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Programmbroschüre musikfest berlin 10 - Berliner Festspiele

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Wenn man etwas transkribiert, ebenso wenn man etwas übersetzt, dann gibt es<br />

drei verschiedene Möglichkeiten: dass der Transkriptor sich emotional mit<br />

dem Original identifiziert, dass das Original als Vorwand für das Experimentieren<br />

genommen wird und schließlich, dass das Original überwältigt und<br />

philologisch »missbraucht« wird. Ich denke, es wäre ideal, wenn alle drei Bedingungen<br />

zusammenkämen, sich anglichen und gegenseitig rechtfertigten.<br />

Ich glaube, nur so ist es möglich, dass die Transkription zu einem kreativen,<br />

konstruktiven und ausdrucksstarken Akt wird. Voci… befasst sich gerade mit<br />

dem Problem der Übereinstimmung dieser drei Bedingungen. Ich bin tief in<br />

der Schuld von Aldo Bennici, der mir das originale musikalische Material für<br />

das Werk besorgt hat: Lieder über Arbeit, Wiegenlieder, Volkslieder und<br />

Liebeslieder aus verschiedenen Teilen Siziliens. Ich hoffe, damit unter anderem<br />

dazu beizutragen, ein tieferes Interesse für die sizilianische Folklore zu<br />

wecken, die neben der sardischen sicherlich die reichhaltigste, umfassendste<br />

und glühendste unserer mediterranen Kultur ist. Luciano Berio<br />

Vom Kinderleben an bis zu den höchsten Kulturbetätigungen wirkt als eine der<br />

mächtigsten Triebfedern zur Vervollkommnung des einzelnen und seiner Gruppe der<br />

Wunsch, seiner Vortrefflichkeit wegen gepriesen und geehrt zu werden. Man preist<br />

einander, man preist sich selber. Man sucht Ehre um seiner Tugend willen. Man will<br />

die Genugtuung haben, dass man es gut gemacht hat. Es gut gemacht haben<br />

bedeutet, es besser gemacht zu haben als andere. Um der Erste zu sein, muss man<br />

als der Erste erscheinen, sich als der Erste erweisen. Zur Ablegung des Beweises<br />

der Überlegenheit dient der Wetteifer, der Wettstreit (agon). Die Tugend, die würdig<br />

macht, geehrt zu werden, ist in der archaischen Zeit nicht die abstrakte Idee einer an<br />

dem Gebot der höchsten göttlichen Macht gemessenen sittlichen Vollkommenheit.<br />

Der Begriff Tugend entspricht noch unmittelbar seinem verbalen Stamm ›taugen‹, zu<br />

etwas fähig, tüchtig sein, in seiner Art echt und recht und vollkommen sein. So steht<br />

es noch mit dem griechischen Begriff arete und mit dem mittelhochdeutschen<br />

tugende… Die Tugend des edlen Mannes ist das Bündel von Eigenschaften, die ihn<br />

fähig machen, zu kämpfen und zu befehlen… Es ist vollkommen natürlich, dass bei<br />

vielen Völkern das Wort für Tugend aus dem Begriff der Männlichkeit herauswächst,<br />

wie das lateinische virtus, das ja sehr lange die Bedeutung Tapferkeit als hauptsächlichste<br />

behielt. Dasselbe gilt von dem arabischen Muru’a, das der arete sehr ähnlich,<br />

den ganzen Bedeutungskomplex von Kraft, Mut, Reichtum, guter Verwaltung eigener<br />

Angelegenheiten, guten Sitten, Urbanität, Distinktion, Freigiebigkeit, Großmut und<br />

sittlicher Vollkommenheit umfasst. JOHAN HUIZINGA, Homo Ludens<br />

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