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Josef Schra<strong>der</strong><br />

Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft<br />

Entwicklungen und Optionen für<br />

Weiterbildungseinrichtungen<br />

1


Lehren und Lernen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />

- Zum bildungspolitischen Kontext <strong>der</strong> vorliegenden Studie von Josef Schra<strong>der</strong><br />

Um seine Zukunftsfähigkeit zu sichern, muss sich <strong>Bremen</strong> in <strong>der</strong> Informations- und<br />

Wissensgesellschaft positionieren. Die sehr guten strukturellen Bedingungen, die ein attraktives<br />

Weiterbildungsangebot für viele Gruppen <strong>der</strong> bremischen Bevölkerung ermöglichen, müssen<br />

abgesichert und ausgebaut werden. Lebenslanges Lernen im strukturellen Wandel braucht eine<br />

dynamische und effiziente Weiterbildungs-Infrastruktur.<br />

Deshalb muss „Weiterbildung" ein zentrales Thema von Politik werden, auch und gerade im<br />

Zeichen des bevorstehenden Wahlkampfs.<br />

Schon Ar<strong>bei</strong>ter- und Angestelltenkammer, die Vorgänger <strong>der</strong> Bremer Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer,<br />

haben sich intensiv für eine qualifizierte Weiterbildung ihrer Mitglie<strong>der</strong> eingesetzt. Dies ist<br />

sowohl an ihren bildungspolitischen Aktivitäten, wie an <strong>der</strong> bildungspolitischen Praxis ihrer<br />

Weiterbildungseinrichtungen abzulesen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben.<br />

Heute ist die Weiterbildung als Teilbereich des Bildungssystems heftiger denn je in <strong>der</strong><br />

Diskussion. Schlagworte wie „lebenslanges Lernen", „Bildung und Weiterbildung als<br />

Standortfaktor", „Pisa – eine neue Bildungskatastrophe", aber auch „Identitätskrise" und<br />

„individuelle wie gesellschaftliche Orientierungskrise" verweisen auf Entwicklungen und auf neue<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen. Deshalb wird sich die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer in Kontinuität und mit gebündelter<br />

Kraft diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich stellen. Für 2003 hat sie das Thema<br />

„Weiterbildung" zu einem ihrer politischen Schwerpunkte erhoben.<br />

Der vorliegende Text als Abschlussbericht eines regionalen Forschungsprojekts hat<br />

Werkstattcharakter. Dennoch, o<strong>der</strong> vielleicht auch gerade deshalb ist er, so glauben wir, für<br />

Experten und Interessenten <strong>der</strong> Weiterbildung von großem praktischen Nutzen – aber auch für<br />

die bildungspolitische Debatte. Die Weiterbildung auch im Lande <strong>Bremen</strong> braucht heute mehr<br />

denn je konkrete Impulse und anregende, produktive Diskussionen. Wir hoffen, die<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer wird auch mit dieser Veröffentlichung zu einem solchen qualitativen<br />

Prozess <strong>bei</strong>tragen.<br />

Dr. Hans-L. Endl Heinz Möller<br />

Geschäftsführer Geschäftsführer<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer <strong>Bremen</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer <strong>Bremen</strong>


Inhaltsverzeichnis<br />

Zum Hintergrund <strong>der</strong> Untersuchung 3<br />

Kap. 1: Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft 4<br />

Kap. 2: Konzeption, Durchführung und Auswertung <strong>der</strong> Experteninterviews 8<br />

Kap. 3: Zur institutionellen Struktur <strong>der</strong> bremischen Weiterbildung 14<br />

Kap. 4: Die Reform des bremischen Weiterbildungsgesetzes 20<br />

Kap. 5: Aufgaben von Weiterbildungseinrichtungen 25<br />

Kap. 6: Lernbedarfe und Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft 32<br />

Kap. 7: Weiterbildungseinrichtungen und neue Medien 40<br />

Kap. 8: Zum Verhältnis von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit 46<br />

Kap. 9: Konkurrenz und Kooperation auf einem sich ausdifferenzierenden<br />

Weiterbildungsmarkt 57<br />

Kap 10: Anfor<strong>der</strong>ungen an Lehrkräfte 61<br />

Kap 11: Perspektiven des Lehrens und Lernens in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft:<br />

Abschließende Thesen 71<br />

Kap 12: Literatur 76<br />

2


Neuer Kanon<br />

eines mo<strong>der</strong>nen<br />

Allgemeinwissens<br />

Über das Nicht-<br />

Wissen in <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft<br />

Zum Hintergrund <strong>der</strong> Untersuchung<br />

1. Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />

Von <strong>der</strong> Wissens- und Informationsgesellschaft ist heute aller Orten die Rede,<br />

häufiger jedenfalls als von <strong>der</strong> Risiko- o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erlebnisgesellschaft, die noch bis vor<br />

wenigen Jahren die zeitdiagnostischen Diskurse bestimmten. In eine breite<br />

Öffentlichkeit wurde das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft u.a. durch eine Delphi-<br />

Befragung getragen, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung Ende <strong>der</strong><br />

90er Jahre in Auftrag gab und die von Infratest Burke und <strong>der</strong> Prognos AG Basel<br />

durchgeführt wurde (BMBF 1998). Ausgewiesene Experten, in mehreren Wellen<br />

befragt, formulierten darin Einschätzungen zu den Merkmalen <strong>der</strong> sich etablierenden<br />

Wissensgesellschaft und Konsequenzen für Inhalte und Strukturen des<br />

Bildungssystems auf all seinen Ebenen.<br />

Als ein zentrales Ergebnis kann man herausstellen, dass <strong>der</strong> Versuch unternommen<br />

wurde, den Kanon eines mo<strong>der</strong>nen Allgemeinwissens neu zu definieren. Die<br />

Experten zählten dazu vor allem naturwissenschaftlich-technische und ökonomische<br />

Kenntnisse. Damit ist bereits ein Diskussionskontext benannt, <strong>der</strong> die populäre und<br />

öffentliche Diskussion über die Wissensgesellschaft bestimmt: Die fortschreitende<br />

Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche, aktuell mit beson<strong>der</strong>er öffentlicher<br />

Aufmerksamkeit diskutiert am Beispiel <strong>der</strong> Entschlüsselung des menschlichen<br />

Erbgutes (Gen- und Biotechnologie). Der zweite Diskussionskontext, in dem <strong>der</strong><br />

Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft auftaucht, wird durch die neuen Informations- und<br />

Kommunikationstechniken bestimmt. Die neuen Medien, insbeson<strong>der</strong>e das<br />

Internet, scheinen allen Interessierten das weltweit verfügbare Wissen unabhängig<br />

von Zeit und Ort zugänglich zu machen, ein kultureller Wandel, <strong>der</strong> nur noch mit <strong>der</strong><br />

Erfindung des Buchdrucks verglichen werden kann. An <strong>bei</strong>den Diskussionskontexten<br />

lässt sich allerdings auch zeigen, dass auch (o<strong>der</strong> besser: gerade) in einer<br />

Wissensgesellschaft zuverlässiges und gültiges Wissen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit – nicht<br />

in Expertenzirkeln - ein knappes Gut ist.<br />

Denn mit <strong>der</strong> explosionsartigen Entwicklung des „Weltwissens“ expandiert zugleich<br />

auch das Nicht-Wissen. So wird die öffentliche Debatte über die Gen- und<br />

Biotechnologie eher von ethisch-moralischen Bedenken und Kontroversen, von<br />

Horrorvisionen über geklonte Tiere, Menschen und Pflanzen bestimmt, während es<br />

an solidem und problembezogenem, naturwissenschaftlich-technischen Fachwissen<br />

häufig mangelt. Regelmäßig durchgeführte, europaweite Befragungen ergeben<br />

<strong>zum</strong>eist eher deprimierende Befunde über den Stand des Wissens in <strong>der</strong> erwachsenen<br />

Bevölkerung <strong>der</strong> Mitgliedstaaten: So wissen ca. 65% <strong>der</strong> erwachsenen Europäer<br />

nicht, dass auch „gewöhnliche“ und nicht nur gentechnisch verän<strong>der</strong>te Tomaten<br />

Gene enthalten; 58% sind unsicher o<strong>der</strong> wissen nicht, ob <strong>der</strong> Verzehr von<br />

gentechnisch verän<strong>der</strong>ten Früchten die Gene <strong>bei</strong> einem Menschen verän<strong>der</strong>t; 74%<br />

3


Rückblick <strong>zum</strong><br />

Konzept <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft<br />

<strong>der</strong> Europäer wissen nicht, dass man tierische Gene auf Pflanzen übertragen kann.<br />

Die Belege für diese Art des Nicht-Wissen ließen sich beliebig erweitern. Zugleich<br />

fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger schlecht informiert, sind in diffuser Angst<br />

besorgt über die Folgen des biotechnologischen Fortschritts und trauen auch den<br />

etablierten Institutionen des Staates nicht mehr, we<strong>der</strong> Regierungen noch Parteien,<br />

Universitäten o<strong>der</strong> Unternehmen, allenfalls noch Verbraucherschutzorganisationen<br />

und Medizinern (INRA 2000). Das ist <strong>der</strong> Hintergrund, vor dem die Politik <strong>der</strong>zeit<br />

eine Reihe von Anstrengungen unternimmt, um das Wissen über, mehr aber noch die<br />

Akzeptanz von (natur-) wissenschaftlicher Innovation zu verbreitern, allgemein: um<br />

die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu verbessern, u.a.<br />

durch das PUSH-Programm (Public Un<strong>der</strong>standing of Science and Humanities).<br />

Ähnliche Ambivalenzen zeigen sich in <strong>der</strong> Debatte über die neuen Medien. Hier<br />

überwiegen nach wie vor, oft politisch o<strong>der</strong> ökonomisch begründete<br />

programmatische Stellungnahmen und teils euphorische Hoffnungen. Demgegenüber<br />

ist das Wissen über die gegenwärtige Nutzung <strong>der</strong> neuen Medien noch gering.<br />

Während auf <strong>der</strong> einen Seite in den Medien die rasante Zunahme in <strong>der</strong> Reichweite<br />

und im Informationsangebot des Internets betont wird, weisen empirische Studien<br />

auf die Gefahr einer „digitalen Spaltung“ hin, die möglicherweise gravieren<strong>der</strong>e<br />

Ausmaße annimmt, als die bisher bekannten Phänomene von<br />

Bildungsbenachteiligung (Perillieux/ Bernnat/ Bauer 2000). Noch ganz dürftig ist das<br />

Wissen darüber, in welchem Ausmaß, in welchen Kontexten, für welche Themen<br />

und mit welchen Verwendungsinteressen die neuen Medien von Erwachsenen für<br />

Zwecke des Lernens genutzt werden.<br />

Bei all dem gerät häufig in Vergessenheit, dass das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />

bereits eine längere Tradition hat, die allerdings selbst in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Debatte <strong>der</strong> Erwachsenenbildung kaum zur Kenntnis genommen wird, trotz o<strong>der</strong><br />

gerade wegen <strong>der</strong> „Überschwemmung“ des Alltags mit sozialwissenschaftlichen<br />

Deutungsmustern. Bereits vor etwa 30 Jahren hat Daniel Bell in einem Buch über<br />

die „nachindustrielle Gesellschaft“ (im Original präziser: The Coming of the<br />

postindustrial Society) den Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft in die Diskussion<br />

gebracht (BELL 1976). Er prognostizierte auf <strong>der</strong> Grundlage von empirischen Daten<br />

etwa zur Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur eine Gesellschaft, die von<br />

„Kopfar<strong>bei</strong>tern“ (S. 140) geprägt werde und in <strong>der</strong> Wissen, genauer: theoretisches<br />

bzw. wissenschaftliches Wissen das „axiale Prinzip“ bilde, das sowohl die neue<br />

Technologie, die wirtschaftliche Entwicklung als auch die soziale Struktur prägen<br />

werde (S. 112 ff.). Vorhergesagt wurde eine Zunahme <strong>der</strong>jenigen Beschäftigten, die<br />

mit <strong>der</strong> Produktion und Verbreitung von Wissen beschäftigt seien. Diese<br />

heraufziehende Wissensgesellschaft sei durch folgende Merkmale gekennzeichnet:<br />

durch den Übergang von einer güterproduzierenden zu einer<br />

Dienstleistungswirtschaft; durch den Vorrang einer „Klasse“ professionalisierter und<br />

technisch qualifizierter Berufe, die er als „Oberpriester“ <strong>der</strong> neuen Gesellschaft<br />

bezeichnete (S. 31); durch die Zentralität theoretischen, d.h. wissenschaftlichen<br />

Wissens; durch die Steuerung des technischen Fortschritts und die Bewertung <strong>der</strong><br />

Technologie; durch die Schaffung einer neuen „intellektuellen Technologie“, d.h. die<br />

Nutzung <strong>der</strong> damals noch in den Anfängen steckenden elektronischen<br />

Datenverar<strong>bei</strong>tung (S. 32).<br />

4


Wissen als<br />

Fähigkeit zu<br />

sozialem<br />

Handeln<br />

Wissen als<br />

„sozialer“ und<br />

„flüchtiger“<br />

Begriff<br />

Heutiger<br />

Diskussionskontext<br />

in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit<br />

Diese Ar<strong>bei</strong>t geriet Anfang <strong>der</strong> 70er zunächst unter heftige, zur Zeit <strong>der</strong><br />

antagonistischen Systemkonkurrenz auch ideologisch motivierte Kritik, dann bald in<br />

Vergessenheit und wurde erst in den 90er Jahren von Nico Stehr wie<strong>der</strong><br />

aufgenommen. Während <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft <strong>bei</strong> Bell noch als –<br />

seltener benutztes - Synonym für „postindustrielle Gesellschaft“ erscheint, verwendet<br />

Stehr den Begriff in seiner Studie „Ar<strong>bei</strong>t, Eigentum und Wissen“ sehr konsequent.<br />

Stehr begreift Wissen als Handlungsressource, als Fähigkeit zu sozialem Handeln<br />

(STEHR 1994, S. 242) und fasst darunter – an<strong>der</strong>s als Bell - sowohl Wissenschaftsals<br />

auch Alltagswissen. Wissen ist bereits heute – wie Ar<strong>bei</strong>t und Eigentum – eine<br />

zentrale Ressource gesellschaftlicher Entwicklung. Stehr sieht nicht mehr die<br />

Wissenschaftler, son<strong>der</strong>n die „Experten“, Berater und Ratgeber in <strong>der</strong> prominenten<br />

Rolle. Diese Experten, die sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, keinesfalls nur<br />

in <strong>der</strong> Wissenschaft, finden, verfügen über ein zwar immer mehr nachgefragtes, aber<br />

keineswegs unumstrittenes Wissen. Sie sind die eigentlichen Wissensar<strong>bei</strong>ter, die<br />

Expertenwissen an Laien weitergeben; sie organisieren Wissen, vermitteln es<br />

zwischen Produzenten und Anwen<strong>der</strong>n und lösen, wenn es gut geht, auf diese Weise<br />

gesellschaftliche, organisationale und individuelle Probleme. Mit <strong>der</strong> Übermittlung<br />

verän<strong>der</strong>n sie jedoch das Wissen und produzieren zugleich neues Wissen. Wissen<br />

erscheit als kontingent, als „zufällig“, als abhängig von den sozialen Bedingungen,<br />

unter denen es genutzt wird, ebenso kontingent wie die sozialen Beziehungen, die<br />

auf Wissen gegründet sind. Im Unterschied zu Bell geht Stehr nicht davon aus, dass<br />

das wissenschaftliche Wissen zugleich Macht begründe. Stehrs Wissensbegriff ist<br />

also wesentlich „sozialer“ und „flüchtiger“ als <strong>der</strong> von Bell. Er verweist in einer<br />

neueren Veröffentlichung ausdrücklich darauf, dass Wissen die Unsicherheit in <strong>der</strong><br />

Planung und Steuerung individueller, organisationaler und gesellschaftlicher<br />

Handlungsstrategien nicht nur reduzieren, son<strong>der</strong>n auch erhöhen könne (STEHR<br />

2000). Insgesamt ist die Diagnose von Stehr weniger zukunftsoptimistisch, weniger<br />

auf die Segnungen <strong>der</strong> Wissenschaft und die Steuerbarkeit gesellschaftlicher<br />

Entwicklungen fixiert, als das noch für Daniel Bell charakteristisch war.<br />

Von diesem noch weitgehend (sozial-) wissenschaftsinternen und hier nur kurz<br />

angeschnittenen Konzepten muss ein Diskussionskontext unterschieden werden, <strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> Politik, in <strong>der</strong> Wirtschaft und in <strong>der</strong> Öffentlichkeit dominiert. Beispielhaft<br />

kann man auf die Ruck-Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus<br />

dem Jahr 1997 verweisen, in <strong>der</strong> Bildung als die wichtigste Ressource für die<br />

Wissensgesellschaft des nächsten Jahrtausends beschreibt, in <strong>der</strong> das, was in den<br />

sozialwissenschaftlichen Untersuchungen noch mehr o<strong>der</strong> weniger zurückhaltend<br />

prognostiziert wird, bereits als Realität genommen und mit unterschiedlich<br />

begründeten Appellen verknüpft wird, vor allem mit Appellen an die lebenslange<br />

Lernbereitschaft <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften. An diesen politischen<br />

Diskurs schließt <strong>der</strong> ökonomische an, in dem selbstverantwortliche<br />

Ar<strong>bei</strong>tskraftunternehmer als angemessene Antwort auf die Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

sich globalisierenden, auf schnelle und permanente Innovation angewiesenen<br />

Wissensgesellschaft dargestellt wird, als Grundbaustein einer lernenden<br />

Organisation. Während Stehr also noch auf die Relativität von Wissen, seine soziale<br />

Eingebundenheit, seinen Konstruktionscharakter herausstellte, behandelt die<br />

5


Erwachsenenpädagogische<br />

Diskussion<br />

Perspektivenwechsel:<br />

Wandel<br />

in <strong>der</strong> Sprache<br />

<strong>der</strong>zeitige öffentliche Diskussion Wissen vor allem als handfestes, umstandslos zu<br />

erwerbendes Gut und Grundlage technischen und ökonomischen Fortschritts.<br />

Als Gemeinsamkeit kann man jedoch für alle genannten Beiträge festhalten, dass sie<br />

davon ausgehen, dass alle Teilbereiche mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften, diesseits und<br />

jenseits <strong>der</strong> Erwerbsar<strong>bei</strong>t, mehr und mehr wissensbasiert sind und von Wissen<br />

durchdrungen werden. Insbeson<strong>der</strong>e die Ar<strong>bei</strong>ten von Stehr ermöglichen einen<br />

Anschluss an die erwachsenenpädagogische Diskussion. Vor diesem Hintergrund<br />

mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft in<br />

<strong>der</strong> Erwachsenenbildung nur zögernd aufgenommen wurde. Der Wissensbegriff<br />

spielt in den gegenwärtigen Diskussionen (noch) keine dominierende Rolle, jüngst<br />

wurde sogar die These aufgestellt, das Wissen sei ganz aus <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

verschwunden (NOLDA 2000). Man beginnt erst zögernd, die Bedeutung <strong>der</strong> im Kern<br />

nicht bestrittenen gesellschaftlichen Diagnosen für die Erwachsenenbildung zu<br />

diskutieren und sich aus <strong>der</strong> Fixierung auf die neuen Informations- und<br />

Kommunikationstechniken als neue Lernmedien zu lösen. Die Chancen des<br />

Konzepts scheinen mir darin zu liegen, Erwachsenenbildung als einen von vielen<br />

gesellschaftlichen Orten zu betrachten, an dem Wissen produziert und Wissen<br />

verteilt wird, als eine Form <strong>der</strong> Wissensar<strong>bei</strong>t, und die in ihr handelnden Personen<br />

als Wissensar<strong>bei</strong>ter, damit auch nicht nur als Pädagogen, son<strong>der</strong>n als Experten, als<br />

Ratgeber und Berater. Organisierte Formen <strong>der</strong> Weiterbildung in Kursen und<br />

Seminaren stellen nur eine Form <strong>der</strong> Institutionalisierung des Lernens Erwachsener<br />

dar, neben denen noch an<strong>der</strong>e existieren und von Erwachsenen genutzt werden.<br />

Daher ist es angebracht, nach dem Stellenwert, <strong>der</strong> Form, <strong>der</strong> Funktion und den<br />

spezifischen Leistungen organisierter Erwachsenenbildung in einer sich<br />

etablierenden Wissensgesellschaft zu fragen.<br />

Auch wenn die Erwachsenenbildung selbst ihre Themen nicht (immer) in den<br />

Kontext <strong>der</strong> Diskussion um die sich etablierende Wissensgesellschaft einbindet, so<br />

werden ihre Themenverlagerungen und Perspektivenän<strong>der</strong>ungen doch vor diesem<br />

Hintergrund verständlich. Horst Siebert hat jüngst Aspekte dieses<br />

Perspektivwechsels pointiert beschrieben (SIEBERT 2001, S. 18-22): Statt über<br />

organisierte Weiterbildung wird heute häufiger über lebenslanges Lernen<br />

gesprochen, statt von Lehre häufiger von Lernberatung, statt von fachlicher<br />

Qualifizierung von (personaler und sozialer) Kompetenzentwicklung, statt von<br />

öffentlicher Verantwortung von <strong>der</strong> Selbstverantwortung <strong>der</strong> Erwachsenen, statt von<br />

den Strukturen des Bildungssystems von den (biographischen) Prozessen des<br />

Lernens, statt von Steuerung (durch Bildungspolitik o<strong>der</strong> Instruktion) häufiger von<br />

Selbststeuerung und Selbstorganisation. Diesen Perspektivenwechsel hat die<br />

nationale und auch die europäische Politik in den vergangenen Jahren durch eine<br />

Vielzahl von Veranstaltungen, Gutachten und För<strong>der</strong>schwerpunkten forciert.<br />

Angesichts solcher Verlagerungen in <strong>der</strong> Thematisierung von Weiterbildung bleibt es<br />

wichtig, die Politik an ihre Verantwortung für die Sicherung <strong>der</strong> Strukturen<br />

lebenslangen und lebensbegleitenden Lernens für alle zu erinnern (und ihr zugleich<br />

möglichst gute Gründe dafür zu liefern). Notwendig ist jedoch auch, genauer zu<br />

prüfen, ob sich hinter dem Themenwechsel auch ein Wandel <strong>der</strong><br />

Institutionalisierungsformen des Lernens Erwachsener ausmachen lässt.<br />

6


Zur Auswahl <strong>der</strong><br />

Interviewpartner<br />

und den Inhalten<br />

<strong>der</strong> Interviews<br />

Glie<strong>der</strong>ungsprinzipien<br />

Entwicklungsstufen<br />

betrieblicher<br />

Weiterbildung<br />

2. Konzeption, Durchführung und Auswertung <strong>der</strong><br />

Experteninterviews<br />

Die kurze Skizze einiger zentraler Aspekte <strong>der</strong> aktuellen Diskussion über die<br />

Bedeutung von Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft sollte dazu dienen,<br />

den Hintergrund auszuleuchten, vor dem die Angestelltenkammer ihre Leitprojekte<br />

platziert und diese Untersuchung in Auftrag gegeben hat.<br />

Wer den Anfor<strong>der</strong>ungen und Optionen von Weiterbildungseinrichtungen auf dem<br />

Weg in die Wissensgesellschaft nachspüren will, ist auf empirische Befunde aus<br />

sämtlichen Teilbereichen dieses wichtiger werdenden gesellschaftlichen<br />

Handlungsfeldes angewiesen. Angesichts <strong>der</strong> institutionellen und funktionalen<br />

Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Weiterbildung sind repräsentative Untersuchungen allerdings<br />

selbst dann kaum noch möglich, wenn man sich auf einen regionalen<br />

Weiterbildungsmarkt beschränkt. Da jedoch eine repräsentative, auf Theoriebildung<br />

zielende Untersuchung von vornherein nicht angestrebt war, schien ein exploratives,<br />

auf systematische Informationssammlung und die Formulierung von weiterführenden<br />

Untersuchungsfragen zielendes Vorgehen sinnvoll, ein Vorgehen, das im übrigen<br />

auch dem Stand <strong>der</strong> Diskussion in <strong>der</strong> Wissenschaftsdisziplin entspricht. Um<br />

gleichwohl zu verallgemeinerbaren Aussagen über das Handlungsfeld<br />

Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Region <strong>Bremen</strong> zu kommen, ist es erfor<strong>der</strong>lich, im Sinne<br />

eines theoretischen Samplings möglichst exemplarische und kontrastreiche<br />

Handlungskonstellationen in einem sich ausdifferenzierenden Handlungsfeld<br />

abzubilden. Da<strong>bei</strong> schälte sich im Verlauf <strong>der</strong> Projektar<strong>bei</strong>t das beson<strong>der</strong>e Interesse<br />

des Auftraggebers an Entwicklungen in <strong>der</strong> beruflichen bzw. berufsbezogenen und<br />

betrieblichen Weiterbildung heraus, Handlungsfel<strong>der</strong> also, in denen die Wirtschaftsund<br />

Sozialakademie <strong>der</strong> Angestelltenkammer bereits jetzt ein bedeuten<strong>der</strong> Akteur in<br />

<strong>der</strong> bremischen Weiterbildungslandschaft ist. Eine solche Akzentsetzung ist auch in<br />

wissenschaftlicher Hinsicht vertretbar, weil das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft,<br />

wie es einleitend vorgestellt wurde, als spezifische Variante des Konzepts <strong>der</strong><br />

Ar<strong>bei</strong>tsgesellschaft interpretiert werden kann.<br />

Um das Handlungsfeld <strong>der</strong> Erwachsenenbildung zu strukturieren, bieten sich<br />

unterschiedliche Glie<strong>der</strong>ungsprinzipien an. Verbreitet sind Unterscheidungen nach<br />

dem Themenfeld, in dem eine Weiterbildungseinrichtung agiert, wo<strong>bei</strong> die<br />

Unterscheidung in allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung immer noch<br />

hilfreich ist. Kategorisieren lässt sich auch nach dem Erwerbszweck des Anbieters,<br />

wo<strong>bei</strong> öffentlich anerkannte und geför<strong>der</strong>te, an<strong>der</strong>e gemeinnützige, kommerzielle<br />

und betriebliche Weiterbildungsanbieter zu unterscheiden wären. Damit<br />

korrespondiert häufig die Größe eines Anbieters, die an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />

Veranstaltungen, <strong>der</strong> Unterrichtsstunden o<strong>der</strong> dem Umsatz gemessen werden kann.<br />

Wichtig ist auch, an welche „Kunden“ und Adressaten sich ein Anbieter mit seinen<br />

Dienstleistungen wendet. Die wichtigsten Kunden sind, vereinfacht gesagt,<br />

individuelle Teilnehmer, die Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung und Betriebe.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> betrieblichen Weiterbildung lassen sich wie<strong>der</strong>um unterschiedliche<br />

Organisationsformen unterscheiden, die <strong>zum</strong> Teil Entwicklungsstufen repräsentieren.<br />

7


Zur Methode <strong>der</strong><br />

Experteninterviews<br />

Die Form <strong>der</strong> Institutionalisierung wird stark beeinflusst von <strong>der</strong><br />

Unternehmenskultur, aber auch von den persönlichen Einstellungen, Vorstellungen<br />

und Gestaltungswünschen <strong>der</strong> verantwortlichen und handelnden Personen. Wenn<br />

man sich auf organisatorische Aspekte beschränkt, kann als erste Stufe diejenige<br />

gelten, in <strong>der</strong> innerbetriebliche Weiterbildung als Teil <strong>der</strong> Personalar<strong>bei</strong>t, meist durch<br />

die Personalleitung, gleichsam „nebenberuflich“ betrieben wird, typisch für kleinere<br />

und mittlere Unternehmen. Von einer zweiten Stufe wäre zu sprechen, wenn<br />

Weiterbildung sich von <strong>der</strong> Personalleitung trennt und als Teil <strong>der</strong><br />

Personalentwicklung durch eigenes Personal (mit-) betreut wird. In <strong>der</strong> dritten<br />

Entwicklungsstufe verfügt Weiterbildung bereits über mehrere Mitar<strong>bei</strong>ter und wird<br />

als Teil <strong>der</strong> Personal- und Organisationsentwicklung betrieben. In einer weiteren<br />

Stufe schließlich beginnen manche Unternehmen, Weiterbildung und<br />

Personalentwicklung – ergänzend – auch zu dezentralisieren und in die<br />

Fachabteilungen und zu den Führungskräften zurück zu verlagern. Für alle<br />

skizzierten Handlungsfel<strong>der</strong> wurde in dieser Untersuchung mindestens ein Experte<br />

befragt. Um eine solche Auswahl vor dem Hintergrund des Gesamtbereichs <strong>der</strong><br />

Weiterbildung begründet treffen zu können, lieferten die vorangegangenen<br />

Untersuchungen im Institut für Erwachsenen-Bildungsforschung <strong>der</strong> Universität<br />

<strong>Bremen</strong> unverzichtbare Informationen.<br />

Themenfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Interviews<br />

Die Themen <strong>der</strong> Interviews waren aufgrund des explorativen Charakters <strong>der</strong><br />

Untersuchung breit angelegt und konzentrierten sich auf Einschätzungen <strong>zum</strong><br />

zukünftig zu erwartenden Qualifikationsbedarf in <strong>der</strong> beruflichen, politischen und<br />

allgemeinen Bildung, möglichst mit Blick auf gesellschaftlich erfor<strong>der</strong>liche<br />

Schlüsselqualifikationen. Gefragt wurde zudem nach Einschätzungen zur Aufgabe<br />

organisierter Weiterbildung angesichts einer wachsenden Diskrepanz zwischen<br />

verfügbarem und vermittelbarem Wissen. Die Experten wurden gebeten, angebotene<br />

sowie zukünftig erwartete Themen von Weiterbildungsveranstaltungen zu<br />

beschreiben und die <strong>der</strong>zeitigen und zukünftig erwarteten Zeit- und<br />

Organisationsformen des Lernens zu benennen. Gefragt wurde zudem nach den<br />

Erwartungen an erfor<strong>der</strong>liche Kompetenzen von Lehrkräften, auch über die bloße<br />

Gestaltung von Lernsituationen hinaus. Angesprochen wurden zudem<br />

Einschätzungen zur <strong>der</strong>zeitigen und zukünftigen Ausrichtung SGB-III-geför<strong>der</strong>ter<br />

Weiterbildung. Ein weiteres Themenfeld betraf die Nutzung und Bewertung von<br />

Freistellungsregelungen, insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Form des Bildungsurlaubs. Schließlich<br />

interessierte die Finanzierung <strong>der</strong> Weiterbildung, ihre <strong>der</strong>zeitige Praxis und erwartete<br />

Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

Experteninterviews zielen auf das know how <strong>der</strong>jenigen, die die Gesetzmäßigkeiten<br />

eines sozialen Systems, hier des Systems Weiterbildung, (mit-) bestimmen (vgl.<br />

MEUSER/ NAGEL 1997, S. 481). Es geht darum, den Wirkungszusammenhang von<br />

allgemeinen gesellschaftlichen Strukturvorgaben, betrieblich-organisatorischen<br />

Kontextbedingungen und individuellen Optionen zu erschließen sowie zukünftige<br />

Steuerungsaufgaben abzuschätzen“ (MEUSER/ NAGEL 1997, S. 482). Im Mittelpunkt<br />

steht nicht wie im narrativen Interview die Gesamtperson in ihrem<br />

Lebenszusammenhang, son<strong>der</strong>n die handelnde Akteurin in ihrem institutionellen und<br />

8


Offene<br />

Leitfragen<br />

Zur<br />

Durchführung<br />

<strong>der</strong> Interviews<br />

organsiatorischen Kontext (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 442). Als „Experte“ wird<br />

gewöhnlich bezeichnet,<br />

– wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung<br />

o<strong>der</strong> die Kontrolle einer Problemlösung o<strong>der</strong><br />

– wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen o<strong>der</strong><br />

Entscheidungsprozesse verfügt.“ (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 443)<br />

Experten können also nach funktionalen und nach wissenssoziologischen<br />

Gesichtspunkten definiert werden. Wissenssoziologisch wird gewöhnlich zwischen<br />

Experten, Laien, Spezialisten und Professionellen unterschieden. Experteninterviews<br />

wurden bisher vorzugsweise in <strong>der</strong> Politikfeldanalyse, in <strong>der</strong><br />

Implementationsforschung sowie in <strong>der</strong> Industriesoziologie eingesetzt, in <strong>der</strong><br />

Erwachsenenbildungsforschung (auch in <strong>der</strong> Erziehungswissenschaft) sind sie eher<br />

selten. Allenfalls wurden gelegentlich Expertengespräche durchgeführt, z.B. in<br />

einigen <strong>der</strong> jüngeren Län<strong>der</strong>gutachten zur Situation <strong>der</strong> Erwachsenenbildung. Hier<br />

werden die angesprochenen Experten vor allem als Lieferanten solcher Daten und<br />

Fakten genutzt (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 448), die man auf an<strong>der</strong>e Weise aus<br />

zeitlichen o<strong>der</strong> kapazitären Gründen nicht erhalten kann. In den einschlägigen<br />

Einführungen in Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung finden sich in <strong>der</strong> Regel<br />

bestenfalls knappe Hinweise, aber keine ausführlichen Darstellungen dieser<br />

Forschungsmethode. Eine hilfreiche Einführung in Zielsetzung, Durchführung und<br />

Auswertung von Experteninterviews, die auf <strong>der</strong> Rekonstruktion eigener<br />

Forschungspraxis beruht, haben Michael Meuser und Ulrike Nagel vorgestellt<br />

(MEUSER/ NAGEL 1991, 1997).<br />

Charakteristisch für Experteninterviews ist, dass sie zugleich „offen“ und<br />

„leitfadenorientiert“ geführt werden. Diese Art <strong>der</strong> Gesprächsführung wird dem<br />

Expertenstatus <strong>der</strong> Interviewten ebenso gerecht wie dem begrenzten Interesse eines<br />

Forschungsvorhabens (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 448). „Offene“ Fragen sollen es<br />

dem Interviewten ermöglichen, ja nahelegen, seine Situation als Experte selbst zu<br />

definieren, damit seine Strukturierung des Tätigkeitsbereichs und seine Bewertung<br />

erfaßt werden können. Zu Beginn jedes Interviews wird zunächst das<br />

Forschungsinteresse knapp, aber detailliert beschrieben und in den Ar<strong>bei</strong>tskontext<br />

<strong>der</strong> Expertin eingebettet. Durch überwiegend offene Fragen in einem orientierenden,<br />

aber nicht für jeden Gesprächspartner obligatorischen Interviewleitfaden werden die<br />

interessierenden Sachverhalte angesprochen. Zu jedem Themenbereich werden<br />

offene Leitfragen entwickelt und je nach Antwortverhalten und Gesprächsverlauf<br />

durch angemessene Nachfragen („Eventualfragen“) ergänzt. Bei den im vorliegenden<br />

Forschungsprojekt geplanten Interviews kommt als Beson<strong>der</strong>heit hinzu, dass die<br />

ausgewählten Experten aus unterschiedlichen Handlungskontexten stammen<br />

(handelnde Akteure auf unterschiedlichen Ebenen, Bildungspolitiker,<br />

Wissenschaftler, ...).<br />

Wie jedes Interview unterliegen auch Experteninterviews <strong>der</strong> Gefahr, dass ihre<br />

Resultate durch die Bediungungen <strong>der</strong> Kommunikationssituation beeinflußt werden.<br />

Zunächst können sich Verzerrungen bereits aus <strong>der</strong> künstlichen, asymmetrischen,<br />

dyadischen Beziehung zwischen Interviewern und Interviewtem ergeben, die für<br />

<strong>bei</strong>de sozial folgenlos bleibt und damit unverbindlich und beliebig zu werden droht.<br />

Zu fragen ist insbeson<strong>der</strong>e, ob <strong>der</strong> Interviewte die Fragen und Gesprächsimpulse im<br />

9


Sinne des Interviewers „richtig“ versteht bzw. verstehen will und wie zuverlässig er<br />

sie beantwortet. Systematisch können Verzerrungen, die auf sogenannte<br />

Interviewereffekte zurückgehen, von solchen unterschieden werden, die auf –<br />

bewusst o<strong>der</strong> unbewusst – fehlerhafte Angaben <strong>der</strong> Interviewten zurückzuführen<br />

sind. Das Problem möglicher Interviewereffekte, also die Beeinflussung des<br />

Antwortverhaltens durch beson<strong>der</strong>e Merkmale o<strong>der</strong> Verhaltensweisen des<br />

Interviewers wie etwa sein Aussehen, sein Auftreten, seine Herkunft, seine „verbalen<br />

Konditionierungen“ usw. wird in <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung bereits seit<br />

Jahrzehnten erforscht und diskutiert. Eine an<strong>der</strong>e Frage lautet, ob und inwieweit <strong>der</strong><br />

Befragte als mögliche „Fehlerquelle“ betrachtet werden muss, inwieweit er bewusst<br />

o<strong>der</strong> unbewusst Falschangaben macht. Die Zuverlässigkeit <strong>der</strong> Angaben eines<br />

Interviewten zu überprüfen, ist insofern in <strong>der</strong> Regel schwierig, als das Kriterium<br />

„wahre Antwort“ selbst nur ungenügend reliabel ist, insbeson<strong>der</strong>e im Einstellungsund<br />

Meinungsbereich. Aber auch dort, wo sich prinzipiell das Verhältnis von<br />

verbaler Darstellung und tatsächlichem Verhalten prüfen ließe, scheitert eine solche<br />

Überprüfung in <strong>der</strong> Regel an den Forschungsbedingungen o<strong>der</strong> an dem nötigen<br />

Respekt vor dem Interviewten.<br />

Für Experteninterviews gelten diese Einschränkungen in beson<strong>der</strong>er Weise.<br />

Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass sie auf verschiedene Weise<br />

„scheitern“ können (vgl dazu insgesamt MEUSER/ NAGEL 1991, S 449-451). Dies ist<br />

etwa dann <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>der</strong> Experte das Interview blockiert; dies ist zwar <strong>bei</strong> einer<br />

freiwilligen Teilnahme nach vorangehen<strong>der</strong> Information über die Themen des<br />

Interviews nicht sehr wahrscheinlich, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden.<br />

Scheitern kann das Interview auch dann, wenn <strong>der</strong> Experte das Gespräch mit einem<br />

Außenstehenden nutzt, um einmal „richtig auszupacken“. In wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fällen<br />

kann es vorkommen, dass <strong>der</strong> Experte ständig die Rollen zwischen Experte und<br />

Privatmensch wechselt o<strong>der</strong> dem Forscher (dem wirklichkeitsfremden „Theoretiker“)<br />

einen Fachvortrag über das „wirkliche“ Ar<strong>bei</strong>tsleben hält. Weniger eindeutig sind<br />

solche Fälle, in denen <strong>der</strong> Interviewte den Forscher in die Rolle des Ko-Experten<br />

drängt und mit ihm einen „Diskurs“ führen möchte. Dies kann durchaus nützlich<br />

sein, z.B. wenn <strong>der</strong> Forscher aufgrund seiner Sachkenntnis gezielt nachfragen o<strong>der</strong><br />

die Einschätzungen des Experten problematisieren kann, so dass auf diese Weise<br />

eine vertiefte, auch dem Experten bislang unbekannte Problemsicht erreicht wird. Es<br />

birgt aber auch die Gefahr, dass das Interview in eine Prüfungssituation abgleitet.<br />

Hier zu verhin<strong>der</strong>n, dass ein Hinterfragen von Problemlösungen, Wissens- und<br />

Handlungsstrukturen, ein Einbringen alternativer Handlungsoptionen als<br />

„Beurteilung“ <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t des Experten missverstanden wird, dürfte nicht immer<br />

leicht sein. Gerade <strong>bei</strong> Experteninterviews sind Antworten im Sinne <strong>der</strong> sozialen<br />

Erwünschtheit dann zu erwarten, wenn <strong>der</strong> Befragte sich <strong>der</strong> auftraggebenden o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> forschenden Institution unterlegen o<strong>der</strong> sich von ihr gar bedroht fühlt.<br />

Ertragreich verspricht ein Experteninterview dann zu werden, wenn es gelingt, den<br />

Experten für das Forschungsprojekt zu gewinnen und wenn <strong>der</strong> Interviewte bereit ist,<br />

seine Sicht <strong>der</strong> Dinge zu entfalten und in einen Gedankenaustausch einzutreten.<br />

Daher sollen hier einige Strategien und Verhaltensregeln für die Interviewführung<br />

benannt werden, die ertragreiches Interviewmaterial sichern helfen sollen. Zunächst<br />

ist eine „neutrale“ Gesprächsführung anzustreben, die gleich zu Beginn einen<br />

10


Zur Auswertung<br />

<strong>der</strong> Experteninterviews<br />

Kombination<br />

unterschiedlicher<br />

Forschungsmethoden<br />

„Rapport“ herstellt, in dem sich Forscher und Experte als „Fremde“ begegnen. Die<br />

Gesprächsbedingungen sollten standardisiert sein und eine aufgabenorientierte und<br />

entspannte Gesprächsatmosphäre sichern. Es ist zu vermuten, dass ein einzelner<br />

Interviewer dann überfor<strong>der</strong>t ist, wenn weniger die persönlichen Ansichten des<br />

Befragten als sein Wissen als Experte vorrangig ist, insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn <strong>der</strong><br />

Interviewer nicht speziell vorbereitet ist. Zusätzlich wird den Interviewten eine<br />

vollständige Anonymisierung <strong>der</strong> Angaben zugesichert, um zu verhin<strong>der</strong>n, dass die<br />

Befragten im Sinne sozialer Erwünschtheit o<strong>der</strong> gar nicht antworten. Im Mittelpunkt<br />

aber steht eine gründliche Vorbereitung auf jedes einzelne Gespräch.<br />

Die letzten Bemerkungen leiten bereits über zur zweiten Frage, <strong>der</strong> Frage danach,<br />

wie man zu allgemeingültigen, „objektiven“ Interpretationen von Interviews kommt,<br />

die über eine mehr o<strong>der</strong> weniger angemessene Paraphrasierung hinausgehen, ohne in<br />

subjektive, durch das Material nicht belegte Spekulationen abzugleiten. Diese Frage<br />

lässt sich wie<strong>der</strong> in zwei Teilfragen aufspalten: Geben die Interpretationen Antwort<br />

auf die Fragestellungen <strong>der</strong> Untersuchung? Werden sie dem gerecht wird, was <strong>der</strong><br />

Interviewer gesagt hat, sind sie mit dem Material verträglich? In <strong>der</strong> einschlägigen<br />

Fachliteratur, nicht nur zu Experteninterviews, son<strong>der</strong>n auch zu an<strong>der</strong>en Varianten<br />

von Interviews, wurden Fragen <strong>der</strong> Auswertung bisher wenig beachtet, im<br />

Vor<strong>der</strong>grund standen Fragen des Feldzugangs und <strong>der</strong> Gesprächsführung (MEUSER/<br />

NAGEL 1991, S. 441).<br />

Die einzelne Expertin wird nicht als Einzelfall, son<strong>der</strong>n immer als Repräsentantin<br />

ihrer „Zunft“ betrachtet. Im Unterschied etwa zur Interpretation biographischer o<strong>der</strong><br />

narrativer Interviews kommt es hier also nicht darauf an, den Einzelfall als solchen<br />

möglichst gut zu verstehen, vielleicht besser, als <strong>der</strong> Interviewpartner selbst das<br />

könnte. Die Interpretation erfolgte in drei Schritten. Unter den entwickelten<br />

Fragestellungen wurde zunächst jedes einzelne Interview nach thematischen<br />

Einheiten für sich interpretiert, und zwar in einem hermeneutischen Zirkel zwischen<br />

Fragestellung und Interpretationshypothesen, die an thematischen Texteinheiten<br />

überprüft wurden. Dieser Zirkel wurde sodann ausgeweitet auf den gesamten<br />

Interviewtext. Die Auswertung orientierte sich an thematischen Einheiten, nicht an<br />

<strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> Aussagen. Dass da<strong>bei</strong> die zunächst entwickelte Fragestellung<br />

selbstverständlich modifiziert, erweitert, ergänzt o<strong>der</strong> eingeschränkt wurde, soll <strong>der</strong><br />

Vollständigkeit halber betont werden. Die Interpretation <strong>der</strong> Einzelinterviews wurde<br />

abgeschlossen durch eine Charakterisierung <strong>der</strong> Auffassungen des Interviewten, die<br />

entwe<strong>der</strong> auf eingeführte Begriffe <strong>der</strong> Wissenschaftssprache zurückgriff o<strong>der</strong> aber<br />

sich auf eine textnahe Kategorienbildung stützte. Als bewährt, d.h. objektiv wurde<br />

eine Interpretation dann betrachtet, wenn sie durch den Text selbst (bzw. durch das<br />

Kontextwissen des Interpreten) nicht mehr „falsifiziert“ (wi<strong>der</strong>legt) werden konnte.<br />

Nach <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Einzelinterviews erfolgte ein Vergleich mit an<strong>der</strong>en<br />

Interviews (Prinzip des minimalen bzw. maximalen Kontrasts). Das Ziel bestand<br />

darin, das Gemeinsame und Verallgemeinerbare <strong>der</strong> Auffassungen <strong>der</strong> Interviewten<br />

herauszuar<strong>bei</strong>ten.<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Expertenbefragung werden ergänzt und damit in ihrer Reichweite<br />

besser einschätzbar durch Befunde aus an<strong>der</strong>en laufenden o<strong>der</strong> bereits<br />

abgeschlossenen Untersuchungen. Im einzelnen sind das<br />

11


Institutioneller<br />

Strukturwandel<br />

<strong>der</strong><br />

Weiterbildung<br />

- Befunde aus bundesweiten Erhebungen, z.B. <strong>der</strong> Delphi-Befragung zur Zukunft<br />

<strong>der</strong> Informations- und Wissensgesellschaft, durchgeführt vom Bundesminister für<br />

Bildung und Forschung (BMBF 1998)<br />

- bremenspezifische Befunde zu Strukturen und Entwicklungen in <strong>der</strong><br />

Weiterbildung, die sich u.a. aus <strong>der</strong> vom Institut für Erwachsenen-<br />

Bildungsforschung im Auftrag <strong>der</strong> Strukturkommission Weiterbildung<br />

durchgeführten Programmanalyse ergeben (KÖRBER/ KUHLENKAMP/ PETERS/<br />

SCHLUTZ/ SCHRADER/ WILCKHAUS 1995)<br />

- Befunde aus <strong>der</strong> Habilitationsschrift des Autors, die sich auf eine<br />

inhaltsanalytische Auswertung des gesamten Angebots an organisierter<br />

Weiterbildung in <strong>der</strong> Stadt <strong>Bremen</strong> für die Jahre 1996/97 stützt (ca. 150 Anbieter<br />

mit über 10.000 Veranstaltungsankündigungen) (SCHRADER 2000).<br />

Diese Art <strong>der</strong> Kombination unterschiedlicher Forschungsmethoden erlaubt eine<br />

Vielfalt und Dichte an Untersuchungsbefunden, wie sie Untersuchungen, die sich in<br />

begrenzter Zeit und mit begrenzten Mitteln ausschließlich explorativen<br />

Fragestellungen zuwenden, kaum leisten können.<br />

3. Zur institutionellen Struktur <strong>der</strong> bremischen Weiterbildung<br />

Wer sich mit den Optionen ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierter Weiterbildungseinrichtungen in<br />

<strong>der</strong> sich etablierenden Wissensgesellschaft beschäftigt, ist zunächst darauf<br />

verwiesen, den institutionellen Kontext, in dem sich diese Anbieter bewegen, ebenso<br />

genau in den Blick zu nehmen wie die identifizierbaren Verän<strong>der</strong>ungen. Der<br />

Strukturwandel <strong>der</strong> Weiterbildung hat auch die bremische Weiterbildungslandschaft<br />

nachhaltig und grundlegend verän<strong>der</strong>t. Das bremische Weiterbildungsgesetz, das<br />

1974 verabschiedet wurde, galt lange Zeit als <strong>bei</strong>spielhaft für die Ansprüche und<br />

Praxen einer sozialstaatlichen Bildungspolitik unter - nicht parteipolitisch verengt<br />

gedachten - sozialdemokratischen Vorzeichen. Seit <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre, als die<br />

Weiterbildung in <strong>Bremen</strong> zunächst durch 11 anerkannte Einrichtungen korporativer<br />

und kommunaler Träger bestimmt wurde, hat sich die institutionelle Struktur <strong>der</strong><br />

Weiterbildung deutlich gewandelt.<br />

Der Expansion des lebenslangen Lernens entspricht auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />

Weiterbildungsanbieter eine wachsende Zahl von Einrichtungen, die ihr Angebot<br />

ausweiten und da<strong>bei</strong> oft zugleich profilieren, um bestimmte Segmente des Marktes<br />

besetzen zu können. Betrachtet man den Weiterbildungsmarkt als ganzes, so stellt<br />

man eine Vielzahl hochgradig segmentierter Bereiche fest und nur eine kleinere Zahl<br />

von Angebotsbereichen, in denen um dieselben Adressaten und Kunden geworben<br />

wird. Dies zeigte sich in einer Untersuchung, die <strong>der</strong> Autor im Jahr 2000<br />

abgeschlossen hat (SCHRADER 2000). In dieser Untersuchung konnten in <strong>Bremen</strong><br />

insgesamt 148 Weiterbildungsanbieter einbezogen werden, die regelmäßig Angebote<br />

<strong>zum</strong> organisierten Lernen unterbreiten und diese Angebote in Broschüren,<br />

Faltblättern o<strong>der</strong> Programmheften veröffentlichen. Bei neun dieser Einrichtungen<br />

handelt es sich um innerbetriebliche Weiterbildungseinrichtungen, die übrigen 139<br />

12


Gesamtangebot<br />

in <strong>Bremen</strong><br />

Fortschreitende<br />

Kommerzialisierung?<br />

bremischen Anbieter unterbreiten ein mehr o<strong>der</strong> weniger „offenes“<br />

Weiterbildungsangebot. In den ordnungspolitischen Diskussionen über<br />

Weiterbildung war die Frage nach den Trägern von Weiterbildungseinrichtungen<br />

stets von beson<strong>der</strong>er Bedeutung, da mit <strong>der</strong> Trägerschaft einer Einrichtung<br />

<strong>zum</strong>eist auch spezifische, gegebenenfalls auch „weiterbildungsfremde“<br />

Interessen verknüpft o<strong>der</strong> unterstellt wurden. Daher gruppiert die folgende<br />

Tabelle die insgesamt 148 Weiterbildungseinrichtungen in einem ersten Zugriff nach<br />

relevanten staatlichen (Bund, Land o<strong>der</strong> Gemeinde), öffentlich-rechtlichen und<br />

privatrechtlichen Organen und Organisationen, Gruppen o<strong>der</strong> Vereinigungen.<br />

Tabelle 1: Anzahl <strong>der</strong> Weiterbildungsanbieter nach Trägern bzw. Trägergruppen<br />

Träger Anzahl in % Summen-<br />

Prozent<br />

Kommune, Land, Bund 7 4,7 4,7<br />

Universitäten, Bundesanstalten, öffentl. 7 4,7 9,5<br />

geför<strong>der</strong>te Forschungsinstitute<br />

Kirchen 3 2,0 11,5<br />

Industrie-, Handels-, Handwerkskammern 3 2,0 13,5<br />

Berufsverbände, Innungen, Kammern 14 9,5 23,0<br />

Ar<strong>bei</strong>tgeberverbände, Unternehmen 8 5,4 28,4<br />

Gewerkschaften, Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammern 5 3,4 31,8<br />

Wohlfahrts-,<br />

Stiftungen<br />

Sportverbände, wohltätige 9 6,1 37,8<br />

Initiativen, Vereine 40 27,0 64,9<br />

Kapital-, Personengesellschaften 43 29,1 93,9<br />

Betriebe 9 6,1 100,0<br />

Summe 148 100,0 100,0<br />

Die interne Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tabelle listet zuerst die staatlichen Träger bremischer<br />

Weiterbildungseinrichtungen auf, dann die öffentlich-rechtlichen (Bundesanstalten,<br />

Körperschaften des öffentlichen Rechts, Kammern) und abschließend die große<br />

Gruppe <strong>der</strong> privatrechtlichen Träger (im wesentlichen Verbände, Vereinigungen,<br />

Kapital- o<strong>der</strong> Personengesellschaften). Da<strong>bei</strong> zeigt sich: Die Gruppe <strong>der</strong><br />

privatrechtlichen Träger überwiegt die Gruppe <strong>der</strong> staatlichen bzw. <strong>der</strong> öffentlichrechtlichen<br />

deutlich, und zwar etwa im Verhältnis 3:1. Vielleicht wird es<br />

bildungspolitisch interessierte Beobachter überraschen, dass selbst in <strong>Bremen</strong>, wo<br />

<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> öffentlichen Verantwortung wie in Nordrhein-Westfalen<br />

vergleichsweise weit definiert wurde, inzwischen die Kapital- o<strong>der</strong><br />

Personengesellschaften (i.d.R. GmbH’s und GbR’s) die größte Gruppe unter den<br />

relevanten Trägern von Weiterbildungseinrichtungen darstellen. Die wachsende Zahl<br />

und das wachsende Gewicht dieser Gruppe von Einrichtungen, häufig in den 80er<br />

Jahren gegründet, kann als erster Hinweis auf eine fortschreitende<br />

Kommerzialisierung <strong>der</strong> Weiterbildung gedeutet werden. Gemeinsam mit Vereinen<br />

und Initiativen (i.d.R. in <strong>der</strong> Rechtsform des eingetragenen Vereins) stellen sie<br />

deutlich über 50% aller Träger <strong>der</strong> hier erfaßten bremischen<br />

Weiterbildungseinrichtungen. Eine dritte große Trägergruppe mit 14 Einrichtungen<br />

13


Anteil am<br />

Gesamtangebot<br />

Themenspektrum<br />

und Zwecksetzung<br />

des<br />

Anbieters<br />

stellen die Berufsverbände (häufiger als eingetragene Vereine, seltener als Kammern<br />

o<strong>der</strong> Innungen), die für ihre tatsächlichen o<strong>der</strong> potentiellen Mitglie<strong>der</strong><br />

berufsspezifische Fortbildungsangebote unterbreiten.<br />

Um die Bedeutung <strong>der</strong> hier unterschiedenen Träger für das Weiterbildungsangebot in<br />

<strong>der</strong> Stadt <strong>Bremen</strong> abzuschätzen, wäre es aber irreführend, würde man nur die Anzahl<br />

<strong>der</strong> von ihnen getragenen Weiterbildungseinrichtungen betrachten, ohne zugleich zu<br />

berücksichtigen, welchen Anteil <strong>zum</strong> Gesamtangebot diese Einrichtungen <strong>bei</strong>steuern.<br />

Denn häufig handelt es sich <strong>bei</strong> den erfaßten Einrichtungen um sehr kleine Anbieter<br />

mit einem nur marginalen Weiterbildungsangebot; so entfällt allein auf die acht<br />

größten Anbieter fast 50% des gesamten Weiterbildungsangebots. Die Existenz<br />

mehrerer großer Weiterbildungsanbieter ist sicherlich eine Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong><br />

bremischen Weiterbildungslandschaft.<br />

Mit <strong>der</strong> Größe einer Einrichtung korrespondiert das Spektrum des<br />

Programmangebots in thematischer Hinsicht. Drei Gruppen von Anbietern lassen<br />

sich nach <strong>der</strong> Breite ihres Angebots unterscheiden, dokumentiert in <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />

abgedeckten Fachbereiche. Als (1) Allround-Anbieter werden solche Einrichtungen<br />

bezeichnet, <strong>der</strong>en Angebote sich auf mindestens 13 Fachbereiche mit jeweils einer<br />

größeren Zahl von Veranstaltungen verteilen. Dies trifft in insgesamt nur vier Fällen<br />

zu, wo<strong>bei</strong> jeweils alle drei traditionellen Lernbereiche (<strong>der</strong> allgemeinen, politischen<br />

und beruflichen Weiterbildung) abgedeckt wurden. Als (2) Mehr-Sparten-Anbieter<br />

gelten solche Anbieter, <strong>der</strong>en Angebot sich auf mindestens vier und maximal zwölf<br />

unterschiedliche Fachbereiche verteilte. Dies trifft für etwa jeden dritten hier erfaßten<br />

Anbieter zu. Schließlich werden als (3) Sparten-Anbieter o<strong>der</strong> „Spezialisten“<br />

diejenigen mit maximal drei abgedeckten Fachbereichen betrachtet. Etwa zwei von<br />

drei <strong>der</strong> hier erfaßten Anbieter wurden danach als Sparten-Anbieter kategorisiert.<br />

Wie die folgende Tabelle zeigt, hängt das thematische Spektrum des Angebots<br />

entscheidend davon ab, welche Zwecke ein Anbieter verfolgt, ob es sich um eine<br />

anerkannte, eine gemeinnützige, aber nicht anerkannte, eine kommerzielle o<strong>der</strong> eine<br />

innerbetriebliche Weiterbildungseinrichtung handelt.<br />

Tabelle 2: Weiterbildungsanbieter nach Zwecksetzung und Angebotsspektrum<br />

Anbietertypen Allround- Mehr-Spar- Sparten- Summe<br />

Anbieter ten-Anbieter Anbieter<br />

anerkannt 4 9 13<br />

gemeinnützig 25 58 83<br />

erwerbswirtschaftlich 1 42 43<br />

betrieblich 8 1 9<br />

Summe 4 43 101 148<br />

Das bremische Weiterbildungsgesetz will einen Integrationsanspruch för<strong>der</strong>n.<br />

Wohl auch deshalb sind die meisten anerkannten Anbieter Allround-Anbieter<br />

bzw. Mehr-Sparten-Anbieter. Erwerbswirtschaftlichen Zwecken kann man nach<br />

Tabelle 2 offenbar nur dann erfolgreich nachgehen, wenn man sich auf ein eng<br />

begrenztes Angebotsspektrum konzentriert und hierin eine anerkannte Kompetenz<br />

aufbaut, die entsprechend hohe Teilnehmergebühren rechtfertigt, z.B. im<br />

14


Sprachenbereich, in <strong>der</strong> EDV, in AFG- o<strong>der</strong> SGB-III-geför<strong>der</strong>ten Maßnahmen <strong>der</strong><br />

beruflichen Weiterbildung. Innerbetriebliche Weiterbildungseinrichtungen sind in<br />

aller Regel – jedenfalls ab einer bestimmten Größe – Mehr-Sparten-Betriebe mit<br />

Schwerpunkten in branchen- und fachbezogener Anpassungsqualifizierung, in den<br />

formalen Schlüsselqualifikationen, in Fremdsprachen und EDV-Grundbildung.<br />

Sparten-Anbieter haben einen deutlichen Schwerpunkt in <strong>der</strong> beruflichen<br />

Weiterbildung (EDV, berufsspezifische Kompetenzen), seltener in <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Weiterbildung (z.B. in Sprachen, Gesundheit, Kultur), kaum in <strong>der</strong> politischen<br />

Weiterbildung. Insgesamt hat die weit überwiegende Mehrzahl aller Anbieter einen<br />

deutlichen Schwerpunkt in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung.<br />

Um den Weiterbildungsmarkt näher zu beleuchten, soll das Gesamtangebot in einer<br />

ersten groben Unterscheidung nach <strong>der</strong> bereits eingeführten Typologie von<br />

anerkannten, an<strong>der</strong>en gemeinnützigen, kommerziellen und innerbetrieblichen<br />

Weiterbildungseinrichtungen aufgeschlüsselt werden.<br />

Tabelle 3: Anteile am Gesamtangebot für verschiedene Anbietertypen<br />

Anbietertypen Veranstaltungen in % Unterrichtsstunden in %<br />

anerkannte 4644 50,5 318921 45,1<br />

gemeinnützige 2524 27,4 256766 36,3<br />

erwerbswirtschaftliche 859 9,3 99398 14,1<br />

betriebliche 1178 12,8 31912 4,5<br />

Summe 9205 100,0 706997 100,0<br />

Die Tabelle weist aus, dass etwa die Hälfte aller Veranstaltungen und etwa 45% <strong>der</strong><br />

Unterrichtsstunden von anerkannten Weiterbildungsanbietern angekündigt<br />

werden. Der Anteil am Gesamtangebot ist in <strong>Bremen</strong> rückläufig, wie historische<br />

Vergleiche belegen, gleichwohl erscheint die These von einer Entstaatlichung <strong>der</strong><br />

Weiterbildung übertrieben. Immerhin noch fast 30% aller Veranstaltungen (ca. 36%<br />

<strong>der</strong> Unterrichtsstunden) entfallen auf an<strong>der</strong>e gemeinnützige Anbieter. Auf<br />

erwerbswirtschaftliche Anbieter entfallen ca. 10% <strong>der</strong> Veranstaltungen mit ca. 14%<br />

<strong>der</strong> Unterrichtsstunden. Die für diese Untersuchung ausgewählten neun<br />

innerbetrieblichen Anbieter kündigen immerhin noch ca. 13% <strong>der</strong> Veranstaltungen<br />

an, aber aufgrund <strong>der</strong> meist kurzen Veranstaltungsdauer nur noch ca. 5% <strong>der</strong><br />

Unterrichtsstunden. Damit wird die tatsächliche Bedeutung <strong>der</strong> Betriebe für die<br />

(berufliche) Weiterbildung allerdings erheblich unterschätzt. Die hier verfügbaren<br />

Daten erlauben lediglich einen guten Einblick in die Themen- und Angebotsstruktur<br />

<strong>der</strong> Betriebe. Um die quantitative Bedeutung einzuschätzen, kann man auf<br />

bundesweite repräsentative Untersuchungen zurückgreifen, die im großen und<br />

ganzen auch für das Bundesland <strong>Bremen</strong> repräsentativ sein dürften.<br />

Will man die betriebliche Weiterbildung quantifizieren, so ist man zunächst auf<br />

eine brauchbare Indikatoren angewiesen. Formal könnte man dazu all jene<br />

Aktivitäten rechnen, <strong>bei</strong> denen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber bzw. <strong>der</strong> Betrieb <strong>der</strong> Träger ist.<br />

Systematisch konzentriert man sich dann auf die Weiterbildung von Erwerbstätigen.<br />

Von dort aus können dann engere o<strong>der</strong> weitere Definitionen zugrunde gelegt werden:<br />

Der Ar<strong>bei</strong>tgeber ist Träger <strong>der</strong> Maßnahme (enge Definition), die Maßnahme findet<br />

15


Einsatz externer<br />

Trainer<br />

Monopolisierung<br />

und Konkurrenz<br />

während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit statt (weitere Definition) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber gewährt<br />

finanzielle Unterstützung bzw. Lohn- o<strong>der</strong> Gehaltsfortzahlung für die Teilnahme<br />

(weite Definition). Je nach Definition liegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber (einschließlich<br />

des öffentlichen Dienstes) an <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung von Erwerbstätigen<br />

zwischen 51% und 86% <strong>bei</strong> den Teilnahmefällen bzw. zwischen 39% und 73% <strong>bei</strong>m<br />

Weiterbildungsvolumen (KUWAN/ GNAHS/ SEIDEL 2000, S. 265 f.). Insgesamt<br />

entfallen auf die Betriebe also etwa die Hälfte <strong>der</strong> Teilnahmefälle und ein Drittel<br />

des Weiterbildungsvolumens <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung. Sie sind damit in<br />

je<strong>der</strong> Hinsicht mit deutlichem Abstand die gewichtigsten Träger beruflicher<br />

Weiterbildung (ebd., S. 219 ff). Die Betriebe behaupten in – methodisch allerdings<br />

umstrittenen - Untersuchungen, dass sie pro Jahr ca. 35 Milliarden DM für die<br />

Weiterbildung ihrer Mitar<strong>bei</strong>ter aufwenden, das wären pro Beschäftigten etwa<br />

1500 DM bis 2000 DM (Institut <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft, zitiert nach KUWAN/<br />

GNAHS/ SEIDEL 2000, S. 271 f.).<br />

Von <strong>der</strong> Frage, welcher Anteil an <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung von den Betrieben<br />

verantwortet wird, muss man die Frage unterscheiden, wer die – weit o<strong>der</strong> eng<br />

definierte - innerbetriebliche Weiterbildung tatsächlich durchführt. Grundsätzlich gilt<br />

hier, dass die Betriebe nur den geringeren Teil <strong>der</strong> von ihnen getragenen<br />

Weiterbildung auch mit eigenen Mitar<strong>bei</strong>tern durchführen, für den weitaus größeren<br />

Teil verpflichten sie externe Dienstleister: Einzeltrainer, kleinere o<strong>der</strong> größere<br />

kommerzielle Institute, aber auch Universitäten, Kammern o<strong>der</strong> gemeinnützige<br />

Weiterbildungseinrichtungen. Insofern hat dieses Segment beruflicher Weiterbildung<br />

durchaus auch für „offene“ Weiterbildungseinrichtungen eine Bedeutung. So<br />

beschreibt <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter einer öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung,<br />

ganz im Sinne <strong>der</strong> oben angeführten „weiten“ Definition von betrieblicher<br />

Weiterbildung:<br />

„Wir definieren betriebliche Bildung ja hier [...] an<strong>der</strong>s als normalerweise. Wenn ich<br />

heute privater Anbieter bin, da würde ich ja nicht nur Kompaktseminare machen, die<br />

wir hier als betriebliche Bildung betrachten, das wird immer nicht viel sein, son<strong>der</strong>n<br />

alles, was Betriebe finanzieren. Da sieht es natürlich ganz an<strong>der</strong>s aus. In unseren<br />

normalen Seminaren sitzen ja, ich kann das jetzt schlecht sagen, aber vielleicht 20%<br />

Teilnehmer, die sich einzeln anmelden als Person, die aber auf Firmenrechnung<br />

ar<strong>bei</strong>ten, das ist ja nichts an<strong>der</strong>es als betriebliche Bildung in dem Sinn. Wenn ich<br />

privater Anbieter bin und ein Betrieb kommt zu mir und sagt, ich melde hier zwei<br />

Mitar<strong>bei</strong>ter an, ja dann ist das betriebliche Bildung. Wir lassen die unter unserer<br />

normalen Bildung laufen. Ich habe das mal 1995 ermittelt, da waren alleine in dem<br />

Bereich <strong>der</strong> Finanzierung in normalen Seminaren, also auf Firmenrechnung, das konnte<br />

man das rauskriegen, über 1 Million. Das ist schon für einige ein größerer Prozentsatz.<br />

Nur wir lassen den <strong>bei</strong>seite. Wir definieren die betriebliche Bildung hier nur als<br />

Kompaktseminar, da musst du praktisch das an<strong>der</strong>e dazu packen, und dann hat es<br />

natürlich einen größeren Stellenwert.“ (Interview 14, S. 16 f.)<br />

Als wichtiges Differenzierungskriterium kann sicherlich <strong>der</strong> Preis gelten, <strong>der</strong> für<br />

einen Veranstaltungsbesuch verlangt wird. Welche Gebühren unterschiedliche<br />

Anbieter für ihre Veranstaltungsangebote verlangen können o<strong>der</strong> müssen, hängt<br />

sicherlich von einer Vielzahl von Faktoren ab: von <strong>der</strong> Finanzkraft <strong>der</strong> Auftraggeber,<br />

<strong>der</strong> Finanzierung <strong>der</strong> Einrichtung, ihrer För<strong>der</strong>ung durch öffentliche o<strong>der</strong><br />

Trägermittel, von dem gesellschaftlichen „Tauschwert“ des Angebots, von den<br />

angebotenen „Leistungen“ im Hinblick auf Gruppengröße, Ausstattung o<strong>der</strong><br />

16


Zur Bedeutung<br />

<strong>der</strong> anerkannten<br />

Weiterbildung<br />

Qualifikation <strong>der</strong> Referenten usw. Nach den vorliegenden Befunden (die nicht alle<br />

genannten Einflußfaktoren berücksichtigen können) hat offensichtlich die<br />

Finanzkraft <strong>der</strong> Auftraggeber den größten Einfluß auf die Höhe <strong>der</strong> Gebühren:<br />

Betrachtet man die Gebühren differenziert für Fachbereiche, den Erwerbszweck des<br />

Anbieters (anerkannt und gemeinnützig, gemeinnützig, erwerbswirtschaftlich) und<br />

die unterschiedlichen Auftraggeber und Kunden (Betrieb, Ar<strong>bei</strong>tsamt, individuelle<br />

Teilnehmer usw.), so erweist sich die Finanzkraft des Auftraggebers als wichtigster<br />

Einflußfaktor, gefolgt vom Status des Anbieters, während das Themenfeld, aus dem<br />

ein Angebot stammt, eine vergleichsweise geringe Rolle spielt.<br />

Insgesamt zeigen die Befunde dieser Untersuchung, dass <strong>der</strong> Weiterbildungsmarkt je<br />

nach Angebotsbereich in unterschiedlicher Weise durch Monopolisierung und<br />

Konkurrenz geprägt ist. Teile des „Systems“ sind deutlich voneinan<strong>der</strong> abgegrenzt<br />

und von großer Stabilität, in an<strong>der</strong>en Bereichen wird die Aufteilung <strong>der</strong> Segmente<br />

von Anbietern unterschiedlichen o<strong>der</strong> auch gleichen Typs ständig neu ausgehandelt,<br />

was zu Neugründungen ebenso führt wie zur Schließung von Einrichtungen. Der<br />

Preis hat auf dem Markt eine wichtige, aber keine dominante Lenkungsfunktion.<br />

Während in einigen Bereichen angebotsorientierte Preise verlangt werden können<br />

(Kosten plus gewünschter Gewinn), herrscht in an<strong>der</strong>en Bereichen eine scharfe,<br />

marktförmige Konkurrenz um individuelle Teilnehmer o<strong>der</strong> die Mittel <strong>der</strong><br />

Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung; in wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Bereichen können Angebote nur dann platziert<br />

und realisiert werden, wenn sie durch öffentliche Mittel o<strong>der</strong> solche <strong>der</strong> Träger<br />

subventioniert werden. Jedes Teilsegment des Weiterbildungsmarktes hat eine<br />

unverwechselbare, in an<strong>der</strong>en Bereichen so nicht anzutreffende Struktur sehr<br />

unterschiedlicher Anbieter hervorgebracht.<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> anerkannten und institutionell geför<strong>der</strong>ten<br />

Weiterbildungseinrichtungen ist in <strong>Bremen</strong> im Vergleich zu an<strong>der</strong>en<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n und städtischen Regionen immer noch hoch, was die berichteten<br />

Daten zeigen, was sich aber auch <strong>bei</strong> einem Vergleich <strong>der</strong> bremischen<br />

Weiterbildungslandschaft mit <strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Städten ergibt. Diese große Bedeutung<br />

<strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung wird auch von <strong>der</strong> Politik gesehen, wenn auch über<br />

die heutigen, tatsächlichen Relationen unter den Anbietern nicht immer zuverlässige<br />

Vorstellungen existieren. Dies betrifft insbeson<strong>der</strong>e die Auffassung, dass alle<br />

Spezialanbieter (in <strong>der</strong> hiesigen Begrifflichkeit: Sparten-Anbieter) sich in <strong>der</strong><br />

beruflichen Weiterbildung bewegten:<br />

„Sie [die Bedeutung <strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung] ist hoch, außerordentlich<br />

hoch. Es gab eine Phase, wo gesagt wurde, es handelt sich um einen kleinen Kreis von<br />

Einrichtungen, und <strong>der</strong> muß geöffnet werden. Deshalb haben wir auch das<br />

Anerkennungsverfahren in <strong>Bremen</strong> geöffnet, und es sind auch neue Anbieter<br />

dazugekommen bzw. kommen dazu. Aber diejenigen, es sind zur Zeit 17 Einrichtungen,<br />

decken einen Großteil des Angebotes in <strong>Bremen</strong> ab. Es gibt zusätzlich viele Anbieter,<br />

aber es sind dann Spezialanbieter, und zwar ohne Ausnahme Spezialanbieter <strong>der</strong><br />

beruflichen Bildung, also von Teilsegmenten <strong>der</strong> beruflichen Bildung. Die anerkannten<br />

Einrichtungen gibt es schon sehr lange, und sie sind in <strong>der</strong> Lage gewesen, auf dem<br />

Markt zu bestehen, denn sie leben nicht von unseren staatlichen Subventionen. Also wir<br />

geben die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Mark dazu, aber es ist wenig. Son<strong>der</strong>n sie leben davon, dass<br />

sie Teilnehmer finden und von dort auch Entgelte bekommen bzw. dass die<br />

Trägereinrichtungen einspringen. Und für mich zeigt das, dass eine Einrichtung, die<br />

17


Zusammenfassung<br />

Reformleitbild<br />

<strong>der</strong> mittleren<br />

Systematisierung<br />

sich über einen langen Zeitraum am Markt hält, auch nicht schlecht sein kann.“<br />

(Interview 10, S. ?)<br />

Will man die berichteten Befunde zusammenfassen, so zeigt sich, dass die<br />

Institutionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung, die durch die Bildungsreform<br />

beschleunigt wurde, weiter voranschreitet. Die sich etablierende Wissensgesellschaft<br />

erfor<strong>der</strong>t offensichtlich auch ein differenziertes und sich ausdifferenzierendes System<br />

organisierter Weiterbildung, um notwendige Infrastrukturen für das lebenslange und<br />

lebensbegleitende Lernen bereit zu stellen. Dieser Befund wird in den aktuellen<br />

Debatten, die vor allem das selbstorganisierte Lernen mit den neuen Informationsund<br />

Kommunikationstechniken in den Vor<strong>der</strong>grund stellen, nicht immer hinreichend<br />

bedacht (z.B. DOHMEN 1996). Da<strong>bei</strong> findet <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Expansion inzwischen<br />

vorwiegend außerhalb <strong>der</strong> nach den Län<strong>der</strong>gesetzen geför<strong>der</strong>ten<br />

Weiterbildungseinrichtungen statt – innerbetrieblich, im Finanzierungsbereich des<br />

AFG bzw. des SGB-III, in kommerziellen o<strong>der</strong> in Non-Profit-Einrichtungen im<br />

Kontext sozialer Bewegungen. Obwohl auch die öffentlich anerkannte<br />

Weiterbildung an <strong>der</strong> Expansion teilhat und für den Weiterbildungsmarkt in vieler<br />

Hinsicht immer noch strukturbildend ist, ist ihr Anteil am Gesamtangebot seit den<br />

90er Jahren rückläufig.<br />

Mit <strong>der</strong> Institutionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung geht ihre Kommerzialisierung einher.<br />

In den 90er Jahren wachsen, das zeigt zunächst die wachsende Zahl<br />

erwerbswirtschaftlicher Anbieter, das zeigen aber auch differenzierte, hier nur<br />

anzudeutende Angebotsanalysen: Auch in <strong>der</strong> öffentlich anerkannten Weiterbildung<br />

wachsen in den 90er Jahren nur noch solche Angebotsbereiche, die über den Markt,<br />

d.h. mindestens kostendeckend, finanziert werden können. Das gilt für Angebote in<br />

<strong>der</strong> EDV-Grund- und Spezialbildung, in den formalen Schlüsselqualifikationen, in<br />

<strong>der</strong> Gesundheitsbildung sowie durchgehend in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung. Mit<br />

dem Bedeutungsverlust <strong>der</strong> öffentlich anerkannten Weiterbildung stagnieren<br />

o<strong>der</strong> sinken alle Angebote, die eine Subventionierung durch den Staat o<strong>der</strong><br />

durch Träger erfor<strong>der</strong>n: Das gilt für Angebote zur sozialen Bildung, zur<br />

Alphabetisierung, zur Zielgruppenar<strong>bei</strong>t, zur politischen Bildung. Damit stellen sich<br />

neue Aufgaben und Herausfor<strong>der</strong>ungen an die Weiterbildungspolitik, auf die man in<br />

<strong>Bremen</strong> auch bereits zu reagieren versucht.<br />

4. Die Reform des bremischen Weiterbildungsgesetzes<br />

Dass auch die Weiterbildungspolitik auf den Strukturwandel <strong>der</strong> Weiterbildung<br />

reagierte, läßt sich u.a. daran ablesen, dass seit Ende <strong>der</strong> 80er und verstärkt dann zu<br />

Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre in mehreren Bundeslän<strong>der</strong>n und Regionen Gutachten in<br />

Auftrag gegeben wurden (für <strong>Bremen</strong> Strukturkommission Weiterbildung 1995, für<br />

Schleswig-Holstein FAULSTICH/ TEICHLER/ DÖRING 1996, für Nordrhein-Westfalen<br />

GIESEKE u.a. 1997) und Studien (für Freiburg TIPPELT/ ECKERT/ BARZ 1996, für<br />

Frankfurt DRÖLL 1994/ 1999a) erar<strong>bei</strong>tet wurden.<br />

Die Politik hat aus den beschriebenen Entwicklungen die Konsequenz gezogen, ihre<br />

Aufgabe im Blick auf die För<strong>der</strong>ung und Bewertung <strong>der</strong> Weiterbildung neu zu<br />

interpretieren. Dies läßt sich an <strong>der</strong> Reform des bremischen Weiterbildungsgesetzes<br />

18


Unterscheidung<br />

von staatlicher<br />

Anerkennung<br />

und finanzieller<br />

För<strong>der</strong>ung<br />

zeigen, die 1996 erfolgte und Bewahrung und behutsame Öffnung miteinan<strong>der</strong> zu<br />

verknüpfen sucht (s. dazu SEEVERS/ SCHRADER 2001; SCHRADER 2001a). Im<br />

Vor<strong>der</strong>grund steht <strong>der</strong> Versuch, an etablierten Strukturen und Konzepten<br />

(korporativer Pluralismus, institutionelle För<strong>der</strong>ung, Konzentration auf<br />

angebotsorientierte Formen organisierten Lernens mit Mindestteilnehmer- und<br />

Unterrichtsstundenzahlen, Integrationspostulat, Gegensteuerung) festzuhalten.<br />

Zugleich wurden behutsame Öffnungen eingeleitet, <strong>bei</strong> denen abzuwarten bleibt, ob<br />

sie die tradierten Strukturen unbeeinflusst lassen.<br />

Das novellierte Weiterbildungsgesetz orientiert sich aus Sicht <strong>der</strong> bildungspolitisch<br />

Verantwortlichen am Konzept <strong>der</strong> „mittleren Systematisierung“ (Interview 10, S. 10)<br />

und unterscheidet zwischen staatlicher Anerkennung, die gleichsam den Charakter<br />

eines Gütesiegels erhält, und finanzieller För<strong>der</strong>ung, die in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong><br />

institutionellen, <strong>der</strong> Programm- und –neu hinzugekommen – <strong>der</strong> Projektför<strong>der</strong>ung<br />

vorgenommen werden kann. Der Staat verpflichtet sich zudem, und das ist neu für<br />

die Bundesrepublik, zu einer immateriellen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterbildung und<br />

übernimmt gleichsam Aufgaben <strong>der</strong> Supervision des Systems, etwa in <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>ung von Unterstützungsstrukturen, im Teilnehmerschutz o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sicherung<br />

von Transparenz, z.B. durch den Aufbau eines Weiterbildungsinformationssystems.<br />

Am weitreichendsten ist die Verpflichtung <strong>der</strong> anerkannten Einrichtungen auf die<br />

Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, die einige Einrichtungen nur mit<br />

Mühe erfüllen konnten. Nicht gelungen ist es, die auf insgesamt neun Senatsressorts<br />

verstreuten Zuständigkeiten für die För<strong>der</strong>ung und Steuerung <strong>der</strong> Weiterbildung<br />

zusammenzufassen. Jedoch unternimmt eine die einzelnen senatorischen Behörden<br />

übergreifende Projektgruppe den Versuch, die Einzelpolitiken zu koordinieren und<br />

zugleich am Aufbau eines „Gesamtsystems lebensbegleitenden Lernens“ (Interview<br />

10, S. 1) zu ar<strong>bei</strong>ten, was u.a. daran erkennbar ist, dass berufliche Aus- und<br />

Weiterbildung als aufeinan<strong>der</strong> bezogen diskutiert werden.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Politik steht <strong>Bremen</strong> am Beginn einer neuen Bildungsoffensive.<br />

Weiterbildungspolitik, das sei europaweit zu beobachten, verlasse ihre traditionellen<br />

Positionen und weite ihren Blick auf die Unterstützung lebenslangen Lernens:<br />

„Ich glaube, dass die politische Akzeptanz, nachdem sie zu Beginn <strong>der</strong> siebziger Jahre<br />

wohl wirklich hoch gewesen ist und die innovativen, auch politischen Köpfe in <strong>Bremen</strong>,<br />

für die ist es ja ein Thema gewesen, ja dann an Bedeutung verloren hat. Zwar nicht an<br />

Bedeutung verloren hat die berufliche Bildung, die hat ihre eigene Geschichte. Son<strong>der</strong>n<br />

die Teile <strong>der</strong> mehr allgemeiner ausgerichteten beruflichen und politischen und<br />

allgemeinen Bildung sind aus <strong>der</strong> Wahrnehmung von Politik, und ich glaube auch von<br />

vielen Bürgern, rausgegangen. Sie sind verlorengegangen, nicht wahr, da kam <strong>der</strong> EDV-<br />

Boom, da än<strong>der</strong>te sich <strong>der</strong> Blickwinkel. Und als <strong>der</strong> abflachte, ist gar nichts<br />

übriggeblieben. Ein richtiges Loch, ein Wahrnehmungsloch und ich glaube auch ein<br />

Theoriedefizit. Niemand hatte über einen langen Zeitraum mit diesem Thema<br />

umfassend befasst. Das ist ja jetzt deutlich an<strong>der</strong>s. Also man sieht es auf <strong>der</strong> politischen<br />

Ebene bis hoch <strong>zum</strong> Bund, Europa, überall ist das Thema lebenslanges Lernen ganz<br />

nach oben geschossen, und zwar mit einem Ansatz ein bisschen an<strong>der</strong>s fokussiert, aber<br />

ähnlich doch dem aus den siebziger Jahren, nämlich einem umfassenden Grundansatz,<br />

was Lernen angeht und was Lernkompetenz angeht und Bildung <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

angeht, so dass ich glaube, wir stehen da im Guten schon. Und ich glaube, dass auch die<br />

vorhin genannten organisatorischen Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>Bremen</strong> dem Rechnung tragen,<br />

und zwar nicht irgendwie Rechnung tragen, son<strong>der</strong>n es ist, es ist nicht normal, dass sich<br />

die Ressorts zusammensetzen und sagen, wir bündeln jetzt hier mal. Es ist nicht normal,<br />

19


Leitgesichtspunkte<br />

<strong>zum</strong><br />

Aufbau eines<br />

Gesamtsystems<br />

Bildung<br />

dass gesagt wird, für dieses Thema wird ein Leitbild entwickelt. Ein Leitbild entwickeln<br />

ist immer aufwendig, man muß sich einlassen, inhaltlich einlassen, bevor man das<br />

macht. Das ist mehr als normales Verwaltungshandeln.. Und ich glaube eben auch, dass<br />

wir aus <strong>der</strong> leidigen Finanzdiskussion, aus diesem ständigen Jammern, das wir ja gehabt<br />

haben, weil das Geld immer nur weniger geworden ist, über die Bündelung <strong>der</strong><br />

Ressourcen rauskommen können, und zwar „wir “ meint jetzt: wir mit unserem Ansatz.<br />

Wir haben eine Chance und sollten sie auch nutzen über die Modellprojekte, die jetzt<br />

von <strong>der</strong> Bundesebene kommen und über das, was wir in <strong>Bremen</strong> über die Ar<strong>bei</strong>tsgruppe<br />

anschieben können, stark zu vernetzen und sollten auch versuchen, die<br />

Weiterbildungseinrichtungen, so wie wir sie jetzt haben, in Gespräche und in enge<br />

Kooperation zu kriegen, z.B. mit Einrichtungen wie Universität, wie Stadtbibliothek,<br />

also wir müssen an<strong>der</strong>s gucken.. Und dann sind wir wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Offensive. Und dass<br />

Sie sich so ausführlich mit dem Thema befassen, ist ja auch kein Zufall, es hat immer<br />

irgend etwas mit Trends auch zu tun.“ (Interview 10, S. 6)<br />

Angestrebt wird nach wie vor, o<strong>der</strong> besser: erneut, <strong>der</strong> Aufbau eines Gesamtsystems<br />

Bildung, wenn auch nicht mehr in öffentlicher Verantwortung und Trägerschaft. Die<br />

Leitgesichtspunkte heute lauten Initiierung statt Reglementierung,<br />

Qualitätssicherung, Verbraucherschutz und Beratung, insgesamt: eine<br />

„pflegende“, weniger eine „schaffende“ Hand:<br />

„Wir müssten die Verantwortung dafür übernehmen, dass sich die Möglichkeiten, die<br />

wir haben, also die gesamte Vielfalt, die da ist, regional zu einem Gesamtsystem<br />

vernetzt, was flexibel genug ist, um dem Einzelnen überhaupt die Chance zu geben,<br />

dass er sein Lernen so gestaltet, wie es ihm passt. [...] Die Aufgabe des Landes, des<br />

Staates, muß sein zu gucken, dass es ein Gesamtsystem gibt, was auch einen Ausgleich<br />

dieser Interessen dann ermöglicht. Was natürlich auch einen Blick hat auf Interessen<br />

von Leuten, die aus dem, falls es das überhaupt gibt, mittleren Bereich herausfallen,<br />

also sowohl von Hochbegabten, als auch von Leuten, die Probleme haben, sich auf<br />

Lernen im Moment einzulassen. [...] Also da sehe ich unsere Aufgaben, zu gucken, dass<br />

das ausgewogen ist. Und zu initiieren, wenn es das nicht ist, möglichst wenig zu<br />

reglementieren. Aber darauf zu achten, dass die Qualität insgesamt gut ist, so gut, dass<br />

man das verantworten kann, darauf zu achten, dass die Beratungsinfrastruktur aufgebaut<br />

wird, so dass <strong>der</strong> Einzelne sich orientieren kann, Betriebe sich orientieren können.<br />

Darauf zu achten, dass wissenschaftliches Wissen eingespeist wird und auch, dass wir<br />

das nicht nur aus <strong>der</strong> Region holen, son<strong>der</strong>n auch überregional. Das, denke ich,<br />

entwickelt sich nicht automatisch, son<strong>der</strong>n bedarf es einer, ja, pflegenden Hand und<br />

auch von Anregungen, Unterstützung.“ (Interview 10, S. 8)<br />

Zukünftig werde es nicht mehr ausreichen, sich auf die För<strong>der</strong>ung institutioneller,<br />

organisierter Lernangebote zu beschränken, erfor<strong>der</strong>lich sei vielmehr eine<br />

Ausweitung auf die För<strong>der</strong>ung des informellen Lernens:<br />

„Selbstverständlich sind informelle Lernformen überhaupt noch nicht im Blick<br />

gewesen. Bei <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz ja auch nicht. Das muß ergänzt werden.<br />

Dadurch verschiebt sich ganz viel. Aber das tangiert nicht unsere gesetzlichen<br />

Vorschriften. Ein kleines Beispiel: Bildungsurlaub wird von uns nur anerkannt, wenn<br />

wir, ich glaube, sechs Stunden organisiertes Lernen am Tag nachgewiesen bekommen.<br />

Alles an<strong>der</strong>e, Exkursionen und so, zusätzlich. Ja, mit dieser Regelung kann man nicht<br />

mehr leben, wenn wir sagen, ja, hier wird multimedial gelernt. Die Leute müssen nicht<br />

mehr in einem Raum sitzen und diese sechs Stunden absitzen. Das war immer unser<br />

Kriterium, nicht nur in diesem Bundesland. Das wird sich än<strong>der</strong>n. Das ist unabhängig<br />

von den gesetzlichen Rahmenbedingungen.“ (Interview 10, S. 8)<br />

Die Ausweitung <strong>der</strong> Verantwortlichkeit <strong>der</strong> Politik auf Qualitätssicherung,<br />

Herstellung von Transparenz, Vergabe von Qualitätssiegeln wird ausdrücklich<br />

positiv bewertet und nicht als Rückzug gedeutet:<br />

20


Zur Marktorientierung<br />

<strong>der</strong><br />

Anbieter<br />

„Und da die Verantwortung für Bildung nicht mehr so diffus ist, wie ich sie früher<br />

wahrgenommen habe, irgend jemand in Bonn macht da schon irgendwas, hieß es dann<br />

immer, son<strong>der</strong>n ja stärker regionalisiert wird und stärker Einfluß genommen werden<br />

kann, glaube ich wird das gestaltende Element sich eher mehr herausbilden als wir es in<br />

<strong>der</strong> Zwischenzeit hatten. Ich glaube nicht, dass es einen Rückzug bedeutet, eine<br />

Konzentration ja und auch <strong>der</strong> starke Versuch, und ich finde das richtig, die Betriebe<br />

mehr reinzunehmen auch in die Finanzierung und in die Ausgestaltung <strong>der</strong> Inhalte. Das<br />

kann nicht alles sein, aber das muß ein Segment sein. Das wird von meiner<br />

Wahrnehmung her mehr und mehr hoheitliche Aufgabe. Dass wir selber über<br />

landeseigene Einrichtungen in das Marktgeschehen direkt eingreifen und uns <strong>zum</strong><br />

Wettbewerber unter Wettbewerbern machen, wie es ja früher gewesen ist, das glaub ich,<br />

wird sehr wenig werden. Und ich finde es in Ordnung.“ (Interview 10, S. 12)<br />

„Im Moment“ seien noch alle <strong>der</strong> Auffassung, dass auch die institutionelle<br />

För<strong>der</strong>ung bleiben müsse (Interview 10, S. 13). Inwieweit mit <strong>der</strong> einschränkenden<br />

Formulierung „im Moment“ bereits Akzente einer künftigen Weiterbildungspolitik<br />

jenseits institutioneller För<strong>der</strong>ung angedeutet werden, wird die Zukunft zeigen. Offen<br />

ist die Frage, ob die institutionelle För<strong>der</strong>ung mit dem Instrument des<br />

Kontraktmanagements an bestimmte Angebotsprofile geknüpft werden soll:<br />

„Und wir haben das Gesetz nicht nur so geän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch, weil sich die Praxis <strong>der</strong><br />

Einrichtungen geän<strong>der</strong>t hat. Und ich kann nicht für die Einrichtungen sprechen- aber ich<br />

glaube auch, aus dem Interesse heraus, stärker eine Profilbildung zu bekommen. Und<br />

wir haben das auch lange diskutiert im Ausschuß, ob wir das wie<strong>der</strong> umkehren und die<br />

Einrichtungen sozusagen zwingen, also auffor<strong>der</strong>n, motivieren, ihr Spektrum über die<br />

Lernbereiche breit zu streuen und fanden es problematisch. Wir finden, dass man das im<br />

Einzelfall diskutieren muß. Selbstverständlich müssen wir anregen. Es darf nie<br />

passieren, dass die politische Bildung hinten herunterfällt, nur weil die Einrichtungen<br />

sich individuell unterschiedlich für die an<strong>der</strong>en Lernbereiche entscheiden. Da sind wir<br />

auch in <strong>der</strong> Verantwortung als Land. Aber ansonsten finde ich, müssen wir es <strong>bei</strong><br />

Anregungen lassen und akzeptieren, dass Kompetenzen da sind, wo sie sind, aus<br />

Gründen, die uns im Prinzip auch nicht viel angehen.“ (Interview 10, S. 4)<br />

Einige Experten aus anerkannten Weiterbildungseinrichtungen registrieren vor allem<br />

den Bedeutungsverlust <strong>der</strong> öffentlichen För<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> sie zwingt, sich nach an<strong>der</strong>en<br />

Finanzquellen umzusehen, bis hin <strong>zum</strong> Sponsoring durch Firmen (Interview 9, S. 9).<br />

Die Option, sich noch mehr am Markt und an <strong>der</strong> Finanzkraft <strong>der</strong><br />

Teilnehmenden zu orientieren, wird von einigen Anbietern ausdrücklich<br />

akzeptiert, während an<strong>der</strong>e Einrichtungen sie nachdrücklich ablehnen:<br />

„Solange ich da verantwortlich bin, vermute ich nicht.“ (Interview 9, S. 10)<br />

„Also ich bin eher <strong>der</strong> Meinung, dass wir, jetzt nehme ich das Wort mal doch, dass wir<br />

in <strong>der</strong> Nische, in <strong>der</strong> wir unser Angebot machen, also nicht in <strong>der</strong> institutionellen,<br />

son<strong>der</strong>n eher in <strong>der</strong> inhaltlichen, in <strong>der</strong> Nische, in <strong>der</strong> wir das machen, dass wir darauf<br />

achten müssen, dass wir da ein gediegenes interessantes Angebot immer wie<strong>der</strong><br />

präsentieren und uns dadurch als unverzichtbar auch auf dem Markt erweisen.“<br />

(Interview 9, S. 11)<br />

Es wird erwartet, dass die Bildungspolitik diese „Profilierung in <strong>der</strong> Nische“ auch<br />

zukünftig unterstützen wird, da mit dem Pluralismus als fortdauern<strong>der</strong><br />

Legitimationsgrundlage gerechnet wird (Interview 9, S. 11 f.). Vertretern<br />

erwerbswirtschaftlicher, nicht-anerkannter Weiterbildungsanbieter aber geht<br />

die Reform des Gesetzes nicht weit genug. Auf <strong>der</strong> einen Seite begrüßen sie die<br />

Öffnung, die z.B. mit <strong>der</strong> Trennung von Programm- und Projektför<strong>der</strong>ung vollzogen<br />

wurde:<br />

21


Zusammenfassung<br />

<strong>der</strong><br />

Reform und ihrer<br />

Ergebnisse<br />

„Die hat es mit angestoßen, wie die Strukturkommission vorher, auch gegen die<br />

Wi<strong>der</strong>stände von vielen und anerkannten Weiterbildungseinrichtungen, und das war<br />

eine ganz, ganz wichtige Position. [...] Insofern sind wir in <strong>Bremen</strong> schon ein großes<br />

Stück weiter gekommen, und wenn dann auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wie<strong>der</strong> so eine<br />

Verengung da ist, dann wie gesagt, kann ich nur o<strong>der</strong> die Bestrebungen da sind, so eine<br />

Verengung wie<strong>der</strong> einzuführen, kann ich nur sagen, die würde dann kontraproduktiv<br />

sein und verengend wirken für weite Bereiche.“ (Interview 8, S. 12)<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite for<strong>der</strong>n sie einen vollständigen Abschied von <strong>der</strong><br />

institutionellen und eine Umsteuerung auf die Programmför<strong>der</strong>ung.<br />

Man kann die Folgen <strong>der</strong> Evaluation und die Reform des bremischen<br />

Weiterbildungsgesetzes etwa so resümmieren: Der Staat verpflichtet sich<br />

ausdrücklich zu einer immateriellen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterbildung und übernimmt<br />

gleichsam Aufgaben <strong>der</strong> Supervision des Systems, etwa in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von<br />

Unterstützungsstrukturen, im Teilnehmerschutz o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sicherung von<br />

Transparenz, z.B. durch den Aufbau eines Weiterbildungsinformationssystems.<br />

Dieser bemerkenswerte Verän<strong>der</strong>ungswille beruht sicherlich auch auf <strong>der</strong> Erkenntnis,<br />

dass die weiter sinkenden staatlichen Mittel (nach dem Gesetz) eine nachhaltige<br />

direkte För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterbildung nicht mehr gestatten. Daher ist es nur<br />

konsequent zu versuchen, öffentliche Mittel, die inzwischen <strong>zum</strong> weit<br />

überwiegenden Teil in an<strong>der</strong>en Ressorts als dem für das Gesetz zuständigen<br />

vergeben werden, stärker zu koordinieren. Irritierend mag für Außenstehende jedoch<br />

die Überkomplexität von drei För<strong>der</strong>arten im neuen Weiterbildungsgesetz wirken,<br />

die einerseits gewisse Vorteile <strong>der</strong> früher bereits anerkannten Anbieter zu bewahren<br />

sucht, an<strong>der</strong>erseits mit einer niedrigen Schwerpunktför<strong>der</strong>ung Öffnungsbereitschaft<br />

und Innovationsfähigkeit signalisieren soll. Am weitreichendsten ist sicherlich die<br />

Verpflichtung <strong>der</strong> anerkannten Einrichtungen auf die Einführung eines<br />

Qualitätsmanagementsystems, eine Regelung, die über die Empfehlungen <strong>der</strong><br />

Strukturkommission hinaus und auf die Ar<strong>bei</strong>ten des Ressorts und des<br />

För<strong>der</strong>ungsausschusses zurück ging. Die neuen Anerkennungsbedingungen wurden<br />

inzwischen von allen früher bereits anerkannten Einrichtungen erfüllt, wenn auch<br />

z.T. unter Mühen und mit zusätzlichen Auflagen. Dazu stehen bereits viele<br />

leistungsfähige und alternative, insbeson<strong>der</strong>e berufliche Anbieter bereit, diese<br />

Qualitätskriterien ebenfalls zu erfüllen. Da es kaum gelungen ist, die beson<strong>der</strong>en<br />

Kriterien für die institutionelle För<strong>der</strong>ung zu operationalisieren, müssten diese neuen<br />

Anbieter auch diese För<strong>der</strong>ung erhalten - ohne Erhöhung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>mittel insgesamt.<br />

Bisher nicht angesprochen wurde die Frage, ob alle vom Staat (auch außerhalb des<br />

WBG) geför<strong>der</strong>ten Einrichtungen auch staatlich anerkannt sein müssen, was nach<br />

den vorangehend beschriebenen Beschlüssen folgerichtig wäre.<br />

Unter dem Blickwinkel <strong>der</strong> hier diskutierten Fragestellungen ließe sich hervorheben,<br />

dass <strong>der</strong> Staat sich nach dem Weiterbildungsgesetz materiell auf die Korrektur<br />

des Marktgeschehens konzentriert und gleichzeitig ideell die Verantwortung für<br />

den Aufbau eines Gesamtsystems lebensbegleitenden Lernens übernimmt, das er<br />

durch die Mo<strong>der</strong>ation und Begleitung von autonomen Entwicklungen in an<strong>der</strong>en<br />

Bereichen zu erreichen sucht. Zudem wird Weiterbildung mehr als in <strong>der</strong> 70er<br />

Jahren als regionaler Standortfaktor betrachtet. In diesem Abschied von einer<br />

gestaltenden Bildungspolitik in traditionellem Verständnis ist <strong>Bremen</strong> allerdings nur<br />

22


Die Experten<br />

kommen zu Wort<br />

Verän<strong>der</strong>te<br />

Aufgaben des<br />

Weiterbildungspersonals<br />

Stärkere<br />

Verzahnung von<br />

Weiterbildung<br />

und Personalentwicklung<br />

Beispiel für einen allgemeinen Trend (s. dazu DRÖLL 1999); zu verweisen wäre auf<br />

die jüngst von <strong>der</strong> CDU vorgeschlagene Gründung einer gemeinnützigen „Stiftung<br />

Bildungstest“ o<strong>der</strong> auf den Vorschlag <strong>der</strong> Bundesministerin für Bildung, Forschung<br />

und Technologie, die Stiftung Warentest mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ähnliche<br />

Vorschläge wurden bereits 1998 vom Sachverständigenrat Bildung <strong>der</strong> Hans-<br />

Böckler-Stiftung und von <strong>der</strong> Bertelsmann-Stiftung unterbreitet. Vor diesem<br />

Hintergrund erscheint die jüngst von einigen Gewerkschaften angeregte Initiative für<br />

Bundesregelungen in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung wenig aussichtsreich.<br />

5. Aufgaben von Weiterbildungseinrichtungen<br />

Bisher wurde vor allem analysiert, wie sich die Strukturen des bremischen<br />

Weiterbildungssystems in <strong>der</strong> sich etablierenden Wissensgesellschaft än<strong>der</strong>n und wie<br />

die Weiterbildungspolitik auf diesen Wandlungsprozess reagiert hat. In den<br />

folgenden Abschnitten stehen die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten im Mittelpunkt, die<br />

ihr eigenes und unmittelbares Handlungs- und Ar<strong>bei</strong>tsfeld betreffen. Dazu gehörten<br />

vor allem Beschreibungen und Einschätzungen zu Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t in den<br />

Weiterbildungsabteilungen, zu den Angeboten und Leistungen von<br />

Weiterbildungsanbietern, zu den Bedarfen <strong>der</strong> Adressaten insbeson<strong>der</strong>e im Blick auf<br />

gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen, zu den Zeit- und Organisationsformen des<br />

Lernens, zur Zusammenar<strong>bei</strong>t mit Lehrkräften und an<strong>der</strong>en<br />

Weiterbildungseinrichtungen, zur Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien in einer sich<br />

mo<strong>der</strong>nisierenden Weiterbildung usw. Im folgenden Kapitel wird es zunächst um die<br />

verän<strong>der</strong>ten Aufgaben des Personals in Weiterbildungseinrichtungen gehen.<br />

Auffällig ist, dass Verän<strong>der</strong>ungen in den Aufgaben des Weiterbildungspersonals am<br />

differenziertesten von den Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>tern aus <strong>der</strong><br />

innerbetrieblichen Weiterbildung beschrieben werden. Der Strukturwandel <strong>der</strong><br />

Weiterbildung, die Expansion des Angebots <strong>bei</strong> häufig stagnierendem<br />

Personalbestand, die Ergänzung des kursförmigen Lehrens und Lernens durch den<br />

Einsatz <strong>der</strong> neuen Medien in ihren vielfältigen Varianten, in <strong>der</strong> öffentlich<br />

anerkannten Weiterbildung noch verstärkt durch die Kommerzialisierung des<br />

Weiterbildungsangebots, lassen die Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen des hauptberuflichen<br />

Personals in Weiterbildungseinrichtungen nicht unberührt. Sie werden aber von den<br />

Mitar<strong>bei</strong>tern in öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtungen weniger<br />

eindringlich beschrieben.<br />

Am auffälligsten wird von den Experten <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung <strong>der</strong><br />

Versuch betont, Weiterbildung und Personalentwicklung stärker miteinan<strong>der</strong> zu<br />

verzahnen und für strategische Ziele <strong>der</strong> Organisations- und<br />

Unternehmensentwicklung zu nutzen. Das drückt sich in manchen Unternehmen<br />

organisatorisch darin aus, dass dieser Ar<strong>bei</strong>tsbereich seine randständige Stellung<br />

verliert und direkt <strong>der</strong> Werksleitung unterstellt wird. Eine Verantwortliche für<br />

Personal- und Organisationsentwicklung beschreibt ihr Aufgabengebiet in einem<br />

weltweit agierenden Konzern wie folgt:<br />

„Bin im Prinzip seit 1993 fachlich beschäftigt mit dem Thema ‚Wie gestalten wir<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozesse‘ mit unterschiedlichen Inhalten, das heißt fachlicher<br />

23


Schwerpunkt meiner Aufgaben sind einmal das Thema Personalentwicklung und ich<br />

sage mal das Thema Organisationsentwicklung. Konkret hat die Abteilung, die ich leite,<br />

die Personal- und Centerentwicklung, 4 Funktionen, die kann ich hier vielleicht mal<br />

<strong>zum</strong> Einstieg kurz beschreiben. Ein Funktionsbereich ist das Thema interne<br />

Kommunikation, dahinter verbirgt sich im Prinzip <strong>der</strong> Auftrag, die interne<br />

Kommunikation hier am Standort auch ein Stück weit strategisch zu gestalten unter<br />

Nutzung <strong>der</strong> verschiedenen Medien, die wir hier haben. Medien sind einmal angefangen<br />

von <strong>der</strong> Betriebszeitung, dann haben wir so eine Art Führungskräfteinformation, da ging<br />

es auch gerade drum, dann haben wir das Intranet, also ein internes<br />

Kommunikationsmittel, dann haben wir Buissenes-TV, was Sie auch draußen laufen<br />

sehen, was <strong>zum</strong> Teil zentral gesteuert wird, wir aber auch standortspezifische<br />

Informationen reinspielen können, und dann haben wir den sogenannten Dialog, <strong>der</strong><br />

Dialog ist ein Kommunikationsinstrument, wo wir pro Woche, pro Schicht eine halbe<br />

Stunde die Bän<strong>der</strong> anhalten, wo wir die Gelegenheit haben, dass Mitar<strong>bei</strong>ter und<br />

Führungskräfte, also konkret Meister o<strong>der</strong> auch Teamleiter ins Gespräch kommen, und<br />

diesen Dialog gestalten wir <strong>zum</strong> Teil auch zentral. Das ist ein Themenfeld. Das zweite<br />

Themenfeld ist das Thema Führungskräfteentwicklung und das Thema Qualifizierung.<br />

Hier hinter verbergen sich, ich sage mal angefangen von Nachwuchsentwicklung<br />

För<strong>der</strong>programme, dann Vorbereitung, wenn wir Leute neu ernannt haben zu<br />

Führungskräften bis hin zu den flächendeckenden Qualifizierungen, die wir für alle<br />

Führungskräfte anbieten, <strong>zum</strong> Teil auch Mitar<strong>bei</strong>ter, damit sie quasi in ihrer laufenden<br />

Aufgabe fit bleiben, da gehört auch das gesamte Sprachprogramm zu, interkulturelles<br />

Programm und sonst was. Das zweite Stand<strong>bei</strong>n. Drittes Stand<strong>bei</strong>n ist das Thema<br />

Beratung, das heißt, wir sind eine interne Beratungseinheit und bieten den<br />

Führungskräften ganz konkret Beratung an, angefangen von Prozessberatung, also wie<br />

gestalte ich meinen Entwicklungsprozess in den jeweiligen Centern über spezifische<br />

Unterstützung wie Mo<strong>der</strong>ation, Teamentwicklung, Coaching usw. Das vierte Feld, und<br />

das ist neu, steht unter <strong>der</strong> Überschrift Controlling, das heißt wir entwickeln und sind<br />

gerade da<strong>bei</strong>, ein Controllingverfahren, unter an<strong>der</strong>em auch mit Inhalten wie<br />

Frühaufklärung, um einschätzen zu können, an welchem Punkt <strong>der</strong> Marktentwicklung<br />

wir stehen, um ableiten zu können, wo wir möglicherweise gegensteuern können o<strong>der</strong><br />

müssen und wie sich bestimmte Dinge auch von <strong>der</strong> Tendenz her entwickeln. Ein neues<br />

Feld, was sehr spannend ist, was wir auch in Kooperation natürlich mit<br />

wissenschaftlicher Begleitung machen, weil auf diesem Feld noch relativ wenig knowhow<br />

auch vorliegt. [...] Ich habe 34 Mitar<strong>bei</strong>ter, und von <strong>der</strong> Qualifikation sind diese<br />

Mitar<strong>bei</strong>ter, ich sage mal angefangen Betriebswirte, Psychologen,<br />

Sozialwissenschaftler, auch Ingenieure, also ein sehr breites Spektrum, und unser<br />

Hauptfokus ist im Prinzip, Führung stark zu machen, also Führungskräfte zu befähigen,<br />

dass sie eben den Anfor<strong>der</strong>ungen, denen sie sich stellen müssen, gewachsen sind, und<br />

wir machen immer wie<strong>der</strong> die Erfahrung, das ist sicherlich auch ein Hauptthema des<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozesses, Führungskräfte sind in <strong>der</strong> Regel eingespannt in ihr operatives<br />

Geschäft, das sie auch beherrschen, sie müssen aber die Fähigkeit entwickeln, das, was<br />

von außen dazu kommt, zu integrieren, das heißt, sie können o<strong>der</strong> dürfen nur einen Teil<br />

ihrer Kapazität und Energie ins operative Geschäft stecken und müssen im Prinzip<br />

permanent Zukunft mitdenken, weil sie sie mit gestalten. Und diese Fähigkeit ist oft<br />

nicht entwickelt. Vor allen Dingen, weil wir belohnen für das operative Geschäft und<br />

für diesen an<strong>der</strong>en Teil nicht. Das ist eine ganz große Schwierigkeit.“ (Interview 5,<br />

S. 1 f.)<br />

In diesem Zitat kommen gleichsam prototypisch die Aufgaben innerbetrieblicher<br />

Weiterbildungsabteilungen in fortgeschrittenen Unternehmen <strong>zum</strong> Ausdruck, eine<br />

Aufgabenstellung, die sich nahtlos einfügt in das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft,<br />

wie es von Nico Stehr entwickelt und einleitend referiert wurde: Weiterbildung<br />

wird genutzt als Beraterin und Expertin von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen. Ihre<br />

Aufgabe besteht nicht allein darin, selber Wissen zu vermitteln o<strong>der</strong> diesen<br />

Vermittlungsprozesse durch Seminare und Trainings zu organisieren, son<strong>der</strong>n sie<br />

muss dafür sorgen, dass <strong>der</strong> unternehmensinterne, von den Beschäftigten getragene<br />

24


Bedarfs- statt<br />

Angebotsorientierung<br />

Prozess <strong>der</strong> Wissensdistribution initiiert und kanalisiert wird, insgesamt: dass die<br />

Beschäftigten im Unternehmen ausreichend „Zukunftsar<strong>bei</strong>t“ leisten, d.h. nicht allein<br />

im operativen Alltag verharren, son<strong>der</strong>n die aus Sicht des Unternehmens<br />

notwendigen Verän<strong>der</strong>ungsprozesse und Innovationen gestalten.<br />

Im Zuge dieses durchgreifenden Verän<strong>der</strong>ungsprozesses haben Weiterbildung und<br />

Personalentwicklung einen ganz an<strong>der</strong>en Stellenwert bekommen. Selbstbewußt wird<br />

Platz 1 o<strong>der</strong> 2 in <strong>der</strong> internen Unternehmenshierarchie eingefor<strong>der</strong>t (Interview 7,<br />

S. 9). Auf die Frage, ob <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Personalentwicklung und Weiterbildung<br />

immer so organisiert war, antwortet eine Führungskraft:<br />

„Nein, völlig an<strong>der</strong>s. Das Thema Entwicklung, ich nutze bewusst diesen Begriff, weil es<br />

eben diese <strong>bei</strong>den Dimensionen hat Personalentwicklung und Organisationsentwicklung<br />

und weil die ja eng verzahnt sind, hat im Rahmen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungsprozesse eine ganz<br />

an<strong>der</strong>e Bedeutung bekommen. Ich sage mal, es war vorher ein Stück weit Stiefkind,<br />

nicht in <strong>der</strong> Dimension, das wir dort nicht investiert haben, im Gegenteil, das<br />

Unternehmen hat immer sehr viel Geld in die Hand genommen für das Thema<br />

Weiterbildung, Qualifikation, es ist aber am Rande mitgelaufen. Das heißt, es waren so<br />

eine Sockelleitung in einer sehr hohen Qualität, aber wenig angebunden, sage ich mal,<br />

an die Steuerung des Werks. Was wir feststellen in zunehmendem Maße, wie die<br />

Verän<strong>der</strong>ungsanfor<strong>der</strong>ungen, sei es aus dem Unternehmen selbst, sei es durchs Umfeld,<br />

wie die steigen, und da ist eine Dynamik reingekommen in den letzten 10 Jahren, die ist<br />

schon beachtlich. In dem Maße ist das Thema, wie gestalten wir eigentlich diese<br />

Entwicklungsprozesse, wie gestalten wir unsere Managemententwicklung, unsere<br />

Personalentwicklung, immer stärker in das Augenmerk auch des Managements<br />

gekommen und wird mit zur Steuerung angezogen. Das heißt die, wenn ich in meinem<br />

Bild bleiben will, ich bin, und das ist ja auch kein Zufall, dass unser Werkleiter jetzt<br />

unseren Bereich direkt unterstellt hat, ich bin ganz dicht an dem Management des<br />

Werkes und werde mit den Funktionen, die ich habe, mit den fachlichen Funktionen<br />

eingesetzt, um das Werk hier in seinem Verän<strong>der</strong>ungsprozess zu steuern, und das war<br />

früher völlig an<strong>der</strong>s. Das Bildungswesen hat, um offen <strong>zum</strong> Bild zu bleiben, auf <strong>der</strong><br />

grünen Wiese ein etwas verträumtes Feld gehabt, was man toleriert hat, was man<br />

akzeptiert hat, dem man auch einen hohen Stellenwert gegeben hat, alle haben gesagt,<br />

das ist wichtig, aber es war letztendlich abgeschirmt vom tatsächlichen Geschäft des<br />

Werkes, und das hat sich völlig verän<strong>der</strong>t.“ (Interview 5, S. 4)<br />

Der Verän<strong>der</strong>ungsdruck schließt auch ein, dass das Geschehen im Unternehmen<br />

genauer unter die Lupe genommen wird, z.B. in Form von systematischen und<br />

vollständigen Mitar<strong>bei</strong>terbefragungen (Interview 5, S. 5). Mögliche Schwachstellen<br />

im Organisationsgefüge werden mit den Instrumenten <strong>der</strong> empirischen<br />

Sozialforschung identifiziert, um über größere Transparenz gezielt auch höheren<br />

Leistungsdruck auf die Mitar<strong>bei</strong>tern zu erzeugen, eine Zielsetzung, die offen<br />

gehandelt wird (Interview 5, S. 6). Trotz <strong>der</strong> strategischen Aufwertung <strong>der</strong><br />

Weiterbildungs- und Personalentwicklungsar<strong>bei</strong>t aber sind strenge Evaluierung und<br />

kostenmäßiges Controlling noch nicht verbreitet, und zwar unabhängig von <strong>der</strong><br />

Entwicklungsstufe, auf <strong>der</strong> Weiterbildung im Unternehmen betrieben wird. Die<br />

meisten Mitar<strong>bei</strong>ter in <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung und<br />

Personalentwicklung können das Weiterbildungsvolumen auf Nachfrage nicht genau<br />

beziffern. „Wir haben zur Zeit [...] kein Bildungscontrolling“ (Interview 3, S. 3), ist<br />

eine <strong>bei</strong>spielhafte Aussage, die für viele steht. Geprüft wird allenfalls, ob ein solches<br />

Controlling Sinn macht, beson<strong>der</strong>e Priorität hat eine solche Aufgabe aber angesichts<br />

vielfältiger an<strong>der</strong>er Anfor<strong>der</strong>ungen nicht.<br />

25


Mit <strong>der</strong> strategischen Aufwertung <strong>der</strong> Weiterbildung ist in <strong>der</strong> Regel ein Wandel von<br />

<strong>der</strong> angebotsorientierten zu einer stärker nachfrageorientierten Ar<strong>bei</strong>t verbunden.<br />

„Generell läuft die Ar<strong>bei</strong>t mehr angebotsorientiert, also wir haben bisher einen Katalog<br />

von Weiterbildungsmaßnahmen zusammen gestellt, auf den Mitar<strong>bei</strong>ter zugreifen<br />

können und auch Führungskräfte zugreifen können, die dann ihren Mitar<strong>bei</strong>tern<br />

entsprechende Angebote unterbreiten, aber wie gesagt, auch Mitar<strong>bei</strong>ter direkt. Davon<br />

möchte ich weg, ich denke, wir kommen jetzt zu dem neuen, [...] was ich im übrigen<br />

auch als erfor<strong>der</strong>lich ansehe: Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft.“<br />

(Interview 3, S. 1)<br />

Mit <strong>der</strong> Abkehr von <strong>der</strong> Angebotsorientierung än<strong>der</strong>n sich auch die Aufgaben des<br />

Personals, die sich von <strong>der</strong> Wissensvermittlung zur Begleitung von personalen und<br />

sozialen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen wandeln:<br />

„Da schließt sich <strong>der</strong> Kreis, was ich vorhin gesagt, ich sehe die Rolle des PE-lers<br />

künftig eher darin, dass er begleitet, dass er coacht, dass er unterstützt, und wenn es<br />

neue Medien gibt, dann denke ich so, dass wir dann die Menschen da ran führen<br />

müssen, mit den Medien entsprechend zu ar<strong>bei</strong>ten und dass wir ihnen<br />

Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, dass wir sie weiterhin unterstützen,<br />

begleiten auch, auch was die Evaluierung angeht, dass nicht komplett einem System zu<br />

überlassen, son<strong>der</strong>n mit den Menschen gemeinsam auch in diese Evaluierungsphasen<br />

einzusteigen, also ich sehe uns da stärker immer in dieser begleitenden, coachenden,<br />

unterstützenden Rolle, nicht mehr in <strong>der</strong> vermittelnden. Also, <strong>bei</strong> uns im Unternehmen<br />

ist es <strong>zum</strong> Beispiel auch so, dass wir heute fast ausschließlich mit externen Trainern<br />

ar<strong>bei</strong>ten, wir haben zwar jetzt im eigenen Bereich Leute die Zusatzqualifikationen<br />

haben, die auch in Teilbereichen Dinge durchführen, und wir verlassen uns fast<br />

ausschließlich auf externe Trainer auch und deswegen berührt es uns nicht so. Wenn wir<br />

einen eigenen Trainerstab hier hätten, dann würde ich sagen, da wird sich einiges tun<br />

und man müsste gucken, wie die Aufgaben sich än<strong>der</strong>n, dass es da auch um Coaching,<br />

Prozessbegleitung geht.“ (Interview 3, S. 11)<br />

Ein an<strong>der</strong>er Experte sieht die Weiterbildung auf dem Weg nicht nur zu stärker<br />

bedarfsorientierter Ar<strong>bei</strong>t, son<strong>der</strong>n hin zur Praxisberatung und –supervision:<br />

„Seit einigen Jahren läuft <strong>bei</strong> uns <strong>der</strong> Prozess und ich, soweit ich das aus an<strong>der</strong>en<br />

Unternehmen mitkriege o<strong>der</strong> auch aus Fachzeitschriften mitbekomme, gibt es da ganz<br />

stark den Trend hinweg von den klassischen Seminaren und wir machen das jetzt, also<br />

auch wenn wir Basisseminare in Kommunikation o<strong>der</strong> Führungsgrundlagen anbieten,<br />

machen wir kein Seminar mehr, wo denen dann in 2, 3 Tagen so die Basics <strong>bei</strong>gebracht<br />

werden, son<strong>der</strong>n es ist immer <strong>zum</strong> Teil extrem praxisorientiert, <strong>zum</strong> Teil haben wir eine<br />

Seminarstruktur o<strong>der</strong> eine Workshop-Struktur, wo sofort <strong>der</strong> Ausgangspunkt, die<br />

konkrete Führungssituation ist, und dann werden einzelne Fälle bear<strong>bei</strong>tet und die<br />

werden dann mit Theorieinputs versehen. Und oberhalb von Grundlagenseminaren läuft<br />

das in dem Bereich eigentlich nur noch so. Das ist so ein Trend, o<strong>der</strong> auch <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Teamentwicklung, dass es eben auch da nicht darum geht, den Teams zu erzählen, also<br />

gute Teams funktionieren so und so und so, son<strong>der</strong>n man guckt, was sind die Probleme<br />

vor Ort, und dann ergänzt man das um entsprechende Theorieinputs.“ (Interview 13,<br />

S. 6)<br />

Die Aufgaben <strong>der</strong> Personalentwicklung liegen in <strong>der</strong> (kommunikativen,<br />

personenbezogenen Bedarfsermittlung, <strong>der</strong> Beratung, <strong>der</strong> Konzeptvereinbarung und<br />

<strong>der</strong> Evaluation (Interview 13, S. 8 f.). Die Führungskräfte erscheinen als die<br />

entscheidenden Relaisstellen für die Durchsetzung von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen:<br />

„Der fachliche Teil ist ein ganz an<strong>der</strong>er Teil, <strong>der</strong> wird natürlich auch betrieben. Und<br />

dann haben wir eben das Thema flächendeckende Qualifizierung, um Ar<strong>bei</strong>tsfähigkeit<br />

26


Wandel von<br />

Schulungsformen<br />

zu erhalten, und das ist das Qualifizierungsprogramm, was ich eben schon mal<br />

beschrieben habe, wo wir alle Führungskräfte letztendlich fit halten im Thema Führung,<br />

und wir machen die Feststellung, dass das Thema Führung in <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />

wenig reflektiert wurde. Das hat man mitgemacht, aber im Vor<strong>der</strong>grund hat die<br />

fachliche Qualifikation gestanden, und im Augenblick erleben wir auch aus <strong>der</strong><br />

Erfahrung heraus, dass dem Thema Führung eine viel stärkere Bedeutung zukommen<br />

muss und unser Werkleiter ihm auch eine stärkere Bedeutung zukommen lässt und sagt,<br />

das ist im Prinzip <strong>der</strong> Erfolgsfaktor, <strong>der</strong> Schlüsselfaktor als Basis, um letztendlich hier<br />

auch als Standort den Anfor<strong>der</strong>ungen zu genügen.“ (Interview 5, S. 7)<br />

Diese Verän<strong>der</strong>ungen in den Aufgabenstellungen innerbetrieblicher<br />

Weiterbildungsabteilungen führt weg von klassischen Trainings- und<br />

Schulungsformen. Traditionelle Schulungssituationen, in denen (externe) Lehrende<br />

den Mitar<strong>bei</strong>tern des Unternehmens Fach- und Führungswissen vermittelten, werden<br />

teils ersetzt, teils ergänzt um Trainingsarrangements, in denen (extern) geschulte<br />

Führungskräfte das erfor<strong>der</strong>liche Know-How an die Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>der</strong> nächst nie<strong>der</strong>en<br />

Ebene weitergeben. Diese kaskadenförmig organisierten Schulungen unter dem Titel<br />

„Führung trainiert Führung“ werden durch externe o<strong>der</strong> interne Experten lediglich<br />

noch angeleitet und von <strong>der</strong> Abteilung Personalentwicklung durch die Entwicklung<br />

von Materialien unterstützt. Statt dessen werden ar<strong>bei</strong>tsplatznahe Experten-Novizen-<br />

Beziehungen bevorzugt, wie sie etwa aus dem Bereich des Handwerks vertraut sind,<br />

Trainingsbeziehungen, in denen weniger (wissenschaftliches) Fach- als<br />

Erfahrungswissen weitergegeben o<strong>der</strong> erst gemeinsam erar<strong>bei</strong>tet wird. Man erhofft<br />

sich davon eine bessere Überzeugungskraft und Motivation, eine größere Nähe zu<br />

alltäglichen Erfahrungen und eine Verankerung von Qualifizierung als Bestandteil<br />

<strong>der</strong> täglichen Ar<strong>bei</strong>t. Das Ziel besteht in einer allmählichen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Führungsaufgabe (Interview 5, S. 9 f.). Erwartet wird für die Zukunft, dass sich das<br />

Management generell qualifiziert als Trainer, als Mo<strong>der</strong>ator des Lernens <strong>der</strong><br />

Mitar<strong>bei</strong>ter (Interview 7, S. 16). Dies sind allerdings Entwicklungen, die am ehesten<br />

in großen Unternehmen zu beobachten sind. In kleineren, eher konservativen<br />

Betrieben werden auch Vorbehalte gegenüber einer Verlagerung <strong>der</strong> Personalar<strong>bei</strong>t<br />

zu den Führungskräften formuliert (Interview 13, S. 10 f.).<br />

Wenn Organisationsentwicklung als zentrale Aufgabe von Weiterbildnern und<br />

Personalentwicklern betrachtet wird, dann erfor<strong>der</strong>t dies auch zusätzliche<br />

Qualifikationen und (psychologische) Kompetenzen, z.B. eine systemische<br />

Ausbildung und einen „therapeutischen Hintergrund“ (Interview 13):<br />

„Wo ich jetzt so ein bisschen an meine Grenzen komme, also das ist alles das, was den<br />

Bereich Weiterbildung und Personalentwicklung betrifft, also das habe ich mir auf diese<br />

Weise angeeignet, das kann man sich auch auf diese Weise aneignen, weil es gibt ja<br />

auch keinen speziellen Studiengang dafür, das sind auch unterschiedlichste Leute, die<br />

das machen. Also da, wo ich, wo es wirklich um ganz neue Qualifikation geht, ist schon<br />

<strong>der</strong> Bereich Organisationsentwicklung. Da denke ich mir, dass man dafür im Grunde<br />

eine richtige Zusatzausbildung braucht, also z.B. irgendeine systemische Ausbildung<br />

o<strong>der</strong> eine TA-Ausbildung o<strong>der</strong> irgendwas in <strong>der</strong> Richtung, um da alles im Blick zu<br />

haben, was in diesem Verän<strong>der</strong>ungsprozess läuft und worauf man achten muss, also das<br />

ist schon, das kann man nicht einfach so lernen. Also da bin ich im Moment auch so an<br />

einem Punkt, wo ich für mich überlege, da noch mich weiter zu qualifizieren. [...] Wenn<br />

sie Stellenanzeigen lesen, wo sie dann Personal- und Organisationsentwickler suchen,<br />

da werden mittlerweile verstärkt Psychologen gesucht und auch immer Leute meistens<br />

mit einer systemischen Ausbildung o<strong>der</strong> auch mit einem therapeutischen Hintergrund.<br />

Das geht in den Bereich, also auch auf die Trainer und Berater, das sind auch ganz<br />

27


unterschiedliche Kompetenzen, die die reinen Weiterbildungstrainer haben und die auch<br />

so Berater für diese Change-Prozesse haben müssen.“ (Interview 13, S. 5)<br />

Ein Unternehmen, das stark durch amerikanische Traditionen bestimmt ist, setzt<br />

einen Teil <strong>der</strong> Personalentwickler gezielt als Unruhestifter, als Provokateure, als<br />

Trend-Scouts im Unternehmen ein:<br />

„Daneben gibt es einen Bereich, und über den sollen wir inhaltlich uns mehr<br />

unterhalten, <strong>der</strong> nennt sich Management Organisation und Development, ein ganz<br />

junger Bereich, keine Ahnung von Organisation, wirklich sehr wichtige Voraussetzung<br />

für Lernen, also keine klassische Blockade o<strong>der</strong> keine Erfahrung, son<strong>der</strong>n die<br />

positioniere ich in <strong>der</strong> Organisation auch so, dass diese Mitar<strong>bei</strong>ter aufgrund ihres<br />

Alters, ihrer fehlenden Erfahrung das Recht zur Provokation, das Recht zur Frage haben<br />

in allen Unternehmensbereichen ohne Rücksicht auf Rasse, Herkunft, Religion, Status<br />

etc. Das lernen wir, das kann man natürlich nicht sprungfix erzielen, son<strong>der</strong>n sie haben<br />

ja klassische etablierte Managementrollen, sie haben klassische Ar<strong>bei</strong>tnehmerrollen, sie<br />

haben klassische Personalrollen, das mache ich seit Mitte 1995, und ich merke seit<br />

Anfang 1998 nachhaltige Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Organisationsentwicklung als auch mit Mitar<strong>bei</strong>terentwicklung. Wenn Sie so wollen,<br />

die Zielsetzung ist es für ein internes Beratungsbüro o<strong>der</strong> eine Kanzlei haben, in <strong>der</strong><br />

interessante Menschen sitzen, die mehr als an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Lage sind, Trends<br />

aufzunehmen, neues Denken in das Unternehmen hinein zu bringen, die haben von mir<br />

den Spitznamen „trend scouts“ bekommen, die werden von mir über ein<br />

Führungssystem auch so geführt, sie werden auch bezahlt für den Anteil dessen was sie<br />

produktiv und erfolgreich ins Unternehmen als Neuerungen einbringen.“ (Interview 7,<br />

S. 7)<br />

Da<strong>bei</strong> wird häufig mit einfachen Modellen, mit Analogien etwa <strong>zum</strong> Fußballspiel<br />

gear<strong>bei</strong>tet, (Interview 7, S. 9 ff.), um aus verallgemeinerbaren Erfahrungen zu lernen.<br />

Die Aufwertung von Weiterbildung und Personalentwicklung in Unternehmen führt<br />

aber keineswegs dazu, dass <strong>der</strong> Personalbestand aufgestockt wird. Auch wenn<br />

durchgehend angenommen wird, dass die Bedeutung dieses innerbetrieblichen<br />

Handlungsfeldes auch in Zukunft steigen wird, so rechnet doch niemand mit einer<br />

nennenswerten Aufstockung des Personals, vielmehr soll <strong>der</strong> wachsende Bedarf<br />

vorwiegend mit externen Kräften gedeckt werden. Damit wird die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

zwischen internen und externen Experten <strong>zum</strong> entscheidenden Qualitätsfaktor, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> bisherigen Diskussion noch kaum systematisch durchleuchtet wurde. Aus Sicht<br />

<strong>der</strong> externen Dienstleister erscheint eine strategische und bedarfsorientierte<br />

Weiterbildung und Personalentwicklung auch keinesfalls immer als gelebte Realität,<br />

son<strong>der</strong>n gelegentlich auch als Programm. Sie sehen sich häufig eher als „Nothelfer“<br />

denn als strategisches Helfer (s. auch Interview 2).<br />

„Wir kommen meistens ran, wenn ein akuter Notstand ist, das heißt wir kommen nur<br />

über akute Notstände ran. Wenn wir systematisch an Firmen ran gehen, dann ist das<br />

eine Entwicklungsgeschichte von jetzt 2, 3 Jahren, wo man immer wie<strong>der</strong>, was weiß ich<br />

Direktionen o<strong>der</strong> Personalleitungen anschreibt, antelefoniert o<strong>der</strong> so, dass also auf<br />

diesem sozusagen strategischen Weg, das dauert enorme Zeiträume, bis man überhaupt<br />

auf Interesse stößt.“ (Interview 6, S. 5)<br />

Das hat zur Folge, dass die – für diese Art <strong>der</strong> Aufgabeninterpretation<br />

unverzichtbaren – „Netzwerke“ oft als Not- o<strong>der</strong> Akutgemeinschaften gegründet<br />

werden. Wie in solchen, oft kurzfristig arrangierten Netzwerken dann gleichwohl<br />

stabile und den Qualitätsansprüchen <strong>der</strong> Unternehmen gerecht werdende<br />

Ar<strong>bei</strong>tsbeziehungen etabliert werden können, dürfte eine <strong>der</strong> zentralen Fragen in<br />

28


diesem Bereich sein. Der Geschäftsführer einer Zeitar<strong>bei</strong>tsfirma beobachtet einen<br />

Trend hin zur Personaldienstleistung als Komplettangebot (Interview 6, S. 2). Aus<br />

seiner Sicht geht es um die Schaffung von Infrastrukturen auf <strong>der</strong> Basis von<br />

persönlichen Infrastrukturen, einer „informelle[n] Firmenstruktur“, materialisiert in<br />

einem „Kompetenzpool per Computerkarteikarte“ (Interview 6, S. 2 f.). In dieser<br />

Sichtweise erscheinen Weiterbildungseinrichtungen <strong>der</strong> Zukunft als „Holding für<br />

unterschiedliche Kompetenzangebote“ (Interview 6, S. 9 f.). In dem Prozeß des<br />

Umbaus von Weiterbildungseinrichtungen müssen nicht nur die Dozenten, „da<br />

müssen ganz viele Ebenen was lernen“ (Interview 6, S. 10). Wenn in Zukunft<br />

professionell(er) gear<strong>bei</strong>tet werden soll, was allgemein erwartet wird (z.B. Interview<br />

3, S. 16), so erfor<strong>der</strong>t dies, dass die externen Experten möglichst früh und intensiv in<br />

die Bedarfserhebung, Konzeptentwicklung und Implementation von<br />

innerbetrieblichen Weiterbildung einbezogen werden. Dies wird von den meisten<br />

innerbetrieblichen Experten als wahrscheinliche und auch wünschenswerte<br />

Entwicklung betrachtet, ein Phänomen, das in <strong>der</strong> Dienstleistungsökonomie als<br />

„Internalisierung <strong>der</strong> Externen“ bezeichnet wird. Um solche Formen <strong>der</strong><br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t zu etablieren, sind gemeinsame Projekterfahrungen erfor<strong>der</strong>lich, die<br />

noch am ehesten das Vertrauen entstehen lassen, das erfor<strong>der</strong>lich ist, um gemeinsam<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozesse in <strong>der</strong> Organisation und <strong>bei</strong> den Organisationsmitglie<strong>der</strong>n zu<br />

realisieren (SCHRADER 2001b).<br />

Damit schwinden auch die lange Zeit – auch unter Marketinggesichtspunkten<br />

gepflegten – Grenzen zwischen Training und Beratung. Training, Coaching und<br />

Beratung werden als integrierte, auch therapieähnliche Interventionen einbeziehende<br />

Dienstleistungen angeboten und nachgefragt. So beschreibt ein kommerzielles<br />

Trainingsinstitut mittlerer Größe seine Ar<strong>bei</strong>tsschwerpunkte wie folgt:<br />

„Wir sind tätig für Großkonzerne mehr als für den Mittelstand, weil <strong>der</strong> Mittelstand vor<br />

dem, was wir tun, noch ein bisschen Angst hat. Tiefenpsychologisch orientiert zu<br />

ar<strong>bei</strong>ten heißt ja nicht Verhaltenstrainings zu machen vorrangig, son<strong>der</strong>n an die Inhalte<br />

heranzugehen, bevor man an die Form geht. Und das scheint, obwohl je<strong>der</strong> das<br />

Gegenteil behaupten wird, völlig unüblich zu sein. Sie kennen ja alle Theorien von TA<br />

über TZI, NLP-istische Anteile, wir betrachten das als einen wun<strong>der</strong>baren<br />

Handwerkskoffer, dieses NLP, aber nicht als eine geschlossene Theorie und daher auch<br />

nicht inhaltlich wirklich gut benutzbar. [....] Nun werden wir aber kopiert durch Institute<br />

o<strong>der</strong> Richtungen, oh, die regen auf, und dann entstehen, ich weiß nicht, ob Sie das<br />

gelesen haben in Managerseminare, da war ein Artikel vor 3 Monaten über die<br />

Provotrainer, als ob es um Aufregung an sich ginge, darum geht es ja überhaupt nicht.<br />

Es geht ja um das, was <strong>bei</strong>m Klienten sich aufregt, aufzunehmen und in einer, das ist für<br />

uns ganz wichtig, Hebammenfunktion nicht Kaiserschnitt machen o<strong>der</strong> eben sagen, wer<br />

er ist, son<strong>der</strong>n ihm helfen <strong>bei</strong>m Gebären seiner Inhalte. Das ist eigentlich unser Job.<br />

Und das schafft diese Eigenverantwortlichkeit, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Klient o<strong>der</strong> die Abteilung<br />

dann weiter suchen will, weil sie merken, dass sie lernen, denn Aufregung heißt ja, dass<br />

sich in einem menschlichen System neuronale Neuvernetzungen ergeben. [...] Die<br />

Männer, die Ingenieure, gerade <strong>bei</strong> Daimler, begreifen diese Zusammenhänge<br />

tiefenpsychologisch auch, haben aber keine Lust, dem zu folgen, weil das ist nicht<br />

fassbares Wissen, das ist zu viel Inhalt, zu wenig an fassbarer Form, daher<br />

Quantenphysik, und darüber kriegen wir einen wun<strong>der</strong>baren Einstieg in die<br />

linkshemisphärischen Männergehirne, die dann eher auch geneigt und sogar begeistert<br />

sind teilweise, das nachzuvollziehen und dann auch in den Abteilungen<br />

quantenphysikalische Erkenntnisse, da kriegen die auch Bücher von uns dann darüber,<br />

zu integrieren, um ihre eigenen Probleme zu lösen. Das ist auch ein Trend. Also wir<br />

29


Betriebsexperten<br />

zusammengefasst<br />

Zum Begriff <strong>der</strong><br />

Schlüsselqualifikation<br />

nennen das Quantenphysik meets Kommunikationswissenschaften, und zwar brachial<br />

auf weiter Front.“ (Interview 4, S. 1-3.)<br />

Auch hier wird betont, dass keine „vorkonfektionierten“ Trainings, keine Angebote<br />

von <strong>der</strong> Stange das Leistungsspektrum kennzeichnen (Interview 4, S. 5), son<strong>der</strong>n je<br />

neu auf den Bedarf des Auftraggebers zugeschnittene Maßnahmen, die<br />

unterschiedliche Typen von Dienstleistungen integrieren. Den letzten<br />

Interviewauszug kann man auch als Hinweis darauf deuten, dass es in <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft nicht mehr genügt, über Kompetenz zu verfügen, son<strong>der</strong>n dass<br />

es auch erfor<strong>der</strong>lich ist, sie zu demonstrieren, notfalls zu inszenieren. Denn <strong>der</strong><br />

befragte Experte äußert sich gegenüber dem Interviewer wie gegenüber einem<br />

potentiellen Kunden.<br />

Auffälligerweise wurde die Verän<strong>der</strong>ungen, die sich für Weiterbildungsabteilungen<br />

angesichts des Strukturwandels <strong>der</strong> Weiterbildung ergeben, insbeson<strong>der</strong>e von den<br />

befragten Experten in Betrieben beschrieben, aus jenem Bereich <strong>der</strong> Weiterbildung<br />

also, <strong>der</strong> nach landläufiger Auffassung unter dem größten Erfolgsdruck steht. Ob<br />

öffentlich anerkannte Weiterbildungseinrichtungen keine Verän<strong>der</strong>ungen in ihrer<br />

Handlungspraxis aufweisen, ob die dort beobachtbaren Verän<strong>der</strong>ungen weniger<br />

gravierend o<strong>der</strong> nur weniger präzise benennbar sind, wäre eigens zu prüfen. Für<br />

einige Trends, die ich abschließend kurz betonen möchte, scheinen mir jedoch<br />

vergleichbare Verän<strong>der</strong>ungen vorzuliegen o<strong>der</strong> aber zu erwarten zu sein. Insgesamt<br />

beobachten wir<br />

- eine Aufwertung von Weiterbildung und Personalentwicklung zu strategisch<br />

genutzten Instrumenten <strong>der</strong> Organisationsentwicklung;<br />

- eine Abkehr von <strong>der</strong> Angebots- und ein größeres Bemühen um bedarfsgerechte<br />

Nachfrageorientierung;<br />

- einen Wandel von <strong>der</strong> Wissensvermittlung in klassischen, seminarförmigen<br />

Formen zur Begleitung von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen, damit ein Wandel von <strong>der</strong><br />

„theoretischen“ zur fallorientierten Ar<strong>bei</strong>t;<br />

- eine Aufwertung und Internalisierung externer Dienstleister, <strong>der</strong>en Wert darin<br />

besteht, dass sie über Vergleichswissen verfügen, das in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den<br />

internen Experten auf spezifische Probleme des Unternehmens angewandt wird<br />

und da<strong>bei</strong> zugleich neues Handlungswissen hervorbringt.<br />

6. Lernbedarfe und Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft<br />

Als die Angestelltenkammer begann, über ein Projekt <strong>zum</strong> Lernen in <strong>der</strong> Wissensund<br />

Informationsgesellschaft nachzudenken, fand die Frage nach den<br />

gesellschaftlichen Schlüsselqualifikationen im Kontext eines zukunftsorientierten<br />

„lebenslangen Lernens“ beson<strong>der</strong>es Interesse. Mit dem Begriff <strong>der</strong><br />

Schlüsselqualifikationen wird auf eine Diskussion verwiesen, die seit den 1970er<br />

Jahren große Beachtung in Theorie und Praxis <strong>der</strong> Erwachsenenbildung findet.<br />

30


Die vier<br />

Schlüsselqualifikationen<br />

nach<br />

Mertens<br />

Die bekannteste Fassung dieses Konzepts stammt aus den 70er Jahren und wurde<br />

von Dieter MERTENS (1974) entwickelt, seinerzeit Direktor des Instituts für<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmarkt- und Berufsforschung (IAB) <strong>der</strong> Bundesanstalt für Ar<strong>bei</strong>t. Mertens<br />

ging aus von dem Dilemma, dass die Bildungsplanung in den 60er und 70er Jahren<br />

zwar einen hohen Stellenwert hatte, es aber zugleich an zuverlässigen Prognosen<br />

über den zukünftig zu erwartenden Bildungsbedarf fehlte. Um die Diskrepanzen<br />

zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem zu verringern, suchte Mertens auf<br />

dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt nach Faktoren, die Flexibilität, Mobilität sowie Substitutions- und<br />

Absorptionseffekte erlauben bzw. diese positiv beeinflussen können. Er fand sie in<br />

dem Konzept <strong>der</strong> Schlüsselqualifikationen; dazu zählte er „solche Kenntnisse,<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche nicht unmittelbaren und begrenzten Bezug zu<br />

bestimmten, disparaten praktischen Tätigkeiten erbringen, son<strong>der</strong>n vielmehr a) die<br />

Eignung für eine große Zahl von Positionen und Funktionen als alternative Optionen<br />

<strong>zum</strong> gleichen Zeitpunkt und b) die Eignung für die Bewältigung einer Sequenz von<br />

(meist unvorhersehbaren) Än<strong>der</strong>ungen von Anfor<strong>der</strong>ungen im Laufe des Lebens“<br />

besitzen (MERTENS 1974, S 40). Mertens unterschied vier Arten solcher<br />

Schlüsselqualifikationen: (1) Zu den Basisqualifikationen zählt er u.a. die Fähigkeit<br />

<strong>zum</strong> logischen, analytischen o<strong>der</strong> strukturierenden Denken. Als (2)<br />

Horizontalqualifikation beschreibt er die Fähigkeit, Informationen zu gewinnen, zu<br />

interpretieren und zu verar<strong>bei</strong>ten, eine Fähigkeit, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />

zweifellos beson<strong>der</strong>e Bedeutung zukommt. Den dritten Typ bilden sogenannte (3)<br />

Breitenelemente, d.h. Kenntnisse und Fertigkeiten, die an vielen Ar<strong>bei</strong>tsplätzen<br />

benötigt werden (heute etwa Kenntnisse in Qualitätssicherung). Zu <strong>der</strong> vierten<br />

Gruppe von Schlüsselqualifikationen schließlich zählt er (4) sogenannte „Vintage-<br />

Faktoren“, das heißt Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bildungsunterschiede zwischen<br />

den Generationen ausgleichen (heute etwa EDV-Anwendungswissen) (ebd., S. 41 f.).<br />

Der Gedanke, den Mertens mit dem Konzept <strong>der</strong> (ausschließlich formal definierten)<br />

Schlüsselqualifikationen popularisierte, war jedoch in <strong>der</strong> Geschichte des<br />

Bildungswesens keineswegs neu, bereits im klassischen Allgemeinbildungskonzept<br />

hatte man zwischen materialer und formaler Bildung unterschieden, Ralf Dahrendorf<br />

hatte bereits in den 1950er Jahren funktionale und extrafunktionale Qualifikationen<br />

als Begriffe eingeführt, und später unterschieden Horst Kern und Michael Schumann<br />

auf <strong>der</strong> Basis industriesoziologischer Untersuchungen zwischen prozeßabhängigen<br />

und prozeßunabhängigen Qualifikationen. Als einen Konsens in diesen Diskussionen<br />

kann man festhalten, dass soziale Qualifikationen als ein wichtiger Bestandteil von<br />

Schlüsselqualifikationen gelten. Sie können in <strong>der</strong> Terminologie Mertens’ wohl am<br />

ehesten als formale, berufsunspezifische und fachunabhängige Basisqualifikationen<br />

interpretiert werden, die sich „für eine große Zahl von Positionen und Funktionen“<br />

eignen.<br />

Es wäre zweifellos interessant zu untersuchen, wie sich das Konzept <strong>der</strong><br />

Schlüsselqualifikationen im Laufe <strong>der</strong> Zeit verän<strong>der</strong>t hat, das heißt, welche<br />

Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten jeweils unter diesem Sammelbegriff<br />

zusammengefasst und wie sie begründet werden. Darum soll es aber im folgenden<br />

nicht gehen, und auch nicht darum, inwieweit die interviewten Experten sich in ihren<br />

Argumentationen an Mertens anschließen o<strong>der</strong> sich von ihm abgrenzen. Es soll<br />

vielmehr ausschließlich darum gehen, was die Experten dieser Untersuchung selbst<br />

31


Expertenmeinungen<br />

Persönlichkeitsentwicklung<br />

als<br />

Wettbewerbsfaktor<br />

zu den Schlüsselqualifikationen in einer mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft zählen, die hier als<br />

Wissens- und Informationsgesellschaft betrachtet wurde.<br />

Die Interviewpartner bestätigen das Konzept <strong>der</strong> Schlüsselqualifikationen insoweit,<br />

als sie die entscheidenden Voraussetzungen für die Bewältigung des<br />

fundamentalen Wandels vor allem im Bereich <strong>der</strong> sozialen und personalen<br />

Kompetenzen sehen. Wer den Mut hat, eine Gewichtung zwischen fachlichfunktionalen<br />

und extrafunktionalen Kompetenzen vorzunehmen, schätzt das<br />

Verhältnis auf 20:80 (Interview 7, S. 12). Funktionales Fach- und Faktenwissen<br />

behält selbstverständlich seine Bedeutung, ja wird zunehmend wichtiger, seine<br />

Vermittlung wird aber in <strong>der</strong> Regel als wenig problematisch betrachtet. Hier erwartet<br />

man zukünftig auch am ehesten Unterstützung durch die neuen Medien. Die<br />

Schulung von Fachwissen und von personalen und sozialen Kompetenzen erfor<strong>der</strong>t<br />

sehr unterschiedliche Strategien:<br />

„In diesem Spannungsgeflecht Mitar<strong>bei</strong>terentwicklung o<strong>der</strong> die Entwicklung <strong>der</strong><br />

Leistungsfähigkeit einer beschäftigten Menge Mitar<strong>bei</strong>ter zu durchdenken, das ist ein<br />

interessanter Prozess, <strong>der</strong> sich nach meiner Beobachtung in zwei große Bereiche teilt.<br />

Es gibt einmal die, nach meiner Beobachtung die Notwendigkeit, das für das<br />

Unternehmen notwendige Wissen wirklich zu trainieren, das sind hard facts über<br />

inhaltliche Determinanten des Unternehmens bis hin zu Sprachkenntnissen etc. Ich habe<br />

festgestellt, dass das eher ein Routineprozess ist, das können Sie überall kaufen, das<br />

unterscheidet sich qualitativ nicht sehr stark [...] Das, was wir bis heute wissen, können<br />

sie in Bibliotheken und heute umso schneller denn 1990 über Internet sofort für das<br />

Unternehmen materialisieren. Was sie nicht materialisieren können, ist das Spielfeld,<br />

auf dem man im Unternehmen ar<strong>bei</strong>tet, die Mitar<strong>bei</strong>ter, die beschafft werden, um an<br />

einem Spiel teilzunehmen, die Aufstellung einer Mannschaft, das Einspielen von<br />

Mannschaftsteilen, den Mut, in dieses land of unknown einzutreten, das heißt kreative<br />

Schübe im Unternehmen zu bewirken, die letztlich dann zu ökonomischen Ergebnissen<br />

führen. Und das hat für mich sehr viel mehr zu tun mit einem Faktor, den wir gerade in<br />

Deutschland, ist meine Beobachtung, die ich relativ zu Frankreich, England o<strong>der</strong> den<br />

Vereinigten Staaten habe, ein Faktor, den wir fahrlässig behandeln, das ist nämlich <strong>der</strong><br />

Faktor <strong>der</strong> persönlichen Vorbereitung von Mitar<strong>bei</strong>tern auf Managementaufgaben, auf<br />

Problemlösungsansätze, auf Konflikte, auch auf Sprachgebrauch.“ (Interview 7, S. 2 f.)<br />

Es geht darum, Mitar<strong>bei</strong>ter dahin zu bewegen, ihre maximale Leistungsfähigkeit für<br />

das Unternehmen zur Geltung zu bringen. Bei einer – in Teilbereichen -<br />

zunehmenden Vergleichbarkeit <strong>der</strong> Produkte und Dienstleistungen erscheinen die<br />

Mitar<strong>bei</strong>ter als <strong>der</strong> einzige wettbewerbsentscheidende Faktor (Interview 7, S. 6).<br />

Da<strong>bei</strong> muß die Persönlichkeitsentwicklung teils auch gegen Wi<strong>der</strong>stände im<br />

Unternehmen (Interview 3, S. 3) als zentrales Handlungsfeld betrieblicher<br />

Weiterbildung und Personalentwicklung etabliert werden.<br />

„Also ich denke auf jeden Fall, dass <strong>der</strong> Bereich zunehmend wichtiger wird, weil gerade<br />

in <strong>der</strong> Finanzdienstleistungsbranche die Produkte stärker vergleichbarer werden und wir<br />

uns künftig nur noch durch unsere Mitar<strong>bei</strong>ter unterscheiden können, das ist ein Fakt,<br />

<strong>der</strong> denke ich gerade im Dienstleistungsbereich heute schon wichtig ist, ich denke, noch<br />

wichtiger wird und wenn wir kompetente gut ausgebildete Mitar<strong>bei</strong>ter haben wollen,<br />

dann müssen wir heute schon wissen, dass es nicht nur die fachliche Seite ist, son<strong>der</strong>n<br />

sehr stark auch die persönliche Seite ist. Und wir merken heute schon, dass es stärker<br />

wird und ich würde sagen von <strong>der</strong> Prognose würde ich schon fast sagen, dass es auch<br />

mal 50:50 sein wird. Das behaupte ich einfach mal, in diese Richtung wird es gehen,<br />

weil wir würden uns wenn davon unterscheiden, dass die Mitar<strong>bei</strong>ter noch mehr lernen<br />

mit an<strong>der</strong>en Menschen umzugehen, auf sie einzugehen, sie dort aufsuchen, wo sie<br />

stehen, noch stärker in Richtung Kundenorientierung, aber nicht nur in dem Bereich<br />

32


größere<br />

Eigenverantwortung<br />

<strong>der</strong><br />

Mitar<strong>bei</strong>ter<br />

Verkaufen, son<strong>der</strong>n wirklich auch in dem Bereich des menschlichen Miteinan<strong>der</strong>s. Ich<br />

denke, das wird zunehmend wichtiger werden.“ (Interview 3, S. 4)<br />

Zu <strong>der</strong> Betonung von personalen und sozialen Kompetenzen kommt die Fähigkeit<br />

<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter, ihren Entwicklungsprozeß eigenverantwortlich und<br />

selbstgesteuert zu planen und zu realisieren. Die Rede von den Mitar<strong>bei</strong>tern als<br />

„Ar<strong>bei</strong>tskraftunternehmer“, als idealer „Personalentwickler“ seiner selbst wird so zur<br />

unabweisbaren Realität:<br />

„Ich denke wir werden stärker dahin kommen, die Eigenverantwortung <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter<br />

zu stärken. Das heißt, im Moment habe ich den Eindruck, dass <strong>zum</strong> Teil einfach so die<br />

Personalbereiche immer noch so die Verantwortlichen sind und die auch daran<br />

gemessen werden, ob die Leute gut ausgebildet sind, und unser Trend ist, wir haben hier<br />

in unserem Hause immer sehr viel Wert immer auf die Eigenverantwortung <strong>der</strong><br />

Mitar<strong>bei</strong>ter gelegt, das werden wir weiter stärken, das wir nicht nur sagen, ihr seid <strong>der</strong><br />

beste Personalentwickler für euch selber auch, son<strong>der</strong>n ihr seid im Grunde genommen<br />

auch dafür verantwortlich, dass ihr dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt heute <strong>bei</strong> uns zur Verfügung steht<br />

und eventuell morgen auch vielleicht <strong>bei</strong> einem an<strong>der</strong>en Ar<strong>bei</strong>tgeber. Das heißt ein<br />

Verständnis dafür zu wecken auch, dass sie selber mehr dafür tun müssen, das würde<br />

auch bedeuten, dass wir die Lernform än<strong>der</strong>n werden, ich denke mal, wir werden in ein<br />

paar Jahren, was Sprachseminare angeht, was DV-Schulung angeht, stärker dazu<br />

kommen, dass <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter dann auch vielleicht mal abends o<strong>der</strong> auch mal tagsüber<br />

o<strong>der</strong> auch mal am Wochenende mit dem PC sitzt und auch einmal selbst eine<br />

Sprachschulung macht, also nicht während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit irgendwo im Seminar sitzt,<br />

son<strong>der</strong>n durchaus für diese fachlichen Bereiche, dass da auch ein Teil verlagert wird,<br />

wie Eigenverantwortung <strong>der</strong> Leute, weg von <strong>der</strong> betrieblichen Verantwortung hin<br />

zu den individuellen Verantwortung <strong>der</strong> Leute auch.“ (Interview 3, S. 8)<br />

Die Betonung einer größeren Eigenverantwortlichkeit <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter kann so weit<br />

gehen, dass Unternehmen zukünftig lediglich in einem individuellen<br />

Entwicklungspaß (Portfolio) definieren und festhalten, welche Qualifikationen und<br />

Kompetenzen sie von ihren Mitar<strong>bei</strong>tern erwarten, es ihnen aber selbst überlassen,<br />

auf welche Art und Weise sie sich diese Kompetenzen – durchaus mit (finanzieller)<br />

Unterstützung, aber nicht mehr in <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Unternehmen – aneignen.<br />

Das werde u.a. die Zahl <strong>der</strong> Absagen auf angekündigte Trainings reduzieren<br />

(Interview 7, S. 17).<br />

„Das an<strong>der</strong>e Extrem darüber hinaus wäre noch, dass manche Ar<strong>bei</strong>tgeber sogar sagen,<br />

ich erwarte in Zukunft von dir das und das, sieh zu, wie du es dir holst, also eine<br />

komplette Eigenverantwortung, und das wie<strong>der</strong>um bedient aus unserer Sicht einen<br />

Trend, <strong>der</strong> sagt, in Zukunft sind nicht mehr klassische Berufsfel<strong>der</strong> gefragt, also diese<br />

handelskammergeprüften Abschlüsse, son<strong>der</strong>n immer mehr Qualifikationen. Man fragt<br />

also in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr, was hast du gelernt, son<strong>der</strong>n was kannst<br />

du. Also vielmehr auf persönliche Qualifikationen gemünzt und nicht auf irgendwelche<br />

klassischen Muster, die dahinter stecken.“ (Interview 4, S. 12 f.)<br />

Hier wird angedeutet, was in <strong>der</strong> Fachliteratur als „Entberuflichung <strong>der</strong><br />

beruflichen Weiterbildung“ diskutiert: die Lösung aus <strong>der</strong> Fixierung auf<br />

berufsqualifizierende Abschlüsse und die Hinwendung zu berufsunspezifischen<br />

fachlichen Qualifikationen auf <strong>der</strong> einen, zu formalen Schlüsselqualifikationen und<br />

berufsorientierten „Kompetenzen“ auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Als Schlüsselqualifikation<br />

ist dann auch die Fähigkeit zu betrachten, vorhandene Kompetenzen sich selbst und<br />

an<strong>der</strong>en sichtbar zu machen:<br />

33


Eigenverantwortlichkeit<br />

und<br />

diskontinuierlicheErwerbsbiographien<br />

„Ich kann es nicht verallgemeinern, dass ist sozusagen mein Erfahrungshorizont den ich<br />

habe und da finde ich schon faszinierend, was diese Personen teilweise an kreativer<br />

Phantasie entwickeln, um mit diesen Situationen fertig zu werden. Das ist sozusagen<br />

auch <strong>der</strong> Fundus, aus dem wir schöpfen, dass wir Kompetenzträger da aufspüren, die als<br />

solche von ihrer Biographie, weil sie formalen Kriterien kaum standhält, dann auf<br />

einmal aufspüren und sie zu Kompetenzträgern machen und in Ar<strong>bei</strong>t bringen, was man<br />

erst mal so gar nicht erwartet hat. Da steckt eine Menge an Dynamik auch drin.“<br />

(Interview 6, S. 16)<br />

Erwartet wird von den Beschäftigten <strong>der</strong> Zukunft nicht eine Perfektionierung<br />

einmal erlernter Rollen, son<strong>der</strong>n vielmehr eine ständige Verän<strong>der</strong>ungsfähigkeit<br />

und Spaß an <strong>der</strong> Zukunft:<br />

„Aber wir wollen uns als Person viel besser auf Verän<strong>der</strong>ungen als entscheidenden<br />

Faktor einstellen, und Verän<strong>der</strong>ungen schaffen Sie nach meiner Beobachtung nur mit<br />

guten Perspektiven und mit einer guten sozialen Absicherung, soziale Absicherung<br />

meine ich jetzt nicht materiell, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Rolle, was bedeutet Verän<strong>der</strong>ung für<br />

mich. [...] Und das habe ich seit 1995 an<strong>der</strong>s gemacht, dass ich Manager vorbereitet<br />

habe mehr auf ihre soziale Rolle, mehr darauf, was <strong>zum</strong> Beispiel in Sportpsychologie<br />

möglich ist, wie sie Menschen frei machen, wie sie Menschen dazu führen, nicht<br />

Vergangenheit zu kopieren, um heute zu beweisen, ich bin <strong>der</strong> Perfekte o<strong>der</strong> ich habe<br />

die perfekte Interpretation von normal gelerntem Standardwissen, son<strong>der</strong>n ich bin eine<br />

Person, die Spaß an <strong>der</strong> Zukunft hat, die in Beobachtungsgaben mehr investiert, die sich<br />

eines guten Unternehmens vergewissert, die eine hohe Kontinuität erwarten kann in <strong>der</strong><br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung des Unternehmens mit dem Mitar<strong>bei</strong>ter, und das äußert sich<br />

letztendlich dann auch in harter Information.“ (Interview 7, S. 8 f.)<br />

Es wird aber durchaus auch gesehen, dass Betonung des eigenverantwortlichen<br />

Lernens und des ständigen (Neu-) Entwurfs <strong>der</strong> eigenen (Erwerbs-) Biographie die<br />

(berufliche) Identität gefährden und bestehende gesellschaftliche Segmentierungen<br />

weiter vertiefen kann. Angesichts einer Zunahme diskontinuierlicher<br />

Erwerbsbiographien und einer naheliegenden Job-Mentalität erscheint<br />

berufliche und damit personale und soziale Identität als enorm gefährdet.<br />

Verschärft werden diese Anfor<strong>der</strong>ungen noch dadurch, dass auch die<br />

Personalentwickler in Unternehmen davon ausgehen, dass Verän<strong>der</strong>ungen nur<br />

bewältigt werden, wenn man „an die Basis des Individuums zurück geht“ (Interview<br />

7, S. 24). Damit wird personale Bildung, im Sinne Diltheys verstanden als<br />

Fähigkeit, einen festen Standpunkt gegenüber <strong>der</strong> schwankenden Welt zu<br />

finden, zugleich ständig gefor<strong>der</strong>t und gefährdet. Insgesamt ist auffallend, dass<br />

<strong>der</strong> Bildungsbegriff als Schlüsselkategorie nur noch am Rande auftaucht, er wird<br />

ersetzt durch Begriffe wie Selbststeuerungsfähigkeit, Kompetenz o<strong>der</strong>, noch<br />

allgemeiner, durch die Fähigkeit, mit „offenen“ Situationen umgehen zu können:<br />

„Das steckt auch vielleicht in diesem Wi<strong>der</strong>spruchsdilemma, wenn ich permanent, also<br />

dieses Dilemma zu bear<strong>bei</strong>ten, fände ich ganz interessant. Was könnte man an Bildung<br />

o<strong>der</strong> durch Bildung o<strong>der</strong> durch Training o<strong>der</strong> so organisieren, also mit dieser Flexibilität<br />

gleichzeitig intensiv mich auf etwas einzulassen, zu verknüpfen und das als Kompetenz,<br />

daraus eine Kompetenz zu machen. Bei jungen Leuten sieht man das, auf <strong>der</strong> einen<br />

Seite sehr stark, dass wir zunehmend das Gefühl haben, das hat hohes Maß an<br />

Beliebigkeit, worauf sie sich einlassen o<strong>der</strong> auch nicht einlassen o<strong>der</strong> auch machen o<strong>der</strong><br />

nicht machen, und wenn man sich genauer anguckt, dann gibt es doch eine Menge von<br />

jungen Menschen, die sehr wohl, also die gar nicht so [...] sind, die sehr wohl wissen,<br />

wohin sie wollen. Das ist aber nicht so schnell erkennbar, also da muss man sich länger<br />

mit ihnen auseinan<strong>der</strong>setzen. Das wäre so dieser eine Bereich, da ist ein<br />

Konfliktpotential und das hat glaube ich auch zugenommen. Ich glaube, dass Bildung in<br />

34


stärkerem Maße im Sinne von persönlichem Nutzen, also Verwertbarkeit, also jetzt<br />

nicht rein ökonomisch, son<strong>der</strong>n das man wirklich einfach fragt, was bringt mir das.<br />

Ganz rational. Warum soll ich mich damit auseinan<strong>der</strong>setzen.“ (Interview 6, S. 11 f.)<br />

Richard Sennett hat in seinem Buch über den flexiblen Menschen darauf<br />

hingewiesen, was heute beson<strong>der</strong>s gefor<strong>der</strong>t ist: das „Selbstbewußtsein eines<br />

Menschen, <strong>der</strong> ohne feste Ordnung auskommt“ (SENNETT 2000, S. 79). Dies alles<br />

schließt, dies wird teils selbstverständlich vorausgesetzt, teils ausdrücklich<br />

eingefor<strong>der</strong>t, die Bereitschaft <strong>der</strong> Menschen <strong>zum</strong> lebenslangen Lernen als<br />

Grundhaltung ein (Interview 5, S. 11). Auch wenn man kritisch gegen Sennett in<br />

Rechnung stellen muss, dass er zu sehr aus <strong>der</strong> Perspektive einer (männlichen)<br />

Normalar<strong>bei</strong>tsbiographie heraus argumentiert (ein Phänomen, das historisch nur in<br />

<strong>der</strong> kurzen Prosperitätsphase <strong>der</strong> Nachkriegszeit als „normal“ gelten konnte), so hat<br />

er doch zweifellos Hinweise auf notwendige Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne geliefert. Zu fragen bleibt, welche Bevölkerungsgruppen diesen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an permanenten (Selbst-) Entwurf genügen (können). Die<br />

Probleme einer drohenden Zwei-Drittel-Gesellschaft, die sich bereits abzeichnet<br />

(Interview 2., S. 15), bekommen insbeson<strong>der</strong>e die verantwortlichen Experten in <strong>der</strong><br />

Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung zu spüren, die ihre neuen Zielgruppen wie folgt beschreiben:<br />

„Es sind also eher die, die bisher immer schon gescheitert sind und die nach <strong>der</strong> Schule<br />

keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, weil die schulischen Leistungen schwach<br />

waren, die dann irgendwann aber die Möglichkeit hatten, also ungelernte Ar<strong>bei</strong>t zu<br />

finden, sind im Laufe <strong>der</strong> letzten zehn Jahre sage ich mal kontinuierlich durch die<br />

Betriebe ausgetauscht worden gegen Leute mit Berufsabschluss. Bestes Beispiel, unser<br />

größter Ar<strong>bei</strong>tgeber hier in <strong>Bremen</strong>, Daimler-Chrysler, hat 16.000 Ar<strong>bei</strong>tsplätze, ist die<br />

größte Bäckerei in <strong>Bremen</strong>, weil nämlich Daimler zur Bedingung macht, wenn jemand<br />

<strong>bei</strong> uns am Band ar<strong>bei</strong>ten will, dann darf er das nur, wenn er nachweist, dass er einen<br />

anerkannten Berufsabschluss hat, ob das ein Friseur ist o<strong>der</strong> ein Bäcker o<strong>der</strong> ein<br />

Metallverar<strong>bei</strong>ter, das ist egal. Das spiegelt also diese Entwicklung auch ganz krass<br />

wie<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> alten Autoindustrie spielte das keine Rolle, <strong>der</strong> wurde vierzehn Tage am<br />

Band eingear<strong>bei</strong>tet, dann hat er es drauf. Das gibt’s nicht mehr. [...] Da es sich in sehr<br />

zunehmendem Maße um Ar<strong>bei</strong>tslose und Ar<strong>bei</strong>tnehmer handelt, die bisher nicht<br />

gewohnt waren, sich beruflich aus- und weiter zu bilden und auch zu einem großen Teil<br />

nicht bereit waren dazu, weil das mit persönlichem Einsatz verbunden ist, wird es<br />

zunehmend schwerer, konzipierte Bildungsmaßnahmen mit entsprechend geeigneten<br />

Teilnehmern zu bestücken. Ich sage mal so ein Beispiel, um eine<br />

Weiterbildungsmaßnahme mit zwanzig Teilnehmern zu versorgen, müssen etwa 100 bis<br />

150 Bewerber ausgesucht werden, und manchmal klappt auch das nicht, weil die<br />

Vorbehalte gegenüber beruflicher Weiterbildung ich möchte fast sagen stärker<br />

geworden sind als früher. Das ist kaum vorstellbar, weil in <strong>der</strong> Öffentlichkeit je<strong>der</strong><br />

immer wie<strong>der</strong> hört, lebenslanges Weiterlernen, du bleibst auf <strong>der</strong> Strecke, wenn du nicht<br />

weiter lernst, das geht vor<strong>bei</strong>. Ich habe mal mit unserem psychologischen Dienst<br />

darüber gesprochen, <strong>der</strong> sagt, ganz normale Entwicklung, wenn jemand erst mal ein<br />

Jahr ar<strong>bei</strong>tslos ist, dann ist die Luft raus und dann traut er sich auch keine berufliche<br />

Weiterbildung mehr zu. Und er riskiert dann sogar in zunehmendem Maße noch weiter<br />

aus dieser Beschäftigungsgesellschaft heraus zu fallen, indem er <strong>zum</strong> Beispiel in Kauf<br />

nimmt, dass durch Nichtannahme von angebotener Ar<strong>bei</strong>t sein Leistungsanspruch<br />

erlischt und er da dem Sozialamt zur Last fällt, das wird in Kauf genommen. Das hängt<br />

einfach mit <strong>der</strong> psychischen Entwicklung zusammen, die im Laufe <strong>der</strong> Monate sich<br />

dahin entwickelt. [...] Gerade auch die neuen IT-Berufe, wäre ja wünschenswert, wenn<br />

wir da vielleicht noch mehr machen, noch mehr machen, aber wir haben ja gesagt, wir<br />

haben ja Schwierigkeiten, die Maßnahmen zu besetzen. Deshalb müssen wir auch<br />

immer natürlich berücksichtigen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Einrichtung von Maßnahmen, ja, haben wir<br />

überhaupt die Bewerber dafür. [...] Auch da hat sich im Laufe <strong>der</strong> Jahre etwas geän<strong>der</strong>t.<br />

Wir kannten so wie wir es heutzutage kennen in früheren Zeiten gar nicht so stark den<br />

35


Lernberatung<br />

als neue<br />

Anfor<strong>der</strong>ung in<br />

<strong>der</strong> Weiterbildung<br />

Betriebliche<br />

Folgen häufiger<br />

Belegschaftswechsel<br />

Zusammenfassung<br />

Begriff <strong>der</strong> Feststellungsmaßnahme, das heißt einer vorgeschalteten Maßnahme, um<br />

Motivation festzustellen, man kann sagen, also <strong>bei</strong> je<strong>der</strong> Umschulungsmaßnahme ist<br />

eine Feststellungsmaßnahme vorgeschaltet, immer, bis auf die, die an Fachschulen<br />

stattfinden. [...] Zwei Monate in <strong>der</strong> Regel, und jetzt schon vielfach auch eigenständige<br />

Feststellungsmaßnahmen, nämlich Feststellungsmaßnahme zur Feststellung <strong>der</strong><br />

Eignung, um überhaupt an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen zu können ohne<br />

bestimmten berufsfachlichen Schwerpunkt. Das hat es früher nie gegeben, aber das ist<br />

einfach auch ein Ergebnis daraus, dass unser Bewerberpotential sehr viel schwieriger<br />

ist, wenn es um die Einsicht geht, berufliche Weiterbildung zu betreiben.“ (Interview 2,<br />

S. 3 f.)<br />

Zu den sozialen Kompetenzen, die nicht weiter präzisiert werden (können), werden<br />

dann Einstellungen wie Motivation o<strong>der</strong> die Bereitschaft zur Flexibilität gezählt.<br />

Zugleich wird erkannt, dass die bisherigen Instrumente zur Diagnose und För<strong>der</strong>ung,<br />

die unter dem Stichwort <strong>der</strong> sozialpädagogischen Betreuung zusammenzufassen sind,<br />

für die Zukunft nicht mehr ausreichen werden: Alternative Konzepte zur För<strong>der</strong>ung<br />

von Selbststeuerungskompetenz sind aber in diesem Segment des<br />

Weiterbildungsmarktes noch nicht erkennbar. Lediglich in einigen<br />

Weiterbildungseinrichtungen, die überwiegend Maßnahmen für die<br />

Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung durchführen, wird an Konzepten zur Individualisierung des<br />

Lernens gear<strong>bei</strong>tet mit dem Ziel, den Teilnehmenden einen „Kompass“ an die Hand<br />

zu geben, mit dem sie den Weg durch die berufliche Zukunft finden können<br />

(Interview 8, S. 5). Diese Form <strong>der</strong> Individualisierung <strong>der</strong> Weiterbildung erfor<strong>der</strong>t<br />

von den begleitenden Lehrkräften und Planenden dann neue Aufgaben in <strong>der</strong><br />

Lernberatung. Dafür liegen bereits entwickelte und erprobte Konzepte vor, die<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Beratung von lernungewohnten Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung betreffen (s. auch Kemper/ Klein 1998). Dieser<br />

wachsende Bedarf an Lernberatung wird auch von den Beschäftigten in öffentlich<br />

anerkannten Weiterbildungseinrichtungen als neue Anfor<strong>der</strong>ung herausgestellt.<br />

(Interview 14, S. 12 f.).<br />

Diskontinuierliche Erwerbsbiographien, die mehr und mehr eigenverantwortlich zu<br />

gestalten und immer weniger „institutionalisiert“ sind, konfrontieren die<br />

Beschäftigten mit <strong>der</strong> Aufgabe, den Transfer von einem Betrieb <strong>zum</strong> nächsten, von<br />

einer Tätigkeit zu einer an<strong>der</strong>en zu bewältigen, eine Aufgabe, die in einem<br />

Beschäftigungssystem beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten bereitet, dass noch immer stark<br />

durch das Berufskonzept geprägt wird. Für die damit erfor<strong>der</strong>lichen Kompetenzen<br />

scheinen zur Zeit noch keine didaktisch-methodischen Konzepte zu existieren.<br />

Häufige Beschäftigungswechsel haben aber nicht nur Folgen für die Erwerbstätigen,<br />

son<strong>der</strong>n auch für die Betriebe und Organisationen: Wo die Belegschaften in den<br />

letzten Jahren systematisch um ältere Beschäftigte reduziert wurden, ging oft<br />

unverzichtbares Erfahrungswissen verloren; wo kaum junge Beschäftigte<br />

eingestellt o<strong>der</strong> rekrutiert werden konnten wie <strong>bei</strong> Kirchen, Gewerkschaften o<strong>der</strong><br />

Hochschulen, fehlt es oft an Innovationswissen. Mehr und mehr stellt sich die<br />

Frage, wie sich unter diesen Bedingungen institutionelle Kommunikation und ein<br />

institutionelles Gedächtnis sichern lassen, wie Organisationen lernfähig bleiben<br />

können. Hier droht, auch aus Sicht <strong>der</strong> Experten, dass mit alternden Institutionen<br />

auch die Angebote altern.<br />

36


Folgen für<br />

Weiterbildungsträger<br />

Wenn man abschließend kurz zusammenfassen möchte, was die Experten dieser<br />

Untersuchung – durchaus in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> aktuellen Diskussion – als<br />

Schlüsselqualifikationen ausweisen, so wären zu nennen:<br />

- spezifische personale und soziale Kompetenzen,<br />

- die Fähigkeit zur Selbststeuerung, <strong>zum</strong> ständigen (Neu-) Entwurf <strong>der</strong> eigenen<br />

(Erwerbs-) Biographie,<br />

- nicht zuletzt die Bereitschaft <strong>zum</strong> lebenslangen Lernen.<br />

Zweierlei scheint für ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte Weiterbildungsanbieter wichtig: Nach<br />

<strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Experten, die sich in weiten Teilen durchaus mit <strong>der</strong> öffentlichen<br />

und wissenschaftlichen Wahrnehmung deckt, scheinen die gesellschaftlich<br />

relevanten Schlüsselqualifikationen berufsunspezifisch bzw. berufsübergreifend zu<br />

sein. Dies ist ein Grund dafür, warum mancherorts von <strong>der</strong> „Entberuflichung <strong>der</strong><br />

beruflichen Weiterbildung“ gesprochen wird. So stark die Belege dafür auch sein<br />

mögen, so unzweifelhaft es auch ist, dass das Erlernen eines Berufes heute nicht<br />

mehr lebenslange Beschäftigungsmöglichkeit garantiert, son<strong>der</strong>n nur die fortlaufende<br />

Aneignung neuer Qualifikationen und Kompetenzen, so prägend bleibt doch nach<br />

wie vor das Muster des „Berufes“ für die Struktur des Angebots an beruflicher<br />

Weiterbildung und auch für die Identitätsentwürfe <strong>der</strong> Erwerbstätigen.<br />

Weiterbildungsanbieter werden also <strong>bei</strong>des leisten müssen: abschlussbezogene<br />

Fortbildungen auf <strong>der</strong> einen und sowohl fachliche als auch berufsunspezifische<br />

Anpassungsqualifizierungen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Zudem müssen sie institutionelle<br />

Strukturen bereithalten, um die Lernenden <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ermittlung ihrer Lernbedarfe, <strong>der</strong><br />

Formulierung von Lernzielen und <strong>der</strong> Planung angemessener Lernwege zu<br />

unterstützen. Zudem kann man nicht vollkommen ausschließen, dass die vehemente<br />

Betonung formaler Schlüsselqualifikationen <strong>zum</strong> Teil auch Resultat einer optischen<br />

Täuschung ist: Als „junge“ und in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion allgegenwärtige<br />

Qualifikationen und Kompetenzen werden sie mehr beachtet als die fachlichfunktionalen<br />

Qualifikationen, die jedoch in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung ebenfalls<br />

in steigendem Maße nachgefragt werden.<br />

Zweitens ist zu berücksichtigen, dass <strong>der</strong> Bedarf an Selbst-Sinngebung jenseits<br />

organisationaler o<strong>der</strong> berufsständischer Rahmung o<strong>der</strong> ideologischer Autorität<br />

(Interview 9, S. 5) nicht allein im betrieblichen o<strong>der</strong> beruflichen Kontext befriedigt<br />

werden kann. Auch die Angebote <strong>der</strong> öffentlich anerkannten Weiterbildungsanbieter<br />

mit Schwerpunkten in <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung, etwa <strong>der</strong> kulturellen, <strong>der</strong><br />

personalen, <strong>der</strong> politischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesundheitsbildung werden häufig in <strong>der</strong><br />

Erwartung wahrgenommen, die eigene Biographie zu stabilisieren o<strong>der</strong> angesichts<br />

individualisierter Ar<strong>bei</strong>ts- und Lebensbedingungen an Vergemeinschaftungsformen<br />

teilzuhaben. Die Schwierigkeit aus Sicht gesellschaftspolitisch engagierter<br />

Erwachsenenbildung besteht darin, dieser Selbstbezüglichkeit nachzugeben, aber<br />

nicht auf sie beschränkt zu bleiben:<br />

„Dann würden wir wahrscheinlich irgendwann sagen, also wir müssen was verän<strong>der</strong>n,<br />

weil wir nicht dazu <strong>bei</strong>tragen wollten, dass Leute sich verabschieden von <strong>der</strong><br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Gesellschaft, in dem sie also immer von uns befriedigt werde,<br />

auf ihrem Rückzug. Also da sind wir sehr am Tasten und Probieren und Schauen, ja,<br />

37


Expertenmeinungen<br />

<strong>zum</strong><br />

Einsatz neuer<br />

Medien<br />

wie weit wollen wir solche offensichtlichen Bedürfnisse bedienen o<strong>der</strong> so modifiziert<br />

bedienen, dass wir zwar das Bedürfnis ernst nehmen, aufnehmen, aber nicht einfach nur<br />

ihm nachgehen, son<strong>der</strong>n auch irgendwo an<strong>der</strong>e Aspekte mit hinein bringen als an<br />

Angebote an die Menschen, die das mitmachen und schauen, ob sie damit nicht auch<br />

etwas anfangen können und ob dadurch vielleicht nach unserem Verständnis denn doch<br />

ein bisschen mehr im Blick bleibt.“ (Interview 9, S. 4)<br />

Ob <strong>der</strong> paradoxe Versuch <strong>der</strong> Entschleunigung unter den Bedingungen von<br />

Kurzzeitpädagogik gelingen kann, scheint nicht sehr wahrscheinlich. Denn<br />

empirische Befunde zeigen ebenso wie die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten, dass sich<br />

die Zeitformen und Lernorte in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft grundlegend wandeln.<br />

7. Weiterbildungseinrichtungen und neue Medien<br />

Die Experten dieser Untersuchung wurden auch danach befragt, welche neuen<br />

Medien sie in <strong>der</strong> Weiterbildung und Personalentwicklung einsetzen, welche<br />

Entwicklungen sie für die zukünftige Gestaltung des Lehrens und Lernens<br />

Erwachsener erwarten und welche Konsequenzen sich daraus für das Personal in<br />

Weiterbildungseinrichtungen ergeben. Um <strong>bei</strong> diesem in vielfacher Weise<br />

aufgeladenen Thema mit den Vorgaben <strong>der</strong> Interviewer keine Erwartungen in die<br />

eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung zu transportieren, war bewußt offen gefragt worden. Es<br />

wurde sogar darauf verzichtet, eine Vorgabe zu formulieren, was unter neuen Medien<br />

zu verstehen sei. Auch die Experten differenzierten nur selten ausdrücklich, so dass<br />

die offline genutzte CD-ROM genau so unter dem Begriff <strong>der</strong> neuen Medien gefaßt<br />

wurde wie das Online-Seminar im Netz.<br />

Die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten sehen die <strong>der</strong>zeitigen und zukünftigen<br />

Einsatzmöglichkeiten <strong>der</strong> neuen Medien hauptsächlich im Bereich <strong>der</strong><br />

Informationsbeschaffung und <strong>der</strong> Vermittlung von Fakten- und Fachwissen, nur<br />

rudimentär im Bereich <strong>der</strong> Vermittlung sozialer Kompetenzen und formaler<br />

Schlüsselqualifikationen und insgesamt eher als Ergänzung denn als Ersatz<br />

seminarförmigen Lehrens und Lernens. Am weitesten sind in diesem Bereich die<br />

Vertreter <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung:<br />

„Ja, technisch könnten wir, wir nutzen es noch nicht so, wie wir es irgendwann nutzen<br />

wollen auch, weil ich würde sagen diese Vernetzung zu sagen, <strong>zum</strong> Beispiel Aufbau<br />

eines systematischen Wissensmanagements, was ich durchaus als ein Zukunftsthema<br />

<strong>bei</strong> uns auch sehe, wurde im Moment noch nicht so als tatsächlicher Bedarf gesehen. Es<br />

läuft so, dass wir über internes Intranet, über Mails o<strong>der</strong> so Informationen ausgetauscht<br />

werden, dass Projektprotokolle verschickt werden, das läuft schon an, dass man<br />

Anfragen starten kann, wer kann mir was dazu sagen. Aber das ist noch nicht<br />

systematisch <strong>bei</strong> uns. Das ist ein Thema, da werden wir rangehen auch noch, aber das<br />

ist auch ein Kulturwandel, das muss stärker auch erkannt werden, dass es ein<br />

zusätzlicher Nutzen ist, einen Pool aufzubauen und Suchmaschinen. [...] Und gut,<br />

Internet, es liegt auch in <strong>der</strong> Eigenverantwortung jedes einzelnen, das auch für die<br />

Wissensbeschaffung zu nutzen, aber ich weiß es, sei es unsere Juristen, für rechtliche<br />

Fragen o<strong>der</strong> Projektmanager o<strong>der</strong> auch durchaus im Anlagebereich, wenn es neue<br />

Visionen im Ausland gibt, dass die heute alle schon über das Internet sich die<br />

Informationen runterziehen auch und da heute schon mit ar<strong>bei</strong>ten. Die neuen<br />

Generationen, die hier ja jetzt auch im Unternehmen nachwachsen, für die sind das<br />

Basics.“ (Interview 3, S. 10)<br />

38


Neue Medien werden eingesetzt zur Schaffung von Transparenz, zur schnellen<br />

Informationsbeschaffung (Internet), zur Verbesserung <strong>der</strong> internen Kommunikation<br />

(Intranet), zur Schulung in fachlichen Kenntnissen (Interview 7, S. 13 f.). In <strong>der</strong><br />

Vermarktung <strong>der</strong> Dienstleistungen von Weiterbildungsanbietern werden die<br />

Einsatzmöglichkeiten nach Einschätzung <strong>der</strong> Experten „zu 100%“ gegeben sein<br />

(Interview 4, S. 16). Unterschieden wird <strong>zum</strong>eist deutlich zwischen den<br />

Einsatzmöglichkeiten <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermittlung von Fachwissen und <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermittlung<br />

personaler und sozialer Kompetenzen. Während hier eine intensive Nutzung erwartet<br />

wird, äußert man sich dort zurückhalten<strong>der</strong>, ohne aber solche Möglichkeiten ganz<br />

auszuschließen (Interview 5, S. 11):<br />

„Ich sehe es im Moment mehr in <strong>der</strong> reinen Wissensvermittlung, also rein fachlich mal,<br />

was ich schon gesagt hatte, so über, ich sehe da auch eher einen Laptop zukünftig,<br />

könnte ich mir durchaus vorstellen, dass irgendwann je<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter zusätzlich einen<br />

Laptop noch hat, mit dem er freiwillig natürlich genauso, was Sie ansprachen, zu Hause<br />

ar<strong>bei</strong>ten kann. Das ist ja nicht ganz uneigennützig für ein Unternehmen, aber da sehe<br />

ich durchaus einen Nutzen, dass also gerade die DV-Schulung auch sehr selbst lernt,<br />

sich über Telelearning, dass Sprachschulungen auch über Sprachprogramme praktisch<br />

so laufen können, ich sehe es also wenn in <strong>der</strong> Vermittlung von hardfacts. Diese ganzen<br />

softfacts, da gibt es gerade in diesem ganzen CBT-Bereich gibt es da auch wie<strong>der</strong> so<br />

viele Anbieter, da bin ich persönlich noch nicht von überzeugt. Ich kenne sehr viele<br />

Anbieter, die heute Programme schreiben für verhaltensorientierte Schulungen im Netz,<br />

auch wo je<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter vor seinem PC sitzt und dann nur über gewisse<br />

Gesprächssituationen, die ihm gezeigt werden und er richtige Fragen beantwortet,<br />

immer weiter kommt. Das habe ich selbst alles mal mitgemacht, da halte ich heute auch<br />

nichts von. Also, ich denke, da ist gerade ein Verhaltensbereich, meine ich, vielleicht<br />

bin ich da altmodisch, aber denke ich werde ich die Prognose abgeben, dass wir heute<br />

Gott sei Dank noch nicht so weit sind, und ich denke, da ist gerade dieser<br />

zwischenmenschliche Kontakt und gerade die Energie in so einem Raum mit den<br />

Leuten so wichtig, dass ich da im Moment <strong>zum</strong>indest heute noch nicht den<br />

[unverständlich] sehe.“ (Interview 3, S. 10)<br />

Die zukünftigen Erwartungen gehen durchgehend in die Richtung, dass neue<br />

Medien für alle Bereiche <strong>der</strong> Kommunikation und <strong>der</strong> Schulung stärker genutzt<br />

werden, ohne dass damit aber Präsenzlernen überflüssig würde.<br />

„Ich würde es gerne unterteilen, im Bereich <strong>der</strong> Wissensvermittlung, im Vorfeld von<br />

Training, wird das eine fast flächendeckende Rolle einnehmen, also interaktives E-<br />

Learning, CBTs, WBTs, NBTs. Die technische Entwicklung wird, bin ich ganz sicher,<br />

sich soweit vorantreiben, dass je<strong>der</strong> zu Hause tatsächlich einen PC hat und einen<br />

Internetzugang und darüber tagesaktuelle Informationen ja auch zugänglich bekommt.<br />

Wenn ich alleine überlege, diese Ausbildung, die wir anbieten <strong>zum</strong> Managementtrainer,<br />

wird begleitet von knapp 10.000 Seiten Literatur, 2/3 inzwischen davon kommen aus<br />

Datenbanken aus dem Internet, weil einfach die Sachen viel aktueller sind, wenn<br />

<strong>bei</strong>spielsweise dieses Buch, was Herr [Name des Interviewpartners] vorhin zitierte<br />

„Quantensprung <strong>der</strong> Führungskunst“ [...] von 1992, ist aber erst vor zwei Jahren ins<br />

Deutsche übersetzt worden, 1998, 6 Jahre Differenz, das ist sehr träge. Ich will sagen,<br />

dass man einfach fast tagesaktuell auf Wissensdatenbanken zugreifen kann, immer<br />

aktuelle Entwicklungen mit bekommt, denn das Rad dreht sich ja auch immer schneller.<br />

Wenn wir unsere Ausbildung rotieren lassen, 37 verschiedene Themen, die wir vor 4 ½<br />

Jahren mal ausgesucht haben, sind, glaube ich, nur noch zu ¼ darin verankert, <strong>der</strong> Rest<br />

hat sich verän<strong>der</strong>t, also heute sind Themen wie Wissensmanagement als wesentliches<br />

Modul da mit drin, das war vor vier Jahren noch kein Thema. Es dreht sich schneller,<br />

<strong>der</strong> Wandel geht schneller vonstatten, und darüber brauchen sie einen schnelleren<br />

Zugriff auf Wissensmanagement, Informationsmanagement, es gibt nicht umsonst<br />

solche neuen Berufsbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Qualifikationsbil<strong>der</strong>, E-Scout, Informationbroker und<br />

39


solche Geschichten, <strong>der</strong>en man sich bedienen kann, wenn man schnell bestimmte<br />

Informationen braucht. [...] Also es gibt sicher Ergänzungsmöglichkeiten, ich sehe<br />

nicht, dass <strong>zum</strong>indest in unserem Bereich, <strong>der</strong> sich ja mit persönlichen Kompetenzen<br />

hauptsächlich und sozialen Kompetenzen beschäftigt, dass man vollends auf<br />

individuelles Training verzichten kann. Aber wer weiß, wie sich da die virtuellen<br />

Möglichkeiten noch verän<strong>der</strong>n. Also da, wo es um Input geht, um Wissensvermittlung,<br />

um Prozessbegleitung, ja. Wir haben <strong>zum</strong> Beispiel seit August letzten Jahres, also jetzt<br />

über ein Jahr, eine sogenannte Coaching-Hotline eingerichtet.“ (Interview 4, S. 13 f.)<br />

Zugleich wird gelegentlich auch Skepsis gegenüber <strong>der</strong> Lernbereitschaft <strong>der</strong><br />

Mitar<strong>bei</strong>ter mit diesen Medien geäußert (Interview 13, S. 12).<br />

„Das ist ein Thema, mit dem ich mich schon lange beschäftige. Ich weiß, dass es in<br />

vielen Unternehmen diesen Trend in den letzten Jahren gegeben hat, dass also Ar<strong>bei</strong>t<br />

mit CD’s <strong>zum</strong> Beispiel o<strong>der</strong> über Intranet, Internet, interaktionelle Lerngeschichten, das<br />

ist eindeutig ein Trend im Unternehmen, und wir haben jetzt gerade in den letzten<br />

Tagen, also wir haben für uns auch ein Konzept gemacht, dass wir das <strong>zum</strong>indest<br />

ausprobieren wollen. Wir haben mit <strong>der</strong> Angestelltenkammer zusammen kürzlich mal<br />

so ein Pilotprojekt gemacht im EDV-Bereich. Damit haben wir sehr positive<br />

Erfahrungen gemacht. Wir haben festgestellt, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt<br />

sein müssen, also ich fand diese Geschichte mit dem Tutor gut und dass es so eine Art<br />

virtuelles Klassenzimmer gegeben hat, dass eine Betreuung da ist. Unter bestimmten<br />

Bedingungen denke ich auch, dass das was bringen kann, und wir werden das jetzt in<br />

nächster Zeit verstärkt angehen das Thema. Wir wollen <strong>zum</strong>indest ausprobieren, ob das<br />

eine sinnvolle Ergänzung zu den klassischen Lernformen ist. [...] Es wird da viel<br />

passieren in allen Unternehmen, glaube ich, aber ich bin mir nicht sicher, ob das am<br />

Ende eine Lernform sein wird, die sich durchsetzt. Aber das ist vielleicht auch so meine<br />

persönliche Skepsis, weil ich denke, es gehört einfach unglaublich viel auch an<br />

Selbstdisziplin dazu, sich vor die Kiste zu setzen und jetzt seine Übungen zu machen,<br />

wo man eigentlich den Schreibtisch voll hat usw. und sofort.“ (Interview 13, S. 12 f.)<br />

Während die Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung also<br />

eindeutig gesehen und aktiv, wenn auch nicht mit außerordentlichem Engagement<br />

vorangetrieben wird, äußern sich die Experten aus den Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Weiterbildung skeptischer. Dies kommt auch darin <strong>zum</strong> Ausdruck, dass als Reaktion<br />

auf diese Fragen an eine ältere, heute <strong>zum</strong>eist übergangene Unterscheidung zwischen<br />

Weiterbildung und Erwachsenenbildung erinnert wird (Interview 9, S. 12):<br />

„Bildung in dem Sinne, dass ich mehr an Kompetenz erwerbe, wie ich mein Leben<br />

sinnvoll gestalte, das wäre für mich Bildung, das wüsste ich so jetzt nicht, wie das denn<br />

über solche Formen von [...] Lernen gehen sollte. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich<br />

selber auch zu viele Barrieren habe, da sehe ich die Schwierigkeit, und da denke ich<br />

dann, das ist Lernen in Beziehungen, an<strong>der</strong>s geht das nicht.“ (Interview 9, S. 13)<br />

Etwas an<strong>der</strong>e Akzente setzt <strong>der</strong> Experte aus dem Feld <strong>der</strong> politischen Weiterbildung,<br />

<strong>der</strong> die Einsatzmöglichkeiten eher gegeben sieht, vor allem in <strong>der</strong> Kombination von<br />

selbstgesteuertem Lernen und Präsenzlernen:<br />

„Zur Zeit spielt es noch keine Rolle, das wird natürlich in Zukunft eine Rolle spielen,<br />

davon gehe ich aus, weil, ja gut, auch unsere Teilnehmer natürlich zunehmend Zugang<br />

zu neuen Medien haben, damit ar<strong>bei</strong>ten, wenn sie sich auch noch nicht über das Internet<br />

<strong>bei</strong> uns anmelden, über die Datenbank, nein, zur Zeit spielt das keine Rolle, nun muss ja<br />

das selbstgesteuerte Lernen auch nicht unbedingt über neue Medien laufen, wir haben ja<br />

auch Versuche gemacht, das schwedische Modell <strong>der</strong>, dieser sehr kleinen Gruppen [...]<br />

zu machen, aber ich denke mal, für solche, jeweils bisher für solche Lernformen ist<br />

natürlich <strong>der</strong> Bildungsurlaub, wie er <strong>bei</strong> uns bisher ist, auch eher dann kontraproduktiv,<br />

weil er ja eine bestimmte Form voraussetzt. Wir haben das in <strong>der</strong> gewerkschaftlichen<br />

40


Bildungsar<strong>bei</strong>t ja gesehen, als es noch keinen Bildungsurlaub gab, als die Freistellung<br />

deutlich schwieriger war, es deutlich mehr Bildungsar<strong>bei</strong>t in Wochenend- und<br />

Abendform o<strong>der</strong> Tagesseminare am Wochenende durchgeführt wurden. Mit Einführung<br />

des Bildungsurlaubes o<strong>der</strong> Umsetzung des Bildungsurlaubes ist das ja drastisch zurück<br />

gegangen, weil die Leute sagen, warum soll ich mein Wochenende, meinen Abend<br />

hingeben, wenn ich das in <strong>der</strong> Woche freigestellt machen kann. Jetzt kommt es drauf an,<br />

von <strong>der</strong> Organisationsform, wie man das zusammen bringt, aber da ist natürlich noch<br />

ein ganz an<strong>der</strong>es wesentliches, ein an<strong>der</strong>er wesentlicher Aspekt denke ich, <strong>der</strong> da zu<br />

bedenken ist. Politische Bildung hat für mich ganz zentral das, den Aspekt von<br />

Kommunikation miteinan<strong>der</strong>, und elektronisch vermittelte Kommunikation ist eine<br />

Form von Kommunikation, die ganz, ganz viele ja Bereiche von Kommunikation gar<br />

nicht transportieren kann. Eben schon angesprochen, im Verhältnis dieses Problem<br />

Seminare am Ort o<strong>der</strong> Internat. Soziales Lernen als ganz wichtigen Bestandteil so eines<br />

Bildungsprozesses im Bildungsurlaub findet über elektronische Kommunikation nicht<br />

statt. Man müsste also gucken, wie kann man das, was über elektronische<br />

Wissenssammlung, wie kann man das, was an Information, an Wissen elektronisch<br />

gespeichert ist, für Lernprozesse nutzbar machen und trotzdem diesen Aspekt von<br />

sozialem Lernen, von direkter Kommunikation ermöglichen.“ (Interview 12, S. 12 f.)<br />

Zur politischen Bildung wäre sicher auch die Informationsbeschaffung und die<br />

Diskussion in Foren zu rechnen, wo die Einsatzmöglichkeiten <strong>der</strong> neuen Medien,<br />

aber auch die damit verbundenen Schwierigkeiten gesehen werden:<br />

„Also, politische Bildung ist ein weites Feld. Man kann natürlich, also wenn es darum<br />

geht, sich Informationen zu beschaffen, natürlich, also noch ist es schwierig, also ich<br />

bin selbst noch nie in den Mailbox eingestiegen, aber ich sehe das <strong>bei</strong> an<strong>der</strong>en Leuten,<br />

<strong>bei</strong> den Jugendlichen, die das machen, die einen Blick dafür haben, mit wem sie gerade<br />

chatten, obwohl zehn an<strong>der</strong>e Meldungen dazwischen sind, aber das ist schwierig. Wir<br />

haben im Bereich von Mitar<strong>bei</strong>terfortbildung solche Sachen probiert. Im Rahmen <strong>der</strong><br />

internationalen Bildungsar<strong>bei</strong>t haben wir eine Reihe von Fortbildungsangeboten gerade<br />

in <strong>Bremen</strong> gemacht mit LIS zusammen gemacht, wo wir dann solche Sachen gemacht<br />

haben wie Foren eingerichtet haben auf dem Server, wo man angefangen hat zu ar<strong>bei</strong>ten<br />

und wo dann Leute halt nach Hause gehen und Sachen einbringen sollten, um Sachen<br />

weiter zu entwickeln, und das hat in aller Regel nicht hingehauen, das hat nicht<br />

hingehauen. [...] Aber wenn man zu Hause ist, hat man den Alltag <strong>der</strong>maßen wie<strong>der</strong>,<br />

und dann ist das soweit weg, dann sind an<strong>der</strong>e Sachen wichtiger, und sagen wir mal, die<br />

Verwertungsmöglichkeit, was man sich verspricht an Nutzeffekt, wenn man sich da<br />

noch wie<strong>der</strong> einklinkt, ist wahrscheinlich so gering und die Mühe doch so relativ hoch.<br />

Zudem muss man sagen, dann ist das ja immer noch, noch <strong>zum</strong>indest, mit deutlich<br />

technischen Schwierigkeiten verbunden, wie oft brechen die Netze zusammen, wie<br />

lange dauert es, es kostet auch noch Geld und so etwas, aber wir haben <strong>bei</strong>, auf den<br />

Servern, haben wir [...] in Düsseldorf, <strong>der</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule Hagen liegt, so ein<br />

Teamernetzwerk eingerichtet und haben dort Bausteine, stellen dort Bausteine zur<br />

Verfügung für Seminare, für internationale Seminare, also wo Leute aus verschiedenen<br />

Nationen zusammen kommen, ist das gedacht, aber das kann man auch in an<strong>der</strong>en<br />

Seminaren anwenden. Wir haben so Bausteine, <strong>zum</strong> Beispiel so Platzerkundungen<br />

gemacht, mit welchen Schritten kann man sich einen Ort, in dem man eine Woche leben<br />

will, eigentlich erschließen, und solche Sachen stehen dort zur Verfügung.“ (Interview<br />

12, S. 13 f.).<br />

Die Weiterbildungspolitik hat bereits seit längerem ein beson<strong>der</strong>es Gewicht auf die<br />

För<strong>der</strong>ung des Lernens mit neuen Medien gelegt, eine Akzentsetzung, die den<br />

Regierungswechsel überdauert hat und inzwischen auch in <strong>Bremen</strong> vorangetrieben<br />

wird:<br />

„Ich glaube, dass wir über einen mittelfristigen Zeitraum eine Ergänzung haben werden.<br />

Das hängt nicht nur damit zusammen, dass es so notwendig wäre, son<strong>der</strong>n das hängt,<br />

glaube ich, auch damit zusammen, dass die Organisationen, die das absichern müssen,<br />

41


Konsequenzen<br />

für Weiterbildungspersonal<br />

dass das möglich ist, dass die Infrastruktur sich noch nicht umstellt und sich auch so<br />

schnell nicht umstellen wird. Das als Sparmodell zu diffamieren, finde ich zu kurz<br />

gegriffen. Da muß man dann mal gucken. Im Moment ist es so, dass mit dem Stichwort<br />

lebenslanges Lernen in Kombination mit Multimedia zusätzliche<br />

Finanzierungsmöglichkeiten verbunden werden. Überall werden Son<strong>der</strong>programme<br />

aufgelegt und Millionen werden reingeschossen, so auch in <strong>Bremen</strong> sind 100 Millionen<br />

im Gespräch. Das ist für unser Bundesland nicht wenig nur für dieses Thema. Und zwar<br />

auch nicht so, wenn Sie von diesem Spargedanken her kommen, müßte man ja meinen,<br />

dass <strong>der</strong> Staat versucht, das alles den Betrieben zuzuschustern, sich zurückzuziehen auf<br />

eine rein teilbereichsteuernde und ansonsten akzeptierende und zulassende Funktion,<br />

und das sehe ich nicht. Son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Versuch, die hoheitlichen Aufgaben, die da sind in<br />

<strong>der</strong> Erstausbildung und im Hochschulbereich, zu kombinieren mit diesen neuen o<strong>der</strong><br />

anzupassen an diese neuen Lernmöglichkeiten, hat nicht nur den Blick darauf, die<br />

Finanzen zu verlagern, son<strong>der</strong>n geht auf Betriebe ja auch inhaltlich ganz an<strong>der</strong>s zu. Bei<br />

<strong>der</strong> Erstausbildung, an dem Punkt finde ich es <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Erstausbildung wirklich am<br />

deutlichsten. Wir haben ein teures Berufsschulsystem, und wir haben Betriebe, die für<br />

sich ar<strong>bei</strong>ten. Wenn wir in <strong>der</strong> Lage wären, das effektiver miteinan<strong>der</strong> zu verzahnen,<br />

wir würden dem einzelnen Jugendlichen einen Riesengefallen tun, wir würden dem<br />

Betrieb einen großen Gefallen tun und wir würden Geld sparen. Aber letzteres wirklich<br />

als letztes hinten rangehängt, und wenn es in einer solchen Reihenfolge läuft, ist es eine<br />

gute Kombination. Ich finde auch, dass wir, was unseren Bereich Weiterbildung angeht,<br />

stärker auf die Kompetenzen zugehen müssen, die wir in den Hochschulen finden.<br />

Wissenschaftliche Weiterbildung ist mir vorhin aus dem Blick geraten, haben wir früher<br />

nicht gehabt, ein ganz wichtiger Bereich, <strong>der</strong> unheimlich hochzieht. Also die<br />

Weiterbildung, die die Hochschulen anbieten, hat es schon lange gegeben, hat aber in<br />

<strong>Bremen</strong> <strong>zum</strong> Beispiel nie eine beson<strong>der</strong>s herausragende Rolle gespielt. Das än<strong>der</strong>t sich,<br />

und ich glaube, es ist für die Weiterbildungseinrichtungen auch keine Bedrohung,<br />

son<strong>der</strong>n auch eine Ergänzung. Es kommen an<strong>der</strong>e Segmente auch mit dazu.“ (Interview<br />

10, S. 7)<br />

Gefragt nach den Konsequenzen, die <strong>der</strong> verstärkte Einsatz neuer Medien für das<br />

disponierende Personal in Weiterbildungseinrichtungen wohl haben werde, erwarten<br />

die Experten <strong>zum</strong>eist keine gravierenden Verän<strong>der</strong>ungen ihres Aufgabenfeldes und<br />

ihrer Kompetenzanfor<strong>der</strong>ungen. Selbstverständlich müssen auch die Mitar<strong>bei</strong>ter in<br />

Weiterbildungseinrichtungen heute über „Internettauglichkeit“ (Interview 4, S. 15)<br />

verfügen. Das klassische Feld <strong>der</strong> Weiterbildung und Personalentwicklung werden<br />

neue Medien aber „nicht fachlich beeinflussen, nicht ersetzen, nein, überhaupt nicht“<br />

(Interview 5, S. 12). Erwartet wird, dass disponierende Tätigkeiten durch die neuen<br />

Medien angereichert, aber nicht verän<strong>der</strong>t werden:<br />

„Nein, das glaube ich nicht. Es wird einfach, es wird sozusagen die Aufgabe ein Stück<br />

anreichern, dass man sich eben auch mit dieser Lernform auseinan<strong>der</strong> setzen muss, dass<br />

man sich überlegen muss, ich denke gerade <strong>bei</strong> Verhaltensgeschichten kann man das<br />

meiner Meinung nach nie losgelöst von irgendeinem Training machen, also man kann<br />

ein paar vorbereitende Sachen machen und dann muss aber ein Training da ankoppeln,<br />

also wird es darum gehen, wie kriegt man das sauber hin, also eine Schnittstelle sauber<br />

hin bzw. wie kriegt man das hin, dass die richtigen Sachen mit dem richtigen Medium<br />

vorher gemacht werden und dann sozusagen <strong>der</strong> Transfer in das Training. Und es<br />

könnte, also die Unternehmen, die so etwas in größerem Stil betreiben, also die machen<br />

sich natürlich ihre CBT‘s selber, also die kaufen keine Standardsachen, son<strong>der</strong>n die<br />

entwickeln für bestimmte Belange selbst irgendwelche CD’s und ja, dann muss man<br />

sich damit beschäftigen, ob man das machen kann o<strong>der</strong> man einkauft o<strong>der</strong> wie muss so<br />

ein Ding aussehen, also was gibt es für methodisch-didaktische Sachen zu überlegen,<br />

das ist eher so ein Stück Anreicherung, aber ich glaube nicht, dass das die Ar<strong>bei</strong>t<br />

wirklich verän<strong>der</strong>t. Die entscheidende wirkliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Aufgabe des<br />

Personalentwicklers ist für mich wirklich dieser Bereich Organisationsentwicklung.<br />

Weil das ist wirklich ein ganz neues Ar<strong>bei</strong>tsfeld, das sind Aufgaben, da kommt man mit<br />

42


Zukunftsmodelle<br />

dem klassischen Repertoire an pädagogischen Kenntnissen nicht mehr weiter.“<br />

(Interview 13, S. 14)<br />

So heißt es im Bereich <strong>der</strong> politischen Bildung:<br />

„Ja gut, sie würden einmal darin bestehen, dass man sich mit dem Handwerkszeug<br />

Internet und Computer und <strong>der</strong> entsprechenden Software noch an<strong>der</strong>s vertraut machen<br />

muss als jetzt, also ich kann keine Homepage entwickeln, und wenn man für alle solche<br />

Sachen immer die Spezialisten braucht, die einem das erstellen, dann wird das<br />

schwierig.“ (Interview 12, S. 14)<br />

Als gravieren<strong>der</strong> werden die Verän<strong>der</strong>ungen für die Lehrenden in <strong>der</strong> Weiterbildung<br />

beschrieben. So heißt es in dem Interview mit einem Verantwortlichen aus einer<br />

öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung:<br />

„Dazu gehört, dass die Dozenten sich entsprechend qualifizieren und schulen müssen.<br />

Das ist das größte Problem, das allergrößte. Die EDV-Dozenten nicht, die kriege ich<br />

immer dazu, aber das wird sich in viele an<strong>der</strong>e Bereiche reinmischen. [...] Das an<strong>der</strong>e<br />

ist, dass man sich natürlich <strong>bei</strong>m Entwurf Planung von Weiterbildungsmaßnahmen<br />

natürlich genaue Gedanken machen muss, wie kann man diese neuen Techniken denn<br />

einsetzen, sinnvoll, und das gibt es große Wie<strong>der</strong>stände, das will ich gar nicht<br />

verhehlen, also wir wollten das einführen in eine reine betriebswirtschaftliche<br />

Maßnahme und da hat sich die Planerin schwer gegen gewährt und gesagt, das weiß<br />

man gar nicht ob die Teilnehmer dazu geeignet sind, hat dann einen Dozenten gefragt<br />

und hat gesagt, würdest du das denn machen, <strong>der</strong> hat alle Hände über dem Kopf<br />

zusammen geschlagen und gesagt, dann funktioniert ja keine Kommunikation mehr und<br />

gerade die müssten ja mehr kommunizieren. Gut, also solche Wie<strong>der</strong>stände sind, ich<br />

weiß nicht, ob sie zu überwinden sind, aber das ist so. Wir haben in einigen Seminaren,<br />

also Aufstiegsfortbildungsseminaren, Fachwirte, Fachkaufleute, Befragungen gemacht<br />

über den Einsatz solcher Selbstlernprogramme und da war es so, dass 67% solche Dinge<br />

gut finden, schon Erfahrung damit haben, <strong>der</strong> größte Teil hatte Erfahrung damit, was<br />

uns sehr überrascht hat und immer relativ gute Erfahrungen mit Selbstlernprogrammen<br />

und die wären bereit und fänden es gut, wenn wir in dem Bereich so was wie gemischte<br />

Weiterbildung anbieten, also Präsenzphasen mit Selbstlernphasen. Und da muss<br />

natürlich dann <strong>der</strong> Pädagoge ran und muss solche Konzepte entwerfen, also <strong>bei</strong>m<br />

Dozenten und <strong>bei</strong>m Pädagogen liegt das größte Problem, weil die meisten sich mit<br />

dieser Technik nicht auskennen, nicht wissen was man damit machen kann und, und,<br />

und.“ (Interview 14, S. 12 f.)<br />

Insgesamt also wird die Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien für das Lehren und Lernen in<br />

<strong>der</strong> Wissensgesellschaft wesentlich nüchterner eingeschätzt, als es für die oft<br />

aufgeregte öffentliche Debatte charakteristisch ist. Wesentlich präziser aber werden<br />

die Aspekte herausgestellt, die in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion zur Zeit noch nicht<br />

genügend bedacht werden: <strong>zum</strong> einen <strong>der</strong> Bedarf an Organisationsentwicklung, <strong>der</strong><br />

durch die neuen Medien generiert wird und <strong>der</strong> die Ar<strong>bei</strong>t des disponierenden<br />

Personals, z.B. in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den Lehrkräften, verän<strong>der</strong>n wird, <strong>zum</strong><br />

an<strong>der</strong>en die Spezifika des Lehrens und Lernens mit neuen Medien, die bisher noch<br />

zu sehr als Varianten traditioneller Lernformen in einem neuen Medium betrachtet<br />

werden. Wie es bereits in dem letzten Interviewausschnitt anklingt, scheinen <strong>der</strong>zeit<br />

vor allem sogenannte Verbundsysteme aus tutoriell betreuten Präsenzphasen<br />

und selbstorganisierten Lernphasen mit neuen Medien aussichtsreiche<br />

Zukunftsmodelle darzustellen, Lernformen also, die sich nicht mehr in die einfache<br />

Unterscheidung von organisiert und selbstorganisiert einordnen lassen. Das wird <strong>zum</strong><br />

einen die Verantwortung <strong>der</strong> Lehrkräfte für gelingende Lehr-Lern-Prozesse stärken,<br />

<strong>zum</strong> an<strong>der</strong>en neue Anfor<strong>der</strong>ungen an diese Mitar<strong>bei</strong>ter in <strong>der</strong> Beratung und<br />

43


Allgemeine<br />

Entwicklungen<br />

und Einschätzungen<br />

Zum Wandel von<br />

Zeitstrukturen<br />

Mo<strong>der</strong>ation z.T. individualisiert lernen<strong>der</strong> Lerngruppen stellen. Hier besteht in <strong>der</strong><br />

Tat noch ein großer Fortbildungsbedarf.<br />

8. Zum Verhältnis von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit<br />

Wenn man die Verän<strong>der</strong>ungen im Verhältnis von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit –<br />

für die <strong>der</strong> Bildungsurlaub ja nur eine, wenn auch bildungspolitisch beson<strong>der</strong>s<br />

wichtige Variante ist – einschätzen will, die die sich etablierende<br />

Wissensgesellschaft erfor<strong>der</strong>t, so lohnt ein kurzer Rückblick in die Geschichte.<br />

Gesellschaftliche Mo<strong>der</strong>nisierung, wie sie sich als Industriealisierung und<br />

Demokratisierung in Europa insbeson<strong>der</strong>e seit <strong>der</strong> Aufklärung durchgesetzt hat, läßt<br />

sich begreifen als ein fortschreiten<strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Ausdifferenzierung von Lebenszeit<br />

in Lernzeiten, (Erwerbs-) Ar<strong>bei</strong>tszeiten und Freizeiten. Während die vormo<strong>der</strong>ne<br />

Erziehungswelt des „ganzes Hauses“ Ar<strong>bei</strong>ten, Leben und Lernen noch<br />

„ganzheitlich“ betrachtete und „unter einem Dach“ vereinte, differenzieren sich mit<br />

<strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> Industriegesellschaft unter teils schmerzhaften<br />

Anpassungsleistungen <strong>der</strong> Individuen differente, im Lebenslauf aufeinan<strong>der</strong>folgende<br />

und zugleich kollektiv verbindliche Zeitstrukturen heraus: Lernen, um zu ar<strong>bei</strong>ten,<br />

um zu leben, so könnte man das Mo<strong>der</strong>nisierungsprogramm <strong>der</strong><br />

Industriegesellschaft zusammenfassend charakterisieren.<br />

Diese Trennung von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit war eine wichtige<br />

Konstitutionsbedingung auch für organisierte Erwachsenenbildung. Auffällig ist nun,<br />

dass diese Ausdifferenzierung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft wie<strong>der</strong> rückgängig<br />

gemacht zu werden scheint, ablesbar etwa an <strong>der</strong> Auf- und Anfor<strong>der</strong>ung, lebenslang<br />

und nicht nur in begrenzten Lebensphasen zu lernen, an <strong>der</strong> Flexibilisierung und<br />

Individualisierung von Ar<strong>bei</strong>tszeiten bis hin zu häuslicher Telear<strong>bei</strong>t, an <strong>der</strong><br />

Aufwertung lebenswelt- und ar<strong>bei</strong>tsplatznaher Lernformen, an <strong>der</strong> Verknüpfung von<br />

Bildungs- und Freizeitinteressen etwa in <strong>der</strong> Erlebnispädagogik o<strong>der</strong> <strong>bei</strong><br />

Bildungsreisen, vor allem aber an den neuen Informations- und<br />

Kommunikationstechniken, die zeit- und ortsunabhängiges Ar<strong>bei</strong>ten und Lernen<br />

zulassen. Von diesem Wandel <strong>der</strong> Zeitstrukturen ist Erwachsenenbildung in<br />

fundamentaler Weise betroffen, verfügt sie doch an<strong>der</strong>s als etwa das Schul- o<strong>der</strong><br />

Beschäftigungssystem über keine gesetzlich o<strong>der</strong> tarifvertraglich abgesicherte<br />

„Eigenzeit“. Vielmehr musste sie immer schon und heute verstärkt ihre Zeiten in<br />

wechselseitigen Suchbewegungen von Anbietern, Nutzern, Mitar<strong>bei</strong>tern und<br />

Adressaten je neu finden.<br />

Will man den Wandel von Zeitstrukturen kurz zusammenfassen, so lassen sich als<br />

auffälligste Trends benennen: eine erhöhte Lebenserwartung, längere<br />

Ausbildungszeiten und flexibilisierte Lebens- und Wochenar<strong>bei</strong>tszeiten. Dies<br />

alles verän<strong>der</strong>t auch den Umfang und die Nutzung freier Zeit grundlegend. Auf <strong>der</strong><br />

einen Seite ist die verfügbare freie Zeit in den vergangenen Jahrzehnten deutlich<br />

angewachsen, teils ermöglicht, teils erkämpft, teils aufgenötigt durch höhere<br />

Lebenserwartung, durch Ar<strong>bei</strong>tszeitverkürzungen o<strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit. Auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite wird unter den Bedingungen flexibilisierter Beschäftigung freie Zeit<br />

immer individueller und fragmentierter, damit weniger planbar und mit an<strong>der</strong>en<br />

44


Wandel in den<br />

Veranstaltungsformen<br />

synchronisierbar. Zudem schreitet die Ökonomisierung <strong>der</strong> Freizeit voran, ihre<br />

Nutzung wird dichter und stärker verplant, aufgebraucht durch pausenlose<br />

Kommunikation, Unterhaltung, Abwechslung, Erlebnisse und Events, die mit<br />

Lerninteressen konkurrieren und diese überlagern. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

Weiterbildungseinrichtungen, die in Internatsform ar<strong>bei</strong>ten, mußten in den letzten<br />

Jahren erfahren, dass die Erwartungen <strong>der</strong> Adressaten an Ausstattung,<br />

Ernährung und Komfort steigen: Wenn die Freizeit für Lernzwecke genutzt wird<br />

bzw. genutzt werden muß, dann scheint damit die Erwartung einherzugehen,<br />

Weiterbildung möge mindestens einen Teil leisten, was sonst von <strong>der</strong> Freizeit<br />

erwartet wird: Unterhaltung, Spaß, Anregung, Erholung.<br />

Eine Reaktion <strong>der</strong> Weiterbildung auf diese Trends bestand in den vergangenen<br />

Jahren darin, dass sie ihre Ar<strong>bei</strong>t „veralltäglicht“ hat. Diese „Veralltäglichung“ hat<br />

nicht nur eine thematische und funktionale, son<strong>der</strong>n auch eine organisatorische Seite:<br />

Weiterbildung wird auch in zeitlicher Hinsicht ein alltägliches Geschehen. An <strong>der</strong><br />

Universität Bielefeld wurde vor einigen Jahren ein Forschungsprojekt zur<br />

Verträglichkeit individueller, kollektiver und institutioneller „Zeitfenster“ in <strong>der</strong><br />

Erwachsenenbildung begonnen (zur ersten Information NAHRSTEDT/ BRINKMANN<br />

1997). Beobachtet wurde ein Trend hin zu flexibleren, kompakteren und<br />

„alltäglicheren“ Veranstaltungsformen und –zeiten, <strong>der</strong> sich auch an <strong>der</strong><br />

bremischen Weiterbildungslandschaft aufzeigen läßt. Die folgende Tabelle<br />

dokumentiert die Entwicklung des Anteils von Veranstaltungsformen am<br />

Gesamtangebot anerkannter Weiterbildungsanbieter in <strong>Bremen</strong> seit 1979.<br />

Tabelle 4: Bedeutung von Veranstaltungsformen nach Jahren<br />

Erhebungsjahr<br />

Veranstaltungsformen 1979 1992 1996/97<br />

N=1652 N=2859 N=3137<br />

in % in % in %<br />

Vorträge, Vortragsreihen 2,2 3,2 2,0<br />

Kurse 65,7 40,1 39,8<br />

Tages-, Mehrtagesseminare 3,1 7,9 9,9<br />

Bildungsurlaub 18,2 24,7 26,6<br />

Wochenendseminare 6,2 14,4 14,6<br />

Lehrgänge 1,4 2,6 4,0<br />

Sonstige 3,3 7,0 3,3<br />

Summe 100,0 100,0 100,0<br />

Danach verliert <strong>der</strong> traditionelle (Abend-) Kurs (auch in <strong>der</strong> beruflichen<br />

Weiterbildung) an Bedeutung, Zugewinne entfallen vor allem auf Tages- und<br />

Mehrtagesseminare. So nimmt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Veranstaltungen, die am Tage<br />

stattfinden, kontinuierlich zu. Fand 1979 noch etwa jede dritte Veranstaltungsstunde<br />

am Abend statt, so hat sich dieser Anteil bis in die 90er Jahre hinein halbiert; heute<br />

finden fast 80% aller Unterrichtsstunden tagsüber (vormittags, nachmittags,<br />

ganztags) statt. Aber nicht nur <strong>der</strong> Tag wird zunehmend als Lernzeit genutzt, son<strong>der</strong>n<br />

auch das Wochenende. Das gilt bis hinein in die innerbetriebliche Weiterbildung, die<br />

45


vermehrt Freizeitanteile <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>ter einfor<strong>der</strong>t (KUWAN/<br />

WASCHBÜSCH 1994, S. 86). Abgesehen von <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung in<br />

Lehrgangsform, wie sie insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>tsamtsfinanzierten Weiterbildung<br />

nach wie vor bedeutsam ist (allerdings auch hier inzwischen mit kürzeren<br />

Laufzeiten), finden vor allem kürzere, kompaktere Veranstaltungen eine wachsende<br />

Nachfrage.<br />

Diese Veralltäglichung und Fragmentierung von Zeitstrukturen macht es für<br />

Weiterbildungsanbieter schwieriger und aufwändiger, gemeinsame „Zeitfenster“ zu<br />

identifizieren. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite eröffnen divergierende Zeitstrukturen im<br />

Verbund mit neuen Informations- und Kommunikationstechniken aber auch neue<br />

und pädagogisch interessante Möglichkeiten. Neue Formen von Eigen- und<br />

Heimar<strong>bei</strong>t werden nicht nur unter Kostengesichtspunkten interessant, weil so die<br />

zunehmend private Finanzierung von Weiterbildung forciert werden kann. Vielmehr<br />

erlauben multimediale Lernprogramme, Online-Seminare, E-Mail-Tandems usw.<br />

auch, einen Teil <strong>der</strong> individuell nötigen Lernar<strong>bei</strong>t aus den organisierten<br />

Veranstaltungen an den Ar<strong>bei</strong>tsplatz o<strong>der</strong> nach Hause zu verlagern. Die<br />

Einrichtung solcher Lernverbünde läßt sich häufig, z.B. im Sprachenbereich, auch<br />

fachdidaktisch (mit <strong>der</strong> Individualisierung <strong>der</strong> Lernbedarfe, die sich auf differente<br />

„operative Sprachniveaus hin bewegen) gut begründen. Damit werden einerseits die<br />

Lernarrangements einzigartiger, die Anfor<strong>der</strong>ungen an die Lernenden intensiver, z.B.<br />

im individuellen Zeitmanagement, zugleich aber auch Teile des Lernprozesses<br />

standardisierter und extern verantwortet. Mit <strong>der</strong> Entwicklung neuer Formen <strong>der</strong><br />

Integration von organisiertem und selbstorganisiertem Lernen verlagert sich<br />

<strong>der</strong> Aufgabenbereich des Planungspersonals <strong>zum</strong> einen auf die Einrichtung von<br />

Lernarrangements, an<strong>der</strong>erseits kommen neue Anfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />

Lernberatung auf sie zu. Die eigentliche (makro- und mikro-) didaktische<br />

Ar<strong>bei</strong>t aber wird von den Lehrenden erbracht. Auf die Folgen für die<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen <strong>bei</strong>den Gruppen und die zusätzlichen Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

die Lehrenden komme ich noch zurück.<br />

Angesichts <strong>der</strong> Bedeutung, die Weiterbildung und Personalentwicklung allenthalben<br />

erlangt hat, ist unbestritten, dass in Zukunft mehr Zeit für Lernen und Weiterbildung<br />

aufgewandt werden muß, insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn sich Normalerwerbs- zu<br />

Patchwork-Biographien (Interview 6, S. 16) wandeln:<br />

„Wir betrachten Lernen als Investition, was ich sagte, <strong>der</strong> grundsätzliche Ansatz ist,<br />

Lernen eben nicht stattfinden zu lassen auf dem Erwerb von eh gegebenem Wissen,<br />

son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Erlangung von Fähigkeiten für die Zukunft, und da können wir gar nicht<br />

genug Zeit in <strong>der</strong> Organisation haben.“ (Interview 7, S. 19)<br />

Auf die Entstrukturierung von Ar<strong>bei</strong>ts- und Lernzeiten reagieren die<br />

Weiterbildungseinrichtungen und Unternehmen in unterschiedlicher Weise. Die<br />

Unternehmen bevorzugen ganz eindeutig individuelle Ar<strong>bei</strong>tszeitregelungen<br />

(Interview 3, S. 18):<br />

„Wir bieten heute unseren Mitar<strong>bei</strong>tern eigentlich alle Möglichkeiten an, die <strong>der</strong><br />

Vorgesetzte in Abstimmung mit den Mitar<strong>bei</strong>tern für sinnvoll hält, das heißt, wir<br />

schränken uns heute nicht ein, wenn wir unsere bestehenden Rahmenbedingungen dafür<br />

nutzen können, dass Mitar<strong>bei</strong>ter sämtliche Modelle nutzen können, wir haben also<br />

Modelle, die in Richtung Jahresar<strong>bei</strong>tszeit gehen angefangen, dass Leute also dann<br />

46


Lernzeiten und<br />

Lernorte<br />

Grenzen <strong>der</strong><br />

Flexibilisierung<br />

wirklich blockieren und Zeiten für an<strong>der</strong>e Dinge nutzen. Wir haben Fälle, wo also<br />

Leute, die in sehr verantwortlichen Spezialistenproduktionen sind, selbst einen<br />

Personalbereich in dem Fall, das sie neben<strong>bei</strong> studieren auch, dass wir sie dafür frei<br />

stellen. Wir haben Fälle, wo Leute zu Hause ar<strong>bei</strong>ten, also auch wichtig, nicht nur <strong>der</strong><br />

normale Sachbear<strong>bei</strong>ter, also wir haben es richtig <strong>bei</strong> Spezialisten auch, und wir haben<br />

sogar <strong>bei</strong> Führungskräften, dass die sogar ihre Ar<strong>bei</strong>tszeit reduziert haben, und ich<br />

denke, das ist auch ein Trend, <strong>der</strong> zunehmend wichtiger wird, dass sich Ar<strong>bei</strong>t auch<br />

nach Hause stärker verlagern wird, dass es nicht mehr festgebunden ist an einen Ort,<br />

wenn wir sagen, dass sich die Weiterbildung auch nach Hause verlagert, denke ich wird<br />

sich die Ar<strong>bei</strong>t stärker nach Hause verlagern. Themen wie Telear<strong>bei</strong>t, Office wird<br />

zunehmend an Bedeutung gewinnen, als etwas konservative Branche sind wir da<br />

sicherlich noch in den Anfängen auch, aber wir haben eine Quote von knapp 15%, die<br />

heute schon im Teilzeitbereich auch <strong>bei</strong> uns ar<strong>bei</strong>ten, das heißt, wir haben da schon was<br />

Ar<strong>bei</strong>tszeitreduzierung angeht im Durchschnitt in <strong>der</strong> Bundesrepublik eine sehr gute<br />

Quote auch.“ (Interview 3, S. 18 f.)<br />

Insgesamt will man weg von <strong>der</strong> Zeit- und hin zur Ergebnisorientierung, man<br />

sei im Prinzip morgen in <strong>der</strong> Lage, den Begriff Ar<strong>bei</strong>tszeit aus dem Vokabular zu<br />

streichen (Interview 7, S. 20):<br />

„Also ich glaube, dass diese Segmentierung Job, Privatleben, Urlaub, dass diese<br />

Segmentierung fließen<strong>der</strong> werden wird. Ich glaube, dass sich, wenn man als<br />

Unternehmen in <strong>der</strong> Lage wäre, Mitar<strong>bei</strong>ter als Mitglied des Fußballteams zu gewinnen,<br />

den Spaß am Sport, das Kennen <strong>der</strong> Regeln, auch den Spaß am Gewinn, den Spaß an<br />

Fairness kreieren könnte, dann wäre so meine Vorstellung, dass ein Mitar<strong>bei</strong>ter o<strong>der</strong><br />

eine Mitar<strong>bei</strong>terin ganz einfach das Gutsein relativ <strong>zum</strong> Wettbewerb als eine sehr<br />

interessante Adresse für persönliche Entwicklung, unabhängig jetzt mal von Beruf o<strong>der</strong><br />

Privat.“ (Interview 7, S. 20)<br />

Das erfor<strong>der</strong>t auch neue Formen <strong>der</strong> Organisationsbildung:<br />

„Ich glaube, das Industrieunternehmen nicht mehr so große Gebäude brauchen, dass<br />

Industrieunternehmen sich mehr formulieren müssen über tatsächliche<br />

Gemeinsamkeiten, so eine Hülle Gebäude ist ja ganz nett, so tatsächlich<br />

Gemeinsamkeiten, und die können nur über Identifikation mit Produkt kommen, die<br />

können nur über Identifikation mit Perspektiven kommen, die können nur über<br />

Identifikation mit <strong>der</strong> Klasse von Persönlichkeiten kommen. Die werden überall<br />

draußen sein auf diesem Planeten.“ (Interview 7, S. 21)<br />

Mit <strong>der</strong> Flexibilisierung <strong>der</strong> Lernzeiten wandeln sich auch die Orte, an denen sich<br />

Erwachsene neues Wissen aneignen, an<strong>der</strong>en vermitteln o<strong>der</strong> in gemeinsamer Praxis<br />

erar<strong>bei</strong>ten. Der Wandel von <strong>der</strong> angebots- zur nachfrageorientierten und<br />

prozessbegleitenden Ar<strong>bei</strong>tsweise, <strong>der</strong> insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> innerbetrieblichen<br />

Weiterbildung zu beobachten ist, hat Folgen für die Lernorte. Aus Kostengründen,<br />

aber auch in <strong>der</strong> Hoffnung auf bessere Transferergebnisse wurden in den letzten<br />

Jahren energische Versuche unternommen, das Lernen näher an die Lebenswelten<br />

und Ar<strong>bei</strong>tsorte <strong>der</strong> Lernenden heranzuführen. Gerade in <strong>der</strong> innerbetrieblichen<br />

Weiterbildung bietet u.a. <strong>der</strong> Einsatz <strong>der</strong> neuen Informations- und<br />

Kommunikationstechniken, in <strong>der</strong> Form von Offline-Medien, des Intranets o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Bereitstellung von Internet-Zugängen verbesserte Möglichkeiten des<br />

ar<strong>bei</strong>tsplatznahen Lernens. Auf diesen unabweisbaren Trend wurde in den<br />

vorangegangenen Kapiteln mehrfach hingewiesen.<br />

Daher sollen an dieser Stelle vor allem die Grenzen <strong>der</strong> Flexibilisierung von<br />

Lernzeiten und Lernorten erwähnt werden, die von den Experten dieser<br />

Untersuchung sehr klar gesehen und benannt werden. Denn die Favorisierung und<br />

47


Das Beispiel<br />

Bildungsurlaub<br />

Bildungsurlaub<br />

gestern und<br />

heute<br />

verstärkte Nutzung bedarfsgerechter, ar<strong>bei</strong>tsplatznaher Weiterbildung<br />

bedeutet keinesfalls, dass Weiterbildung auf eigene Orte o<strong>der</strong> Zeiten verzichten<br />

könnte o<strong>der</strong> gar dürfte. Die Intensivierung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsbelastung macht<br />

Ar<strong>bei</strong>tsplätze mehr noch als bisher schon zu „lernfeindlichen“ Orten, und auch die<br />

Verwissenschaftlichung <strong>der</strong> Lerngegenstände erschwert ein Lernen direkt am<br />

Ar<strong>bei</strong>tsplatz. Zumal die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen<br />

erscheint nur möglich in geschützten Räumen und handlungsentlasteten<br />

sozialen Interaktionen, also kaum mit Hilfe von Medien o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Selbstlernmaterialien:<br />

„Wenn ich anbiete, dann mache ich das ortsnah, aber nicht im Betriebszusammenhang,<br />

so, das heißt Konferenzhotel. [...] Da glaube ich, dass die sehr gut unterscheiden<br />

können, die, die ich kenne, was sie für welche Situationen brauchen, weil sie selber<br />

Erfahrungen haben damit und weil sie auch selber den Effekt einschätzen können, dass<br />

das mal Rauskommen durchaus positiv sein kann und dass sie dann unterscheiden,<br />

wenn es sich wirklich um sagen wir originäre Dinge handelt, wo man auch mal<br />

vielleicht gucken muss, wie organisieren wir das jetzt neu, dass man es im Betrieb<br />

macht, dass man aber ansonsten durchaus auch sagt, lass diesen Muff, diese Routine,<br />

lass die mal ein Stück weit draußen vor, und wir suchen uns jetzt mal einen an<strong>der</strong>en Ort<br />

und nutzen die Chance dieses an<strong>der</strong>en Ortes, wo man einfach mal etwas irritiert an<strong>der</strong>s<br />

auch über Dinge nachdenken kann. Da glaube ich, dass <strong>bei</strong> den Preisen, die da so<br />

gehandelt werden, ist das auch marginal.“ (Interview 6, S. 7 f.)<br />

Zwar wird die Dauer <strong>der</strong> Veranstaltungen eingeschränkt, aber die Lernorte sollten<br />

nach wie vor möglichst außerhalb des Betriebes bzw. des Ar<strong>bei</strong>tsplatzes sein.<br />

Auf die Frage, ob Organisationsentwicklungsmaßnahmen ar<strong>bei</strong>tsplatznah realisiert<br />

werden, antwortet ein Experte entschieden:<br />

„Nein. Also wir machen das nach wie vor so, dass wir, wenn es irgend geht, alles<br />

außerhalb des Betriebes machen, dass man natürlich besser lernen kann, wenn man<br />

Abstand hat, wenn man eine an<strong>der</strong>e Umgebung hat, und sie werden einfach auch nicht<br />

gestört, es rufen keine Leute an, es kommen keine Leute vor<strong>bei</strong>.“ (Interview 13, S. 10)<br />

Noch schärfer wird dies von einem Experten formuliert, <strong>der</strong> Weiterbildungsangebote<br />

für eine spezifische Zielgruppe (Netzwerkbetreuer) anbietet und durchführt:<br />

„Das sind, das müssen eigentlich klassische Klassenraum- o<strong>der</strong> Laborumgebungen sein,<br />

denn das in <strong>der</strong> Produktivumgebung ein bisschen was zu experimentieren, man will<br />

natürlich auch ein bisschen die Fehler natürlich ausmerzen, das heißt, wo liegen meine<br />

Fehler, wo kann ich in einer laufenden Produktivumgebung jetzt wirklich den Fehler<br />

meines Lebens lernen und das System <strong>zum</strong> Stillstand bringen. Wenn wir das in <strong>der</strong><br />

Produktivumgebung trainieren würden, ich glaube, dann würden wir nach Hause<br />

geschickt. Das kann man vergessen. Es muss mindestens eine Laborumgebung gegeben<br />

sein.“ (Interview 16, S. 5)<br />

Vor dem Hintergrund aktueller bildungspolitischer Diskussionen in <strong>Bremen</strong> o<strong>der</strong><br />

Nordrhein-Westfalen kommt dem Bildungsurlaub als einer Form, das Verhältnis<br />

von Ar<strong>bei</strong>tszeit und Lernzeit zu verän<strong>der</strong>n, eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu. Mit<br />

<strong>der</strong> Umwandlung von Ar<strong>bei</strong>tszeit in Lernzeit, von <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>terbewegung erstritten,<br />

verbesserten sich die Möglichkeiten <strong>der</strong> Beschäftigten, Kenntnisse und Fertigkeiten<br />

zu erwerben, die sie zur Bewältigung <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen im beruflichen, öffentlichen<br />

und privaten Bereich benötigen. Diese Veranstaltungsform hat einerseits das<br />

Lernangebot bereichert; an<strong>der</strong>erseits deutet sich heute aber auch an, dass sie an<br />

ihre Grenzen zu stoßen scheint.<br />

48


Dazu ist ein kurzer Rückblick in die Geschichte des Bildungsurlaubs nützlich. Wenn<br />

Ekkehard Nuissl in einem Rückblick auf die Bildungsurlaubspraxis Anfang <strong>der</strong> 80er<br />

Jahre noch feststellt, „das Spektrum von Bildungsurlaubsangeboten [sei] noch<br />

sehr schmal“ (NUISSL 1984, S. 373), so gilt das heute sicher nicht mehr, wie die<br />

folgende Tabelle zeigt. Sie weist die angebotenen Bildungsurlaubsveranstaltungen<br />

von anerkannten bremischen Weiterbildungsanbietern aus; würde man die tatsächlich<br />

durchgeführten Bildungsurlaube nehmen, für die mir lei<strong>der</strong> keine Daten vorlagen, so<br />

würde man die Einschätzungen differenzieren müssen, vor allem im Blick auf die<br />

Teilnehmerzahlen. Die nachfolgend beschriebenen Trends blieben davon aber<br />

unberührt.<br />

Tabelle 5: Bildungsurlaube nach Fachbereichen von 1979 bis 1996/97<br />

Erhebungsjahr<br />

Fachbereiche 1979 1992 1996/97<br />

N=301 N=707 N=833<br />

in % in % in %<br />

Alphabetisierung 0,0 0,6 0,2<br />

formale Schlüsselqualifikationen 6,0 6,4 6,0<br />

Fremdsprachen 19,9 14,3 11,3<br />

Kulturelle Bildung 0,3 6,5 3,8<br />

Freizeit, Sport, Urlaub 0,7 1,1 0,8<br />

Mathematik, Naturwiss., Technik 0,0 0,4 0,5<br />

Haushalt, praktische Ökologie 1,3 7,8 4,0<br />

Gesundheit 1,3 10,5 9,7<br />

Personale Kompetenzen 0,7 4,2 2,1<br />

Soziale Bildung 12,6 5,8 6,3<br />

Politische Bildung 46,8 18,1 15,1<br />

EDV Grundlagen 0,3 13,0 25,3<br />

EDV Spezialwissen 0,0 4,1 8,0<br />

Umweltschutz/Gartenbau Berufe 0,0 0,1 0,6<br />

Gewerb.-techn. Berufe 1,3 2,5 1,7<br />

Handwerk, Baugewerbe 0,0 0,0 0,2<br />

Kaufm.-verwaltende Berufe 7,3 4,0 3,6<br />

soziale, päd., psychologische Berufe 1,3 0,4 0,5<br />

Sonstige, ohne Angabe 0,0 0,1 0,2<br />

Summe 100,0 100,0 100,0<br />

Der Bildungsurlaub ist mit einem Anteil von mehr als 10% eine <strong>der</strong> häufigsten<br />

Veranstaltungsformen im bremischen Weiterbildungsangebot (<strong>bei</strong> anerkannten<br />

Weiterbildungsanbietern liegt <strong>der</strong> Anteil noch höher). Diese Angebotsform wird seit<br />

Ende <strong>der</strong> 70er Jahre immer häufiger genutzt, wenn auch die Wachstumsraten sinken.<br />

Als zweites fällt auf, dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub nicht mehr auf traditionelle<br />

Themenfel<strong>der</strong> wie etwa die politische o<strong>der</strong> die soziale Bildung beschränkt bleibt,<br />

trotz eines nach wie vor auffälligen Defizits in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung.<br />

Während Bildungsurlaube noch 1979 weit überwiegend für politische und soziale<br />

Weiterbildung genutzt wurden, bleibt die Zahl in diesen Fachbereichen zwar etwa<br />

49


Möglichkeiten<br />

und Grenzen von<br />

Bildungsurlaub<br />

Bildungsurlaub<br />

wird je nach<br />

Handlungsfeld<br />

<strong>der</strong> Experten<br />

unterschiedlich<br />

bewertet<br />

konstant, ihre relative Bedeutung aber ist rückläufig, da diese Veranstaltungsform<br />

mehr und mehr auch in an<strong>der</strong>en Fachbereichen insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Weiterbildung genutzt wird. Das gilt z.B. für die Umweltbildung, die<br />

Gesundheitsbildung, vor allem aber für die EDV-bezogene Grund- und<br />

Spezialbildung. Fiel <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Bildungsurlaubsveranstaltungen 1979 noch<br />

in die politische Weiterbildung, so hat diese ihre führende Rolle inzwischen an die<br />

EDV-Grundbildung abgetreten. Es zeigt sich, dass insbeson<strong>der</strong>e große Fachbereiche<br />

mit wachsen<strong>der</strong> Nachfrage diese Veranstaltungsform nutzen und damit ohnehin<br />

vorhandene Trends weiter verstärken.<br />

„Gegensteuerung“ ermöglicht <strong>der</strong> Bildungsurlaub vor allem in <strong>der</strong> politischen<br />

und sozialen Bildung. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite werden aber Grenzen <strong>der</strong> Nutzung<br />

deutlich. Angesichts des Trends zu kürzeren, kompakten Veranstaltungen<br />

sowohl in <strong>der</strong> innerbetrieblichen als auch in <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung<br />

scheinen die Rahmenbedingungen im Blick auf Teilnehmerzahlen und Dauer zu<br />

starr, um eine weitere Expansion zu ermöglichen. Dies zeigen auch die Befunde<br />

<strong>der</strong> vorliegenden Expertenbefragung. So beschreibt etwa <strong>der</strong> Leiter eines EDV-<br />

Fachbereichs, dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub immer eine sehr große Bedeutung hatte:<br />

„Es gab früher fast ausschließlich o<strong>der</strong> <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Anpassungsfortbildung<br />

wurde über Weiterbildung finanziert und vor allen Dingen auch von Betrieben, so nach<br />

dem Motto, wenn du schon was machst, dann mach was, was uns Betrieb nutzt und<br />

dann bezahlen wir das auch. Die Form hat immer mehr abgenommen, weil <strong>der</strong> Trend<br />

hingeht zu den kurzfristigen Seminaren, also von 5-Tage-Seminaren zu 2-Tage-Crash-<br />

Kurs, was wahrscheinlich an<strong>der</strong>s wäre, wenn Bildungsurlaub an<strong>der</strong>s definiert wäre von<br />

<strong>der</strong> Form, eben nicht 5 Tage, son<strong>der</strong>n wenn ich Bildungsurlaub am Wochenende<br />

machen könnte o<strong>der</strong> einen 2-Tage-Bildungsurlaub, dann würde <strong>der</strong> Crash-Kurs zwar<br />

immer noch Crash-Kurs genannt werden o<strong>der</strong> Crash-Bildungsurlaub, dann wäre das<br />

wahrscheinlich an<strong>der</strong>s. Der Trend geht immer mehr zu kurzen Seminaren.“<br />

(Interview 14, S. 18)<br />

Die Experten unterscheiden sich in ihren Aussagen zur Nutzung und Bewertung des<br />

Bildungsurlaubs sehr deutlich, je nachdem, aus welchem Handlungsfeld <strong>der</strong><br />

Weiterbildung sie kommen. Für manche Vertreter <strong>der</strong> öffentlich anerkannten<br />

Weiterbildung gilt Bildungsurlaub als „Höchstform <strong>der</strong> Erwachsenenbildung“<br />

(Interview 9, S. 19), <strong>zum</strong>al <strong>bei</strong> Anbietern, die sich auf die politische Bildung<br />

konzentriert haben:<br />

„Ja, <strong>der</strong> Bildungsurlaub ist ja immer noch so ein starkes Moment und ist, ja sagen wir<br />

mal, <strong>der</strong> Kernbereich unseres Angebotes.“ (Interview 12, S. 11)<br />

Auch Experten aus <strong>der</strong> Bildungspolitik halten an dem Institut Bildungsurlaub fest.<br />

„Und da sind die Angebote in <strong>Bremen</strong> ausgezeichnet. Wir haben Zeichen dafür, toi, toi,<br />

toi, keine Verfahren bisher. Es wurde nicht geklagt. Und die Einrichtungen achten auch<br />

untereinan<strong>der</strong> darauf, dass das Niveau gehalten wird.“ (Interview 10, S. 2)<br />

In den Unternehmen und Betrieben spielt Bildungsurlaub dagegen als Instrument <strong>der</strong><br />

innerbetrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung im Grunde keine Rolle.<br />

Auffallend war, wie knapp und bestimmt die befragten Experten auf die<br />

entsprechenden Fragen unisono reagierten. Der Bildungsurlaub hat „keine<br />

Bedeutung“ (Interview 3, S. 18), o<strong>der</strong>: „das Thema Bildungsurlaub [... ] ist kein<br />

Thema“ (Interview 5, S. 15). In einer Weiterbildungseinrichtung, die überwiegend<br />

50


Hin<strong>der</strong>nisse für<br />

die Nutzung von<br />

Bildungsurlaub<br />

für die Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung ar<strong>bei</strong>tet, heißt es auf die Frage nach <strong>der</strong> Bedeutung des<br />

Bildungsurlaubs für die eigene Ar<strong>bei</strong>t lapidar: „Null“ (Interview 8, S. 18).<br />

„Es ist typisch, Bildungsurlaubsgesetz ist nicht reformiert worden bis jetzt, ist weiterhin<br />

<strong>der</strong> closed shop in Realita, das bedeutet, Bildungsfreistellung und Bildungsurlaube<br />

werden von einer Handvoll Weiterbildungseinrichtungen organisiert, die jetzt zu den<br />

anerkannten Weiterbildungseinrichtungen zählen. Sie haben immer weniger<br />

Teilnehmer, immer weniger Teilnahmestunden, es geht immer weiter zurück, die<br />

Attraktivität lässt nach und die Bunker-Mentalität ist in einigen Köpfen immer noch<br />

da.“ (Interview 8, S. 18)<br />

Als Instrument innerbetrieblicher Weiterbildung stößt <strong>der</strong> Bildungsurlaub auch an<br />

rechtliche Grenzen. So formuliert eine Expertin aus einem großen Unternehmen:<br />

„Es gibt sehr klare Festlegungen vom Gesetzgeber, die sagen, wenn wir<br />

Qualifizierungen durchführen, müssen die in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit sein. [...] Wenn<br />

Qualifizierungen vom Unternehmen bezahlt werden, müssen sie auch in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit<br />

stattfinden.“ (Interview 5, S. 16)<br />

Aber auch die Nutzung durch die Beschäftigten für Zwecke <strong>der</strong> außerbetrieblichen<br />

Weiterbildung scheint in den befragten Betrieben und Unternehmen keine große<br />

Bedeutung zu haben, jedenfalls nicht über die bekannten Großbetriebe hinaus. Mit<br />

<strong>der</strong> Verschlankung vieler Unternehmen und <strong>der</strong> Verdichtung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t wird<br />

<strong>der</strong> Druck auf die Beschäftigten, keinen Bildungsurlaub zu nehmen, immer<br />

größer. Ein Experte aus einem mittleren Unternehmen meint:<br />

„Also meine persönliche Einschätzung ist, dass ich das richtig und gut finde und es<br />

immer gut finde, wenn die Leute das machen, weil es für jeden wichtig ist, auch darüber<br />

einfach mal eine Woche raus, an<strong>der</strong>e Lernerfahrungen zu machen, auch an<strong>der</strong>e Themen<br />

zu machen, die gar nicht so eng ar<strong>bei</strong>tsplatzbezogen sind. Das ist meine persönliche<br />

Einschätzung. Für das Unternehmen, für die Ar<strong>bei</strong>tsfähigkeit am Ar<strong>bei</strong>tsplatz o<strong>der</strong> für<br />

die Erbringung von Ar<strong>bei</strong>tsleistung glaube ich nicht, dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub eine große<br />

Bedeutung spielt im Moment. Und in unserem Unternehmen konkret, es ist so, dass<br />

kaum jemand überhaupt Bildungsurlaub macht. Das ist eher, wie auch in vielen<br />

an<strong>der</strong>en Unternehmen, es ist auch ein Unterschied, also <strong>bei</strong> [Name des Unternehmens]<br />

ist es so gewesen, dass man generell dem Bildungsurlaub eher positiver gegenüber stand<br />

und auch eine ganze Menge Mitar<strong>bei</strong>ter Bildungsurlaub genommen haben. Bei <strong>der</strong><br />

[Name des Unternehmens] ist es eher ein Tabu, also im Grunde genommen, jemand,<br />

<strong>der</strong> Bildungsurlaub nimmt, wird sehr, sehr kritisch gesehen und in <strong>der</strong> Folge hat<br />

kaum jemand bislang Bildungsurlaub in Anspruch genommen.“ (Interview 13, S. 18)<br />

Ähnlich formuliert es auch <strong>der</strong> Experte aus einer anerkannten<br />

Weiterbildungseinrichtung, die einen Großteil ihres Angebots in <strong>der</strong> Form des<br />

Bildungsurlaubs realisiert.<br />

„Da muss man natürlich sagen, dass wie in an<strong>der</strong>en Bereichen des Bildungsurlaubs<br />

auch, natürlich ein Großteil unserer Teilnehmerinnen aus Groß-, Mittelbetrieben und<br />

dem öffentlichen Dienst kommen, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Öffentliche-Dienst-Anteil <strong>bei</strong> uns nicht so<br />

groß ist, wir haben deutlich mehr Teilnehmer aus <strong>der</strong> gewerblichen Wirtschaft. Das<br />

liegt ungefähr <strong>bei</strong> 60, 65:35. Aber die großen Betriebe Mercedes und Daimler Chrysler,<br />

DASA, Becks und so etwas, das sind schon die großen Brocken. Im<br />

branchenübergreifenden Bereich machen die großen Betriebe sicherlich 80% <strong>der</strong><br />

Teilnehmerinnen aus, nämlich wenn Mercedes mal sagen würde, wir schicken keinen<br />

mehr, wir lassen keinen mehr auf Bildungsurlaub, egal wie die rechtliche Situation ist,<br />

dann hätten wir schon erheblich Schwierigkeiten, Teilnehmer für die Seminare zu<br />

finden, weil in Seminaren, die wir in Kooperation mit Einzelgewerkschaften machen, da<br />

51


Reformbedarf<br />

Häufigste<br />

For<strong>der</strong>ung:<br />

Größere<br />

Flexibilität<br />

„Brücken zu den<br />

Ar<strong>bei</strong>tgebern“ -<br />

Ablehnung vs.<br />

For<strong>der</strong>ung<br />

streut sich das natürlich. [...] Es gibt viele Bereiche, wo es deutlich schwieriger wird, in<br />

all den Bereichen, die mal früher <strong>zum</strong> öffentlichen Dienst gehört haben, die heute<br />

privatisiert sind, Bahn, Post sind da Parade<strong>bei</strong>spiele, wird das deutlich schwieriger,<br />

Leute auf Seminare zu bekommen, das hängt, mag mit <strong>der</strong> Identifikation mit <strong>der</strong><br />

Gewerkschaft zusammen hängen, aber das hängt, denke ich, viel mehr mit dem sich<br />

entwickeln strukturell in den Bereichen, die eher repressiv, die eher, wo die<br />

Personaldecke ausgedünnt wird, wo das Problem halt auf Bildungsurlaub o<strong>der</strong> auf<br />

Bildungsfreistellung die Tatsache bedeutet, dass jemand an<strong>der</strong>es mehr mitar<strong>bei</strong>ten<br />

muss und halt im Kollegenkreis selber das nicht mehr so gemacht wird. Also die,<br />

sagen wir mal, <strong>der</strong> relativ geschützte Raum des öffentlichen Dienstes, wo ein Recht<br />

existiert, auch wahrgenommen werden kann, das verschwindet in diesem Bereich, das<br />

gibt es gar nicht mehr so, und das merkt man schon.“ (Interview 12, S. 5-7)<br />

Die befragten Experten formulieren vor dem Hintergrund ihrer eigenen praktischen<br />

Erfahrungen eine Vielzahl von Än<strong>der</strong>ungsvorschlägen, <strong>zum</strong>eist, um die Institution<br />

Bildungsurlaub in einer mo<strong>der</strong>nisierten Form zu stabilisieren. Bereits <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Ausdifferenzierung und Verkürzung von Veranstaltungszeiten lag nahe zu fragen, ob<br />

die Regelungen <strong>zum</strong> Bildungsurlaub, die noch sehr am Normalar<strong>bei</strong>tsverhältnis<br />

orientiert sind, flexibilisiert werden können, etwa durch kürzere<br />

Veranstaltungszeiten und ein Abrücken von <strong>der</strong> Mindestteilnehmerzahl. Eher in <strong>der</strong><br />

Tradition <strong>der</strong> bremischen Bildungsurlaubspolitik argumentiert ein Experte <strong>der</strong><br />

kirchlichen Erwachsenenbildung, <strong>der</strong> sich eine Beschränkung des Bildungsurlaubs<br />

auf die politische Bildung vorstellen kann (Interview 9, S. 19), im übrigen aber an<br />

<strong>der</strong> Zeitstruktur festgehalten möchte (S. 20):<br />

„Also ich würde schon sagen, dass sich das bewährt hat. Gut, den an<strong>der</strong>en braucht man<br />

nicht viel zu sagen, <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> in dieser Form Fortbildungsar<strong>bei</strong>t kennt, vor allem in<br />

<strong>der</strong> politischen Bildung, <strong>der</strong> wird sowieso sagen, das ist nun mal die Höchstform <strong>der</strong><br />

Erwachsenenbildung, da macht es am meisten Spaß und da passiert am meisten. Es ist<br />

finde ich, auch jetzt aus <strong>der</strong> Sicht jetzt wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, ist es finde ich<br />

die effektivste Form. Also habe ich ein hohes Interesse daran, dass es dieses Institut <strong>der</strong><br />

Freistellung weiterhin geben wird für diese Form von Bildungsar<strong>bei</strong>t. Was allerdings<br />

natürlich auch je<strong>der</strong> weiß und was wir ja auch ablesen <strong>bei</strong> den Teilnehmenden, die Zahl<br />

<strong>der</strong>er, die tatsächlich über diesen Weg in den Bildungsurlaub kommen, nimmt durchaus<br />

ab. Wir erleben das also gerade jetzt etwa im Bereich <strong>der</strong> Familienbildung, wir machen<br />

also für uns relativ viele Familienbildungsurlaube, dass die Männer doch häufig über<br />

Erholungsurlaub dahin kommen, weil sie schlicht und einfach in ihrem Betrieb sich<br />

nicht trauen o<strong>der</strong> was auch immer. Insofern ist natürlich die Frage, wenn man jetzt an<br />

die weitere Entwicklung denkt, wenn sich real die Möglichkeit immer mehr reduziert,<br />

nur noch auf öffentlichen Dienst, und da gibt es ja bekanntermaßen erhebliche<br />

Wi<strong>der</strong>stände, und auf die wenigen Großbetriebe, dann ist natürlich die Frage, ist das<br />

jetzt eigentlich noch das Instrument. Also an <strong>der</strong> Stelle nur die Flagge hochzuhalten und<br />

gleichzeitig damit unter zu gehen, hat ja keinen Sinn.“ (Interview 9, S. 19)<br />

Obwohl also auch hier bereits Zweifel am Festhalten an einer trotzigen Verteidigung<br />

bestehen<strong>der</strong> Regelungen auftauchen, wird - ganz im Sinne <strong>der</strong> ursprünglichen<br />

Argumentationslinie - abgelehnt, „Brücken zu den Ar<strong>bei</strong>tgebern“ zu bauen<br />

(Interview 9, S. 20). Das Gegenteil empfiehlt <strong>der</strong> Vertreter einer kommerziellen<br />

Weiterbildungseinrichtung, <strong>der</strong> Möglichkeiten eröffnen möchte, dass Ar<strong>bei</strong>tgeber<br />

sich mit Weiterbildungseinrichtungen zusammen tun und gemeinsam Angebote<br />

entwickeln, allgemein: dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub stärker an die Erwerbsar<strong>bei</strong>t<br />

angebunden wird (Interview 8, S. 18 f.). Am häufigsten werden Vorschläge in die<br />

Richtung gemacht, die Zeitformen des Bildungsurlaubs zu flexibilisieren. Für<br />

52


kürzere Veranstaltungszeiten als Option plädiert auch ein Experte einer anerkannten<br />

Weiterbildungseinrichtung mit Schwerpunkt in <strong>der</strong> politischen Bildung:<br />

„Im übergreifenden Bereich, wo wir in <strong>der</strong> Regel ja keine betrieblichen<br />

Interessenvertreter erreichen, son<strong>der</strong>n Leute, die ihren Bildungsurlaubsanspruch<br />

wahrnehmen, ist das mit den fünf Tagen Zeitorganisation völlig in Ordnung. Die<br />

machen aber die Erfahrung, dass es da, wo es um betriebliche<br />

Interessenvertretungsstrukturen geht, wo die Leute sagen wir mal doch einen<br />

konkreteren, ein genaueres, ein genaues Interesse haben, was sich so sagen wir mal auf<br />

instrumentelles Handlungswissen bezieht, schon öfter vorkommt, dass die sagen,<br />

können wir das nicht in drei Tagen machen, weil sie in betriebliche Zusammenhänge<br />

eingebunden sind, wo sie nicht unbedingt eine Woche raus wollen, also das läuft ein<br />

bisschen auseinan<strong>der</strong>. Da, wo es darum geht, seinen Bildungsurlaubsanspruch<br />

wahrzunehmen, da ist die Woche, kommt immer mal vor, dass jemand sagt, ich will, ich<br />

muss mal einen Tag eher weg, weil, das wird ja gerne auch mal ausgenutzt o<strong>der</strong> genutzt<br />

sagen wir mal, zu versuchen, sich dann mal einen Tag zu verabschieden, wenn wir dann<br />

sagen, du kriegt den Tag aber nicht bescheinigt, dann überlegen sich die meisten das<br />

natürlich schon noch mal, was für die so wichtig ist.“ (Interview 12, S. 11)<br />

Eine mögliche Verkürzung des Bildungsurlaubs auf zwei Tage wird häufiger in<br />

Erwägung gezogen (z.B. Interview 13, S. 18). Auf die Frage, wie Bildungsurlaubsund<br />

Freistellungsregelungen in <strong>Bremen</strong> verän<strong>der</strong>t werden sollten, antwortet <strong>der</strong><br />

Mitar<strong>bei</strong>ter einer öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung sehr entschieden:<br />

„Sie muss einfach dem Trend folgen, das hilft ja alles nichts. Sie muss kürzer sein, sie<br />

muss flexibler sein, was die Form angeht, das ist alles. Flexibler in <strong>der</strong> Form sein,<br />

man muss auch einen 2-Tages-Bildungsurlaub machen können und man muss auch<br />

einen 3-Tages-Bildungsurlaub machen können, man muss sich vielleicht das Thema<br />

anerkennen lassen, aber nicht unbedingt die Form. [...] Also ich kann nur sagen, die<br />

Entwicklung ist eindeutig, es geht hin, wenn man nach dem Bedarf sich das anguckt,<br />

hin zu kürzeren Seminaren, weniger lange weg aus dem Betrieb, schneller was lernen.<br />

Und das zweite ist, diese 12 Teilnehmer, ich weiß gar nicht, warum das noch eine Rolle<br />

spielt, wahrscheinlich aus För<strong>der</strong>gründen, das muss natürlich völlig weg. Es gibt<br />

Seminare, die müssen eben mit 10 und mit 8 und mit 7 Teilnehmern, warum das 12 sein<br />

müssen, kann an sich keiner erklären, es ist we<strong>der</strong> pädagogisch sinnvoll noch<br />

notwendig, also es können 13 sein, es können auch 5 sein. Und es ist auch nicht gut für<br />

die Teilnehmer. Ich melde mich am Bildungsurlaub an, habe mit Mühe und Not einen<br />

Termin gekriegt, wo ich mir frei nehmen kann, und drei Wochen kriege ich die Absage,<br />

weil nicht die 12 Teilnehmer zusammen gekommen sind. Das ist völlig verrückt, das<br />

schadet ja nicht nur <strong>der</strong> Weiterbildungseinrichtung, weil sie solange planen muss, und<br />

auch den Dozenten, die dafür eingesetzt sind, son<strong>der</strong>n dem Teilnehmer ja auch, <strong>der</strong> geht<br />

anschließend hin und sagt, das Ding hat nicht stattgefunden.“ (Interview 14, S. 18)<br />

Gerade im Bereich <strong>der</strong> EDV-bezogenen Schulung wird ansonsten ein deutlicher<br />

Rückgang in <strong>der</strong> Nachfrage befürchtet, da konkurrierende Anbieter dann eben die<br />

attraktiveren Zeit- und Organisationsformen platzieren.<br />

Weitergehende Reformvorschläge werden zwar seltener, aber nicht weniger<br />

entschieden vorgebracht. Aus institutioneller Sicht wird beklagt, dass nur<br />

Bildungsurlaub von gemeinnützigen Einrichtungen finanziell geför<strong>der</strong>t wird<br />

(Interview 8, S. 18 f.). Die Mindeststundenzahlen sollten reduziert, die<br />

Mindestteilnehmerzahlen ganz gestrichen, die Lernorte offen gestaltet, auch<br />

informelle Lernformen einbezogen werden (Interview 8, S. 18 f.). Für eine flexiblere<br />

Regelung <strong>der</strong> Lernformen und Lernorte plädiert auch eine Expertin aus <strong>der</strong><br />

bremischen Weiterbildungspolitik:<br />

53


„Selbstverständlich sind informelle Lernformen überhaupt noch nicht im Blick<br />

gewesen. Bei <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz ja auch nicht. Das muß ergänzt werden.<br />

Dadurch verschiebt sich ganz viel. Aber das tangiert nicht unsere gesetzlichen<br />

Vorschriften. Ein kleines Beispiel: Bildungsurlaub wird von uns nur anerkannt, wenn<br />

wir, ich glaube, sechs Stunden organisiertes Lernen am Tag nachgewiesen bekommen.<br />

Alles an<strong>der</strong>e, Exkursionen und so, zusätzlich. Ja, mit dieser Regelung kann man nicht<br />

mehr leben, wenn wir sagen, ja, hier wird multimedial gelernt. Die Leute müssen nicht<br />

mehr in einem Raum sitzen und diese sechs Stunden absitzen. Das war immer unser<br />

Kriterium, nicht nur in diesem Bundesland. Das wird sich än<strong>der</strong>n. Das ist unabhängig<br />

von den gesetzlichen Rahmenbedingungen.“ (Interview 10, S. 8)<br />

Viele Experten plädieren dafür, den Bildungsurlaub als Organisationsform zu<br />

erhalten ebenso wie das individuelle Recht des Ar<strong>bei</strong>tsnehmers auf Freistellung<br />

in <strong>der</strong> jetzigen Fassung. Gleichzeitig aber zeigt die rückläufige Nachfrage, dass<br />

<strong>der</strong> Bildungsurlaub umgestaltet werden muß, um ihn wie<strong>der</strong> als<br />

„Erfolgsmodell“ platzieren zu können (Interview 10, S. 13 f., S. 15). Ganz wichtig<br />

erscheint ein Konsens mit den Ar<strong>bei</strong>tgebern:<br />

„Was wir brauchen, um den Bildungsurlaub attraktiv zu machen, ist auch eine<br />

Akzeptanz <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeberseite. Das eine ist, dass <strong>der</strong> einzelne sagt, das möchte ich<br />

gerne nutzen, verstärkt wie<strong>der</strong> nutzen. Das an<strong>der</strong>e ist, dass <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber das nicht nur<br />

duldet., son<strong>der</strong>n auch eine Atmosphäre da ist im Betrieb, wo man sagt, ja, das ist in<br />

Ordnung. Und deshalb sind wir darauf angewiesen <strong>bei</strong> einer möglichen Neugestaltung,<br />

in welchem Bundesland auch immer, die Gespräche mit den Ar<strong>bei</strong>tgebern zu führen und<br />

da zu einer Akzeptanz zu kommen. Und wie das ausgeht, muß man gucken. Das kann<br />

auch regional zu ganz unterschiedlichen Absprachen führen, aber das finde ich wichtig.<br />

Und das ist keine defensive Haltung, die mir da<strong>bei</strong> vorschwebt, son<strong>der</strong>n dass man sich<br />

streitet und zu einer Einigung kommt, wie auch immer die dann aussieht.“ (Interview<br />

10, S. 14)<br />

An<strong>der</strong>e Positionen vertreten die hier befragten Experten aus kleinen, mittleren und<br />

großen Unternehmen. So formuliert die Verantwortliche für Personalentwicklung in<br />

einem großen Unternehmen:<br />

„Ich glaube, dass vernünftige Unternehmen sehr viel investieren in die Qualifikation<br />

ihrer Mitar<strong>bei</strong>ter, und das findet dann eben auch in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit statt und ist auch<br />

ar<strong>bei</strong>tsplatznah, so dass also eine Weiterbildung da ist, die mich selber eben auch in<br />

meinen eigenen Fähigkeiten voran bringt. Der Bildungsurlaub o<strong>der</strong> das sich<br />

Beschäftigen mit Themen, die jetzt außerhalb des Ar<strong>bei</strong>tsfeldes sind, ist ein Teil, <strong>der</strong> in<br />

mein Privatfeld fällt und das ich selber machen sollte und auch mache. Diese<br />

Verquickung ist für mich nicht nachvollziehbar. Mir ist wichtig, dass die Gesellschaft<br />

Möglichkeiten hat, sich weiter zu bilden, sich weiter zu entwickeln, aber diese<br />

Verquickung über den Bildungsurlaub, dem kann ich wenig abgewinnen, weil ein<br />

vernünftiges Unternehmen macht diesen Teil innerhalb des Unternehmens.“ (Interview<br />

5, S. 16)<br />

An dem letzten Interviewausschnitt wird ein Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Bildungsurlaub<br />

und ar<strong>bei</strong>tsbezogener Qualifizierung während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit konstruiert, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Realität bereits überwunden ist: Denn selbstverständlich wird Bildungsurlaub von<br />

den Erwerbstätigen bereits seit längerem auch dazu genutzt, die eigene<br />

Beschäftigungsfähigkeit zu sichern, z.T. mit finanzieller Unterstützung <strong>der</strong> Betriebe,<br />

z.T. aber, wie an<strong>der</strong>e empirische Untersuchungen zeigen, auch ohne Wissen o<strong>der</strong><br />

sogar gegen den Willen <strong>der</strong> Vorgesetzten. Es scheint daher wenig sinnvoll,<br />

überholte, primär ideologisch motivierte Auseinan<strong>der</strong>setzungen fortzuführen. Die<br />

hier befragten Experten formulieren eine Fülle von Reformvorschlägen, die<br />

54


Das koordinierte<br />

Gesamtangebot<br />

Expertenaussagen<br />

über den<br />

Trend zur<br />

Kooperation<br />

vornehmlich auf die Flexibilisierung bisheriger Regelungen zielen. Denn trotz, o<strong>der</strong><br />

besser: gerade wegen <strong>der</strong> Flexibilisierung von Lernzeiten, Ar<strong>bei</strong>tszeiten und<br />

Freizeiten braucht Weiterbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft mehr denn je auch<br />

erkennbare Eigenzeiten. Dafür steht <strong>der</strong> Bildungsurlaub nach Auffassung <strong>der</strong> hier<br />

interviewten Experten immer noch als erfolgversprechendes und zukunftsfähiges<br />

Modell.<br />

9. Konkurrenz und Kooperation auf einem sich<br />

ausdifferenzierenden Weiterbildungsmarkt<br />

Als zu Beginn <strong>der</strong> 70er Jahre in mehreren Bundeslän<strong>der</strong>n Weiterbildungsgesetze<br />

verabschiedet wurden, kamen vor allem Weiterbildungseinrichtungen <strong>der</strong> großen<br />

pluralen Träger in den Genuß öffentlicher För<strong>der</strong>ung. Schon damals wurde die Frage<br />

intensiv diskutiert, wie durch eine Zusammenar<strong>bei</strong>t unterschiedlicher Träger und<br />

Einrichtungen ein Gesamtsystem <strong>der</strong> Weiterbildung in öffentlicher Verantwortung<br />

gestaltet werden könne. Kooperation <strong>der</strong> Träger und Einrichtungen schien <strong>der</strong><br />

Schlüssel zur Lösung des Problems, um den korporativen Pluralismus zu einem<br />

„integrativen“ (Dohmen) zu entwickeln.<br />

Auch in <strong>Bremen</strong> wurde die För<strong>der</strong>ung anerkannter Weiterbildungsanbieter an die<br />

Bereitschaft gebunden, zu einem koordinierten Gesamtangebot an Weiterbildung<br />

<strong>bei</strong>zutragen. Formell schien dies durch die Mitar<strong>bei</strong>t in entsprechenden Gremien<br />

(z.B. im Landesausschuß für Weiterbildung) gesichert werden zu können. Doch so<br />

häufig Kooperation in <strong>der</strong> bildungspolitischen Diskussion eingeklagt wurde, so<br />

häufig wurde ihr Fehlen in wissenschaftlichen Untersuchungen und auch in <strong>der</strong><br />

Praxis beklagt.<br />

Inzwischen scheint sich hier eine nahezu unbemerkte, aber stetige Verän<strong>der</strong>ung zu<br />

vollziehen. Ganz gegen die verbreiteten Klagen über fehlende Kooperation und<br />

zunehmende Konkurrenz weisen die Befunde dieser Untersuchung auf eine Fülle an<br />

intensiver werden<strong>der</strong> Kooperationsbeziehungen hin. Dazu tragen nach<br />

Auffassung <strong>der</strong> interviewten Experten mehrere Ursachen <strong>bei</strong>: Verwiesen wird (1)<br />

<strong>zum</strong> einen auf die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> – regional überschaubaren – bremischen<br />

Weiterbildungslandschaft, (2) auf die Tatsache, dass die Ausdifferenzierung <strong>der</strong><br />

Weiterbildung mit einer klareren Profilbildung <strong>der</strong> Einrichtungen einhergeht, die<br />

<strong>bei</strong> „größeren“ Aufgaben Kooperation unverzichtbar macht, aber auch (3) darauf,<br />

dass alte bildungspolitische Kontroversen an Schärfe verloren haben, weil sie<br />

durch die historische Entwicklung überholt wurden. Nicht zuletzt werden<br />

Kooperationen im regionalen Umfeld (4) in den letzten Jahren auch von <strong>der</strong> Politik<br />

massiv unterstützt. Die Bundesregierung etwa hat im vergangenen Jahr mit<br />

Unterstützung durch EU-Mittel ein gewichtiges Programm aufgelegt, das unter <strong>der</strong><br />

Überschrift „Lernende Region“ vor allem solche Vorhaben finanziell för<strong>der</strong>t, die<br />

die Kooperation von Einrichtungen innerhalb <strong>der</strong> Weiterbildung, aber zwischen<br />

Einrichtungen aus unterschiedlichen Bereichen des Bildungssystems intensivieren<br />

wollen. Sicherlich werden Kooperationen aber (5) auch dadurch geför<strong>der</strong>t, dass<br />

Weiterbildungseinrichtungen ein wachsendes Weiterbildungsvolumen mit<br />

konstantem (hauptberuflichem) Personalbestand realisieren müssen.<br />

55


Die folgenden Auszüge aus den Experteninterviews behandeln unterschiedliche<br />

Formen von Kooperationen, konzentrieren sich aber auf die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

zwischen unterschiedlichen (Typen von) Institutionen <strong>der</strong> Weiterbildung. Die<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Weiterbildungseinrichtungen und neben- o<strong>der</strong><br />

freiberuflichen Mitar<strong>bei</strong>tern wird erst im folgenden Kapitel behandelt. Als Neuerung<br />

festgestellt und gemeinhin begrüßt wird die Beobachtung, dass sich die Kooperation<br />

zwischen Weiterbildungseinrichtungen in <strong>Bremen</strong> deutlich verbessert, an Zahl<br />

und Intensität zugenommen hat. Das gilt im Grunde für sämtliche Handlungsfel<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Weiterbildung. Zu unterscheiden sind Netzwerke, (feste)<br />

Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaften, punktuelle Kooperationen und Bildungskooperationen:<br />

„Ja, Kooperationsform, wun<strong>der</strong>schönes Stichwort, weil das ist ein Punkt, <strong>der</strong> sich in<br />

<strong>Bremen</strong> massiv verän<strong>der</strong>t hat, und da bin ich in <strong>der</strong> glücklichen Lage und darf die<br />

Bremer Weiterbildung, so darf in es auch wirklich formulieren, und habe die Ehre, die<br />

Bremer Weiterbildung als kleine Weiterbildungseinrichtung vertreten zu dürfen auf dem<br />

Lernfest, auf <strong>der</strong> zentralen Veranstaltung des Lernfestes, auf <strong>der</strong> Expo. Ich darf die<br />

Bremer Weiterbildung dort vertreten, und damit zeige ich schon ein Indiz für ein neues<br />

Weitbildungspolitikverständnis hier in <strong>Bremen</strong>, und das, was ich dort vertreten darf. Ich<br />

darf nämlich reden und darstellen die verschiedenen Bildungskooperationen in <strong>Bremen</strong><br />

auf <strong>der</strong> Expo und die neue Art <strong>der</strong> Bildungskooperation. Das ist ausgehend nicht nur<br />

vom Bremer Weiterbildungsgesetz, das ein Stück dazu <strong>bei</strong>getragen hat, aber es gab<br />

diese Bestrebungen darüber hinaus auch. Es geht weiter über die Agenda 21, die selbst<br />

mit einer Präsentation dort auf dem Lernfest vorgestellt wird, als auch hin zu einer<br />

Sache, <strong>der</strong>en Gedanken ich entwickelt habe und wo wir dann entsprechend rumgefragt<br />

haben <strong>bei</strong> allen Weiterbildungseinrichtungen, in welchen Kooperationen sie sich denn<br />

drin befinden. Ich sage es jetzt mal allgemein, wir sind erschlagen worden von einer<br />

Vielzahl von Kooperationen, von einer ganz großen Vielzahl, so dass wir sie im<br />

Rahmen für diese Präsentation auf dem Lernfest überhaupt nicht nehmen konnten, wir<br />

mussten 90% rausstreichen, wir mussten alle Kooperationen rausstreichen, die sich<br />

sozusagen mit Universitäten o<strong>der</strong> mit Ar<strong>bei</strong>terkammern und mit Praktikumsbetrieben<br />

und mit senatorischen Behörden und Handwerkskammern, auch auf europäische<br />

Kooperationen beziehen, und insofern gibt es eine Domäne, nämlich Lernfest 2000.de,<br />

die entsprechend hier für Sie da ist und die Sie sich dann noch mal angucken können.<br />

[...] Wir haben Netzwerke, wir haben Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaften, wir haben punktuelle<br />

Kooperationen und wir haben Bildungskooperationen zur Ressourcenoptimierung als<br />

Kategorien gefasst und darunter rein die Kooperationen aufgenommen, die jetzt sich<br />

beziehen auf die Kooperationen von Bremer Weiterbildungseinrichtungen direkt. Weil<br />

es gab auch viele Kooperationen mit Weiterbildungseinrichtungen außerhalb von<br />

<strong>Bremen</strong>. Hier ist die [Name <strong>der</strong> Einrichtung] ganz intensiv mit da<strong>bei</strong> <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tskreis<br />

Bremer Bildungsträger, <strong>der</strong> 1992 sich gebildet hat in Ergänzung zu den großen<br />

anerkannten Weiterbildungseinrichtungen, nicht als Konkurrenz. (Interview 8, S. 15 f.)<br />

Ähnlich, aber mit unterschiedlichem Wahrnehmungsfokus und beschränkt auf die<br />

anerkannten Weiterbildungseinrichtungen beschreibt es die Expertin aus <strong>der</strong> Bremer<br />

Bildungspolitik:<br />

Kooperationen zwischen annerkannten Trägern<br />

„Ich glaube, dass in <strong>Bremen</strong> im Unterschied zu an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n es einen<br />

starken inhaltlichen und konzeptionellen Zusammenhalt gibt zwischen den<br />

sogenannten Weiterbildungseinrichtungen, die anerkannt sind nach dem Gesetz,<br />

also <strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung. Das unterscheidet uns. Das ist vielleicht ein<br />

bißchen <strong>der</strong> Tatsache geschuldet, dass <strong>Bremen</strong> nicht so groß ist, also kein Flächenstaat<br />

ist und sich Zusammenar<strong>bei</strong>tsformen zwischen qualitativ hochwertigen Einrichtungen<br />

leichter ergeben. Es ist inzwischen so weit, dass, abgesehen davon, dass es natürlich<br />

Wettbewerber sind, Kooperationsformen gesucht werden, die auch inhaltlich zu einem<br />

56


Kooperationen<br />

von kommerziellen<br />

und<br />

gemeinnützigen<br />

Institutionen<br />

Austausch führen. Das, glaube ich, ist in an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n nicht so, so stark<br />

ausgeprägt. Es ist auch so, dass die Beratung des Ressorts durch diese Einrichtungen<br />

konsequent wahrgenommen wird. Es ist also nicht nur die Ebene von ‚wofür seid ihr<br />

zuständig? Macht euer Alltagsgeschäft‘, son<strong>der</strong>n es ist auch so, dass eine<br />

Beratungsstruktur existiert und auch lebt. Dass wir in <strong>Bremen</strong> ein<br />

Qualitätsmanagementsystem haben <strong>bei</strong> den anerkannten Weiterbildungseinrichtungen,<br />

das von meiner Beobachtung her sehr ausgewiesen ist, trägt dazu <strong>bei</strong>, ist aber nur ein<br />

Aspekt.“ (Interview 10, S. 2)<br />

Auch ein Mitar<strong>bei</strong>ter in einer erwerbswirtschaftlich ar<strong>bei</strong>tenden<br />

Weiterbildungseinrichtung beschreibt einen Trend von <strong>der</strong> Monopol- o<strong>der</strong><br />

Kartellbildung zur Kooperation (Interview 8, S. 10) und for<strong>der</strong>t zugleich eine<br />

„wirklich plurale“ Weiterbildungslandschaft in <strong>Bremen</strong> als Reaktion auf sich<br />

ausdifferenzierende Bedürfnisse, gegen sich andeutende Trends zur Re-<br />

Monopolisierung:<br />

„Insofern würde ich immer davor warnen, dieses [Monopol] wie<strong>der</strong> zu installieren, ich<br />

sage wie<strong>der</strong> zu installieren, damit kommen wir auf die Geschichte, weil hier in <strong>Bremen</strong><br />

ist meine Erfahrung so gewesen, dass es einen Markt gab von 14, 16, 12<br />

Bildungseinrichtungen, die entsprechend versucht haben, hier den Markt unter sich<br />

aufzuteilen, ich sage es knapp, und versucht haben, über lange Jahre diese Position zu<br />

erhalten, wohl wissend o<strong>der</strong> wohl auch ahnend, dass sie nicht haltbar wäre, und ich<br />

denke, dass es sich bis jetzt auch so gezeigt hat, <strong>zum</strong>indest die letzten 10 Jahre haben<br />

für mich eher gezeigt, dass <strong>der</strong> Weg ein an<strong>der</strong>er ist, <strong>der</strong> Weg ist ein an<strong>der</strong>er in die<br />

Offenheit hinein, und die Weiterbildung setzt sich in dem Augenblick durch, und<br />

deswegen finde ich in dem Augenblick [...] auch gut, die wirklich auch Erfolge hat, und<br />

deswegen werden Weiterbildung und Weiterbildungsmaßnahmen zukünftig an Erfolge<br />

geknüpft werden und alle Definitionen auch. [...] Also <strong>der</strong> Weg für mich geht hin zu<br />

einer pluralen, wirklich großen pluralen Weiterbildungslandschaft, die auch<br />

notwendig ist, um das, was ich vorhin gesagt habe, dieses ausdifferenzierte Bild von<br />

Weiterbildung und diese ausdifferenzierten Bedürfnisse von Weiterbildung befriedigen<br />

zu können. Und alle Bestrebungen dazu, den Markt wie<strong>der</strong>, also die Anbieter von <strong>der</strong><br />

Anbieterseite wie<strong>der</strong> zu verengen, schätze ich <strong>zum</strong>indest zur Zeit ein, ich sehe keine<br />

an<strong>der</strong>en Tendenzen als <strong>zum</strong> Scheitern verurteilt.“ (Interview 8, S. 11)<br />

Eine größere Vielfalt von Kooperationen beschreiben auch die Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>der</strong><br />

Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung, die an<strong>der</strong>s als vielleicht noch vor einigen Jahren dem Status eines<br />

Anbieters keinerlei Bedeutung mehr <strong>bei</strong>messen:<br />

„Man kann das ja erst mal aufteilen in Einrichtungen nach mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

öffentlichem Recht o<strong>der</strong> Gemeinnützigkeitsrecht und Einrichtungen des<br />

privatwirtschaftlichen Rechts. Mit <strong>bei</strong>den Bereichen ar<strong>bei</strong>ten wir regelmäßig<br />

zusammen, und im Grunde genommen werden da auch keine Unterschiede gemacht,<br />

das geht also einmal um die Qualität, die angeboten wird, und um den Preis, <strong>der</strong><br />

angeboten wird. Man kann sagen, <strong>bei</strong> den gemeinnützigen, die Bildungsträger <strong>der</strong><br />

Kammern, Ar<strong>bei</strong>terbildungszentrum, Wirtschafts- und Sozialakademie, dann<br />

Ar<strong>bei</strong>tgeberorganisationen, Bildungszentrum <strong>der</strong> Wirtschaft, normalerweise kann ich<br />

das so runterspulen.“ (Interview 2 S. 6)<br />

Auch in <strong>der</strong> kirchlichen Erwachsenenbildung wird von einer Vielzahl von<br />

Kooperationsbeziehungen berichtet. Geför<strong>der</strong>t wird diese durch die eigenen<br />

Ansprüche, die Begrenztheit <strong>der</strong> eigenen Mittel und die Abrechnungsfähigkeit nach<br />

dem Weiterbildungsgesetz (Interview 9, S. 16, S. 18). Auffälligerweise wurde aber<br />

die Kooperation mit katholischen Betrieben (z.B. Krankenhäusern, Caritas) lange<br />

Zeit nicht gesucht, unbewußt wohl, weil sie nicht abrechnungsfähig gewesen wäre.<br />

57


Hier zeigt sich, dass das Weiterbildungsgesetz (ungewollt) auch die Wahrnehmungen<br />

mancher Akteure begrenzt hat.<br />

Kooperiert wird aber nicht nur im Feld o<strong>der</strong> unter Fe<strong>der</strong>führung <strong>der</strong> nach dem Gesetz<br />

anerkannten Weiterbildungseinrichtungen, son<strong>der</strong>n auch im Bereich <strong>der</strong><br />

kommerziellen o<strong>der</strong> gemeinnützigen Institutionen. Allerdings wird hier auch deutlich<br />

darauf hingewiesen, dass präzisiert werden muß, welche Art von Kooperation<br />

gemeint ist.<br />

„Was ist Kooperation, sagen wir einfach, viele kennen, mit denen man auf einer<br />

bestimmten Oberflächenebene zusammenar<strong>bei</strong>ten kann, dann würde ich sagen, habe ich<br />

eine Unzahl von Fähigkeiten, Möglichkeiten, also da ist ein sehr großes Netzwerk, in<br />

dem ich mich, in dem wir uns auch als Firma bewegen. [...] Die intensivere<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t, die entwickelt sich jetzt in den letzten 3 Jahren ganz vorsichtig und<br />

ich halte sie für extrem wichtig, weil, wir können nicht alles, ich kann nicht alles und im<br />

Grunde genommen, wenn ich ein guter Personaldienstleister sein will, dann brauche ich<br />

verlässliche Kooperationspartner, mit denen ich auch konstruktiv dann Dinge wirklich<br />

abar<strong>bei</strong>ten kann. Da habe ich über diese 3 Jahre mittlerweile ganz vorsichtig über<br />

einzelne Projekte o<strong>der</strong> über einzelne Tätigkeiten auch Partner wo ich sagen kann, das ist<br />

ein Kooperationspartner, mit dem kann man das jetzt bereden und kann man das<br />

machen. Da werde ich auch intensiv weiter dran ar<strong>bei</strong>ten, das ist unerlässlich.“<br />

(Interview 6, S. 12)<br />

Auch im Bereich <strong>der</strong> erwerbswirtschaftlichen Trainingsinstitute wird überwiegend in<br />

(auf persönlichem Vertrauen beruhenden) Netzwerken gear<strong>bei</strong>tet (Interview 4, S. 18)<br />

„Ich könnte mir vorstellen, dass das auch in an<strong>der</strong>en Branchen,<br />

Trainingsschwerpunkten, also auch fachlichen Trainings eine Rolle spielen kann, denn<br />

man kann sich ja, es ist, <strong>der</strong> Markt ist hart für einzelne Trainer, denn ich hatte das<br />

vorhin schon angedeutet, sie müssen so viele Bereiche abdecken, sie müssen<br />

akquirieren, sie müssen verwalten, sie müssen konzipieren, Angebote schreiben und<br />

dann auch noch sich selbst weiterbilden, lebenslang, irgendwas fällt meistens hinten<br />

runter, und das sind dann lebenslanges Lernen bevorzugt. Also insofern könnte ich mir<br />

vorstellen, dass man sich da gegenseitig viel mehr noch auf die Sprünge helfen kann,<br />

oftmals, das wi<strong>der</strong>spricht zwar jetzt uns, weil wir da eigenen Wettbewerb kreieren, aber<br />

das belebt ja auch das Geschäft, kriegt man als Einzeltrainer bestimmte Aufträge gar<br />

nicht, weil <strong>der</strong> Kunde kein Vertrauen hat. Man braucht manchmal eine gewisse Größe,<br />

um mit einem Konzern überhaupt ins Gespräch zu kommen, denn das würde ein kleines<br />

Institut völlig überfor<strong>der</strong>n.“ (Interview 4, S. 18)<br />

Schließlich berichten auch die Experten aus <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung<br />

von einer Vielzahl von Kooperationsformen, in die Einzeltrainer, Beratergruppen<br />

und kleinere Institute netzwerkartig eingebunden sind. Übereinstimmend wird <strong>der</strong><br />

Markt <strong>der</strong> möglichen Kooperationspartner als völlig unübersichtlich beschrieben,<br />

eine Unübersichtlichkeit, die durch ungeschützte Berufsbezeichnungen und fehlende,<br />

allgemein anerkannte Qualitätsstandards verschärft wird. Die Frage, wie diese sich<br />

ausbreitenden, netzwerkartigen Kooperationsformen in Zukunft zwischen Vertrauen<br />

und Vertraglichkeit so geregelt werden können, dass eine professionelle und<br />

qualitativen Ansprüchen genügende Weiterbildung und Personalentwicklung<br />

möglich wird und bleibt, dürfte eine <strong>der</strong> interessantesten, sowohl empirisch als auch<br />

konzeptionell zu beantwortenden Fragen im Bereich <strong>der</strong> Weiterbildung sein.<br />

Auffallend ist, dass die Einrichtungen auf <strong>der</strong> einen Seite<br />

Qualitätssicherungsverfahren einführen, um ihre Aufbau- und Ablauforganisation<br />

regelgeleitet zu standardisieren, und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die entscheidende<br />

58


Zusammenfassung<br />

Schnittstelle – die Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den externen Dienstleistern – auf Grundlagen<br />

stellen, die eher für Primärgruppen (Familie, Bekannte, Verwandte) denn für<br />

organisationale Kooperation typisch sind. Die Auswahlkriterien, die am häufigsten<br />

genannt werden (persönliche Erfahrungen, Referenzen, Mitgliedschaften,<br />

Empfehlungen von Kollegen o<strong>der</strong> Partnerunternehmen, Versuch und Irrtum), dürften<br />

in Qualitätsmanagementsystemen kaum operationalisiert werden können (s. dazu<br />

Schra<strong>der</strong> 2001b).<br />

Insgesamt beschreiben die befragten Experten eine Zunahme von Kooperationen<br />

innerhalb bestimmter Segmente des Weiterbildungsmarktes, aber auch solche, die<br />

segmentübergreifend angelegt sind. In einem sich ausdifferenzierenden Markt<br />

erscheinen flexible, netzwerkartige Kooperationsstrukturen als angemessene<br />

Organisationsformen, die leistungsfähige Weiterbildungseinrichtungen voraussetzen<br />

und zugleich ihre Grenzen überwinden. Gleichwohl dürfen nach wie vor existierende<br />

scharfe Abgrenzungen etwa zwischen innerbetrieblichen und öffentlich anerkannten<br />

Weiterbildungsanbietern o<strong>der</strong> zwischen öffentlich anerkannten und<br />

erwerbswirtschaftlichen Einrichtungen keinesfalls übersehen werden. Diese Grenzen<br />

werden jedoch fließen<strong>der</strong>. So hat eine ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte<br />

Weiterbildungseinrichtung heute durchaus die Möglichkeit, mit Klein- und<br />

Mittelbetrieben, aber auch mit Großbetrieben erfolgreich zu kooperieren. Dies<br />

erfor<strong>der</strong>t allerdings eine Abkehr von <strong>der</strong> ausschließlich angebotsorientierten Ar<strong>bei</strong>t<br />

und eine genaue Analyse <strong>der</strong> Schnittmengen in Angebot und Nachfrage.<br />

Erfor<strong>der</strong>lich ist eine aktive Akquise, die die gemeinsame Erkundung von<br />

Lernbedarfen und die gemeinsame Entwicklung von Schulungskonzepten<br />

einschließt. Dies ist dann aussichtsreich, wenn sie fachliche Kompetenz und<br />

professionelle Beratung zu bieten hat und sich auf eine vertrauensvolle<br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t einlässt. Der Status des Anbieters lange Zeit ein wichtiges<br />

Kriterium für die Besetzung bestimmter Segmente des Weiterbildungsmarktes,<br />

verliert mehr und mehr an Bedeutung, was in den Interviews sehr deutlich u.a. von<br />

den Mitar<strong>bei</strong>tern <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung <strong>zum</strong> Ausdruck gebracht wird. Nicht <strong>der</strong><br />

Status des Anbieters entscheidet über Kooperationen, son<strong>der</strong>n die Qualität und<br />

Verlässlichkeit <strong>der</strong> angebotenen Dienstleistungen. Diese Entwicklung erfor<strong>der</strong>t<br />

von den Anbietern, die in den letzten Jahren sehr viel Energie darauf verwandt<br />

haben, mit <strong>der</strong> Einführung von Verfahren <strong>der</strong> Qualitätssicherung ihre internen<br />

Abläufe zu optimieren, sich zukünftig mehr den Schnittstellen zu ihren<br />

Kooperationspartnern zuzuwenden. In <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung haben sich<br />

bereits viele Einrichtungen auf diese neuen Anfor<strong>der</strong>ungen eingelassen (s. KEMPER/<br />

KLEIN 1998). Als bremische Beson<strong>der</strong>heit wirkt da<strong>bei</strong> die Vielzahl an großen und<br />

leistungsfähigen anerkannten Weiterbildungsanbieter zweifellos<br />

kooperationsför<strong>der</strong>nd, hat aber möglicherweise auch die Wahrnehmung potentieller<br />

Kooperationspartner lange Zeit eingeschränkt.<br />

10. Anfor<strong>der</strong>ungen an Lehrkräfte<br />

Der letzte Themenbereich leitet bereits über zu einer spezifischen Form <strong>der</strong><br />

Kooperation, die für die Weiterbildung strukturbildend ist: die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

zwischen den in <strong>der</strong> Weiterbildung tätigen Dozenten und Trainern und den<br />

59


Rückblick<br />

Vier<br />

Personalgruppen<br />

im Lehrbereich<br />

Mitar<strong>bei</strong>tern in Weiterbildungseinrichtungen. Um die Situation und die wichtigsten<br />

Verän<strong>der</strong>ungen einschätzen zu können, soll auch hier mit einem kleinen historischen<br />

Rückblick begonnen werden.<br />

In <strong>der</strong> Regel wird die Dienstleistung Weiterbildung ar<strong>bei</strong>tsteilig erbracht, in <strong>der</strong><br />

Zusammenar<strong>bei</strong>t von planend-disponierendem und lehrendem Personal. Die<br />

Professionalisierungskonzepte <strong>der</strong> 60er und 70er Jahre zielten auf hauptberufliche<br />

Tätigkeiten im planend-disponierenden Bereich, während die Lehre, die<br />

„eigentliche“ pädagogische Ar<strong>bei</strong>t, nebenberuflich geleistet werden sollte. Die<br />

enorme Ausweitung des Weiterbildungsangebots in den 80er und 90er Jahren wurde<br />

jedoch ohne eine entsprechende Erhöhung des hauptberuflichen Personals geleistet.<br />

Der <strong>bei</strong> weitem größte Teil des Personals in <strong>der</strong> Weiterbildung entfällt auf die<br />

Lehrenden. Da<strong>bei</strong> handelt es sich um eine im Hinblick auf Ausbildung und Studium,<br />

pädagogische Erfahrung, Beschäftigung und Präsenz in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung sehr<br />

heterogene Gruppe. Nach ihrem beruflichen Status lassen sich - vereinfacht gesagt -<br />

die folgenden Gruppen unterscheiden:<br />

- Da sind zunächst die ehrenamtlichen Mitar<strong>bei</strong>ter, die insbeson<strong>der</strong>e in den <strong>bei</strong>den<br />

großen Kirchen und ihren Weiterbildungseinrichtungen von einiger Bedeutung<br />

sind und die ihre gemeindebezogene Bildungs- und Gesprächskreisar<strong>bei</strong>t weniger<br />

wegen des zu erwartenden Honorars leisten als vielmehr aus religiösem o<strong>der</strong><br />

kirchlichem Engagement (vgl. JÜTTING 1992; KNOBLAUCH-FLACH 1994).<br />

- Quantitativ im Vor<strong>der</strong>grund steht nach wie vor die große Gruppe <strong>der</strong>jenigen, die<br />

nebenberuflich in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung Kurse o<strong>der</strong> Seminare leiten (vgl.<br />

KNOLL 1974).<br />

- Hinzu kommen freiberuflich tätige Mitar<strong>bei</strong>ter, die als sogenannte „neue<br />

Selbständige“ vorzugsweise in <strong>der</strong> staatlich anerkannten Erwachsenenbildung<br />

(vgl. ARABIN 1996) o<strong>der</strong> als professionelle Dienstleister vorzugsweise in <strong>der</strong><br />

betrieblichen Weiterbildung (vgl. SEIPEL 1994) nicht nur ein „Honorar“ (im Sinne<br />

einer „würdigen Anerkennung“) verdienen wollen, son<strong>der</strong>n ihren Lebensunterhalt<br />

o<strong>der</strong> große Teile davon durch Lehre, Training o<strong>der</strong> Beratung bestreiten. Ob diese<br />

Freiberufler sich selbst eher als „Subunternehmer“ o<strong>der</strong> eher als „Mitar<strong>bei</strong>ter“ <strong>der</strong><br />

Institutionen verstehen, ist weithin unbekannt (vgl. EFFINGER/KÖRBER 1994).<br />

- Schließlich seien die - vergleichsweise wenigen - angestellten Lehrkräfte genannt.<br />

Diese „Weiterbildungslehrer“ ar<strong>bei</strong>ten - befristet o<strong>der</strong> unbefristet - z.B. in AFGgeför<strong>der</strong>ten<br />

Qualifizierungsmaßnahmen o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> bundesweit agierenden<br />

Sprachschulen wie Berlitz, Inlingua o<strong>der</strong> den Goethe-Instituten, in <strong>der</strong> Regel auf<br />

<strong>der</strong> Basis von (Haus-) Tarifverträgen (vgl. DRÖLL 1994, S. 76 ff.). In <strong>der</strong><br />

öffentlich geför<strong>der</strong>ten Weiterbildung verdanken Weiterbildungslehrer ihre<br />

Festanstellung oft erfolgreichen Klagen vor Ar<strong>bei</strong>tsgerichten.<br />

Während die <strong>bei</strong>den zuerst genannten Gruppen so „alt“ sind wie die<br />

institutionalisierte Weiterbildung, tauchen die <strong>bei</strong>den an<strong>der</strong>en Gruppen in größerer<br />

Zahl infolge <strong>der</strong> beträchtlichen Ausweitung des Weiterbildungsangebots erst in den<br />

letzten <strong>bei</strong>den Jahrzehnten auf und haben zu einer Differenzierung <strong>der</strong> beruflichen<br />

Situation von Lehrkräften in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung <strong>bei</strong>getragen. Während<br />

60


Frauen/Männer<br />

Akademisierung<br />

Knoll (1974) in einer frühen empirischen Untersuchung an Volkshochschulen noch<br />

wie selbstverständlich von „nebenamtlichen Mitar<strong>bei</strong>tern in <strong>der</strong><br />

Erwachsenenbildung“ sprach, haben neuere empirische Untersuchungen<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> sogenannten „neuen Selbständigen“ Aufmerksamkeit<br />

geschenkt (z.B. DIECKMANN u.a. 1981, SCHERER 1987, BECHBERGER 1990,<br />

DIECKMANN 1992, BECHER/DINTER/SCHÄFFTER 1993, ARABIN 1996).<br />

In einer früheren Untersuchung des Instituts für Erwachsenen-Bildungsforschung<br />

konnten die Anteile dieser Beschäftigtengruppen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Lehrenden<br />

in <strong>Bremen</strong> sowie ihre Anteile am Weiterbildungsangebot geschätzt werden<br />

(SCHRADER 1998). Die folgende Tabelle zeigt die hier unterschiedenen vier Gruppen<br />

von Lehrenden mit ihrem Anteil am gesamten Veranstaltungsangebot.<br />

Tabelle 6: Gruppen von Lehrenden mit Anteilen am Veranstaltungsangebot<br />

Gruppen von Lehrenden nach<br />

Umfang <strong>der</strong> Lehrtätigkeit<br />

Anteil an den<br />

Lehrenden in %<br />

N=2675<br />

Anteil an Veranstaltungen<br />

in %<br />

N=8075<br />

Nebenberufliche, Ehrenamtliche 61,6 32,1<br />

„Teilzeit-Kräfte“ 26,0 35,1<br />

„Weiterbildungslehrer“ 4,5 3,3<br />

„Neue Selbständige“ 8,0 29,6<br />

Mit <strong>der</strong> Ausweitung des Veranstaltungsangebots hat sich auch die soziale Struktur<br />

des Lehrpersonals geän<strong>der</strong>t. Zwar liegen historische Vergleichsdaten lediglich für die<br />

öffentlich anerkannte Weiterbildung vor, jedoch ist anzunehmen, dass die Trends zur<br />

„Verberuflichung“, zur „Akademisierung“ und zur „Feminisierung“ auch für an<strong>der</strong>e<br />

Weiterbildungsbereiche gelten.<br />

Auch die Geschlechterverteilung unter den Lehrenden hat sich verän<strong>der</strong>t. Waren<br />

1979 noch ca. 40% <strong>der</strong> Lehrenden <strong>bei</strong> den staatlich anerkannten bremischen<br />

Weiterbildungsanbietern Frauen, so sind es 1992 bereits ca. 60%. Innerhalb dieses<br />

„feminisierten“ Ar<strong>bei</strong>tsmarktes zeichnet sich eine geschlechtsspezifische<br />

Ar<strong>bei</strong>tsteilung ab: Frauen unterrichten überwiegend in den Fachbereichen <strong>der</strong><br />

allgemeinen Weiterbildung (Fremdsprachen, Gesundheits- und soziale Bildung) und<br />

damit auch vorzugsweise <strong>bei</strong> den staatlich anerkannten und gemeinnützigen<br />

Weiterbildungsanbietern mit vergleichsweise bescheidenen Honoraren (vgl. DRÖLL<br />

1994, S. 74); Männer sind überrepräsentiert in <strong>der</strong> - deutlich lukrativeren -<br />

innerbetrieblichen Weiterbildung, nahezu in allen Fachbereichen <strong>der</strong> beruflichen<br />

Weiterbildung einschließlich <strong>der</strong> EDV-bezogenen Bildung und - nach wie vor - auch<br />

in <strong>der</strong> politischen Weiterbildung.<br />

Der dritte von Scherer skizzierte Trend, <strong>der</strong> Trend zur Akademisierung, läßt sich<br />

wohl für die Universitätsstadt <strong>Bremen</strong> ebenfalls unterstellen. Angebotszuwächse,<br />

thematische Schwerpunktverlagerungen und die Beschäftigungsmöglichkeiten <strong>der</strong><br />

Lehrkräfte sind wechselseitig voneinan<strong>der</strong> abhängig: Eine Expansion des Angebots<br />

in bestimmten Bereichen ist nur dann möglich, wenn - gemessen an den gefor<strong>der</strong>ten<br />

Qualifikationen und dem in Aussicht gestellten Honorar - genügend Lehrkräfte<br />

61


Spezialisten und<br />

Generalisten<br />

Strategien zur<br />

Verberuflichung<br />

von Lehrtätigkeiten<br />

vorhanden sind; umgekehrt bieten sich Beschäftigungsmöglichkeiten für die<br />

Lehrenden nur <strong>bei</strong> einer entsprechenden Nachfrage. We<strong>der</strong> die Nachfrage noch die<br />

Zahl <strong>der</strong> Lehrenden sind aber fixe Größen, son<strong>der</strong>n werden jeweils von <strong>der</strong><br />

Entwicklung des an<strong>der</strong>en Faktors (mit) beeinflußt.<br />

Ein Blick auf die beschäftigenden Institutionen und das Themenangebot <strong>der</strong><br />

Lehrenden zeigt, dass die Viel-Unterrichtenden sich auf die großen<br />

Weiterbildungsanbieter mit breitem Angebotsspektrum („Allround-Anbieter“)<br />

konzentrieren: So realisieren die Lehrenden <strong>der</strong> Gruppe 4 (die „neuen<br />

Selbständigen“) etwa 75% ihrer Veranstaltungen <strong>bei</strong> den - nach<br />

Veranstaltungszahlen - vier großen bremischen Weiterbildungsanbietern: <strong>bei</strong> den<br />

<strong>bei</strong>den Volkshochschulen sowie <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts- und Sozialakademie <strong>der</strong><br />

Angestelltenkammer und <strong>der</strong> evangelischen Familienakademie. Bei diesen Anbietern<br />

können freiberuflich tätige Lehrende eine Vielzahl von Kursen platzieren, ohne<br />

zugleich mit einer größeren Zahl von Einrichtungen kooperieren zu müssen.<br />

Fragt man, mit welchen Strategien und Qualifikationen sich die „neuen<br />

Selbständigen“ vermarkten und gleichzeitig ein großes Unterrichtsvolumen<br />

realisieren, so bieten sich ihnen, vereinfacht gesagt, zwei Möglichkeiten: Sie<br />

konzentrieren sich als Spezialisten auf wenige Themen und versuchen, diese <strong>bei</strong><br />

einem o<strong>der</strong> auch <strong>bei</strong> mehreren (großen) Weiterbildungsanbietern möglichst häufig zu<br />

plazieren. Eine solche Strategie verspricht am ehesten Erfolg in großen<br />

Fachbereichen. Aus diesem Grund konzentriert sich ein Teil (<strong>der</strong> kleinere) <strong>der</strong><br />

freiberuflich Lehrenden z.B. auf Fremdsprachenkurse, Kurse im Gesundheitsbereich<br />

(Rückengymnastik, Yoga) o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> EDV. Die zweite Option besteht darin, ein<br />

möglichst breites, eventuell um einen harten Kern herum „entfaltetes“<br />

Themenspektrum anzubieten. Dies ist am ehesten möglich in <strong>der</strong> politischen,<br />

sozialen und personalen Weiterbildung o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermittlung formaler<br />

Schlüsselqualifikationen. Diese Gruppe unter den Freiberuflern könnte man als<br />

Generalisten unter den Lehrenden bezeichnen, sie sind gleichsam die Fachleute fürs<br />

„Allgemeine“ und „Alltägliche“. Hier zählen vor allem „weiche“ Qualifikationen,<br />

eine fachliche o<strong>der</strong> gar fachwissenschaftliche Kompetenz muß ergänzt und kann<br />

gegebenenfalls kompensiert werden durch Lebens- o<strong>der</strong> Lehrerfahrung.<br />

Nimmt man das als <strong>bei</strong>spielhaft für viele an<strong>der</strong>e stehende Angebotsprofil und<br />

berücksichtigt gleichzeitig, dass die Ausweitung des Veranstaltungsangebots ohne<br />

eine entsprechende Einstellung von planend-disponierendem Personal geleistet<br />

wurde, so kann man annehmen, dass <strong>bei</strong> den aktuellen Ar<strong>bei</strong>ts- und<br />

Finanzierungsbedingungen in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung vor allem folgende Strategien<br />

aussichtsreich sind für diejenigen, die eine Lehrtätigkeit in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />

zu ihrem Hauptberuf gemacht haben o<strong>der</strong> mindestens zu einer wichtigen Teilzeit-<br />

Beschäftigung: Für die Viel-Unterrichtenden, für die Spezialisten und mehr noch für<br />

die Generalisten, sind die Aussichten auf Beschäftigung und Einkommen dann<br />

relativ gut, wenn sie nicht darauf warten, von einem Programmplaner verpflichtet zu<br />

werden, son<strong>der</strong>n wenn sie selbst die Initiative ergreifen und<br />

Veranstaltungsangebote zu platzieren versuchen. Bei einer solch offensiven<br />

Marktstrategie bestimmen sie das Profil <strong>der</strong> Einrichtungen mit und tragen - neben <strong>der</strong><br />

Überlastung vieler Programmplaner - zur andauernden „Agenturverfassung“ <strong>der</strong><br />

Weiterbildung <strong>bei</strong>. In thematischer Hinsicht erscheint es günstig, sich auf die<br />

62


Lehrkräfte als<br />

Subunternehmer<br />

ohne feste<br />

Bindung<br />

Einführung in Themengebiete zu konzentrieren. Denn ein differenziertes,<br />

unterschiedliche Niveaustufen berücksichtigendes Angebot erfor<strong>der</strong>t vergleichsweise<br />

hohe Investitionen - in die Entwicklung von Seminarkonzepten und die eigene<br />

(fachliche) Fortbildung - <strong>bei</strong> durchaus ungewissem Ertrag. Schließlich liegt es nahe,<br />

eher weiche Themen anzubieten, die eine breite Teilnehmerschaft ansprechen<br />

(Anfänger und Fortgeschrittene) und diese nicht sogleich durch erwartete<br />

Lernanstrengungen abschrecken. Die Teilnahme an in <strong>der</strong> Regel unbezahlter<br />

Kursleiterfortbildung steht in Konkurrenz zu bezahlter Lehrtätigkeit und erschiene<br />

erst dann attraktiv, wenn die Einrichtungen anschließend ein höheres Honorar o<strong>der</strong><br />

eine Ausweitung <strong>der</strong> Beschäftigung anbieten könnten. Schließlich ist eine rationelle<br />

Kurs- und Seminarplanung inklusive eines effizienten Zeitmanagements<br />

unabdingbar, um zu einem Einkommen zu kommen, das mehr ist als ein<br />

Zusatzverdienst und das eine Lebensführung deutlich oberhalb des<br />

Sozialhilfeniveaus nicht von vornherein ausschließt. Denn nach <strong>der</strong> Untersuchung<br />

von ARABIN (1996, S. 87 ff.) ar<strong>bei</strong>ten die „Kursleiter neuen Typs“ überwiegend<br />

für etwa 30-35 DM in <strong>der</strong> Stunde, und nur einige wenige kommen auf ein Brutto-<br />

Monatseinkommen während eines laufenden Semesters von über 2200 DM, von dem<br />

nicht nur <strong>der</strong> Lebensunterhalt, son<strong>der</strong>n die gesamte soziale Absicherung (Krankenund<br />

Rentenversicherung, ggfls. Krankenhaustagegeldversicherung) bestritten werden<br />

muß. Dies wird erschwert dadurch, dass entgegen dem beobachtbaren und auch<br />

proklamierten Trend zur Dienstleistungsökonomie die sozialen Sicherungssysteme<br />

immer noch auf „Normalar<strong>bei</strong>tsverhältnisse“ hin ausgelegt sind, die ein ganzes<br />

Berufsleben lang andauern. Nicht zuletzt ist daher den Belastungen standzuhalten,<br />

die sich aus einem ungeklärten und prekären beruflichen Status ergeben können.<br />

Soweit einige historische Vorbemerkungen. In <strong>der</strong> Tat beschreiben auch die Experten<br />

dieser Untersuchung für die allgemeine Weiterbildung einen Trend zur<br />

Auswan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Programmplanung aus den Einrichtungen hin zu den<br />

Lehrenden, <strong>der</strong> in den zuvor zitierten Statistiken noch als Hypothese formuliert<br />

werden musste.<br />

Das Profil einer Einrichtung wird immer mehr von den Lehrenden mitbestimmt, die<br />

sich eher als Subunternehmer denn als Mitar<strong>bei</strong>ter einer Einrichtung verstehen und<br />

die sich – aus Gründen <strong>der</strong> Themen- und Marktökonomie - we<strong>der</strong> an eine bestimmte<br />

Einrichtung binden wollen noch können. Die Weiterbildungseinrichtungen<br />

erhalten so wie<strong>der</strong> den Charakter eines Agenturbetriebes, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

Bildungsreform und <strong>der</strong> Professionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung gerade<br />

überwunden werden sollte. So stellt <strong>der</strong> Leiter des Fachbereichs EDV in einer<br />

öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung fest:<br />

„Die Dozenten [...] haben erst mal grundsätzlich keine Anbindung ans Haus. Die wollen<br />

ihren Job machen, die wollen ihr Geld verdienen, die müssen davon leben. Ich rede jetzt<br />

von den freiberuflichen Dozenten, weniger von den an<strong>der</strong>en, die haben eher eine<br />

Anbindung an uns, ich sage mal so gestandene ältere Herren, die so neben<strong>bei</strong> so ein<br />

bisschen was machen, aber die freiberuflichen Dozenten nicht. Und die Anbindung geht<br />

fast ausschließlich über die Person, die sie einsetzen. Jemand was abzusagen, dem man<br />

mal tief in die Augen geguckt hat, ist schwieriger als einer Institution, da kann man<br />

sagen, ja ich habe jetzt einen besseren Auftrag und so, fertig aus. Und das wird sich<br />

verstärken. Das sind eher Subunternehmer und weniger Leute, die sich <strong>bei</strong> uns<br />

angebunden fühlen. Die Anbindung kommt darüber, dass wir die Geräte haben, dass wir<br />

die Infrastruktur zur Verfügung stellen, deshalb machen sie das eher <strong>bei</strong> uns, weil das<br />

63


Intensive<br />

Einbindung<br />

externer Trainer<br />

in <strong>der</strong> innerbetrieblichen<br />

Weiterbildung<br />

eher funktioniert, weil viel Hintergrund da ist und Pflege als <strong>zum</strong> Beispiel <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

[Name eines an<strong>der</strong>en Anbieters], weil sie sagen, na ja, da weiß ich nie, wenn ich ein<br />

Seminar mache, ob die Geräte laufen, dann kriege ich das ganz ab, dann mache ich es<br />

lieber <strong>bei</strong> denen. Aber eine Bindung an die Institution an sich wird immer weniger.“<br />

(Interview 14, S.23)<br />

Nicht nur die Bindung <strong>der</strong> Lehrenden an die Einrichtung schwindet, son<strong>der</strong>n auch die<br />

darauf bezogenen Erwartungen <strong>der</strong> internen Mitar<strong>bei</strong>ter. Das kommt in den<br />

Ausführungen eines Mitar<strong>bei</strong>ters aus <strong>der</strong> gewerkschaftsnahen politischen Bildung<br />

deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck, wo „Bindung“ an die Einrichtung als „gewisse Nähe“<br />

interpretiert wird und nicht mehr das Mitgliedsbuch verlangt:<br />

„Erwarten tun wir schon, sagen wir mal, eine gewisse Nähe zu gewerkschaftlichen<br />

Zusammenhängen, Kenntnis <strong>zum</strong>indest von gewerkschaftlichen Zusammenhängen, eine<br />

Übereinstimmung <strong>zum</strong>indest insoweit, dass für abhängig Beschäftigte Gewerkschaften<br />

als eine zentrale Instanz akzeptiert werden, die Interessenvertretung organisiert. Wir<br />

machen es formal nicht mehr abhängig sagen wir mal, dass jemand das Mitgliedsbuch<br />

zeigen muss, obwohl das schon natürlich gern gesehen wird, aber das ist ein zentraler<br />

Aspekt.“ (Interview 12, S. 29)<br />

Gewerkschaftsnahe Bildungsar<strong>bei</strong>t, die hier als exemplarisch für die Ar<strong>bei</strong>t<br />

weltanschaulich gebundener Einrichtungen gewählt wurde, steht damit vor <strong>der</strong><br />

schwierigen Aufgabe, mit Hilfe von Bildung eine Überzeugungsgemeinschaft zu<br />

reproduzieren, während gleichzeitig sowohl die Bindung <strong>der</strong> Teamer als auch die <strong>der</strong><br />

abhängig Beschäftigten als Adressaten an diese Überzeugungsgemeinschaft<br />

nachlässt.<br />

Eine gegenläufige Entwicklung beschreiben die befragten Experten für die<br />

innerbetriebliche Weiterbildung und Personalentwicklung: Auch hier wird das<br />

wachsende Weiterbildungsvolumen <strong>bei</strong>nahe ausschließlich von externen Trainern<br />

und Beratern bestritten, die aber immer intensiver in die Bedarfsermittlung, die<br />

Konzeptentwicklung, die Evaluation, kurz: in die Begleitung von<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozessen einbezogen werden.<br />

„Wichtig ist, dass, was die Qualität des Angebotes betrifft, das neue Level ist, dass sie<br />

bereit sind, sich inhaltlich auf unsere Konzeptionen einzulassen, weil das ist nämlich<br />

genau <strong>der</strong> Punkt, wo man hinschauen muss.“ (Interview 5, S. 13)<br />

Die Gefahren <strong>bei</strong> <strong>der</strong> (schwierigen) Auswahl <strong>der</strong> Externen werden <strong>zum</strong> einen darin<br />

gesehen, dass man sich für bestimmte, „mo<strong>der</strong>ne“ Methoden entscheidet und die<br />

konkreten Bedingungen vor Ort vernachlässigt (Interview 5, S. 14): Weg von den<br />

vorkonfektionierten Angeboten und hin zu den passgenauen und bedarfsgerechten<br />

Konzepten. Das Ziel besteht in einer gemeinsamen, ar<strong>bei</strong>tsplatznahen<br />

Problemlösung und nicht in <strong>der</strong> Übernahme fertiger Konzepte:<br />

„Ich sage mal, wir sind in einem gemeinsamen Lernprozess, und zu glauben, dass<br />

Beratung einen deutlichen Vorsprung hat vor dem Know-how, das man selber hat, das<br />

ist nicht <strong>der</strong> Fall, son<strong>der</strong>n ich glaube, das, was im Augenblick passiert in <strong>der</strong> Wirtschaft,<br />

also die Verän<strong>der</strong>ungen und die Dynamik, die dahinter ist, die ist so neu, das merken<br />

Sie auch, wenn Sie einfach mal in die Begleitliteratur, auch in die wissenschaftliche<br />

Begleitung gucken, die kommen ja nicht mit. Also von <strong>der</strong> betriebswirtschaftlichen<br />

Seite her, von <strong>der</strong> volkwirtschaftlichen Seite her, von <strong>der</strong> OE-Seite her, das ist ein<br />

gemeinsames Lernen, Ausgucken, Interpretieren, das ist nicht so, wie es vielleicht<br />

früher mal gewesen ist, dass es wirklich ein Wissen gab und dass dieses Wissen im<br />

Prinzip auch angewendet werden konnte, son<strong>der</strong>n es ist ein gemeinsamer<br />

64


Therapeutisierung<br />

<strong>der</strong><br />

Erwachsenenbildung<br />

Entwicklungsprozess, wo ich denke, die Beratung, und wenn da oft dann auch noch<br />

Institutionen, Institute hinter stehen, die Chance haben, durch die Mitar<strong>bei</strong>t in Betrieben<br />

Erfahrungswerte zu bekommen, die sie nutzen können, um wissenschaftliche Modelle<br />

weiter zu entwickeln. So ar<strong>bei</strong>ten <strong>zum</strong> Beispiel die [Name einer Institution], und das<br />

halte ich für sinnvoll und wenn man sich dessen bewusst ist, kann es auch zu<br />

erfolgreichen Kooperationen kommen. Aber ich glaube nicht, dass Beratung einen<br />

deutlichen Vorsprung hat.“ (Interview 5, S. 15)<br />

Die einen versuchen, zu dezentralen Lösungen zu kommen, die an<strong>der</strong>en halten an<br />

zentralen Lösungen – an <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Externen durch die Personalabteilung –<br />

fest, weil man nur so die notwendige Qualität sicherstellen zu können glaubt. Mit <strong>der</strong><br />

intensiveren Einbindung externer Dienstleister verschwinden auch die Grenzen<br />

zwischen Training und Beratung, wie bereits herausgestellt wurde. Da die<br />

innerbetrieblichen Verän<strong>der</strong>ungsprozesse aber immer stärker auch eine Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> personalen und sozialen Kompetenzen <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter erfor<strong>der</strong>n, drohen auch die<br />

Grenzen zwischen qualifizieren<strong>der</strong> und supervidieren<strong>der</strong> o<strong>der</strong> gar therapeutischer<br />

Ar<strong>bei</strong>t zu verschwinden. Phänomene <strong>der</strong> Therapeutisierung beobachten wir heute<br />

in allen Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, aber eben auch – und dort erscheint sie als<br />

beson<strong>der</strong>s sensibel – in <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung und<br />

Personalentwicklung. Von den Trainern werden häufig psychologische Kompetenzen<br />

gefor<strong>der</strong>t:<br />

„Ja, weil das in den Trainings, so wie wir sie jetzt machen, eben nicht mehr darum geht,<br />

irgendwelche Inhalte zu vermitteln, also wenn es jetzt darum geht, irgendwelche<br />

Kommunikationsbasics zu vermitteln, ich habe früher auch Rhetorik-Seminare gemacht,<br />

o<strong>der</strong> Führungsgrundlagen, das kann man vermitteln, wenn man methodisch didaktisch<br />

was drauf hat. Aber wenn man anfängt, mehr so supervisionsmäßig, sage ich mal, also<br />

wenn man jetzt an einzelnen Fällen ar<strong>bei</strong>tet und guckt, wie ist die Konstellation, was ist<br />

da passiert, wie ist <strong>der</strong> Konflikt entstanden, wie stellt sich <strong>der</strong> dar und was ist mit dir<br />

eigentlich los, wie verhältst du dich, dann geht das einfach richtig in den<br />

psychologischen Bereich herein, dann muss man dazu in <strong>der</strong> Lage sein,<br />

Persönlichkeiten zu verstehen, da muss man in <strong>der</strong> Lage dazu verstehen, was passiert im<br />

zwischenmenschlichen Bereich und dafür, wenn man nicht irgendwie ein ganz großes<br />

Naturtalent dafür ist, wovon ich erst mal nicht ausgehe, was ich erst mal auch nicht<br />

weiß, wenn ich einen Trainer einstelle, von daher ist für mich diese Qualifikation<br />

wichtig. Ich ar<strong>bei</strong>te eben gerne auch mit TA-Leuten zusammen, weil ich weiß, wenn<br />

jemand eine TA-Ausbildung gemacht hat, also ich weiß wie die Ausbildung abläuft, ich<br />

weiß, die müssen mindestens in <strong>der</strong> Größenordnung 6 Jahre diese Ausbildung machen,<br />

das läuft ganz viel über Supervisionen, die haben dann eine Basis.“ (Interview 13,<br />

S. 20)<br />

Aus <strong>der</strong> Perspektive eines kommerziellen Trainings- und Beratungsinstituts stellt<br />

sich <strong>der</strong>selbe Sachverhalt folgen<strong>der</strong>maßen dar:<br />

„Wir haben sehr viele Quereinsteiger, die aus <strong>der</strong> Praxis kommen, dann eine fundierte<br />

Trainerausbildung mit psychologischer Orientierung gemacht haben, aber ansonsten<br />

Feuerwehrmann. Einer unserer besten Trainer für gewerbliche Kunden ist ein<br />

Feuerwehrmann, <strong>der</strong> ist exzellent, <strong>der</strong> bringt die Beispiele so lebendig aus seinem<br />

Umfeld, also analog rüber, dass sich da je<strong>der</strong> was drunter vorstellen kann, und <strong>der</strong> kriegt<br />

hochwissenschaftliche Inhalte transportiert über Beispiele aus seinem Feuerlöschzug.<br />

Toll, <strong>der</strong> ist klasse, <strong>der</strong> spricht dann auch <strong>bei</strong> den Gewerblichen eher so <strong>der</strong>en Sprache,<br />

<strong>der</strong> ist brillant, <strong>der</strong> ist aber kein Psychologe, aber hat, <strong>der</strong> ist Naturpsychologe, wie je<strong>der</strong><br />

im Grunde, <strong>der</strong> hat eine <strong>der</strong>artige Intuition und eine Sensibilität, kriegt die aber<br />

gleichzeitig übersetzt in die manchmal sehr bodenständige Sprache, denn wir haben als<br />

Zielgruppe mit dem Anspruch nicht nur Topführungskräfte o<strong>der</strong> wissenschaftlich<br />

Vorgebildete, son<strong>der</strong>n auch den Spediteur o<strong>der</strong> den Trucker, <strong>der</strong> dann hinter dem<br />

65


Entschleunigung<br />

und Kurzzeitpädagogik<br />

Lenkrad sitzt über analoges Training, gleichnishaftes Training, aus <strong>der</strong> Erlebniswelt <strong>der</strong><br />

Teilnehmer gesuchte Beispiele bemühend, das ist so <strong>der</strong> Ansatz, wo sie das überall<br />

hinkriegen, denn je<strong>der</strong> trägt das alles in sich, diese Inhalte, je<strong>der</strong> hat das Verständnis<br />

und je<strong>der</strong> hat schon Beispiele erlebt, an denen er das dann festmachen kann, wo er<br />

Parallelen ziehen kann. Daraus ergibt sich noch ein Anspruch für die Trainer, sie sollen<br />

<strong>zum</strong>indest <strong>bei</strong> uns nicht primär Wissensvermittler sein, also nicht die, die vorne<br />

dozieren und die an<strong>der</strong>en berieseln mit irgendwelchem Input, dafür ist meistens die Zeit<br />

zu schade und auch zu teuer. Wir sehen Training eher so als Vernetzung von Inhalten.<br />

[...] Es gibt, wir kennen kaum Institute, die es so flächendeckend anwenden, wir lernen<br />

aber immer mehr Trainer kennen, beson<strong>der</strong>s aus therapeutischen Richtungen,<br />

Therapeuten, die sich dann bewerben und sagen, ich habe nie geahnt, vorgestern Abend<br />

hatte ich es gerade wie<strong>der</strong>, dass es auch ein Institut gibt, die das in die Wirtschaft<br />

transportieren, denn im Zwischenmenschlichen, im Therapeutischen ist das alles ein<br />

alter Hut, aber dass das jetzt auch hoffähig ist in <strong>der</strong> Wirtschaftswelt, das ist neu und<br />

das finde ich ja toll. Wir kriegen aus <strong>der</strong> Richtung hun<strong>der</strong>te von Bewerbungen, und das<br />

ist natürlich eine schöne Vorbildung, wenn sich jemand mit solchen Inhalten schon<br />

beschäftigt hat, aber die haben dann meistens den Mangel, was heißt Mangel, Defizit in<br />

den Wirtschaftserfahrungen und gehen manchmal zu therapeutisch daran, deswegen ist<br />

es manchmal ganz hilfreich, für jemanden, <strong>der</strong> Berufserfahrung in Konzernen o<strong>der</strong> in<br />

Firmen in <strong>der</strong> klassischen Wirtschaft, Profit, nicht nur Non-Profit hat und dann sich<br />

diese psychologisch orientierten Inhalte nacheignet.“ (Interview 4, S. 8, S. 10)<br />

Als zentrale Anfor<strong>der</strong>ungen an Trainer erscheinen vor diesem Hintergrund dann<br />

nicht zufällig Lebenserfahrung sowie die Fähigkeit, sich selbst nicht mehr in den<br />

Mittelpunkt stellen zu müssen (Interview 4, S. 6-8). Die Suche nach Sinnhaftigkeit<br />

begründet einen neuen Bedarf an Sinnstiftung (Interview 4, S. 10), <strong>der</strong> auch in<br />

Weiterbildungsmaßnahmen eingefor<strong>der</strong>t wird. Wenn Erwachsene an Veranstaltungen<br />

teilnehmen, dann erwarten sie häufig mehr als nur Wissensvermittlung und<br />

didaktische Anleitung: Es geht um Beratung, Unterstützung <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Anfor<strong>der</strong>ung, die eigene Biographie zu sichern und fortzuentwickeln, um<br />

therapeutische Begleitung, um „stellvertretende Inklusion“, kurz: um den<br />

paradoxen Versuch von „Entschleunigung“ unter den Bedingungen von<br />

Kurzzeitpädagogik. Wie Lehrkräfte darauf reagieren, darüber wissen wir noch<br />

wenig. Wenn es zutrifft, was Enno Schnitz bereits vor Jahren beschrieben hat, dass<br />

nämlich die Grenzen zwischen pädagogischem, therapeutischem und beratendem<br />

Handeln in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung verschwimmen und doch im Interesse <strong>der</strong><br />

Teilnehmenden und Lehrenden immer wie<strong>der</strong> klar definiert werden müssen, um die<br />

nötige Interaktionsbalance zwischen Primär- und Sekundärgruppenbeziehungen<br />

aufrechtzuerhalten, dann wird man wenig optimistisch sein. Handlungsstrategien<br />

an <strong>der</strong> Grenze von Therapie, Beratung und Bildung sind noch wenig ausgebildet,<br />

<strong>zum</strong>al wenn man in Rechnung stellt, dass <strong>der</strong> Zugang zu diesem Tätigkeitsfeld völlig<br />

ungeregelt ist und dass sich hier viele „Semiprofessionelle“ tummeln. Auf den<br />

Hinweis hin, dass gerade in <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung die Kunden und die<br />

Teilnehmenden in <strong>der</strong> Regel nicht identisch und dass daher Grenzüberschreitungen<br />

zur Therapie für abhängig Beschäftigte beson<strong>der</strong>s sensibel seien, versucht <strong>der</strong><br />

externe Berater, eine klare Grenze zwischen Training und Therapie zu definieren:<br />

„Aus <strong>der</strong>en Sicht, ich würde das gerne gleich noch näher ausführen, wo wir uns da ganz<br />

klar, und das ist unbedingt notwendig, von <strong>der</strong> Therapie abgrenzen. Wir gehen nicht so<br />

tief, wie ein Therapeut das vielleicht darf. Das wäre <strong>bei</strong> uns nicht erlaubt, ein Trainer<br />

o<strong>der</strong> Coach nach unserem Verständnis ist nicht, das wird schwierig, es gibt, das haben<br />

Sie vorhin schon von Herrn [Name eines Trainers] gehört, drei Ebenen, nach denen wir<br />

das einstufen, modellhaft, <strong>bei</strong>spielhaft. Es gibt eine bewusste Ebene, eine unterbewusste<br />

66


Ebene und eine unbewusste Ebene. Der Therapeut ar<strong>bei</strong>tet auch bis hinein in die<br />

unbewusste Ebene, <strong>bei</strong> uns wäre ganz klar darüber, dass wir den Kunden und Klienten<br />

o<strong>der</strong> dem Team o<strong>der</strong> dem Unternehmen nicht intellektuell vermitteln, ich glaube ihr<br />

habt ein Problem mit Vertrauen, dann gäbe es zwei Möglichkeiten <strong>bei</strong>m Kunden,<br />

entwe<strong>der</strong> er sagt, ich glaube, ihr habt einen Vogel, also Blockade, Abwehr, o<strong>der</strong> er sagt,<br />

kann sein, dass ihr Recht habt, also in seinem 3 %igen Bewusstsein verar<strong>bei</strong>tet er das<br />

intellektuell, aber es hat keine Folgen, weil er es nicht in den Bauch kriegt, er fühlt es<br />

nicht. Das heißt, wir würden ihm nicht sagen, wo es lang geht, son<strong>der</strong>n wir würden über<br />

Spiegelungen, über Impulse ihn selbst dahin führen, über Amplifikationen.“ (Interview<br />

4, S. 11)<br />

Der Wandel von <strong>der</strong> (allgemeinen) Wissensvermittlung zur (fallorientierten)<br />

Beratung wird von den Experten aber nicht nur im Blick auf die Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Prozessbegleitung <strong>bei</strong> innerbetrieblichen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen formuliert, son<strong>der</strong>n<br />

auch mit Blick auf den Einsatz neuer Medien für die Zwecke von Weiterbildung und<br />

Personalentwicklung. Ein Experte aus einer anerkannten Weiterbildungseinrichtung<br />

formuliert:<br />

„Also diese Art Individualisierung und die an<strong>der</strong>e Seite, das ist dann vielleicht für<br />

Dozentenseite umso wichtiger, gerade wenn ich neue Medien, also Multimedia o<strong>der</strong><br />

selbstorganisiertes Lernen so als Schlagwort mit einführe, heißt, ich habe lauter<br />

Individuen, die irgendwo sich Dinge aneignen und damit beschäftigen, das heißt, <strong>der</strong><br />

kollektive Austauschprozeß ist ein völlig an<strong>der</strong>er, weil das Interesse des Einzelnen<br />

überdimensional im Raum steht und er auch gar nicht mehr so viel Einblick hat in das<br />

des an<strong>der</strong>en und <strong>der</strong> Dozent jetzt diese sehr heterogenen und individuellen Situationen<br />

<strong>der</strong> vielen einzelnen managen, mo<strong>der</strong>ieren, zueinan<strong>der</strong> bringen o<strong>der</strong> auch einzeln<br />

bear<strong>bei</strong>ten und beantworten muss, so, das heißt, die Anfor<strong>der</strong>ung an die<br />

Bildungseinrichtung o<strong>der</strong> das Personal in einer Bildungsfirma erhöht sich, weil <strong>der</strong><br />

Dozent ein Vielfaches von Chaosmanagement können und beherrschen muss und sagen<br />

wir mal ein Vielfaches von vorweggenommen Überlegungen organisieren muss. [...]<br />

Die Fähigkeit des Ausbil<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> die beson<strong>der</strong>e Fähigkeit, die gefor<strong>der</strong>t war, ist sich<br />

auf diese verschiedenen Leistungsstände, Situationen, Fähigkeiten einzulassen und das<br />

immer wie<strong>der</strong> zusammen zu bringen und zu mo<strong>der</strong>ieren und zu organisieren. Und das<br />

ist glaube ich, eine grundsätzliche pädagogische Fähigkeit, die schon immer gefor<strong>der</strong>t<br />

wurde, ich glaube, sie wird aber zugespitzt, schärfer, viel massiver gefor<strong>der</strong>t.“<br />

(Interview 6, S. 9)<br />

Ähnlich äußert sich ein Experte aus <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung:<br />

„Dieses technical skill training haben wir <strong>zum</strong> Beispiel für Außendienstmitar<strong>bei</strong>ter fast<br />

ausschließlich über CD-Roms. Wir haben natürlich über Telefontechnologie [...], o<strong>der</strong><br />

wir haben, ich weiß nicht, ob man das Lernstudio nennen sollte, aber wenn wir ein<br />

neues technisches Lernen anbieten, gibt es eine Gruppe von Mitar<strong>bei</strong>tern, die sich für<br />

die Umsetzung dieses Lernens interessieren, die sich darum kümmern und die dann eine<br />

zentrale Funktion für die Lernenden, aber eben nur für diese kurze Zeit spielen. Ich<br />

glaube Zeit ist ein ganz entscheiden<strong>der</strong> Begriff, wo sie nicht mehr die Chance wie<br />

früher haben. Früher äußerte sich das so in Manuals, da war man stolz, wenn man<br />

endlich mal das, was man durchdacht hatte, in solchen Ordnern zusammen packte, in<br />

sections und dann wurde das wie wo eine Führerscheinprüfung durchlaufen. Das ist<br />

radikal verschwunden. Das sind eher Menschen, die eine gute Beobachtung für Trends<br />

eben haben, für Entwicklung, die eine gute didaktische methodische Begabung haben<br />

und die Informationstransfer sehr schnell in Bewegung setzen können und das läuft<br />

auch eben über positiven Konflikt, positive Konfrontation im Unternehmen, auch<br />

positive Provokation im Unternehmen und Provokation läuft <strong>bei</strong> uns sehr viel über<br />

dieses Intranet.“ (Interview 7, S. 14)<br />

Noch schärfer formuliert es eine Beobachterin aus <strong>der</strong> Weiterbildungspolitik:<br />

67


Steigende<br />

Bedeutung <strong>der</strong><br />

Lehrenden<br />

Zusammenfassung<br />

„Stark akzentuiert: Ein Dozent ist zukünftig mehr ein Coach als ein Vater, weil er die<br />

Verantwortung, eh, wenn wir sagen <strong>der</strong> Einzelnen hat die Verantwortung für seinen<br />

Lernprozeß, dann ist das die Konsequenz und das Dienstleistungsverhältnis wird<br />

deutlicher., die beraten ne. Und deshalb werden sich die Kompetenzen än<strong>der</strong>n müssen<br />

und werden sich än<strong>der</strong>n . Hinzukommt, und deshalb glaube ich, dass die Ansprüche an<br />

unsere Dozentinnen und Dozenten höher werden, noch höher werden, obwohl ich eben<br />

gesagt habe, wir können für ihre soziale Absicherung nichts tun, kommt da hinzu, dass<br />

neben dem, all dem, was ich wissen muß, auch die Methodenkompetenz sich stark<br />

än<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Umgang mit <strong>der</strong> Technik perfekt sein muß. Ich darf nicht mehr<br />

Lernen<strong>der</strong> sein, son<strong>der</strong>n ich muß in allen drei Bereichen wirklich gut sein, erfahren sein,<br />

um überhaupt beraten zu können. Ich kann, es reicht nicht mehr zwei Seiten, ich weiß,<br />

es ist nie so gewesen, aber ich karikiere, im Lehrbuch sich im Stoff zwei Seiten weiter<br />

vorzuhangeln, weil man weiß, die Leute sitzen da, dürfen sowieso nicht viel sagen und<br />

schreiben mit, weil es droht die Prüfung. Das ist vor<strong>bei</strong>. Entwe<strong>der</strong> ich bin souverän und<br />

kann, so souverän, dass ich unterstützen kann, das ist find ich das Schwierigste<br />

überhaupt, o<strong>der</strong> ich werde baden gehen. In dem Timeprogramm, was <strong>Bremen</strong><br />

verabschiedet hat, was jetzt anläuft und in 2002 richtig greift, ist ein starker Akzent<br />

gesetzt auf Multiplikatorenschulung und selbstverständlich geöffnet für die freiberuflich<br />

Tätigen in den Bereichen Wissenschaft, Weiterbildung.“ (Interview 10, S. 19)<br />

Gemeinsam ist <strong>der</strong> betrieblichen und <strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung sicherlich, dass<br />

die Bedeutung <strong>der</strong> Lehrenden für die Qualität <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t insgesamt deutlich an<br />

Gewicht gewinnt. Dass damit beson<strong>der</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen an die Auswahl geeigneter<br />

Dozenten, Trainer und Berater gestellt werden angesichts eines Marktes, <strong>der</strong> von<br />

allen Experten übereinstimmend als völlig unübersichtlich beschrieben wird, liegt<br />

auf <strong>der</strong> Hand. Die Ar<strong>bei</strong>tsteilung zwischen internen und externen<br />

Personalentwicklern wird nach <strong>der</strong> Erwartung <strong>der</strong> meisten Experten auch in Zukunft<br />

so bleiben:<br />

„Solange ich das beeinflussen kann, wird es so bleiben wie es jetzt ist, weil die Qualität<br />

von Personalentwicklung im Unternehmen macht für mich eben aus, dass man das<br />

wirklich auf die Belange des Unternehmens und auf die Belange <strong>der</strong> konkreten<br />

Mitar<strong>bei</strong>ter maßschnei<strong>der</strong>n kann, wenn ich was rausgebe, ist immer die Gefahr, deshalb<br />

versuchen wir auch, die Leute möglichst nicht zu externen Seminare zu schicken, weil<br />

wir da keinen Einfluss mehr drauf haben, was da genau gemacht wird, welcher Trainer<br />

das macht o<strong>der</strong> ob wir das überhaupt brauchen usw. Bei uns wird es sicherlich eher so<br />

bleiben wie es ist. Ich glaube auch nicht, dass das ein Trend sein wird, dass mehr an<br />

Personalentwicklungsar<strong>bei</strong>t nach draußen verlagert wird. Damit macht man im Grunde<br />

genommen ein Stück weit natürlich, man entzieht sich selbst denke ich mir, so ein Stück<br />

weit den Boden unter den Füßen, wenn Personalentwicklung im Unternehmen Sinn<br />

macht, dann macht es ja gerade deshalb Sinn, weil man möglichst<br />

unternehmensspezifisch und bedarfsgerecht das genau maßschnei<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Trend<br />

geht ja in den letzten Jahren eher dahin, noch mehr genau zu gucken, auch weg von<br />

internen Standardmaßnahmen im Grunde genommen.“ (Interview 13, S. 16)<br />

Der Bedarf an Qualitätssicherung in diesem Bereich wird auch von<br />

erwerbswirtschaftlichen Instituten formuliert:<br />

„Schwer. Es gibt sicherlich einen ganzen Haufen an schwarzen Schafen, das klingt jetzt<br />

so negativ, die meinen es ja alle nicht böse, aber an Qualifikationen im Markt, die wir<br />

für nicht adäquat halten, aber das ist dann auch wie<strong>der</strong> nur unser Anspruch. Trainer und<br />

Coach darf sich je<strong>der</strong> nennen, und was da dann hinter steckt, muss <strong>der</strong> Endverbraucher,<br />

<strong>der</strong> Kunde beurteilen, und das lässt sich meistens nur über eine Beziehungsebene<br />

darstellen, wenn <strong>der</strong> Kunde Vertrauen hat und sich irgendwie wohlfühlt mit dem<br />

Trainer, dann ist es in Ordnung, solange er nicht irgendwie über den Tisch gezogen<br />

wird. Für den Endverbraucher ist es schwer.“ (Interview 4, S. 17)<br />

68


Manche Unternehmen bezeichnen das Angebot des „Massenmarktes“ als junk meal,<br />

sie konzentrieren sich statt dessen auf wenige Kooperationspartner, mit denen sie<br />

langjährig zusammenar<strong>bei</strong>ten, und darauf, die eigenen Führungskräfte in die Lage zu<br />

versetzen, Aufgaben <strong>der</strong> Personalentwicklung zu übernehmen (Interview 7, S. 18).<br />

Ansonsten zieht man sich, wie bereits beschrieben, auf Auswahlstrategien zurück,<br />

die Empfehlungen von vertrauenswürdigen Berufskollegen und eigenen Erfahrungen<br />

ein großes Gewicht <strong>bei</strong>messen:<br />

Zusammenfassend lassen die hier befragten Experten die folgenden Entwicklungen<br />

als wichtigste Trends erkennen,<br />

- dass die Programmplanung in <strong>der</strong> öffentlich anerkannten auswan<strong>der</strong>t, während die<br />

Unternehmen den umgekehrten Weg <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong> Externen in die<br />

innerbetrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung gehen;<br />

- dass die Grenzen zwischen Training und Therapie sowie zwischen Training und<br />

Beratung schwinden;<br />

- dass die Dozenten <strong>der</strong> Zukunft weniger Wissensvermittler als Lern-, Lebens- und<br />

Organisationsberater sein werden;<br />

- dass sie neue Aufgaben erhalten in <strong>der</strong> Gestaltung von Lernarrangements und <strong>der</strong><br />

Steuerung von Lernprozessen (mit Blick auf die neuen Medien).<br />

11. Perspektiven des Lehrens und Lernens in <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft: Abschließende Thesen<br />

Die vorangegangenen Kapitel haben in einem breit angelegten Überblick zahlreiche<br />

Aspekte des Lehrens und Lernens in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft behandelt. Da<strong>bei</strong> ging<br />

es uns nicht in erster Linie darum, vorhandene theoretische Konzepte empirisch zu<br />

prüfen, weiterzuentwickeln o<strong>der</strong> gar selbst theoriebildend zu ar<strong>bei</strong>ten, son<strong>der</strong>n vor<br />

allem darum, die Wahrnehmungen und Deutungen zentraler Akteure <strong>der</strong> bremischen<br />

Weiterbildungslandschaft zur Darstellung zu bringen. Das Ergebnis ist ein<br />

Abschlussbericht, <strong>der</strong> in seinen dichten Beschreibungen beson<strong>der</strong>en Wert auf<br />

Anschaulichkeit legt und daher interviewte Experten ausführlich zu Wort kommen<br />

lässt. Dies entspricht den Interessen des Auftraggebers ebenso wie den<br />

Forschungsinteressen, die unter den gegebenen Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen zur Geltung<br />

gebracht werden konnten. Abschließend sollen nun – thesenartig zugespitzt - einige<br />

Perspektiven für die Herausfor<strong>der</strong>ungen, die Aufgaben und die Optionen von<br />

Weiterbildungsanbietern in <strong>der</strong> sich etablierenden Wissensgesellschaft skizziert<br />

werden. Mehr kann und will <strong>der</strong> außenstehende Beobachter nicht leisten.<br />

Konsequenzen und Empfehlungen für ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte<br />

Weiterbildungsanbieter können und sollen nur diejenigen formulieren, die auch<br />

Verantwortung für die Ar<strong>bei</strong>t dieser Einrichtungen tragen.<br />

Bereits einleitend war <strong>bei</strong> den knappen Referaten über die wichtigsten theoretischen<br />

Studien deutlich geworden, dass mit dem Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft an<strong>der</strong>es<br />

und mehr gemeint ist als eine Gesellschaft, die durch Wissenschaft geprägt ist, und<br />

69


dass ihre soziale und pädagogische Praxis schon gar nicht auf den Einsatz <strong>der</strong> neuen<br />

Informations- und Kommunikationstechniken für Zwecke des Lehrens und Lernens<br />

beschränkt ist. Als ihr zentrales Charakteristikum, ihr „axiales Prinzip“, wie es <strong>bei</strong><br />

Daniel Bell heißt, kann die Tatsache gelten, dass Wissen neben Ar<strong>bei</strong>t und Eigentum<br />

zu einer zentralen Ressource gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer<br />

Strukturierung wird. Am greifbarsten wird ihre Realität durch die steigende Zahl<br />

<strong>der</strong>jenigen, die beruflich mit <strong>der</strong> Generierung und Verteilung von Wissen befasst<br />

sind. Erwachsenenbildung stellt eine wichtige und wichtiger werdende Institution<br />

dar, die diesen wachsenden Bedarf an Wissensar<strong>bei</strong>t befriedigt. Aber auch an<br />

an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Orten und in an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Institutionen ist<br />

eine wachsende Zahl von Experten, Ratgebern und Beratern damit beschäftigt,<br />

Wissen zu produzieren, Wissensdistribution zu gewährleisten und Wissen über<br />

Wissen zur Verfügung zu stellen.<br />

Die Wissensgesellschaft erfor<strong>der</strong>t einen ständigen Neuentwurf von Lern- und<br />

Sozialisationsprozessen, da die Grundlagen des Lebens und Ar<strong>bei</strong>tens ständig durch<br />

neue Wissensbestände erweitert werden. Lebenslanges und lebensbegleitendes<br />

Lernen bleiben daher nicht mehr nur bildungspolitische Maßgabe, son<strong>der</strong>n werden<br />

für immer mehr Erwachsene zu einer realen, mehr und mehr in Eigenverantwortung<br />

zu erfüllenden Anfor<strong>der</strong>ung, die sowohl durch organisiertes als auch<br />

selbstorganisiertes Lernen erfüllt wird. Dies lässt sich u.a. an den Daten des<br />

Berichtssystems Weiterbildung ablesen, die für die organisierte Weiterbildung in<br />

Form von Kursen und Seminaren seit Jahren steigende Teilnahmequoten ausweisen.<br />

Dass die weicheren, mehr informellen Lernen des Lernens ebenfalls häufiger genutzt<br />

werden, steht mit dem ersten Befund nicht im Wi<strong>der</strong>spruch, son<strong>der</strong>n ergänzt ihn.<br />

Dass die bildungspolitische und wissenschaftliche Diskussion <strong>der</strong>zeit stärker die<br />

Selbststeuerung und die Eigenverantwortung erwachsener Lerner betonen und<br />

forcieren möchten, min<strong>der</strong>t die Bedeutung <strong>der</strong> organisierten Formen des Lernens<br />

nicht.<br />

Wenn hier – gleichsam gegen den <strong>der</strong>zeitigen Meinungstrend - die fortschreitende<br />

Institutionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung beson<strong>der</strong>s herausgehoben wurde, so darf man<br />

doch nicht übersehen, dass ihre Grenzen sichtbarer geworden sind. Dies zeigt sich<br />

u.a. an den Aporien <strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>tsamtgeför<strong>der</strong>ten beruflichen Weiterbildung, an <strong>der</strong><br />

Stagnation traditioneller Zielgruppenar<strong>bei</strong>t o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> schwieriger werdenden<br />

Synchronisation von individualisierten und fragmentierten „Zeitfenstern“ <strong>der</strong><br />

Adressaten mit den traditionellen Angebotsformen von Weiterbildungseinrichtungen.<br />

Daher erprobt die Praxis, weitgehend unbeeinflusst von wissenschaftlicher<br />

Beobachtung o<strong>der</strong> Anregung, neue Institutionalisierungsformen des Lernens, z.B. in<br />

<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Integration von Weiterbildungseinrichtungen in lokale o<strong>der</strong> regionale<br />

Netzwerke o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kombination von selbstgesteuertem und angeleitetem Lernen.<br />

Die Beziehungen von Weiterbildungseinrichtungen untereinan<strong>der</strong> und zu ihren<br />

jeweiligen gesellschaftlichen Umwelten werden dichter und schlagen sich in<br />

netzwerkartigen Kooperationsformen nie<strong>der</strong>. Zugleich verschärft sich in bestimmten<br />

Teilbereichen des Weiterbildungssystems die Konkurrenz.<br />

Vielfach schaffen erst die neuen Informations- und Kommunikationsmedien die<br />

Voraussetzungen für innovative Formen <strong>der</strong> Vermittlung von Wissen in Netzwerken<br />

und Lernverbünden. Die hier befragten Experten sehen die neuen Medien insgesamt<br />

70


weniger als Alternative denn als Ergänzung zu kursfömigem Lernen. Sie nutzen die<br />

Möglichkeiten, die diese neuen Medien für das zeit- und ortsunabhängige Lernen<br />

bieten, für den Informationsaustausch und die Meinungsbildung in pädagogisch<br />

geplanten und betreuten Lernarrangements. Für die Zukunft erscheinen vor allem<br />

neue Formen von Verbünden zwischen tutoriell betreuten und selbstorganisierten<br />

Lernformen als angemessene Antwort auf einen wachsenden Lernbedarf, <strong>der</strong><br />

angesichts knapper und fragmentierter werdenden Zeitbudgets <strong>der</strong> Adressaten nicht<br />

allein durch eine Expansion <strong>der</strong> klassischen Unterrichtsformen aufgefangen werden<br />

kann. Will man die bisher vorliegenden Erfahrungen und Befunde zusammenfassen,<br />

so könnte man in scheinbar paradoxer Formulierung sagen, dass selbstorganisiertes<br />

Lernen dann funktioniert, wenn es didaktisch professionell angeleitet wird. Insofern<br />

bleibt das Prinzip <strong>der</strong> Teilnehmerorientierung auch in <strong>der</strong> außerbetrieblichen<br />

beruflichen Weiterbildung (ENDL 1992) zukünftig ein gültiger Orientierungspunkt,<br />

nicht in <strong>der</strong> Variante <strong>der</strong> Selbststeuerung, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Variante <strong>der</strong> professionellen<br />

Antizipation von Themen, Lernzielen und Lernformen erwachsener Adressaten<br />

durch professionelle Pädagogen.<br />

Lehren und Lernen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft betrifft nicht nur die fortlaufende<br />

Vermittlung und Aneignung instrumentellen und funktionalen (Fach- und<br />

Wissenschafts-) Wissens, son<strong>der</strong>n erfor<strong>der</strong>t auch mehr und mehr überfachliche<br />

Kompetenzen, um im Beruf, aber auch diesseits und jenseits von (Erwerbs-) Ar<strong>bei</strong>t<br />

handlungsfähig zu bleiben. Auch <strong>der</strong> Alltag wird in einer an Information und<br />

Wissens immer reicheren Gesellschaft fragwürdiger, weniger selbstverständlich.<br />

Handlungsanfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> im sozialen Umfeld können nicht mehr<br />

allein durch den Rückgriff auf Traditionen erfüllt werden, sie bedürfen <strong>der</strong><br />

öffentlichen Verständigung, z.B. in Veranstaltungen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, und<br />

erhalten so eine fundamental politische Relevanz. Viele Adressaten erwarten heute<br />

von Erwachsenenbildung nicht nur Lernhilfen, son<strong>der</strong>n auch Lebensberatung und<br />

-begleitung, Hilfe <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Stabilisierung ihrer Biographien, neue Formen <strong>der</strong><br />

Vergemeinschaftung und <strong>der</strong> Geselligkeit, die die kriselnden traditionellen<br />

Großorganisationen nicht mehr zu leisten scheinen. Lernen wird so <strong>zum</strong> Instrument<br />

gesellschaftlicher Integration, zu einem Modus gesellschaftlicher Teilhabe. An <strong>der</strong><br />

SGB-III-geför<strong>der</strong>ten beruflichen Weiterbildung lässt sich dies exemplarisch zeigen.<br />

Weiterbildung und Lebens- und Ar<strong>bei</strong>tsalltag werden heute stärker miteinan<strong>der</strong><br />

gekoppelt, als das in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Bildungsreform <strong>der</strong> Fall und auch gewünscht war.<br />

In <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung lässt sich ein Kurssturz <strong>der</strong> klassischen<br />

Wissensvermittlung beobachten zugunsten <strong>der</strong> Vermittlung von subjekt- und<br />

erfahrungsbezogenen, alltäglichen Handlungskompetenzen. Die Aufwertung des<br />

Alltagswissens gegenüber dem Wissenschaftswissen lässt sich auch in an<strong>der</strong>en<br />

Bereichen belegen, in <strong>der</strong> kulturellen Weiterbildung, in <strong>der</strong> Umweltbildung,<br />

programmatisch in <strong>der</strong> Gesundheitsbildung. Diese Ausrichtung <strong>der</strong> Weiterbildung an<br />

alltäglichen Problemen und Bedarfen erfor<strong>der</strong>t für traditionelle Leitbegriffe wie<br />

Bildung und Emanzipation in ihrer orientierenden und identitätsstiftenden Funktion<br />

neue Begründungen. Alltagsdidaktisches und professionell betreutes Lernen bilden in<br />

<strong>der</strong> Erwachsenenbildung keine Gegensätze (mehr), son<strong>der</strong>n werden in offenen<br />

Lernpfaden komplementär genutzt. Wie bisher gehört die Auswahl und<br />

fachdidaktisch fundierte, gegenstands- und adressatengerechte Aufbereitung<br />

71


wissenschaftlichen Wissens zu ihren zentralen Aufgaben. Mehr und mehr aber<br />

kommen die wechselseitige Vermittlung von Experten- mit lebensweltlichem<br />

Erfahrungswissen hinzu sowie die Identifizierung impliziten und kontextgebundenen<br />

Wissens, das in rekursiven Prozessen erst bewusst und vermittelbar gemacht werden<br />

muss. Am deutlichsten wurde dieser Prozess hier von den Experten in <strong>der</strong><br />

innerbetrieblichen Weiterbildung thematisiert.<br />

Die Kluft zwischen dem Wissensangebot und dem individuell Wissbaren wird in <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft immer größer. Mit <strong>der</strong> explosionsartigen Entwicklung des<br />

verfügbaren Wissens über die Welt wird dem Einzelnen zugleich sein Nicht-Wissen<br />

immer bewusster. Nur ein Teil <strong>der</strong> erwachsenen Bevölkerung greift die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen und Möglichkeiten <strong>der</strong> Wissensgesellschaft auf, ein an<strong>der</strong>er Teil<br />

reagiert mit Distanz gegenüber Lernen und Wissen. Die in mehreren Untersuchungen<br />

belegte, sich weiter ausbreitende Flucht aus Wissenschaft und Rationalität kann als<br />

Versuch interpretiert werden, auch <strong>bei</strong> Nicht-Wissen noch orientierungs- und<br />

handlungsfähig zu bleiben. In dieser Untersuchung, die einen deutlichen<br />

Schwerpunkt in <strong>der</strong> beruflichen und betrieblichen Weiterbildung gesetzt hat, wurden<br />

vor allem diejenigen beschrieben, die sich den Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Wissensgesellschaft stellen und gewachsen zeigen. Die Gefahr einer Spaltung <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, die die bisher bekannten Formen <strong>der</strong> Bildungsbenachteiligung <strong>bei</strong><br />

weitem übertrifft, konnten hier nur am Rande angedeutet werden. Sie wird <strong>der</strong>zeit<br />

beson<strong>der</strong>s deutlich an <strong>der</strong> sogenannten „digitalen Spaltung“. Ein knowledge gap<br />

zwischen wissensnahen und wissensfernen Gruppen zeichnet sich hier bereits<br />

beson<strong>der</strong>s deutlich ab. Gerade ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte Weiterbildungseinrichtungen<br />

haben hier eine beson<strong>der</strong>e Verantwortung, <strong>bei</strong> ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung die „Kellerkin<strong>der</strong>“ <strong>der</strong> Wissensgesellschaft nicht zu vergessen.<br />

Viele Weiterbildungseinrichtungen wandeln sich zu Dienstleistungsagenturen mit<br />

einem breiten Leistungsangebot, in dem Programmplanung und Lehre im Zentrum<br />

stehen, aber um Beratung, kooperative Bedarfsermittlung, Mo<strong>der</strong>ation, mediale<br />

Unterstützung und die Sicherung von Infrastrukturen ergänzt werden. Dies erfor<strong>der</strong>t<br />

Organisationsentwickungsprozesse auch o<strong>der</strong> gerade <strong>bei</strong> strukturkonservativen<br />

Anbietern. In Netzwerken und Lernverbünden kooperieren professionelle Pädagogen<br />

mit Mitar<strong>bei</strong>tern aus Betrieben, aus <strong>der</strong> regionalen Ar<strong>bei</strong>tsmarkt- und Strukturpolitik,<br />

aus intermediären Organisationen wie Beschäftigungs- und<br />

Qualifizierungsgesellschaften o<strong>der</strong> mit Mitglie<strong>der</strong>n aus selbstorganisierten<br />

Initiativen. Erwartet wird für die Zukunft allgemein eine Zunahme betriebsnaher<br />

Weiterbildungsformen. In Nordrhein-Westfalen sollen künftig Ar<strong>bei</strong>tlose bzw. von<br />

Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit bedrohte Erwerbstätige sofort von sogenannten Transfer- o<strong>der</strong><br />

Beschäftigungsgesellschaften übernommen werden, die den Transferprozess <strong>der</strong><br />

Beschäftigten durch Beratung und Qualifizierung begleiten. Hier werden bereits seit<br />

längerem Erfahrungen gesammelt mit einer engeren Zusammenar<strong>bei</strong>t von<br />

Bildungsanbietern, Betrieben, <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung und regionaler Strukturpolitik.<br />

Während Weiterbildungseinrichtungen in den vergangenen Jahren (zu Recht) viel<br />

Energie darauf verwandt haben, ihre Aufbau- und Ablauforganisation mit <strong>der</strong><br />

Einführung von Qualitätssicherungssystemen zu optimieren, wird es in den nächsten<br />

Jahren vor allem darauf ankommen, die Schnittstellen zu ihren Kooperationspartnern<br />

zu verbessern und aktivere Akquise zu betreiben.<br />

72


In dieser Untersuchung wurde beson<strong>der</strong>s herausgestellt, dass die neben- o<strong>der</strong><br />

freiberuflichen Mitar<strong>bei</strong>ter von Weiterbildungseinrichtungen mehr Verantwortung<br />

für gelingende Lehr-Lern- und Verän<strong>der</strong>ungsprozesse übernehmen. Dies lässt sich –<br />

<strong>bei</strong> allen Unterschieden in <strong>der</strong> Intensität <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t und <strong>der</strong> Honorierung<br />

<strong>der</strong> geleisteten Ar<strong>bei</strong>t – als Gemeinsamkeit zwischen betrieblichen und öffentlich<br />

anerkannten Weiterbildungseinrichtungen festhalten. Dieser Verantwortungszuwachs<br />

wird sich fortsetzen, wenn – wie zu erwarten – sich neue Formen des Verbunds von<br />

selbstorganisierten und tutoriell betreutem Lernen weiter ausbreiten werden. Wie<br />

insbeson<strong>der</strong>e die öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtungen die<br />

Beziehungen zu ihren Lehrkräften, die sich heute häufig eher als Subunternehmer<br />

denn als Mitar<strong>bei</strong>ter einer Einrichtung verstehen, neu regeln, wie sie die Inhalte und<br />

die Formen <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t intensivieren können, wird eine interessante<br />

Zukunftsaufgabe werden.<br />

Insgesamt betrachtet orientiert sich die Entwicklung <strong>der</strong> Weiterbildung immer mehr<br />

an den Prinzipien des Marktes, ohne dass sie als ganzes als Markt begriffen werden<br />

könnte. Gemeinnützigkeit bleibt immer noch ein strukturbildendes Prinzip. Zumal in<br />

<strong>Bremen</strong> haben die öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtungen nach wie vor<br />

strukturbildenden Einfluss auf die gesamte Weiterbildungslandschaft. Gleichzeitig<br />

zeigen die Interviews, dass <strong>der</strong> Status <strong>der</strong> Anbieter für die tatsächliche<br />

Kooperationspraxis immer unwichtiger wird. Wie die bremische Politik <strong>bei</strong><br />

begrenzten finanziellen Mitteln den Spagat bewältigen wird, sich für den Aufbau<br />

eines Gesamtsystems lebensbegleitenden Lernens verantwortlich zu erklären und<br />

zugleich die korporativ-pluralen Träger bevorzugt zu för<strong>der</strong>n, bleibt abzuwarten.<br />

Angesichts einer fortschreitenden Kommerzialisierung <strong>der</strong> Weiterbildung politisch<br />

gegenzusteuern und die notwendigen Infrastrukturen für ein niedrigschwelliges<br />

Weiterbildungsangebot bereit zu stellen, das auch denjenigen Angebote macht, die<br />

nicht zu den Gewinnern <strong>der</strong> Wissens- und Informationsgesellschaft gehören, dürfte<br />

eine <strong>der</strong> wichtigsten Zukunftsaufgaben <strong>der</strong> Politik und <strong>der</strong> handelnden Akteure sein.<br />

73


12. Literatur<br />

Arabin, L: Unterrichtende an hessischen Volkshochschulen. Historische und<br />

empirische Analyse zur Ar<strong>bei</strong>tssituation, zur Motivation und zu<br />

Fortbildungsproblemen. Frankfurt/Main 1996.<br />

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Weiterbildung. Empirische Untersuchungen zur Berufsentwicklung in<br />

<strong>der</strong> Weiterbildung. Frankfurt/Main 1990.<br />

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Böhme, Gernot; Stehr, Nico: Wissensgesellschaften. In: Universitas. Deutsche<br />

Ausgabe, 45. Jg. (1990), H. 3, S. 225-231.<br />

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Dieckmann, B./Fischer, G./Lange, K./Reichhelm, B./Reuß, F.-H.: Nebenberufliche<br />

Kursleiter in den Volkshochschulen von Berlin (West). Mit einem<br />

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Dohmen, G.: Das lebenslange Lernen. Leitlinien einer mo<strong>der</strong>nen Bildungspolitik.<br />

Hrsg. v. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und<br />

Technologie. Bonn 1996.<br />

Dröll, H.: Der Sprachschulmarkt in Frankfurt am Main. Eine empirische<br />

Untersuchung des Bildungs- und För<strong>der</strong>ungswerks <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft. Frankfurt 1994<br />

Dröll, H.: Weiterbildung als Ware. Ein lokaler Weiterbildungsmarkt - das Beispiel<br />

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Effinger, H./ Körber, K.: Sozialunternehmer, Freiberufler, Bedienstete:<br />

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Endl, H.-L.: Aspekte und Probleme <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung. Frankfurt a.M.<br />

1992<br />

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