt für<br />

Landschaftszeichnungen gegeben haben. Gefragt waren sicherlich vorrangig die fertig<br />

ausgearbeiteten Blätter, die zunächst in der Natur entstanden und im Atelier vollendet wurden<br />

oder auf der Grundlage von Skizzen gleich im Atelier entstanden. Viele dieser ausgearbeiteten<br />

Zeichnungen, die für Sammler in Serien angefertigt wurden, sind erhalten. Jan van Goyen,<br />

Jacob van Ruisdael, Allart van Everdingen und Aelbert Cuyp – dies sind nur einige wenige<br />

Künstler, die sich auf diese Produktion verlegt hatten. Manche Künstler, wie Herman Saftleven<br />

und Pieter de Molijn, fertigten sogar Kopien ihrer eigenen, für den Handel bestimmten<br />

Zeichnungen. Diese im Allgemeinen sehr gründlich ausgearbeiteten Zeichnungen waren häufig<br />

signiert und sogar datiert. Wahrscheinlich galten sie als exklusive Gegenstücke zu den<br />

Druckgraphikserien mit Landschaften, die sich im Verlauf des 17. Jahrhunderts immer größerer<br />

Popularität erfreuten.<br />

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen scheint Rembrandt seine<br />

Landschaftszeichnungen nicht für den Verkauf angefertigt zu haben. Das Inventar, welches<br />

1656 von Rembrandts Besitz angefertigt wurde, erwähnt eine solche Menge eigenhändiger<br />

Zeichnungen, dass es sich dabei vermutlich annähernd um die gesamte Produktion bis zu<br />

diesem Zeitpunkt handelte. Unter diesen befinden sich auch 207 Landschaftsdarstellungen, z.B.<br />

ein Skizzenbuch »vol lantschappen nae ’t leven geteeckent bij Rembrant« (voller Landschaften,<br />

nach dem Leben gezeichnet von Rembrandt) und ein »boeckie vol gesichten geteeckent van<br />

Rembrant« (Büchlein voller Ansichten, gezeichnet von Rembrandt). Wahrscheinlich kamen<br />

Rembrandts Zeichnungen erst nach dem öffentlichen Verkauf seines Eigentums im Jahr 1656 in<br />

großem Maße in Umlauf, wobei große Gruppen von Zeichnungen zunächst noch in den<br />

Sammlungen einiger Künstler und Liebhaber als Konvolute zusammenblieben.<br />

Es ist aber nicht auszuschließen, dass Rembrandt bisweilen auch ein Blatt verkauft oder fort<br />

gegeben hat. Möglicherweise ist die Zeichnung Bauernhof am Rand eines Waldes aus diesem<br />

Grund von Rembrandt als einzige seiner Zeichnungen signiert und datiert (1644) worden.<br />

Zwei weitere Blätter, die Rembrandt ebenfalls für andere angefertigt haben kann, sind Die<br />

Amstel, gesehen von der Blauen Brücke und Bauerngehöfte am Sloterweg (Kat.-Nr. 44), denn<br />

sie weichen vom Rest des gezeichneten Œuvres dahingehend ab, dass sie auf relativ teurem<br />

Pergament ausgeführt sind. Aber vermutlich werden wir nie erfahren, ob die genannten Blätter<br />

tatsächlich für den Verkauf bestimmt waren.<br />

Festzuhalten ist jedenfalls, dass Rembrandts gezeichnete Landschaften bestimmt nicht zu jenen<br />

Blättern gehören, die er erschöpfend ausarbeitete, obgleich man dies eigentlich erwarten würde.<br />

Er arbeitete diesbezüglich folglich nicht für den Markt, wie dies bei vielen seiner Kollegen der<br />

Fall war. Die Gründe, die Rembrandt dazu bewogen haben, mit dem Skizzenbuch hinaus ins<br />

Freie zu ziehen, scheinen insofern nicht dieselben gewesen zu sein wie für andere Meister des<br />

17. Jahrhunderts, von denen zahlreiche Landschaftszeichnungen überliefert sind. Und auch ob<br />

Rembrandt bewusst eine Motivsammlung für den späteren Gebrauch anlegte, ist fraglich.<br />

Während seine gezeichneten Landschaften entstanden, fertigte er kurioserweise keine Gemälde<br />

11


in diesem Genre an, auch beziehen sich die gezeichneten Landschaften nur gelegentlich auf<br />

seine Radierungen. Samuel van Hoogstraten wie auch Willem Goeree weisen in ihren Traktaten<br />

über Malerei (1678) bzw. Zeichenkunst (1668) jeweils darauf hin, dass das Zeichnen im Freien<br />

doch überwiegend eine entspannende Beschäftigung sei oder zumindest eine Aktivität, bei<br />

welcher das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden werden könne. Ob Rembrandt auch ins<br />

Freie zog, um dabei sein Zeichengeschick zu verbessern und sich dabei zugleich zu<br />

entspannen, werden wir wahrscheinlich nie herausfinden.<br />

Während der Zeit, als die meisten seiner Landschaftszeichnungen entstanden, d.h. in den<br />

vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts, entdeckten viele Amateure das Zeichnen in der Natur als<br />

angenehmen und geeigneten Zeitvertreib. Warum sollte nicht auch Rembrandt wie diese<br />

Liebhaber der Künste aus dem wohlhabenden Bürgertum in die Natur gegangen sein, um sich<br />

auf diese Weise mit diesen zu identifizieren? Er blieb natürlich in erster Linie ein professioneller<br />

Künstler, der diese Ausflüge vielleicht nur deshalb unternahm, um gemeinsam mit seinen<br />

Schülern, zu denen auch Amateure gezählt werden können, zu zeichnen.<br />

Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Umkreis, Die Amstel, gesehen von der Blaubrug aus, um 1645/50, Feder und<br />

Pinsel, braune und graue Lavierungen, Fondation Custodia, Paris, Sammlung Frits Lugt<br />

• Rembrandt, Bauerngehöfte am Sloterweg, um 1650/52, Feder und braune Tinte, graue<br />

Lavierungen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Kopenhagen<br />

2.4.2 Spaziergang mit Rembrandt - Amsterdam und das Umland<br />

Wiederholte Motive auf Rembrandts Zeichnungen sind die alten Bauernhöfe und Dörfer rund um<br />

Amsterdam, die auch auf den Arbeiten mancher Vorgänger und Zeitgenossen zu entdecken<br />

sind. Unterschiedlich ist jedoch der jeweilige Blickwinkel. Sehr beliebt muß die Wanderung über<br />

den Kadijk (Kat.-Nr. 27) und über die Deiche nach Diemen gewesen sein. So wurde dieser Ort<br />

unter anderem auf Zeichnungen Rembrandts erkannt, die sich in Haarlem befinden (Kat.-Nr. 41)<br />

und in einer Privatsammlung (Kat.- Nr. 30). Am Diemerdeich (Kat.-Nr. 39) lag das Gehöft<br />

Houtewael, das gleich mehrmals von Rembrandt gezeichnet und radiert wurde (Kat.-Nr. 87).<br />

Sowohl Diemen als auch Houtewael finden sich im Werk vieler anderer Künstler, darunter auch<br />

bei Claes Jansz. Visscher, wieder.<br />

Rembrandt besuchte nicht nur dieselben Orte wie seine Kollegen, manche Ansichten scheint er<br />

sogar häufiger als diese gezeichnet zu haben. Das Motiv des Amsteldeichs bei Meerhuizen hat<br />

sich mehrfach erhalten (Kat.-Nr. 24) und die markante Flußbiegung bei Meerhuizen mindestens<br />

dreimal, einmal als eine recht lockere Skizze nur mit Feder und Tinte und zweimal als eine mehr<br />

ausgearbeitete Komposition mit Feder, Tinte und Lavierungen.<br />

Wieder zwei andere Zeichnungen Rembrandts, beide Ansichten des Amsteldeichs mit Het<br />

molentje (Kat.-Nr. 50, Kat.-Nr. 51), geben ebenfalls den gleichen Ort wieder, wenn auch aus<br />

einer etwas anderen Perspektive. Beide scheinen nach der Natur entstanden zu sein, allerdings<br />

zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Gleiches gilt für die drei Blätter mit dem Amsteldeich bei<br />

Meerhuizen, die unterschiedlichen Varianten des Amsteldijk beim Haus Kostverloren und die<br />

Ansicht von Sloten (Kat.-Nr. 43). Wenngleich Rembrandt im Atelier nachträgliche Lavierungen<br />

oder kleine Veränderungen vornahm, so hat es dennoch den Anschein, als seien nahezu alle<br />

seine Zeichnungen in der Natur entstanden.<br />

Rembrandt beschreibt in seinen Landschaften Orte, die er realiter so nicht gesehen haben kann<br />

(das heißt jedoch nicht, daß er diese Darstellungen in seinem Atelier angefertigt haben muss).<br />

Es gehörte zu seinen Gewohnheiten, das Gesehene neu zu komponieren oder auch zu variieren<br />

und konnte diese Veränderungen aus dem Gedächtnis ausführen. Schließlich war dies ja ein in<br />

seinem Atelier fortwährend praktiziertes Verfahren, etwa wenn er die Druckgraphik anderer<br />

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Meister – meist Blätter mit narrativen Darstellungen – auf diese Weise behandelte. Diese<br />

Arbeiten boten ihm eine Grundlage für Variationen, indem er die Figuren verschob und ihre<br />

Posen veränderte. In gleicher Weise hat er auch eine Landschaft, die ihm gerade vor Augen<br />

schwebte, neu kreiert. Sehr deutlich ist dies auf zwei Zeichnungen mit Amsterdamer Gebäuden<br />

zu erkennen: dem Montelbaanstoren (Kat.-Nr.22) und Der Kloveniersdoelen. Bei beiden passte<br />

Rembrandt die reale Situation an seine eigenen Vorstellungen an. Den „Montelbaanstoren“, der<br />

im Jahr 1606 einen hölzernen Glockenturm erhalten hatte, verwandelte Rembrandt in ein<br />

robustes, mittelalterlich anmutendes Bauwerk, da er nur den mächtigen steinernen Sockel<br />

wiedergab. Das Kegeldach des Eckturmes der Kloveniersdoelen (Versammlungsort und<br />

Übungsplatz der Schützen) hingegen ließ Rembrandt einfach weg. Auch der klassizistische<br />

Seitenflügel dieses Gebäudes fehlt auf der Zeichnung. Was Rembrandt vor sich sah,<br />

manipulierte er zu einem für ihn reizvollen Ganzen.<br />

Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Der Montelbaanstoren in Amsterdam, 1644/45, Rohrfeder und Pinsel in brauner<br />

Tinte, Museum het Rembrandthuis, Amsterdam<br />

• Rembrandt, Ansicht längs der Amstel, um 1645, Schwarze Kreide, Albertina, Wien<br />

• Rembrandt, Ansicht vom Kadijk in Richtung Amsterdam, um 1645/49, Bleistiftzeichnung,<br />

Albertina, Wien<br />

• Rembrandt, Ansicht von Diemen mit einem Zeichner, um 1648/50, Feder und Pinsel, braune<br />

Tinte, Lavierungen, Privatsammlung<br />

• Rembrandt, Bauernhof am Diemerdijk, nach Osten gesehen, um 1650, Feder und Pinsel,<br />

graue Tinte, The Ashmolean Museum of Art and Archaeology, Oxford<br />

• Rembrandt, Ansicht von Sloten, um 1650, Feder und braune Tinte, braune Lavierungen,<br />

Privatsammlung<br />

• Rembrandt, Mühlen bei der Kostverlorenvaart, um 1654/55, Rohrfeder und braune Tinte,<br />

braune Lavierungen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Kopenhagen<br />

• Rembrandt, Der Amsteldijk und het molentje, um 1654/55, Feder und braune Tinte,<br />

Lavierungen, The Ashmolean Museum of Art and Archaeology, Oxford<br />

2.4.3 Verfallene Gehöfte und verwachsene Bäume – Was ist „malerisch“?<br />

Rembrandts Besuche der Polderlandschaft vor Amsterdam lassen sich anhand seiner<br />

Naturstudien verfolgen. Überwiegend zeichnete er Orte und Gebäude, die einen altertümlichen<br />

Charakter aufwiesen. Auf zahlreichen Zeichnungen finden sich einzelne Gehöfte und Hütten<br />

abgebildet, die schon zu Rembrandts Zeit wie Relikte aus vergangener Zeit wirken mussten. Sie<br />

waren alt und verfallen oder wiesen sonst eine ungewöhnliche Form auf. Eine weitere Vorliebe<br />

waren von Wind und Wetter geprägte, verwachsene, knotige Bäume. Und genau aus diesen<br />

Motiven gestaltete er bevorzugt seine Radierungen <strong>zur</strong> Vervielfältigung. Auch in Amsterdam<br />

reizten ihn entsprechend nicht die neuen Fassaden der Patrizierhäuser, sondern alte Wehrtürme<br />

und die Ruine des abgebrannten Rathauses.<br />

Die Bildwürdigkeit solcher verfallener Gehöfte berührt eine kunsttheoretische Diskussion, die vor<br />

allem nach Rembrandts Tod heftig geführt worden ist: Was ist „malerisch“ (oder, wie es in<br />

Holland hieß, „schilderachtig“): das Verwinkelte, Verfallene, Altertümliche oder das Gerade,<br />

Übersichtliche, Moderne? Argument für Letzteres war der Rang, den man der Malerei als einer<br />

hohen und edlen Kunst beimaß, deren Themen demnach nur hohe und edle Motive umfassen<br />

konnten. Gerard de Lairesse schildert in seinem umfassenden Lehrbuch der Malerei (1707) das<br />

abschreckende Beispiel einer „unschönen und verfallenen Landschaft, die zu Unrecht malerisch<br />

genannt“ werde. Dabei führt er zahlreiche Merkmale auch von Rembrandts bevorzugten Motiven<br />

auf und steht dabei deutlich konträr zu Rembrandts Auffassung des „Malerischen“.<br />

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Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Bauernhöfe mit Heuhaufen an einem Graben, um 1650, Feder und braune Tinte,<br />

braune Lavierungen, Fondation Custodia, Paris, Sammlung Frits Lugt<br />

• Rembrandt, Bauerngehöft mit Taubenschlag, um 1650, Feder und Pinsel, braune Tinte,<br />

braune Lavierungen, Privatsammlung<br />

• Rembrandt, Von Bäumen umgebenes Bauerngehöft an einem Fluß, um 1650/53, Rohrfeder<br />

und schwarze Tinte, graue Lavierungen, British Museum, London<br />

• Rembrandt, Eingang eines Bauernhofs am Sloterweg, um 1652, Feder und Pinsel, braune<br />

Tinte, Hamburger Kunsthalle<br />

2.4.4 Rembrandts Skizzenblätter in Schwarzer Kreide<br />

Erst gegen Ende der 1630er Jahre beschäftigt sich Rembrandt mit der Landschaft, um ebenso<br />

abrupt Anfang der 1650er Jahre wieder damit zu enden. In dieser Zeit muss er mehrere<br />

Skizzenbücher mit Zeichnungen gefüllt haben, die auf Spaziergängen entstanden. Im Insolvenz-<br />

Inventar zu Rembrandts Bankrott 1656 werden drei Alben „vol lantschappen naer ’t leven<br />

geteeckent van Rembrant“ (voller Landschaften, nach dem Leben gezeichnet von Rembrandt)<br />

genannt, die sicher für seinen privaten Gebrauch bestimmt waren.<br />

Schwarze Kreide war bei den Künstlern des 17. Jahrhunderts ein sehr beliebtes Material beim<br />

Zeichnen im Freien. Auch Rembrandt verwendete für seine Landschaftszeichnungen<br />

überwiegend schwarze Kreide und Tusche und versah diese häufig mit Lavierungen, wobei er<br />

sie in erster Linie für das rasche Skizzieren verwendete. Aufgrund ihres Formates von etwa 10 x<br />

20 cm scheinen Rembrandts Landschaftszeichnungen in schwarzer Kreide oft aus<br />

Skizzenbüchern zu stammen, die dieses sehr handliche Format aufweisen. Da Rembrandt ein<br />

solches kleines Skizzenbuch in recht kurzer Zeit füllte, lässt sich vermuten, dass die vielen<br />

verschiedenen Kreidezeichnungen von seiner Hand während nur weniger Wanderungen<br />

entstanden sein dürften. So wie Rembrandt die schwarze Kreide benutzte, taten dies auch seine<br />

Kollegen. Jan van Goyen zeichnete damit auf Reisen mehrere Skizzenbücher voll. Überdies<br />

wurde die schwarze Kreide oft auch für die Anfertigung eines ersten Entwurfs verwendet, der<br />

danach mit Feder und Tusche, eventuell auch mit Lavierungen, vollendet wurde.<br />

Bildbeispiele:<br />

Rembrandt, Der Nieuwezijds Voorburgwal, um 1645/47, Schwarze Kreide, Suermondt-Ludwig-<br />

Museum, Aachen<br />

Rembrandt, Die Herengracht bei der Warmoesgracht (?),um 1645/47, Schwarze Kreide,<br />

Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen<br />

Rembrandt, Ansicht längs der Amstel, um 1645, Schwarze Kreide, Albertina, Wien<br />

Rembrandt, Das Bollwerk bei Amsterdam, um 1652, Schwarze Kreide, Albertina, Wien<br />

2.4.5 Rembrandts Federzeichnungen<br />

Weitaus die meisten der Rembrandt zugeschriebenen Landschaftszeichnungen sind allerdings<br />

in Feder und Tusche ausgeführt, ohne dass zuvor ein Entwurf in schwarzer Kreide angelegt<br />

wurde. Damals war dieses Vorgehen unüblich; es wurde erst zu einem etwas späteren Zeitpunkt<br />

im 17. Jahrhundert gängiger. Jan Lievens gehört zu den wenigen Zeitgenossen, die ihre<br />

Landschaften wie Rembrandt direkt in der Natur mit Feder und Tusche auf Papier brachten.<br />

Rembrandts mit der Feder gezeichnete Landschaften sind überwiegend von detaillierterer<br />

Ausführung als seine Zeichnungen in schwarzer Kreide. An diesen Blättern muss er, genauso<br />

wie viele andere Landschaftszeichner des 17. Jahrhunderts auch, sehr eifrig gearbeitet haben.<br />

Darüber hinaus fällt auf, dass die in diesem Zeichenmaterial ausgeführten<br />

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Landschaftszeichnungen im allgemeinen gründlicher ausgearbeitet sind als in Feder und<br />

Tusche gezeichnete Figuren- oder Kompositionsstudien, die in derselben Periode entstanden<br />

sein müssen.<br />

Selbstverständlich besteht Rembrandts umfangreiches Œuvre von Landschaftszeichnungen<br />

noch aus vielen weiteren Blättern. Hierbei handelt es sich überwiegend um sehr rasch mit Feder<br />

und Tusche ausgeführte Zeichnungen, die bisweilen mit Lavierungen versehen sind. In dem<br />

Blatt von Bäumen umgebenes Bauerngehöft an einem Fluß (Kat.-Nr. 45,) gab Rembrandt die<br />

schlanken Bäume und das Gebäude nur äußerst schematisch mit der Feder wieder, während er<br />

mit raffiniertem Einsatz von Lavierungen deren Spiegelung im Wasser des Kanals treffend<br />

darzustellen wusste. Dieselbe schematische Anwendung der Feder findet sich auch auf dem<br />

Amstelveenseweg (Kat.-Nr. 46), dort jedoch ohne zusätzliche Lavierungen. Beide Darstellungen<br />

sind auf präpariertes Papier gezeichnet worden, was nicht unüblich für Rembrandt war. So sind<br />

auch diese beiden letztgenannten Zeichnungen gute Beispiele für die Vielseitigkeit des Meisters<br />

und für sein einzigartiges Vermögen, nach der Natur zu arbeiten.<br />

Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Drei Hütten an einem Weg, um 1640, Feder und braune Tinte, Lavierungen und<br />

Korrekturen in weißer Gouache, Nationalmuseum Stockholm<br />

• Rembrandt, Der Montelbaanstoren in Amsterdam, 1644/45, Rohrfeder und Pinsel in brauner<br />

Tinte, Museum het Rembrandthuis, Amsterdam<br />

• Rembrandt, Von Bäumen umgebenes Bauerngehöft an einem Fluß, um 1650/53, Rohrfeder<br />

und schwarze Tinte, graue Lavierungen, braun laviertes Papier, British Museum, London<br />

• Rembrandt, Amstelveenseweg, um 1650/53, Rohrfeder und schwarze Tinte, braun laviertes<br />

Papier, British Museum, London<br />

• Rembrandt, Das abgebrannte Rathaus von der Waag aus gesehen, 1652, Feder und Pinsel<br />

in brauner Tinte, rote Kreide, Museum het Rembrandthuis, Amsterdam<br />

• Rembrandt, Die kleine Mühle (Het molentje), um 1654, Feder und braune Tinte, braune<br />

Lavierungen, The Fitzwilliam Museum, Cambridge<br />

• Rembrandt, Mühlen bei der Kostverlorenvaart, um 1654/55, Rohrfeder und braune Tinte,<br />

braune Lavierungen, Statens Museum for Kunst, Kongelige Kobberstiksamling, Kopenhagen<br />

• Rembrandt, Der Amsteldijk und het molentje, um 1654/55, Feder und braune Tinte,<br />

Lavierungen, The Ashmolean Museum of Art and Archaeology, Oxford<br />

2.4.6 Schüler und Nachfolger Rembrandts<br />

Trotz des eher privaten Charakters von Rembrands Beschäftigung mit der Landschaft sind ihm<br />

auch hier einige Schüler gefolgt. Aus manchen Zeichnungen wird sogar deutlich, dass<br />

Rembrandt in der Natur zusammen mit einem weiteren Künstler unterwegs war, der sich neben<br />

ihn setzte und dasselbe Motiv aus einem leicht verschobenen Blickwinkel aufnahm. So<br />

verwundert es auch nicht, dass einige Lehrlinge Zeichnungen des Meisters exakt kopierten wie<br />

z.B. Lambert Doomer.<br />

Vielfach handelt es sich bei Blättern von Roelant Roghman, Ferdinand Bol u. a. um Arbeiten, die<br />

früher als Werke Rembrandts betrachtet wurden. So ähneln die frühen Zeichnungen von Jacob<br />

und Philips Koninck in den Motiven und in der Ausführung denen des Meisters. Dies trifft<br />

insbesondere auf einige Radierungen dieser Brüder zu, die früher ebenfalls Rembrandt<br />

zugeschrieben waren. Dem Zeichner und Radierer Pieter de With, über den so gut wie nichts<br />

bekannt ist, gelangen einige sehr rembrandteske Werke.<br />

Bildbeispiele:<br />

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• Lambert Doomer, nach Rembrandt, Alter Bauernhof am Waldrand, 1644 (?), Feder und<br />

braune Tinte, braune Lavierungen, Fondation Custodia, Paris, Sammlung Frits Lugt<br />

• Abraham Furnerius, Waldlandschaft, um 1650, Feder und braune Tinte, braune und graue<br />

Lavierungen, Rijksprentenkabinet, Amsterdam<br />

• Roelant Roghman, Ansicht des Walls beim Blauwhoofd, um 1650/55, Schwarze Kreide,<br />

Pinsel in Grau und Braunrot, rosafarbene Lavierungen, Gemeentearchief, Amsterdam<br />

• Jan Ruijscher, Ansicht von Scheveningen, um 1650/55, Feder und braune Tinte, braune<br />

Lavierungen, Universiteit Leiden, Prentenkabinet<br />

• Jacob Koninck, Bauernhof inmitten von Bäumen, um 1652, Feder und braune Tinte, braune<br />

Lavierungen, Fondation Custodia, Paris, Sammlung Frits Lugt<br />

• Nicolaes Maes, Ansicht von Dordrecht, um 1652/53, Feder und braune Tinte, braune<br />

Lavierungen, Stiftung P. & N. De Boer, Amsterdam<br />

3. Die radierten Landschaften<br />

3.1 Geschichte der Radierung<br />

Die Technik der Radierung entwickelte sich im 16. Jahrhundert aus dem Kupferstich. Die ersten<br />

Radierungen tauchen im Jahre 1515 auf. Die Entstehung von Drucken und somit auch von<br />

Ätzradierungen hängt eng von der Möglichkeit ab, Papier herzustellen. Zeitgleich mit der<br />

Entstehung der Papiermühlen im 15. Jahrhundert, tauchten die ersten „Drucke“ auf, welche vor<br />

allem Waffenschmiede und Goldschmiede herstellten, indem sie Ruß in die Vertiefungen ihrer<br />

Verzierungen rieben und Abdrücke nahmen. Wahrscheinlich diente dies der Reproduzierbarkeit<br />

und Dokumentation.<br />

Von Albrecht Dürer sind aus den Jahren 1515, 1516 und 1518 frühe Versuche zu ätzen bekannt<br />

(Eisenätzradierungen). Anfang des 16. Jahrhunderts stellte Hercules Pietersz. Seghers<br />

(Niederlande) erste Ätzungen in Kupferplatten her. Als frühe Künstler, die sich dieses<br />

Verfahrens bedienten, seien Urs Graf (Schweiz) und Daniel Hopfer (ca. 1470-1636, Augsburg)<br />

genannt. Im 16. Jahrhundert diente die Kupferradierung vor allem als „billige<br />

Reproduktionstechnik“, so stellten diverse Künstler "Reproduktöre" ein, welche<br />

Kupferradierungen von ihren Kunstwerken herstellten. Diese Drucke wurden in ganz Europa<br />

verteilt, um Werbung für die eigene Werkstatt zu machen. Eine erwähnenswerte Nebenwirkung<br />

dieser Entwicklung ist, dass sich dadurch Stilentwicklungen viel schneller (in Europa)<br />

verbreiteten.<br />

Erst im 17. und 18. Jahrhundert wurde die Kupferradierung als eigenständiges künstlerisches<br />

Ausdrucksmittel von Künstlern wie Rembrandt, Goya, Lorrain und Tiepolo verwendet. Damit<br />

zusammen hängt mit Sicherheit auch die Entwicklung der Technik der Flächenätzung<br />

(Aquatinta), welche die Möglichkeit eröffnete, Flächen mit gleichmäßigen Grauwerten<br />

herzustellen.<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts verloren Radierung und Kupferstich schlagartig ihre Bedeutung<br />

durch die Erfindung der Lithographie, Cliché und Autotypie, die erst den Druck hoher Auflagen in<br />

den Massenblättern ermöglichten. Erst durch den Zylinderrotationstiefdruck, der<br />

Millionenauflagen in höchster Farbbrillanz ermöglicht, kamen Kupferstich und Radierung - wenn<br />

auch hoch technisiert - wieder in massenhafte Anwendung. Die Mehrzahl der hochwertigen<br />

Modezeitschriften wird heute im Rotationstiefdruck hergestellt, wobei die 4-Farbseparation im<br />

Unbuntaufbau sparsamen Farbauftrag mit höchster Farbtreue und Brillanz verbindet. Die<br />

16


Walzen werden dabei entweder computergesteuert graviert (wie vormals im Kupferstich),<br />

fotochemisch geätzt (wie in der Radierung) oder galvanochemisch vertieft.<br />

Von der Bürde der Reproduktionstechnik befreit, entwickelte sich die Radierung zu einem<br />

eigenständischen Zweig der künstlerischen Grafik. Künstler entdeckten den Reiz und die<br />

Möglichkeiten neu, mehrere Künstler des 19. Jahrhunderts wurden als "Peintre-graveur", als<br />

"Malerradierer" bezeichnet. Auch in unserer Zeit ist die Radierung - wie bereits <strong>zur</strong> Zeit<br />

Rembrandts - bei Sammlern als unabhängige Kunstform beliebt, da sie das Sammeln von Kunst<br />

zu erschwingliche(re)n Preisen ermöglicht. Die Auflagenhöhen schwanken zwischen einigen<br />

wenigen und mehreren tausend Abzügen, die durch die galvanische Verstahlung der Platte<br />

möglich sind.<br />

3.2 Technik der Radierung<br />

Grund: Kupferplatte, die mit einer säurefesten Masse überzogen ist<br />

Gerät: Radiernadeln (spitze Stahlnadeln verschiedener Stärke<br />

Ätz- und Druckstoff: Verdünnte Salpetersäure. Druckerschwärze<br />

Die Radierung (lat. „radere“: Kratzen) ist ein Tiefdruckverfahren, das in der von Rembrandt<br />

geübten Form zu den «Strichätzungen» zählt. Es wurde aus der Technik der Metall-<br />

Handwerker, die Muster in Harnische, Waffen und Gefäße ätzten, entwickelt und in Deutschland<br />

schon zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts von Meistern wie Daniel Hopfer und Albrecht<br />

Dürer für die Druckgraphik verwendet.<br />

Der Radierer benötigte zunächst eine sorgfältig polierte und entfettete Kupferplatte, die mit einer<br />

säurefesten Schicht, dem Ätzgrund, überzogen ist, meist einer Mischung aus Wachs, Harz und<br />

Asphalt. Die zähe Masse wird mit dem Finger oder einer Walze auf die erwärmte Platte<br />

aufgetragen und mit dem Handballen dünn verrieben.<br />

Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Als Zeicheninstrument dient in erster Linie die Radiernadel,<br />

eine an einem Handgriff befestigte Stahlspitze. Das Motiv kann von einer Vorzeichnung<br />

durchgepaust oder direkt auf die Platte gezeichnet werden. Der Ätzgrund setzt der Nadel dabei<br />

so wenig Widerstand entgegen, dass der Radierer ähnlich frei zeichnen kann wie mit der Feder<br />

auf Papier. Die Nadel ritzt nur den Ätzgrund und legt so das Kupfer frei, ohne es zu<br />

beschädigen. Anschließend wird die Platte in ein Säurebad getaucht. Geätzt werden nur die<br />

freigelegten Linien, die von der Säure ungehindert angegriffen werden können; sie erscheinen<br />

als Vertiefungen in der Oberfläche der Druckplatte. Der mit Firnis geschätzte Teil hingegen<br />

bleibt unberührt. Die Ätzflüssigkeit bestand zu Rembrandts Zeit aus Eisenchlorid. Verschiedene<br />

Verdünnungen der Säure ätzten entweder schärfer und damit tiefer oder eben langsamer und<br />

behutsamer, was unterschiedliche Effekte <strong>zur</strong> Folge hatte.<br />

Auf die vom Ätzgrund gereinigte Platte wird Druckerschwärze aufgetragen. Die Platte wird<br />

anschließend reingewischt, so dass die Farbe im Wesentlichen nur in den geätzten Vertiefungen<br />

verbleibt. Ein Hauch von Farbe auf der unbearbeitenen Oberfläche ist als "Plattenton" durchaus<br />

erwünscht. Die nun druckfertige Platte wird auf einen Presstisch gelegt, der unter hohem Druck<br />

zwischen zwei Walzen hindurchläuft. Sie presst sich in das zuvor angefeuchtete Papier, das die<br />

Druckerschwärze aus den geätzten Rillen aufnimmt, und erzeugt den für Tiefdruckverfahren -<br />

wozu auch der Kupferstich zählt - charakteristischen Plattenrand. Zu guter Letzt werden die<br />

Blätter, die ein <strong>zur</strong> Platte seitenverkehrtes Bild wiedergeben, zum Trocknen aufgehängt. Die<br />

letzten der hier beschriebenen Arbeitsschritte sind für die verwandte Technik des Kupferstichs<br />

durch Jan van Straet der um 1580 zusammenfassend dargestellt worden.<br />

17


Radierte Bilder sind aus Linien aufgebaut, deren Stärke wenig variabel ist. Das vergleichsweise<br />

weiche Material Kupfer lässt nur 100 bis 200 gute Abzüge des fein geätzten Gefüges zu.<br />

Anschließend bezeugen immer unschärfer werdende Linien die abfallende Qualität. Trotz der<br />

grundsätzlich linearen Struktur lassen sich flächige Effekte durch Schraffuren erzeugen; feine,<br />

dünne Linien mit weiten Schraffuren vermitteln Helligkeit und Ferne, stärkere Linien und enge<br />

Schraffuren dagegen eher Dunkelheit und Nähe. Mit ihrer Hilfe sind etwa atmosphärische<br />

Stimmungen, das tageszeitlich wechselnde Licht oder räumliche Wirkungen darstellbar.<br />

Erst die stufenweise Ätzung mit jeweils unterschiedlicher Einwirkungsdauer, die Rembrandt als<br />

einer der ersten anwandte und <strong>zur</strong> technischen Vollkommenheit ausbildete, eröffnete mehr<br />

Möglichkeiten. Bei diesem Verfahren wird die Platte in getrennten Arbeitsgängen geätzt.<br />

Partien, die im Druck hell erscheinen sollen, bleiben nur kurz in der Säure, Dunkles für längere<br />

Zeit, so daß tiefere Linien, die mehr Farbe fassen können, sich ins Metall fressen. Durch<br />

erneutes Abdecken einzelner Partien mit dem schätzenden Ätzgrund kann der Vorgang beliebig<br />

oft wiederholt werden, wobei sich jeweils neue "Druckzustände" ergeben, solange, bis der<br />

Künstler die gewünschte Wirkung erreicht hat.<br />

Auch nach abgeschlossener Ätzung kann die Platte korrigiert oder mit tieferen Schatten<br />

versehen werden, und zwar mit Hilfe des Grabstichels - dem Werkzeug der Kupferstecher - oder<br />

mit Hilfe der kalten Nadel:<br />

Die Arbeit mit dem Grabstichel ist anstrengend: Der Stecher hebt Späne aus der Platte, und<br />

dazu ist der Widerstand des Metalls manuell zu überwinden. Der Stichel erzeugt klare, scharf<br />

geschnittene Linien. Diese können wie bei der geätzten Radierung gerade oder kurvig, als<br />

Parallel- oder Kreuzschraffuren gesetzt werden. Anders als die aus lockerem Handgelenk<br />

angelegte, zeichnerisch freie Linie der Radierung wirkt die gravierte des Kupferstichs<br />

geometrisch streng, was der Unmittelbarkeit des Ausdrucks abträglich ist.<br />

Der geätzten Linie ähnlich ist jene der seit dem 17. Jahrhundert gebräuchliche Kaltnadel, eine<br />

die Oberfläche der Platte direkt und ohne Materialverlust aufreißende Diamant- oder Stahlspitze.<br />

Sie erzeugt beim Ritzen des Metalls einen aufgeworfenen Grat, der der gedruckten Linie eine<br />

unscharfe Kontur verleiht. Da der Kaltnadelgrat nicht sehr widerstandsfähig ist und beim Druck<br />

rasch verpresst wird, sind nur wenige gute Abzüge von der Platte möglich, im Durchschnitt 20<br />

bis 30, danach verschwindet der satte schwarze Ton gänzlich.<br />

Radiernadel, Säurebad, Grabstichel und Kaltnadel wurden häufig miteinander kombiniert.<br />

3.3 Rembrandt als Radierer<br />

3.3.1 Druck-Graphik zu Rembrandts Zeit<br />

Die Anfertigung von Landschaftsdrucken – wie auch von Landschaftszeichnungen – war im 17.<br />

Jahrhundert vorrangig die Domäne von Spezialisten. Es gab eine große Gruppe professioneller<br />

Druckgraphiker, die sich beinahe ausschließlich mit der Darstellung von Landschaften<br />

beschäftigten. Lange nicht alle Künstler dieses Genres fertigten auch selbst Drucke an, und bei<br />

denjenigen, die es taten, geschah dies oft nur in bescheidenem Umfang oder gar nur aus<br />

experimenteller Neugier. Viele belieferten die Druckgraphiker jedoch mit Vorlagen, die den stetig<br />

wachsenden Bedarf an Landschaftsdrucken von Graphikliebhabern und -sammlern befriedigten,<br />

aber auch für jedermann <strong>zur</strong> Dekoration von Häusern und Möbelstücken <strong>zur</strong> Verfügung standen.<br />

Die Drucke erschienen, wie die meisten Landschaftszeichnungen auch, im Allgemeinen als<br />

Serien, die aus zwei oder weitaus mehr Blättern bestehen konnten. Zu Beginn des 17.<br />

Jahrhunderts waren in diesem Genre Claes Jansz. Visscher und Jan van de Velde, später dann<br />

auch Anthonie Waterloo und Roelant Roghman tonangebend.<br />

18


Auch die Landschaftsradierungen Rembrandts waren für den Verkauf bestimmt, was ja nicht für<br />

seine Zeichnungen in diesem Genre galt. Nahezu alle Radierungen sind signiert und viele von<br />

ihnen darüber hinaus auch datiert. Im Gegensatz <strong>zur</strong> damals gängigen Praxis legte Rembrandt<br />

alle seine Landschaftsradierungen, wie auch die Landschaftszeichnungen, als Einzelblätter an.<br />

Gleiches gilt auch für nahezu alle radierten Porträts sowie Historien- und Genredarstellungen.<br />

Möglicherweise bediente er mit diesen Drucken einen anderen Markt als jenen, den seine<br />

Zeitgenossen belieferten, oder zumindest einen Markt, der teilweise davon abwich. Auf jeden<br />

Fall wird Rembrandt seine Klientel zum Teil in der wachsenden Zahl von Liebhabern der<br />

Druckgraphik gefunden haben, die speziell nach ausgefallenen Abzügen mit hoher Qualität<br />

suchten.<br />

Rembrandt kannte natürlich die druckgraphischen Werkgruppen seiner bedeutendsten<br />

Vorgänger, wie dies auch die Sammler taten, und natürlich besaß er selbst eine wichtige<br />

Sammlung von Arbeiten auf Papier. Häufig griff er auf Themen <strong>zur</strong>ück, die zum Beispiel schon<br />

von Albrecht Dürer oder Lucas van Leyden druckgraphisch bearbeitet worden waren, und<br />

versuchte, sich mit diesen Meistern zu messen. Doch mehr noch als diese Künstler strebte er<br />

danach, ein in höchstem Maße abwechslungsreiches Œuvre zu schaffen. Während im Werk<br />

Dürers und van Leydens Historien, Porträts und Genreszenen auch eine große Rolle spielen,<br />

wurde die Landschaft nie zum selbständigen Darstellungsthema, sondern fand immer nur als<br />

Kulisse für erzählende Szenen Verwendung. Möglicherweise lag hierin gerade der wesentliche<br />

Anreiz für Rembrandt, sich in diesem Genre zu spezialisieren, um sich nicht zuletzt damit erneut<br />

als Allround-Künstler darzustellen.<br />

3.3.2 Variationsbreite von Rembrandts Radierungen - Formate und Motive<br />

Aus Rembrandts generellem Bestreben, ein möglichst abwechslungsreiches Druckgraphik-<br />

Œuvre zu schaffen, ist auch die enorme Variationsbreite innerhalb seiner<br />

Landschaftsradierungen zu erklären. Er radierte sowohl sehr zügig angelegte Blätter, die den<br />

Eindruck erwecken, als seien sie direkt in der Natur entstanden, so zum Beispiel die Landschaft<br />

mit Uferstraße und Kanal (Kat.-Nr. 94), als auch sehr gründlich ausgearbeitete Druckvorlagen,<br />

wozu etwa das Blatt Die drei Hütten (Kat.-Nr. 83) zu zählen ist. Dann schuf er recht große<br />

Radierungen, wobei das Blatt Die Landschaft mit den drei Bäumen (Kat.-Nr. 73) schon fast den<br />

Eindruck eines Gemäldes macht. Daneben arbeitete er jedoch auch im Miniaturformat etwa der<br />

Kleinen grauen Landschaft (Kat.-Nr. 68).<br />

Rembrandt schuf sowohl Drucke mit erkennbarer Topographie, wie die Ansicht von Amsterdam<br />

(Kat.-Nr. 67), als auch capricci, die aus topographischen Versatzstücken aus der Umgebung<br />

Amsterdams und reinen Phantasiemotiven zusammengestellt sind, wie beispielsweise Die<br />

Landschaft mit dem viereckigen Turm (Kat.-Nr. 84), auf welcher eine Ruine über einen typisch<br />

holländischen Bauernhof hinausragt. Hierin liegt gerade auch ein wesentlicher Unterschied<br />

zwischen Rembrandts Landschaftszeichnungen und den Drucken: Während seine Zeichnungen<br />

fast ausschließlich die holländische Landschaft zeigen, spielt in seinen Druckgraphiken das<br />

capriccio eine wichtige Rolle. Für den Motivvorrat seiner druckgraphischen Arbeiten, die nicht in<br />

der Amsterdamer Umgebung ausfindig gemacht werden konnten, muss Rembrandt aus der<br />

eigenen Phantasie oder aus seiner reichen Sammlung von Zeichnungen und Drucken anderer<br />

Meister geschöpft haben. Gleiches gilt auch für die Landschaften, die als Kulisse in seinen<br />

Historiendrucken fungierten.<br />

Auch wenn Rembrandts Landschaftsradierungen häufig eine sehr individuelle, von der seiner<br />

Kollegen abweichende Herangehensweise zeigen, knüpfen sie dennoch erkennbar an eine<br />

künstlerische Tradition an. Oft gab er dieselben Orte und Motive wieder, die auch andere<br />

Künstler darstellten. Darüber hinaus widmete er wie diese der korrekten Wiedergabe von alten,<br />

verwitterten Gebäuden große Aufmerksamkeit. Verfallene Bauernhöfe sehen wir beispielsweise<br />

auf den Blättern Die Hütte und der Heuschober (Kat.- Nr. 69) und Die Hütte bei dem großen<br />

Baum (Kat.-Nr. 70).<br />

19


Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Kleine graue Landschaft (Der Waldsee), um 1640, Radierung, Staatliche<br />

Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Ansicht von Amsterdam, um 1640, Radierung, Staatliche Kunstsammlungen<br />

Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Die Hütte und der Heuschober, 1641, Radierung und Kaltnadel, Staatliche<br />

Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Die Hütte bei dem großen Baum, 1641, Radierung, Kunstsammlungen Dresden,<br />

Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Die Landschaft mit den drei Bäumen, 1643, Radierung, Kaltnadel und<br />

Grabstichel, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Landschaft mit dem viereckigen Turm, 1650, Radierung und Kaltnadel, Staatliche<br />

Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Die drei Hütten, 1650, Radierung und Kaltnadel, Staatliche Kunstsammlungen<br />

Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Landschaft mit Uferstraße und Kanal, um 1652, Kaltnadel, Staatliche<br />

Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

3.3.3 Geätzt, gegraben und geritzt - Die graphischen Techniken Rembrandts<br />

Die Radierungen und Kaltnadelarbeiten Rembrandts zählen neben Albrecht Dürers<br />

Kupferstichen und Holzschnitten zu den großartigsten graphischen Kunstwerken in der<br />

europäischen Kunstgeschichte. Sie nehmen im Schaffen des bedeutendsten holländischen<br />

Künstlers den gleichen Rang ein wie seine Malerei und seine Zeichnungen.<br />

Rembrandts Radierwerk fasziniert vor allem durch die von keinem anderen Künstler übertroffene<br />

Bandbreite der Techniken und Ausdrucksmittel. Die Druckgraphik diente ihm nicht zu<br />

Reproduktionszwecken, sondern zu persönlichen künstlerischen Aussagen.<br />

Als „Maler-Radierer“ ist Rembrandt ab den vierziger Jahren von der reinen Ätzung <strong>zur</strong><br />

Bearbeitung der Platte mit der Kaltnadel übergegangen. Nur die frühen Radierungen sind reine<br />

Ätzungen. Ab ca. 1642 wird die Ätzung von Rembrandt mit der Kaltnadel aufgearbeitet und zwar<br />

teilweise so umfangreich und vollkommen, dass die Ätzung als solche kaum erkennbar ist. Ein<br />

Beispiel dieser Art bildet die Landschaft mit dem Landgut des Goldwägers (Kat- Nr. 90): Die<br />

einzelnen Striche (der Kaltnadel nämlich) fallen infolge des starken Widerstandes, den das<br />

Kupfer dem Eindringen der Nadel entgegensetzt, scharf, aber eckig und zackig aus, dort, wo sie<br />

besonders tief sind, bilden sich zu den Seiten der Furchen Erhöhungen, die die Druckerfarbe in<br />

ungewöhnlichem Ausmaß festhalten und dadurch auf den Abdrucken jenen unter dem Namen<br />

Plattengrat bekannten Schummer erzeugen, der den Arbeiten ihren außerordentlichen Reiz<br />

verleiht.<br />

Die Gründe für die immer ausgedehntere Bearbeitung der Ätzung mit der Kaltnadel sind sicher<br />

viele. Die reine Ätzung bot dem Zeichner Rembrandt den Vorteil, sich ungehindert zu äußern.<br />

Andererseits musste er es dem Säurebad überlassen, den Grad von Hell und Dunkel des<br />

Strichbildes zu bestimmen. Eine zweite Ätzung war aus begreiflichen Gründen schwierig. Vor<br />

allem: So oder so wurde das gedruckte Bild eben gleichförmig und gleichmäßig. Gerade das<br />

aber scheint Rembrandt widerstrebt zu haben. Denn offensichtlich ist es ja, dass er als Maler<br />

und als Zeichner die abstrakte Farbhelle und allseitige Deutlichkeit im Bilde aufgegeben hat, die<br />

auch die Bilder seines wichtigsten Lehrers, des Malers Pieter Lastman, kennzeichnen. Er<br />

strebte eher nach Diskontinuität der Beleuchtung, nach Ungleichförmigkeit der dargestellten<br />

Situation. Es scheint so, als habe die Gleichmäßigkeit der Lichtsituation und die allseits<br />

ausgeleuchtete Räumlichkeit im Bilde den unerlässlichen Grad der Lebendigkeit der<br />

20


Darstellungen in den Augen Rembrandts geschwächt oder bedroht - auch dies ein weiteres<br />

Indiz für die innere Notwendigkeit des »Helldunkels- in seiner Bildkunst.<br />

Von solchen Beobachtungen her wird die Bearbeitung der Ätzung mit der Kaltnadel bei<br />

Rembrandt verständlich. Er konnte so die Lichtsituation diskontinuierlich gestalten und<br />

vermochte es auf diese Weise, über die flüssige »Zeichnung«, welche die Ätzung wiedergibt,<br />

andere, ihrer Art und Qualität nach verschiedene Wirkungen der Linie, des Striches<br />

einzubringen. Auf beiden Wegen ließ sich die Bilderscheinung spannungsvoll, reicher auch in<br />

den Kontrasten bilden. Und schließlich vermittelte dieses, schon in seiner Struktur „helle“ und<br />

„dunkle“ Bild in einem viel höheren Grade den Eindruck des Spontanen als eine nur geätzte<br />

Zeichnung.<br />

Zusätzlich zieht Rembrandt auch den Grabstichel bei der Vollendung der Radierung heran. Die<br />

Wirkung dieses »dritten« Instruments seiner Radiertechnik ist z. B. gut auf der Landschaft mit<br />

den drei Bäumen (Kat.-Nr.73) aus dem Jahre 1643 zu beobachten, das in unserer Ausstellung<br />

zu sehen ist.<br />

Bildbeispiele:<br />

• Rembrandt, Die Landschaft mit den drei Bäumen, Radierung, Kaltnadel und Grabstichel,<br />

1643, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Der heilige Hieronymus bei dem Weidenstumpf, Radierung, Kaltnadel und<br />

Grabstichel, 1648, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Das Landgut des Goldwägers, 1651, Radierung und Kaltnadel, Staatliche<br />

Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Der Heilige Hieronymus in italienischer Landschaft, Radierung, Kaltnadel und<br />

Grabstichel, 1653, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

• Rembrandt, Die große Flucht nach Ägypten, Radierung, Kaltnadel und Grabstichel, um 1653,<br />

Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

Zustandsveränderungen<br />

Große Bedeutung besitzen die so genannten »Zustände« der Radierungen Rembrandts. So<br />

nennt man die in der Platte bereits verursachten Unterschiede von Drucken, die entweder<br />

Zeugnis eines noch nicht abgeschlossenen Arbeitsganges darstellen oder Veränderungen der<br />

Komposition durch Rembrandt bezeugen.<br />

Bildbeispiel:<br />

• Rembrandt, Die drei Hütten, Radierung und Kaltnadel, 2. und 3. Zustand, 1650, Staatliche<br />

Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett<br />

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4. Weiterführende Literatur<br />

Ausst.-Kat. Göttingen 1993: Rembrandt. Schwarz - Weiss. Meisterwerke der Radierkunst aus<br />

der Kunstsammlung der Universität Göttingen, Göttingen 1993.<br />

Ausst.-Kat. Höxter, Kloster Corvey 2006: Rembrandt. Ein Virtuose der Druckgraphik, Berlin und<br />

Köln 2006.<br />

Ausst.-Kat. Schweinfurt 1985: Kunst und Können. Drei graphische Techniken und ihre Meister,<br />

Schweinfurt 1985.<br />

Ausst.-Kat. Kassel 2006: Rembrandts Landschaften, München 2006.<br />

Ausst.-Kat. Washington 1990: Rembrandt’s landscapes drawings and prints, National Gallery of<br />

Art, Washington 1990.<br />

Birkhofer, Gerhard: Tiefdruck, Ravensburg 1996.<br />

Herberts, Kurt: Die Maltechniken. Mittler zwischen Idee und Gestaltung, Düsseldorf1957.<br />

Lee, Choung-Hi: Rembrandts Landschaftsdarstellung: ihre Entwicklung in den Radierungen und<br />

in ausgewählten Zeichnungen, (Ars faciendi; Bd.3), Frankfurt am Main 1992.<br />

Van der Linden, Fons: Du Mont’s Handbuch der grafischen Techniken: Manuelle und<br />

maschinelle Druckverfahren, Köln 1993.<br />

Wolf, Norbert: Landschaft und Bild. Zur europäischen Landschaftsmalerei vom 14. bis 17.<br />

Jahrhundert, Passau 1986.<br />

Zinke, Detlef: Patinirs „Weltlandschaft“. Studien und Materialien <strong>zur</strong> Landschaftsmalerei im 16.<br />

Jahrhundert, Frankfurt am Main 1977.<br />

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