zum Download - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
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Josef Schra<strong>der</strong><br />
Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft<br />
Entwicklungen und Optionen für<br />
Weiterbildungseinrichtungen<br />
1
Lehren und Lernen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />
- Zum bildungspolitischen Kontext <strong>der</strong> vorliegenden Studie von Josef Schra<strong>der</strong><br />
Um seine Zukunftsfähigkeit zu sichern, muss sich <strong>Bremen</strong> in <strong>der</strong> Informations- und<br />
Wissensgesellschaft positionieren. Die sehr guten strukturellen Bedingungen, die ein attraktives<br />
Weiterbildungsangebot für viele Gruppen <strong>der</strong> bremischen Bevölkerung ermöglichen, müssen<br />
abgesichert und ausgebaut werden. Lebenslanges Lernen im strukturellen Wandel braucht eine<br />
dynamische und effiziente Weiterbildungs-Infrastruktur.<br />
Deshalb muss „Weiterbildung" ein zentrales Thema von Politik werden, auch und gerade im<br />
Zeichen des bevorstehenden Wahlkampfs.<br />
Schon Ar<strong>bei</strong>ter- und Angestelltenkammer, die Vorgänger <strong>der</strong> Bremer Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer,<br />
haben sich intensiv für eine qualifizierte Weiterbildung ihrer Mitglie<strong>der</strong> eingesetzt. Dies ist<br />
sowohl an ihren bildungspolitischen Aktivitäten, wie an <strong>der</strong> bildungspolitischen Praxis ihrer<br />
Weiterbildungseinrichtungen abzulesen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben.<br />
Heute ist die Weiterbildung als Teilbereich des Bildungssystems heftiger denn je in <strong>der</strong><br />
Diskussion. Schlagworte wie „lebenslanges Lernen", „Bildung und Weiterbildung als<br />
Standortfaktor", „Pisa – eine neue Bildungskatastrophe", aber auch „Identitätskrise" und<br />
„individuelle wie gesellschaftliche Orientierungskrise" verweisen auf Entwicklungen und auf neue<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen. Deshalb wird sich die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer in Kontinuität und mit gebündelter<br />
Kraft diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich stellen. Für 2003 hat sie das Thema<br />
„Weiterbildung" zu einem ihrer politischen Schwerpunkte erhoben.<br />
Der vorliegende Text als Abschlussbericht eines regionalen Forschungsprojekts hat<br />
Werkstattcharakter. Dennoch, o<strong>der</strong> vielleicht auch gerade deshalb ist er, so glauben wir, für<br />
Experten und Interessenten <strong>der</strong> Weiterbildung von großem praktischen Nutzen – aber auch für<br />
die bildungspolitische Debatte. Die Weiterbildung auch im Lande <strong>Bremen</strong> braucht heute mehr<br />
denn je konkrete Impulse und anregende, produktive Diskussionen. Wir hoffen, die<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer wird auch mit dieser Veröffentlichung zu einem solchen qualitativen<br />
Prozess <strong>bei</strong>tragen.<br />
Dr. Hans-L. Endl Heinz Möller<br />
Geschäftsführer Geschäftsführer<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer <strong>Bremen</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer <strong>Bremen</strong>
Inhaltsverzeichnis<br />
Zum Hintergrund <strong>der</strong> Untersuchung 3<br />
Kap. 1: Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft 4<br />
Kap. 2: Konzeption, Durchführung und Auswertung <strong>der</strong> Experteninterviews 8<br />
Kap. 3: Zur institutionellen Struktur <strong>der</strong> bremischen Weiterbildung 14<br />
Kap. 4: Die Reform des bremischen Weiterbildungsgesetzes 20<br />
Kap. 5: Aufgaben von Weiterbildungseinrichtungen 25<br />
Kap. 6: Lernbedarfe und Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft 32<br />
Kap. 7: Weiterbildungseinrichtungen und neue Medien 40<br />
Kap. 8: Zum Verhältnis von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit 46<br />
Kap. 9: Konkurrenz und Kooperation auf einem sich ausdifferenzierenden<br />
Weiterbildungsmarkt 57<br />
Kap 10: Anfor<strong>der</strong>ungen an Lehrkräfte 61<br />
Kap 11: Perspektiven des Lehrens und Lernens in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft:<br />
Abschließende Thesen 71<br />
Kap 12: Literatur 76<br />
2
Neuer Kanon<br />
eines mo<strong>der</strong>nen<br />
Allgemeinwissens<br />
Über das Nicht-<br />
Wissen in <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft<br />
Zum Hintergrund <strong>der</strong> Untersuchung<br />
1. Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />
Von <strong>der</strong> Wissens- und Informationsgesellschaft ist heute aller Orten die Rede,<br />
häufiger jedenfalls als von <strong>der</strong> Risiko- o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erlebnisgesellschaft, die noch bis vor<br />
wenigen Jahren die zeitdiagnostischen Diskurse bestimmten. In eine breite<br />
Öffentlichkeit wurde das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft u.a. durch eine Delphi-<br />
Befragung getragen, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung Ende <strong>der</strong><br />
90er Jahre in Auftrag gab und die von Infratest Burke und <strong>der</strong> Prognos AG Basel<br />
durchgeführt wurde (BMBF 1998). Ausgewiesene Experten, in mehreren Wellen<br />
befragt, formulierten darin Einschätzungen zu den Merkmalen <strong>der</strong> sich etablierenden<br />
Wissensgesellschaft und Konsequenzen für Inhalte und Strukturen des<br />
Bildungssystems auf all seinen Ebenen.<br />
Als ein zentrales Ergebnis kann man herausstellen, dass <strong>der</strong> Versuch unternommen<br />
wurde, den Kanon eines mo<strong>der</strong>nen Allgemeinwissens neu zu definieren. Die<br />
Experten zählten dazu vor allem naturwissenschaftlich-technische und ökonomische<br />
Kenntnisse. Damit ist bereits ein Diskussionskontext benannt, <strong>der</strong> die populäre und<br />
öffentliche Diskussion über die Wissensgesellschaft bestimmt: Die fortschreitende<br />
Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche, aktuell mit beson<strong>der</strong>er öffentlicher<br />
Aufmerksamkeit diskutiert am Beispiel <strong>der</strong> Entschlüsselung des menschlichen<br />
Erbgutes (Gen- und Biotechnologie). Der zweite Diskussionskontext, in dem <strong>der</strong><br />
Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft auftaucht, wird durch die neuen Informations- und<br />
Kommunikationstechniken bestimmt. Die neuen Medien, insbeson<strong>der</strong>e das<br />
Internet, scheinen allen Interessierten das weltweit verfügbare Wissen unabhängig<br />
von Zeit und Ort zugänglich zu machen, ein kultureller Wandel, <strong>der</strong> nur noch mit <strong>der</strong><br />
Erfindung des Buchdrucks verglichen werden kann. An <strong>bei</strong>den Diskussionskontexten<br />
lässt sich allerdings auch zeigen, dass auch (o<strong>der</strong> besser: gerade) in einer<br />
Wissensgesellschaft zuverlässiges und gültiges Wissen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit – nicht<br />
in Expertenzirkeln - ein knappes Gut ist.<br />
Denn mit <strong>der</strong> explosionsartigen Entwicklung des „Weltwissens“ expandiert zugleich<br />
auch das Nicht-Wissen. So wird die öffentliche Debatte über die Gen- und<br />
Biotechnologie eher von ethisch-moralischen Bedenken und Kontroversen, von<br />
Horrorvisionen über geklonte Tiere, Menschen und Pflanzen bestimmt, während es<br />
an solidem und problembezogenem, naturwissenschaftlich-technischen Fachwissen<br />
häufig mangelt. Regelmäßig durchgeführte, europaweite Befragungen ergeben<br />
<strong>zum</strong>eist eher deprimierende Befunde über den Stand des Wissens in <strong>der</strong> erwachsenen<br />
Bevölkerung <strong>der</strong> Mitgliedstaaten: So wissen ca. 65% <strong>der</strong> erwachsenen Europäer<br />
nicht, dass auch „gewöhnliche“ und nicht nur gentechnisch verän<strong>der</strong>te Tomaten<br />
Gene enthalten; 58% sind unsicher o<strong>der</strong> wissen nicht, ob <strong>der</strong> Verzehr von<br />
gentechnisch verän<strong>der</strong>ten Früchten die Gene <strong>bei</strong> einem Menschen verän<strong>der</strong>t; 74%<br />
3
Rückblick <strong>zum</strong><br />
Konzept <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft<br />
<strong>der</strong> Europäer wissen nicht, dass man tierische Gene auf Pflanzen übertragen kann.<br />
Die Belege für diese Art des Nicht-Wissen ließen sich beliebig erweitern. Zugleich<br />
fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger schlecht informiert, sind in diffuser Angst<br />
besorgt über die Folgen des biotechnologischen Fortschritts und trauen auch den<br />
etablierten Institutionen des Staates nicht mehr, we<strong>der</strong> Regierungen noch Parteien,<br />
Universitäten o<strong>der</strong> Unternehmen, allenfalls noch Verbraucherschutzorganisationen<br />
und Medizinern (INRA 2000). Das ist <strong>der</strong> Hintergrund, vor dem die Politik <strong>der</strong>zeit<br />
eine Reihe von Anstrengungen unternimmt, um das Wissen über, mehr aber noch die<br />
Akzeptanz von (natur-) wissenschaftlicher Innovation zu verbreitern, allgemein: um<br />
die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu verbessern, u.a.<br />
durch das PUSH-Programm (Public Un<strong>der</strong>standing of Science and Humanities).<br />
Ähnliche Ambivalenzen zeigen sich in <strong>der</strong> Debatte über die neuen Medien. Hier<br />
überwiegen nach wie vor, oft politisch o<strong>der</strong> ökonomisch begründete<br />
programmatische Stellungnahmen und teils euphorische Hoffnungen. Demgegenüber<br />
ist das Wissen über die gegenwärtige Nutzung <strong>der</strong> neuen Medien noch gering.<br />
Während auf <strong>der</strong> einen Seite in den Medien die rasante Zunahme in <strong>der</strong> Reichweite<br />
und im Informationsangebot des Internets betont wird, weisen empirische Studien<br />
auf die Gefahr einer „digitalen Spaltung“ hin, die möglicherweise gravieren<strong>der</strong>e<br />
Ausmaße annimmt, als die bisher bekannten Phänomene von<br />
Bildungsbenachteiligung (Perillieux/ Bernnat/ Bauer 2000). Noch ganz dürftig ist das<br />
Wissen darüber, in welchem Ausmaß, in welchen Kontexten, für welche Themen<br />
und mit welchen Verwendungsinteressen die neuen Medien von Erwachsenen für<br />
Zwecke des Lernens genutzt werden.<br />
Bei all dem gerät häufig in Vergessenheit, dass das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />
bereits eine längere Tradition hat, die allerdings selbst in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Debatte <strong>der</strong> Erwachsenenbildung kaum zur Kenntnis genommen wird, trotz o<strong>der</strong><br />
gerade wegen <strong>der</strong> „Überschwemmung“ des Alltags mit sozialwissenschaftlichen<br />
Deutungsmustern. Bereits vor etwa 30 Jahren hat Daniel Bell in einem Buch über<br />
die „nachindustrielle Gesellschaft“ (im Original präziser: The Coming of the<br />
postindustrial Society) den Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft in die Diskussion<br />
gebracht (BELL 1976). Er prognostizierte auf <strong>der</strong> Grundlage von empirischen Daten<br />
etwa zur Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur eine Gesellschaft, die von<br />
„Kopfar<strong>bei</strong>tern“ (S. 140) geprägt werde und in <strong>der</strong> Wissen, genauer: theoretisches<br />
bzw. wissenschaftliches Wissen das „axiale Prinzip“ bilde, das sowohl die neue<br />
Technologie, die wirtschaftliche Entwicklung als auch die soziale Struktur prägen<br />
werde (S. 112 ff.). Vorhergesagt wurde eine Zunahme <strong>der</strong>jenigen Beschäftigten, die<br />
mit <strong>der</strong> Produktion und Verbreitung von Wissen beschäftigt seien. Diese<br />
heraufziehende Wissensgesellschaft sei durch folgende Merkmale gekennzeichnet:<br />
durch den Übergang von einer güterproduzierenden zu einer<br />
Dienstleistungswirtschaft; durch den Vorrang einer „Klasse“ professionalisierter und<br />
technisch qualifizierter Berufe, die er als „Oberpriester“ <strong>der</strong> neuen Gesellschaft<br />
bezeichnete (S. 31); durch die Zentralität theoretischen, d.h. wissenschaftlichen<br />
Wissens; durch die Steuerung des technischen Fortschritts und die Bewertung <strong>der</strong><br />
Technologie; durch die Schaffung einer neuen „intellektuellen Technologie“, d.h. die<br />
Nutzung <strong>der</strong> damals noch in den Anfängen steckenden elektronischen<br />
Datenverar<strong>bei</strong>tung (S. 32).<br />
4
Wissen als<br />
Fähigkeit zu<br />
sozialem<br />
Handeln<br />
Wissen als<br />
„sozialer“ und<br />
„flüchtiger“<br />
Begriff<br />
Heutiger<br />
Diskussionskontext<br />
in <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit<br />
Diese Ar<strong>bei</strong>t geriet Anfang <strong>der</strong> 70er zunächst unter heftige, zur Zeit <strong>der</strong><br />
antagonistischen Systemkonkurrenz auch ideologisch motivierte Kritik, dann bald in<br />
Vergessenheit und wurde erst in den 90er Jahren von Nico Stehr wie<strong>der</strong><br />
aufgenommen. Während <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft <strong>bei</strong> Bell noch als –<br />
seltener benutztes - Synonym für „postindustrielle Gesellschaft“ erscheint, verwendet<br />
Stehr den Begriff in seiner Studie „Ar<strong>bei</strong>t, Eigentum und Wissen“ sehr konsequent.<br />
Stehr begreift Wissen als Handlungsressource, als Fähigkeit zu sozialem Handeln<br />
(STEHR 1994, S. 242) und fasst darunter – an<strong>der</strong>s als Bell - sowohl Wissenschaftsals<br />
auch Alltagswissen. Wissen ist bereits heute – wie Ar<strong>bei</strong>t und Eigentum – eine<br />
zentrale Ressource gesellschaftlicher Entwicklung. Stehr sieht nicht mehr die<br />
Wissenschaftler, son<strong>der</strong>n die „Experten“, Berater und Ratgeber in <strong>der</strong> prominenten<br />
Rolle. Diese Experten, die sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, keinesfalls nur<br />
in <strong>der</strong> Wissenschaft, finden, verfügen über ein zwar immer mehr nachgefragtes, aber<br />
keineswegs unumstrittenes Wissen. Sie sind die eigentlichen Wissensar<strong>bei</strong>ter, die<br />
Expertenwissen an Laien weitergeben; sie organisieren Wissen, vermitteln es<br />
zwischen Produzenten und Anwen<strong>der</strong>n und lösen, wenn es gut geht, auf diese Weise<br />
gesellschaftliche, organisationale und individuelle Probleme. Mit <strong>der</strong> Übermittlung<br />
verän<strong>der</strong>n sie jedoch das Wissen und produzieren zugleich neues Wissen. Wissen<br />
erscheit als kontingent, als „zufällig“, als abhängig von den sozialen Bedingungen,<br />
unter denen es genutzt wird, ebenso kontingent wie die sozialen Beziehungen, die<br />
auf Wissen gegründet sind. Im Unterschied zu Bell geht Stehr nicht davon aus, dass<br />
das wissenschaftliche Wissen zugleich Macht begründe. Stehrs Wissensbegriff ist<br />
also wesentlich „sozialer“ und „flüchtiger“ als <strong>der</strong> von Bell. Er verweist in einer<br />
neueren Veröffentlichung ausdrücklich darauf, dass Wissen die Unsicherheit in <strong>der</strong><br />
Planung und Steuerung individueller, organisationaler und gesellschaftlicher<br />
Handlungsstrategien nicht nur reduzieren, son<strong>der</strong>n auch erhöhen könne (STEHR<br />
2000). Insgesamt ist die Diagnose von Stehr weniger zukunftsoptimistisch, weniger<br />
auf die Segnungen <strong>der</strong> Wissenschaft und die Steuerbarkeit gesellschaftlicher<br />
Entwicklungen fixiert, als das noch für Daniel Bell charakteristisch war.<br />
Von diesem noch weitgehend (sozial-) wissenschaftsinternen und hier nur kurz<br />
angeschnittenen Konzepten muss ein Diskussionskontext unterschieden werden, <strong>der</strong><br />
in <strong>der</strong> Politik, in <strong>der</strong> Wirtschaft und in <strong>der</strong> Öffentlichkeit dominiert. Beispielhaft<br />
kann man auf die Ruck-Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus<br />
dem Jahr 1997 verweisen, in <strong>der</strong> Bildung als die wichtigste Ressource für die<br />
Wissensgesellschaft des nächsten Jahrtausends beschreibt, in <strong>der</strong> das, was in den<br />
sozialwissenschaftlichen Untersuchungen noch mehr o<strong>der</strong> weniger zurückhaltend<br />
prognostiziert wird, bereits als Realität genommen und mit unterschiedlich<br />
begründeten Appellen verknüpft wird, vor allem mit Appellen an die lebenslange<br />
Lernbereitschaft <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften. An diesen politischen<br />
Diskurs schließt <strong>der</strong> ökonomische an, in dem selbstverantwortliche<br />
Ar<strong>bei</strong>tskraftunternehmer als angemessene Antwort auf die Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
sich globalisierenden, auf schnelle und permanente Innovation angewiesenen<br />
Wissensgesellschaft dargestellt wird, als Grundbaustein einer lernenden<br />
Organisation. Während Stehr also noch auf die Relativität von Wissen, seine soziale<br />
Eingebundenheit, seinen Konstruktionscharakter herausstellte, behandelt die<br />
5
Erwachsenenpädagogische<br />
Diskussion<br />
Perspektivenwechsel:<br />
Wandel<br />
in <strong>der</strong> Sprache<br />
<strong>der</strong>zeitige öffentliche Diskussion Wissen vor allem als handfestes, umstandslos zu<br />
erwerbendes Gut und Grundlage technischen und ökonomischen Fortschritts.<br />
Als Gemeinsamkeit kann man jedoch für alle genannten Beiträge festhalten, dass sie<br />
davon ausgehen, dass alle Teilbereiche mo<strong>der</strong>ner Gesellschaften, diesseits und<br />
jenseits <strong>der</strong> Erwerbsar<strong>bei</strong>t, mehr und mehr wissensbasiert sind und von Wissen<br />
durchdrungen werden. Insbeson<strong>der</strong>e die Ar<strong>bei</strong>ten von Stehr ermöglichen einen<br />
Anschluss an die erwachsenenpädagogische Diskussion. Vor diesem Hintergrund<br />
mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft in<br />
<strong>der</strong> Erwachsenenbildung nur zögernd aufgenommen wurde. Der Wissensbegriff<br />
spielt in den gegenwärtigen Diskussionen (noch) keine dominierende Rolle, jüngst<br />
wurde sogar die These aufgestellt, das Wissen sei ganz aus <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />
verschwunden (NOLDA 2000). Man beginnt erst zögernd, die Bedeutung <strong>der</strong> im Kern<br />
nicht bestrittenen gesellschaftlichen Diagnosen für die Erwachsenenbildung zu<br />
diskutieren und sich aus <strong>der</strong> Fixierung auf die neuen Informations- und<br />
Kommunikationstechniken als neue Lernmedien zu lösen. Die Chancen des<br />
Konzepts scheinen mir darin zu liegen, Erwachsenenbildung als einen von vielen<br />
gesellschaftlichen Orten zu betrachten, an dem Wissen produziert und Wissen<br />
verteilt wird, als eine Form <strong>der</strong> Wissensar<strong>bei</strong>t, und die in ihr handelnden Personen<br />
als Wissensar<strong>bei</strong>ter, damit auch nicht nur als Pädagogen, son<strong>der</strong>n als Experten, als<br />
Ratgeber und Berater. Organisierte Formen <strong>der</strong> Weiterbildung in Kursen und<br />
Seminaren stellen nur eine Form <strong>der</strong> Institutionalisierung des Lernens Erwachsener<br />
dar, neben denen noch an<strong>der</strong>e existieren und von Erwachsenen genutzt werden.<br />
Daher ist es angebracht, nach dem Stellenwert, <strong>der</strong> Form, <strong>der</strong> Funktion und den<br />
spezifischen Leistungen organisierter Erwachsenenbildung in einer sich<br />
etablierenden Wissensgesellschaft zu fragen.<br />
Auch wenn die Erwachsenenbildung selbst ihre Themen nicht (immer) in den<br />
Kontext <strong>der</strong> Diskussion um die sich etablierende Wissensgesellschaft einbindet, so<br />
werden ihre Themenverlagerungen und Perspektivenän<strong>der</strong>ungen doch vor diesem<br />
Hintergrund verständlich. Horst Siebert hat jüngst Aspekte dieses<br />
Perspektivwechsels pointiert beschrieben (SIEBERT 2001, S. 18-22): Statt über<br />
organisierte Weiterbildung wird heute häufiger über lebenslanges Lernen<br />
gesprochen, statt von Lehre häufiger von Lernberatung, statt von fachlicher<br />
Qualifizierung von (personaler und sozialer) Kompetenzentwicklung, statt von<br />
öffentlicher Verantwortung von <strong>der</strong> Selbstverantwortung <strong>der</strong> Erwachsenen, statt von<br />
den Strukturen des Bildungssystems von den (biographischen) Prozessen des<br />
Lernens, statt von Steuerung (durch Bildungspolitik o<strong>der</strong> Instruktion) häufiger von<br />
Selbststeuerung und Selbstorganisation. Diesen Perspektivenwechsel hat die<br />
nationale und auch die europäische Politik in den vergangenen Jahren durch eine<br />
Vielzahl von Veranstaltungen, Gutachten und För<strong>der</strong>schwerpunkten forciert.<br />
Angesichts solcher Verlagerungen in <strong>der</strong> Thematisierung von Weiterbildung bleibt es<br />
wichtig, die Politik an ihre Verantwortung für die Sicherung <strong>der</strong> Strukturen<br />
lebenslangen und lebensbegleitenden Lernens für alle zu erinnern (und ihr zugleich<br />
möglichst gute Gründe dafür zu liefern). Notwendig ist jedoch auch, genauer zu<br />
prüfen, ob sich hinter dem Themenwechsel auch ein Wandel <strong>der</strong><br />
Institutionalisierungsformen des Lernens Erwachsener ausmachen lässt.<br />
6
Zur Auswahl <strong>der</strong><br />
Interviewpartner<br />
und den Inhalten<br />
<strong>der</strong> Interviews<br />
Glie<strong>der</strong>ungsprinzipien<br />
Entwicklungsstufen<br />
betrieblicher<br />
Weiterbildung<br />
2. Konzeption, Durchführung und Auswertung <strong>der</strong><br />
Experteninterviews<br />
Die kurze Skizze einiger zentraler Aspekte <strong>der</strong> aktuellen Diskussion über die<br />
Bedeutung von Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft sollte dazu dienen,<br />
den Hintergrund auszuleuchten, vor dem die Angestelltenkammer ihre Leitprojekte<br />
platziert und diese Untersuchung in Auftrag gegeben hat.<br />
Wer den Anfor<strong>der</strong>ungen und Optionen von Weiterbildungseinrichtungen auf dem<br />
Weg in die Wissensgesellschaft nachspüren will, ist auf empirische Befunde aus<br />
sämtlichen Teilbereichen dieses wichtiger werdenden gesellschaftlichen<br />
Handlungsfeldes angewiesen. Angesichts <strong>der</strong> institutionellen und funktionalen<br />
Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Weiterbildung sind repräsentative Untersuchungen allerdings<br />
selbst dann kaum noch möglich, wenn man sich auf einen regionalen<br />
Weiterbildungsmarkt beschränkt. Da jedoch eine repräsentative, auf Theoriebildung<br />
zielende Untersuchung von vornherein nicht angestrebt war, schien ein exploratives,<br />
auf systematische Informationssammlung und die Formulierung von weiterführenden<br />
Untersuchungsfragen zielendes Vorgehen sinnvoll, ein Vorgehen, das im übrigen<br />
auch dem Stand <strong>der</strong> Diskussion in <strong>der</strong> Wissenschaftsdisziplin entspricht. Um<br />
gleichwohl zu verallgemeinerbaren Aussagen über das Handlungsfeld<br />
Erwachsenenbildung in <strong>der</strong> Region <strong>Bremen</strong> zu kommen, ist es erfor<strong>der</strong>lich, im Sinne<br />
eines theoretischen Samplings möglichst exemplarische und kontrastreiche<br />
Handlungskonstellationen in einem sich ausdifferenzierenden Handlungsfeld<br />
abzubilden. Da<strong>bei</strong> schälte sich im Verlauf <strong>der</strong> Projektar<strong>bei</strong>t das beson<strong>der</strong>e Interesse<br />
des Auftraggebers an Entwicklungen in <strong>der</strong> beruflichen bzw. berufsbezogenen und<br />
betrieblichen Weiterbildung heraus, Handlungsfel<strong>der</strong> also, in denen die Wirtschaftsund<br />
Sozialakademie <strong>der</strong> Angestelltenkammer bereits jetzt ein bedeuten<strong>der</strong> Akteur in<br />
<strong>der</strong> bremischen Weiterbildungslandschaft ist. Eine solche Akzentsetzung ist auch in<br />
wissenschaftlicher Hinsicht vertretbar, weil das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft,<br />
wie es einleitend vorgestellt wurde, als spezifische Variante des Konzepts <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsgesellschaft interpretiert werden kann.<br />
Um das Handlungsfeld <strong>der</strong> Erwachsenenbildung zu strukturieren, bieten sich<br />
unterschiedliche Glie<strong>der</strong>ungsprinzipien an. Verbreitet sind Unterscheidungen nach<br />
dem Themenfeld, in dem eine Weiterbildungseinrichtung agiert, wo<strong>bei</strong> die<br />
Unterscheidung in allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung immer noch<br />
hilfreich ist. Kategorisieren lässt sich auch nach dem Erwerbszweck des Anbieters,<br />
wo<strong>bei</strong> öffentlich anerkannte und geför<strong>der</strong>te, an<strong>der</strong>e gemeinnützige, kommerzielle<br />
und betriebliche Weiterbildungsanbieter zu unterscheiden wären. Damit<br />
korrespondiert häufig die Größe eines Anbieters, die an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />
Veranstaltungen, <strong>der</strong> Unterrichtsstunden o<strong>der</strong> dem Umsatz gemessen werden kann.<br />
Wichtig ist auch, an welche „Kunden“ und Adressaten sich ein Anbieter mit seinen<br />
Dienstleistungen wendet. Die wichtigsten Kunden sind, vereinfacht gesagt,<br />
individuelle Teilnehmer, die Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung und Betriebe.<br />
Innerhalb <strong>der</strong> betrieblichen Weiterbildung lassen sich wie<strong>der</strong>um unterschiedliche<br />
Organisationsformen unterscheiden, die <strong>zum</strong> Teil Entwicklungsstufen repräsentieren.<br />
7
Zur Methode <strong>der</strong><br />
Experteninterviews<br />
Die Form <strong>der</strong> Institutionalisierung wird stark beeinflusst von <strong>der</strong><br />
Unternehmenskultur, aber auch von den persönlichen Einstellungen, Vorstellungen<br />
und Gestaltungswünschen <strong>der</strong> verantwortlichen und handelnden Personen. Wenn<br />
man sich auf organisatorische Aspekte beschränkt, kann als erste Stufe diejenige<br />
gelten, in <strong>der</strong> innerbetriebliche Weiterbildung als Teil <strong>der</strong> Personalar<strong>bei</strong>t, meist durch<br />
die Personalleitung, gleichsam „nebenberuflich“ betrieben wird, typisch für kleinere<br />
und mittlere Unternehmen. Von einer zweiten Stufe wäre zu sprechen, wenn<br />
Weiterbildung sich von <strong>der</strong> Personalleitung trennt und als Teil <strong>der</strong><br />
Personalentwicklung durch eigenes Personal (mit-) betreut wird. In <strong>der</strong> dritten<br />
Entwicklungsstufe verfügt Weiterbildung bereits über mehrere Mitar<strong>bei</strong>ter und wird<br />
als Teil <strong>der</strong> Personal- und Organisationsentwicklung betrieben. In einer weiteren<br />
Stufe schließlich beginnen manche Unternehmen, Weiterbildung und<br />
Personalentwicklung – ergänzend – auch zu dezentralisieren und in die<br />
Fachabteilungen und zu den Führungskräften zurück zu verlagern. Für alle<br />
skizzierten Handlungsfel<strong>der</strong> wurde in dieser Untersuchung mindestens ein Experte<br />
befragt. Um eine solche Auswahl vor dem Hintergrund des Gesamtbereichs <strong>der</strong><br />
Weiterbildung begründet treffen zu können, lieferten die vorangegangenen<br />
Untersuchungen im Institut für Erwachsenen-Bildungsforschung <strong>der</strong> Universität<br />
<strong>Bremen</strong> unverzichtbare Informationen.<br />
Themenfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Interviews<br />
Die Themen <strong>der</strong> Interviews waren aufgrund des explorativen Charakters <strong>der</strong><br />
Untersuchung breit angelegt und konzentrierten sich auf Einschätzungen <strong>zum</strong><br />
zukünftig zu erwartenden Qualifikationsbedarf in <strong>der</strong> beruflichen, politischen und<br />
allgemeinen Bildung, möglichst mit Blick auf gesellschaftlich erfor<strong>der</strong>liche<br />
Schlüsselqualifikationen. Gefragt wurde zudem nach Einschätzungen zur Aufgabe<br />
organisierter Weiterbildung angesichts einer wachsenden Diskrepanz zwischen<br />
verfügbarem und vermittelbarem Wissen. Die Experten wurden gebeten, angebotene<br />
sowie zukünftig erwartete Themen von Weiterbildungsveranstaltungen zu<br />
beschreiben und die <strong>der</strong>zeitigen und zukünftig erwarteten Zeit- und<br />
Organisationsformen des Lernens zu benennen. Gefragt wurde zudem nach den<br />
Erwartungen an erfor<strong>der</strong>liche Kompetenzen von Lehrkräften, auch über die bloße<br />
Gestaltung von Lernsituationen hinaus. Angesprochen wurden zudem<br />
Einschätzungen zur <strong>der</strong>zeitigen und zukünftigen Ausrichtung SGB-III-geför<strong>der</strong>ter<br />
Weiterbildung. Ein weiteres Themenfeld betraf die Nutzung und Bewertung von<br />
Freistellungsregelungen, insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Form des Bildungsurlaubs. Schließlich<br />
interessierte die Finanzierung <strong>der</strong> Weiterbildung, ihre <strong>der</strong>zeitige Praxis und erwartete<br />
Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
Experteninterviews zielen auf das know how <strong>der</strong>jenigen, die die Gesetzmäßigkeiten<br />
eines sozialen Systems, hier des Systems Weiterbildung, (mit-) bestimmen (vgl.<br />
MEUSER/ NAGEL 1997, S. 481). Es geht darum, den Wirkungszusammenhang von<br />
allgemeinen gesellschaftlichen Strukturvorgaben, betrieblich-organisatorischen<br />
Kontextbedingungen und individuellen Optionen zu erschließen sowie zukünftige<br />
Steuerungsaufgaben abzuschätzen“ (MEUSER/ NAGEL 1997, S. 482). Im Mittelpunkt<br />
steht nicht wie im narrativen Interview die Gesamtperson in ihrem<br />
Lebenszusammenhang, son<strong>der</strong>n die handelnde Akteurin in ihrem institutionellen und<br />
8
Offene<br />
Leitfragen<br />
Zur<br />
Durchführung<br />
<strong>der</strong> Interviews<br />
organsiatorischen Kontext (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 442). Als „Experte“ wird<br />
gewöhnlich bezeichnet,<br />
– wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung<br />
o<strong>der</strong> die Kontrolle einer Problemlösung o<strong>der</strong><br />
– wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen o<strong>der</strong><br />
Entscheidungsprozesse verfügt.“ (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 443)<br />
Experten können also nach funktionalen und nach wissenssoziologischen<br />
Gesichtspunkten definiert werden. Wissenssoziologisch wird gewöhnlich zwischen<br />
Experten, Laien, Spezialisten und Professionellen unterschieden. Experteninterviews<br />
wurden bisher vorzugsweise in <strong>der</strong> Politikfeldanalyse, in <strong>der</strong><br />
Implementationsforschung sowie in <strong>der</strong> Industriesoziologie eingesetzt, in <strong>der</strong><br />
Erwachsenenbildungsforschung (auch in <strong>der</strong> Erziehungswissenschaft) sind sie eher<br />
selten. Allenfalls wurden gelegentlich Expertengespräche durchgeführt, z.B. in<br />
einigen <strong>der</strong> jüngeren Län<strong>der</strong>gutachten zur Situation <strong>der</strong> Erwachsenenbildung. Hier<br />
werden die angesprochenen Experten vor allem als Lieferanten solcher Daten und<br />
Fakten genutzt (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 448), die man auf an<strong>der</strong>e Weise aus<br />
zeitlichen o<strong>der</strong> kapazitären Gründen nicht erhalten kann. In den einschlägigen<br />
Einführungen in Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung finden sich in <strong>der</strong> Regel<br />
bestenfalls knappe Hinweise, aber keine ausführlichen Darstellungen dieser<br />
Forschungsmethode. Eine hilfreiche Einführung in Zielsetzung, Durchführung und<br />
Auswertung von Experteninterviews, die auf <strong>der</strong> Rekonstruktion eigener<br />
Forschungspraxis beruht, haben Michael Meuser und Ulrike Nagel vorgestellt<br />
(MEUSER/ NAGEL 1991, 1997).<br />
Charakteristisch für Experteninterviews ist, dass sie zugleich „offen“ und<br />
„leitfadenorientiert“ geführt werden. Diese Art <strong>der</strong> Gesprächsführung wird dem<br />
Expertenstatus <strong>der</strong> Interviewten ebenso gerecht wie dem begrenzten Interesse eines<br />
Forschungsvorhabens (MEUSER/ NAGEL 1991, S. 448). „Offene“ Fragen sollen es<br />
dem Interviewten ermöglichen, ja nahelegen, seine Situation als Experte selbst zu<br />
definieren, damit seine Strukturierung des Tätigkeitsbereichs und seine Bewertung<br />
erfaßt werden können. Zu Beginn jedes Interviews wird zunächst das<br />
Forschungsinteresse knapp, aber detailliert beschrieben und in den Ar<strong>bei</strong>tskontext<br />
<strong>der</strong> Expertin eingebettet. Durch überwiegend offene Fragen in einem orientierenden,<br />
aber nicht für jeden Gesprächspartner obligatorischen Interviewleitfaden werden die<br />
interessierenden Sachverhalte angesprochen. Zu jedem Themenbereich werden<br />
offene Leitfragen entwickelt und je nach Antwortverhalten und Gesprächsverlauf<br />
durch angemessene Nachfragen („Eventualfragen“) ergänzt. Bei den im vorliegenden<br />
Forschungsprojekt geplanten Interviews kommt als Beson<strong>der</strong>heit hinzu, dass die<br />
ausgewählten Experten aus unterschiedlichen Handlungskontexten stammen<br />
(handelnde Akteure auf unterschiedlichen Ebenen, Bildungspolitiker,<br />
Wissenschaftler, ...).<br />
Wie jedes Interview unterliegen auch Experteninterviews <strong>der</strong> Gefahr, dass ihre<br />
Resultate durch die Bediungungen <strong>der</strong> Kommunikationssituation beeinflußt werden.<br />
Zunächst können sich Verzerrungen bereits aus <strong>der</strong> künstlichen, asymmetrischen,<br />
dyadischen Beziehung zwischen Interviewern und Interviewtem ergeben, die für<br />
<strong>bei</strong>de sozial folgenlos bleibt und damit unverbindlich und beliebig zu werden droht.<br />
Zu fragen ist insbeson<strong>der</strong>e, ob <strong>der</strong> Interviewte die Fragen und Gesprächsimpulse im<br />
9
Sinne des Interviewers „richtig“ versteht bzw. verstehen will und wie zuverlässig er<br />
sie beantwortet. Systematisch können Verzerrungen, die auf sogenannte<br />
Interviewereffekte zurückgehen, von solchen unterschieden werden, die auf –<br />
bewusst o<strong>der</strong> unbewusst – fehlerhafte Angaben <strong>der</strong> Interviewten zurückzuführen<br />
sind. Das Problem möglicher Interviewereffekte, also die Beeinflussung des<br />
Antwortverhaltens durch beson<strong>der</strong>e Merkmale o<strong>der</strong> Verhaltensweisen des<br />
Interviewers wie etwa sein Aussehen, sein Auftreten, seine Herkunft, seine „verbalen<br />
Konditionierungen“ usw. wird in <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung bereits seit<br />
Jahrzehnten erforscht und diskutiert. Eine an<strong>der</strong>e Frage lautet, ob und inwieweit <strong>der</strong><br />
Befragte als mögliche „Fehlerquelle“ betrachtet werden muss, inwieweit er bewusst<br />
o<strong>der</strong> unbewusst Falschangaben macht. Die Zuverlässigkeit <strong>der</strong> Angaben eines<br />
Interviewten zu überprüfen, ist insofern in <strong>der</strong> Regel schwierig, als das Kriterium<br />
„wahre Antwort“ selbst nur ungenügend reliabel ist, insbeson<strong>der</strong>e im Einstellungsund<br />
Meinungsbereich. Aber auch dort, wo sich prinzipiell das Verhältnis von<br />
verbaler Darstellung und tatsächlichem Verhalten prüfen ließe, scheitert eine solche<br />
Überprüfung in <strong>der</strong> Regel an den Forschungsbedingungen o<strong>der</strong> an dem nötigen<br />
Respekt vor dem Interviewten.<br />
Für Experteninterviews gelten diese Einschränkungen in beson<strong>der</strong>er Weise.<br />
Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass sie auf verschiedene Weise<br />
„scheitern“ können (vgl dazu insgesamt MEUSER/ NAGEL 1991, S 449-451). Dies ist<br />
etwa dann <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>der</strong> Experte das Interview blockiert; dies ist zwar <strong>bei</strong> einer<br />
freiwilligen Teilnahme nach vorangehen<strong>der</strong> Information über die Themen des<br />
Interviews nicht sehr wahrscheinlich, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden.<br />
Scheitern kann das Interview auch dann, wenn <strong>der</strong> Experte das Gespräch mit einem<br />
Außenstehenden nutzt, um einmal „richtig auszupacken“. In wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fällen<br />
kann es vorkommen, dass <strong>der</strong> Experte ständig die Rollen zwischen Experte und<br />
Privatmensch wechselt o<strong>der</strong> dem Forscher (dem wirklichkeitsfremden „Theoretiker“)<br />
einen Fachvortrag über das „wirkliche“ Ar<strong>bei</strong>tsleben hält. Weniger eindeutig sind<br />
solche Fälle, in denen <strong>der</strong> Interviewte den Forscher in die Rolle des Ko-Experten<br />
drängt und mit ihm einen „Diskurs“ führen möchte. Dies kann durchaus nützlich<br />
sein, z.B. wenn <strong>der</strong> Forscher aufgrund seiner Sachkenntnis gezielt nachfragen o<strong>der</strong><br />
die Einschätzungen des Experten problematisieren kann, so dass auf diese Weise<br />
eine vertiefte, auch dem Experten bislang unbekannte Problemsicht erreicht wird. Es<br />
birgt aber auch die Gefahr, dass das Interview in eine Prüfungssituation abgleitet.<br />
Hier zu verhin<strong>der</strong>n, dass ein Hinterfragen von Problemlösungen, Wissens- und<br />
Handlungsstrukturen, ein Einbringen alternativer Handlungsoptionen als<br />
„Beurteilung“ <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t des Experten missverstanden wird, dürfte nicht immer<br />
leicht sein. Gerade <strong>bei</strong> Experteninterviews sind Antworten im Sinne <strong>der</strong> sozialen<br />
Erwünschtheit dann zu erwarten, wenn <strong>der</strong> Befragte sich <strong>der</strong> auftraggebenden o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> forschenden Institution unterlegen o<strong>der</strong> sich von ihr gar bedroht fühlt.<br />
Ertragreich verspricht ein Experteninterview dann zu werden, wenn es gelingt, den<br />
Experten für das Forschungsprojekt zu gewinnen und wenn <strong>der</strong> Interviewte bereit ist,<br />
seine Sicht <strong>der</strong> Dinge zu entfalten und in einen Gedankenaustausch einzutreten.<br />
Daher sollen hier einige Strategien und Verhaltensregeln für die Interviewführung<br />
benannt werden, die ertragreiches Interviewmaterial sichern helfen sollen. Zunächst<br />
ist eine „neutrale“ Gesprächsführung anzustreben, die gleich zu Beginn einen<br />
10
Zur Auswertung<br />
<strong>der</strong> Experteninterviews<br />
Kombination<br />
unterschiedlicher<br />
Forschungsmethoden<br />
„Rapport“ herstellt, in dem sich Forscher und Experte als „Fremde“ begegnen. Die<br />
Gesprächsbedingungen sollten standardisiert sein und eine aufgabenorientierte und<br />
entspannte Gesprächsatmosphäre sichern. Es ist zu vermuten, dass ein einzelner<br />
Interviewer dann überfor<strong>der</strong>t ist, wenn weniger die persönlichen Ansichten des<br />
Befragten als sein Wissen als Experte vorrangig ist, insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn <strong>der</strong><br />
Interviewer nicht speziell vorbereitet ist. Zusätzlich wird den Interviewten eine<br />
vollständige Anonymisierung <strong>der</strong> Angaben zugesichert, um zu verhin<strong>der</strong>n, dass die<br />
Befragten im Sinne sozialer Erwünschtheit o<strong>der</strong> gar nicht antworten. Im Mittelpunkt<br />
aber steht eine gründliche Vorbereitung auf jedes einzelne Gespräch.<br />
Die letzten Bemerkungen leiten bereits über zur zweiten Frage, <strong>der</strong> Frage danach,<br />
wie man zu allgemeingültigen, „objektiven“ Interpretationen von Interviews kommt,<br />
die über eine mehr o<strong>der</strong> weniger angemessene Paraphrasierung hinausgehen, ohne in<br />
subjektive, durch das Material nicht belegte Spekulationen abzugleiten. Diese Frage<br />
lässt sich wie<strong>der</strong> in zwei Teilfragen aufspalten: Geben die Interpretationen Antwort<br />
auf die Fragestellungen <strong>der</strong> Untersuchung? Werden sie dem gerecht wird, was <strong>der</strong><br />
Interviewer gesagt hat, sind sie mit dem Material verträglich? In <strong>der</strong> einschlägigen<br />
Fachliteratur, nicht nur zu Experteninterviews, son<strong>der</strong>n auch zu an<strong>der</strong>en Varianten<br />
von Interviews, wurden Fragen <strong>der</strong> Auswertung bisher wenig beachtet, im<br />
Vor<strong>der</strong>grund standen Fragen des Feldzugangs und <strong>der</strong> Gesprächsführung (MEUSER/<br />
NAGEL 1991, S. 441).<br />
Die einzelne Expertin wird nicht als Einzelfall, son<strong>der</strong>n immer als Repräsentantin<br />
ihrer „Zunft“ betrachtet. Im Unterschied etwa zur Interpretation biographischer o<strong>der</strong><br />
narrativer Interviews kommt es hier also nicht darauf an, den Einzelfall als solchen<br />
möglichst gut zu verstehen, vielleicht besser, als <strong>der</strong> Interviewpartner selbst das<br />
könnte. Die Interpretation erfolgte in drei Schritten. Unter den entwickelten<br />
Fragestellungen wurde zunächst jedes einzelne Interview nach thematischen<br />
Einheiten für sich interpretiert, und zwar in einem hermeneutischen Zirkel zwischen<br />
Fragestellung und Interpretationshypothesen, die an thematischen Texteinheiten<br />
überprüft wurden. Dieser Zirkel wurde sodann ausgeweitet auf den gesamten<br />
Interviewtext. Die Auswertung orientierte sich an thematischen Einheiten, nicht an<br />
<strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> Aussagen. Dass da<strong>bei</strong> die zunächst entwickelte Fragestellung<br />
selbstverständlich modifiziert, erweitert, ergänzt o<strong>der</strong> eingeschränkt wurde, soll <strong>der</strong><br />
Vollständigkeit halber betont werden. Die Interpretation <strong>der</strong> Einzelinterviews wurde<br />
abgeschlossen durch eine Charakterisierung <strong>der</strong> Auffassungen des Interviewten, die<br />
entwe<strong>der</strong> auf eingeführte Begriffe <strong>der</strong> Wissenschaftssprache zurückgriff o<strong>der</strong> aber<br />
sich auf eine textnahe Kategorienbildung stützte. Als bewährt, d.h. objektiv wurde<br />
eine Interpretation dann betrachtet, wenn sie durch den Text selbst (bzw. durch das<br />
Kontextwissen des Interpreten) nicht mehr „falsifiziert“ (wi<strong>der</strong>legt) werden konnte.<br />
Nach <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Einzelinterviews erfolgte ein Vergleich mit an<strong>der</strong>en<br />
Interviews (Prinzip des minimalen bzw. maximalen Kontrasts). Das Ziel bestand<br />
darin, das Gemeinsame und Verallgemeinerbare <strong>der</strong> Auffassungen <strong>der</strong> Interviewten<br />
herauszuar<strong>bei</strong>ten.<br />
Die Ergebnisse <strong>der</strong> Expertenbefragung werden ergänzt und damit in ihrer Reichweite<br />
besser einschätzbar durch Befunde aus an<strong>der</strong>en laufenden o<strong>der</strong> bereits<br />
abgeschlossenen Untersuchungen. Im einzelnen sind das<br />
11
Institutioneller<br />
Strukturwandel<br />
<strong>der</strong><br />
Weiterbildung<br />
- Befunde aus bundesweiten Erhebungen, z.B. <strong>der</strong> Delphi-Befragung zur Zukunft<br />
<strong>der</strong> Informations- und Wissensgesellschaft, durchgeführt vom Bundesminister für<br />
Bildung und Forschung (BMBF 1998)<br />
- bremenspezifische Befunde zu Strukturen und Entwicklungen in <strong>der</strong><br />
Weiterbildung, die sich u.a. aus <strong>der</strong> vom Institut für Erwachsenen-<br />
Bildungsforschung im Auftrag <strong>der</strong> Strukturkommission Weiterbildung<br />
durchgeführten Programmanalyse ergeben (KÖRBER/ KUHLENKAMP/ PETERS/<br />
SCHLUTZ/ SCHRADER/ WILCKHAUS 1995)<br />
- Befunde aus <strong>der</strong> Habilitationsschrift des Autors, die sich auf eine<br />
inhaltsanalytische Auswertung des gesamten Angebots an organisierter<br />
Weiterbildung in <strong>der</strong> Stadt <strong>Bremen</strong> für die Jahre 1996/97 stützt (ca. 150 Anbieter<br />
mit über 10.000 Veranstaltungsankündigungen) (SCHRADER 2000).<br />
Diese Art <strong>der</strong> Kombination unterschiedlicher Forschungsmethoden erlaubt eine<br />
Vielfalt und Dichte an Untersuchungsbefunden, wie sie Untersuchungen, die sich in<br />
begrenzter Zeit und mit begrenzten Mitteln ausschließlich explorativen<br />
Fragestellungen zuwenden, kaum leisten können.<br />
3. Zur institutionellen Struktur <strong>der</strong> bremischen Weiterbildung<br />
Wer sich mit den Optionen ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierter Weiterbildungseinrichtungen in<br />
<strong>der</strong> sich etablierenden Wissensgesellschaft beschäftigt, ist zunächst darauf<br />
verwiesen, den institutionellen Kontext, in dem sich diese Anbieter bewegen, ebenso<br />
genau in den Blick zu nehmen wie die identifizierbaren Verän<strong>der</strong>ungen. Der<br />
Strukturwandel <strong>der</strong> Weiterbildung hat auch die bremische Weiterbildungslandschaft<br />
nachhaltig und grundlegend verän<strong>der</strong>t. Das bremische Weiterbildungsgesetz, das<br />
1974 verabschiedet wurde, galt lange Zeit als <strong>bei</strong>spielhaft für die Ansprüche und<br />
Praxen einer sozialstaatlichen Bildungspolitik unter - nicht parteipolitisch verengt<br />
gedachten - sozialdemokratischen Vorzeichen. Seit <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre, als die<br />
Weiterbildung in <strong>Bremen</strong> zunächst durch 11 anerkannte Einrichtungen korporativer<br />
und kommunaler Träger bestimmt wurde, hat sich die institutionelle Struktur <strong>der</strong><br />
Weiterbildung deutlich gewandelt.<br />
Der Expansion des lebenslangen Lernens entspricht auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong><br />
Weiterbildungsanbieter eine wachsende Zahl von Einrichtungen, die ihr Angebot<br />
ausweiten und da<strong>bei</strong> oft zugleich profilieren, um bestimmte Segmente des Marktes<br />
besetzen zu können. Betrachtet man den Weiterbildungsmarkt als ganzes, so stellt<br />
man eine Vielzahl hochgradig segmentierter Bereiche fest und nur eine kleinere Zahl<br />
von Angebotsbereichen, in denen um dieselben Adressaten und Kunden geworben<br />
wird. Dies zeigte sich in einer Untersuchung, die <strong>der</strong> Autor im Jahr 2000<br />
abgeschlossen hat (SCHRADER 2000). In dieser Untersuchung konnten in <strong>Bremen</strong><br />
insgesamt 148 Weiterbildungsanbieter einbezogen werden, die regelmäßig Angebote<br />
<strong>zum</strong> organisierten Lernen unterbreiten und diese Angebote in Broschüren,<br />
Faltblättern o<strong>der</strong> Programmheften veröffentlichen. Bei neun dieser Einrichtungen<br />
handelt es sich um innerbetriebliche Weiterbildungseinrichtungen, die übrigen 139<br />
12
Gesamtangebot<br />
in <strong>Bremen</strong><br />
Fortschreitende<br />
Kommerzialisierung?<br />
bremischen Anbieter unterbreiten ein mehr o<strong>der</strong> weniger „offenes“<br />
Weiterbildungsangebot. In den ordnungspolitischen Diskussionen über<br />
Weiterbildung war die Frage nach den Trägern von Weiterbildungseinrichtungen<br />
stets von beson<strong>der</strong>er Bedeutung, da mit <strong>der</strong> Trägerschaft einer Einrichtung<br />
<strong>zum</strong>eist auch spezifische, gegebenenfalls auch „weiterbildungsfremde“<br />
Interessen verknüpft o<strong>der</strong> unterstellt wurden. Daher gruppiert die folgende<br />
Tabelle die insgesamt 148 Weiterbildungseinrichtungen in einem ersten Zugriff nach<br />
relevanten staatlichen (Bund, Land o<strong>der</strong> Gemeinde), öffentlich-rechtlichen und<br />
privatrechtlichen Organen und Organisationen, Gruppen o<strong>der</strong> Vereinigungen.<br />
Tabelle 1: Anzahl <strong>der</strong> Weiterbildungsanbieter nach Trägern bzw. Trägergruppen<br />
Träger Anzahl in % Summen-<br />
Prozent<br />
Kommune, Land, Bund 7 4,7 4,7<br />
Universitäten, Bundesanstalten, öffentl. 7 4,7 9,5<br />
geför<strong>der</strong>te Forschungsinstitute<br />
Kirchen 3 2,0 11,5<br />
Industrie-, Handels-, Handwerkskammern 3 2,0 13,5<br />
Berufsverbände, Innungen, Kammern 14 9,5 23,0<br />
Ar<strong>bei</strong>tgeberverbände, Unternehmen 8 5,4 28,4<br />
Gewerkschaften, Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammern 5 3,4 31,8<br />
Wohlfahrts-,<br />
Stiftungen<br />
Sportverbände, wohltätige 9 6,1 37,8<br />
Initiativen, Vereine 40 27,0 64,9<br />
Kapital-, Personengesellschaften 43 29,1 93,9<br />
Betriebe 9 6,1 100,0<br />
Summe 148 100,0 100,0<br />
Die interne Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Tabelle listet zuerst die staatlichen Träger bremischer<br />
Weiterbildungseinrichtungen auf, dann die öffentlich-rechtlichen (Bundesanstalten,<br />
Körperschaften des öffentlichen Rechts, Kammern) und abschließend die große<br />
Gruppe <strong>der</strong> privatrechtlichen Träger (im wesentlichen Verbände, Vereinigungen,<br />
Kapital- o<strong>der</strong> Personengesellschaften). Da<strong>bei</strong> zeigt sich: Die Gruppe <strong>der</strong><br />
privatrechtlichen Träger überwiegt die Gruppe <strong>der</strong> staatlichen bzw. <strong>der</strong> öffentlichrechtlichen<br />
deutlich, und zwar etwa im Verhältnis 3:1. Vielleicht wird es<br />
bildungspolitisch interessierte Beobachter überraschen, dass selbst in <strong>Bremen</strong>, wo<br />
<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> öffentlichen Verantwortung wie in Nordrhein-Westfalen<br />
vergleichsweise weit definiert wurde, inzwischen die Kapital- o<strong>der</strong><br />
Personengesellschaften (i.d.R. GmbH’s und GbR’s) die größte Gruppe unter den<br />
relevanten Trägern von Weiterbildungseinrichtungen darstellen. Die wachsende Zahl<br />
und das wachsende Gewicht dieser Gruppe von Einrichtungen, häufig in den 80er<br />
Jahren gegründet, kann als erster Hinweis auf eine fortschreitende<br />
Kommerzialisierung <strong>der</strong> Weiterbildung gedeutet werden. Gemeinsam mit Vereinen<br />
und Initiativen (i.d.R. in <strong>der</strong> Rechtsform des eingetragenen Vereins) stellen sie<br />
deutlich über 50% aller Träger <strong>der</strong> hier erfaßten bremischen<br />
Weiterbildungseinrichtungen. Eine dritte große Trägergruppe mit 14 Einrichtungen<br />
13
Anteil am<br />
Gesamtangebot<br />
Themenspektrum<br />
und Zwecksetzung<br />
des<br />
Anbieters<br />
stellen die Berufsverbände (häufiger als eingetragene Vereine, seltener als Kammern<br />
o<strong>der</strong> Innungen), die für ihre tatsächlichen o<strong>der</strong> potentiellen Mitglie<strong>der</strong><br />
berufsspezifische Fortbildungsangebote unterbreiten.<br />
Um die Bedeutung <strong>der</strong> hier unterschiedenen Träger für das Weiterbildungsangebot in<br />
<strong>der</strong> Stadt <strong>Bremen</strong> abzuschätzen, wäre es aber irreführend, würde man nur die Anzahl<br />
<strong>der</strong> von ihnen getragenen Weiterbildungseinrichtungen betrachten, ohne zugleich zu<br />
berücksichtigen, welchen Anteil <strong>zum</strong> Gesamtangebot diese Einrichtungen <strong>bei</strong>steuern.<br />
Denn häufig handelt es sich <strong>bei</strong> den erfaßten Einrichtungen um sehr kleine Anbieter<br />
mit einem nur marginalen Weiterbildungsangebot; so entfällt allein auf die acht<br />
größten Anbieter fast 50% des gesamten Weiterbildungsangebots. Die Existenz<br />
mehrerer großer Weiterbildungsanbieter ist sicherlich eine Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong><br />
bremischen Weiterbildungslandschaft.<br />
Mit <strong>der</strong> Größe einer Einrichtung korrespondiert das Spektrum des<br />
Programmangebots in thematischer Hinsicht. Drei Gruppen von Anbietern lassen<br />
sich nach <strong>der</strong> Breite ihres Angebots unterscheiden, dokumentiert in <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong><br />
abgedeckten Fachbereiche. Als (1) Allround-Anbieter werden solche Einrichtungen<br />
bezeichnet, <strong>der</strong>en Angebote sich auf mindestens 13 Fachbereiche mit jeweils einer<br />
größeren Zahl von Veranstaltungen verteilen. Dies trifft in insgesamt nur vier Fällen<br />
zu, wo<strong>bei</strong> jeweils alle drei traditionellen Lernbereiche (<strong>der</strong> allgemeinen, politischen<br />
und beruflichen Weiterbildung) abgedeckt wurden. Als (2) Mehr-Sparten-Anbieter<br />
gelten solche Anbieter, <strong>der</strong>en Angebot sich auf mindestens vier und maximal zwölf<br />
unterschiedliche Fachbereiche verteilte. Dies trifft für etwa jeden dritten hier erfaßten<br />
Anbieter zu. Schließlich werden als (3) Sparten-Anbieter o<strong>der</strong> „Spezialisten“<br />
diejenigen mit maximal drei abgedeckten Fachbereichen betrachtet. Etwa zwei von<br />
drei <strong>der</strong> hier erfaßten Anbieter wurden danach als Sparten-Anbieter kategorisiert.<br />
Wie die folgende Tabelle zeigt, hängt das thematische Spektrum des Angebots<br />
entscheidend davon ab, welche Zwecke ein Anbieter verfolgt, ob es sich um eine<br />
anerkannte, eine gemeinnützige, aber nicht anerkannte, eine kommerzielle o<strong>der</strong> eine<br />
innerbetriebliche Weiterbildungseinrichtung handelt.<br />
Tabelle 2: Weiterbildungsanbieter nach Zwecksetzung und Angebotsspektrum<br />
Anbietertypen Allround- Mehr-Spar- Sparten- Summe<br />
Anbieter ten-Anbieter Anbieter<br />
anerkannt 4 9 13<br />
gemeinnützig 25 58 83<br />
erwerbswirtschaftlich 1 42 43<br />
betrieblich 8 1 9<br />
Summe 4 43 101 148<br />
Das bremische Weiterbildungsgesetz will einen Integrationsanspruch för<strong>der</strong>n.<br />
Wohl auch deshalb sind die meisten anerkannten Anbieter Allround-Anbieter<br />
bzw. Mehr-Sparten-Anbieter. Erwerbswirtschaftlichen Zwecken kann man nach<br />
Tabelle 2 offenbar nur dann erfolgreich nachgehen, wenn man sich auf ein eng<br />
begrenztes Angebotsspektrum konzentriert und hierin eine anerkannte Kompetenz<br />
aufbaut, die entsprechend hohe Teilnehmergebühren rechtfertigt, z.B. im<br />
14
Sprachenbereich, in <strong>der</strong> EDV, in AFG- o<strong>der</strong> SGB-III-geför<strong>der</strong>ten Maßnahmen <strong>der</strong><br />
beruflichen Weiterbildung. Innerbetriebliche Weiterbildungseinrichtungen sind in<br />
aller Regel – jedenfalls ab einer bestimmten Größe – Mehr-Sparten-Betriebe mit<br />
Schwerpunkten in branchen- und fachbezogener Anpassungsqualifizierung, in den<br />
formalen Schlüsselqualifikationen, in Fremdsprachen und EDV-Grundbildung.<br />
Sparten-Anbieter haben einen deutlichen Schwerpunkt in <strong>der</strong> beruflichen<br />
Weiterbildung (EDV, berufsspezifische Kompetenzen), seltener in <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Weiterbildung (z.B. in Sprachen, Gesundheit, Kultur), kaum in <strong>der</strong> politischen<br />
Weiterbildung. Insgesamt hat die weit überwiegende Mehrzahl aller Anbieter einen<br />
deutlichen Schwerpunkt in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung.<br />
Um den Weiterbildungsmarkt näher zu beleuchten, soll das Gesamtangebot in einer<br />
ersten groben Unterscheidung nach <strong>der</strong> bereits eingeführten Typologie von<br />
anerkannten, an<strong>der</strong>en gemeinnützigen, kommerziellen und innerbetrieblichen<br />
Weiterbildungseinrichtungen aufgeschlüsselt werden.<br />
Tabelle 3: Anteile am Gesamtangebot für verschiedene Anbietertypen<br />
Anbietertypen Veranstaltungen in % Unterrichtsstunden in %<br />
anerkannte 4644 50,5 318921 45,1<br />
gemeinnützige 2524 27,4 256766 36,3<br />
erwerbswirtschaftliche 859 9,3 99398 14,1<br />
betriebliche 1178 12,8 31912 4,5<br />
Summe 9205 100,0 706997 100,0<br />
Die Tabelle weist aus, dass etwa die Hälfte aller Veranstaltungen und etwa 45% <strong>der</strong><br />
Unterrichtsstunden von anerkannten Weiterbildungsanbietern angekündigt<br />
werden. Der Anteil am Gesamtangebot ist in <strong>Bremen</strong> rückläufig, wie historische<br />
Vergleiche belegen, gleichwohl erscheint die These von einer Entstaatlichung <strong>der</strong><br />
Weiterbildung übertrieben. Immerhin noch fast 30% aller Veranstaltungen (ca. 36%<br />
<strong>der</strong> Unterrichtsstunden) entfallen auf an<strong>der</strong>e gemeinnützige Anbieter. Auf<br />
erwerbswirtschaftliche Anbieter entfallen ca. 10% <strong>der</strong> Veranstaltungen mit ca. 14%<br />
<strong>der</strong> Unterrichtsstunden. Die für diese Untersuchung ausgewählten neun<br />
innerbetrieblichen Anbieter kündigen immerhin noch ca. 13% <strong>der</strong> Veranstaltungen<br />
an, aber aufgrund <strong>der</strong> meist kurzen Veranstaltungsdauer nur noch ca. 5% <strong>der</strong><br />
Unterrichtsstunden. Damit wird die tatsächliche Bedeutung <strong>der</strong> Betriebe für die<br />
(berufliche) Weiterbildung allerdings erheblich unterschätzt. Die hier verfügbaren<br />
Daten erlauben lediglich einen guten Einblick in die Themen- und Angebotsstruktur<br />
<strong>der</strong> Betriebe. Um die quantitative Bedeutung einzuschätzen, kann man auf<br />
bundesweite repräsentative Untersuchungen zurückgreifen, die im großen und<br />
ganzen auch für das Bundesland <strong>Bremen</strong> repräsentativ sein dürften.<br />
Will man die betriebliche Weiterbildung quantifizieren, so ist man zunächst auf<br />
eine brauchbare Indikatoren angewiesen. Formal könnte man dazu all jene<br />
Aktivitäten rechnen, <strong>bei</strong> denen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber bzw. <strong>der</strong> Betrieb <strong>der</strong> Träger ist.<br />
Systematisch konzentriert man sich dann auf die Weiterbildung von Erwerbstätigen.<br />
Von dort aus können dann engere o<strong>der</strong> weitere Definitionen zugrunde gelegt werden:<br />
Der Ar<strong>bei</strong>tgeber ist Träger <strong>der</strong> Maßnahme (enge Definition), die Maßnahme findet<br />
15
Einsatz externer<br />
Trainer<br />
Monopolisierung<br />
und Konkurrenz<br />
während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit statt (weitere Definition) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber gewährt<br />
finanzielle Unterstützung bzw. Lohn- o<strong>der</strong> Gehaltsfortzahlung für die Teilnahme<br />
(weite Definition). Je nach Definition liegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber (einschließlich<br />
des öffentlichen Dienstes) an <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung von Erwerbstätigen<br />
zwischen 51% und 86% <strong>bei</strong> den Teilnahmefällen bzw. zwischen 39% und 73% <strong>bei</strong>m<br />
Weiterbildungsvolumen (KUWAN/ GNAHS/ SEIDEL 2000, S. 265 f.). Insgesamt<br />
entfallen auf die Betriebe also etwa die Hälfte <strong>der</strong> Teilnahmefälle und ein Drittel<br />
des Weiterbildungsvolumens <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung. Sie sind damit in<br />
je<strong>der</strong> Hinsicht mit deutlichem Abstand die gewichtigsten Träger beruflicher<br />
Weiterbildung (ebd., S. 219 ff). Die Betriebe behaupten in – methodisch allerdings<br />
umstrittenen - Untersuchungen, dass sie pro Jahr ca. 35 Milliarden DM für die<br />
Weiterbildung ihrer Mitar<strong>bei</strong>ter aufwenden, das wären pro Beschäftigten etwa<br />
1500 DM bis 2000 DM (Institut <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft, zitiert nach KUWAN/<br />
GNAHS/ SEIDEL 2000, S. 271 f.).<br />
Von <strong>der</strong> Frage, welcher Anteil an <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung von den Betrieben<br />
verantwortet wird, muss man die Frage unterscheiden, wer die – weit o<strong>der</strong> eng<br />
definierte - innerbetriebliche Weiterbildung tatsächlich durchführt. Grundsätzlich gilt<br />
hier, dass die Betriebe nur den geringeren Teil <strong>der</strong> von ihnen getragenen<br />
Weiterbildung auch mit eigenen Mitar<strong>bei</strong>tern durchführen, für den weitaus größeren<br />
Teil verpflichten sie externe Dienstleister: Einzeltrainer, kleinere o<strong>der</strong> größere<br />
kommerzielle Institute, aber auch Universitäten, Kammern o<strong>der</strong> gemeinnützige<br />
Weiterbildungseinrichtungen. Insofern hat dieses Segment beruflicher Weiterbildung<br />
durchaus auch für „offene“ Weiterbildungseinrichtungen eine Bedeutung. So<br />
beschreibt <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter einer öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung,<br />
ganz im Sinne <strong>der</strong> oben angeführten „weiten“ Definition von betrieblicher<br />
Weiterbildung:<br />
„Wir definieren betriebliche Bildung ja hier [...] an<strong>der</strong>s als normalerweise. Wenn ich<br />
heute privater Anbieter bin, da würde ich ja nicht nur Kompaktseminare machen, die<br />
wir hier als betriebliche Bildung betrachten, das wird immer nicht viel sein, son<strong>der</strong>n<br />
alles, was Betriebe finanzieren. Da sieht es natürlich ganz an<strong>der</strong>s aus. In unseren<br />
normalen Seminaren sitzen ja, ich kann das jetzt schlecht sagen, aber vielleicht 20%<br />
Teilnehmer, die sich einzeln anmelden als Person, die aber auf Firmenrechnung<br />
ar<strong>bei</strong>ten, das ist ja nichts an<strong>der</strong>es als betriebliche Bildung in dem Sinn. Wenn ich<br />
privater Anbieter bin und ein Betrieb kommt zu mir und sagt, ich melde hier zwei<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter an, ja dann ist das betriebliche Bildung. Wir lassen die unter unserer<br />
normalen Bildung laufen. Ich habe das mal 1995 ermittelt, da waren alleine in dem<br />
Bereich <strong>der</strong> Finanzierung in normalen Seminaren, also auf Firmenrechnung, das konnte<br />
man das rauskriegen, über 1 Million. Das ist schon für einige ein größerer Prozentsatz.<br />
Nur wir lassen den <strong>bei</strong>seite. Wir definieren die betriebliche Bildung hier nur als<br />
Kompaktseminar, da musst du praktisch das an<strong>der</strong>e dazu packen, und dann hat es<br />
natürlich einen größeren Stellenwert.“ (Interview 14, S. 16 f.)<br />
Als wichtiges Differenzierungskriterium kann sicherlich <strong>der</strong> Preis gelten, <strong>der</strong> für<br />
einen Veranstaltungsbesuch verlangt wird. Welche Gebühren unterschiedliche<br />
Anbieter für ihre Veranstaltungsangebote verlangen können o<strong>der</strong> müssen, hängt<br />
sicherlich von einer Vielzahl von Faktoren ab: von <strong>der</strong> Finanzkraft <strong>der</strong> Auftraggeber,<br />
<strong>der</strong> Finanzierung <strong>der</strong> Einrichtung, ihrer För<strong>der</strong>ung durch öffentliche o<strong>der</strong><br />
Trägermittel, von dem gesellschaftlichen „Tauschwert“ des Angebots, von den<br />
angebotenen „Leistungen“ im Hinblick auf Gruppengröße, Ausstattung o<strong>der</strong><br />
16
Zur Bedeutung<br />
<strong>der</strong> anerkannten<br />
Weiterbildung<br />
Qualifikation <strong>der</strong> Referenten usw. Nach den vorliegenden Befunden (die nicht alle<br />
genannten Einflußfaktoren berücksichtigen können) hat offensichtlich die<br />
Finanzkraft <strong>der</strong> Auftraggeber den größten Einfluß auf die Höhe <strong>der</strong> Gebühren:<br />
Betrachtet man die Gebühren differenziert für Fachbereiche, den Erwerbszweck des<br />
Anbieters (anerkannt und gemeinnützig, gemeinnützig, erwerbswirtschaftlich) und<br />
die unterschiedlichen Auftraggeber und Kunden (Betrieb, Ar<strong>bei</strong>tsamt, individuelle<br />
Teilnehmer usw.), so erweist sich die Finanzkraft des Auftraggebers als wichtigster<br />
Einflußfaktor, gefolgt vom Status des Anbieters, während das Themenfeld, aus dem<br />
ein Angebot stammt, eine vergleichsweise geringe Rolle spielt.<br />
Insgesamt zeigen die Befunde dieser Untersuchung, dass <strong>der</strong> Weiterbildungsmarkt je<br />
nach Angebotsbereich in unterschiedlicher Weise durch Monopolisierung und<br />
Konkurrenz geprägt ist. Teile des „Systems“ sind deutlich voneinan<strong>der</strong> abgegrenzt<br />
und von großer Stabilität, in an<strong>der</strong>en Bereichen wird die Aufteilung <strong>der</strong> Segmente<br />
von Anbietern unterschiedlichen o<strong>der</strong> auch gleichen Typs ständig neu ausgehandelt,<br />
was zu Neugründungen ebenso führt wie zur Schließung von Einrichtungen. Der<br />
Preis hat auf dem Markt eine wichtige, aber keine dominante Lenkungsfunktion.<br />
Während in einigen Bereichen angebotsorientierte Preise verlangt werden können<br />
(Kosten plus gewünschter Gewinn), herrscht in an<strong>der</strong>en Bereichen eine scharfe,<br />
marktförmige Konkurrenz um individuelle Teilnehmer o<strong>der</strong> die Mittel <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung; in wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Bereichen können Angebote nur dann platziert<br />
und realisiert werden, wenn sie durch öffentliche Mittel o<strong>der</strong> solche <strong>der</strong> Träger<br />
subventioniert werden. Jedes Teilsegment des Weiterbildungsmarktes hat eine<br />
unverwechselbare, in an<strong>der</strong>en Bereichen so nicht anzutreffende Struktur sehr<br />
unterschiedlicher Anbieter hervorgebracht.<br />
Die Bedeutung <strong>der</strong> anerkannten und institutionell geför<strong>der</strong>ten<br />
Weiterbildungseinrichtungen ist in <strong>Bremen</strong> im Vergleich zu an<strong>der</strong>en<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n und städtischen Regionen immer noch hoch, was die berichteten<br />
Daten zeigen, was sich aber auch <strong>bei</strong> einem Vergleich <strong>der</strong> bremischen<br />
Weiterbildungslandschaft mit <strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Städten ergibt. Diese große Bedeutung<br />
<strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung wird auch von <strong>der</strong> Politik gesehen, wenn auch über<br />
die heutigen, tatsächlichen Relationen unter den Anbietern nicht immer zuverlässige<br />
Vorstellungen existieren. Dies betrifft insbeson<strong>der</strong>e die Auffassung, dass alle<br />
Spezialanbieter (in <strong>der</strong> hiesigen Begrifflichkeit: Sparten-Anbieter) sich in <strong>der</strong><br />
beruflichen Weiterbildung bewegten:<br />
„Sie [die Bedeutung <strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung] ist hoch, außerordentlich<br />
hoch. Es gab eine Phase, wo gesagt wurde, es handelt sich um einen kleinen Kreis von<br />
Einrichtungen, und <strong>der</strong> muß geöffnet werden. Deshalb haben wir auch das<br />
Anerkennungsverfahren in <strong>Bremen</strong> geöffnet, und es sind auch neue Anbieter<br />
dazugekommen bzw. kommen dazu. Aber diejenigen, es sind zur Zeit 17 Einrichtungen,<br />
decken einen Großteil des Angebotes in <strong>Bremen</strong> ab. Es gibt zusätzlich viele Anbieter,<br />
aber es sind dann Spezialanbieter, und zwar ohne Ausnahme Spezialanbieter <strong>der</strong><br />
beruflichen Bildung, also von Teilsegmenten <strong>der</strong> beruflichen Bildung. Die anerkannten<br />
Einrichtungen gibt es schon sehr lange, und sie sind in <strong>der</strong> Lage gewesen, auf dem<br />
Markt zu bestehen, denn sie leben nicht von unseren staatlichen Subventionen. Also wir<br />
geben die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Mark dazu, aber es ist wenig. Son<strong>der</strong>n sie leben davon, dass<br />
sie Teilnehmer finden und von dort auch Entgelte bekommen bzw. dass die<br />
Trägereinrichtungen einspringen. Und für mich zeigt das, dass eine Einrichtung, die<br />
17
Zusammenfassung<br />
Reformleitbild<br />
<strong>der</strong> mittleren<br />
Systematisierung<br />
sich über einen langen Zeitraum am Markt hält, auch nicht schlecht sein kann.“<br />
(Interview 10, S. ?)<br />
Will man die berichteten Befunde zusammenfassen, so zeigt sich, dass die<br />
Institutionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung, die durch die Bildungsreform<br />
beschleunigt wurde, weiter voranschreitet. Die sich etablierende Wissensgesellschaft<br />
erfor<strong>der</strong>t offensichtlich auch ein differenziertes und sich ausdifferenzierendes System<br />
organisierter Weiterbildung, um notwendige Infrastrukturen für das lebenslange und<br />
lebensbegleitende Lernen bereit zu stellen. Dieser Befund wird in den aktuellen<br />
Debatten, die vor allem das selbstorganisierte Lernen mit den neuen Informationsund<br />
Kommunikationstechniken in den Vor<strong>der</strong>grund stellen, nicht immer hinreichend<br />
bedacht (z.B. DOHMEN 1996). Da<strong>bei</strong> findet <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Expansion inzwischen<br />
vorwiegend außerhalb <strong>der</strong> nach den Län<strong>der</strong>gesetzen geför<strong>der</strong>ten<br />
Weiterbildungseinrichtungen statt – innerbetrieblich, im Finanzierungsbereich des<br />
AFG bzw. des SGB-III, in kommerziellen o<strong>der</strong> in Non-Profit-Einrichtungen im<br />
Kontext sozialer Bewegungen. Obwohl auch die öffentlich anerkannte<br />
Weiterbildung an <strong>der</strong> Expansion teilhat und für den Weiterbildungsmarkt in vieler<br />
Hinsicht immer noch strukturbildend ist, ist ihr Anteil am Gesamtangebot seit den<br />
90er Jahren rückläufig.<br />
Mit <strong>der</strong> Institutionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung geht ihre Kommerzialisierung einher.<br />
In den 90er Jahren wachsen, das zeigt zunächst die wachsende Zahl<br />
erwerbswirtschaftlicher Anbieter, das zeigen aber auch differenzierte, hier nur<br />
anzudeutende Angebotsanalysen: Auch in <strong>der</strong> öffentlich anerkannten Weiterbildung<br />
wachsen in den 90er Jahren nur noch solche Angebotsbereiche, die über den Markt,<br />
d.h. mindestens kostendeckend, finanziert werden können. Das gilt für Angebote in<br />
<strong>der</strong> EDV-Grund- und Spezialbildung, in den formalen Schlüsselqualifikationen, in<br />
<strong>der</strong> Gesundheitsbildung sowie durchgehend in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung. Mit<br />
dem Bedeutungsverlust <strong>der</strong> öffentlich anerkannten Weiterbildung stagnieren<br />
o<strong>der</strong> sinken alle Angebote, die eine Subventionierung durch den Staat o<strong>der</strong><br />
durch Träger erfor<strong>der</strong>n: Das gilt für Angebote zur sozialen Bildung, zur<br />
Alphabetisierung, zur Zielgruppenar<strong>bei</strong>t, zur politischen Bildung. Damit stellen sich<br />
neue Aufgaben und Herausfor<strong>der</strong>ungen an die Weiterbildungspolitik, auf die man in<br />
<strong>Bremen</strong> auch bereits zu reagieren versucht.<br />
4. Die Reform des bremischen Weiterbildungsgesetzes<br />
Dass auch die Weiterbildungspolitik auf den Strukturwandel <strong>der</strong> Weiterbildung<br />
reagierte, läßt sich u.a. daran ablesen, dass seit Ende <strong>der</strong> 80er und verstärkt dann zu<br />
Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre in mehreren Bundeslän<strong>der</strong>n und Regionen Gutachten in<br />
Auftrag gegeben wurden (für <strong>Bremen</strong> Strukturkommission Weiterbildung 1995, für<br />
Schleswig-Holstein FAULSTICH/ TEICHLER/ DÖRING 1996, für Nordrhein-Westfalen<br />
GIESEKE u.a. 1997) und Studien (für Freiburg TIPPELT/ ECKERT/ BARZ 1996, für<br />
Frankfurt DRÖLL 1994/ 1999a) erar<strong>bei</strong>tet wurden.<br />
Die Politik hat aus den beschriebenen Entwicklungen die Konsequenz gezogen, ihre<br />
Aufgabe im Blick auf die För<strong>der</strong>ung und Bewertung <strong>der</strong> Weiterbildung neu zu<br />
interpretieren. Dies läßt sich an <strong>der</strong> Reform des bremischen Weiterbildungsgesetzes<br />
18
Unterscheidung<br />
von staatlicher<br />
Anerkennung<br />
und finanzieller<br />
För<strong>der</strong>ung<br />
zeigen, die 1996 erfolgte und Bewahrung und behutsame Öffnung miteinan<strong>der</strong> zu<br />
verknüpfen sucht (s. dazu SEEVERS/ SCHRADER 2001; SCHRADER 2001a). Im<br />
Vor<strong>der</strong>grund steht <strong>der</strong> Versuch, an etablierten Strukturen und Konzepten<br />
(korporativer Pluralismus, institutionelle För<strong>der</strong>ung, Konzentration auf<br />
angebotsorientierte Formen organisierten Lernens mit Mindestteilnehmer- und<br />
Unterrichtsstundenzahlen, Integrationspostulat, Gegensteuerung) festzuhalten.<br />
Zugleich wurden behutsame Öffnungen eingeleitet, <strong>bei</strong> denen abzuwarten bleibt, ob<br />
sie die tradierten Strukturen unbeeinflusst lassen.<br />
Das novellierte Weiterbildungsgesetz orientiert sich aus Sicht <strong>der</strong> bildungspolitisch<br />
Verantwortlichen am Konzept <strong>der</strong> „mittleren Systematisierung“ (Interview 10, S. 10)<br />
und unterscheidet zwischen staatlicher Anerkennung, die gleichsam den Charakter<br />
eines Gütesiegels erhält, und finanzieller För<strong>der</strong>ung, die in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong><br />
institutionellen, <strong>der</strong> Programm- und –neu hinzugekommen – <strong>der</strong> Projektför<strong>der</strong>ung<br />
vorgenommen werden kann. Der Staat verpflichtet sich zudem, und das ist neu für<br />
die Bundesrepublik, zu einer immateriellen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterbildung und<br />
übernimmt gleichsam Aufgaben <strong>der</strong> Supervision des Systems, etwa in <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ung von Unterstützungsstrukturen, im Teilnehmerschutz o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sicherung<br />
von Transparenz, z.B. durch den Aufbau eines Weiterbildungsinformationssystems.<br />
Am weitreichendsten ist die Verpflichtung <strong>der</strong> anerkannten Einrichtungen auf die<br />
Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, die einige Einrichtungen nur mit<br />
Mühe erfüllen konnten. Nicht gelungen ist es, die auf insgesamt neun Senatsressorts<br />
verstreuten Zuständigkeiten für die För<strong>der</strong>ung und Steuerung <strong>der</strong> Weiterbildung<br />
zusammenzufassen. Jedoch unternimmt eine die einzelnen senatorischen Behörden<br />
übergreifende Projektgruppe den Versuch, die Einzelpolitiken zu koordinieren und<br />
zugleich am Aufbau eines „Gesamtsystems lebensbegleitenden Lernens“ (Interview<br />
10, S. 1) zu ar<strong>bei</strong>ten, was u.a. daran erkennbar ist, dass berufliche Aus- und<br />
Weiterbildung als aufeinan<strong>der</strong> bezogen diskutiert werden.<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> Politik steht <strong>Bremen</strong> am Beginn einer neuen Bildungsoffensive.<br />
Weiterbildungspolitik, das sei europaweit zu beobachten, verlasse ihre traditionellen<br />
Positionen und weite ihren Blick auf die Unterstützung lebenslangen Lernens:<br />
„Ich glaube, dass die politische Akzeptanz, nachdem sie zu Beginn <strong>der</strong> siebziger Jahre<br />
wohl wirklich hoch gewesen ist und die innovativen, auch politischen Köpfe in <strong>Bremen</strong>,<br />
für die ist es ja ein Thema gewesen, ja dann an Bedeutung verloren hat. Zwar nicht an<br />
Bedeutung verloren hat die berufliche Bildung, die hat ihre eigene Geschichte. Son<strong>der</strong>n<br />
die Teile <strong>der</strong> mehr allgemeiner ausgerichteten beruflichen und politischen und<br />
allgemeinen Bildung sind aus <strong>der</strong> Wahrnehmung von Politik, und ich glaube auch von<br />
vielen Bürgern, rausgegangen. Sie sind verlorengegangen, nicht wahr, da kam <strong>der</strong> EDV-<br />
Boom, da än<strong>der</strong>te sich <strong>der</strong> Blickwinkel. Und als <strong>der</strong> abflachte, ist gar nichts<br />
übriggeblieben. Ein richtiges Loch, ein Wahrnehmungsloch und ich glaube auch ein<br />
Theoriedefizit. Niemand hatte über einen langen Zeitraum mit diesem Thema<br />
umfassend befasst. Das ist ja jetzt deutlich an<strong>der</strong>s. Also man sieht es auf <strong>der</strong> politischen<br />
Ebene bis hoch <strong>zum</strong> Bund, Europa, überall ist das Thema lebenslanges Lernen ganz<br />
nach oben geschossen, und zwar mit einem Ansatz ein bisschen an<strong>der</strong>s fokussiert, aber<br />
ähnlich doch dem aus den siebziger Jahren, nämlich einem umfassenden Grundansatz,<br />
was Lernen angeht und was Lernkompetenz angeht und Bildung <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />
angeht, so dass ich glaube, wir stehen da im Guten schon. Und ich glaube, dass auch die<br />
vorhin genannten organisatorischen Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>Bremen</strong> dem Rechnung tragen,<br />
und zwar nicht irgendwie Rechnung tragen, son<strong>der</strong>n es ist, es ist nicht normal, dass sich<br />
die Ressorts zusammensetzen und sagen, wir bündeln jetzt hier mal. Es ist nicht normal,<br />
19
Leitgesichtspunkte<br />
<strong>zum</strong><br />
Aufbau eines<br />
Gesamtsystems<br />
Bildung<br />
dass gesagt wird, für dieses Thema wird ein Leitbild entwickelt. Ein Leitbild entwickeln<br />
ist immer aufwendig, man muß sich einlassen, inhaltlich einlassen, bevor man das<br />
macht. Das ist mehr als normales Verwaltungshandeln.. Und ich glaube eben auch, dass<br />
wir aus <strong>der</strong> leidigen Finanzdiskussion, aus diesem ständigen Jammern, das wir ja gehabt<br />
haben, weil das Geld immer nur weniger geworden ist, über die Bündelung <strong>der</strong><br />
Ressourcen rauskommen können, und zwar „wir “ meint jetzt: wir mit unserem Ansatz.<br />
Wir haben eine Chance und sollten sie auch nutzen über die Modellprojekte, die jetzt<br />
von <strong>der</strong> Bundesebene kommen und über das, was wir in <strong>Bremen</strong> über die Ar<strong>bei</strong>tsgruppe<br />
anschieben können, stark zu vernetzen und sollten auch versuchen, die<br />
Weiterbildungseinrichtungen, so wie wir sie jetzt haben, in Gespräche und in enge<br />
Kooperation zu kriegen, z.B. mit Einrichtungen wie Universität, wie Stadtbibliothek,<br />
also wir müssen an<strong>der</strong>s gucken.. Und dann sind wir wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Offensive. Und dass<br />
Sie sich so ausführlich mit dem Thema befassen, ist ja auch kein Zufall, es hat immer<br />
irgend etwas mit Trends auch zu tun.“ (Interview 10, S. 6)<br />
Angestrebt wird nach wie vor, o<strong>der</strong> besser: erneut, <strong>der</strong> Aufbau eines Gesamtsystems<br />
Bildung, wenn auch nicht mehr in öffentlicher Verantwortung und Trägerschaft. Die<br />
Leitgesichtspunkte heute lauten Initiierung statt Reglementierung,<br />
Qualitätssicherung, Verbraucherschutz und Beratung, insgesamt: eine<br />
„pflegende“, weniger eine „schaffende“ Hand:<br />
„Wir müssten die Verantwortung dafür übernehmen, dass sich die Möglichkeiten, die<br />
wir haben, also die gesamte Vielfalt, die da ist, regional zu einem Gesamtsystem<br />
vernetzt, was flexibel genug ist, um dem Einzelnen überhaupt die Chance zu geben,<br />
dass er sein Lernen so gestaltet, wie es ihm passt. [...] Die Aufgabe des Landes, des<br />
Staates, muß sein zu gucken, dass es ein Gesamtsystem gibt, was auch einen Ausgleich<br />
dieser Interessen dann ermöglicht. Was natürlich auch einen Blick hat auf Interessen<br />
von Leuten, die aus dem, falls es das überhaupt gibt, mittleren Bereich herausfallen,<br />
also sowohl von Hochbegabten, als auch von Leuten, die Probleme haben, sich auf<br />
Lernen im Moment einzulassen. [...] Also da sehe ich unsere Aufgaben, zu gucken, dass<br />
das ausgewogen ist. Und zu initiieren, wenn es das nicht ist, möglichst wenig zu<br />
reglementieren. Aber darauf zu achten, dass die Qualität insgesamt gut ist, so gut, dass<br />
man das verantworten kann, darauf zu achten, dass die Beratungsinfrastruktur aufgebaut<br />
wird, so dass <strong>der</strong> Einzelne sich orientieren kann, Betriebe sich orientieren können.<br />
Darauf zu achten, dass wissenschaftliches Wissen eingespeist wird und auch, dass wir<br />
das nicht nur aus <strong>der</strong> Region holen, son<strong>der</strong>n auch überregional. Das, denke ich,<br />
entwickelt sich nicht automatisch, son<strong>der</strong>n bedarf es einer, ja, pflegenden Hand und<br />
auch von Anregungen, Unterstützung.“ (Interview 10, S. 8)<br />
Zukünftig werde es nicht mehr ausreichen, sich auf die För<strong>der</strong>ung institutioneller,<br />
organisierter Lernangebote zu beschränken, erfor<strong>der</strong>lich sei vielmehr eine<br />
Ausweitung auf die För<strong>der</strong>ung des informellen Lernens:<br />
„Selbstverständlich sind informelle Lernformen überhaupt noch nicht im Blick<br />
gewesen. Bei <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz ja auch nicht. Das muß ergänzt werden.<br />
Dadurch verschiebt sich ganz viel. Aber das tangiert nicht unsere gesetzlichen<br />
Vorschriften. Ein kleines Beispiel: Bildungsurlaub wird von uns nur anerkannt, wenn<br />
wir, ich glaube, sechs Stunden organisiertes Lernen am Tag nachgewiesen bekommen.<br />
Alles an<strong>der</strong>e, Exkursionen und so, zusätzlich. Ja, mit dieser Regelung kann man nicht<br />
mehr leben, wenn wir sagen, ja, hier wird multimedial gelernt. Die Leute müssen nicht<br />
mehr in einem Raum sitzen und diese sechs Stunden absitzen. Das war immer unser<br />
Kriterium, nicht nur in diesem Bundesland. Das wird sich än<strong>der</strong>n. Das ist unabhängig<br />
von den gesetzlichen Rahmenbedingungen.“ (Interview 10, S. 8)<br />
Die Ausweitung <strong>der</strong> Verantwortlichkeit <strong>der</strong> Politik auf Qualitätssicherung,<br />
Herstellung von Transparenz, Vergabe von Qualitätssiegeln wird ausdrücklich<br />
positiv bewertet und nicht als Rückzug gedeutet:<br />
20
Zur Marktorientierung<br />
<strong>der</strong><br />
Anbieter<br />
„Und da die Verantwortung für Bildung nicht mehr so diffus ist, wie ich sie früher<br />
wahrgenommen habe, irgend jemand in Bonn macht da schon irgendwas, hieß es dann<br />
immer, son<strong>der</strong>n ja stärker regionalisiert wird und stärker Einfluß genommen werden<br />
kann, glaube ich wird das gestaltende Element sich eher mehr herausbilden als wir es in<br />
<strong>der</strong> Zwischenzeit hatten. Ich glaube nicht, dass es einen Rückzug bedeutet, eine<br />
Konzentration ja und auch <strong>der</strong> starke Versuch, und ich finde das richtig, die Betriebe<br />
mehr reinzunehmen auch in die Finanzierung und in die Ausgestaltung <strong>der</strong> Inhalte. Das<br />
kann nicht alles sein, aber das muß ein Segment sein. Das wird von meiner<br />
Wahrnehmung her mehr und mehr hoheitliche Aufgabe. Dass wir selber über<br />
landeseigene Einrichtungen in das Marktgeschehen direkt eingreifen und uns <strong>zum</strong><br />
Wettbewerber unter Wettbewerbern machen, wie es ja früher gewesen ist, das glaub ich,<br />
wird sehr wenig werden. Und ich finde es in Ordnung.“ (Interview 10, S. 12)<br />
„Im Moment“ seien noch alle <strong>der</strong> Auffassung, dass auch die institutionelle<br />
För<strong>der</strong>ung bleiben müsse (Interview 10, S. 13). Inwieweit mit <strong>der</strong> einschränkenden<br />
Formulierung „im Moment“ bereits Akzente einer künftigen Weiterbildungspolitik<br />
jenseits institutioneller För<strong>der</strong>ung angedeutet werden, wird die Zukunft zeigen. Offen<br />
ist die Frage, ob die institutionelle För<strong>der</strong>ung mit dem Instrument des<br />
Kontraktmanagements an bestimmte Angebotsprofile geknüpft werden soll:<br />
„Und wir haben das Gesetz nicht nur so geän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch, weil sich die Praxis <strong>der</strong><br />
Einrichtungen geän<strong>der</strong>t hat. Und ich kann nicht für die Einrichtungen sprechen- aber ich<br />
glaube auch, aus dem Interesse heraus, stärker eine Profilbildung zu bekommen. Und<br />
wir haben das auch lange diskutiert im Ausschuß, ob wir das wie<strong>der</strong> umkehren und die<br />
Einrichtungen sozusagen zwingen, also auffor<strong>der</strong>n, motivieren, ihr Spektrum über die<br />
Lernbereiche breit zu streuen und fanden es problematisch. Wir finden, dass man das im<br />
Einzelfall diskutieren muß. Selbstverständlich müssen wir anregen. Es darf nie<br />
passieren, dass die politische Bildung hinten herunterfällt, nur weil die Einrichtungen<br />
sich individuell unterschiedlich für die an<strong>der</strong>en Lernbereiche entscheiden. Da sind wir<br />
auch in <strong>der</strong> Verantwortung als Land. Aber ansonsten finde ich, müssen wir es <strong>bei</strong><br />
Anregungen lassen und akzeptieren, dass Kompetenzen da sind, wo sie sind, aus<br />
Gründen, die uns im Prinzip auch nicht viel angehen.“ (Interview 10, S. 4)<br />
Einige Experten aus anerkannten Weiterbildungseinrichtungen registrieren vor allem<br />
den Bedeutungsverlust <strong>der</strong> öffentlichen För<strong>der</strong>ung, <strong>der</strong> sie zwingt, sich nach an<strong>der</strong>en<br />
Finanzquellen umzusehen, bis hin <strong>zum</strong> Sponsoring durch Firmen (Interview 9, S. 9).<br />
Die Option, sich noch mehr am Markt und an <strong>der</strong> Finanzkraft <strong>der</strong><br />
Teilnehmenden zu orientieren, wird von einigen Anbietern ausdrücklich<br />
akzeptiert, während an<strong>der</strong>e Einrichtungen sie nachdrücklich ablehnen:<br />
„Solange ich da verantwortlich bin, vermute ich nicht.“ (Interview 9, S. 10)<br />
„Also ich bin eher <strong>der</strong> Meinung, dass wir, jetzt nehme ich das Wort mal doch, dass wir<br />
in <strong>der</strong> Nische, in <strong>der</strong> wir unser Angebot machen, also nicht in <strong>der</strong> institutionellen,<br />
son<strong>der</strong>n eher in <strong>der</strong> inhaltlichen, in <strong>der</strong> Nische, in <strong>der</strong> wir das machen, dass wir darauf<br />
achten müssen, dass wir da ein gediegenes interessantes Angebot immer wie<strong>der</strong><br />
präsentieren und uns dadurch als unverzichtbar auch auf dem Markt erweisen.“<br />
(Interview 9, S. 11)<br />
Es wird erwartet, dass die Bildungspolitik diese „Profilierung in <strong>der</strong> Nische“ auch<br />
zukünftig unterstützen wird, da mit dem Pluralismus als fortdauern<strong>der</strong><br />
Legitimationsgrundlage gerechnet wird (Interview 9, S. 11 f.). Vertretern<br />
erwerbswirtschaftlicher, nicht-anerkannter Weiterbildungsanbieter aber geht<br />
die Reform des Gesetzes nicht weit genug. Auf <strong>der</strong> einen Seite begrüßen sie die<br />
Öffnung, die z.B. mit <strong>der</strong> Trennung von Programm- und Projektför<strong>der</strong>ung vollzogen<br />
wurde:<br />
21
Zusammenfassung<br />
<strong>der</strong><br />
Reform und ihrer<br />
Ergebnisse<br />
„Die hat es mit angestoßen, wie die Strukturkommission vorher, auch gegen die<br />
Wi<strong>der</strong>stände von vielen und anerkannten Weiterbildungseinrichtungen, und das war<br />
eine ganz, ganz wichtige Position. [...] Insofern sind wir in <strong>Bremen</strong> schon ein großes<br />
Stück weiter gekommen, und wenn dann auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wie<strong>der</strong> so eine<br />
Verengung da ist, dann wie gesagt, kann ich nur o<strong>der</strong> die Bestrebungen da sind, so eine<br />
Verengung wie<strong>der</strong> einzuführen, kann ich nur sagen, die würde dann kontraproduktiv<br />
sein und verengend wirken für weite Bereiche.“ (Interview 8, S. 12)<br />
Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite for<strong>der</strong>n sie einen vollständigen Abschied von <strong>der</strong><br />
institutionellen und eine Umsteuerung auf die Programmför<strong>der</strong>ung.<br />
Man kann die Folgen <strong>der</strong> Evaluation und die Reform des bremischen<br />
Weiterbildungsgesetzes etwa so resümmieren: Der Staat verpflichtet sich<br />
ausdrücklich zu einer immateriellen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterbildung und übernimmt<br />
gleichsam Aufgaben <strong>der</strong> Supervision des Systems, etwa in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von<br />
Unterstützungsstrukturen, im Teilnehmerschutz o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sicherung von<br />
Transparenz, z.B. durch den Aufbau eines Weiterbildungsinformationssystems.<br />
Dieser bemerkenswerte Verän<strong>der</strong>ungswille beruht sicherlich auch auf <strong>der</strong> Erkenntnis,<br />
dass die weiter sinkenden staatlichen Mittel (nach dem Gesetz) eine nachhaltige<br />
direkte För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Weiterbildung nicht mehr gestatten. Daher ist es nur<br />
konsequent zu versuchen, öffentliche Mittel, die inzwischen <strong>zum</strong> weit<br />
überwiegenden Teil in an<strong>der</strong>en Ressorts als dem für das Gesetz zuständigen<br />
vergeben werden, stärker zu koordinieren. Irritierend mag für Außenstehende jedoch<br />
die Überkomplexität von drei För<strong>der</strong>arten im neuen Weiterbildungsgesetz wirken,<br />
die einerseits gewisse Vorteile <strong>der</strong> früher bereits anerkannten Anbieter zu bewahren<br />
sucht, an<strong>der</strong>erseits mit einer niedrigen Schwerpunktför<strong>der</strong>ung Öffnungsbereitschaft<br />
und Innovationsfähigkeit signalisieren soll. Am weitreichendsten ist sicherlich die<br />
Verpflichtung <strong>der</strong> anerkannten Einrichtungen auf die Einführung eines<br />
Qualitätsmanagementsystems, eine Regelung, die über die Empfehlungen <strong>der</strong><br />
Strukturkommission hinaus und auf die Ar<strong>bei</strong>ten des Ressorts und des<br />
För<strong>der</strong>ungsausschusses zurück ging. Die neuen Anerkennungsbedingungen wurden<br />
inzwischen von allen früher bereits anerkannten Einrichtungen erfüllt, wenn auch<br />
z.T. unter Mühen und mit zusätzlichen Auflagen. Dazu stehen bereits viele<br />
leistungsfähige und alternative, insbeson<strong>der</strong>e berufliche Anbieter bereit, diese<br />
Qualitätskriterien ebenfalls zu erfüllen. Da es kaum gelungen ist, die beson<strong>der</strong>en<br />
Kriterien für die institutionelle För<strong>der</strong>ung zu operationalisieren, müssten diese neuen<br />
Anbieter auch diese För<strong>der</strong>ung erhalten - ohne Erhöhung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>mittel insgesamt.<br />
Bisher nicht angesprochen wurde die Frage, ob alle vom Staat (auch außerhalb des<br />
WBG) geför<strong>der</strong>ten Einrichtungen auch staatlich anerkannt sein müssen, was nach<br />
den vorangehend beschriebenen Beschlüssen folgerichtig wäre.<br />
Unter dem Blickwinkel <strong>der</strong> hier diskutierten Fragestellungen ließe sich hervorheben,<br />
dass <strong>der</strong> Staat sich nach dem Weiterbildungsgesetz materiell auf die Korrektur<br />
des Marktgeschehens konzentriert und gleichzeitig ideell die Verantwortung für<br />
den Aufbau eines Gesamtsystems lebensbegleitenden Lernens übernimmt, das er<br />
durch die Mo<strong>der</strong>ation und Begleitung von autonomen Entwicklungen in an<strong>der</strong>en<br />
Bereichen zu erreichen sucht. Zudem wird Weiterbildung mehr als in <strong>der</strong> 70er<br />
Jahren als regionaler Standortfaktor betrachtet. In diesem Abschied von einer<br />
gestaltenden Bildungspolitik in traditionellem Verständnis ist <strong>Bremen</strong> allerdings nur<br />
22
Die Experten<br />
kommen zu Wort<br />
Verän<strong>der</strong>te<br />
Aufgaben des<br />
Weiterbildungspersonals<br />
Stärkere<br />
Verzahnung von<br />
Weiterbildung<br />
und Personalentwicklung<br />
Beispiel für einen allgemeinen Trend (s. dazu DRÖLL 1999); zu verweisen wäre auf<br />
die jüngst von <strong>der</strong> CDU vorgeschlagene Gründung einer gemeinnützigen „Stiftung<br />
Bildungstest“ o<strong>der</strong> auf den Vorschlag <strong>der</strong> Bundesministerin für Bildung, Forschung<br />
und Technologie, die Stiftung Warentest mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ähnliche<br />
Vorschläge wurden bereits 1998 vom Sachverständigenrat Bildung <strong>der</strong> Hans-<br />
Böckler-Stiftung und von <strong>der</strong> Bertelsmann-Stiftung unterbreitet. Vor diesem<br />
Hintergrund erscheint die jüngst von einigen Gewerkschaften angeregte Initiative für<br />
Bundesregelungen in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung wenig aussichtsreich.<br />
5. Aufgaben von Weiterbildungseinrichtungen<br />
Bisher wurde vor allem analysiert, wie sich die Strukturen des bremischen<br />
Weiterbildungssystems in <strong>der</strong> sich etablierenden Wissensgesellschaft än<strong>der</strong>n und wie<br />
die Weiterbildungspolitik auf diesen Wandlungsprozess reagiert hat. In den<br />
folgenden Abschnitten stehen die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten im Mittelpunkt, die<br />
ihr eigenes und unmittelbares Handlungs- und Ar<strong>bei</strong>tsfeld betreffen. Dazu gehörten<br />
vor allem Beschreibungen und Einschätzungen zu Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t in den<br />
Weiterbildungsabteilungen, zu den Angeboten und Leistungen von<br />
Weiterbildungsanbietern, zu den Bedarfen <strong>der</strong> Adressaten insbeson<strong>der</strong>e im Blick auf<br />
gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen, zu den Zeit- und Organisationsformen des<br />
Lernens, zur Zusammenar<strong>bei</strong>t mit Lehrkräften und an<strong>der</strong>en<br />
Weiterbildungseinrichtungen, zur Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien in einer sich<br />
mo<strong>der</strong>nisierenden Weiterbildung usw. Im folgenden Kapitel wird es zunächst um die<br />
verän<strong>der</strong>ten Aufgaben des Personals in Weiterbildungseinrichtungen gehen.<br />
Auffällig ist, dass Verän<strong>der</strong>ungen in den Aufgaben des Weiterbildungspersonals am<br />
differenziertesten von den Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>tern aus <strong>der</strong><br />
innerbetrieblichen Weiterbildung beschrieben werden. Der Strukturwandel <strong>der</strong><br />
Weiterbildung, die Expansion des Angebots <strong>bei</strong> häufig stagnierendem<br />
Personalbestand, die Ergänzung des kursförmigen Lehrens und Lernens durch den<br />
Einsatz <strong>der</strong> neuen Medien in ihren vielfältigen Varianten, in <strong>der</strong> öffentlich<br />
anerkannten Weiterbildung noch verstärkt durch die Kommerzialisierung des<br />
Weiterbildungsangebots, lassen die Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen des hauptberuflichen<br />
Personals in Weiterbildungseinrichtungen nicht unberührt. Sie werden aber von den<br />
Mitar<strong>bei</strong>tern in öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtungen weniger<br />
eindringlich beschrieben.<br />
Am auffälligsten wird von den Experten <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung <strong>der</strong><br />
Versuch betont, Weiterbildung und Personalentwicklung stärker miteinan<strong>der</strong> zu<br />
verzahnen und für strategische Ziele <strong>der</strong> Organisations- und<br />
Unternehmensentwicklung zu nutzen. Das drückt sich in manchen Unternehmen<br />
organisatorisch darin aus, dass dieser Ar<strong>bei</strong>tsbereich seine randständige Stellung<br />
verliert und direkt <strong>der</strong> Werksleitung unterstellt wird. Eine Verantwortliche für<br />
Personal- und Organisationsentwicklung beschreibt ihr Aufgabengebiet in einem<br />
weltweit agierenden Konzern wie folgt:<br />
„Bin im Prinzip seit 1993 fachlich beschäftigt mit dem Thema ‚Wie gestalten wir<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozesse‘ mit unterschiedlichen Inhalten, das heißt fachlicher<br />
23
Schwerpunkt meiner Aufgaben sind einmal das Thema Personalentwicklung und ich<br />
sage mal das Thema Organisationsentwicklung. Konkret hat die Abteilung, die ich leite,<br />
die Personal- und Centerentwicklung, 4 Funktionen, die kann ich hier vielleicht mal<br />
<strong>zum</strong> Einstieg kurz beschreiben. Ein Funktionsbereich ist das Thema interne<br />
Kommunikation, dahinter verbirgt sich im Prinzip <strong>der</strong> Auftrag, die interne<br />
Kommunikation hier am Standort auch ein Stück weit strategisch zu gestalten unter<br />
Nutzung <strong>der</strong> verschiedenen Medien, die wir hier haben. Medien sind einmal angefangen<br />
von <strong>der</strong> Betriebszeitung, dann haben wir so eine Art Führungskräfteinformation, da ging<br />
es auch gerade drum, dann haben wir das Intranet, also ein internes<br />
Kommunikationsmittel, dann haben wir Buissenes-TV, was Sie auch draußen laufen<br />
sehen, was <strong>zum</strong> Teil zentral gesteuert wird, wir aber auch standortspezifische<br />
Informationen reinspielen können, und dann haben wir den sogenannten Dialog, <strong>der</strong><br />
Dialog ist ein Kommunikationsinstrument, wo wir pro Woche, pro Schicht eine halbe<br />
Stunde die Bän<strong>der</strong> anhalten, wo wir die Gelegenheit haben, dass Mitar<strong>bei</strong>ter und<br />
Führungskräfte, also konkret Meister o<strong>der</strong> auch Teamleiter ins Gespräch kommen, und<br />
diesen Dialog gestalten wir <strong>zum</strong> Teil auch zentral. Das ist ein Themenfeld. Das zweite<br />
Themenfeld ist das Thema Führungskräfteentwicklung und das Thema Qualifizierung.<br />
Hier hinter verbergen sich, ich sage mal angefangen von Nachwuchsentwicklung<br />
För<strong>der</strong>programme, dann Vorbereitung, wenn wir Leute neu ernannt haben zu<br />
Führungskräften bis hin zu den flächendeckenden Qualifizierungen, die wir für alle<br />
Führungskräfte anbieten, <strong>zum</strong> Teil auch Mitar<strong>bei</strong>ter, damit sie quasi in ihrer laufenden<br />
Aufgabe fit bleiben, da gehört auch das gesamte Sprachprogramm zu, interkulturelles<br />
Programm und sonst was. Das zweite Stand<strong>bei</strong>n. Drittes Stand<strong>bei</strong>n ist das Thema<br />
Beratung, das heißt, wir sind eine interne Beratungseinheit und bieten den<br />
Führungskräften ganz konkret Beratung an, angefangen von Prozessberatung, also wie<br />
gestalte ich meinen Entwicklungsprozess in den jeweiligen Centern über spezifische<br />
Unterstützung wie Mo<strong>der</strong>ation, Teamentwicklung, Coaching usw. Das vierte Feld, und<br />
das ist neu, steht unter <strong>der</strong> Überschrift Controlling, das heißt wir entwickeln und sind<br />
gerade da<strong>bei</strong>, ein Controllingverfahren, unter an<strong>der</strong>em auch mit Inhalten wie<br />
Frühaufklärung, um einschätzen zu können, an welchem Punkt <strong>der</strong> Marktentwicklung<br />
wir stehen, um ableiten zu können, wo wir möglicherweise gegensteuern können o<strong>der</strong><br />
müssen und wie sich bestimmte Dinge auch von <strong>der</strong> Tendenz her entwickeln. Ein neues<br />
Feld, was sehr spannend ist, was wir auch in Kooperation natürlich mit<br />
wissenschaftlicher Begleitung machen, weil auf diesem Feld noch relativ wenig knowhow<br />
auch vorliegt. [...] Ich habe 34 Mitar<strong>bei</strong>ter, und von <strong>der</strong> Qualifikation sind diese<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter, ich sage mal angefangen Betriebswirte, Psychologen,<br />
Sozialwissenschaftler, auch Ingenieure, also ein sehr breites Spektrum, und unser<br />
Hauptfokus ist im Prinzip, Führung stark zu machen, also Führungskräfte zu befähigen,<br />
dass sie eben den Anfor<strong>der</strong>ungen, denen sie sich stellen müssen, gewachsen sind, und<br />
wir machen immer wie<strong>der</strong> die Erfahrung, das ist sicherlich auch ein Hauptthema des<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozesses, Führungskräfte sind in <strong>der</strong> Regel eingespannt in ihr operatives<br />
Geschäft, das sie auch beherrschen, sie müssen aber die Fähigkeit entwickeln, das, was<br />
von außen dazu kommt, zu integrieren, das heißt, sie können o<strong>der</strong> dürfen nur einen Teil<br />
ihrer Kapazität und Energie ins operative Geschäft stecken und müssen im Prinzip<br />
permanent Zukunft mitdenken, weil sie sie mit gestalten. Und diese Fähigkeit ist oft<br />
nicht entwickelt. Vor allen Dingen, weil wir belohnen für das operative Geschäft und<br />
für diesen an<strong>der</strong>en Teil nicht. Das ist eine ganz große Schwierigkeit.“ (Interview 5,<br />
S. 1 f.)<br />
In diesem Zitat kommen gleichsam prototypisch die Aufgaben innerbetrieblicher<br />
Weiterbildungsabteilungen in fortgeschrittenen Unternehmen <strong>zum</strong> Ausdruck, eine<br />
Aufgabenstellung, die sich nahtlos einfügt in das Konzept <strong>der</strong> Wissensgesellschaft,<br />
wie es von Nico Stehr entwickelt und einleitend referiert wurde: Weiterbildung<br />
wird genutzt als Beraterin und Expertin von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen. Ihre<br />
Aufgabe besteht nicht allein darin, selber Wissen zu vermitteln o<strong>der</strong> diesen<br />
Vermittlungsprozesse durch Seminare und Trainings zu organisieren, son<strong>der</strong>n sie<br />
muss dafür sorgen, dass <strong>der</strong> unternehmensinterne, von den Beschäftigten getragene<br />
24
Bedarfs- statt<br />
Angebotsorientierung<br />
Prozess <strong>der</strong> Wissensdistribution initiiert und kanalisiert wird, insgesamt: dass die<br />
Beschäftigten im Unternehmen ausreichend „Zukunftsar<strong>bei</strong>t“ leisten, d.h. nicht allein<br />
im operativen Alltag verharren, son<strong>der</strong>n die aus Sicht des Unternehmens<br />
notwendigen Verän<strong>der</strong>ungsprozesse und Innovationen gestalten.<br />
Im Zuge dieses durchgreifenden Verän<strong>der</strong>ungsprozesses haben Weiterbildung und<br />
Personalentwicklung einen ganz an<strong>der</strong>en Stellenwert bekommen. Selbstbewußt wird<br />
Platz 1 o<strong>der</strong> 2 in <strong>der</strong> internen Unternehmenshierarchie eingefor<strong>der</strong>t (Interview 7,<br />
S. 9). Auf die Frage, ob <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Personalentwicklung und Weiterbildung<br />
immer so organisiert war, antwortet eine Führungskraft:<br />
„Nein, völlig an<strong>der</strong>s. Das Thema Entwicklung, ich nutze bewusst diesen Begriff, weil es<br />
eben diese <strong>bei</strong>den Dimensionen hat Personalentwicklung und Organisationsentwicklung<br />
und weil die ja eng verzahnt sind, hat im Rahmen <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungsprozesse eine ganz<br />
an<strong>der</strong>e Bedeutung bekommen. Ich sage mal, es war vorher ein Stück weit Stiefkind,<br />
nicht in <strong>der</strong> Dimension, das wir dort nicht investiert haben, im Gegenteil, das<br />
Unternehmen hat immer sehr viel Geld in die Hand genommen für das Thema<br />
Weiterbildung, Qualifikation, es ist aber am Rande mitgelaufen. Das heißt, es waren so<br />
eine Sockelleitung in einer sehr hohen Qualität, aber wenig angebunden, sage ich mal,<br />
an die Steuerung des Werks. Was wir feststellen in zunehmendem Maße, wie die<br />
Verän<strong>der</strong>ungsanfor<strong>der</strong>ungen, sei es aus dem Unternehmen selbst, sei es durchs Umfeld,<br />
wie die steigen, und da ist eine Dynamik reingekommen in den letzten 10 Jahren, die ist<br />
schon beachtlich. In dem Maße ist das Thema, wie gestalten wir eigentlich diese<br />
Entwicklungsprozesse, wie gestalten wir unsere Managemententwicklung, unsere<br />
Personalentwicklung, immer stärker in das Augenmerk auch des Managements<br />
gekommen und wird mit zur Steuerung angezogen. Das heißt die, wenn ich in meinem<br />
Bild bleiben will, ich bin, und das ist ja auch kein Zufall, dass unser Werkleiter jetzt<br />
unseren Bereich direkt unterstellt hat, ich bin ganz dicht an dem Management des<br />
Werkes und werde mit den Funktionen, die ich habe, mit den fachlichen Funktionen<br />
eingesetzt, um das Werk hier in seinem Verän<strong>der</strong>ungsprozess zu steuern, und das war<br />
früher völlig an<strong>der</strong>s. Das Bildungswesen hat, um offen <strong>zum</strong> Bild zu bleiben, auf <strong>der</strong><br />
grünen Wiese ein etwas verträumtes Feld gehabt, was man toleriert hat, was man<br />
akzeptiert hat, dem man auch einen hohen Stellenwert gegeben hat, alle haben gesagt,<br />
das ist wichtig, aber es war letztendlich abgeschirmt vom tatsächlichen Geschäft des<br />
Werkes, und das hat sich völlig verän<strong>der</strong>t.“ (Interview 5, S. 4)<br />
Der Verän<strong>der</strong>ungsdruck schließt auch ein, dass das Geschehen im Unternehmen<br />
genauer unter die Lupe genommen wird, z.B. in Form von systematischen und<br />
vollständigen Mitar<strong>bei</strong>terbefragungen (Interview 5, S. 5). Mögliche Schwachstellen<br />
im Organisationsgefüge werden mit den Instrumenten <strong>der</strong> empirischen<br />
Sozialforschung identifiziert, um über größere Transparenz gezielt auch höheren<br />
Leistungsdruck auf die Mitar<strong>bei</strong>tern zu erzeugen, eine Zielsetzung, die offen<br />
gehandelt wird (Interview 5, S. 6). Trotz <strong>der</strong> strategischen Aufwertung <strong>der</strong><br />
Weiterbildungs- und Personalentwicklungsar<strong>bei</strong>t aber sind strenge Evaluierung und<br />
kostenmäßiges Controlling noch nicht verbreitet, und zwar unabhängig von <strong>der</strong><br />
Entwicklungsstufe, auf <strong>der</strong> Weiterbildung im Unternehmen betrieben wird. Die<br />
meisten Mitar<strong>bei</strong>ter in <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung und<br />
Personalentwicklung können das Weiterbildungsvolumen auf Nachfrage nicht genau<br />
beziffern. „Wir haben zur Zeit [...] kein Bildungscontrolling“ (Interview 3, S. 3), ist<br />
eine <strong>bei</strong>spielhafte Aussage, die für viele steht. Geprüft wird allenfalls, ob ein solches<br />
Controlling Sinn macht, beson<strong>der</strong>e Priorität hat eine solche Aufgabe aber angesichts<br />
vielfältiger an<strong>der</strong>er Anfor<strong>der</strong>ungen nicht.<br />
25
Mit <strong>der</strong> strategischen Aufwertung <strong>der</strong> Weiterbildung ist in <strong>der</strong> Regel ein Wandel von<br />
<strong>der</strong> angebotsorientierten zu einer stärker nachfrageorientierten Ar<strong>bei</strong>t verbunden.<br />
„Generell läuft die Ar<strong>bei</strong>t mehr angebotsorientiert, also wir haben bisher einen Katalog<br />
von Weiterbildungsmaßnahmen zusammen gestellt, auf den Mitar<strong>bei</strong>ter zugreifen<br />
können und auch Führungskräfte zugreifen können, die dann ihren Mitar<strong>bei</strong>tern<br />
entsprechende Angebote unterbreiten, aber wie gesagt, auch Mitar<strong>bei</strong>ter direkt. Davon<br />
möchte ich weg, ich denke, wir kommen jetzt zu dem neuen, [...] was ich im übrigen<br />
auch als erfor<strong>der</strong>lich ansehe: Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft.“<br />
(Interview 3, S. 1)<br />
Mit <strong>der</strong> Abkehr von <strong>der</strong> Angebotsorientierung än<strong>der</strong>n sich auch die Aufgaben des<br />
Personals, die sich von <strong>der</strong> Wissensvermittlung zur Begleitung von personalen und<br />
sozialen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen wandeln:<br />
„Da schließt sich <strong>der</strong> Kreis, was ich vorhin gesagt, ich sehe die Rolle des PE-lers<br />
künftig eher darin, dass er begleitet, dass er coacht, dass er unterstützt, und wenn es<br />
neue Medien gibt, dann denke ich so, dass wir dann die Menschen da ran führen<br />
müssen, mit den Medien entsprechend zu ar<strong>bei</strong>ten und dass wir ihnen<br />
Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, dass wir sie weiterhin unterstützen,<br />
begleiten auch, auch was die Evaluierung angeht, dass nicht komplett einem System zu<br />
überlassen, son<strong>der</strong>n mit den Menschen gemeinsam auch in diese Evaluierungsphasen<br />
einzusteigen, also ich sehe uns da stärker immer in dieser begleitenden, coachenden,<br />
unterstützenden Rolle, nicht mehr in <strong>der</strong> vermittelnden. Also, <strong>bei</strong> uns im Unternehmen<br />
ist es <strong>zum</strong> Beispiel auch so, dass wir heute fast ausschließlich mit externen Trainern<br />
ar<strong>bei</strong>ten, wir haben zwar jetzt im eigenen Bereich Leute die Zusatzqualifikationen<br />
haben, die auch in Teilbereichen Dinge durchführen, und wir verlassen uns fast<br />
ausschließlich auf externe Trainer auch und deswegen berührt es uns nicht so. Wenn wir<br />
einen eigenen Trainerstab hier hätten, dann würde ich sagen, da wird sich einiges tun<br />
und man müsste gucken, wie die Aufgaben sich än<strong>der</strong>n, dass es da auch um Coaching,<br />
Prozessbegleitung geht.“ (Interview 3, S. 11)<br />
Ein an<strong>der</strong>er Experte sieht die Weiterbildung auf dem Weg nicht nur zu stärker<br />
bedarfsorientierter Ar<strong>bei</strong>t, son<strong>der</strong>n hin zur Praxisberatung und –supervision:<br />
„Seit einigen Jahren läuft <strong>bei</strong> uns <strong>der</strong> Prozess und ich, soweit ich das aus an<strong>der</strong>en<br />
Unternehmen mitkriege o<strong>der</strong> auch aus Fachzeitschriften mitbekomme, gibt es da ganz<br />
stark den Trend hinweg von den klassischen Seminaren und wir machen das jetzt, also<br />
auch wenn wir Basisseminare in Kommunikation o<strong>der</strong> Führungsgrundlagen anbieten,<br />
machen wir kein Seminar mehr, wo denen dann in 2, 3 Tagen so die Basics <strong>bei</strong>gebracht<br />
werden, son<strong>der</strong>n es ist immer <strong>zum</strong> Teil extrem praxisorientiert, <strong>zum</strong> Teil haben wir eine<br />
Seminarstruktur o<strong>der</strong> eine Workshop-Struktur, wo sofort <strong>der</strong> Ausgangspunkt, die<br />
konkrete Führungssituation ist, und dann werden einzelne Fälle bear<strong>bei</strong>tet und die<br />
werden dann mit Theorieinputs versehen. Und oberhalb von Grundlagenseminaren läuft<br />
das in dem Bereich eigentlich nur noch so. Das ist so ein Trend, o<strong>der</strong> auch <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Teamentwicklung, dass es eben auch da nicht darum geht, den Teams zu erzählen, also<br />
gute Teams funktionieren so und so und so, son<strong>der</strong>n man guckt, was sind die Probleme<br />
vor Ort, und dann ergänzt man das um entsprechende Theorieinputs.“ (Interview 13,<br />
S. 6)<br />
Die Aufgaben <strong>der</strong> Personalentwicklung liegen in <strong>der</strong> (kommunikativen,<br />
personenbezogenen Bedarfsermittlung, <strong>der</strong> Beratung, <strong>der</strong> Konzeptvereinbarung und<br />
<strong>der</strong> Evaluation (Interview 13, S. 8 f.). Die Führungskräfte erscheinen als die<br />
entscheidenden Relaisstellen für die Durchsetzung von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen:<br />
„Der fachliche Teil ist ein ganz an<strong>der</strong>er Teil, <strong>der</strong> wird natürlich auch betrieben. Und<br />
dann haben wir eben das Thema flächendeckende Qualifizierung, um Ar<strong>bei</strong>tsfähigkeit<br />
26
Wandel von<br />
Schulungsformen<br />
zu erhalten, und das ist das Qualifizierungsprogramm, was ich eben schon mal<br />
beschrieben habe, wo wir alle Führungskräfte letztendlich fit halten im Thema Führung,<br />
und wir machen die Feststellung, dass das Thema Führung in <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />
wenig reflektiert wurde. Das hat man mitgemacht, aber im Vor<strong>der</strong>grund hat die<br />
fachliche Qualifikation gestanden, und im Augenblick erleben wir auch aus <strong>der</strong><br />
Erfahrung heraus, dass dem Thema Führung eine viel stärkere Bedeutung zukommen<br />
muss und unser Werkleiter ihm auch eine stärkere Bedeutung zukommen lässt und sagt,<br />
das ist im Prinzip <strong>der</strong> Erfolgsfaktor, <strong>der</strong> Schlüsselfaktor als Basis, um letztendlich hier<br />
auch als Standort den Anfor<strong>der</strong>ungen zu genügen.“ (Interview 5, S. 7)<br />
Diese Verän<strong>der</strong>ungen in den Aufgabenstellungen innerbetrieblicher<br />
Weiterbildungsabteilungen führt weg von klassischen Trainings- und<br />
Schulungsformen. Traditionelle Schulungssituationen, in denen (externe) Lehrende<br />
den Mitar<strong>bei</strong>tern des Unternehmens Fach- und Führungswissen vermittelten, werden<br />
teils ersetzt, teils ergänzt um Trainingsarrangements, in denen (extern) geschulte<br />
Führungskräfte das erfor<strong>der</strong>liche Know-How an die Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>der</strong> nächst nie<strong>der</strong>en<br />
Ebene weitergeben. Diese kaskadenförmig organisierten Schulungen unter dem Titel<br />
„Führung trainiert Führung“ werden durch externe o<strong>der</strong> interne Experten lediglich<br />
noch angeleitet und von <strong>der</strong> Abteilung Personalentwicklung durch die Entwicklung<br />
von Materialien unterstützt. Statt dessen werden ar<strong>bei</strong>tsplatznahe Experten-Novizen-<br />
Beziehungen bevorzugt, wie sie etwa aus dem Bereich des Handwerks vertraut sind,<br />
Trainingsbeziehungen, in denen weniger (wissenschaftliches) Fach- als<br />
Erfahrungswissen weitergegeben o<strong>der</strong> erst gemeinsam erar<strong>bei</strong>tet wird. Man erhofft<br />
sich davon eine bessere Überzeugungskraft und Motivation, eine größere Nähe zu<br />
alltäglichen Erfahrungen und eine Verankerung von Qualifizierung als Bestandteil<br />
<strong>der</strong> täglichen Ar<strong>bei</strong>t. Das Ziel besteht in einer allmählichen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Führungsaufgabe (Interview 5, S. 9 f.). Erwartet wird für die Zukunft, dass sich das<br />
Management generell qualifiziert als Trainer, als Mo<strong>der</strong>ator des Lernens <strong>der</strong><br />
Mitar<strong>bei</strong>ter (Interview 7, S. 16). Dies sind allerdings Entwicklungen, die am ehesten<br />
in großen Unternehmen zu beobachten sind. In kleineren, eher konservativen<br />
Betrieben werden auch Vorbehalte gegenüber einer Verlagerung <strong>der</strong> Personalar<strong>bei</strong>t<br />
zu den Führungskräften formuliert (Interview 13, S. 10 f.).<br />
Wenn Organisationsentwicklung als zentrale Aufgabe von Weiterbildnern und<br />
Personalentwicklern betrachtet wird, dann erfor<strong>der</strong>t dies auch zusätzliche<br />
Qualifikationen und (psychologische) Kompetenzen, z.B. eine systemische<br />
Ausbildung und einen „therapeutischen Hintergrund“ (Interview 13):<br />
„Wo ich jetzt so ein bisschen an meine Grenzen komme, also das ist alles das, was den<br />
Bereich Weiterbildung und Personalentwicklung betrifft, also das habe ich mir auf diese<br />
Weise angeeignet, das kann man sich auch auf diese Weise aneignen, weil es gibt ja<br />
auch keinen speziellen Studiengang dafür, das sind auch unterschiedlichste Leute, die<br />
das machen. Also da, wo ich, wo es wirklich um ganz neue Qualifikation geht, ist schon<br />
<strong>der</strong> Bereich Organisationsentwicklung. Da denke ich mir, dass man dafür im Grunde<br />
eine richtige Zusatzausbildung braucht, also z.B. irgendeine systemische Ausbildung<br />
o<strong>der</strong> eine TA-Ausbildung o<strong>der</strong> irgendwas in <strong>der</strong> Richtung, um da alles im Blick zu<br />
haben, was in diesem Verän<strong>der</strong>ungsprozess läuft und worauf man achten muss, also das<br />
ist schon, das kann man nicht einfach so lernen. Also da bin ich im Moment auch so an<br />
einem Punkt, wo ich für mich überlege, da noch mich weiter zu qualifizieren. [...] Wenn<br />
sie Stellenanzeigen lesen, wo sie dann Personal- und Organisationsentwickler suchen,<br />
da werden mittlerweile verstärkt Psychologen gesucht und auch immer Leute meistens<br />
mit einer systemischen Ausbildung o<strong>der</strong> auch mit einem therapeutischen Hintergrund.<br />
Das geht in den Bereich, also auch auf die Trainer und Berater, das sind auch ganz<br />
27
unterschiedliche Kompetenzen, die die reinen Weiterbildungstrainer haben und die auch<br />
so Berater für diese Change-Prozesse haben müssen.“ (Interview 13, S. 5)<br />
Ein Unternehmen, das stark durch amerikanische Traditionen bestimmt ist, setzt<br />
einen Teil <strong>der</strong> Personalentwickler gezielt als Unruhestifter, als Provokateure, als<br />
Trend-Scouts im Unternehmen ein:<br />
„Daneben gibt es einen Bereich, und über den sollen wir inhaltlich uns mehr<br />
unterhalten, <strong>der</strong> nennt sich Management Organisation und Development, ein ganz<br />
junger Bereich, keine Ahnung von Organisation, wirklich sehr wichtige Voraussetzung<br />
für Lernen, also keine klassische Blockade o<strong>der</strong> keine Erfahrung, son<strong>der</strong>n die<br />
positioniere ich in <strong>der</strong> Organisation auch so, dass diese Mitar<strong>bei</strong>ter aufgrund ihres<br />
Alters, ihrer fehlenden Erfahrung das Recht zur Provokation, das Recht zur Frage haben<br />
in allen Unternehmensbereichen ohne Rücksicht auf Rasse, Herkunft, Religion, Status<br />
etc. Das lernen wir, das kann man natürlich nicht sprungfix erzielen, son<strong>der</strong>n sie haben<br />
ja klassische etablierte Managementrollen, sie haben klassische Ar<strong>bei</strong>tnehmerrollen, sie<br />
haben klassische Personalrollen, das mache ich seit Mitte 1995, und ich merke seit<br />
Anfang 1998 nachhaltige Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />
Organisationsentwicklung als auch mit Mitar<strong>bei</strong>terentwicklung. Wenn Sie so wollen,<br />
die Zielsetzung ist es für ein internes Beratungsbüro o<strong>der</strong> eine Kanzlei haben, in <strong>der</strong><br />
interessante Menschen sitzen, die mehr als an<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Lage sind, Trends<br />
aufzunehmen, neues Denken in das Unternehmen hinein zu bringen, die haben von mir<br />
den Spitznamen „trend scouts“ bekommen, die werden von mir über ein<br />
Führungssystem auch so geführt, sie werden auch bezahlt für den Anteil dessen was sie<br />
produktiv und erfolgreich ins Unternehmen als Neuerungen einbringen.“ (Interview 7,<br />
S. 7)<br />
Da<strong>bei</strong> wird häufig mit einfachen Modellen, mit Analogien etwa <strong>zum</strong> Fußballspiel<br />
gear<strong>bei</strong>tet, (Interview 7, S. 9 ff.), um aus verallgemeinerbaren Erfahrungen zu lernen.<br />
Die Aufwertung von Weiterbildung und Personalentwicklung in Unternehmen führt<br />
aber keineswegs dazu, dass <strong>der</strong> Personalbestand aufgestockt wird. Auch wenn<br />
durchgehend angenommen wird, dass die Bedeutung dieses innerbetrieblichen<br />
Handlungsfeldes auch in Zukunft steigen wird, so rechnet doch niemand mit einer<br />
nennenswerten Aufstockung des Personals, vielmehr soll <strong>der</strong> wachsende Bedarf<br />
vorwiegend mit externen Kräften gedeckt werden. Damit wird die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
zwischen internen und externen Experten <strong>zum</strong> entscheidenden Qualitätsfaktor, <strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> bisherigen Diskussion noch kaum systematisch durchleuchtet wurde. Aus Sicht<br />
<strong>der</strong> externen Dienstleister erscheint eine strategische und bedarfsorientierte<br />
Weiterbildung und Personalentwicklung auch keinesfalls immer als gelebte Realität,<br />
son<strong>der</strong>n gelegentlich auch als Programm. Sie sehen sich häufig eher als „Nothelfer“<br />
denn als strategisches Helfer (s. auch Interview 2).<br />
„Wir kommen meistens ran, wenn ein akuter Notstand ist, das heißt wir kommen nur<br />
über akute Notstände ran. Wenn wir systematisch an Firmen ran gehen, dann ist das<br />
eine Entwicklungsgeschichte von jetzt 2, 3 Jahren, wo man immer wie<strong>der</strong>, was weiß ich<br />
Direktionen o<strong>der</strong> Personalleitungen anschreibt, antelefoniert o<strong>der</strong> so, dass also auf<br />
diesem sozusagen strategischen Weg, das dauert enorme Zeiträume, bis man überhaupt<br />
auf Interesse stößt.“ (Interview 6, S. 5)<br />
Das hat zur Folge, dass die – für diese Art <strong>der</strong> Aufgabeninterpretation<br />
unverzichtbaren – „Netzwerke“ oft als Not- o<strong>der</strong> Akutgemeinschaften gegründet<br />
werden. Wie in solchen, oft kurzfristig arrangierten Netzwerken dann gleichwohl<br />
stabile und den Qualitätsansprüchen <strong>der</strong> Unternehmen gerecht werdende<br />
Ar<strong>bei</strong>tsbeziehungen etabliert werden können, dürfte eine <strong>der</strong> zentralen Fragen in<br />
28
diesem Bereich sein. Der Geschäftsführer einer Zeitar<strong>bei</strong>tsfirma beobachtet einen<br />
Trend hin zur Personaldienstleistung als Komplettangebot (Interview 6, S. 2). Aus<br />
seiner Sicht geht es um die Schaffung von Infrastrukturen auf <strong>der</strong> Basis von<br />
persönlichen Infrastrukturen, einer „informelle[n] Firmenstruktur“, materialisiert in<br />
einem „Kompetenzpool per Computerkarteikarte“ (Interview 6, S. 2 f.). In dieser<br />
Sichtweise erscheinen Weiterbildungseinrichtungen <strong>der</strong> Zukunft als „Holding für<br />
unterschiedliche Kompetenzangebote“ (Interview 6, S. 9 f.). In dem Prozeß des<br />
Umbaus von Weiterbildungseinrichtungen müssen nicht nur die Dozenten, „da<br />
müssen ganz viele Ebenen was lernen“ (Interview 6, S. 10). Wenn in Zukunft<br />
professionell(er) gear<strong>bei</strong>tet werden soll, was allgemein erwartet wird (z.B. Interview<br />
3, S. 16), so erfor<strong>der</strong>t dies, dass die externen Experten möglichst früh und intensiv in<br />
die Bedarfserhebung, Konzeptentwicklung und Implementation von<br />
innerbetrieblichen Weiterbildung einbezogen werden. Dies wird von den meisten<br />
innerbetrieblichen Experten als wahrscheinliche und auch wünschenswerte<br />
Entwicklung betrachtet, ein Phänomen, das in <strong>der</strong> Dienstleistungsökonomie als<br />
„Internalisierung <strong>der</strong> Externen“ bezeichnet wird. Um solche Formen <strong>der</strong><br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t zu etablieren, sind gemeinsame Projekterfahrungen erfor<strong>der</strong>lich, die<br />
noch am ehesten das Vertrauen entstehen lassen, das erfor<strong>der</strong>lich ist, um gemeinsam<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozesse in <strong>der</strong> Organisation und <strong>bei</strong> den Organisationsmitglie<strong>der</strong>n zu<br />
realisieren (SCHRADER 2001b).<br />
Damit schwinden auch die lange Zeit – auch unter Marketinggesichtspunkten<br />
gepflegten – Grenzen zwischen Training und Beratung. Training, Coaching und<br />
Beratung werden als integrierte, auch therapieähnliche Interventionen einbeziehende<br />
Dienstleistungen angeboten und nachgefragt. So beschreibt ein kommerzielles<br />
Trainingsinstitut mittlerer Größe seine Ar<strong>bei</strong>tsschwerpunkte wie folgt:<br />
„Wir sind tätig für Großkonzerne mehr als für den Mittelstand, weil <strong>der</strong> Mittelstand vor<br />
dem, was wir tun, noch ein bisschen Angst hat. Tiefenpsychologisch orientiert zu<br />
ar<strong>bei</strong>ten heißt ja nicht Verhaltenstrainings zu machen vorrangig, son<strong>der</strong>n an die Inhalte<br />
heranzugehen, bevor man an die Form geht. Und das scheint, obwohl je<strong>der</strong> das<br />
Gegenteil behaupten wird, völlig unüblich zu sein. Sie kennen ja alle Theorien von TA<br />
über TZI, NLP-istische Anteile, wir betrachten das als einen wun<strong>der</strong>baren<br />
Handwerkskoffer, dieses NLP, aber nicht als eine geschlossene Theorie und daher auch<br />
nicht inhaltlich wirklich gut benutzbar. [....] Nun werden wir aber kopiert durch Institute<br />
o<strong>der</strong> Richtungen, oh, die regen auf, und dann entstehen, ich weiß nicht, ob Sie das<br />
gelesen haben in Managerseminare, da war ein Artikel vor 3 Monaten über die<br />
Provotrainer, als ob es um Aufregung an sich ginge, darum geht es ja überhaupt nicht.<br />
Es geht ja um das, was <strong>bei</strong>m Klienten sich aufregt, aufzunehmen und in einer, das ist für<br />
uns ganz wichtig, Hebammenfunktion nicht Kaiserschnitt machen o<strong>der</strong> eben sagen, wer<br />
er ist, son<strong>der</strong>n ihm helfen <strong>bei</strong>m Gebären seiner Inhalte. Das ist eigentlich unser Job.<br />
Und das schafft diese Eigenverantwortlichkeit, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Klient o<strong>der</strong> die Abteilung<br />
dann weiter suchen will, weil sie merken, dass sie lernen, denn Aufregung heißt ja, dass<br />
sich in einem menschlichen System neuronale Neuvernetzungen ergeben. [...] Die<br />
Männer, die Ingenieure, gerade <strong>bei</strong> Daimler, begreifen diese Zusammenhänge<br />
tiefenpsychologisch auch, haben aber keine Lust, dem zu folgen, weil das ist nicht<br />
fassbares Wissen, das ist zu viel Inhalt, zu wenig an fassbarer Form, daher<br />
Quantenphysik, und darüber kriegen wir einen wun<strong>der</strong>baren Einstieg in die<br />
linkshemisphärischen Männergehirne, die dann eher auch geneigt und sogar begeistert<br />
sind teilweise, das nachzuvollziehen und dann auch in den Abteilungen<br />
quantenphysikalische Erkenntnisse, da kriegen die auch Bücher von uns dann darüber,<br />
zu integrieren, um ihre eigenen Probleme zu lösen. Das ist auch ein Trend. Also wir<br />
29
Betriebsexperten<br />
zusammengefasst<br />
Zum Begriff <strong>der</strong><br />
Schlüsselqualifikation<br />
nennen das Quantenphysik meets Kommunikationswissenschaften, und zwar brachial<br />
auf weiter Front.“ (Interview 4, S. 1-3.)<br />
Auch hier wird betont, dass keine „vorkonfektionierten“ Trainings, keine Angebote<br />
von <strong>der</strong> Stange das Leistungsspektrum kennzeichnen (Interview 4, S. 5), son<strong>der</strong>n je<br />
neu auf den Bedarf des Auftraggebers zugeschnittene Maßnahmen, die<br />
unterschiedliche Typen von Dienstleistungen integrieren. Den letzten<br />
Interviewauszug kann man auch als Hinweis darauf deuten, dass es in <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft nicht mehr genügt, über Kompetenz zu verfügen, son<strong>der</strong>n dass<br />
es auch erfor<strong>der</strong>lich ist, sie zu demonstrieren, notfalls zu inszenieren. Denn <strong>der</strong><br />
befragte Experte äußert sich gegenüber dem Interviewer wie gegenüber einem<br />
potentiellen Kunden.<br />
Auffälligerweise wurde die Verän<strong>der</strong>ungen, die sich für Weiterbildungsabteilungen<br />
angesichts des Strukturwandels <strong>der</strong> Weiterbildung ergeben, insbeson<strong>der</strong>e von den<br />
befragten Experten in Betrieben beschrieben, aus jenem Bereich <strong>der</strong> Weiterbildung<br />
also, <strong>der</strong> nach landläufiger Auffassung unter dem größten Erfolgsdruck steht. Ob<br />
öffentlich anerkannte Weiterbildungseinrichtungen keine Verän<strong>der</strong>ungen in ihrer<br />
Handlungspraxis aufweisen, ob die dort beobachtbaren Verän<strong>der</strong>ungen weniger<br />
gravierend o<strong>der</strong> nur weniger präzise benennbar sind, wäre eigens zu prüfen. Für<br />
einige Trends, die ich abschließend kurz betonen möchte, scheinen mir jedoch<br />
vergleichbare Verän<strong>der</strong>ungen vorzuliegen o<strong>der</strong> aber zu erwarten zu sein. Insgesamt<br />
beobachten wir<br />
- eine Aufwertung von Weiterbildung und Personalentwicklung zu strategisch<br />
genutzten Instrumenten <strong>der</strong> Organisationsentwicklung;<br />
- eine Abkehr von <strong>der</strong> Angebots- und ein größeres Bemühen um bedarfsgerechte<br />
Nachfrageorientierung;<br />
- einen Wandel von <strong>der</strong> Wissensvermittlung in klassischen, seminarförmigen<br />
Formen zur Begleitung von Verän<strong>der</strong>ungsprozessen, damit ein Wandel von <strong>der</strong><br />
„theoretischen“ zur fallorientierten Ar<strong>bei</strong>t;<br />
- eine Aufwertung und Internalisierung externer Dienstleister, <strong>der</strong>en Wert darin<br />
besteht, dass sie über Vergleichswissen verfügen, das in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den<br />
internen Experten auf spezifische Probleme des Unternehmens angewandt wird<br />
und da<strong>bei</strong> zugleich neues Handlungswissen hervorbringt.<br />
6. Lernbedarfe und Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft<br />
Als die Angestelltenkammer begann, über ein Projekt <strong>zum</strong> Lernen in <strong>der</strong> Wissensund<br />
Informationsgesellschaft nachzudenken, fand die Frage nach den<br />
gesellschaftlichen Schlüsselqualifikationen im Kontext eines zukunftsorientierten<br />
„lebenslangen Lernens“ beson<strong>der</strong>es Interesse. Mit dem Begriff <strong>der</strong><br />
Schlüsselqualifikationen wird auf eine Diskussion verwiesen, die seit den 1970er<br />
Jahren große Beachtung in Theorie und Praxis <strong>der</strong> Erwachsenenbildung findet.<br />
30
Die vier<br />
Schlüsselqualifikationen<br />
nach<br />
Mertens<br />
Die bekannteste Fassung dieses Konzepts stammt aus den 70er Jahren und wurde<br />
von Dieter MERTENS (1974) entwickelt, seinerzeit Direktor des Instituts für<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarkt- und Berufsforschung (IAB) <strong>der</strong> Bundesanstalt für Ar<strong>bei</strong>t. Mertens<br />
ging aus von dem Dilemma, dass die Bildungsplanung in den 60er und 70er Jahren<br />
zwar einen hohen Stellenwert hatte, es aber zugleich an zuverlässigen Prognosen<br />
über den zukünftig zu erwartenden Bildungsbedarf fehlte. Um die Diskrepanzen<br />
zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem zu verringern, suchte Mertens auf<br />
dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt nach Faktoren, die Flexibilität, Mobilität sowie Substitutions- und<br />
Absorptionseffekte erlauben bzw. diese positiv beeinflussen können. Er fand sie in<br />
dem Konzept <strong>der</strong> Schlüsselqualifikationen; dazu zählte er „solche Kenntnisse,<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche nicht unmittelbaren und begrenzten Bezug zu<br />
bestimmten, disparaten praktischen Tätigkeiten erbringen, son<strong>der</strong>n vielmehr a) die<br />
Eignung für eine große Zahl von Positionen und Funktionen als alternative Optionen<br />
<strong>zum</strong> gleichen Zeitpunkt und b) die Eignung für die Bewältigung einer Sequenz von<br />
(meist unvorhersehbaren) Än<strong>der</strong>ungen von Anfor<strong>der</strong>ungen im Laufe des Lebens“<br />
besitzen (MERTENS 1974, S 40). Mertens unterschied vier Arten solcher<br />
Schlüsselqualifikationen: (1) Zu den Basisqualifikationen zählt er u.a. die Fähigkeit<br />
<strong>zum</strong> logischen, analytischen o<strong>der</strong> strukturierenden Denken. Als (2)<br />
Horizontalqualifikation beschreibt er die Fähigkeit, Informationen zu gewinnen, zu<br />
interpretieren und zu verar<strong>bei</strong>ten, eine Fähigkeit, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />
zweifellos beson<strong>der</strong>e Bedeutung zukommt. Den dritten Typ bilden sogenannte (3)<br />
Breitenelemente, d.h. Kenntnisse und Fertigkeiten, die an vielen Ar<strong>bei</strong>tsplätzen<br />
benötigt werden (heute etwa Kenntnisse in Qualitätssicherung). Zu <strong>der</strong> vierten<br />
Gruppe von Schlüsselqualifikationen schließlich zählt er (4) sogenannte „Vintage-<br />
Faktoren“, das heißt Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bildungsunterschiede zwischen<br />
den Generationen ausgleichen (heute etwa EDV-Anwendungswissen) (ebd., S. 41 f.).<br />
Der Gedanke, den Mertens mit dem Konzept <strong>der</strong> (ausschließlich formal definierten)<br />
Schlüsselqualifikationen popularisierte, war jedoch in <strong>der</strong> Geschichte des<br />
Bildungswesens keineswegs neu, bereits im klassischen Allgemeinbildungskonzept<br />
hatte man zwischen materialer und formaler Bildung unterschieden, Ralf Dahrendorf<br />
hatte bereits in den 1950er Jahren funktionale und extrafunktionale Qualifikationen<br />
als Begriffe eingeführt, und später unterschieden Horst Kern und Michael Schumann<br />
auf <strong>der</strong> Basis industriesoziologischer Untersuchungen zwischen prozeßabhängigen<br />
und prozeßunabhängigen Qualifikationen. Als einen Konsens in diesen Diskussionen<br />
kann man festhalten, dass soziale Qualifikationen als ein wichtiger Bestandteil von<br />
Schlüsselqualifikationen gelten. Sie können in <strong>der</strong> Terminologie Mertens’ wohl am<br />
ehesten als formale, berufsunspezifische und fachunabhängige Basisqualifikationen<br />
interpretiert werden, die sich „für eine große Zahl von Positionen und Funktionen“<br />
eignen.<br />
Es wäre zweifellos interessant zu untersuchen, wie sich das Konzept <strong>der</strong><br />
Schlüsselqualifikationen im Laufe <strong>der</strong> Zeit verän<strong>der</strong>t hat, das heißt, welche<br />
Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten jeweils unter diesem Sammelbegriff<br />
zusammengefasst und wie sie begründet werden. Darum soll es aber im folgenden<br />
nicht gehen, und auch nicht darum, inwieweit die interviewten Experten sich in ihren<br />
Argumentationen an Mertens anschließen o<strong>der</strong> sich von ihm abgrenzen. Es soll<br />
vielmehr ausschließlich darum gehen, was die Experten dieser Untersuchung selbst<br />
31
Expertenmeinungen<br />
Persönlichkeitsentwicklung<br />
als<br />
Wettbewerbsfaktor<br />
zu den Schlüsselqualifikationen in einer mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft zählen, die hier als<br />
Wissens- und Informationsgesellschaft betrachtet wurde.<br />
Die Interviewpartner bestätigen das Konzept <strong>der</strong> Schlüsselqualifikationen insoweit,<br />
als sie die entscheidenden Voraussetzungen für die Bewältigung des<br />
fundamentalen Wandels vor allem im Bereich <strong>der</strong> sozialen und personalen<br />
Kompetenzen sehen. Wer den Mut hat, eine Gewichtung zwischen fachlichfunktionalen<br />
und extrafunktionalen Kompetenzen vorzunehmen, schätzt das<br />
Verhältnis auf 20:80 (Interview 7, S. 12). Funktionales Fach- und Faktenwissen<br />
behält selbstverständlich seine Bedeutung, ja wird zunehmend wichtiger, seine<br />
Vermittlung wird aber in <strong>der</strong> Regel als wenig problematisch betrachtet. Hier erwartet<br />
man zukünftig auch am ehesten Unterstützung durch die neuen Medien. Die<br />
Schulung von Fachwissen und von personalen und sozialen Kompetenzen erfor<strong>der</strong>t<br />
sehr unterschiedliche Strategien:<br />
„In diesem Spannungsgeflecht Mitar<strong>bei</strong>terentwicklung o<strong>der</strong> die Entwicklung <strong>der</strong><br />
Leistungsfähigkeit einer beschäftigten Menge Mitar<strong>bei</strong>ter zu durchdenken, das ist ein<br />
interessanter Prozess, <strong>der</strong> sich nach meiner Beobachtung in zwei große Bereiche teilt.<br />
Es gibt einmal die, nach meiner Beobachtung die Notwendigkeit, das für das<br />
Unternehmen notwendige Wissen wirklich zu trainieren, das sind hard facts über<br />
inhaltliche Determinanten des Unternehmens bis hin zu Sprachkenntnissen etc. Ich habe<br />
festgestellt, dass das eher ein Routineprozess ist, das können Sie überall kaufen, das<br />
unterscheidet sich qualitativ nicht sehr stark [...] Das, was wir bis heute wissen, können<br />
sie in Bibliotheken und heute umso schneller denn 1990 über Internet sofort für das<br />
Unternehmen materialisieren. Was sie nicht materialisieren können, ist das Spielfeld,<br />
auf dem man im Unternehmen ar<strong>bei</strong>tet, die Mitar<strong>bei</strong>ter, die beschafft werden, um an<br />
einem Spiel teilzunehmen, die Aufstellung einer Mannschaft, das Einspielen von<br />
Mannschaftsteilen, den Mut, in dieses land of unknown einzutreten, das heißt kreative<br />
Schübe im Unternehmen zu bewirken, die letztlich dann zu ökonomischen Ergebnissen<br />
führen. Und das hat für mich sehr viel mehr zu tun mit einem Faktor, den wir gerade in<br />
Deutschland, ist meine Beobachtung, die ich relativ zu Frankreich, England o<strong>der</strong> den<br />
Vereinigten Staaten habe, ein Faktor, den wir fahrlässig behandeln, das ist nämlich <strong>der</strong><br />
Faktor <strong>der</strong> persönlichen Vorbereitung von Mitar<strong>bei</strong>tern auf Managementaufgaben, auf<br />
Problemlösungsansätze, auf Konflikte, auch auf Sprachgebrauch.“ (Interview 7, S. 2 f.)<br />
Es geht darum, Mitar<strong>bei</strong>ter dahin zu bewegen, ihre maximale Leistungsfähigkeit für<br />
das Unternehmen zur Geltung zu bringen. Bei einer – in Teilbereichen -<br />
zunehmenden Vergleichbarkeit <strong>der</strong> Produkte und Dienstleistungen erscheinen die<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter als <strong>der</strong> einzige wettbewerbsentscheidende Faktor (Interview 7, S. 6).<br />
Da<strong>bei</strong> muß die Persönlichkeitsentwicklung teils auch gegen Wi<strong>der</strong>stände im<br />
Unternehmen (Interview 3, S. 3) als zentrales Handlungsfeld betrieblicher<br />
Weiterbildung und Personalentwicklung etabliert werden.<br />
„Also ich denke auf jeden Fall, dass <strong>der</strong> Bereich zunehmend wichtiger wird, weil gerade<br />
in <strong>der</strong> Finanzdienstleistungsbranche die Produkte stärker vergleichbarer werden und wir<br />
uns künftig nur noch durch unsere Mitar<strong>bei</strong>ter unterscheiden können, das ist ein Fakt,<br />
<strong>der</strong> denke ich gerade im Dienstleistungsbereich heute schon wichtig ist, ich denke, noch<br />
wichtiger wird und wenn wir kompetente gut ausgebildete Mitar<strong>bei</strong>ter haben wollen,<br />
dann müssen wir heute schon wissen, dass es nicht nur die fachliche Seite ist, son<strong>der</strong>n<br />
sehr stark auch die persönliche Seite ist. Und wir merken heute schon, dass es stärker<br />
wird und ich würde sagen von <strong>der</strong> Prognose würde ich schon fast sagen, dass es auch<br />
mal 50:50 sein wird. Das behaupte ich einfach mal, in diese Richtung wird es gehen,<br />
weil wir würden uns wenn davon unterscheiden, dass die Mitar<strong>bei</strong>ter noch mehr lernen<br />
mit an<strong>der</strong>en Menschen umzugehen, auf sie einzugehen, sie dort aufsuchen, wo sie<br />
stehen, noch stärker in Richtung Kundenorientierung, aber nicht nur in dem Bereich<br />
32
größere<br />
Eigenverantwortung<br />
<strong>der</strong><br />
Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
Verkaufen, son<strong>der</strong>n wirklich auch in dem Bereich des menschlichen Miteinan<strong>der</strong>s. Ich<br />
denke, das wird zunehmend wichtiger werden.“ (Interview 3, S. 4)<br />
Zu <strong>der</strong> Betonung von personalen und sozialen Kompetenzen kommt die Fähigkeit<br />
<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter, ihren Entwicklungsprozeß eigenverantwortlich und<br />
selbstgesteuert zu planen und zu realisieren. Die Rede von den Mitar<strong>bei</strong>tern als<br />
„Ar<strong>bei</strong>tskraftunternehmer“, als idealer „Personalentwickler“ seiner selbst wird so zur<br />
unabweisbaren Realität:<br />
„Ich denke wir werden stärker dahin kommen, die Eigenverantwortung <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
zu stärken. Das heißt, im Moment habe ich den Eindruck, dass <strong>zum</strong> Teil einfach so die<br />
Personalbereiche immer noch so die Verantwortlichen sind und die auch daran<br />
gemessen werden, ob die Leute gut ausgebildet sind, und unser Trend ist, wir haben hier<br />
in unserem Hause immer sehr viel Wert immer auf die Eigenverantwortung <strong>der</strong><br />
Mitar<strong>bei</strong>ter gelegt, das werden wir weiter stärken, das wir nicht nur sagen, ihr seid <strong>der</strong><br />
beste Personalentwickler für euch selber auch, son<strong>der</strong>n ihr seid im Grunde genommen<br />
auch dafür verantwortlich, dass ihr dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt heute <strong>bei</strong> uns zur Verfügung steht<br />
und eventuell morgen auch vielleicht <strong>bei</strong> einem an<strong>der</strong>en Ar<strong>bei</strong>tgeber. Das heißt ein<br />
Verständnis dafür zu wecken auch, dass sie selber mehr dafür tun müssen, das würde<br />
auch bedeuten, dass wir die Lernform än<strong>der</strong>n werden, ich denke mal, wir werden in ein<br />
paar Jahren, was Sprachseminare angeht, was DV-Schulung angeht, stärker dazu<br />
kommen, dass <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter dann auch vielleicht mal abends o<strong>der</strong> auch mal tagsüber<br />
o<strong>der</strong> auch mal am Wochenende mit dem PC sitzt und auch einmal selbst eine<br />
Sprachschulung macht, also nicht während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit irgendwo im Seminar sitzt,<br />
son<strong>der</strong>n durchaus für diese fachlichen Bereiche, dass da auch ein Teil verlagert wird,<br />
wie Eigenverantwortung <strong>der</strong> Leute, weg von <strong>der</strong> betrieblichen Verantwortung hin<br />
zu den individuellen Verantwortung <strong>der</strong> Leute auch.“ (Interview 3, S. 8)<br />
Die Betonung einer größeren Eigenverantwortlichkeit <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter kann so weit<br />
gehen, dass Unternehmen zukünftig lediglich in einem individuellen<br />
Entwicklungspaß (Portfolio) definieren und festhalten, welche Qualifikationen und<br />
Kompetenzen sie von ihren Mitar<strong>bei</strong>tern erwarten, es ihnen aber selbst überlassen,<br />
auf welche Art und Weise sie sich diese Kompetenzen – durchaus mit (finanzieller)<br />
Unterstützung, aber nicht mehr in <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Unternehmen – aneignen.<br />
Das werde u.a. die Zahl <strong>der</strong> Absagen auf angekündigte Trainings reduzieren<br />
(Interview 7, S. 17).<br />
„Das an<strong>der</strong>e Extrem darüber hinaus wäre noch, dass manche Ar<strong>bei</strong>tgeber sogar sagen,<br />
ich erwarte in Zukunft von dir das und das, sieh zu, wie du es dir holst, also eine<br />
komplette Eigenverantwortung, und das wie<strong>der</strong>um bedient aus unserer Sicht einen<br />
Trend, <strong>der</strong> sagt, in Zukunft sind nicht mehr klassische Berufsfel<strong>der</strong> gefragt, also diese<br />
handelskammergeprüften Abschlüsse, son<strong>der</strong>n immer mehr Qualifikationen. Man fragt<br />
also in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr, was hast du gelernt, son<strong>der</strong>n was kannst<br />
du. Also vielmehr auf persönliche Qualifikationen gemünzt und nicht auf irgendwelche<br />
klassischen Muster, die dahinter stecken.“ (Interview 4, S. 12 f.)<br />
Hier wird angedeutet, was in <strong>der</strong> Fachliteratur als „Entberuflichung <strong>der</strong><br />
beruflichen Weiterbildung“ diskutiert: die Lösung aus <strong>der</strong> Fixierung auf<br />
berufsqualifizierende Abschlüsse und die Hinwendung zu berufsunspezifischen<br />
fachlichen Qualifikationen auf <strong>der</strong> einen, zu formalen Schlüsselqualifikationen und<br />
berufsorientierten „Kompetenzen“ auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Als Schlüsselqualifikation<br />
ist dann auch die Fähigkeit zu betrachten, vorhandene Kompetenzen sich selbst und<br />
an<strong>der</strong>en sichtbar zu machen:<br />
33
Eigenverantwortlichkeit<br />
und<br />
diskontinuierlicheErwerbsbiographien<br />
„Ich kann es nicht verallgemeinern, dass ist sozusagen mein Erfahrungshorizont den ich<br />
habe und da finde ich schon faszinierend, was diese Personen teilweise an kreativer<br />
Phantasie entwickeln, um mit diesen Situationen fertig zu werden. Das ist sozusagen<br />
auch <strong>der</strong> Fundus, aus dem wir schöpfen, dass wir Kompetenzträger da aufspüren, die als<br />
solche von ihrer Biographie, weil sie formalen Kriterien kaum standhält, dann auf<br />
einmal aufspüren und sie zu Kompetenzträgern machen und in Ar<strong>bei</strong>t bringen, was man<br />
erst mal so gar nicht erwartet hat. Da steckt eine Menge an Dynamik auch drin.“<br />
(Interview 6, S. 16)<br />
Erwartet wird von den Beschäftigten <strong>der</strong> Zukunft nicht eine Perfektionierung<br />
einmal erlernter Rollen, son<strong>der</strong>n vielmehr eine ständige Verän<strong>der</strong>ungsfähigkeit<br />
und Spaß an <strong>der</strong> Zukunft:<br />
„Aber wir wollen uns als Person viel besser auf Verän<strong>der</strong>ungen als entscheidenden<br />
Faktor einstellen, und Verän<strong>der</strong>ungen schaffen Sie nach meiner Beobachtung nur mit<br />
guten Perspektiven und mit einer guten sozialen Absicherung, soziale Absicherung<br />
meine ich jetzt nicht materiell, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Rolle, was bedeutet Verän<strong>der</strong>ung für<br />
mich. [...] Und das habe ich seit 1995 an<strong>der</strong>s gemacht, dass ich Manager vorbereitet<br />
habe mehr auf ihre soziale Rolle, mehr darauf, was <strong>zum</strong> Beispiel in Sportpsychologie<br />
möglich ist, wie sie Menschen frei machen, wie sie Menschen dazu führen, nicht<br />
Vergangenheit zu kopieren, um heute zu beweisen, ich bin <strong>der</strong> Perfekte o<strong>der</strong> ich habe<br />
die perfekte Interpretation von normal gelerntem Standardwissen, son<strong>der</strong>n ich bin eine<br />
Person, die Spaß an <strong>der</strong> Zukunft hat, die in Beobachtungsgaben mehr investiert, die sich<br />
eines guten Unternehmens vergewissert, die eine hohe Kontinuität erwarten kann in <strong>der</strong><br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung des Unternehmens mit dem Mitar<strong>bei</strong>ter, und das äußert sich<br />
letztendlich dann auch in harter Information.“ (Interview 7, S. 8 f.)<br />
Es wird aber durchaus auch gesehen, dass Betonung des eigenverantwortlichen<br />
Lernens und des ständigen (Neu-) Entwurfs <strong>der</strong> eigenen (Erwerbs-) Biographie die<br />
(berufliche) Identität gefährden und bestehende gesellschaftliche Segmentierungen<br />
weiter vertiefen kann. Angesichts einer Zunahme diskontinuierlicher<br />
Erwerbsbiographien und einer naheliegenden Job-Mentalität erscheint<br />
berufliche und damit personale und soziale Identität als enorm gefährdet.<br />
Verschärft werden diese Anfor<strong>der</strong>ungen noch dadurch, dass auch die<br />
Personalentwickler in Unternehmen davon ausgehen, dass Verän<strong>der</strong>ungen nur<br />
bewältigt werden, wenn man „an die Basis des Individuums zurück geht“ (Interview<br />
7, S. 24). Damit wird personale Bildung, im Sinne Diltheys verstanden als<br />
Fähigkeit, einen festen Standpunkt gegenüber <strong>der</strong> schwankenden Welt zu<br />
finden, zugleich ständig gefor<strong>der</strong>t und gefährdet. Insgesamt ist auffallend, dass<br />
<strong>der</strong> Bildungsbegriff als Schlüsselkategorie nur noch am Rande auftaucht, er wird<br />
ersetzt durch Begriffe wie Selbststeuerungsfähigkeit, Kompetenz o<strong>der</strong>, noch<br />
allgemeiner, durch die Fähigkeit, mit „offenen“ Situationen umgehen zu können:<br />
„Das steckt auch vielleicht in diesem Wi<strong>der</strong>spruchsdilemma, wenn ich permanent, also<br />
dieses Dilemma zu bear<strong>bei</strong>ten, fände ich ganz interessant. Was könnte man an Bildung<br />
o<strong>der</strong> durch Bildung o<strong>der</strong> durch Training o<strong>der</strong> so organisieren, also mit dieser Flexibilität<br />
gleichzeitig intensiv mich auf etwas einzulassen, zu verknüpfen und das als Kompetenz,<br />
daraus eine Kompetenz zu machen. Bei jungen Leuten sieht man das, auf <strong>der</strong> einen<br />
Seite sehr stark, dass wir zunehmend das Gefühl haben, das hat hohes Maß an<br />
Beliebigkeit, worauf sie sich einlassen o<strong>der</strong> auch nicht einlassen o<strong>der</strong> auch machen o<strong>der</strong><br />
nicht machen, und wenn man sich genauer anguckt, dann gibt es doch eine Menge von<br />
jungen Menschen, die sehr wohl, also die gar nicht so [...] sind, die sehr wohl wissen,<br />
wohin sie wollen. Das ist aber nicht so schnell erkennbar, also da muss man sich länger<br />
mit ihnen auseinan<strong>der</strong>setzen. Das wäre so dieser eine Bereich, da ist ein<br />
Konfliktpotential und das hat glaube ich auch zugenommen. Ich glaube, dass Bildung in<br />
34
stärkerem Maße im Sinne von persönlichem Nutzen, also Verwertbarkeit, also jetzt<br />
nicht rein ökonomisch, son<strong>der</strong>n das man wirklich einfach fragt, was bringt mir das.<br />
Ganz rational. Warum soll ich mich damit auseinan<strong>der</strong>setzen.“ (Interview 6, S. 11 f.)<br />
Richard Sennett hat in seinem Buch über den flexiblen Menschen darauf<br />
hingewiesen, was heute beson<strong>der</strong>s gefor<strong>der</strong>t ist: das „Selbstbewußtsein eines<br />
Menschen, <strong>der</strong> ohne feste Ordnung auskommt“ (SENNETT 2000, S. 79). Dies alles<br />
schließt, dies wird teils selbstverständlich vorausgesetzt, teils ausdrücklich<br />
eingefor<strong>der</strong>t, die Bereitschaft <strong>der</strong> Menschen <strong>zum</strong> lebenslangen Lernen als<br />
Grundhaltung ein (Interview 5, S. 11). Auch wenn man kritisch gegen Sennett in<br />
Rechnung stellen muss, dass er zu sehr aus <strong>der</strong> Perspektive einer (männlichen)<br />
Normalar<strong>bei</strong>tsbiographie heraus argumentiert (ein Phänomen, das historisch nur in<br />
<strong>der</strong> kurzen Prosperitätsphase <strong>der</strong> Nachkriegszeit als „normal“ gelten konnte), so hat<br />
er doch zweifellos Hinweise auf notwendige Schlüsselqualifikationen in <strong>der</strong><br />
Mo<strong>der</strong>ne geliefert. Zu fragen bleibt, welche Bevölkerungsgruppen diesen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen an permanenten (Selbst-) Entwurf genügen (können). Die<br />
Probleme einer drohenden Zwei-Drittel-Gesellschaft, die sich bereits abzeichnet<br />
(Interview 2., S. 15), bekommen insbeson<strong>der</strong>e die verantwortlichen Experten in <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung zu spüren, die ihre neuen Zielgruppen wie folgt beschreiben:<br />
„Es sind also eher die, die bisher immer schon gescheitert sind und die nach <strong>der</strong> Schule<br />
keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, weil die schulischen Leistungen schwach<br />
waren, die dann irgendwann aber die Möglichkeit hatten, also ungelernte Ar<strong>bei</strong>t zu<br />
finden, sind im Laufe <strong>der</strong> letzten zehn Jahre sage ich mal kontinuierlich durch die<br />
Betriebe ausgetauscht worden gegen Leute mit Berufsabschluss. Bestes Beispiel, unser<br />
größter Ar<strong>bei</strong>tgeber hier in <strong>Bremen</strong>, Daimler-Chrysler, hat 16.000 Ar<strong>bei</strong>tsplätze, ist die<br />
größte Bäckerei in <strong>Bremen</strong>, weil nämlich Daimler zur Bedingung macht, wenn jemand<br />
<strong>bei</strong> uns am Band ar<strong>bei</strong>ten will, dann darf er das nur, wenn er nachweist, dass er einen<br />
anerkannten Berufsabschluss hat, ob das ein Friseur ist o<strong>der</strong> ein Bäcker o<strong>der</strong> ein<br />
Metallverar<strong>bei</strong>ter, das ist egal. Das spiegelt also diese Entwicklung auch ganz krass<br />
wie<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> alten Autoindustrie spielte das keine Rolle, <strong>der</strong> wurde vierzehn Tage am<br />
Band eingear<strong>bei</strong>tet, dann hat er es drauf. Das gibt’s nicht mehr. [...] Da es sich in sehr<br />
zunehmendem Maße um Ar<strong>bei</strong>tslose und Ar<strong>bei</strong>tnehmer handelt, die bisher nicht<br />
gewohnt waren, sich beruflich aus- und weiter zu bilden und auch zu einem großen Teil<br />
nicht bereit waren dazu, weil das mit persönlichem Einsatz verbunden ist, wird es<br />
zunehmend schwerer, konzipierte Bildungsmaßnahmen mit entsprechend geeigneten<br />
Teilnehmern zu bestücken. Ich sage mal so ein Beispiel, um eine<br />
Weiterbildungsmaßnahme mit zwanzig Teilnehmern zu versorgen, müssen etwa 100 bis<br />
150 Bewerber ausgesucht werden, und manchmal klappt auch das nicht, weil die<br />
Vorbehalte gegenüber beruflicher Weiterbildung ich möchte fast sagen stärker<br />
geworden sind als früher. Das ist kaum vorstellbar, weil in <strong>der</strong> Öffentlichkeit je<strong>der</strong><br />
immer wie<strong>der</strong> hört, lebenslanges Weiterlernen, du bleibst auf <strong>der</strong> Strecke, wenn du nicht<br />
weiter lernst, das geht vor<strong>bei</strong>. Ich habe mal mit unserem psychologischen Dienst<br />
darüber gesprochen, <strong>der</strong> sagt, ganz normale Entwicklung, wenn jemand erst mal ein<br />
Jahr ar<strong>bei</strong>tslos ist, dann ist die Luft raus und dann traut er sich auch keine berufliche<br />
Weiterbildung mehr zu. Und er riskiert dann sogar in zunehmendem Maße noch weiter<br />
aus dieser Beschäftigungsgesellschaft heraus zu fallen, indem er <strong>zum</strong> Beispiel in Kauf<br />
nimmt, dass durch Nichtannahme von angebotener Ar<strong>bei</strong>t sein Leistungsanspruch<br />
erlischt und er da dem Sozialamt zur Last fällt, das wird in Kauf genommen. Das hängt<br />
einfach mit <strong>der</strong> psychischen Entwicklung zusammen, die im Laufe <strong>der</strong> Monate sich<br />
dahin entwickelt. [...] Gerade auch die neuen IT-Berufe, wäre ja wünschenswert, wenn<br />
wir da vielleicht noch mehr machen, noch mehr machen, aber wir haben ja gesagt, wir<br />
haben ja Schwierigkeiten, die Maßnahmen zu besetzen. Deshalb müssen wir auch<br />
immer natürlich berücksichtigen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Einrichtung von Maßnahmen, ja, haben wir<br />
überhaupt die Bewerber dafür. [...] Auch da hat sich im Laufe <strong>der</strong> Jahre etwas geän<strong>der</strong>t.<br />
Wir kannten so wie wir es heutzutage kennen in früheren Zeiten gar nicht so stark den<br />
35
Lernberatung<br />
als neue<br />
Anfor<strong>der</strong>ung in<br />
<strong>der</strong> Weiterbildung<br />
Betriebliche<br />
Folgen häufiger<br />
Belegschaftswechsel<br />
Zusammenfassung<br />
Begriff <strong>der</strong> Feststellungsmaßnahme, das heißt einer vorgeschalteten Maßnahme, um<br />
Motivation festzustellen, man kann sagen, also <strong>bei</strong> je<strong>der</strong> Umschulungsmaßnahme ist<br />
eine Feststellungsmaßnahme vorgeschaltet, immer, bis auf die, die an Fachschulen<br />
stattfinden. [...] Zwei Monate in <strong>der</strong> Regel, und jetzt schon vielfach auch eigenständige<br />
Feststellungsmaßnahmen, nämlich Feststellungsmaßnahme zur Feststellung <strong>der</strong><br />
Eignung, um überhaupt an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen zu können ohne<br />
bestimmten berufsfachlichen Schwerpunkt. Das hat es früher nie gegeben, aber das ist<br />
einfach auch ein Ergebnis daraus, dass unser Bewerberpotential sehr viel schwieriger<br />
ist, wenn es um die Einsicht geht, berufliche Weiterbildung zu betreiben.“ (Interview 2,<br />
S. 3 f.)<br />
Zu den sozialen Kompetenzen, die nicht weiter präzisiert werden (können), werden<br />
dann Einstellungen wie Motivation o<strong>der</strong> die Bereitschaft zur Flexibilität gezählt.<br />
Zugleich wird erkannt, dass die bisherigen Instrumente zur Diagnose und För<strong>der</strong>ung,<br />
die unter dem Stichwort <strong>der</strong> sozialpädagogischen Betreuung zusammenzufassen sind,<br />
für die Zukunft nicht mehr ausreichen werden: Alternative Konzepte zur För<strong>der</strong>ung<br />
von Selbststeuerungskompetenz sind aber in diesem Segment des<br />
Weiterbildungsmarktes noch nicht erkennbar. Lediglich in einigen<br />
Weiterbildungseinrichtungen, die überwiegend Maßnahmen für die<br />
Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung durchführen, wird an Konzepten zur Individualisierung des<br />
Lernens gear<strong>bei</strong>tet mit dem Ziel, den Teilnehmenden einen „Kompass“ an die Hand<br />
zu geben, mit dem sie den Weg durch die berufliche Zukunft finden können<br />
(Interview 8, S. 5). Diese Form <strong>der</strong> Individualisierung <strong>der</strong> Weiterbildung erfor<strong>der</strong>t<br />
von den begleitenden Lehrkräften und Planenden dann neue Aufgaben in <strong>der</strong><br />
Lernberatung. Dafür liegen bereits entwickelte und erprobte Konzepte vor, die<br />
insbeson<strong>der</strong>e die Beratung von lernungewohnten Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />
in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung betreffen (s. auch Kemper/ Klein 1998). Dieser<br />
wachsende Bedarf an Lernberatung wird auch von den Beschäftigten in öffentlich<br />
anerkannten Weiterbildungseinrichtungen als neue Anfor<strong>der</strong>ung herausgestellt.<br />
(Interview 14, S. 12 f.).<br />
Diskontinuierliche Erwerbsbiographien, die mehr und mehr eigenverantwortlich zu<br />
gestalten und immer weniger „institutionalisiert“ sind, konfrontieren die<br />
Beschäftigten mit <strong>der</strong> Aufgabe, den Transfer von einem Betrieb <strong>zum</strong> nächsten, von<br />
einer Tätigkeit zu einer an<strong>der</strong>en zu bewältigen, eine Aufgabe, die in einem<br />
Beschäftigungssystem beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten bereitet, dass noch immer stark<br />
durch das Berufskonzept geprägt wird. Für die damit erfor<strong>der</strong>lichen Kompetenzen<br />
scheinen zur Zeit noch keine didaktisch-methodischen Konzepte zu existieren.<br />
Häufige Beschäftigungswechsel haben aber nicht nur Folgen für die Erwerbstätigen,<br />
son<strong>der</strong>n auch für die Betriebe und Organisationen: Wo die Belegschaften in den<br />
letzten Jahren systematisch um ältere Beschäftigte reduziert wurden, ging oft<br />
unverzichtbares Erfahrungswissen verloren; wo kaum junge Beschäftigte<br />
eingestellt o<strong>der</strong> rekrutiert werden konnten wie <strong>bei</strong> Kirchen, Gewerkschaften o<strong>der</strong><br />
Hochschulen, fehlt es oft an Innovationswissen. Mehr und mehr stellt sich die<br />
Frage, wie sich unter diesen Bedingungen institutionelle Kommunikation und ein<br />
institutionelles Gedächtnis sichern lassen, wie Organisationen lernfähig bleiben<br />
können. Hier droht, auch aus Sicht <strong>der</strong> Experten, dass mit alternden Institutionen<br />
auch die Angebote altern.<br />
36
Folgen für<br />
Weiterbildungsträger<br />
Wenn man abschließend kurz zusammenfassen möchte, was die Experten dieser<br />
Untersuchung – durchaus in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> aktuellen Diskussion – als<br />
Schlüsselqualifikationen ausweisen, so wären zu nennen:<br />
- spezifische personale und soziale Kompetenzen,<br />
- die Fähigkeit zur Selbststeuerung, <strong>zum</strong> ständigen (Neu-) Entwurf <strong>der</strong> eigenen<br />
(Erwerbs-) Biographie,<br />
- nicht zuletzt die Bereitschaft <strong>zum</strong> lebenslangen Lernen.<br />
Zweierlei scheint für ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte Weiterbildungsanbieter wichtig: Nach<br />
<strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Experten, die sich in weiten Teilen durchaus mit <strong>der</strong> öffentlichen<br />
und wissenschaftlichen Wahrnehmung deckt, scheinen die gesellschaftlich<br />
relevanten Schlüsselqualifikationen berufsunspezifisch bzw. berufsübergreifend zu<br />
sein. Dies ist ein Grund dafür, warum mancherorts von <strong>der</strong> „Entberuflichung <strong>der</strong><br />
beruflichen Weiterbildung“ gesprochen wird. So stark die Belege dafür auch sein<br />
mögen, so unzweifelhaft es auch ist, dass das Erlernen eines Berufes heute nicht<br />
mehr lebenslange Beschäftigungsmöglichkeit garantiert, son<strong>der</strong>n nur die fortlaufende<br />
Aneignung neuer Qualifikationen und Kompetenzen, so prägend bleibt doch nach<br />
wie vor das Muster des „Berufes“ für die Struktur des Angebots an beruflicher<br />
Weiterbildung und auch für die Identitätsentwürfe <strong>der</strong> Erwerbstätigen.<br />
Weiterbildungsanbieter werden also <strong>bei</strong>des leisten müssen: abschlussbezogene<br />
Fortbildungen auf <strong>der</strong> einen und sowohl fachliche als auch berufsunspezifische<br />
Anpassungsqualifizierungen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Zudem müssen sie institutionelle<br />
Strukturen bereithalten, um die Lernenden <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ermittlung ihrer Lernbedarfe, <strong>der</strong><br />
Formulierung von Lernzielen und <strong>der</strong> Planung angemessener Lernwege zu<br />
unterstützen. Zudem kann man nicht vollkommen ausschließen, dass die vehemente<br />
Betonung formaler Schlüsselqualifikationen <strong>zum</strong> Teil auch Resultat einer optischen<br />
Täuschung ist: Als „junge“ und in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion allgegenwärtige<br />
Qualifikationen und Kompetenzen werden sie mehr beachtet als die fachlichfunktionalen<br />
Qualifikationen, die jedoch in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung ebenfalls<br />
in steigendem Maße nachgefragt werden.<br />
Zweitens ist zu berücksichtigen, dass <strong>der</strong> Bedarf an Selbst-Sinngebung jenseits<br />
organisationaler o<strong>der</strong> berufsständischer Rahmung o<strong>der</strong> ideologischer Autorität<br />
(Interview 9, S. 5) nicht allein im betrieblichen o<strong>der</strong> beruflichen Kontext befriedigt<br />
werden kann. Auch die Angebote <strong>der</strong> öffentlich anerkannten Weiterbildungsanbieter<br />
mit Schwerpunkten in <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung, etwa <strong>der</strong> kulturellen, <strong>der</strong><br />
personalen, <strong>der</strong> politischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesundheitsbildung werden häufig in <strong>der</strong><br />
Erwartung wahrgenommen, die eigene Biographie zu stabilisieren o<strong>der</strong> angesichts<br />
individualisierter Ar<strong>bei</strong>ts- und Lebensbedingungen an Vergemeinschaftungsformen<br />
teilzuhaben. Die Schwierigkeit aus Sicht gesellschaftspolitisch engagierter<br />
Erwachsenenbildung besteht darin, dieser Selbstbezüglichkeit nachzugeben, aber<br />
nicht auf sie beschränkt zu bleiben:<br />
„Dann würden wir wahrscheinlich irgendwann sagen, also wir müssen was verän<strong>der</strong>n,<br />
weil wir nicht dazu <strong>bei</strong>tragen wollten, dass Leute sich verabschieden von <strong>der</strong><br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Gesellschaft, in dem sie also immer von uns befriedigt werde,<br />
auf ihrem Rückzug. Also da sind wir sehr am Tasten und Probieren und Schauen, ja,<br />
37
Expertenmeinungen<br />
<strong>zum</strong><br />
Einsatz neuer<br />
Medien<br />
wie weit wollen wir solche offensichtlichen Bedürfnisse bedienen o<strong>der</strong> so modifiziert<br />
bedienen, dass wir zwar das Bedürfnis ernst nehmen, aufnehmen, aber nicht einfach nur<br />
ihm nachgehen, son<strong>der</strong>n auch irgendwo an<strong>der</strong>e Aspekte mit hinein bringen als an<br />
Angebote an die Menschen, die das mitmachen und schauen, ob sie damit nicht auch<br />
etwas anfangen können und ob dadurch vielleicht nach unserem Verständnis denn doch<br />
ein bisschen mehr im Blick bleibt.“ (Interview 9, S. 4)<br />
Ob <strong>der</strong> paradoxe Versuch <strong>der</strong> Entschleunigung unter den Bedingungen von<br />
Kurzzeitpädagogik gelingen kann, scheint nicht sehr wahrscheinlich. Denn<br />
empirische Befunde zeigen ebenso wie die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten, dass sich<br />
die Zeitformen und Lernorte in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft grundlegend wandeln.<br />
7. Weiterbildungseinrichtungen und neue Medien<br />
Die Experten dieser Untersuchung wurden auch danach befragt, welche neuen<br />
Medien sie in <strong>der</strong> Weiterbildung und Personalentwicklung einsetzen, welche<br />
Entwicklungen sie für die zukünftige Gestaltung des Lehrens und Lernens<br />
Erwachsener erwarten und welche Konsequenzen sich daraus für das Personal in<br />
Weiterbildungseinrichtungen ergeben. Um <strong>bei</strong> diesem in vielfacher Weise<br />
aufgeladenen Thema mit den Vorgaben <strong>der</strong> Interviewer keine Erwartungen in die<br />
eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung zu transportieren, war bewußt offen gefragt worden. Es<br />
wurde sogar darauf verzichtet, eine Vorgabe zu formulieren, was unter neuen Medien<br />
zu verstehen sei. Auch die Experten differenzierten nur selten ausdrücklich, so dass<br />
die offline genutzte CD-ROM genau so unter dem Begriff <strong>der</strong> neuen Medien gefaßt<br />
wurde wie das Online-Seminar im Netz.<br />
Die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten sehen die <strong>der</strong>zeitigen und zukünftigen<br />
Einsatzmöglichkeiten <strong>der</strong> neuen Medien hauptsächlich im Bereich <strong>der</strong><br />
Informationsbeschaffung und <strong>der</strong> Vermittlung von Fakten- und Fachwissen, nur<br />
rudimentär im Bereich <strong>der</strong> Vermittlung sozialer Kompetenzen und formaler<br />
Schlüsselqualifikationen und insgesamt eher als Ergänzung denn als Ersatz<br />
seminarförmigen Lehrens und Lernens. Am weitesten sind in diesem Bereich die<br />
Vertreter <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung:<br />
„Ja, technisch könnten wir, wir nutzen es noch nicht so, wie wir es irgendwann nutzen<br />
wollen auch, weil ich würde sagen diese Vernetzung zu sagen, <strong>zum</strong> Beispiel Aufbau<br />
eines systematischen Wissensmanagements, was ich durchaus als ein Zukunftsthema<br />
<strong>bei</strong> uns auch sehe, wurde im Moment noch nicht so als tatsächlicher Bedarf gesehen. Es<br />
läuft so, dass wir über internes Intranet, über Mails o<strong>der</strong> so Informationen ausgetauscht<br />
werden, dass Projektprotokolle verschickt werden, das läuft schon an, dass man<br />
Anfragen starten kann, wer kann mir was dazu sagen. Aber das ist noch nicht<br />
systematisch <strong>bei</strong> uns. Das ist ein Thema, da werden wir rangehen auch noch, aber das<br />
ist auch ein Kulturwandel, das muss stärker auch erkannt werden, dass es ein<br />
zusätzlicher Nutzen ist, einen Pool aufzubauen und Suchmaschinen. [...] Und gut,<br />
Internet, es liegt auch in <strong>der</strong> Eigenverantwortung jedes einzelnen, das auch für die<br />
Wissensbeschaffung zu nutzen, aber ich weiß es, sei es unsere Juristen, für rechtliche<br />
Fragen o<strong>der</strong> Projektmanager o<strong>der</strong> auch durchaus im Anlagebereich, wenn es neue<br />
Visionen im Ausland gibt, dass die heute alle schon über das Internet sich die<br />
Informationen runterziehen auch und da heute schon mit ar<strong>bei</strong>ten. Die neuen<br />
Generationen, die hier ja jetzt auch im Unternehmen nachwachsen, für die sind das<br />
Basics.“ (Interview 3, S. 10)<br />
38
Neue Medien werden eingesetzt zur Schaffung von Transparenz, zur schnellen<br />
Informationsbeschaffung (Internet), zur Verbesserung <strong>der</strong> internen Kommunikation<br />
(Intranet), zur Schulung in fachlichen Kenntnissen (Interview 7, S. 13 f.). In <strong>der</strong><br />
Vermarktung <strong>der</strong> Dienstleistungen von Weiterbildungsanbietern werden die<br />
Einsatzmöglichkeiten nach Einschätzung <strong>der</strong> Experten „zu 100%“ gegeben sein<br />
(Interview 4, S. 16). Unterschieden wird <strong>zum</strong>eist deutlich zwischen den<br />
Einsatzmöglichkeiten <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermittlung von Fachwissen und <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermittlung<br />
personaler und sozialer Kompetenzen. Während hier eine intensive Nutzung erwartet<br />
wird, äußert man sich dort zurückhalten<strong>der</strong>, ohne aber solche Möglichkeiten ganz<br />
auszuschließen (Interview 5, S. 11):<br />
„Ich sehe es im Moment mehr in <strong>der</strong> reinen Wissensvermittlung, also rein fachlich mal,<br />
was ich schon gesagt hatte, so über, ich sehe da auch eher einen Laptop zukünftig,<br />
könnte ich mir durchaus vorstellen, dass irgendwann je<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter zusätzlich einen<br />
Laptop noch hat, mit dem er freiwillig natürlich genauso, was Sie ansprachen, zu Hause<br />
ar<strong>bei</strong>ten kann. Das ist ja nicht ganz uneigennützig für ein Unternehmen, aber da sehe<br />
ich durchaus einen Nutzen, dass also gerade die DV-Schulung auch sehr selbst lernt,<br />
sich über Telelearning, dass Sprachschulungen auch über Sprachprogramme praktisch<br />
so laufen können, ich sehe es also wenn in <strong>der</strong> Vermittlung von hardfacts. Diese ganzen<br />
softfacts, da gibt es gerade in diesem ganzen CBT-Bereich gibt es da auch wie<strong>der</strong> so<br />
viele Anbieter, da bin ich persönlich noch nicht von überzeugt. Ich kenne sehr viele<br />
Anbieter, die heute Programme schreiben für verhaltensorientierte Schulungen im Netz,<br />
auch wo je<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter vor seinem PC sitzt und dann nur über gewisse<br />
Gesprächssituationen, die ihm gezeigt werden und er richtige Fragen beantwortet,<br />
immer weiter kommt. Das habe ich selbst alles mal mitgemacht, da halte ich heute auch<br />
nichts von. Also, ich denke, da ist gerade ein Verhaltensbereich, meine ich, vielleicht<br />
bin ich da altmodisch, aber denke ich werde ich die Prognose abgeben, dass wir heute<br />
Gott sei Dank noch nicht so weit sind, und ich denke, da ist gerade dieser<br />
zwischenmenschliche Kontakt und gerade die Energie in so einem Raum mit den<br />
Leuten so wichtig, dass ich da im Moment <strong>zum</strong>indest heute noch nicht den<br />
[unverständlich] sehe.“ (Interview 3, S. 10)<br />
Die zukünftigen Erwartungen gehen durchgehend in die Richtung, dass neue<br />
Medien für alle Bereiche <strong>der</strong> Kommunikation und <strong>der</strong> Schulung stärker genutzt<br />
werden, ohne dass damit aber Präsenzlernen überflüssig würde.<br />
„Ich würde es gerne unterteilen, im Bereich <strong>der</strong> Wissensvermittlung, im Vorfeld von<br />
Training, wird das eine fast flächendeckende Rolle einnehmen, also interaktives E-<br />
Learning, CBTs, WBTs, NBTs. Die technische Entwicklung wird, bin ich ganz sicher,<br />
sich soweit vorantreiben, dass je<strong>der</strong> zu Hause tatsächlich einen PC hat und einen<br />
Internetzugang und darüber tagesaktuelle Informationen ja auch zugänglich bekommt.<br />
Wenn ich alleine überlege, diese Ausbildung, die wir anbieten <strong>zum</strong> Managementtrainer,<br />
wird begleitet von knapp 10.000 Seiten Literatur, 2/3 inzwischen davon kommen aus<br />
Datenbanken aus dem Internet, weil einfach die Sachen viel aktueller sind, wenn<br />
<strong>bei</strong>spielsweise dieses Buch, was Herr [Name des Interviewpartners] vorhin zitierte<br />
„Quantensprung <strong>der</strong> Führungskunst“ [...] von 1992, ist aber erst vor zwei Jahren ins<br />
Deutsche übersetzt worden, 1998, 6 Jahre Differenz, das ist sehr träge. Ich will sagen,<br />
dass man einfach fast tagesaktuell auf Wissensdatenbanken zugreifen kann, immer<br />
aktuelle Entwicklungen mit bekommt, denn das Rad dreht sich ja auch immer schneller.<br />
Wenn wir unsere Ausbildung rotieren lassen, 37 verschiedene Themen, die wir vor 4 ½<br />
Jahren mal ausgesucht haben, sind, glaube ich, nur noch zu ¼ darin verankert, <strong>der</strong> Rest<br />
hat sich verän<strong>der</strong>t, also heute sind Themen wie Wissensmanagement als wesentliches<br />
Modul da mit drin, das war vor vier Jahren noch kein Thema. Es dreht sich schneller,<br />
<strong>der</strong> Wandel geht schneller vonstatten, und darüber brauchen sie einen schnelleren<br />
Zugriff auf Wissensmanagement, Informationsmanagement, es gibt nicht umsonst<br />
solche neuen Berufsbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Qualifikationsbil<strong>der</strong>, E-Scout, Informationbroker und<br />
39
solche Geschichten, <strong>der</strong>en man sich bedienen kann, wenn man schnell bestimmte<br />
Informationen braucht. [...] Also es gibt sicher Ergänzungsmöglichkeiten, ich sehe<br />
nicht, dass <strong>zum</strong>indest in unserem Bereich, <strong>der</strong> sich ja mit persönlichen Kompetenzen<br />
hauptsächlich und sozialen Kompetenzen beschäftigt, dass man vollends auf<br />
individuelles Training verzichten kann. Aber wer weiß, wie sich da die virtuellen<br />
Möglichkeiten noch verän<strong>der</strong>n. Also da, wo es um Input geht, um Wissensvermittlung,<br />
um Prozessbegleitung, ja. Wir haben <strong>zum</strong> Beispiel seit August letzten Jahres, also jetzt<br />
über ein Jahr, eine sogenannte Coaching-Hotline eingerichtet.“ (Interview 4, S. 13 f.)<br />
Zugleich wird gelegentlich auch Skepsis gegenüber <strong>der</strong> Lernbereitschaft <strong>der</strong><br />
Mitar<strong>bei</strong>ter mit diesen Medien geäußert (Interview 13, S. 12).<br />
„Das ist ein Thema, mit dem ich mich schon lange beschäftige. Ich weiß, dass es in<br />
vielen Unternehmen diesen Trend in den letzten Jahren gegeben hat, dass also Ar<strong>bei</strong>t<br />
mit CD’s <strong>zum</strong> Beispiel o<strong>der</strong> über Intranet, Internet, interaktionelle Lerngeschichten, das<br />
ist eindeutig ein Trend im Unternehmen, und wir haben jetzt gerade in den letzten<br />
Tagen, also wir haben für uns auch ein Konzept gemacht, dass wir das <strong>zum</strong>indest<br />
ausprobieren wollen. Wir haben mit <strong>der</strong> Angestelltenkammer zusammen kürzlich mal<br />
so ein Pilotprojekt gemacht im EDV-Bereich. Damit haben wir sehr positive<br />
Erfahrungen gemacht. Wir haben festgestellt, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt<br />
sein müssen, also ich fand diese Geschichte mit dem Tutor gut und dass es so eine Art<br />
virtuelles Klassenzimmer gegeben hat, dass eine Betreuung da ist. Unter bestimmten<br />
Bedingungen denke ich auch, dass das was bringen kann, und wir werden das jetzt in<br />
nächster Zeit verstärkt angehen das Thema. Wir wollen <strong>zum</strong>indest ausprobieren, ob das<br />
eine sinnvolle Ergänzung zu den klassischen Lernformen ist. [...] Es wird da viel<br />
passieren in allen Unternehmen, glaube ich, aber ich bin mir nicht sicher, ob das am<br />
Ende eine Lernform sein wird, die sich durchsetzt. Aber das ist vielleicht auch so meine<br />
persönliche Skepsis, weil ich denke, es gehört einfach unglaublich viel auch an<br />
Selbstdisziplin dazu, sich vor die Kiste zu setzen und jetzt seine Übungen zu machen,<br />
wo man eigentlich den Schreibtisch voll hat usw. und sofort.“ (Interview 13, S. 12 f.)<br />
Während die Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung also<br />
eindeutig gesehen und aktiv, wenn auch nicht mit außerordentlichem Engagement<br />
vorangetrieben wird, äußern sich die Experten aus den Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Weiterbildung skeptischer. Dies kommt auch darin <strong>zum</strong> Ausdruck, dass als Reaktion<br />
auf diese Fragen an eine ältere, heute <strong>zum</strong>eist übergangene Unterscheidung zwischen<br />
Weiterbildung und Erwachsenenbildung erinnert wird (Interview 9, S. 12):<br />
„Bildung in dem Sinne, dass ich mehr an Kompetenz erwerbe, wie ich mein Leben<br />
sinnvoll gestalte, das wäre für mich Bildung, das wüsste ich so jetzt nicht, wie das denn<br />
über solche Formen von [...] Lernen gehen sollte. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich<br />
selber auch zu viele Barrieren habe, da sehe ich die Schwierigkeit, und da denke ich<br />
dann, das ist Lernen in Beziehungen, an<strong>der</strong>s geht das nicht.“ (Interview 9, S. 13)<br />
Etwas an<strong>der</strong>e Akzente setzt <strong>der</strong> Experte aus dem Feld <strong>der</strong> politischen Weiterbildung,<br />
<strong>der</strong> die Einsatzmöglichkeiten eher gegeben sieht, vor allem in <strong>der</strong> Kombination von<br />
selbstgesteuertem Lernen und Präsenzlernen:<br />
„Zur Zeit spielt es noch keine Rolle, das wird natürlich in Zukunft eine Rolle spielen,<br />
davon gehe ich aus, weil, ja gut, auch unsere Teilnehmer natürlich zunehmend Zugang<br />
zu neuen Medien haben, damit ar<strong>bei</strong>ten, wenn sie sich auch noch nicht über das Internet<br />
<strong>bei</strong> uns anmelden, über die Datenbank, nein, zur Zeit spielt das keine Rolle, nun muss ja<br />
das selbstgesteuerte Lernen auch nicht unbedingt über neue Medien laufen, wir haben ja<br />
auch Versuche gemacht, das schwedische Modell <strong>der</strong>, dieser sehr kleinen Gruppen [...]<br />
zu machen, aber ich denke mal, für solche, jeweils bisher für solche Lernformen ist<br />
natürlich <strong>der</strong> Bildungsurlaub, wie er <strong>bei</strong> uns bisher ist, auch eher dann kontraproduktiv,<br />
weil er ja eine bestimmte Form voraussetzt. Wir haben das in <strong>der</strong> gewerkschaftlichen<br />
40
Bildungsar<strong>bei</strong>t ja gesehen, als es noch keinen Bildungsurlaub gab, als die Freistellung<br />
deutlich schwieriger war, es deutlich mehr Bildungsar<strong>bei</strong>t in Wochenend- und<br />
Abendform o<strong>der</strong> Tagesseminare am Wochenende durchgeführt wurden. Mit Einführung<br />
des Bildungsurlaubes o<strong>der</strong> Umsetzung des Bildungsurlaubes ist das ja drastisch zurück<br />
gegangen, weil die Leute sagen, warum soll ich mein Wochenende, meinen Abend<br />
hingeben, wenn ich das in <strong>der</strong> Woche freigestellt machen kann. Jetzt kommt es drauf an,<br />
von <strong>der</strong> Organisationsform, wie man das zusammen bringt, aber da ist natürlich noch<br />
ein ganz an<strong>der</strong>es wesentliches, ein an<strong>der</strong>er wesentlicher Aspekt denke ich, <strong>der</strong> da zu<br />
bedenken ist. Politische Bildung hat für mich ganz zentral das, den Aspekt von<br />
Kommunikation miteinan<strong>der</strong>, und elektronisch vermittelte Kommunikation ist eine<br />
Form von Kommunikation, die ganz, ganz viele ja Bereiche von Kommunikation gar<br />
nicht transportieren kann. Eben schon angesprochen, im Verhältnis dieses Problem<br />
Seminare am Ort o<strong>der</strong> Internat. Soziales Lernen als ganz wichtigen Bestandteil so eines<br />
Bildungsprozesses im Bildungsurlaub findet über elektronische Kommunikation nicht<br />
statt. Man müsste also gucken, wie kann man das, was über elektronische<br />
Wissenssammlung, wie kann man das, was an Information, an Wissen elektronisch<br />
gespeichert ist, für Lernprozesse nutzbar machen und trotzdem diesen Aspekt von<br />
sozialem Lernen, von direkter Kommunikation ermöglichen.“ (Interview 12, S. 12 f.)<br />
Zur politischen Bildung wäre sicher auch die Informationsbeschaffung und die<br />
Diskussion in Foren zu rechnen, wo die Einsatzmöglichkeiten <strong>der</strong> neuen Medien,<br />
aber auch die damit verbundenen Schwierigkeiten gesehen werden:<br />
„Also, politische Bildung ist ein weites Feld. Man kann natürlich, also wenn es darum<br />
geht, sich Informationen zu beschaffen, natürlich, also noch ist es schwierig, also ich<br />
bin selbst noch nie in den Mailbox eingestiegen, aber ich sehe das <strong>bei</strong> an<strong>der</strong>en Leuten,<br />
<strong>bei</strong> den Jugendlichen, die das machen, die einen Blick dafür haben, mit wem sie gerade<br />
chatten, obwohl zehn an<strong>der</strong>e Meldungen dazwischen sind, aber das ist schwierig. Wir<br />
haben im Bereich von Mitar<strong>bei</strong>terfortbildung solche Sachen probiert. Im Rahmen <strong>der</strong><br />
internationalen Bildungsar<strong>bei</strong>t haben wir eine Reihe von Fortbildungsangeboten gerade<br />
in <strong>Bremen</strong> gemacht mit LIS zusammen gemacht, wo wir dann solche Sachen gemacht<br />
haben wie Foren eingerichtet haben auf dem Server, wo man angefangen hat zu ar<strong>bei</strong>ten<br />
und wo dann Leute halt nach Hause gehen und Sachen einbringen sollten, um Sachen<br />
weiter zu entwickeln, und das hat in aller Regel nicht hingehauen, das hat nicht<br />
hingehauen. [...] Aber wenn man zu Hause ist, hat man den Alltag <strong>der</strong>maßen wie<strong>der</strong>,<br />
und dann ist das soweit weg, dann sind an<strong>der</strong>e Sachen wichtiger, und sagen wir mal, die<br />
Verwertungsmöglichkeit, was man sich verspricht an Nutzeffekt, wenn man sich da<br />
noch wie<strong>der</strong> einklinkt, ist wahrscheinlich so gering und die Mühe doch so relativ hoch.<br />
Zudem muss man sagen, dann ist das ja immer noch, noch <strong>zum</strong>indest, mit deutlich<br />
technischen Schwierigkeiten verbunden, wie oft brechen die Netze zusammen, wie<br />
lange dauert es, es kostet auch noch Geld und so etwas, aber wir haben <strong>bei</strong>, auf den<br />
Servern, haben wir [...] in Düsseldorf, <strong>der</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Volkshochschule Hagen liegt, so ein<br />
Teamernetzwerk eingerichtet und haben dort Bausteine, stellen dort Bausteine zur<br />
Verfügung für Seminare, für internationale Seminare, also wo Leute aus verschiedenen<br />
Nationen zusammen kommen, ist das gedacht, aber das kann man auch in an<strong>der</strong>en<br />
Seminaren anwenden. Wir haben so Bausteine, <strong>zum</strong> Beispiel so Platzerkundungen<br />
gemacht, mit welchen Schritten kann man sich einen Ort, in dem man eine Woche leben<br />
will, eigentlich erschließen, und solche Sachen stehen dort zur Verfügung.“ (Interview<br />
12, S. 13 f.).<br />
Die Weiterbildungspolitik hat bereits seit längerem ein beson<strong>der</strong>es Gewicht auf die<br />
För<strong>der</strong>ung des Lernens mit neuen Medien gelegt, eine Akzentsetzung, die den<br />
Regierungswechsel überdauert hat und inzwischen auch in <strong>Bremen</strong> vorangetrieben<br />
wird:<br />
„Ich glaube, dass wir über einen mittelfristigen Zeitraum eine Ergänzung haben werden.<br />
Das hängt nicht nur damit zusammen, dass es so notwendig wäre, son<strong>der</strong>n das hängt,<br />
glaube ich, auch damit zusammen, dass die Organisationen, die das absichern müssen,<br />
41
Konsequenzen<br />
für Weiterbildungspersonal<br />
dass das möglich ist, dass die Infrastruktur sich noch nicht umstellt und sich auch so<br />
schnell nicht umstellen wird. Das als Sparmodell zu diffamieren, finde ich zu kurz<br />
gegriffen. Da muß man dann mal gucken. Im Moment ist es so, dass mit dem Stichwort<br />
lebenslanges Lernen in Kombination mit Multimedia zusätzliche<br />
Finanzierungsmöglichkeiten verbunden werden. Überall werden Son<strong>der</strong>programme<br />
aufgelegt und Millionen werden reingeschossen, so auch in <strong>Bremen</strong> sind 100 Millionen<br />
im Gespräch. Das ist für unser Bundesland nicht wenig nur für dieses Thema. Und zwar<br />
auch nicht so, wenn Sie von diesem Spargedanken her kommen, müßte man ja meinen,<br />
dass <strong>der</strong> Staat versucht, das alles den Betrieben zuzuschustern, sich zurückzuziehen auf<br />
eine rein teilbereichsteuernde und ansonsten akzeptierende und zulassende Funktion,<br />
und das sehe ich nicht. Son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Versuch, die hoheitlichen Aufgaben, die da sind in<br />
<strong>der</strong> Erstausbildung und im Hochschulbereich, zu kombinieren mit diesen neuen o<strong>der</strong><br />
anzupassen an diese neuen Lernmöglichkeiten, hat nicht nur den Blick darauf, die<br />
Finanzen zu verlagern, son<strong>der</strong>n geht auf Betriebe ja auch inhaltlich ganz an<strong>der</strong>s zu. Bei<br />
<strong>der</strong> Erstausbildung, an dem Punkt finde ich es <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Erstausbildung wirklich am<br />
deutlichsten. Wir haben ein teures Berufsschulsystem, und wir haben Betriebe, die für<br />
sich ar<strong>bei</strong>ten. Wenn wir in <strong>der</strong> Lage wären, das effektiver miteinan<strong>der</strong> zu verzahnen,<br />
wir würden dem einzelnen Jugendlichen einen Riesengefallen tun, wir würden dem<br />
Betrieb einen großen Gefallen tun und wir würden Geld sparen. Aber letzteres wirklich<br />
als letztes hinten rangehängt, und wenn es in einer solchen Reihenfolge läuft, ist es eine<br />
gute Kombination. Ich finde auch, dass wir, was unseren Bereich Weiterbildung angeht,<br />
stärker auf die Kompetenzen zugehen müssen, die wir in den Hochschulen finden.<br />
Wissenschaftliche Weiterbildung ist mir vorhin aus dem Blick geraten, haben wir früher<br />
nicht gehabt, ein ganz wichtiger Bereich, <strong>der</strong> unheimlich hochzieht. Also die<br />
Weiterbildung, die die Hochschulen anbieten, hat es schon lange gegeben, hat aber in<br />
<strong>Bremen</strong> <strong>zum</strong> Beispiel nie eine beson<strong>der</strong>s herausragende Rolle gespielt. Das än<strong>der</strong>t sich,<br />
und ich glaube, es ist für die Weiterbildungseinrichtungen auch keine Bedrohung,<br />
son<strong>der</strong>n auch eine Ergänzung. Es kommen an<strong>der</strong>e Segmente auch mit dazu.“ (Interview<br />
10, S. 7)<br />
Gefragt nach den Konsequenzen, die <strong>der</strong> verstärkte Einsatz neuer Medien für das<br />
disponierende Personal in Weiterbildungseinrichtungen wohl haben werde, erwarten<br />
die Experten <strong>zum</strong>eist keine gravierenden Verän<strong>der</strong>ungen ihres Aufgabenfeldes und<br />
ihrer Kompetenzanfor<strong>der</strong>ungen. Selbstverständlich müssen auch die Mitar<strong>bei</strong>ter in<br />
Weiterbildungseinrichtungen heute über „Internettauglichkeit“ (Interview 4, S. 15)<br />
verfügen. Das klassische Feld <strong>der</strong> Weiterbildung und Personalentwicklung werden<br />
neue Medien aber „nicht fachlich beeinflussen, nicht ersetzen, nein, überhaupt nicht“<br />
(Interview 5, S. 12). Erwartet wird, dass disponierende Tätigkeiten durch die neuen<br />
Medien angereichert, aber nicht verän<strong>der</strong>t werden:<br />
„Nein, das glaube ich nicht. Es wird einfach, es wird sozusagen die Aufgabe ein Stück<br />
anreichern, dass man sich eben auch mit dieser Lernform auseinan<strong>der</strong> setzen muss, dass<br />
man sich überlegen muss, ich denke gerade <strong>bei</strong> Verhaltensgeschichten kann man das<br />
meiner Meinung nach nie losgelöst von irgendeinem Training machen, also man kann<br />
ein paar vorbereitende Sachen machen und dann muss aber ein Training da ankoppeln,<br />
also wird es darum gehen, wie kriegt man das sauber hin, also eine Schnittstelle sauber<br />
hin bzw. wie kriegt man das hin, dass die richtigen Sachen mit dem richtigen Medium<br />
vorher gemacht werden und dann sozusagen <strong>der</strong> Transfer in das Training. Und es<br />
könnte, also die Unternehmen, die so etwas in größerem Stil betreiben, also die machen<br />
sich natürlich ihre CBT‘s selber, also die kaufen keine Standardsachen, son<strong>der</strong>n die<br />
entwickeln für bestimmte Belange selbst irgendwelche CD’s und ja, dann muss man<br />
sich damit beschäftigen, ob man das machen kann o<strong>der</strong> man einkauft o<strong>der</strong> wie muss so<br />
ein Ding aussehen, also was gibt es für methodisch-didaktische Sachen zu überlegen,<br />
das ist eher so ein Stück Anreicherung, aber ich glaube nicht, dass das die Ar<strong>bei</strong>t<br />
wirklich verän<strong>der</strong>t. Die entscheidende wirkliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Aufgabe des<br />
Personalentwicklers ist für mich wirklich dieser Bereich Organisationsentwicklung.<br />
Weil das ist wirklich ein ganz neues Ar<strong>bei</strong>tsfeld, das sind Aufgaben, da kommt man mit<br />
42
Zukunftsmodelle<br />
dem klassischen Repertoire an pädagogischen Kenntnissen nicht mehr weiter.“<br />
(Interview 13, S. 14)<br />
So heißt es im Bereich <strong>der</strong> politischen Bildung:<br />
„Ja gut, sie würden einmal darin bestehen, dass man sich mit dem Handwerkszeug<br />
Internet und Computer und <strong>der</strong> entsprechenden Software noch an<strong>der</strong>s vertraut machen<br />
muss als jetzt, also ich kann keine Homepage entwickeln, und wenn man für alle solche<br />
Sachen immer die Spezialisten braucht, die einem das erstellen, dann wird das<br />
schwierig.“ (Interview 12, S. 14)<br />
Als gravieren<strong>der</strong> werden die Verän<strong>der</strong>ungen für die Lehrenden in <strong>der</strong> Weiterbildung<br />
beschrieben. So heißt es in dem Interview mit einem Verantwortlichen aus einer<br />
öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung:<br />
„Dazu gehört, dass die Dozenten sich entsprechend qualifizieren und schulen müssen.<br />
Das ist das größte Problem, das allergrößte. Die EDV-Dozenten nicht, die kriege ich<br />
immer dazu, aber das wird sich in viele an<strong>der</strong>e Bereiche reinmischen. [...] Das an<strong>der</strong>e<br />
ist, dass man sich natürlich <strong>bei</strong>m Entwurf Planung von Weiterbildungsmaßnahmen<br />
natürlich genaue Gedanken machen muss, wie kann man diese neuen Techniken denn<br />
einsetzen, sinnvoll, und das gibt es große Wie<strong>der</strong>stände, das will ich gar nicht<br />
verhehlen, also wir wollten das einführen in eine reine betriebswirtschaftliche<br />
Maßnahme und da hat sich die Planerin schwer gegen gewährt und gesagt, das weiß<br />
man gar nicht ob die Teilnehmer dazu geeignet sind, hat dann einen Dozenten gefragt<br />
und hat gesagt, würdest du das denn machen, <strong>der</strong> hat alle Hände über dem Kopf<br />
zusammen geschlagen und gesagt, dann funktioniert ja keine Kommunikation mehr und<br />
gerade die müssten ja mehr kommunizieren. Gut, also solche Wie<strong>der</strong>stände sind, ich<br />
weiß nicht, ob sie zu überwinden sind, aber das ist so. Wir haben in einigen Seminaren,<br />
also Aufstiegsfortbildungsseminaren, Fachwirte, Fachkaufleute, Befragungen gemacht<br />
über den Einsatz solcher Selbstlernprogramme und da war es so, dass 67% solche Dinge<br />
gut finden, schon Erfahrung damit haben, <strong>der</strong> größte Teil hatte Erfahrung damit, was<br />
uns sehr überrascht hat und immer relativ gute Erfahrungen mit Selbstlernprogrammen<br />
und die wären bereit und fänden es gut, wenn wir in dem Bereich so was wie gemischte<br />
Weiterbildung anbieten, also Präsenzphasen mit Selbstlernphasen. Und da muss<br />
natürlich dann <strong>der</strong> Pädagoge ran und muss solche Konzepte entwerfen, also <strong>bei</strong>m<br />
Dozenten und <strong>bei</strong>m Pädagogen liegt das größte Problem, weil die meisten sich mit<br />
dieser Technik nicht auskennen, nicht wissen was man damit machen kann und, und,<br />
und.“ (Interview 14, S. 12 f.)<br />
Insgesamt also wird die Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien für das Lehren und Lernen in<br />
<strong>der</strong> Wissensgesellschaft wesentlich nüchterner eingeschätzt, als es für die oft<br />
aufgeregte öffentliche Debatte charakteristisch ist. Wesentlich präziser aber werden<br />
die Aspekte herausgestellt, die in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion zur Zeit noch nicht<br />
genügend bedacht werden: <strong>zum</strong> einen <strong>der</strong> Bedarf an Organisationsentwicklung, <strong>der</strong><br />
durch die neuen Medien generiert wird und <strong>der</strong> die Ar<strong>bei</strong>t des disponierenden<br />
Personals, z.B. in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den Lehrkräften, verän<strong>der</strong>n wird, <strong>zum</strong><br />
an<strong>der</strong>en die Spezifika des Lehrens und Lernens mit neuen Medien, die bisher noch<br />
zu sehr als Varianten traditioneller Lernformen in einem neuen Medium betrachtet<br />
werden. Wie es bereits in dem letzten Interviewausschnitt anklingt, scheinen <strong>der</strong>zeit<br />
vor allem sogenannte Verbundsysteme aus tutoriell betreuten Präsenzphasen<br />
und selbstorganisierten Lernphasen mit neuen Medien aussichtsreiche<br />
Zukunftsmodelle darzustellen, Lernformen also, die sich nicht mehr in die einfache<br />
Unterscheidung von organisiert und selbstorganisiert einordnen lassen. Das wird <strong>zum</strong><br />
einen die Verantwortung <strong>der</strong> Lehrkräfte für gelingende Lehr-Lern-Prozesse stärken,<br />
<strong>zum</strong> an<strong>der</strong>en neue Anfor<strong>der</strong>ungen an diese Mitar<strong>bei</strong>ter in <strong>der</strong> Beratung und<br />
43
Allgemeine<br />
Entwicklungen<br />
und Einschätzungen<br />
Zum Wandel von<br />
Zeitstrukturen<br />
Mo<strong>der</strong>ation z.T. individualisiert lernen<strong>der</strong> Lerngruppen stellen. Hier besteht in <strong>der</strong><br />
Tat noch ein großer Fortbildungsbedarf.<br />
8. Zum Verhältnis von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit<br />
Wenn man die Verän<strong>der</strong>ungen im Verhältnis von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit –<br />
für die <strong>der</strong> Bildungsurlaub ja nur eine, wenn auch bildungspolitisch beson<strong>der</strong>s<br />
wichtige Variante ist – einschätzen will, die die sich etablierende<br />
Wissensgesellschaft erfor<strong>der</strong>t, so lohnt ein kurzer Rückblick in die Geschichte.<br />
Gesellschaftliche Mo<strong>der</strong>nisierung, wie sie sich als Industriealisierung und<br />
Demokratisierung in Europa insbeson<strong>der</strong>e seit <strong>der</strong> Aufklärung durchgesetzt hat, läßt<br />
sich begreifen als ein fortschreiten<strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Ausdifferenzierung von Lebenszeit<br />
in Lernzeiten, (Erwerbs-) Ar<strong>bei</strong>tszeiten und Freizeiten. Während die vormo<strong>der</strong>ne<br />
Erziehungswelt des „ganzes Hauses“ Ar<strong>bei</strong>ten, Leben und Lernen noch<br />
„ganzheitlich“ betrachtete und „unter einem Dach“ vereinte, differenzieren sich mit<br />
<strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> Industriegesellschaft unter teils schmerzhaften<br />
Anpassungsleistungen <strong>der</strong> Individuen differente, im Lebenslauf aufeinan<strong>der</strong>folgende<br />
und zugleich kollektiv verbindliche Zeitstrukturen heraus: Lernen, um zu ar<strong>bei</strong>ten,<br />
um zu leben, so könnte man das Mo<strong>der</strong>nisierungsprogramm <strong>der</strong><br />
Industriegesellschaft zusammenfassend charakterisieren.<br />
Diese Trennung von Lernzeit, Ar<strong>bei</strong>tszeit und Freizeit war eine wichtige<br />
Konstitutionsbedingung auch für organisierte Erwachsenenbildung. Auffällig ist nun,<br />
dass diese Ausdifferenzierung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft wie<strong>der</strong> rückgängig<br />
gemacht zu werden scheint, ablesbar etwa an <strong>der</strong> Auf- und Anfor<strong>der</strong>ung, lebenslang<br />
und nicht nur in begrenzten Lebensphasen zu lernen, an <strong>der</strong> Flexibilisierung und<br />
Individualisierung von Ar<strong>bei</strong>tszeiten bis hin zu häuslicher Telear<strong>bei</strong>t, an <strong>der</strong><br />
Aufwertung lebenswelt- und ar<strong>bei</strong>tsplatznaher Lernformen, an <strong>der</strong> Verknüpfung von<br />
Bildungs- und Freizeitinteressen etwa in <strong>der</strong> Erlebnispädagogik o<strong>der</strong> <strong>bei</strong><br />
Bildungsreisen, vor allem aber an den neuen Informations- und<br />
Kommunikationstechniken, die zeit- und ortsunabhängiges Ar<strong>bei</strong>ten und Lernen<br />
zulassen. Von diesem Wandel <strong>der</strong> Zeitstrukturen ist Erwachsenenbildung in<br />
fundamentaler Weise betroffen, verfügt sie doch an<strong>der</strong>s als etwa das Schul- o<strong>der</strong><br />
Beschäftigungssystem über keine gesetzlich o<strong>der</strong> tarifvertraglich abgesicherte<br />
„Eigenzeit“. Vielmehr musste sie immer schon und heute verstärkt ihre Zeiten in<br />
wechselseitigen Suchbewegungen von Anbietern, Nutzern, Mitar<strong>bei</strong>tern und<br />
Adressaten je neu finden.<br />
Will man den Wandel von Zeitstrukturen kurz zusammenfassen, so lassen sich als<br />
auffälligste Trends benennen: eine erhöhte Lebenserwartung, längere<br />
Ausbildungszeiten und flexibilisierte Lebens- und Wochenar<strong>bei</strong>tszeiten. Dies<br />
alles verän<strong>der</strong>t auch den Umfang und die Nutzung freier Zeit grundlegend. Auf <strong>der</strong><br />
einen Seite ist die verfügbare freie Zeit in den vergangenen Jahrzehnten deutlich<br />
angewachsen, teils ermöglicht, teils erkämpft, teils aufgenötigt durch höhere<br />
Lebenserwartung, durch Ar<strong>bei</strong>tszeitverkürzungen o<strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit. Auf <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Seite wird unter den Bedingungen flexibilisierter Beschäftigung freie Zeit<br />
immer individueller und fragmentierter, damit weniger planbar und mit an<strong>der</strong>en<br />
44
Wandel in den<br />
Veranstaltungsformen<br />
synchronisierbar. Zudem schreitet die Ökonomisierung <strong>der</strong> Freizeit voran, ihre<br />
Nutzung wird dichter und stärker verplant, aufgebraucht durch pausenlose<br />
Kommunikation, Unterhaltung, Abwechslung, Erlebnisse und Events, die mit<br />
Lerninteressen konkurrieren und diese überlagern. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
Weiterbildungseinrichtungen, die in Internatsform ar<strong>bei</strong>ten, mußten in den letzten<br />
Jahren erfahren, dass die Erwartungen <strong>der</strong> Adressaten an Ausstattung,<br />
Ernährung und Komfort steigen: Wenn die Freizeit für Lernzwecke genutzt wird<br />
bzw. genutzt werden muß, dann scheint damit die Erwartung einherzugehen,<br />
Weiterbildung möge mindestens einen Teil leisten, was sonst von <strong>der</strong> Freizeit<br />
erwartet wird: Unterhaltung, Spaß, Anregung, Erholung.<br />
Eine Reaktion <strong>der</strong> Weiterbildung auf diese Trends bestand in den vergangenen<br />
Jahren darin, dass sie ihre Ar<strong>bei</strong>t „veralltäglicht“ hat. Diese „Veralltäglichung“ hat<br />
nicht nur eine thematische und funktionale, son<strong>der</strong>n auch eine organisatorische Seite:<br />
Weiterbildung wird auch in zeitlicher Hinsicht ein alltägliches Geschehen. An <strong>der</strong><br />
Universität Bielefeld wurde vor einigen Jahren ein Forschungsprojekt zur<br />
Verträglichkeit individueller, kollektiver und institutioneller „Zeitfenster“ in <strong>der</strong><br />
Erwachsenenbildung begonnen (zur ersten Information NAHRSTEDT/ BRINKMANN<br />
1997). Beobachtet wurde ein Trend hin zu flexibleren, kompakteren und<br />
„alltäglicheren“ Veranstaltungsformen und –zeiten, <strong>der</strong> sich auch an <strong>der</strong><br />
bremischen Weiterbildungslandschaft aufzeigen läßt. Die folgende Tabelle<br />
dokumentiert die Entwicklung des Anteils von Veranstaltungsformen am<br />
Gesamtangebot anerkannter Weiterbildungsanbieter in <strong>Bremen</strong> seit 1979.<br />
Tabelle 4: Bedeutung von Veranstaltungsformen nach Jahren<br />
Erhebungsjahr<br />
Veranstaltungsformen 1979 1992 1996/97<br />
N=1652 N=2859 N=3137<br />
in % in % in %<br />
Vorträge, Vortragsreihen 2,2 3,2 2,0<br />
Kurse 65,7 40,1 39,8<br />
Tages-, Mehrtagesseminare 3,1 7,9 9,9<br />
Bildungsurlaub 18,2 24,7 26,6<br />
Wochenendseminare 6,2 14,4 14,6<br />
Lehrgänge 1,4 2,6 4,0<br />
Sonstige 3,3 7,0 3,3<br />
Summe 100,0 100,0 100,0<br />
Danach verliert <strong>der</strong> traditionelle (Abend-) Kurs (auch in <strong>der</strong> beruflichen<br />
Weiterbildung) an Bedeutung, Zugewinne entfallen vor allem auf Tages- und<br />
Mehrtagesseminare. So nimmt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Veranstaltungen, die am Tage<br />
stattfinden, kontinuierlich zu. Fand 1979 noch etwa jede dritte Veranstaltungsstunde<br />
am Abend statt, so hat sich dieser Anteil bis in die 90er Jahre hinein halbiert; heute<br />
finden fast 80% aller Unterrichtsstunden tagsüber (vormittags, nachmittags,<br />
ganztags) statt. Aber nicht nur <strong>der</strong> Tag wird zunehmend als Lernzeit genutzt, son<strong>der</strong>n<br />
auch das Wochenende. Das gilt bis hinein in die innerbetriebliche Weiterbildung, die<br />
45
vermehrt Freizeitanteile <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>ter einfor<strong>der</strong>t (KUWAN/<br />
WASCHBÜSCH 1994, S. 86). Abgesehen von <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung in<br />
Lehrgangsform, wie sie insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>tsamtsfinanzierten Weiterbildung<br />
nach wie vor bedeutsam ist (allerdings auch hier inzwischen mit kürzeren<br />
Laufzeiten), finden vor allem kürzere, kompaktere Veranstaltungen eine wachsende<br />
Nachfrage.<br />
Diese Veralltäglichung und Fragmentierung von Zeitstrukturen macht es für<br />
Weiterbildungsanbieter schwieriger und aufwändiger, gemeinsame „Zeitfenster“ zu<br />
identifizieren. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite eröffnen divergierende Zeitstrukturen im<br />
Verbund mit neuen Informations- und Kommunikationstechniken aber auch neue<br />
und pädagogisch interessante Möglichkeiten. Neue Formen von Eigen- und<br />
Heimar<strong>bei</strong>t werden nicht nur unter Kostengesichtspunkten interessant, weil so die<br />
zunehmend private Finanzierung von Weiterbildung forciert werden kann. Vielmehr<br />
erlauben multimediale Lernprogramme, Online-Seminare, E-Mail-Tandems usw.<br />
auch, einen Teil <strong>der</strong> individuell nötigen Lernar<strong>bei</strong>t aus den organisierten<br />
Veranstaltungen an den Ar<strong>bei</strong>tsplatz o<strong>der</strong> nach Hause zu verlagern. Die<br />
Einrichtung solcher Lernverbünde läßt sich häufig, z.B. im Sprachenbereich, auch<br />
fachdidaktisch (mit <strong>der</strong> Individualisierung <strong>der</strong> Lernbedarfe, die sich auf differente<br />
„operative Sprachniveaus hin bewegen) gut begründen. Damit werden einerseits die<br />
Lernarrangements einzigartiger, die Anfor<strong>der</strong>ungen an die Lernenden intensiver, z.B.<br />
im individuellen Zeitmanagement, zugleich aber auch Teile des Lernprozesses<br />
standardisierter und extern verantwortet. Mit <strong>der</strong> Entwicklung neuer Formen <strong>der</strong><br />
Integration von organisiertem und selbstorganisiertem Lernen verlagert sich<br />
<strong>der</strong> Aufgabenbereich des Planungspersonals <strong>zum</strong> einen auf die Einrichtung von<br />
Lernarrangements, an<strong>der</strong>erseits kommen neue Anfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />
Lernberatung auf sie zu. Die eigentliche (makro- und mikro-) didaktische<br />
Ar<strong>bei</strong>t aber wird von den Lehrenden erbracht. Auf die Folgen für die<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen <strong>bei</strong>den Gruppen und die zusätzlichen Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />
die Lehrenden komme ich noch zurück.<br />
Angesichts <strong>der</strong> Bedeutung, die Weiterbildung und Personalentwicklung allenthalben<br />
erlangt hat, ist unbestritten, dass in Zukunft mehr Zeit für Lernen und Weiterbildung<br />
aufgewandt werden muß, insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn sich Normalerwerbs- zu<br />
Patchwork-Biographien (Interview 6, S. 16) wandeln:<br />
„Wir betrachten Lernen als Investition, was ich sagte, <strong>der</strong> grundsätzliche Ansatz ist,<br />
Lernen eben nicht stattfinden zu lassen auf dem Erwerb von eh gegebenem Wissen,<br />
son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Erlangung von Fähigkeiten für die Zukunft, und da können wir gar nicht<br />
genug Zeit in <strong>der</strong> Organisation haben.“ (Interview 7, S. 19)<br />
Auf die Entstrukturierung von Ar<strong>bei</strong>ts- und Lernzeiten reagieren die<br />
Weiterbildungseinrichtungen und Unternehmen in unterschiedlicher Weise. Die<br />
Unternehmen bevorzugen ganz eindeutig individuelle Ar<strong>bei</strong>tszeitregelungen<br />
(Interview 3, S. 18):<br />
„Wir bieten heute unseren Mitar<strong>bei</strong>tern eigentlich alle Möglichkeiten an, die <strong>der</strong><br />
Vorgesetzte in Abstimmung mit den Mitar<strong>bei</strong>tern für sinnvoll hält, das heißt, wir<br />
schränken uns heute nicht ein, wenn wir unsere bestehenden Rahmenbedingungen dafür<br />
nutzen können, dass Mitar<strong>bei</strong>ter sämtliche Modelle nutzen können, wir haben also<br />
Modelle, die in Richtung Jahresar<strong>bei</strong>tszeit gehen angefangen, dass Leute also dann<br />
46
Lernzeiten und<br />
Lernorte<br />
Grenzen <strong>der</strong><br />
Flexibilisierung<br />
wirklich blockieren und Zeiten für an<strong>der</strong>e Dinge nutzen. Wir haben Fälle, wo also<br />
Leute, die in sehr verantwortlichen Spezialistenproduktionen sind, selbst einen<br />
Personalbereich in dem Fall, das sie neben<strong>bei</strong> studieren auch, dass wir sie dafür frei<br />
stellen. Wir haben Fälle, wo Leute zu Hause ar<strong>bei</strong>ten, also auch wichtig, nicht nur <strong>der</strong><br />
normale Sachbear<strong>bei</strong>ter, also wir haben es richtig <strong>bei</strong> Spezialisten auch, und wir haben<br />
sogar <strong>bei</strong> Führungskräften, dass die sogar ihre Ar<strong>bei</strong>tszeit reduziert haben, und ich<br />
denke, das ist auch ein Trend, <strong>der</strong> zunehmend wichtiger wird, dass sich Ar<strong>bei</strong>t auch<br />
nach Hause stärker verlagern wird, dass es nicht mehr festgebunden ist an einen Ort,<br />
wenn wir sagen, dass sich die Weiterbildung auch nach Hause verlagert, denke ich wird<br />
sich die Ar<strong>bei</strong>t stärker nach Hause verlagern. Themen wie Telear<strong>bei</strong>t, Office wird<br />
zunehmend an Bedeutung gewinnen, als etwas konservative Branche sind wir da<br />
sicherlich noch in den Anfängen auch, aber wir haben eine Quote von knapp 15%, die<br />
heute schon im Teilzeitbereich auch <strong>bei</strong> uns ar<strong>bei</strong>ten, das heißt, wir haben da schon was<br />
Ar<strong>bei</strong>tszeitreduzierung angeht im Durchschnitt in <strong>der</strong> Bundesrepublik eine sehr gute<br />
Quote auch.“ (Interview 3, S. 18 f.)<br />
Insgesamt will man weg von <strong>der</strong> Zeit- und hin zur Ergebnisorientierung, man<br />
sei im Prinzip morgen in <strong>der</strong> Lage, den Begriff Ar<strong>bei</strong>tszeit aus dem Vokabular zu<br />
streichen (Interview 7, S. 20):<br />
„Also ich glaube, dass diese Segmentierung Job, Privatleben, Urlaub, dass diese<br />
Segmentierung fließen<strong>der</strong> werden wird. Ich glaube, dass sich, wenn man als<br />
Unternehmen in <strong>der</strong> Lage wäre, Mitar<strong>bei</strong>ter als Mitglied des Fußballteams zu gewinnen,<br />
den Spaß am Sport, das Kennen <strong>der</strong> Regeln, auch den Spaß am Gewinn, den Spaß an<br />
Fairness kreieren könnte, dann wäre so meine Vorstellung, dass ein Mitar<strong>bei</strong>ter o<strong>der</strong><br />
eine Mitar<strong>bei</strong>terin ganz einfach das Gutsein relativ <strong>zum</strong> Wettbewerb als eine sehr<br />
interessante Adresse für persönliche Entwicklung, unabhängig jetzt mal von Beruf o<strong>der</strong><br />
Privat.“ (Interview 7, S. 20)<br />
Das erfor<strong>der</strong>t auch neue Formen <strong>der</strong> Organisationsbildung:<br />
„Ich glaube, das Industrieunternehmen nicht mehr so große Gebäude brauchen, dass<br />
Industrieunternehmen sich mehr formulieren müssen über tatsächliche<br />
Gemeinsamkeiten, so eine Hülle Gebäude ist ja ganz nett, so tatsächlich<br />
Gemeinsamkeiten, und die können nur über Identifikation mit Produkt kommen, die<br />
können nur über Identifikation mit Perspektiven kommen, die können nur über<br />
Identifikation mit <strong>der</strong> Klasse von Persönlichkeiten kommen. Die werden überall<br />
draußen sein auf diesem Planeten.“ (Interview 7, S. 21)<br />
Mit <strong>der</strong> Flexibilisierung <strong>der</strong> Lernzeiten wandeln sich auch die Orte, an denen sich<br />
Erwachsene neues Wissen aneignen, an<strong>der</strong>en vermitteln o<strong>der</strong> in gemeinsamer Praxis<br />
erar<strong>bei</strong>ten. Der Wandel von <strong>der</strong> angebots- zur nachfrageorientierten und<br />
prozessbegleitenden Ar<strong>bei</strong>tsweise, <strong>der</strong> insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> innerbetrieblichen<br />
Weiterbildung zu beobachten ist, hat Folgen für die Lernorte. Aus Kostengründen,<br />
aber auch in <strong>der</strong> Hoffnung auf bessere Transferergebnisse wurden in den letzten<br />
Jahren energische Versuche unternommen, das Lernen näher an die Lebenswelten<br />
und Ar<strong>bei</strong>tsorte <strong>der</strong> Lernenden heranzuführen. Gerade in <strong>der</strong> innerbetrieblichen<br />
Weiterbildung bietet u.a. <strong>der</strong> Einsatz <strong>der</strong> neuen Informations- und<br />
Kommunikationstechniken, in <strong>der</strong> Form von Offline-Medien, des Intranets o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Bereitstellung von Internet-Zugängen verbesserte Möglichkeiten des<br />
ar<strong>bei</strong>tsplatznahen Lernens. Auf diesen unabweisbaren Trend wurde in den<br />
vorangegangenen Kapiteln mehrfach hingewiesen.<br />
Daher sollen an dieser Stelle vor allem die Grenzen <strong>der</strong> Flexibilisierung von<br />
Lernzeiten und Lernorten erwähnt werden, die von den Experten dieser<br />
Untersuchung sehr klar gesehen und benannt werden. Denn die Favorisierung und<br />
47
Das Beispiel<br />
Bildungsurlaub<br />
Bildungsurlaub<br />
gestern und<br />
heute<br />
verstärkte Nutzung bedarfsgerechter, ar<strong>bei</strong>tsplatznaher Weiterbildung<br />
bedeutet keinesfalls, dass Weiterbildung auf eigene Orte o<strong>der</strong> Zeiten verzichten<br />
könnte o<strong>der</strong> gar dürfte. Die Intensivierung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsbelastung macht<br />
Ar<strong>bei</strong>tsplätze mehr noch als bisher schon zu „lernfeindlichen“ Orten, und auch die<br />
Verwissenschaftlichung <strong>der</strong> Lerngegenstände erschwert ein Lernen direkt am<br />
Ar<strong>bei</strong>tsplatz. Zumal die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen<br />
erscheint nur möglich in geschützten Räumen und handlungsentlasteten<br />
sozialen Interaktionen, also kaum mit Hilfe von Medien o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Selbstlernmaterialien:<br />
„Wenn ich anbiete, dann mache ich das ortsnah, aber nicht im Betriebszusammenhang,<br />
so, das heißt Konferenzhotel. [...] Da glaube ich, dass die sehr gut unterscheiden<br />
können, die, die ich kenne, was sie für welche Situationen brauchen, weil sie selber<br />
Erfahrungen haben damit und weil sie auch selber den Effekt einschätzen können, dass<br />
das mal Rauskommen durchaus positiv sein kann und dass sie dann unterscheiden,<br />
wenn es sich wirklich um sagen wir originäre Dinge handelt, wo man auch mal<br />
vielleicht gucken muss, wie organisieren wir das jetzt neu, dass man es im Betrieb<br />
macht, dass man aber ansonsten durchaus auch sagt, lass diesen Muff, diese Routine,<br />
lass die mal ein Stück weit draußen vor, und wir suchen uns jetzt mal einen an<strong>der</strong>en Ort<br />
und nutzen die Chance dieses an<strong>der</strong>en Ortes, wo man einfach mal etwas irritiert an<strong>der</strong>s<br />
auch über Dinge nachdenken kann. Da glaube ich, dass <strong>bei</strong> den Preisen, die da so<br />
gehandelt werden, ist das auch marginal.“ (Interview 6, S. 7 f.)<br />
Zwar wird die Dauer <strong>der</strong> Veranstaltungen eingeschränkt, aber die Lernorte sollten<br />
nach wie vor möglichst außerhalb des Betriebes bzw. des Ar<strong>bei</strong>tsplatzes sein.<br />
Auf die Frage, ob Organisationsentwicklungsmaßnahmen ar<strong>bei</strong>tsplatznah realisiert<br />
werden, antwortet ein Experte entschieden:<br />
„Nein. Also wir machen das nach wie vor so, dass wir, wenn es irgend geht, alles<br />
außerhalb des Betriebes machen, dass man natürlich besser lernen kann, wenn man<br />
Abstand hat, wenn man eine an<strong>der</strong>e Umgebung hat, und sie werden einfach auch nicht<br />
gestört, es rufen keine Leute an, es kommen keine Leute vor<strong>bei</strong>.“ (Interview 13, S. 10)<br />
Noch schärfer wird dies von einem Experten formuliert, <strong>der</strong> Weiterbildungsangebote<br />
für eine spezifische Zielgruppe (Netzwerkbetreuer) anbietet und durchführt:<br />
„Das sind, das müssen eigentlich klassische Klassenraum- o<strong>der</strong> Laborumgebungen sein,<br />
denn das in <strong>der</strong> Produktivumgebung ein bisschen was zu experimentieren, man will<br />
natürlich auch ein bisschen die Fehler natürlich ausmerzen, das heißt, wo liegen meine<br />
Fehler, wo kann ich in einer laufenden Produktivumgebung jetzt wirklich den Fehler<br />
meines Lebens lernen und das System <strong>zum</strong> Stillstand bringen. Wenn wir das in <strong>der</strong><br />
Produktivumgebung trainieren würden, ich glaube, dann würden wir nach Hause<br />
geschickt. Das kann man vergessen. Es muss mindestens eine Laborumgebung gegeben<br />
sein.“ (Interview 16, S. 5)<br />
Vor dem Hintergrund aktueller bildungspolitischer Diskussionen in <strong>Bremen</strong> o<strong>der</strong><br />
Nordrhein-Westfalen kommt dem Bildungsurlaub als einer Form, das Verhältnis<br />
von Ar<strong>bei</strong>tszeit und Lernzeit zu verän<strong>der</strong>n, eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu. Mit<br />
<strong>der</strong> Umwandlung von Ar<strong>bei</strong>tszeit in Lernzeit, von <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>terbewegung erstritten,<br />
verbesserten sich die Möglichkeiten <strong>der</strong> Beschäftigten, Kenntnisse und Fertigkeiten<br />
zu erwerben, die sie zur Bewältigung <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen im beruflichen, öffentlichen<br />
und privaten Bereich benötigen. Diese Veranstaltungsform hat einerseits das<br />
Lernangebot bereichert; an<strong>der</strong>erseits deutet sich heute aber auch an, dass sie an<br />
ihre Grenzen zu stoßen scheint.<br />
48
Dazu ist ein kurzer Rückblick in die Geschichte des Bildungsurlaubs nützlich. Wenn<br />
Ekkehard Nuissl in einem Rückblick auf die Bildungsurlaubspraxis Anfang <strong>der</strong> 80er<br />
Jahre noch feststellt, „das Spektrum von Bildungsurlaubsangeboten [sei] noch<br />
sehr schmal“ (NUISSL 1984, S. 373), so gilt das heute sicher nicht mehr, wie die<br />
folgende Tabelle zeigt. Sie weist die angebotenen Bildungsurlaubsveranstaltungen<br />
von anerkannten bremischen Weiterbildungsanbietern aus; würde man die tatsächlich<br />
durchgeführten Bildungsurlaube nehmen, für die mir lei<strong>der</strong> keine Daten vorlagen, so<br />
würde man die Einschätzungen differenzieren müssen, vor allem im Blick auf die<br />
Teilnehmerzahlen. Die nachfolgend beschriebenen Trends blieben davon aber<br />
unberührt.<br />
Tabelle 5: Bildungsurlaube nach Fachbereichen von 1979 bis 1996/97<br />
Erhebungsjahr<br />
Fachbereiche 1979 1992 1996/97<br />
N=301 N=707 N=833<br />
in % in % in %<br />
Alphabetisierung 0,0 0,6 0,2<br />
formale Schlüsselqualifikationen 6,0 6,4 6,0<br />
Fremdsprachen 19,9 14,3 11,3<br />
Kulturelle Bildung 0,3 6,5 3,8<br />
Freizeit, Sport, Urlaub 0,7 1,1 0,8<br />
Mathematik, Naturwiss., Technik 0,0 0,4 0,5<br />
Haushalt, praktische Ökologie 1,3 7,8 4,0<br />
Gesundheit 1,3 10,5 9,7<br />
Personale Kompetenzen 0,7 4,2 2,1<br />
Soziale Bildung 12,6 5,8 6,3<br />
Politische Bildung 46,8 18,1 15,1<br />
EDV Grundlagen 0,3 13,0 25,3<br />
EDV Spezialwissen 0,0 4,1 8,0<br />
Umweltschutz/Gartenbau Berufe 0,0 0,1 0,6<br />
Gewerb.-techn. Berufe 1,3 2,5 1,7<br />
Handwerk, Baugewerbe 0,0 0,0 0,2<br />
Kaufm.-verwaltende Berufe 7,3 4,0 3,6<br />
soziale, päd., psychologische Berufe 1,3 0,4 0,5<br />
Sonstige, ohne Angabe 0,0 0,1 0,2<br />
Summe 100,0 100,0 100,0<br />
Der Bildungsurlaub ist mit einem Anteil von mehr als 10% eine <strong>der</strong> häufigsten<br />
Veranstaltungsformen im bremischen Weiterbildungsangebot (<strong>bei</strong> anerkannten<br />
Weiterbildungsanbietern liegt <strong>der</strong> Anteil noch höher). Diese Angebotsform wird seit<br />
Ende <strong>der</strong> 70er Jahre immer häufiger genutzt, wenn auch die Wachstumsraten sinken.<br />
Als zweites fällt auf, dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub nicht mehr auf traditionelle<br />
Themenfel<strong>der</strong> wie etwa die politische o<strong>der</strong> die soziale Bildung beschränkt bleibt,<br />
trotz eines nach wie vor auffälligen Defizits in <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung.<br />
Während Bildungsurlaube noch 1979 weit überwiegend für politische und soziale<br />
Weiterbildung genutzt wurden, bleibt die Zahl in diesen Fachbereichen zwar etwa<br />
49
Möglichkeiten<br />
und Grenzen von<br />
Bildungsurlaub<br />
Bildungsurlaub<br />
wird je nach<br />
Handlungsfeld<br />
<strong>der</strong> Experten<br />
unterschiedlich<br />
bewertet<br />
konstant, ihre relative Bedeutung aber ist rückläufig, da diese Veranstaltungsform<br />
mehr und mehr auch in an<strong>der</strong>en Fachbereichen insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Weiterbildung genutzt wird. Das gilt z.B. für die Umweltbildung, die<br />
Gesundheitsbildung, vor allem aber für die EDV-bezogene Grund- und<br />
Spezialbildung. Fiel <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Bildungsurlaubsveranstaltungen 1979 noch<br />
in die politische Weiterbildung, so hat diese ihre führende Rolle inzwischen an die<br />
EDV-Grundbildung abgetreten. Es zeigt sich, dass insbeson<strong>der</strong>e große Fachbereiche<br />
mit wachsen<strong>der</strong> Nachfrage diese Veranstaltungsform nutzen und damit ohnehin<br />
vorhandene Trends weiter verstärken.<br />
„Gegensteuerung“ ermöglicht <strong>der</strong> Bildungsurlaub vor allem in <strong>der</strong> politischen<br />
und sozialen Bildung. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite werden aber Grenzen <strong>der</strong> Nutzung<br />
deutlich. Angesichts des Trends zu kürzeren, kompakten Veranstaltungen<br />
sowohl in <strong>der</strong> innerbetrieblichen als auch in <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung<br />
scheinen die Rahmenbedingungen im Blick auf Teilnehmerzahlen und Dauer zu<br />
starr, um eine weitere Expansion zu ermöglichen. Dies zeigen auch die Befunde<br />
<strong>der</strong> vorliegenden Expertenbefragung. So beschreibt etwa <strong>der</strong> Leiter eines EDV-<br />
Fachbereichs, dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub immer eine sehr große Bedeutung hatte:<br />
„Es gab früher fast ausschließlich o<strong>der</strong> <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Anpassungsfortbildung<br />
wurde über Weiterbildung finanziert und vor allen Dingen auch von Betrieben, so nach<br />
dem Motto, wenn du schon was machst, dann mach was, was uns Betrieb nutzt und<br />
dann bezahlen wir das auch. Die Form hat immer mehr abgenommen, weil <strong>der</strong> Trend<br />
hingeht zu den kurzfristigen Seminaren, also von 5-Tage-Seminaren zu 2-Tage-Crash-<br />
Kurs, was wahrscheinlich an<strong>der</strong>s wäre, wenn Bildungsurlaub an<strong>der</strong>s definiert wäre von<br />
<strong>der</strong> Form, eben nicht 5 Tage, son<strong>der</strong>n wenn ich Bildungsurlaub am Wochenende<br />
machen könnte o<strong>der</strong> einen 2-Tage-Bildungsurlaub, dann würde <strong>der</strong> Crash-Kurs zwar<br />
immer noch Crash-Kurs genannt werden o<strong>der</strong> Crash-Bildungsurlaub, dann wäre das<br />
wahrscheinlich an<strong>der</strong>s. Der Trend geht immer mehr zu kurzen Seminaren.“<br />
(Interview 14, S. 18)<br />
Die Experten unterscheiden sich in ihren Aussagen zur Nutzung und Bewertung des<br />
Bildungsurlaubs sehr deutlich, je nachdem, aus welchem Handlungsfeld <strong>der</strong><br />
Weiterbildung sie kommen. Für manche Vertreter <strong>der</strong> öffentlich anerkannten<br />
Weiterbildung gilt Bildungsurlaub als „Höchstform <strong>der</strong> Erwachsenenbildung“<br />
(Interview 9, S. 19), <strong>zum</strong>al <strong>bei</strong> Anbietern, die sich auf die politische Bildung<br />
konzentriert haben:<br />
„Ja, <strong>der</strong> Bildungsurlaub ist ja immer noch so ein starkes Moment und ist, ja sagen wir<br />
mal, <strong>der</strong> Kernbereich unseres Angebotes.“ (Interview 12, S. 11)<br />
Auch Experten aus <strong>der</strong> Bildungspolitik halten an dem Institut Bildungsurlaub fest.<br />
„Und da sind die Angebote in <strong>Bremen</strong> ausgezeichnet. Wir haben Zeichen dafür, toi, toi,<br />
toi, keine Verfahren bisher. Es wurde nicht geklagt. Und die Einrichtungen achten auch<br />
untereinan<strong>der</strong> darauf, dass das Niveau gehalten wird.“ (Interview 10, S. 2)<br />
In den Unternehmen und Betrieben spielt Bildungsurlaub dagegen als Instrument <strong>der</strong><br />
innerbetrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung im Grunde keine Rolle.<br />
Auffallend war, wie knapp und bestimmt die befragten Experten auf die<br />
entsprechenden Fragen unisono reagierten. Der Bildungsurlaub hat „keine<br />
Bedeutung“ (Interview 3, S. 18), o<strong>der</strong>: „das Thema Bildungsurlaub [... ] ist kein<br />
Thema“ (Interview 5, S. 15). In einer Weiterbildungseinrichtung, die überwiegend<br />
50
Hin<strong>der</strong>nisse für<br />
die Nutzung von<br />
Bildungsurlaub<br />
für die Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung ar<strong>bei</strong>tet, heißt es auf die Frage nach <strong>der</strong> Bedeutung des<br />
Bildungsurlaubs für die eigene Ar<strong>bei</strong>t lapidar: „Null“ (Interview 8, S. 18).<br />
„Es ist typisch, Bildungsurlaubsgesetz ist nicht reformiert worden bis jetzt, ist weiterhin<br />
<strong>der</strong> closed shop in Realita, das bedeutet, Bildungsfreistellung und Bildungsurlaube<br />
werden von einer Handvoll Weiterbildungseinrichtungen organisiert, die jetzt zu den<br />
anerkannten Weiterbildungseinrichtungen zählen. Sie haben immer weniger<br />
Teilnehmer, immer weniger Teilnahmestunden, es geht immer weiter zurück, die<br />
Attraktivität lässt nach und die Bunker-Mentalität ist in einigen Köpfen immer noch<br />
da.“ (Interview 8, S. 18)<br />
Als Instrument innerbetrieblicher Weiterbildung stößt <strong>der</strong> Bildungsurlaub auch an<br />
rechtliche Grenzen. So formuliert eine Expertin aus einem großen Unternehmen:<br />
„Es gibt sehr klare Festlegungen vom Gesetzgeber, die sagen, wenn wir<br />
Qualifizierungen durchführen, müssen die in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit sein. [...] Wenn<br />
Qualifizierungen vom Unternehmen bezahlt werden, müssen sie auch in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit<br />
stattfinden.“ (Interview 5, S. 16)<br />
Aber auch die Nutzung durch die Beschäftigten für Zwecke <strong>der</strong> außerbetrieblichen<br />
Weiterbildung scheint in den befragten Betrieben und Unternehmen keine große<br />
Bedeutung zu haben, jedenfalls nicht über die bekannten Großbetriebe hinaus. Mit<br />
<strong>der</strong> Verschlankung vieler Unternehmen und <strong>der</strong> Verdichtung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t wird<br />
<strong>der</strong> Druck auf die Beschäftigten, keinen Bildungsurlaub zu nehmen, immer<br />
größer. Ein Experte aus einem mittleren Unternehmen meint:<br />
„Also meine persönliche Einschätzung ist, dass ich das richtig und gut finde und es<br />
immer gut finde, wenn die Leute das machen, weil es für jeden wichtig ist, auch darüber<br />
einfach mal eine Woche raus, an<strong>der</strong>e Lernerfahrungen zu machen, auch an<strong>der</strong>e Themen<br />
zu machen, die gar nicht so eng ar<strong>bei</strong>tsplatzbezogen sind. Das ist meine persönliche<br />
Einschätzung. Für das Unternehmen, für die Ar<strong>bei</strong>tsfähigkeit am Ar<strong>bei</strong>tsplatz o<strong>der</strong> für<br />
die Erbringung von Ar<strong>bei</strong>tsleistung glaube ich nicht, dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub eine große<br />
Bedeutung spielt im Moment. Und in unserem Unternehmen konkret, es ist so, dass<br />
kaum jemand überhaupt Bildungsurlaub macht. Das ist eher, wie auch in vielen<br />
an<strong>der</strong>en Unternehmen, es ist auch ein Unterschied, also <strong>bei</strong> [Name des Unternehmens]<br />
ist es so gewesen, dass man generell dem Bildungsurlaub eher positiver gegenüber stand<br />
und auch eine ganze Menge Mitar<strong>bei</strong>ter Bildungsurlaub genommen haben. Bei <strong>der</strong><br />
[Name des Unternehmens] ist es eher ein Tabu, also im Grunde genommen, jemand,<br />
<strong>der</strong> Bildungsurlaub nimmt, wird sehr, sehr kritisch gesehen und in <strong>der</strong> Folge hat<br />
kaum jemand bislang Bildungsurlaub in Anspruch genommen.“ (Interview 13, S. 18)<br />
Ähnlich formuliert es auch <strong>der</strong> Experte aus einer anerkannten<br />
Weiterbildungseinrichtung, die einen Großteil ihres Angebots in <strong>der</strong> Form des<br />
Bildungsurlaubs realisiert.<br />
„Da muss man natürlich sagen, dass wie in an<strong>der</strong>en Bereichen des Bildungsurlaubs<br />
auch, natürlich ein Großteil unserer Teilnehmerinnen aus Groß-, Mittelbetrieben und<br />
dem öffentlichen Dienst kommen, wo<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Öffentliche-Dienst-Anteil <strong>bei</strong> uns nicht so<br />
groß ist, wir haben deutlich mehr Teilnehmer aus <strong>der</strong> gewerblichen Wirtschaft. Das<br />
liegt ungefähr <strong>bei</strong> 60, 65:35. Aber die großen Betriebe Mercedes und Daimler Chrysler,<br />
DASA, Becks und so etwas, das sind schon die großen Brocken. Im<br />
branchenübergreifenden Bereich machen die großen Betriebe sicherlich 80% <strong>der</strong><br />
Teilnehmerinnen aus, nämlich wenn Mercedes mal sagen würde, wir schicken keinen<br />
mehr, wir lassen keinen mehr auf Bildungsurlaub, egal wie die rechtliche Situation ist,<br />
dann hätten wir schon erheblich Schwierigkeiten, Teilnehmer für die Seminare zu<br />
finden, weil in Seminaren, die wir in Kooperation mit Einzelgewerkschaften machen, da<br />
51
Reformbedarf<br />
Häufigste<br />
For<strong>der</strong>ung:<br />
Größere<br />
Flexibilität<br />
„Brücken zu den<br />
Ar<strong>bei</strong>tgebern“ -<br />
Ablehnung vs.<br />
For<strong>der</strong>ung<br />
streut sich das natürlich. [...] Es gibt viele Bereiche, wo es deutlich schwieriger wird, in<br />
all den Bereichen, die mal früher <strong>zum</strong> öffentlichen Dienst gehört haben, die heute<br />
privatisiert sind, Bahn, Post sind da Parade<strong>bei</strong>spiele, wird das deutlich schwieriger,<br />
Leute auf Seminare zu bekommen, das hängt, mag mit <strong>der</strong> Identifikation mit <strong>der</strong><br />
Gewerkschaft zusammen hängen, aber das hängt, denke ich, viel mehr mit dem sich<br />
entwickeln strukturell in den Bereichen, die eher repressiv, die eher, wo die<br />
Personaldecke ausgedünnt wird, wo das Problem halt auf Bildungsurlaub o<strong>der</strong> auf<br />
Bildungsfreistellung die Tatsache bedeutet, dass jemand an<strong>der</strong>es mehr mitar<strong>bei</strong>ten<br />
muss und halt im Kollegenkreis selber das nicht mehr so gemacht wird. Also die,<br />
sagen wir mal, <strong>der</strong> relativ geschützte Raum des öffentlichen Dienstes, wo ein Recht<br />
existiert, auch wahrgenommen werden kann, das verschwindet in diesem Bereich, das<br />
gibt es gar nicht mehr so, und das merkt man schon.“ (Interview 12, S. 5-7)<br />
Die befragten Experten formulieren vor dem Hintergrund ihrer eigenen praktischen<br />
Erfahrungen eine Vielzahl von Än<strong>der</strong>ungsvorschlägen, <strong>zum</strong>eist, um die Institution<br />
Bildungsurlaub in einer mo<strong>der</strong>nisierten Form zu stabilisieren. Bereits <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Ausdifferenzierung und Verkürzung von Veranstaltungszeiten lag nahe zu fragen, ob<br />
die Regelungen <strong>zum</strong> Bildungsurlaub, die noch sehr am Normalar<strong>bei</strong>tsverhältnis<br />
orientiert sind, flexibilisiert werden können, etwa durch kürzere<br />
Veranstaltungszeiten und ein Abrücken von <strong>der</strong> Mindestteilnehmerzahl. Eher in <strong>der</strong><br />
Tradition <strong>der</strong> bremischen Bildungsurlaubspolitik argumentiert ein Experte <strong>der</strong><br />
kirchlichen Erwachsenenbildung, <strong>der</strong> sich eine Beschränkung des Bildungsurlaubs<br />
auf die politische Bildung vorstellen kann (Interview 9, S. 19), im übrigen aber an<br />
<strong>der</strong> Zeitstruktur festgehalten möchte (S. 20):<br />
„Also ich würde schon sagen, dass sich das bewährt hat. Gut, den an<strong>der</strong>en braucht man<br />
nicht viel zu sagen, <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> in dieser Form Fortbildungsar<strong>bei</strong>t kennt, vor allem in<br />
<strong>der</strong> politischen Bildung, <strong>der</strong> wird sowieso sagen, das ist nun mal die Höchstform <strong>der</strong><br />
Erwachsenenbildung, da macht es am meisten Spaß und da passiert am meisten. Es ist<br />
finde ich, auch jetzt aus <strong>der</strong> Sicht jetzt wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, ist es finde ich<br />
die effektivste Form. Also habe ich ein hohes Interesse daran, dass es dieses Institut <strong>der</strong><br />
Freistellung weiterhin geben wird für diese Form von Bildungsar<strong>bei</strong>t. Was allerdings<br />
natürlich auch je<strong>der</strong> weiß und was wir ja auch ablesen <strong>bei</strong> den Teilnehmenden, die Zahl<br />
<strong>der</strong>er, die tatsächlich über diesen Weg in den Bildungsurlaub kommen, nimmt durchaus<br />
ab. Wir erleben das also gerade jetzt etwa im Bereich <strong>der</strong> Familienbildung, wir machen<br />
also für uns relativ viele Familienbildungsurlaube, dass die Männer doch häufig über<br />
Erholungsurlaub dahin kommen, weil sie schlicht und einfach in ihrem Betrieb sich<br />
nicht trauen o<strong>der</strong> was auch immer. Insofern ist natürlich die Frage, wenn man jetzt an<br />
die weitere Entwicklung denkt, wenn sich real die Möglichkeit immer mehr reduziert,<br />
nur noch auf öffentlichen Dienst, und da gibt es ja bekanntermaßen erhebliche<br />
Wi<strong>der</strong>stände, und auf die wenigen Großbetriebe, dann ist natürlich die Frage, ist das<br />
jetzt eigentlich noch das Instrument. Also an <strong>der</strong> Stelle nur die Flagge hochzuhalten und<br />
gleichzeitig damit unter zu gehen, hat ja keinen Sinn.“ (Interview 9, S. 19)<br />
Obwohl also auch hier bereits Zweifel am Festhalten an einer trotzigen Verteidigung<br />
bestehen<strong>der</strong> Regelungen auftauchen, wird - ganz im Sinne <strong>der</strong> ursprünglichen<br />
Argumentationslinie - abgelehnt, „Brücken zu den Ar<strong>bei</strong>tgebern“ zu bauen<br />
(Interview 9, S. 20). Das Gegenteil empfiehlt <strong>der</strong> Vertreter einer kommerziellen<br />
Weiterbildungseinrichtung, <strong>der</strong> Möglichkeiten eröffnen möchte, dass Ar<strong>bei</strong>tgeber<br />
sich mit Weiterbildungseinrichtungen zusammen tun und gemeinsam Angebote<br />
entwickeln, allgemein: dass <strong>der</strong> Bildungsurlaub stärker an die Erwerbsar<strong>bei</strong>t<br />
angebunden wird (Interview 8, S. 18 f.). Am häufigsten werden Vorschläge in die<br />
Richtung gemacht, die Zeitformen des Bildungsurlaubs zu flexibilisieren. Für<br />
52
kürzere Veranstaltungszeiten als Option plädiert auch ein Experte einer anerkannten<br />
Weiterbildungseinrichtung mit Schwerpunkt in <strong>der</strong> politischen Bildung:<br />
„Im übergreifenden Bereich, wo wir in <strong>der</strong> Regel ja keine betrieblichen<br />
Interessenvertreter erreichen, son<strong>der</strong>n Leute, die ihren Bildungsurlaubsanspruch<br />
wahrnehmen, ist das mit den fünf Tagen Zeitorganisation völlig in Ordnung. Die<br />
machen aber die Erfahrung, dass es da, wo es um betriebliche<br />
Interessenvertretungsstrukturen geht, wo die Leute sagen wir mal doch einen<br />
konkreteren, ein genaueres, ein genaues Interesse haben, was sich so sagen wir mal auf<br />
instrumentelles Handlungswissen bezieht, schon öfter vorkommt, dass die sagen,<br />
können wir das nicht in drei Tagen machen, weil sie in betriebliche Zusammenhänge<br />
eingebunden sind, wo sie nicht unbedingt eine Woche raus wollen, also das läuft ein<br />
bisschen auseinan<strong>der</strong>. Da, wo es darum geht, seinen Bildungsurlaubsanspruch<br />
wahrzunehmen, da ist die Woche, kommt immer mal vor, dass jemand sagt, ich will, ich<br />
muss mal einen Tag eher weg, weil, das wird ja gerne auch mal ausgenutzt o<strong>der</strong> genutzt<br />
sagen wir mal, zu versuchen, sich dann mal einen Tag zu verabschieden, wenn wir dann<br />
sagen, du kriegt den Tag aber nicht bescheinigt, dann überlegen sich die meisten das<br />
natürlich schon noch mal, was für die so wichtig ist.“ (Interview 12, S. 11)<br />
Eine mögliche Verkürzung des Bildungsurlaubs auf zwei Tage wird häufiger in<br />
Erwägung gezogen (z.B. Interview 13, S. 18). Auf die Frage, wie Bildungsurlaubsund<br />
Freistellungsregelungen in <strong>Bremen</strong> verän<strong>der</strong>t werden sollten, antwortet <strong>der</strong><br />
Mitar<strong>bei</strong>ter einer öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung sehr entschieden:<br />
„Sie muss einfach dem Trend folgen, das hilft ja alles nichts. Sie muss kürzer sein, sie<br />
muss flexibler sein, was die Form angeht, das ist alles. Flexibler in <strong>der</strong> Form sein,<br />
man muss auch einen 2-Tages-Bildungsurlaub machen können und man muss auch<br />
einen 3-Tages-Bildungsurlaub machen können, man muss sich vielleicht das Thema<br />
anerkennen lassen, aber nicht unbedingt die Form. [...] Also ich kann nur sagen, die<br />
Entwicklung ist eindeutig, es geht hin, wenn man nach dem Bedarf sich das anguckt,<br />
hin zu kürzeren Seminaren, weniger lange weg aus dem Betrieb, schneller was lernen.<br />
Und das zweite ist, diese 12 Teilnehmer, ich weiß gar nicht, warum das noch eine Rolle<br />
spielt, wahrscheinlich aus För<strong>der</strong>gründen, das muss natürlich völlig weg. Es gibt<br />
Seminare, die müssen eben mit 10 und mit 8 und mit 7 Teilnehmern, warum das 12 sein<br />
müssen, kann an sich keiner erklären, es ist we<strong>der</strong> pädagogisch sinnvoll noch<br />
notwendig, also es können 13 sein, es können auch 5 sein. Und es ist auch nicht gut für<br />
die Teilnehmer. Ich melde mich am Bildungsurlaub an, habe mit Mühe und Not einen<br />
Termin gekriegt, wo ich mir frei nehmen kann, und drei Wochen kriege ich die Absage,<br />
weil nicht die 12 Teilnehmer zusammen gekommen sind. Das ist völlig verrückt, das<br />
schadet ja nicht nur <strong>der</strong> Weiterbildungseinrichtung, weil sie solange planen muss, und<br />
auch den Dozenten, die dafür eingesetzt sind, son<strong>der</strong>n dem Teilnehmer ja auch, <strong>der</strong> geht<br />
anschließend hin und sagt, das Ding hat nicht stattgefunden.“ (Interview 14, S. 18)<br />
Gerade im Bereich <strong>der</strong> EDV-bezogenen Schulung wird ansonsten ein deutlicher<br />
Rückgang in <strong>der</strong> Nachfrage befürchtet, da konkurrierende Anbieter dann eben die<br />
attraktiveren Zeit- und Organisationsformen platzieren.<br />
Weitergehende Reformvorschläge werden zwar seltener, aber nicht weniger<br />
entschieden vorgebracht. Aus institutioneller Sicht wird beklagt, dass nur<br />
Bildungsurlaub von gemeinnützigen Einrichtungen finanziell geför<strong>der</strong>t wird<br />
(Interview 8, S. 18 f.). Die Mindeststundenzahlen sollten reduziert, die<br />
Mindestteilnehmerzahlen ganz gestrichen, die Lernorte offen gestaltet, auch<br />
informelle Lernformen einbezogen werden (Interview 8, S. 18 f.). Für eine flexiblere<br />
Regelung <strong>der</strong> Lernformen und Lernorte plädiert auch eine Expertin aus <strong>der</strong><br />
bremischen Weiterbildungspolitik:<br />
53
„Selbstverständlich sind informelle Lernformen überhaupt noch nicht im Blick<br />
gewesen. Bei <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz ja auch nicht. Das muß ergänzt werden.<br />
Dadurch verschiebt sich ganz viel. Aber das tangiert nicht unsere gesetzlichen<br />
Vorschriften. Ein kleines Beispiel: Bildungsurlaub wird von uns nur anerkannt, wenn<br />
wir, ich glaube, sechs Stunden organisiertes Lernen am Tag nachgewiesen bekommen.<br />
Alles an<strong>der</strong>e, Exkursionen und so, zusätzlich. Ja, mit dieser Regelung kann man nicht<br />
mehr leben, wenn wir sagen, ja, hier wird multimedial gelernt. Die Leute müssen nicht<br />
mehr in einem Raum sitzen und diese sechs Stunden absitzen. Das war immer unser<br />
Kriterium, nicht nur in diesem Bundesland. Das wird sich än<strong>der</strong>n. Das ist unabhängig<br />
von den gesetzlichen Rahmenbedingungen.“ (Interview 10, S. 8)<br />
Viele Experten plädieren dafür, den Bildungsurlaub als Organisationsform zu<br />
erhalten ebenso wie das individuelle Recht des Ar<strong>bei</strong>tsnehmers auf Freistellung<br />
in <strong>der</strong> jetzigen Fassung. Gleichzeitig aber zeigt die rückläufige Nachfrage, dass<br />
<strong>der</strong> Bildungsurlaub umgestaltet werden muß, um ihn wie<strong>der</strong> als<br />
„Erfolgsmodell“ platzieren zu können (Interview 10, S. 13 f., S. 15). Ganz wichtig<br />
erscheint ein Konsens mit den Ar<strong>bei</strong>tgebern:<br />
„Was wir brauchen, um den Bildungsurlaub attraktiv zu machen, ist auch eine<br />
Akzeptanz <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeberseite. Das eine ist, dass <strong>der</strong> einzelne sagt, das möchte ich<br />
gerne nutzen, verstärkt wie<strong>der</strong> nutzen. Das an<strong>der</strong>e ist, dass <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tgeber das nicht nur<br />
duldet., son<strong>der</strong>n auch eine Atmosphäre da ist im Betrieb, wo man sagt, ja, das ist in<br />
Ordnung. Und deshalb sind wir darauf angewiesen <strong>bei</strong> einer möglichen Neugestaltung,<br />
in welchem Bundesland auch immer, die Gespräche mit den Ar<strong>bei</strong>tgebern zu führen und<br />
da zu einer Akzeptanz zu kommen. Und wie das ausgeht, muß man gucken. Das kann<br />
auch regional zu ganz unterschiedlichen Absprachen führen, aber das finde ich wichtig.<br />
Und das ist keine defensive Haltung, die mir da<strong>bei</strong> vorschwebt, son<strong>der</strong>n dass man sich<br />
streitet und zu einer Einigung kommt, wie auch immer die dann aussieht.“ (Interview<br />
10, S. 14)<br />
An<strong>der</strong>e Positionen vertreten die hier befragten Experten aus kleinen, mittleren und<br />
großen Unternehmen. So formuliert die Verantwortliche für Personalentwicklung in<br />
einem großen Unternehmen:<br />
„Ich glaube, dass vernünftige Unternehmen sehr viel investieren in die Qualifikation<br />
ihrer Mitar<strong>bei</strong>ter, und das findet dann eben auch in <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit statt und ist auch<br />
ar<strong>bei</strong>tsplatznah, so dass also eine Weiterbildung da ist, die mich selber eben auch in<br />
meinen eigenen Fähigkeiten voran bringt. Der Bildungsurlaub o<strong>der</strong> das sich<br />
Beschäftigen mit Themen, die jetzt außerhalb des Ar<strong>bei</strong>tsfeldes sind, ist ein Teil, <strong>der</strong> in<br />
mein Privatfeld fällt und das ich selber machen sollte und auch mache. Diese<br />
Verquickung ist für mich nicht nachvollziehbar. Mir ist wichtig, dass die Gesellschaft<br />
Möglichkeiten hat, sich weiter zu bilden, sich weiter zu entwickeln, aber diese<br />
Verquickung über den Bildungsurlaub, dem kann ich wenig abgewinnen, weil ein<br />
vernünftiges Unternehmen macht diesen Teil innerhalb des Unternehmens.“ (Interview<br />
5, S. 16)<br />
An dem letzten Interviewausschnitt wird ein Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Bildungsurlaub<br />
und ar<strong>bei</strong>tsbezogener Qualifizierung während <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tszeit konstruiert, <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Realität bereits überwunden ist: Denn selbstverständlich wird Bildungsurlaub von<br />
den Erwerbstätigen bereits seit längerem auch dazu genutzt, die eigene<br />
Beschäftigungsfähigkeit zu sichern, z.T. mit finanzieller Unterstützung <strong>der</strong> Betriebe,<br />
z.T. aber, wie an<strong>der</strong>e empirische Untersuchungen zeigen, auch ohne Wissen o<strong>der</strong><br />
sogar gegen den Willen <strong>der</strong> Vorgesetzten. Es scheint daher wenig sinnvoll,<br />
überholte, primär ideologisch motivierte Auseinan<strong>der</strong>setzungen fortzuführen. Die<br />
hier befragten Experten formulieren eine Fülle von Reformvorschlägen, die<br />
54
Das koordinierte<br />
Gesamtangebot<br />
Expertenaussagen<br />
über den<br />
Trend zur<br />
Kooperation<br />
vornehmlich auf die Flexibilisierung bisheriger Regelungen zielen. Denn trotz, o<strong>der</strong><br />
besser: gerade wegen <strong>der</strong> Flexibilisierung von Lernzeiten, Ar<strong>bei</strong>tszeiten und<br />
Freizeiten braucht Weiterbildung in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft mehr denn je auch<br />
erkennbare Eigenzeiten. Dafür steht <strong>der</strong> Bildungsurlaub nach Auffassung <strong>der</strong> hier<br />
interviewten Experten immer noch als erfolgversprechendes und zukunftsfähiges<br />
Modell.<br />
9. Konkurrenz und Kooperation auf einem sich<br />
ausdifferenzierenden Weiterbildungsmarkt<br />
Als zu Beginn <strong>der</strong> 70er Jahre in mehreren Bundeslän<strong>der</strong>n Weiterbildungsgesetze<br />
verabschiedet wurden, kamen vor allem Weiterbildungseinrichtungen <strong>der</strong> großen<br />
pluralen Träger in den Genuß öffentlicher För<strong>der</strong>ung. Schon damals wurde die Frage<br />
intensiv diskutiert, wie durch eine Zusammenar<strong>bei</strong>t unterschiedlicher Träger und<br />
Einrichtungen ein Gesamtsystem <strong>der</strong> Weiterbildung in öffentlicher Verantwortung<br />
gestaltet werden könne. Kooperation <strong>der</strong> Träger und Einrichtungen schien <strong>der</strong><br />
Schlüssel zur Lösung des Problems, um den korporativen Pluralismus zu einem<br />
„integrativen“ (Dohmen) zu entwickeln.<br />
Auch in <strong>Bremen</strong> wurde die För<strong>der</strong>ung anerkannter Weiterbildungsanbieter an die<br />
Bereitschaft gebunden, zu einem koordinierten Gesamtangebot an Weiterbildung<br />
<strong>bei</strong>zutragen. Formell schien dies durch die Mitar<strong>bei</strong>t in entsprechenden Gremien<br />
(z.B. im Landesausschuß für Weiterbildung) gesichert werden zu können. Doch so<br />
häufig Kooperation in <strong>der</strong> bildungspolitischen Diskussion eingeklagt wurde, so<br />
häufig wurde ihr Fehlen in wissenschaftlichen Untersuchungen und auch in <strong>der</strong><br />
Praxis beklagt.<br />
Inzwischen scheint sich hier eine nahezu unbemerkte, aber stetige Verän<strong>der</strong>ung zu<br />
vollziehen. Ganz gegen die verbreiteten Klagen über fehlende Kooperation und<br />
zunehmende Konkurrenz weisen die Befunde dieser Untersuchung auf eine Fülle an<br />
intensiver werden<strong>der</strong> Kooperationsbeziehungen hin. Dazu tragen nach<br />
Auffassung <strong>der</strong> interviewten Experten mehrere Ursachen <strong>bei</strong>: Verwiesen wird (1)<br />
<strong>zum</strong> einen auf die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> – regional überschaubaren – bremischen<br />
Weiterbildungslandschaft, (2) auf die Tatsache, dass die Ausdifferenzierung <strong>der</strong><br />
Weiterbildung mit einer klareren Profilbildung <strong>der</strong> Einrichtungen einhergeht, die<br />
<strong>bei</strong> „größeren“ Aufgaben Kooperation unverzichtbar macht, aber auch (3) darauf,<br />
dass alte bildungspolitische Kontroversen an Schärfe verloren haben, weil sie<br />
durch die historische Entwicklung überholt wurden. Nicht zuletzt werden<br />
Kooperationen im regionalen Umfeld (4) in den letzten Jahren auch von <strong>der</strong> Politik<br />
massiv unterstützt. Die Bundesregierung etwa hat im vergangenen Jahr mit<br />
Unterstützung durch EU-Mittel ein gewichtiges Programm aufgelegt, das unter <strong>der</strong><br />
Überschrift „Lernende Region“ vor allem solche Vorhaben finanziell för<strong>der</strong>t, die<br />
die Kooperation von Einrichtungen innerhalb <strong>der</strong> Weiterbildung, aber zwischen<br />
Einrichtungen aus unterschiedlichen Bereichen des Bildungssystems intensivieren<br />
wollen. Sicherlich werden Kooperationen aber (5) auch dadurch geför<strong>der</strong>t, dass<br />
Weiterbildungseinrichtungen ein wachsendes Weiterbildungsvolumen mit<br />
konstantem (hauptberuflichem) Personalbestand realisieren müssen.<br />
55
Die folgenden Auszüge aus den Experteninterviews behandeln unterschiedliche<br />
Formen von Kooperationen, konzentrieren sich aber auf die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
zwischen unterschiedlichen (Typen von) Institutionen <strong>der</strong> Weiterbildung. Die<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen Weiterbildungseinrichtungen und neben- o<strong>der</strong><br />
freiberuflichen Mitar<strong>bei</strong>tern wird erst im folgenden Kapitel behandelt. Als Neuerung<br />
festgestellt und gemeinhin begrüßt wird die Beobachtung, dass sich die Kooperation<br />
zwischen Weiterbildungseinrichtungen in <strong>Bremen</strong> deutlich verbessert, an Zahl<br />
und Intensität zugenommen hat. Das gilt im Grunde für sämtliche Handlungsfel<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Weiterbildung. Zu unterscheiden sind Netzwerke, (feste)<br />
Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaften, punktuelle Kooperationen und Bildungskooperationen:<br />
„Ja, Kooperationsform, wun<strong>der</strong>schönes Stichwort, weil das ist ein Punkt, <strong>der</strong> sich in<br />
<strong>Bremen</strong> massiv verän<strong>der</strong>t hat, und da bin ich in <strong>der</strong> glücklichen Lage und darf die<br />
Bremer Weiterbildung, so darf in es auch wirklich formulieren, und habe die Ehre, die<br />
Bremer Weiterbildung als kleine Weiterbildungseinrichtung vertreten zu dürfen auf dem<br />
Lernfest, auf <strong>der</strong> zentralen Veranstaltung des Lernfestes, auf <strong>der</strong> Expo. Ich darf die<br />
Bremer Weiterbildung dort vertreten, und damit zeige ich schon ein Indiz für ein neues<br />
Weitbildungspolitikverständnis hier in <strong>Bremen</strong>, und das, was ich dort vertreten darf. Ich<br />
darf nämlich reden und darstellen die verschiedenen Bildungskooperationen in <strong>Bremen</strong><br />
auf <strong>der</strong> Expo und die neue Art <strong>der</strong> Bildungskooperation. Das ist ausgehend nicht nur<br />
vom Bremer Weiterbildungsgesetz, das ein Stück dazu <strong>bei</strong>getragen hat, aber es gab<br />
diese Bestrebungen darüber hinaus auch. Es geht weiter über die Agenda 21, die selbst<br />
mit einer Präsentation dort auf dem Lernfest vorgestellt wird, als auch hin zu einer<br />
Sache, <strong>der</strong>en Gedanken ich entwickelt habe und wo wir dann entsprechend rumgefragt<br />
haben <strong>bei</strong> allen Weiterbildungseinrichtungen, in welchen Kooperationen sie sich denn<br />
drin befinden. Ich sage es jetzt mal allgemein, wir sind erschlagen worden von einer<br />
Vielzahl von Kooperationen, von einer ganz großen Vielzahl, so dass wir sie im<br />
Rahmen für diese Präsentation auf dem Lernfest überhaupt nicht nehmen konnten, wir<br />
mussten 90% rausstreichen, wir mussten alle Kooperationen rausstreichen, die sich<br />
sozusagen mit Universitäten o<strong>der</strong> mit Ar<strong>bei</strong>terkammern und mit Praktikumsbetrieben<br />
und mit senatorischen Behörden und Handwerkskammern, auch auf europäische<br />
Kooperationen beziehen, und insofern gibt es eine Domäne, nämlich Lernfest 2000.de,<br />
die entsprechend hier für Sie da ist und die Sie sich dann noch mal angucken können.<br />
[...] Wir haben Netzwerke, wir haben Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaften, wir haben punktuelle<br />
Kooperationen und wir haben Bildungskooperationen zur Ressourcenoptimierung als<br />
Kategorien gefasst und darunter rein die Kooperationen aufgenommen, die jetzt sich<br />
beziehen auf die Kooperationen von Bremer Weiterbildungseinrichtungen direkt. Weil<br />
es gab auch viele Kooperationen mit Weiterbildungseinrichtungen außerhalb von<br />
<strong>Bremen</strong>. Hier ist die [Name <strong>der</strong> Einrichtung] ganz intensiv mit da<strong>bei</strong> <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tskreis<br />
Bremer Bildungsträger, <strong>der</strong> 1992 sich gebildet hat in Ergänzung zu den großen<br />
anerkannten Weiterbildungseinrichtungen, nicht als Konkurrenz. (Interview 8, S. 15 f.)<br />
Ähnlich, aber mit unterschiedlichem Wahrnehmungsfokus und beschränkt auf die<br />
anerkannten Weiterbildungseinrichtungen beschreibt es die Expertin aus <strong>der</strong> Bremer<br />
Bildungspolitik:<br />
Kooperationen zwischen annerkannten Trägern<br />
„Ich glaube, dass in <strong>Bremen</strong> im Unterschied zu an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n es einen<br />
starken inhaltlichen und konzeptionellen Zusammenhalt gibt zwischen den<br />
sogenannten Weiterbildungseinrichtungen, die anerkannt sind nach dem Gesetz,<br />
also <strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung. Das unterscheidet uns. Das ist vielleicht ein<br />
bißchen <strong>der</strong> Tatsache geschuldet, dass <strong>Bremen</strong> nicht so groß ist, also kein Flächenstaat<br />
ist und sich Zusammenar<strong>bei</strong>tsformen zwischen qualitativ hochwertigen Einrichtungen<br />
leichter ergeben. Es ist inzwischen so weit, dass, abgesehen davon, dass es natürlich<br />
Wettbewerber sind, Kooperationsformen gesucht werden, die auch inhaltlich zu einem<br />
56
Kooperationen<br />
von kommerziellen<br />
und<br />
gemeinnützigen<br />
Institutionen<br />
Austausch führen. Das, glaube ich, ist in an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n nicht so, so stark<br />
ausgeprägt. Es ist auch so, dass die Beratung des Ressorts durch diese Einrichtungen<br />
konsequent wahrgenommen wird. Es ist also nicht nur die Ebene von ‚wofür seid ihr<br />
zuständig? Macht euer Alltagsgeschäft‘, son<strong>der</strong>n es ist auch so, dass eine<br />
Beratungsstruktur existiert und auch lebt. Dass wir in <strong>Bremen</strong> ein<br />
Qualitätsmanagementsystem haben <strong>bei</strong> den anerkannten Weiterbildungseinrichtungen,<br />
das von meiner Beobachtung her sehr ausgewiesen ist, trägt dazu <strong>bei</strong>, ist aber nur ein<br />
Aspekt.“ (Interview 10, S. 2)<br />
Auch ein Mitar<strong>bei</strong>ter in einer erwerbswirtschaftlich ar<strong>bei</strong>tenden<br />
Weiterbildungseinrichtung beschreibt einen Trend von <strong>der</strong> Monopol- o<strong>der</strong><br />
Kartellbildung zur Kooperation (Interview 8, S. 10) und for<strong>der</strong>t zugleich eine<br />
„wirklich plurale“ Weiterbildungslandschaft in <strong>Bremen</strong> als Reaktion auf sich<br />
ausdifferenzierende Bedürfnisse, gegen sich andeutende Trends zur Re-<br />
Monopolisierung:<br />
„Insofern würde ich immer davor warnen, dieses [Monopol] wie<strong>der</strong> zu installieren, ich<br />
sage wie<strong>der</strong> zu installieren, damit kommen wir auf die Geschichte, weil hier in <strong>Bremen</strong><br />
ist meine Erfahrung so gewesen, dass es einen Markt gab von 14, 16, 12<br />
Bildungseinrichtungen, die entsprechend versucht haben, hier den Markt unter sich<br />
aufzuteilen, ich sage es knapp, und versucht haben, über lange Jahre diese Position zu<br />
erhalten, wohl wissend o<strong>der</strong> wohl auch ahnend, dass sie nicht haltbar wäre, und ich<br />
denke, dass es sich bis jetzt auch so gezeigt hat, <strong>zum</strong>indest die letzten 10 Jahre haben<br />
für mich eher gezeigt, dass <strong>der</strong> Weg ein an<strong>der</strong>er ist, <strong>der</strong> Weg ist ein an<strong>der</strong>er in die<br />
Offenheit hinein, und die Weiterbildung setzt sich in dem Augenblick durch, und<br />
deswegen finde ich in dem Augenblick [...] auch gut, die wirklich auch Erfolge hat, und<br />
deswegen werden Weiterbildung und Weiterbildungsmaßnahmen zukünftig an Erfolge<br />
geknüpft werden und alle Definitionen auch. [...] Also <strong>der</strong> Weg für mich geht hin zu<br />
einer pluralen, wirklich großen pluralen Weiterbildungslandschaft, die auch<br />
notwendig ist, um das, was ich vorhin gesagt habe, dieses ausdifferenzierte Bild von<br />
Weiterbildung und diese ausdifferenzierten Bedürfnisse von Weiterbildung befriedigen<br />
zu können. Und alle Bestrebungen dazu, den Markt wie<strong>der</strong>, also die Anbieter von <strong>der</strong><br />
Anbieterseite wie<strong>der</strong> zu verengen, schätze ich <strong>zum</strong>indest zur Zeit ein, ich sehe keine<br />
an<strong>der</strong>en Tendenzen als <strong>zum</strong> Scheitern verurteilt.“ (Interview 8, S. 11)<br />
Eine größere Vielfalt von Kooperationen beschreiben auch die Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung, die an<strong>der</strong>s als vielleicht noch vor einigen Jahren dem Status eines<br />
Anbieters keinerlei Bedeutung mehr <strong>bei</strong>messen:<br />
„Man kann das ja erst mal aufteilen in Einrichtungen nach mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
öffentlichem Recht o<strong>der</strong> Gemeinnützigkeitsrecht und Einrichtungen des<br />
privatwirtschaftlichen Rechts. Mit <strong>bei</strong>den Bereichen ar<strong>bei</strong>ten wir regelmäßig<br />
zusammen, und im Grunde genommen werden da auch keine Unterschiede gemacht,<br />
das geht also einmal um die Qualität, die angeboten wird, und um den Preis, <strong>der</strong><br />
angeboten wird. Man kann sagen, <strong>bei</strong> den gemeinnützigen, die Bildungsträger <strong>der</strong><br />
Kammern, Ar<strong>bei</strong>terbildungszentrum, Wirtschafts- und Sozialakademie, dann<br />
Ar<strong>bei</strong>tgeberorganisationen, Bildungszentrum <strong>der</strong> Wirtschaft, normalerweise kann ich<br />
das so runterspulen.“ (Interview 2 S. 6)<br />
Auch in <strong>der</strong> kirchlichen Erwachsenenbildung wird von einer Vielzahl von<br />
Kooperationsbeziehungen berichtet. Geför<strong>der</strong>t wird diese durch die eigenen<br />
Ansprüche, die Begrenztheit <strong>der</strong> eigenen Mittel und die Abrechnungsfähigkeit nach<br />
dem Weiterbildungsgesetz (Interview 9, S. 16, S. 18). Auffälligerweise wurde aber<br />
die Kooperation mit katholischen Betrieben (z.B. Krankenhäusern, Caritas) lange<br />
Zeit nicht gesucht, unbewußt wohl, weil sie nicht abrechnungsfähig gewesen wäre.<br />
57
Hier zeigt sich, dass das Weiterbildungsgesetz (ungewollt) auch die Wahrnehmungen<br />
mancher Akteure begrenzt hat.<br />
Kooperiert wird aber nicht nur im Feld o<strong>der</strong> unter Fe<strong>der</strong>führung <strong>der</strong> nach dem Gesetz<br />
anerkannten Weiterbildungseinrichtungen, son<strong>der</strong>n auch im Bereich <strong>der</strong><br />
kommerziellen o<strong>der</strong> gemeinnützigen Institutionen. Allerdings wird hier auch deutlich<br />
darauf hingewiesen, dass präzisiert werden muß, welche Art von Kooperation<br />
gemeint ist.<br />
„Was ist Kooperation, sagen wir einfach, viele kennen, mit denen man auf einer<br />
bestimmten Oberflächenebene zusammenar<strong>bei</strong>ten kann, dann würde ich sagen, habe ich<br />
eine Unzahl von Fähigkeiten, Möglichkeiten, also da ist ein sehr großes Netzwerk, in<br />
dem ich mich, in dem wir uns auch als Firma bewegen. [...] Die intensivere<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t, die entwickelt sich jetzt in den letzten 3 Jahren ganz vorsichtig und<br />
ich halte sie für extrem wichtig, weil, wir können nicht alles, ich kann nicht alles und im<br />
Grunde genommen, wenn ich ein guter Personaldienstleister sein will, dann brauche ich<br />
verlässliche Kooperationspartner, mit denen ich auch konstruktiv dann Dinge wirklich<br />
abar<strong>bei</strong>ten kann. Da habe ich über diese 3 Jahre mittlerweile ganz vorsichtig über<br />
einzelne Projekte o<strong>der</strong> über einzelne Tätigkeiten auch Partner wo ich sagen kann, das ist<br />
ein Kooperationspartner, mit dem kann man das jetzt bereden und kann man das<br />
machen. Da werde ich auch intensiv weiter dran ar<strong>bei</strong>ten, das ist unerlässlich.“<br />
(Interview 6, S. 12)<br />
Auch im Bereich <strong>der</strong> erwerbswirtschaftlichen Trainingsinstitute wird überwiegend in<br />
(auf persönlichem Vertrauen beruhenden) Netzwerken gear<strong>bei</strong>tet (Interview 4, S. 18)<br />
„Ich könnte mir vorstellen, dass das auch in an<strong>der</strong>en Branchen,<br />
Trainingsschwerpunkten, also auch fachlichen Trainings eine Rolle spielen kann, denn<br />
man kann sich ja, es ist, <strong>der</strong> Markt ist hart für einzelne Trainer, denn ich hatte das<br />
vorhin schon angedeutet, sie müssen so viele Bereiche abdecken, sie müssen<br />
akquirieren, sie müssen verwalten, sie müssen konzipieren, Angebote schreiben und<br />
dann auch noch sich selbst weiterbilden, lebenslang, irgendwas fällt meistens hinten<br />
runter, und das sind dann lebenslanges Lernen bevorzugt. Also insofern könnte ich mir<br />
vorstellen, dass man sich da gegenseitig viel mehr noch auf die Sprünge helfen kann,<br />
oftmals, das wi<strong>der</strong>spricht zwar jetzt uns, weil wir da eigenen Wettbewerb kreieren, aber<br />
das belebt ja auch das Geschäft, kriegt man als Einzeltrainer bestimmte Aufträge gar<br />
nicht, weil <strong>der</strong> Kunde kein Vertrauen hat. Man braucht manchmal eine gewisse Größe,<br />
um mit einem Konzern überhaupt ins Gespräch zu kommen, denn das würde ein kleines<br />
Institut völlig überfor<strong>der</strong>n.“ (Interview 4, S. 18)<br />
Schließlich berichten auch die Experten aus <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung<br />
von einer Vielzahl von Kooperationsformen, in die Einzeltrainer, Beratergruppen<br />
und kleinere Institute netzwerkartig eingebunden sind. Übereinstimmend wird <strong>der</strong><br />
Markt <strong>der</strong> möglichen Kooperationspartner als völlig unübersichtlich beschrieben,<br />
eine Unübersichtlichkeit, die durch ungeschützte Berufsbezeichnungen und fehlende,<br />
allgemein anerkannte Qualitätsstandards verschärft wird. Die Frage, wie diese sich<br />
ausbreitenden, netzwerkartigen Kooperationsformen in Zukunft zwischen Vertrauen<br />
und Vertraglichkeit so geregelt werden können, dass eine professionelle und<br />
qualitativen Ansprüchen genügende Weiterbildung und Personalentwicklung<br />
möglich wird und bleibt, dürfte eine <strong>der</strong> interessantesten, sowohl empirisch als auch<br />
konzeptionell zu beantwortenden Fragen im Bereich <strong>der</strong> Weiterbildung sein.<br />
Auffallend ist, dass die Einrichtungen auf <strong>der</strong> einen Seite<br />
Qualitätssicherungsverfahren einführen, um ihre Aufbau- und Ablauforganisation<br />
regelgeleitet zu standardisieren, und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die entscheidende<br />
58
Zusammenfassung<br />
Schnittstelle – die Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den externen Dienstleistern – auf Grundlagen<br />
stellen, die eher für Primärgruppen (Familie, Bekannte, Verwandte) denn für<br />
organisationale Kooperation typisch sind. Die Auswahlkriterien, die am häufigsten<br />
genannt werden (persönliche Erfahrungen, Referenzen, Mitgliedschaften,<br />
Empfehlungen von Kollegen o<strong>der</strong> Partnerunternehmen, Versuch und Irrtum), dürften<br />
in Qualitätsmanagementsystemen kaum operationalisiert werden können (s. dazu<br />
Schra<strong>der</strong> 2001b).<br />
Insgesamt beschreiben die befragten Experten eine Zunahme von Kooperationen<br />
innerhalb bestimmter Segmente des Weiterbildungsmarktes, aber auch solche, die<br />
segmentübergreifend angelegt sind. In einem sich ausdifferenzierenden Markt<br />
erscheinen flexible, netzwerkartige Kooperationsstrukturen als angemessene<br />
Organisationsformen, die leistungsfähige Weiterbildungseinrichtungen voraussetzen<br />
und zugleich ihre Grenzen überwinden. Gleichwohl dürfen nach wie vor existierende<br />
scharfe Abgrenzungen etwa zwischen innerbetrieblichen und öffentlich anerkannten<br />
Weiterbildungsanbietern o<strong>der</strong> zwischen öffentlich anerkannten und<br />
erwerbswirtschaftlichen Einrichtungen keinesfalls übersehen werden. Diese Grenzen<br />
werden jedoch fließen<strong>der</strong>. So hat eine ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte<br />
Weiterbildungseinrichtung heute durchaus die Möglichkeit, mit Klein- und<br />
Mittelbetrieben, aber auch mit Großbetrieben erfolgreich zu kooperieren. Dies<br />
erfor<strong>der</strong>t allerdings eine Abkehr von <strong>der</strong> ausschließlich angebotsorientierten Ar<strong>bei</strong>t<br />
und eine genaue Analyse <strong>der</strong> Schnittmengen in Angebot und Nachfrage.<br />
Erfor<strong>der</strong>lich ist eine aktive Akquise, die die gemeinsame Erkundung von<br />
Lernbedarfen und die gemeinsame Entwicklung von Schulungskonzepten<br />
einschließt. Dies ist dann aussichtsreich, wenn sie fachliche Kompetenz und<br />
professionelle Beratung zu bieten hat und sich auf eine vertrauensvolle<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t einlässt. Der Status des Anbieters lange Zeit ein wichtiges<br />
Kriterium für die Besetzung bestimmter Segmente des Weiterbildungsmarktes,<br />
verliert mehr und mehr an Bedeutung, was in den Interviews sehr deutlich u.a. von<br />
den Mitar<strong>bei</strong>tern <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung <strong>zum</strong> Ausdruck gebracht wird. Nicht <strong>der</strong><br />
Status des Anbieters entscheidet über Kooperationen, son<strong>der</strong>n die Qualität und<br />
Verlässlichkeit <strong>der</strong> angebotenen Dienstleistungen. Diese Entwicklung erfor<strong>der</strong>t<br />
von den Anbietern, die in den letzten Jahren sehr viel Energie darauf verwandt<br />
haben, mit <strong>der</strong> Einführung von Verfahren <strong>der</strong> Qualitätssicherung ihre internen<br />
Abläufe zu optimieren, sich zukünftig mehr den Schnittstellen zu ihren<br />
Kooperationspartnern zuzuwenden. In <strong>der</strong> beruflichen Weiterbildung haben sich<br />
bereits viele Einrichtungen auf diese neuen Anfor<strong>der</strong>ungen eingelassen (s. KEMPER/<br />
KLEIN 1998). Als bremische Beson<strong>der</strong>heit wirkt da<strong>bei</strong> die Vielzahl an großen und<br />
leistungsfähigen anerkannten Weiterbildungsanbieter zweifellos<br />
kooperationsför<strong>der</strong>nd, hat aber möglicherweise auch die Wahrnehmung potentieller<br />
Kooperationspartner lange Zeit eingeschränkt.<br />
10. Anfor<strong>der</strong>ungen an Lehrkräfte<br />
Der letzte Themenbereich leitet bereits über zu einer spezifischen Form <strong>der</strong><br />
Kooperation, die für die Weiterbildung strukturbildend ist: die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
zwischen den in <strong>der</strong> Weiterbildung tätigen Dozenten und Trainern und den<br />
59
Rückblick<br />
Vier<br />
Personalgruppen<br />
im Lehrbereich<br />
Mitar<strong>bei</strong>tern in Weiterbildungseinrichtungen. Um die Situation und die wichtigsten<br />
Verän<strong>der</strong>ungen einschätzen zu können, soll auch hier mit einem kleinen historischen<br />
Rückblick begonnen werden.<br />
In <strong>der</strong> Regel wird die Dienstleistung Weiterbildung ar<strong>bei</strong>tsteilig erbracht, in <strong>der</strong><br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t von planend-disponierendem und lehrendem Personal. Die<br />
Professionalisierungskonzepte <strong>der</strong> 60er und 70er Jahre zielten auf hauptberufliche<br />
Tätigkeiten im planend-disponierenden Bereich, während die Lehre, die<br />
„eigentliche“ pädagogische Ar<strong>bei</strong>t, nebenberuflich geleistet werden sollte. Die<br />
enorme Ausweitung des Weiterbildungsangebots in den 80er und 90er Jahren wurde<br />
jedoch ohne eine entsprechende Erhöhung des hauptberuflichen Personals geleistet.<br />
Der <strong>bei</strong> weitem größte Teil des Personals in <strong>der</strong> Weiterbildung entfällt auf die<br />
Lehrenden. Da<strong>bei</strong> handelt es sich um eine im Hinblick auf Ausbildung und Studium,<br />
pädagogische Erfahrung, Beschäftigung und Präsenz in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung sehr<br />
heterogene Gruppe. Nach ihrem beruflichen Status lassen sich - vereinfacht gesagt -<br />
die folgenden Gruppen unterscheiden:<br />
- Da sind zunächst die ehrenamtlichen Mitar<strong>bei</strong>ter, die insbeson<strong>der</strong>e in den <strong>bei</strong>den<br />
großen Kirchen und ihren Weiterbildungseinrichtungen von einiger Bedeutung<br />
sind und die ihre gemeindebezogene Bildungs- und Gesprächskreisar<strong>bei</strong>t weniger<br />
wegen des zu erwartenden Honorars leisten als vielmehr aus religiösem o<strong>der</strong><br />
kirchlichem Engagement (vgl. JÜTTING 1992; KNOBLAUCH-FLACH 1994).<br />
- Quantitativ im Vor<strong>der</strong>grund steht nach wie vor die große Gruppe <strong>der</strong>jenigen, die<br />
nebenberuflich in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung Kurse o<strong>der</strong> Seminare leiten (vgl.<br />
KNOLL 1974).<br />
- Hinzu kommen freiberuflich tätige Mitar<strong>bei</strong>ter, die als sogenannte „neue<br />
Selbständige“ vorzugsweise in <strong>der</strong> staatlich anerkannten Erwachsenenbildung<br />
(vgl. ARABIN 1996) o<strong>der</strong> als professionelle Dienstleister vorzugsweise in <strong>der</strong><br />
betrieblichen Weiterbildung (vgl. SEIPEL 1994) nicht nur ein „Honorar“ (im Sinne<br />
einer „würdigen Anerkennung“) verdienen wollen, son<strong>der</strong>n ihren Lebensunterhalt<br />
o<strong>der</strong> große Teile davon durch Lehre, Training o<strong>der</strong> Beratung bestreiten. Ob diese<br />
Freiberufler sich selbst eher als „Subunternehmer“ o<strong>der</strong> eher als „Mitar<strong>bei</strong>ter“ <strong>der</strong><br />
Institutionen verstehen, ist weithin unbekannt (vgl. EFFINGER/KÖRBER 1994).<br />
- Schließlich seien die - vergleichsweise wenigen - angestellten Lehrkräfte genannt.<br />
Diese „Weiterbildungslehrer“ ar<strong>bei</strong>ten - befristet o<strong>der</strong> unbefristet - z.B. in AFGgeför<strong>der</strong>ten<br />
Qualifizierungsmaßnahmen o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> bundesweit agierenden<br />
Sprachschulen wie Berlitz, Inlingua o<strong>der</strong> den Goethe-Instituten, in <strong>der</strong> Regel auf<br />
<strong>der</strong> Basis von (Haus-) Tarifverträgen (vgl. DRÖLL 1994, S. 76 ff.). In <strong>der</strong><br />
öffentlich geför<strong>der</strong>ten Weiterbildung verdanken Weiterbildungslehrer ihre<br />
Festanstellung oft erfolgreichen Klagen vor Ar<strong>bei</strong>tsgerichten.<br />
Während die <strong>bei</strong>den zuerst genannten Gruppen so „alt“ sind wie die<br />
institutionalisierte Weiterbildung, tauchen die <strong>bei</strong>den an<strong>der</strong>en Gruppen in größerer<br />
Zahl infolge <strong>der</strong> beträchtlichen Ausweitung des Weiterbildungsangebots erst in den<br />
letzten <strong>bei</strong>den Jahrzehnten auf und haben zu einer Differenzierung <strong>der</strong> beruflichen<br />
Situation von Lehrkräften in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung <strong>bei</strong>getragen. Während<br />
60
Frauen/Männer<br />
Akademisierung<br />
Knoll (1974) in einer frühen empirischen Untersuchung an Volkshochschulen noch<br />
wie selbstverständlich von „nebenamtlichen Mitar<strong>bei</strong>tern in <strong>der</strong><br />
Erwachsenenbildung“ sprach, haben neuere empirische Untersuchungen<br />
insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> sogenannten „neuen Selbständigen“ Aufmerksamkeit<br />
geschenkt (z.B. DIECKMANN u.a. 1981, SCHERER 1987, BECHBERGER 1990,<br />
DIECKMANN 1992, BECHER/DINTER/SCHÄFFTER 1993, ARABIN 1996).<br />
In einer früheren Untersuchung des Instituts für Erwachsenen-Bildungsforschung<br />
konnten die Anteile dieser Beschäftigtengruppen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Lehrenden<br />
in <strong>Bremen</strong> sowie ihre Anteile am Weiterbildungsangebot geschätzt werden<br />
(SCHRADER 1998). Die folgende Tabelle zeigt die hier unterschiedenen vier Gruppen<br />
von Lehrenden mit ihrem Anteil am gesamten Veranstaltungsangebot.<br />
Tabelle 6: Gruppen von Lehrenden mit Anteilen am Veranstaltungsangebot<br />
Gruppen von Lehrenden nach<br />
Umfang <strong>der</strong> Lehrtätigkeit<br />
Anteil an den<br />
Lehrenden in %<br />
N=2675<br />
Anteil an Veranstaltungen<br />
in %<br />
N=8075<br />
Nebenberufliche, Ehrenamtliche 61,6 32,1<br />
„Teilzeit-Kräfte“ 26,0 35,1<br />
„Weiterbildungslehrer“ 4,5 3,3<br />
„Neue Selbständige“ 8,0 29,6<br />
Mit <strong>der</strong> Ausweitung des Veranstaltungsangebots hat sich auch die soziale Struktur<br />
des Lehrpersonals geän<strong>der</strong>t. Zwar liegen historische Vergleichsdaten lediglich für die<br />
öffentlich anerkannte Weiterbildung vor, jedoch ist anzunehmen, dass die Trends zur<br />
„Verberuflichung“, zur „Akademisierung“ und zur „Feminisierung“ auch für an<strong>der</strong>e<br />
Weiterbildungsbereiche gelten.<br />
Auch die Geschlechterverteilung unter den Lehrenden hat sich verän<strong>der</strong>t. Waren<br />
1979 noch ca. 40% <strong>der</strong> Lehrenden <strong>bei</strong> den staatlich anerkannten bremischen<br />
Weiterbildungsanbietern Frauen, so sind es 1992 bereits ca. 60%. Innerhalb dieses<br />
„feminisierten“ Ar<strong>bei</strong>tsmarktes zeichnet sich eine geschlechtsspezifische<br />
Ar<strong>bei</strong>tsteilung ab: Frauen unterrichten überwiegend in den Fachbereichen <strong>der</strong><br />
allgemeinen Weiterbildung (Fremdsprachen, Gesundheits- und soziale Bildung) und<br />
damit auch vorzugsweise <strong>bei</strong> den staatlich anerkannten und gemeinnützigen<br />
Weiterbildungsanbietern mit vergleichsweise bescheidenen Honoraren (vgl. DRÖLL<br />
1994, S. 74); Männer sind überrepräsentiert in <strong>der</strong> - deutlich lukrativeren -<br />
innerbetrieblichen Weiterbildung, nahezu in allen Fachbereichen <strong>der</strong> beruflichen<br />
Weiterbildung einschließlich <strong>der</strong> EDV-bezogenen Bildung und - nach wie vor - auch<br />
in <strong>der</strong> politischen Weiterbildung.<br />
Der dritte von Scherer skizzierte Trend, <strong>der</strong> Trend zur Akademisierung, läßt sich<br />
wohl für die Universitätsstadt <strong>Bremen</strong> ebenfalls unterstellen. Angebotszuwächse,<br />
thematische Schwerpunktverlagerungen und die Beschäftigungsmöglichkeiten <strong>der</strong><br />
Lehrkräfte sind wechselseitig voneinan<strong>der</strong> abhängig: Eine Expansion des Angebots<br />
in bestimmten Bereichen ist nur dann möglich, wenn - gemessen an den gefor<strong>der</strong>ten<br />
Qualifikationen und dem in Aussicht gestellten Honorar - genügend Lehrkräfte<br />
61
Spezialisten und<br />
Generalisten<br />
Strategien zur<br />
Verberuflichung<br />
von Lehrtätigkeiten<br />
vorhanden sind; umgekehrt bieten sich Beschäftigungsmöglichkeiten für die<br />
Lehrenden nur <strong>bei</strong> einer entsprechenden Nachfrage. We<strong>der</strong> die Nachfrage noch die<br />
Zahl <strong>der</strong> Lehrenden sind aber fixe Größen, son<strong>der</strong>n werden jeweils von <strong>der</strong><br />
Entwicklung des an<strong>der</strong>en Faktors (mit) beeinflußt.<br />
Ein Blick auf die beschäftigenden Institutionen und das Themenangebot <strong>der</strong><br />
Lehrenden zeigt, dass die Viel-Unterrichtenden sich auf die großen<br />
Weiterbildungsanbieter mit breitem Angebotsspektrum („Allround-Anbieter“)<br />
konzentrieren: So realisieren die Lehrenden <strong>der</strong> Gruppe 4 (die „neuen<br />
Selbständigen“) etwa 75% ihrer Veranstaltungen <strong>bei</strong> den - nach<br />
Veranstaltungszahlen - vier großen bremischen Weiterbildungsanbietern: <strong>bei</strong> den<br />
<strong>bei</strong>den Volkshochschulen sowie <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts- und Sozialakademie <strong>der</strong><br />
Angestelltenkammer und <strong>der</strong> evangelischen Familienakademie. Bei diesen Anbietern<br />
können freiberuflich tätige Lehrende eine Vielzahl von Kursen platzieren, ohne<br />
zugleich mit einer größeren Zahl von Einrichtungen kooperieren zu müssen.<br />
Fragt man, mit welchen Strategien und Qualifikationen sich die „neuen<br />
Selbständigen“ vermarkten und gleichzeitig ein großes Unterrichtsvolumen<br />
realisieren, so bieten sich ihnen, vereinfacht gesagt, zwei Möglichkeiten: Sie<br />
konzentrieren sich als Spezialisten auf wenige Themen und versuchen, diese <strong>bei</strong><br />
einem o<strong>der</strong> auch <strong>bei</strong> mehreren (großen) Weiterbildungsanbietern möglichst häufig zu<br />
plazieren. Eine solche Strategie verspricht am ehesten Erfolg in großen<br />
Fachbereichen. Aus diesem Grund konzentriert sich ein Teil (<strong>der</strong> kleinere) <strong>der</strong><br />
freiberuflich Lehrenden z.B. auf Fremdsprachenkurse, Kurse im Gesundheitsbereich<br />
(Rückengymnastik, Yoga) o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> EDV. Die zweite Option besteht darin, ein<br />
möglichst breites, eventuell um einen harten Kern herum „entfaltetes“<br />
Themenspektrum anzubieten. Dies ist am ehesten möglich in <strong>der</strong> politischen,<br />
sozialen und personalen Weiterbildung o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vermittlung formaler<br />
Schlüsselqualifikationen. Diese Gruppe unter den Freiberuflern könnte man als<br />
Generalisten unter den Lehrenden bezeichnen, sie sind gleichsam die Fachleute fürs<br />
„Allgemeine“ und „Alltägliche“. Hier zählen vor allem „weiche“ Qualifikationen,<br />
eine fachliche o<strong>der</strong> gar fachwissenschaftliche Kompetenz muß ergänzt und kann<br />
gegebenenfalls kompensiert werden durch Lebens- o<strong>der</strong> Lehrerfahrung.<br />
Nimmt man das als <strong>bei</strong>spielhaft für viele an<strong>der</strong>e stehende Angebotsprofil und<br />
berücksichtigt gleichzeitig, dass die Ausweitung des Veranstaltungsangebots ohne<br />
eine entsprechende Einstellung von planend-disponierendem Personal geleistet<br />
wurde, so kann man annehmen, dass <strong>bei</strong> den aktuellen Ar<strong>bei</strong>ts- und<br />
Finanzierungsbedingungen in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung vor allem folgende Strategien<br />
aussichtsreich sind für diejenigen, die eine Lehrtätigkeit in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung<br />
zu ihrem Hauptberuf gemacht haben o<strong>der</strong> mindestens zu einer wichtigen Teilzeit-<br />
Beschäftigung: Für die Viel-Unterrichtenden, für die Spezialisten und mehr noch für<br />
die Generalisten, sind die Aussichten auf Beschäftigung und Einkommen dann<br />
relativ gut, wenn sie nicht darauf warten, von einem Programmplaner verpflichtet zu<br />
werden, son<strong>der</strong>n wenn sie selbst die Initiative ergreifen und<br />
Veranstaltungsangebote zu platzieren versuchen. Bei einer solch offensiven<br />
Marktstrategie bestimmen sie das Profil <strong>der</strong> Einrichtungen mit und tragen - neben <strong>der</strong><br />
Überlastung vieler Programmplaner - zur andauernden „Agenturverfassung“ <strong>der</strong><br />
Weiterbildung <strong>bei</strong>. In thematischer Hinsicht erscheint es günstig, sich auf die<br />
62
Lehrkräfte als<br />
Subunternehmer<br />
ohne feste<br />
Bindung<br />
Einführung in Themengebiete zu konzentrieren. Denn ein differenziertes,<br />
unterschiedliche Niveaustufen berücksichtigendes Angebot erfor<strong>der</strong>t vergleichsweise<br />
hohe Investitionen - in die Entwicklung von Seminarkonzepten und die eigene<br />
(fachliche) Fortbildung - <strong>bei</strong> durchaus ungewissem Ertrag. Schließlich liegt es nahe,<br />
eher weiche Themen anzubieten, die eine breite Teilnehmerschaft ansprechen<br />
(Anfänger und Fortgeschrittene) und diese nicht sogleich durch erwartete<br />
Lernanstrengungen abschrecken. Die Teilnahme an in <strong>der</strong> Regel unbezahlter<br />
Kursleiterfortbildung steht in Konkurrenz zu bezahlter Lehrtätigkeit und erschiene<br />
erst dann attraktiv, wenn die Einrichtungen anschließend ein höheres Honorar o<strong>der</strong><br />
eine Ausweitung <strong>der</strong> Beschäftigung anbieten könnten. Schließlich ist eine rationelle<br />
Kurs- und Seminarplanung inklusive eines effizienten Zeitmanagements<br />
unabdingbar, um zu einem Einkommen zu kommen, das mehr ist als ein<br />
Zusatzverdienst und das eine Lebensführung deutlich oberhalb des<br />
Sozialhilfeniveaus nicht von vornherein ausschließt. Denn nach <strong>der</strong> Untersuchung<br />
von ARABIN (1996, S. 87 ff.) ar<strong>bei</strong>ten die „Kursleiter neuen Typs“ überwiegend<br />
für etwa 30-35 DM in <strong>der</strong> Stunde, und nur einige wenige kommen auf ein Brutto-<br />
Monatseinkommen während eines laufenden Semesters von über 2200 DM, von dem<br />
nicht nur <strong>der</strong> Lebensunterhalt, son<strong>der</strong>n die gesamte soziale Absicherung (Krankenund<br />
Rentenversicherung, ggfls. Krankenhaustagegeldversicherung) bestritten werden<br />
muß. Dies wird erschwert dadurch, dass entgegen dem beobachtbaren und auch<br />
proklamierten Trend zur Dienstleistungsökonomie die sozialen Sicherungssysteme<br />
immer noch auf „Normalar<strong>bei</strong>tsverhältnisse“ hin ausgelegt sind, die ein ganzes<br />
Berufsleben lang andauern. Nicht zuletzt ist daher den Belastungen standzuhalten,<br />
die sich aus einem ungeklärten und prekären beruflichen Status ergeben können.<br />
Soweit einige historische Vorbemerkungen. In <strong>der</strong> Tat beschreiben auch die Experten<br />
dieser Untersuchung für die allgemeine Weiterbildung einen Trend zur<br />
Auswan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Programmplanung aus den Einrichtungen hin zu den<br />
Lehrenden, <strong>der</strong> in den zuvor zitierten Statistiken noch als Hypothese formuliert<br />
werden musste.<br />
Das Profil einer Einrichtung wird immer mehr von den Lehrenden mitbestimmt, die<br />
sich eher als Subunternehmer denn als Mitar<strong>bei</strong>ter einer Einrichtung verstehen und<br />
die sich – aus Gründen <strong>der</strong> Themen- und Marktökonomie - we<strong>der</strong> an eine bestimmte<br />
Einrichtung binden wollen noch können. Die Weiterbildungseinrichtungen<br />
erhalten so wie<strong>der</strong> den Charakter eines Agenturbetriebes, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />
Bildungsreform und <strong>der</strong> Professionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung gerade<br />
überwunden werden sollte. So stellt <strong>der</strong> Leiter des Fachbereichs EDV in einer<br />
öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung fest:<br />
„Die Dozenten [...] haben erst mal grundsätzlich keine Anbindung ans Haus. Die wollen<br />
ihren Job machen, die wollen ihr Geld verdienen, die müssen davon leben. Ich rede jetzt<br />
von den freiberuflichen Dozenten, weniger von den an<strong>der</strong>en, die haben eher eine<br />
Anbindung an uns, ich sage mal so gestandene ältere Herren, die so neben<strong>bei</strong> so ein<br />
bisschen was machen, aber die freiberuflichen Dozenten nicht. Und die Anbindung geht<br />
fast ausschließlich über die Person, die sie einsetzen. Jemand was abzusagen, dem man<br />
mal tief in die Augen geguckt hat, ist schwieriger als einer Institution, da kann man<br />
sagen, ja ich habe jetzt einen besseren Auftrag und so, fertig aus. Und das wird sich<br />
verstärken. Das sind eher Subunternehmer und weniger Leute, die sich <strong>bei</strong> uns<br />
angebunden fühlen. Die Anbindung kommt darüber, dass wir die Geräte haben, dass wir<br />
die Infrastruktur zur Verfügung stellen, deshalb machen sie das eher <strong>bei</strong> uns, weil das<br />
63
Intensive<br />
Einbindung<br />
externer Trainer<br />
in <strong>der</strong> innerbetrieblichen<br />
Weiterbildung<br />
eher funktioniert, weil viel Hintergrund da ist und Pflege als <strong>zum</strong> Beispiel <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
[Name eines an<strong>der</strong>en Anbieters], weil sie sagen, na ja, da weiß ich nie, wenn ich ein<br />
Seminar mache, ob die Geräte laufen, dann kriege ich das ganz ab, dann mache ich es<br />
lieber <strong>bei</strong> denen. Aber eine Bindung an die Institution an sich wird immer weniger.“<br />
(Interview 14, S.23)<br />
Nicht nur die Bindung <strong>der</strong> Lehrenden an die Einrichtung schwindet, son<strong>der</strong>n auch die<br />
darauf bezogenen Erwartungen <strong>der</strong> internen Mitar<strong>bei</strong>ter. Das kommt in den<br />
Ausführungen eines Mitar<strong>bei</strong>ters aus <strong>der</strong> gewerkschaftsnahen politischen Bildung<br />
deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck, wo „Bindung“ an die Einrichtung als „gewisse Nähe“<br />
interpretiert wird und nicht mehr das Mitgliedsbuch verlangt:<br />
„Erwarten tun wir schon, sagen wir mal, eine gewisse Nähe zu gewerkschaftlichen<br />
Zusammenhängen, Kenntnis <strong>zum</strong>indest von gewerkschaftlichen Zusammenhängen, eine<br />
Übereinstimmung <strong>zum</strong>indest insoweit, dass für abhängig Beschäftigte Gewerkschaften<br />
als eine zentrale Instanz akzeptiert werden, die Interessenvertretung organisiert. Wir<br />
machen es formal nicht mehr abhängig sagen wir mal, dass jemand das Mitgliedsbuch<br />
zeigen muss, obwohl das schon natürlich gern gesehen wird, aber das ist ein zentraler<br />
Aspekt.“ (Interview 12, S. 29)<br />
Gewerkschaftsnahe Bildungsar<strong>bei</strong>t, die hier als exemplarisch für die Ar<strong>bei</strong>t<br />
weltanschaulich gebundener Einrichtungen gewählt wurde, steht damit vor <strong>der</strong><br />
schwierigen Aufgabe, mit Hilfe von Bildung eine Überzeugungsgemeinschaft zu<br />
reproduzieren, während gleichzeitig sowohl die Bindung <strong>der</strong> Teamer als auch die <strong>der</strong><br />
abhängig Beschäftigten als Adressaten an diese Überzeugungsgemeinschaft<br />
nachlässt.<br />
Eine gegenläufige Entwicklung beschreiben die befragten Experten für die<br />
innerbetriebliche Weiterbildung und Personalentwicklung: Auch hier wird das<br />
wachsende Weiterbildungsvolumen <strong>bei</strong>nahe ausschließlich von externen Trainern<br />
und Beratern bestritten, die aber immer intensiver in die Bedarfsermittlung, die<br />
Konzeptentwicklung, die Evaluation, kurz: in die Begleitung von<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozessen einbezogen werden.<br />
„Wichtig ist, dass, was die Qualität des Angebotes betrifft, das neue Level ist, dass sie<br />
bereit sind, sich inhaltlich auf unsere Konzeptionen einzulassen, weil das ist nämlich<br />
genau <strong>der</strong> Punkt, wo man hinschauen muss.“ (Interview 5, S. 13)<br />
Die Gefahren <strong>bei</strong> <strong>der</strong> (schwierigen) Auswahl <strong>der</strong> Externen werden <strong>zum</strong> einen darin<br />
gesehen, dass man sich für bestimmte, „mo<strong>der</strong>ne“ Methoden entscheidet und die<br />
konkreten Bedingungen vor Ort vernachlässigt (Interview 5, S. 14): Weg von den<br />
vorkonfektionierten Angeboten und hin zu den passgenauen und bedarfsgerechten<br />
Konzepten. Das Ziel besteht in einer gemeinsamen, ar<strong>bei</strong>tsplatznahen<br />
Problemlösung und nicht in <strong>der</strong> Übernahme fertiger Konzepte:<br />
„Ich sage mal, wir sind in einem gemeinsamen Lernprozess, und zu glauben, dass<br />
Beratung einen deutlichen Vorsprung hat vor dem Know-how, das man selber hat, das<br />
ist nicht <strong>der</strong> Fall, son<strong>der</strong>n ich glaube, das, was im Augenblick passiert in <strong>der</strong> Wirtschaft,<br />
also die Verän<strong>der</strong>ungen und die Dynamik, die dahinter ist, die ist so neu, das merken<br />
Sie auch, wenn Sie einfach mal in die Begleitliteratur, auch in die wissenschaftliche<br />
Begleitung gucken, die kommen ja nicht mit. Also von <strong>der</strong> betriebswirtschaftlichen<br />
Seite her, von <strong>der</strong> volkwirtschaftlichen Seite her, von <strong>der</strong> OE-Seite her, das ist ein<br />
gemeinsames Lernen, Ausgucken, Interpretieren, das ist nicht so, wie es vielleicht<br />
früher mal gewesen ist, dass es wirklich ein Wissen gab und dass dieses Wissen im<br />
Prinzip auch angewendet werden konnte, son<strong>der</strong>n es ist ein gemeinsamer<br />
64
Therapeutisierung<br />
<strong>der</strong><br />
Erwachsenenbildung<br />
Entwicklungsprozess, wo ich denke, die Beratung, und wenn da oft dann auch noch<br />
Institutionen, Institute hinter stehen, die Chance haben, durch die Mitar<strong>bei</strong>t in Betrieben<br />
Erfahrungswerte zu bekommen, die sie nutzen können, um wissenschaftliche Modelle<br />
weiter zu entwickeln. So ar<strong>bei</strong>ten <strong>zum</strong> Beispiel die [Name einer Institution], und das<br />
halte ich für sinnvoll und wenn man sich dessen bewusst ist, kann es auch zu<br />
erfolgreichen Kooperationen kommen. Aber ich glaube nicht, dass Beratung einen<br />
deutlichen Vorsprung hat.“ (Interview 5, S. 15)<br />
Die einen versuchen, zu dezentralen Lösungen zu kommen, die an<strong>der</strong>en halten an<br />
zentralen Lösungen – an <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Externen durch die Personalabteilung –<br />
fest, weil man nur so die notwendige Qualität sicherstellen zu können glaubt. Mit <strong>der</strong><br />
intensiveren Einbindung externer Dienstleister verschwinden auch die Grenzen<br />
zwischen Training und Beratung, wie bereits herausgestellt wurde. Da die<br />
innerbetrieblichen Verän<strong>der</strong>ungsprozesse aber immer stärker auch eine Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> personalen und sozialen Kompetenzen <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter erfor<strong>der</strong>n, drohen auch die<br />
Grenzen zwischen qualifizieren<strong>der</strong> und supervidieren<strong>der</strong> o<strong>der</strong> gar therapeutischer<br />
Ar<strong>bei</strong>t zu verschwinden. Phänomene <strong>der</strong> Therapeutisierung beobachten wir heute<br />
in allen Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, aber eben auch – und dort erscheint sie als<br />
beson<strong>der</strong>s sensibel – in <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung und<br />
Personalentwicklung. Von den Trainern werden häufig psychologische Kompetenzen<br />
gefor<strong>der</strong>t:<br />
„Ja, weil das in den Trainings, so wie wir sie jetzt machen, eben nicht mehr darum geht,<br />
irgendwelche Inhalte zu vermitteln, also wenn es jetzt darum geht, irgendwelche<br />
Kommunikationsbasics zu vermitteln, ich habe früher auch Rhetorik-Seminare gemacht,<br />
o<strong>der</strong> Führungsgrundlagen, das kann man vermitteln, wenn man methodisch didaktisch<br />
was drauf hat. Aber wenn man anfängt, mehr so supervisionsmäßig, sage ich mal, also<br />
wenn man jetzt an einzelnen Fällen ar<strong>bei</strong>tet und guckt, wie ist die Konstellation, was ist<br />
da passiert, wie ist <strong>der</strong> Konflikt entstanden, wie stellt sich <strong>der</strong> dar und was ist mit dir<br />
eigentlich los, wie verhältst du dich, dann geht das einfach richtig in den<br />
psychologischen Bereich herein, dann muss man dazu in <strong>der</strong> Lage sein,<br />
Persönlichkeiten zu verstehen, da muss man in <strong>der</strong> Lage dazu verstehen, was passiert im<br />
zwischenmenschlichen Bereich und dafür, wenn man nicht irgendwie ein ganz großes<br />
Naturtalent dafür ist, wovon ich erst mal nicht ausgehe, was ich erst mal auch nicht<br />
weiß, wenn ich einen Trainer einstelle, von daher ist für mich diese Qualifikation<br />
wichtig. Ich ar<strong>bei</strong>te eben gerne auch mit TA-Leuten zusammen, weil ich weiß, wenn<br />
jemand eine TA-Ausbildung gemacht hat, also ich weiß wie die Ausbildung abläuft, ich<br />
weiß, die müssen mindestens in <strong>der</strong> Größenordnung 6 Jahre diese Ausbildung machen,<br />
das läuft ganz viel über Supervisionen, die haben dann eine Basis.“ (Interview 13,<br />
S. 20)<br />
Aus <strong>der</strong> Perspektive eines kommerziellen Trainings- und Beratungsinstituts stellt<br />
sich <strong>der</strong>selbe Sachverhalt folgen<strong>der</strong>maßen dar:<br />
„Wir haben sehr viele Quereinsteiger, die aus <strong>der</strong> Praxis kommen, dann eine fundierte<br />
Trainerausbildung mit psychologischer Orientierung gemacht haben, aber ansonsten<br />
Feuerwehrmann. Einer unserer besten Trainer für gewerbliche Kunden ist ein<br />
Feuerwehrmann, <strong>der</strong> ist exzellent, <strong>der</strong> bringt die Beispiele so lebendig aus seinem<br />
Umfeld, also analog rüber, dass sich da je<strong>der</strong> was drunter vorstellen kann, und <strong>der</strong> kriegt<br />
hochwissenschaftliche Inhalte transportiert über Beispiele aus seinem Feuerlöschzug.<br />
Toll, <strong>der</strong> ist klasse, <strong>der</strong> spricht dann auch <strong>bei</strong> den Gewerblichen eher so <strong>der</strong>en Sprache,<br />
<strong>der</strong> ist brillant, <strong>der</strong> ist aber kein Psychologe, aber hat, <strong>der</strong> ist Naturpsychologe, wie je<strong>der</strong><br />
im Grunde, <strong>der</strong> hat eine <strong>der</strong>artige Intuition und eine Sensibilität, kriegt die aber<br />
gleichzeitig übersetzt in die manchmal sehr bodenständige Sprache, denn wir haben als<br />
Zielgruppe mit dem Anspruch nicht nur Topführungskräfte o<strong>der</strong> wissenschaftlich<br />
Vorgebildete, son<strong>der</strong>n auch den Spediteur o<strong>der</strong> den Trucker, <strong>der</strong> dann hinter dem<br />
65
Entschleunigung<br />
und Kurzzeitpädagogik<br />
Lenkrad sitzt über analoges Training, gleichnishaftes Training, aus <strong>der</strong> Erlebniswelt <strong>der</strong><br />
Teilnehmer gesuchte Beispiele bemühend, das ist so <strong>der</strong> Ansatz, wo sie das überall<br />
hinkriegen, denn je<strong>der</strong> trägt das alles in sich, diese Inhalte, je<strong>der</strong> hat das Verständnis<br />
und je<strong>der</strong> hat schon Beispiele erlebt, an denen er das dann festmachen kann, wo er<br />
Parallelen ziehen kann. Daraus ergibt sich noch ein Anspruch für die Trainer, sie sollen<br />
<strong>zum</strong>indest <strong>bei</strong> uns nicht primär Wissensvermittler sein, also nicht die, die vorne<br />
dozieren und die an<strong>der</strong>en berieseln mit irgendwelchem Input, dafür ist meistens die Zeit<br />
zu schade und auch zu teuer. Wir sehen Training eher so als Vernetzung von Inhalten.<br />
[...] Es gibt, wir kennen kaum Institute, die es so flächendeckend anwenden, wir lernen<br />
aber immer mehr Trainer kennen, beson<strong>der</strong>s aus therapeutischen Richtungen,<br />
Therapeuten, die sich dann bewerben und sagen, ich habe nie geahnt, vorgestern Abend<br />
hatte ich es gerade wie<strong>der</strong>, dass es auch ein Institut gibt, die das in die Wirtschaft<br />
transportieren, denn im Zwischenmenschlichen, im Therapeutischen ist das alles ein<br />
alter Hut, aber dass das jetzt auch hoffähig ist in <strong>der</strong> Wirtschaftswelt, das ist neu und<br />
das finde ich ja toll. Wir kriegen aus <strong>der</strong> Richtung hun<strong>der</strong>te von Bewerbungen, und das<br />
ist natürlich eine schöne Vorbildung, wenn sich jemand mit solchen Inhalten schon<br />
beschäftigt hat, aber die haben dann meistens den Mangel, was heißt Mangel, Defizit in<br />
den Wirtschaftserfahrungen und gehen manchmal zu therapeutisch daran, deswegen ist<br />
es manchmal ganz hilfreich, für jemanden, <strong>der</strong> Berufserfahrung in Konzernen o<strong>der</strong> in<br />
Firmen in <strong>der</strong> klassischen Wirtschaft, Profit, nicht nur Non-Profit hat und dann sich<br />
diese psychologisch orientierten Inhalte nacheignet.“ (Interview 4, S. 8, S. 10)<br />
Als zentrale Anfor<strong>der</strong>ungen an Trainer erscheinen vor diesem Hintergrund dann<br />
nicht zufällig Lebenserfahrung sowie die Fähigkeit, sich selbst nicht mehr in den<br />
Mittelpunkt stellen zu müssen (Interview 4, S. 6-8). Die Suche nach Sinnhaftigkeit<br />
begründet einen neuen Bedarf an Sinnstiftung (Interview 4, S. 10), <strong>der</strong> auch in<br />
Weiterbildungsmaßnahmen eingefor<strong>der</strong>t wird. Wenn Erwachsene an Veranstaltungen<br />
teilnehmen, dann erwarten sie häufig mehr als nur Wissensvermittlung und<br />
didaktische Anleitung: Es geht um Beratung, Unterstützung <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Anfor<strong>der</strong>ung, die eigene Biographie zu sichern und fortzuentwickeln, um<br />
therapeutische Begleitung, um „stellvertretende Inklusion“, kurz: um den<br />
paradoxen Versuch von „Entschleunigung“ unter den Bedingungen von<br />
Kurzzeitpädagogik. Wie Lehrkräfte darauf reagieren, darüber wissen wir noch<br />
wenig. Wenn es zutrifft, was Enno Schnitz bereits vor Jahren beschrieben hat, dass<br />
nämlich die Grenzen zwischen pädagogischem, therapeutischem und beratendem<br />
Handeln in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung verschwimmen und doch im Interesse <strong>der</strong><br />
Teilnehmenden und Lehrenden immer wie<strong>der</strong> klar definiert werden müssen, um die<br />
nötige Interaktionsbalance zwischen Primär- und Sekundärgruppenbeziehungen<br />
aufrechtzuerhalten, dann wird man wenig optimistisch sein. Handlungsstrategien<br />
an <strong>der</strong> Grenze von Therapie, Beratung und Bildung sind noch wenig ausgebildet,<br />
<strong>zum</strong>al wenn man in Rechnung stellt, dass <strong>der</strong> Zugang zu diesem Tätigkeitsfeld völlig<br />
ungeregelt ist und dass sich hier viele „Semiprofessionelle“ tummeln. Auf den<br />
Hinweis hin, dass gerade in <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung die Kunden und die<br />
Teilnehmenden in <strong>der</strong> Regel nicht identisch und dass daher Grenzüberschreitungen<br />
zur Therapie für abhängig Beschäftigte beson<strong>der</strong>s sensibel seien, versucht <strong>der</strong><br />
externe Berater, eine klare Grenze zwischen Training und Therapie zu definieren:<br />
„Aus <strong>der</strong>en Sicht, ich würde das gerne gleich noch näher ausführen, wo wir uns da ganz<br />
klar, und das ist unbedingt notwendig, von <strong>der</strong> Therapie abgrenzen. Wir gehen nicht so<br />
tief, wie ein Therapeut das vielleicht darf. Das wäre <strong>bei</strong> uns nicht erlaubt, ein Trainer<br />
o<strong>der</strong> Coach nach unserem Verständnis ist nicht, das wird schwierig, es gibt, das haben<br />
Sie vorhin schon von Herrn [Name eines Trainers] gehört, drei Ebenen, nach denen wir<br />
das einstufen, modellhaft, <strong>bei</strong>spielhaft. Es gibt eine bewusste Ebene, eine unterbewusste<br />
66
Ebene und eine unbewusste Ebene. Der Therapeut ar<strong>bei</strong>tet auch bis hinein in die<br />
unbewusste Ebene, <strong>bei</strong> uns wäre ganz klar darüber, dass wir den Kunden und Klienten<br />
o<strong>der</strong> dem Team o<strong>der</strong> dem Unternehmen nicht intellektuell vermitteln, ich glaube ihr<br />
habt ein Problem mit Vertrauen, dann gäbe es zwei Möglichkeiten <strong>bei</strong>m Kunden,<br />
entwe<strong>der</strong> er sagt, ich glaube, ihr habt einen Vogel, also Blockade, Abwehr, o<strong>der</strong> er sagt,<br />
kann sein, dass ihr Recht habt, also in seinem 3 %igen Bewusstsein verar<strong>bei</strong>tet er das<br />
intellektuell, aber es hat keine Folgen, weil er es nicht in den Bauch kriegt, er fühlt es<br />
nicht. Das heißt, wir würden ihm nicht sagen, wo es lang geht, son<strong>der</strong>n wir würden über<br />
Spiegelungen, über Impulse ihn selbst dahin führen, über Amplifikationen.“ (Interview<br />
4, S. 11)<br />
Der Wandel von <strong>der</strong> (allgemeinen) Wissensvermittlung zur (fallorientierten)<br />
Beratung wird von den Experten aber nicht nur im Blick auf die Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Prozessbegleitung <strong>bei</strong> innerbetrieblichen Verän<strong>der</strong>ungsprozessen formuliert, son<strong>der</strong>n<br />
auch mit Blick auf den Einsatz neuer Medien für die Zwecke von Weiterbildung und<br />
Personalentwicklung. Ein Experte aus einer anerkannten Weiterbildungseinrichtung<br />
formuliert:<br />
„Also diese Art Individualisierung und die an<strong>der</strong>e Seite, das ist dann vielleicht für<br />
Dozentenseite umso wichtiger, gerade wenn ich neue Medien, also Multimedia o<strong>der</strong><br />
selbstorganisiertes Lernen so als Schlagwort mit einführe, heißt, ich habe lauter<br />
Individuen, die irgendwo sich Dinge aneignen und damit beschäftigen, das heißt, <strong>der</strong><br />
kollektive Austauschprozeß ist ein völlig an<strong>der</strong>er, weil das Interesse des Einzelnen<br />
überdimensional im Raum steht und er auch gar nicht mehr so viel Einblick hat in das<br />
des an<strong>der</strong>en und <strong>der</strong> Dozent jetzt diese sehr heterogenen und individuellen Situationen<br />
<strong>der</strong> vielen einzelnen managen, mo<strong>der</strong>ieren, zueinan<strong>der</strong> bringen o<strong>der</strong> auch einzeln<br />
bear<strong>bei</strong>ten und beantworten muss, so, das heißt, die Anfor<strong>der</strong>ung an die<br />
Bildungseinrichtung o<strong>der</strong> das Personal in einer Bildungsfirma erhöht sich, weil <strong>der</strong><br />
Dozent ein Vielfaches von Chaosmanagement können und beherrschen muss und sagen<br />
wir mal ein Vielfaches von vorweggenommen Überlegungen organisieren muss. [...]<br />
Die Fähigkeit des Ausbil<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> die beson<strong>der</strong>e Fähigkeit, die gefor<strong>der</strong>t war, ist sich<br />
auf diese verschiedenen Leistungsstände, Situationen, Fähigkeiten einzulassen und das<br />
immer wie<strong>der</strong> zusammen zu bringen und zu mo<strong>der</strong>ieren und zu organisieren. Und das<br />
ist glaube ich, eine grundsätzliche pädagogische Fähigkeit, die schon immer gefor<strong>der</strong>t<br />
wurde, ich glaube, sie wird aber zugespitzt, schärfer, viel massiver gefor<strong>der</strong>t.“<br />
(Interview 6, S. 9)<br />
Ähnlich äußert sich ein Experte aus <strong>der</strong> innerbetrieblichen Weiterbildung:<br />
„Dieses technical skill training haben wir <strong>zum</strong> Beispiel für Außendienstmitar<strong>bei</strong>ter fast<br />
ausschließlich über CD-Roms. Wir haben natürlich über Telefontechnologie [...], o<strong>der</strong><br />
wir haben, ich weiß nicht, ob man das Lernstudio nennen sollte, aber wenn wir ein<br />
neues technisches Lernen anbieten, gibt es eine Gruppe von Mitar<strong>bei</strong>tern, die sich für<br />
die Umsetzung dieses Lernens interessieren, die sich darum kümmern und die dann eine<br />
zentrale Funktion für die Lernenden, aber eben nur für diese kurze Zeit spielen. Ich<br />
glaube Zeit ist ein ganz entscheiden<strong>der</strong> Begriff, wo sie nicht mehr die Chance wie<br />
früher haben. Früher äußerte sich das so in Manuals, da war man stolz, wenn man<br />
endlich mal das, was man durchdacht hatte, in solchen Ordnern zusammen packte, in<br />
sections und dann wurde das wie wo eine Führerscheinprüfung durchlaufen. Das ist<br />
radikal verschwunden. Das sind eher Menschen, die eine gute Beobachtung für Trends<br />
eben haben, für Entwicklung, die eine gute didaktische methodische Begabung haben<br />
und die Informationstransfer sehr schnell in Bewegung setzen können und das läuft<br />
auch eben über positiven Konflikt, positive Konfrontation im Unternehmen, auch<br />
positive Provokation im Unternehmen und Provokation läuft <strong>bei</strong> uns sehr viel über<br />
dieses Intranet.“ (Interview 7, S. 14)<br />
Noch schärfer formuliert es eine Beobachterin aus <strong>der</strong> Weiterbildungspolitik:<br />
67
Steigende<br />
Bedeutung <strong>der</strong><br />
Lehrenden<br />
Zusammenfassung<br />
„Stark akzentuiert: Ein Dozent ist zukünftig mehr ein Coach als ein Vater, weil er die<br />
Verantwortung, eh, wenn wir sagen <strong>der</strong> Einzelnen hat die Verantwortung für seinen<br />
Lernprozeß, dann ist das die Konsequenz und das Dienstleistungsverhältnis wird<br />
deutlicher., die beraten ne. Und deshalb werden sich die Kompetenzen än<strong>der</strong>n müssen<br />
und werden sich än<strong>der</strong>n . Hinzukommt, und deshalb glaube ich, dass die Ansprüche an<br />
unsere Dozentinnen und Dozenten höher werden, noch höher werden, obwohl ich eben<br />
gesagt habe, wir können für ihre soziale Absicherung nichts tun, kommt da hinzu, dass<br />
neben dem, all dem, was ich wissen muß, auch die Methodenkompetenz sich stark<br />
än<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Umgang mit <strong>der</strong> Technik perfekt sein muß. Ich darf nicht mehr<br />
Lernen<strong>der</strong> sein, son<strong>der</strong>n ich muß in allen drei Bereichen wirklich gut sein, erfahren sein,<br />
um überhaupt beraten zu können. Ich kann, es reicht nicht mehr zwei Seiten, ich weiß,<br />
es ist nie so gewesen, aber ich karikiere, im Lehrbuch sich im Stoff zwei Seiten weiter<br />
vorzuhangeln, weil man weiß, die Leute sitzen da, dürfen sowieso nicht viel sagen und<br />
schreiben mit, weil es droht die Prüfung. Das ist vor<strong>bei</strong>. Entwe<strong>der</strong> ich bin souverän und<br />
kann, so souverän, dass ich unterstützen kann, das ist find ich das Schwierigste<br />
überhaupt, o<strong>der</strong> ich werde baden gehen. In dem Timeprogramm, was <strong>Bremen</strong><br />
verabschiedet hat, was jetzt anläuft und in 2002 richtig greift, ist ein starker Akzent<br />
gesetzt auf Multiplikatorenschulung und selbstverständlich geöffnet für die freiberuflich<br />
Tätigen in den Bereichen Wissenschaft, Weiterbildung.“ (Interview 10, S. 19)<br />
Gemeinsam ist <strong>der</strong> betrieblichen und <strong>der</strong> anerkannten Weiterbildung sicherlich, dass<br />
die Bedeutung <strong>der</strong> Lehrenden für die Qualität <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t insgesamt deutlich an<br />
Gewicht gewinnt. Dass damit beson<strong>der</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen an die Auswahl geeigneter<br />
Dozenten, Trainer und Berater gestellt werden angesichts eines Marktes, <strong>der</strong> von<br />
allen Experten übereinstimmend als völlig unübersichtlich beschrieben wird, liegt<br />
auf <strong>der</strong> Hand. Die Ar<strong>bei</strong>tsteilung zwischen internen und externen<br />
Personalentwicklern wird nach <strong>der</strong> Erwartung <strong>der</strong> meisten Experten auch in Zukunft<br />
so bleiben:<br />
„Solange ich das beeinflussen kann, wird es so bleiben wie es jetzt ist, weil die Qualität<br />
von Personalentwicklung im Unternehmen macht für mich eben aus, dass man das<br />
wirklich auf die Belange des Unternehmens und auf die Belange <strong>der</strong> konkreten<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter maßschnei<strong>der</strong>n kann, wenn ich was rausgebe, ist immer die Gefahr, deshalb<br />
versuchen wir auch, die Leute möglichst nicht zu externen Seminare zu schicken, weil<br />
wir da keinen Einfluss mehr drauf haben, was da genau gemacht wird, welcher Trainer<br />
das macht o<strong>der</strong> ob wir das überhaupt brauchen usw. Bei uns wird es sicherlich eher so<br />
bleiben wie es ist. Ich glaube auch nicht, dass das ein Trend sein wird, dass mehr an<br />
Personalentwicklungsar<strong>bei</strong>t nach draußen verlagert wird. Damit macht man im Grunde<br />
genommen ein Stück weit natürlich, man entzieht sich selbst denke ich mir, so ein Stück<br />
weit den Boden unter den Füßen, wenn Personalentwicklung im Unternehmen Sinn<br />
macht, dann macht es ja gerade deshalb Sinn, weil man möglichst<br />
unternehmensspezifisch und bedarfsgerecht das genau maßschnei<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Trend<br />
geht ja in den letzten Jahren eher dahin, noch mehr genau zu gucken, auch weg von<br />
internen Standardmaßnahmen im Grunde genommen.“ (Interview 13, S. 16)<br />
Der Bedarf an Qualitätssicherung in diesem Bereich wird auch von<br />
erwerbswirtschaftlichen Instituten formuliert:<br />
„Schwer. Es gibt sicherlich einen ganzen Haufen an schwarzen Schafen, das klingt jetzt<br />
so negativ, die meinen es ja alle nicht böse, aber an Qualifikationen im Markt, die wir<br />
für nicht adäquat halten, aber das ist dann auch wie<strong>der</strong> nur unser Anspruch. Trainer und<br />
Coach darf sich je<strong>der</strong> nennen, und was da dann hinter steckt, muss <strong>der</strong> Endverbraucher,<br />
<strong>der</strong> Kunde beurteilen, und das lässt sich meistens nur über eine Beziehungsebene<br />
darstellen, wenn <strong>der</strong> Kunde Vertrauen hat und sich irgendwie wohlfühlt mit dem<br />
Trainer, dann ist es in Ordnung, solange er nicht irgendwie über den Tisch gezogen<br />
wird. Für den Endverbraucher ist es schwer.“ (Interview 4, S. 17)<br />
68
Manche Unternehmen bezeichnen das Angebot des „Massenmarktes“ als junk meal,<br />
sie konzentrieren sich statt dessen auf wenige Kooperationspartner, mit denen sie<br />
langjährig zusammenar<strong>bei</strong>ten, und darauf, die eigenen Führungskräfte in die Lage zu<br />
versetzen, Aufgaben <strong>der</strong> Personalentwicklung zu übernehmen (Interview 7, S. 18).<br />
Ansonsten zieht man sich, wie bereits beschrieben, auf Auswahlstrategien zurück,<br />
die Empfehlungen von vertrauenswürdigen Berufskollegen und eigenen Erfahrungen<br />
ein großes Gewicht <strong>bei</strong>messen:<br />
Zusammenfassend lassen die hier befragten Experten die folgenden Entwicklungen<br />
als wichtigste Trends erkennen,<br />
- dass die Programmplanung in <strong>der</strong> öffentlich anerkannten auswan<strong>der</strong>t, während die<br />
Unternehmen den umgekehrten Weg <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong> Externen in die<br />
innerbetrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung gehen;<br />
- dass die Grenzen zwischen Training und Therapie sowie zwischen Training und<br />
Beratung schwinden;<br />
- dass die Dozenten <strong>der</strong> Zukunft weniger Wissensvermittler als Lern-, Lebens- und<br />
Organisationsberater sein werden;<br />
- dass sie neue Aufgaben erhalten in <strong>der</strong> Gestaltung von Lernarrangements und <strong>der</strong><br />
Steuerung von Lernprozessen (mit Blick auf die neuen Medien).<br />
11. Perspektiven des Lehrens und Lernens in <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft: Abschließende Thesen<br />
Die vorangegangenen Kapitel haben in einem breit angelegten Überblick zahlreiche<br />
Aspekte des Lehrens und Lernens in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft behandelt. Da<strong>bei</strong> ging<br />
es uns nicht in erster Linie darum, vorhandene theoretische Konzepte empirisch zu<br />
prüfen, weiterzuentwickeln o<strong>der</strong> gar selbst theoriebildend zu ar<strong>bei</strong>ten, son<strong>der</strong>n vor<br />
allem darum, die Wahrnehmungen und Deutungen zentraler Akteure <strong>der</strong> bremischen<br />
Weiterbildungslandschaft zur Darstellung zu bringen. Das Ergebnis ist ein<br />
Abschlussbericht, <strong>der</strong> in seinen dichten Beschreibungen beson<strong>der</strong>en Wert auf<br />
Anschaulichkeit legt und daher interviewte Experten ausführlich zu Wort kommen<br />
lässt. Dies entspricht den Interessen des Auftraggebers ebenso wie den<br />
Forschungsinteressen, die unter den gegebenen Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen zur Geltung<br />
gebracht werden konnten. Abschließend sollen nun – thesenartig zugespitzt - einige<br />
Perspektiven für die Herausfor<strong>der</strong>ungen, die Aufgaben und die Optionen von<br />
Weiterbildungsanbietern in <strong>der</strong> sich etablierenden Wissensgesellschaft skizziert<br />
werden. Mehr kann und will <strong>der</strong> außenstehende Beobachter nicht leisten.<br />
Konsequenzen und Empfehlungen für ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte<br />
Weiterbildungsanbieter können und sollen nur diejenigen formulieren, die auch<br />
Verantwortung für die Ar<strong>bei</strong>t dieser Einrichtungen tragen.<br />
Bereits einleitend war <strong>bei</strong> den knappen Referaten über die wichtigsten theoretischen<br />
Studien deutlich geworden, dass mit dem Begriff <strong>der</strong> Wissensgesellschaft an<strong>der</strong>es<br />
und mehr gemeint ist als eine Gesellschaft, die durch Wissenschaft geprägt ist, und<br />
69
dass ihre soziale und pädagogische Praxis schon gar nicht auf den Einsatz <strong>der</strong> neuen<br />
Informations- und Kommunikationstechniken für Zwecke des Lehrens und Lernens<br />
beschränkt ist. Als ihr zentrales Charakteristikum, ihr „axiales Prinzip“, wie es <strong>bei</strong><br />
Daniel Bell heißt, kann die Tatsache gelten, dass Wissen neben Ar<strong>bei</strong>t und Eigentum<br />
zu einer zentralen Ressource gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer<br />
Strukturierung wird. Am greifbarsten wird ihre Realität durch die steigende Zahl<br />
<strong>der</strong>jenigen, die beruflich mit <strong>der</strong> Generierung und Verteilung von Wissen befasst<br />
sind. Erwachsenenbildung stellt eine wichtige und wichtiger werdende Institution<br />
dar, die diesen wachsenden Bedarf an Wissensar<strong>bei</strong>t befriedigt. Aber auch an<br />
an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Orten und in an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Institutionen ist<br />
eine wachsende Zahl von Experten, Ratgebern und Beratern damit beschäftigt,<br />
Wissen zu produzieren, Wissensdistribution zu gewährleisten und Wissen über<br />
Wissen zur Verfügung zu stellen.<br />
Die Wissensgesellschaft erfor<strong>der</strong>t einen ständigen Neuentwurf von Lern- und<br />
Sozialisationsprozessen, da die Grundlagen des Lebens und Ar<strong>bei</strong>tens ständig durch<br />
neue Wissensbestände erweitert werden. Lebenslanges und lebensbegleitendes<br />
Lernen bleiben daher nicht mehr nur bildungspolitische Maßgabe, son<strong>der</strong>n werden<br />
für immer mehr Erwachsene zu einer realen, mehr und mehr in Eigenverantwortung<br />
zu erfüllenden Anfor<strong>der</strong>ung, die sowohl durch organisiertes als auch<br />
selbstorganisiertes Lernen erfüllt wird. Dies lässt sich u.a. an den Daten des<br />
Berichtssystems Weiterbildung ablesen, die für die organisierte Weiterbildung in<br />
Form von Kursen und Seminaren seit Jahren steigende Teilnahmequoten ausweisen.<br />
Dass die weicheren, mehr informellen Lernen des Lernens ebenfalls häufiger genutzt<br />
werden, steht mit dem ersten Befund nicht im Wi<strong>der</strong>spruch, son<strong>der</strong>n ergänzt ihn.<br />
Dass die bildungspolitische und wissenschaftliche Diskussion <strong>der</strong>zeit stärker die<br />
Selbststeuerung und die Eigenverantwortung erwachsener Lerner betonen und<br />
forcieren möchten, min<strong>der</strong>t die Bedeutung <strong>der</strong> organisierten Formen des Lernens<br />
nicht.<br />
Wenn hier – gleichsam gegen den <strong>der</strong>zeitigen Meinungstrend - die fortschreitende<br />
Institutionalisierung <strong>der</strong> Weiterbildung beson<strong>der</strong>s herausgehoben wurde, so darf man<br />
doch nicht übersehen, dass ihre Grenzen sichtbarer geworden sind. Dies zeigt sich<br />
u.a. an den Aporien <strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>tsamtgeför<strong>der</strong>ten beruflichen Weiterbildung, an <strong>der</strong><br />
Stagnation traditioneller Zielgruppenar<strong>bei</strong>t o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> schwieriger werdenden<br />
Synchronisation von individualisierten und fragmentierten „Zeitfenstern“ <strong>der</strong><br />
Adressaten mit den traditionellen Angebotsformen von Weiterbildungseinrichtungen.<br />
Daher erprobt die Praxis, weitgehend unbeeinflusst von wissenschaftlicher<br />
Beobachtung o<strong>der</strong> Anregung, neue Institutionalisierungsformen des Lernens, z.B. in<br />
<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Integration von Weiterbildungseinrichtungen in lokale o<strong>der</strong> regionale<br />
Netzwerke o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kombination von selbstgesteuertem und angeleitetem Lernen.<br />
Die Beziehungen von Weiterbildungseinrichtungen untereinan<strong>der</strong> und zu ihren<br />
jeweiligen gesellschaftlichen Umwelten werden dichter und schlagen sich in<br />
netzwerkartigen Kooperationsformen nie<strong>der</strong>. Zugleich verschärft sich in bestimmten<br />
Teilbereichen des Weiterbildungssystems die Konkurrenz.<br />
Vielfach schaffen erst die neuen Informations- und Kommunikationsmedien die<br />
Voraussetzungen für innovative Formen <strong>der</strong> Vermittlung von Wissen in Netzwerken<br />
und Lernverbünden. Die hier befragten Experten sehen die neuen Medien insgesamt<br />
70
weniger als Alternative denn als Ergänzung zu kursfömigem Lernen. Sie nutzen die<br />
Möglichkeiten, die diese neuen Medien für das zeit- und ortsunabhängige Lernen<br />
bieten, für den Informationsaustausch und die Meinungsbildung in pädagogisch<br />
geplanten und betreuten Lernarrangements. Für die Zukunft erscheinen vor allem<br />
neue Formen von Verbünden zwischen tutoriell betreuten und selbstorganisierten<br />
Lernformen als angemessene Antwort auf einen wachsenden Lernbedarf, <strong>der</strong><br />
angesichts knapper und fragmentierter werdenden Zeitbudgets <strong>der</strong> Adressaten nicht<br />
allein durch eine Expansion <strong>der</strong> klassischen Unterrichtsformen aufgefangen werden<br />
kann. Will man die bisher vorliegenden Erfahrungen und Befunde zusammenfassen,<br />
so könnte man in scheinbar paradoxer Formulierung sagen, dass selbstorganisiertes<br />
Lernen dann funktioniert, wenn es didaktisch professionell angeleitet wird. Insofern<br />
bleibt das Prinzip <strong>der</strong> Teilnehmerorientierung auch in <strong>der</strong> außerbetrieblichen<br />
beruflichen Weiterbildung (ENDL 1992) zukünftig ein gültiger Orientierungspunkt,<br />
nicht in <strong>der</strong> Variante <strong>der</strong> Selbststeuerung, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Variante <strong>der</strong> professionellen<br />
Antizipation von Themen, Lernzielen und Lernformen erwachsener Adressaten<br />
durch professionelle Pädagogen.<br />
Lehren und Lernen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft betrifft nicht nur die fortlaufende<br />
Vermittlung und Aneignung instrumentellen und funktionalen (Fach- und<br />
Wissenschafts-) Wissens, son<strong>der</strong>n erfor<strong>der</strong>t auch mehr und mehr überfachliche<br />
Kompetenzen, um im Beruf, aber auch diesseits und jenseits von (Erwerbs-) Ar<strong>bei</strong>t<br />
handlungsfähig zu bleiben. Auch <strong>der</strong> Alltag wird in einer an Information und<br />
Wissens immer reicheren Gesellschaft fragwürdiger, weniger selbstverständlich.<br />
Handlungsanfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> im sozialen Umfeld können nicht mehr<br />
allein durch den Rückgriff auf Traditionen erfüllt werden, sie bedürfen <strong>der</strong><br />
öffentlichen Verständigung, z.B. in Veranstaltungen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, und<br />
erhalten so eine fundamental politische Relevanz. Viele Adressaten erwarten heute<br />
von Erwachsenenbildung nicht nur Lernhilfen, son<strong>der</strong>n auch Lebensberatung und<br />
-begleitung, Hilfe <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Stabilisierung ihrer Biographien, neue Formen <strong>der</strong><br />
Vergemeinschaftung und <strong>der</strong> Geselligkeit, die die kriselnden traditionellen<br />
Großorganisationen nicht mehr zu leisten scheinen. Lernen wird so <strong>zum</strong> Instrument<br />
gesellschaftlicher Integration, zu einem Modus gesellschaftlicher Teilhabe. An <strong>der</strong><br />
SGB-III-geför<strong>der</strong>ten beruflichen Weiterbildung lässt sich dies exemplarisch zeigen.<br />
Weiterbildung und Lebens- und Ar<strong>bei</strong>tsalltag werden heute stärker miteinan<strong>der</strong><br />
gekoppelt, als das in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Bildungsreform <strong>der</strong> Fall und auch gewünscht war.<br />
In <strong>der</strong> allgemeinen Weiterbildung lässt sich ein Kurssturz <strong>der</strong> klassischen<br />
Wissensvermittlung beobachten zugunsten <strong>der</strong> Vermittlung von subjekt- und<br />
erfahrungsbezogenen, alltäglichen Handlungskompetenzen. Die Aufwertung des<br />
Alltagswissens gegenüber dem Wissenschaftswissen lässt sich auch in an<strong>der</strong>en<br />
Bereichen belegen, in <strong>der</strong> kulturellen Weiterbildung, in <strong>der</strong> Umweltbildung,<br />
programmatisch in <strong>der</strong> Gesundheitsbildung. Diese Ausrichtung <strong>der</strong> Weiterbildung an<br />
alltäglichen Problemen und Bedarfen erfor<strong>der</strong>t für traditionelle Leitbegriffe wie<br />
Bildung und Emanzipation in ihrer orientierenden und identitätsstiftenden Funktion<br />
neue Begründungen. Alltagsdidaktisches und professionell betreutes Lernen bilden in<br />
<strong>der</strong> Erwachsenenbildung keine Gegensätze (mehr), son<strong>der</strong>n werden in offenen<br />
Lernpfaden komplementär genutzt. Wie bisher gehört die Auswahl und<br />
fachdidaktisch fundierte, gegenstands- und adressatengerechte Aufbereitung<br />
71
wissenschaftlichen Wissens zu ihren zentralen Aufgaben. Mehr und mehr aber<br />
kommen die wechselseitige Vermittlung von Experten- mit lebensweltlichem<br />
Erfahrungswissen hinzu sowie die Identifizierung impliziten und kontextgebundenen<br />
Wissens, das in rekursiven Prozessen erst bewusst und vermittelbar gemacht werden<br />
muss. Am deutlichsten wurde dieser Prozess hier von den Experten in <strong>der</strong><br />
innerbetrieblichen Weiterbildung thematisiert.<br />
Die Kluft zwischen dem Wissensangebot und dem individuell Wissbaren wird in <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft immer größer. Mit <strong>der</strong> explosionsartigen Entwicklung des<br />
verfügbaren Wissens über die Welt wird dem Einzelnen zugleich sein Nicht-Wissen<br />
immer bewusster. Nur ein Teil <strong>der</strong> erwachsenen Bevölkerung greift die<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen und Möglichkeiten <strong>der</strong> Wissensgesellschaft auf, ein an<strong>der</strong>er Teil<br />
reagiert mit Distanz gegenüber Lernen und Wissen. Die in mehreren Untersuchungen<br />
belegte, sich weiter ausbreitende Flucht aus Wissenschaft und Rationalität kann als<br />
Versuch interpretiert werden, auch <strong>bei</strong> Nicht-Wissen noch orientierungs- und<br />
handlungsfähig zu bleiben. In dieser Untersuchung, die einen deutlichen<br />
Schwerpunkt in <strong>der</strong> beruflichen und betrieblichen Weiterbildung gesetzt hat, wurden<br />
vor allem diejenigen beschrieben, die sich den Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
Wissensgesellschaft stellen und gewachsen zeigen. Die Gefahr einer Spaltung <strong>der</strong><br />
Gesellschaft, die die bisher bekannten Formen <strong>der</strong> Bildungsbenachteiligung <strong>bei</strong><br />
weitem übertrifft, konnten hier nur am Rande angedeutet werden. Sie wird <strong>der</strong>zeit<br />
beson<strong>der</strong>s deutlich an <strong>der</strong> sogenannten „digitalen Spaltung“. Ein knowledge gap<br />
zwischen wissensnahen und wissensfernen Gruppen zeichnet sich hier bereits<br />
beson<strong>der</strong>s deutlich ab. Gerade ar<strong>bei</strong>tnehmerorientierte Weiterbildungseinrichtungen<br />
haben hier eine beson<strong>der</strong>e Verantwortung, <strong>bei</strong> ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen<br />
Mo<strong>der</strong>nisierung die „Kellerkin<strong>der</strong>“ <strong>der</strong> Wissensgesellschaft nicht zu vergessen.<br />
Viele Weiterbildungseinrichtungen wandeln sich zu Dienstleistungsagenturen mit<br />
einem breiten Leistungsangebot, in dem Programmplanung und Lehre im Zentrum<br />
stehen, aber um Beratung, kooperative Bedarfsermittlung, Mo<strong>der</strong>ation, mediale<br />
Unterstützung und die Sicherung von Infrastrukturen ergänzt werden. Dies erfor<strong>der</strong>t<br />
Organisationsentwickungsprozesse auch o<strong>der</strong> gerade <strong>bei</strong> strukturkonservativen<br />
Anbietern. In Netzwerken und Lernverbünden kooperieren professionelle Pädagogen<br />
mit Mitar<strong>bei</strong>tern aus Betrieben, aus <strong>der</strong> regionalen Ar<strong>bei</strong>tsmarkt- und Strukturpolitik,<br />
aus intermediären Organisationen wie Beschäftigungs- und<br />
Qualifizierungsgesellschaften o<strong>der</strong> mit Mitglie<strong>der</strong>n aus selbstorganisierten<br />
Initiativen. Erwartet wird für die Zukunft allgemein eine Zunahme betriebsnaher<br />
Weiterbildungsformen. In Nordrhein-Westfalen sollen künftig Ar<strong>bei</strong>tlose bzw. von<br />
Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit bedrohte Erwerbstätige sofort von sogenannten Transfer- o<strong>der</strong><br />
Beschäftigungsgesellschaften übernommen werden, die den Transferprozess <strong>der</strong><br />
Beschäftigten durch Beratung und Qualifizierung begleiten. Hier werden bereits seit<br />
längerem Erfahrungen gesammelt mit einer engeren Zusammenar<strong>bei</strong>t von<br />
Bildungsanbietern, Betrieben, <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsverwaltung und regionaler Strukturpolitik.<br />
Während Weiterbildungseinrichtungen in den vergangenen Jahren (zu Recht) viel<br />
Energie darauf verwandt haben, ihre Aufbau- und Ablauforganisation mit <strong>der</strong><br />
Einführung von Qualitätssicherungssystemen zu optimieren, wird es in den nächsten<br />
Jahren vor allem darauf ankommen, die Schnittstellen zu ihren Kooperationspartnern<br />
zu verbessern und aktivere Akquise zu betreiben.<br />
72
In dieser Untersuchung wurde beson<strong>der</strong>s herausgestellt, dass die neben- o<strong>der</strong><br />
freiberuflichen Mitar<strong>bei</strong>ter von Weiterbildungseinrichtungen mehr Verantwortung<br />
für gelingende Lehr-Lern- und Verän<strong>der</strong>ungsprozesse übernehmen. Dies lässt sich –<br />
<strong>bei</strong> allen Unterschieden in <strong>der</strong> Intensität <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t und <strong>der</strong> Honorierung<br />
<strong>der</strong> geleisteten Ar<strong>bei</strong>t – als Gemeinsamkeit zwischen betrieblichen und öffentlich<br />
anerkannten Weiterbildungseinrichtungen festhalten. Dieser Verantwortungszuwachs<br />
wird sich fortsetzen, wenn – wie zu erwarten – sich neue Formen des Verbunds von<br />
selbstorganisierten und tutoriell betreutem Lernen weiter ausbreiten werden. Wie<br />
insbeson<strong>der</strong>e die öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtungen die<br />
Beziehungen zu ihren Lehrkräften, die sich heute häufig eher als Subunternehmer<br />
denn als Mitar<strong>bei</strong>ter einer Einrichtung verstehen, neu regeln, wie sie die Inhalte und<br />
die Formen <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t intensivieren können, wird eine interessante<br />
Zukunftsaufgabe werden.<br />
Insgesamt betrachtet orientiert sich die Entwicklung <strong>der</strong> Weiterbildung immer mehr<br />
an den Prinzipien des Marktes, ohne dass sie als ganzes als Markt begriffen werden<br />
könnte. Gemeinnützigkeit bleibt immer noch ein strukturbildendes Prinzip. Zumal in<br />
<strong>Bremen</strong> haben die öffentlich anerkannten Weiterbildungseinrichtungen nach wie vor<br />
strukturbildenden Einfluss auf die gesamte Weiterbildungslandschaft. Gleichzeitig<br />
zeigen die Interviews, dass <strong>der</strong> Status <strong>der</strong> Anbieter für die tatsächliche<br />
Kooperationspraxis immer unwichtiger wird. Wie die bremische Politik <strong>bei</strong><br />
begrenzten finanziellen Mitteln den Spagat bewältigen wird, sich für den Aufbau<br />
eines Gesamtsystems lebensbegleitenden Lernens verantwortlich zu erklären und<br />
zugleich die korporativ-pluralen Träger bevorzugt zu för<strong>der</strong>n, bleibt abzuwarten.<br />
Angesichts einer fortschreitenden Kommerzialisierung <strong>der</strong> Weiterbildung politisch<br />
gegenzusteuern und die notwendigen Infrastrukturen für ein niedrigschwelliges<br />
Weiterbildungsangebot bereit zu stellen, das auch denjenigen Angebote macht, die<br />
nicht zu den Gewinnern <strong>der</strong> Wissens- und Informationsgesellschaft gehören, dürfte<br />
eine <strong>der</strong> wichtigsten Zukunftsaufgaben <strong>der</strong> Politik und <strong>der</strong> handelnden Akteure sein.<br />
73
12. Literatur<br />
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empirische Analyse zur Ar<strong>bei</strong>tssituation, zur Motivation und zu<br />
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Weiterbildung. Empirische Untersuchungen zur Berufsentwicklung in<br />
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Böhme, Gernot; Stehr, Nico: Wissensgesellschaften. In: Universitas. Deutsche<br />
Ausgabe, 45. Jg. (1990), H. 3, S. 225-231.<br />
Dieckmann, B. (unter Mitar<strong>bei</strong>t von Rydzewski, S. und Behrendts, G.): Kursleiter an<br />
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Motivation 1979 und 1990. Berlin 1992.<br />
Dieckmann, B./Fischer, G./Lange, K./Reichhelm, B./Reuß, F.-H.: Nebenberufliche<br />
Kursleiter in den Volkshochschulen von Berlin (West). Mit einem<br />
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Technologie. Bonn 1996.<br />
Dröll, H.: Der Sprachschulmarkt in Frankfurt am Main. Eine empirische<br />
Untersuchung des Bildungs- und För<strong>der</strong>ungswerks <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft. Frankfurt 1994<br />
Dröll, H.: Weiterbildung als Ware. Ein lokaler Weiterbildungsmarkt - das Beispiel<br />
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Professionalisierung im Intermediären Bereich. In: Alheit, Peter u.a.<br />
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1994, S. 120-139.<br />
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1992<br />
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