Mitschrift 18.11.05 - Evolutionsfehler.de
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Ausgehend vom Rechtspositivismus und von <strong>de</strong>r analytischen Philosophie hat sich in neuerer Zeit eine eigenständige, interdisziplinäre<br />
Rechtstheorie entwickelt, die so vielfältig ist, dass sie nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht wer<strong>de</strong>n kann. Gemeinsam ist allen<br />
rechtstheoretischen Ansätzen, dass sie das Recht grundsätzlich als eigenständiges System von Normen, die in einer bestimmten Weise<br />
gesetzt wor<strong>de</strong>n sind, und von <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Gegebenheiten gelöst, also abstrakt diskutieren und untersuchen. Auch die<br />
Diskurstheorie und die Systemtheorie <strong>de</strong>s Rechts zählen <strong>de</strong>shalb hierzu (s.u.).<br />
Ausgangspunkt ist die Beschäftigung mit Normen und <strong>de</strong>ren Auslegung mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>r Sprachphilosophie und <strong>de</strong>r Semantik bzw.<br />
<strong>de</strong>r Semiotik. Damit wird ein Zugang zum Recht über die Erkenntnistheorie und über die formale Logik eröffnet. Hans-Joachim Koch und<br />
Helmut Rüßmann haben in ihrer "Juristischen Begründungslehre" rechtstheoretische Ansätze für die juristische Metho<strong>de</strong>nlehre<br />
erschlossen.<br />
Der Rechtstheorie geht es nicht um Fragen <strong>de</strong>r inhaltlichen Richtigkeit von Recht -- diese könne man nicht erkennen, die Beschäftigung<br />
damit sei unwissenschaftlich --, son<strong>de</strong>rn um die Erforschung <strong>de</strong>r logischen Struktur von Rechtsbegriffen und Rechtssätzen, ihrer<br />
axiomatischern Ableitbarkeit und systematischen Ordnung. Zu nennen sind Jürgen Rödig, Eike von Savigny, Norbert Hoerster o<strong>de</strong>r<br />
Robert Alexy. Hieraus ist auch die Gesetzgebungslehre entstan<strong>de</strong>n.<br />
Damit ist das Fach aber nicht ein für allemal festgelegt. Es ist vielmehr für neue Entwicklungen offen und kann beispielsweise auch<br />
Ansätze aus <strong>de</strong>n Naturwissenschaften o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Medizin, die für das Recht von Be<strong>de</strong>utung sind, aufgreifen.<br />
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Diskurstheorie <strong>de</strong>s Rechts<br />
Die Diskurstheorie <strong>de</strong>s Rechts ist ein neuerer Ansatz, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r allgemeinen Diskurstheorie aufbaut, die von Jürgen Habermas in<br />
<strong>de</strong>ssen "Theorie <strong>de</strong>s kommunikativen Han<strong>de</strong>lns" entwickelt und in "Faktizität und Geltung" speziell mit Blick auf das Recht weiter<br />
ausgebaut wur<strong>de</strong>.<br />
Kernstück <strong>de</strong>r Diskurstheorie ist die sogenannte "i<strong>de</strong>ale Sprechsituation", in <strong>de</strong>r alle Beteiligten ausschließlich sachlich orientiert und<br />
gleichberechtigt miteinan<strong>de</strong>r kommunizieren, um auf diese Weise zu einem gemeinsamen, von allen getragenen Ergebnis zu gelangen,<br />
das für alle gleichermaßen "gilt", weil es in einem bestimmten Verfahren -- <strong>de</strong>m Diskurs -- erarbeitet wor<strong>de</strong>n ist, bei <strong>de</strong>m keiner<br />
benachteiligt wur<strong>de</strong> und in <strong>de</strong>m nur sachliche Argumente zählten.<br />
Der Geltungsgrund <strong>de</strong>s Rechts liegt <strong>de</strong>mnach im Konsens <strong>de</strong>r Beteiligten aufgrund eines Diskurses.<br />
Die Diskurstheorie ist eine Theorie von <strong>de</strong>r Geltung sozialer Normen, die speziell für mo<strong>de</strong>rne, pluralistische Gesellschaften entworfen<br />
wur<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r es keine für alle Fälle verbindlichen materiellen Leitbil<strong>de</strong>r mehr gibt, son<strong>de</strong>rn alle Betroffenen jeweils von Fall zu Fall<br />
diskutieren müssen, welche Lösung gelten soll.<br />
Dieser Ansatz ist auf das Recht nicht ohne weiteres übertragbar. Das justizielle Verfahren ist ebensowenig wie ein außergerichtlicher<br />
Streit, <strong>de</strong>r durch eine einvernehmliche Einigung, einen sogenannten "Vergleich" zwischen <strong>de</strong>n Beteiligten also, beigelegt wird, eine<br />
"i<strong>de</strong>ale Sprechsituation" im Sinne <strong>de</strong>r Diskurstheorie. Für die Gesetzgebung bestehen wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re Probleme.<br />
Robert Alexy schränkt die Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n juristischen Diskurs in seiner "Theorie <strong>de</strong>r juristischen Argumentation" <strong>de</strong>shalb<br />
dahingehend ein, dass eine juristische Entscheidung je<strong>de</strong>nfalls sachlich zutreffend begrün<strong>de</strong>t sein müsse. Aber auch er for<strong>de</strong>rt<br />
zumin<strong>de</strong>st die Anlage nicht nur <strong>de</strong>r Gesetzgebung, son<strong>de</strong>rn auch einer richterlichen Entscheidung als -- pluralistischem -- Diskurs.<br />
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Recht als autopoietisches System<br />
Eine weitere neurere Richtung in <strong>de</strong>r Rechtstheorie ist die Auffassung <strong>de</strong>s Rechts als "autopoietisches System", die auf <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
soziologischen Systemtheorie von Niklas Luhmann ist. Luhmann hat sie in seinem Werk "Das Recht <strong>de</strong>r Gesellschaft" erarbeitet. Es<br />
han<strong>de</strong>lt sich um eine genuin rechtssoziologische Theorie, wie<strong>de</strong>rum die die enge Verbindung <strong>de</strong>r Rechtstheorie zu <strong>de</strong>n benachbarten<br />
Grundlagenfächern aufzeigt.<br />
Luhmanns soziologische Betrachtung <strong>de</strong>s Rechts "als System" blen<strong>de</strong>t zunächst die eigentlichen Akteure (Betroffene,<br />
Rechtswissenschaftler, Rechtsanwälte, Richter) als Träger von Handlungen aus. Seine Theorie führt zu einem hohen<br />
Abstraktionsniveau, das einen gewissen Abstand zur alltäglichen Anschauung <strong>de</strong>r Rechtspraxis pflegt. Zum System in diesem Sinne<br />
zählt vielmehr nur die "Kommunikation" zwischen <strong>de</strong>n Subjekten. Hierzu zählt Luhmann im "System Recht" die binäre Unterscheidung<br />
von "rechtmäßig" vs. "nicht rechtmäßig".<br />
Nach seiner Entstehung kommt es zur ständigen Reproduktion <strong>de</strong>s Systems (das heißt: <strong>de</strong>r Kommunikation zwischen <strong>de</strong>n<br />
han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Akteuren) aus sich selbst heraus. Das System trägt und erfin<strong>de</strong>t sich ständig neu. Rechtsnormen wer<strong>de</strong>n gesetzt und<br />
angewen<strong>de</strong>t, sie genießen Geltung o<strong>de</strong>r nicht, sie wer<strong>de</strong>n geän<strong>de</strong>rt, Urteile wer<strong>de</strong>n verkün<strong>de</strong>t, Verwaltungsakte wer<strong>de</strong>n erlassen.<br />
Dieser Vorgang ist -- eine weitere Abstraktion -- als ständige "Autokatalyse" o<strong>de</strong>r als Autopoiesis <strong>de</strong>s Rechts bezeichnet wor<strong>de</strong>n.<br />
Dabei greift Luhmann sowohl konzeptionell als auch begrifflich auf kybernetische Mo<strong>de</strong>lle zurück, die zuvor unter an<strong>de</strong>rem maßgeblich<br />
zur Beschreibung biologischer Systeme gebil<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n waren, und die vor allem zur abstrakten Beschreibung von "Leben", vom<br />
Fließgleichgewicht beim Stoffwechsel o<strong>de</strong>r in ökologischen Mo<strong>de</strong>llen Verwendung gefun<strong>de</strong>n hatten. Bereits die Sichtweise <strong>de</strong>r<br />
selbsttätigen und selbstbezüglichen ("selbstreferentiellen") Reproduktion "<strong>de</strong>s Lebens" -- und damit nur mittelbar: <strong>de</strong>r einzelnen<br />
"Lebewesen" -- blen<strong>de</strong>t das Individuum aus und richtet das Augenmerk auf die "Kommunikation" zwischen <strong>de</strong>n Lebewesen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Fluss und die Rekombination chemischer Substanzen.<br />
Kritisch wäre <strong>de</strong>shalb anzumerken, dass ein solches Bild notwendig unvollständig sein muss. Die systemtheoretische Rechtstheorie<br />
reduziert das Recht leicht zum Selbstzweck, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n einzelnen Betroffenen/ Akteur/ Rechtsanwen<strong>de</strong>r unbeachtet lässt.<br />
Maßgebliche Normen wie etwa das Prinzip <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> sind aber kein nur abstraktes Prinzip, son<strong>de</strong>rn ein Wert, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r<br />
Praxis und im Einzelfall, also zugunsten <strong>de</strong>s einzelnen Menschen bewähren muss. Dieses Problem wird bei <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r<br />
Grundrechte beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich. Das min<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Erkenntniswert <strong>de</strong>r Systemtheorie auch in <strong>de</strong>r Rechtstheorie.<br />
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Gerechtigkeitstheorien<br />
Zur Gerechtigkeit von rechtlichen Regelungen, von gerichtlichen Entscheidungen o<strong>de</strong>r von Verwaltungsentscheidungen hat es über die<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rte hinweg sehr unterschiedliche Ansätze gegeben.<br />
Auf Aristoteles geht die Unterscheidung zwischen justitia commutativa und justitia distributiva zurück:<br />
• Die justitia commutativa stellt auf Situationen <strong>de</strong>r Gleichordnung von Rechtssubjekten ab, typischerweise im Privatrecht, bei<br />
Verträgen, aber auch bei Delikten o<strong>de</strong>r ungerechtfertigter Bereicherung. Gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n Vertragsgerechtigkeit im Sinne <strong>de</strong>s<br />
gegenseitigen Einhaltens von Verträgen ("pacta sunt servanda"), <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>r auszutauschen<strong>de</strong>n Leistungen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
angemessenen Kompensation von Schä<strong>de</strong>n zwischen Gleichgeordneten Rechtssubjekten.