Programmbroschüre musikfest berlin 10 - Berliner Festspiele
Programmbroschüre musikfest berlin 10 - Berliner Festspiele
Programmbroschüre musikfest berlin 10 - Berliner Festspiele
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bartók<br />
Aufgrund jener Originalwerke, in welchen ich Melodien eigener Erfindung, die<br />
rumänischer Volksmusik nachgebildet oder nachempfunden sind, benutze,<br />
kann ich ebenso wenig als ›compositorul român‹ bezeichnet werden, wie<br />
Brahms, Schubert und Debussy nicht aufgrund ihrer Originalwerke, in welchen<br />
sie ungarisch beziehungsweise spanisch nachempfundenes thematisches<br />
Material verwenden, als ungarische oder spanische Komponisten bezeichnet<br />
werden können. … Eigentlich kann man mein kompositorisches Schaffen, eben<br />
weil es aus dieser dreifachen ungarisch-rumänisch-slowakischen Quelle entspringt,<br />
als eine Verkörperung jener Integrationsidee betrachten, die heute in<br />
Ungarn so sehr betont wird. Meine eigentliche Idee aber, deren ich – seitdem ich<br />
mich als Komponist gefunden habe – vollkommen bewusst bin, ist – die<br />
Verbrüderung der Völker, eine Verbrüderung trotz allem Krieg und Hader.<br />
Dieser Idee versuche ich – soweit es meine Kräfte gestatten – in meiner Musik<br />
zu dienen; deshalb entziehe ich mich keinem Einfluss, mag er auch slowakischer,<br />
rumänischer, arabischer oder sonst irgendeiner Quelle entstammen. Infolge<br />
meiner – sagen wir – geographischen Lage ist mir die ungarische Quelle am<br />
nächsten, daher der ungarische Einfluss am stärksten. Béla Bartók, 1931<br />
Boulez<br />
Boulez ist für mich ein Künstler der durch und durch abgedunkelten, ja düsteren Farben<br />
und Energien. Die meisten Komponisten arbeiten mit Helligkeitsgraden, Boulez scheint<br />
die Abschattierung des Dunkels zu erforschen. Es herrscht ein Klang der Distanz…,<br />
des fernen Dröhnens. Seine Gewalt liegt in seiner Diskretion… In der Instrumentalmusik<br />
von Pierre Boulez, besonders in den Orchesterwerken… lässt sich der Klang vernehmen,<br />
als schlüge auf ihm das Kondensat anderen Klingens sich nieder. Die<br />
Körnigkeit dieses Niederschlags vermittelt den Eindruck düster feierlicher, niemals aber<br />
affirmativer Pracht. Vordergründig handelt es sich um Mischklänge, deren Geheimnis –<br />
ihre Alchimie – auch darin liegen könnte, dass (gerade zur Anrufung des Dunkels) die<br />
Mittellagen nicht tabuisiert werden… Die in engen Verwandtschaftsgraden gefächerten<br />
Farben erinnern an eine verborgene Monochromie. Der gestufte Reichtum Cézannes<br />
lässt sich assoziieren… Boulez steigert den Verschmelzungsgrad der klanglichen<br />
Mittellagen durch Anspielen von Mixturklängen, aus denen die Obertöne der Grundmischung<br />
herausschwingen… Zwischen den aufblitzenden Klängen bildet sich eine<br />
imaginäre Melodik, die jeder Hörer wohl anders wahrnimmt. Die hervorschimmernden<br />
Einzeltöne leiten melodische Energie weiter, als wären sie Synapsen, … alles bewegt<br />
sich und vibriert dennoch auf der Stelle. Dem Hörer teilt sich diese innere Vibration des<br />
Klanges unterschwellig mit, so dass er, selbst bei schroffster Gestik der rhythmischen<br />
Parameter, das Gefühl des dialogischen Kreisens von Figuren und Doppelungen innerhalb<br />
eines prismatischen Kontextes behält. WOLFGANG RIHM<br />
74