Mitschrift 18.11.05 - Evolutionsfehler.de
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• Die justitia distributiva dagegen stellt auf Situationen <strong>de</strong>r Über- und Unterordnung ab, wie sie für das öffentliche Recht<br />
typisch sind, also für das Verhältnis von Bürger und Staat. Die Verteilung von Gütern und Lasten im Gemeinwesen soll bestimmten<br />
solidarischen Gerechtigkeitsanfor<strong>de</strong>rungen genügen. Praktische Probleme sind etwa die Belastung <strong>de</strong>r Bürger und <strong>de</strong>r Unternehmen mit<br />
Steuern und an<strong>de</strong>ren öffentlichen Abgaben nach <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit -- und wie diese im Einzelfall zu messen sei. Dabei han<strong>de</strong>lt es<br />
sich durchweg um Probleme <strong>de</strong>s allgemeinen Gleichheitssatzes.<br />
Auch die Verfahrensgerechtigkeit ist hier zu nennen. Die richterliche Entscheidung soll "gerecht" sein, sie soll <strong>de</strong>n Interessen und <strong>de</strong>r<br />
Lage <strong>de</strong>r Beteiligten "gerecht" wer<strong>de</strong>n. Der Staat darf nur zulässige Ziele verfolgen, und er darf nur zulässige Mittel einsetzen. Das gilt<br />
aber nicht nur für <strong>de</strong>n öffentlich-rechtlichen Bereich, son<strong>de</strong>rn auch sonst, wo Private -- auch nur faktische -- Macht über an<strong>de</strong>re Private<br />
ausüben. Im gelten<strong>de</strong>n Recht wird dieser Gesichtspunkt als Verhältnismäßigkeit bezeichnet.<br />
In neuerer Zeit hat vor allem die "Theorie <strong>de</strong>r Gerechtigkeit" ("A Theory of Justice") von John Rawls Beachtung gefun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r -- in<br />
Abgrenzung zu <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r angelsächsischen Welt vorherrschen<strong>de</strong>n Utilitarismus -- Gerechtigkeit als Fairness betrachtet.<br />
Sein Ausgangspunkt ist ein rein hypothetischer Urzustand ("original position"), in <strong>de</strong>m es eine völlige Gleichheit <strong>de</strong>r Menschen<br />
zueinan<strong>de</strong>r gibt. In diesem Zustand wird <strong>de</strong>r Gesellschaftsvertrag geschlossen. Aspekte, die konstitutiv für Ungleichheit sind, bleiben<br />
hinter einem "Schleier <strong>de</strong>s Nichtwissens" ("veil of ignorance") unsichtbar.<br />
Rawls formuliert zwei Gerechtigkeitsprinzipien:<br />
• Je<strong>de</strong>r muss soviele bürgerlichen Rechte und Freiheiten haben, wie überhaupt möglich ist. Dieses Prinzip gilt absolut, es darf<br />
niemals verletzt wer<strong>de</strong>n.<br />
• Jegliche soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie je<strong>de</strong>m zugute kommt. Maßstab hierbei<br />
ist nicht das utilitaristische "größte Glück <strong>de</strong>r größten Zahl", son<strong>de</strong>rn das Wohlergehen je<strong>de</strong>s Mitglieds <strong>de</strong>r Gesellschaft. Soziale<br />
Ungleichheit muss sich insbeson<strong>de</strong>re vor <strong>de</strong>n Schwächsten rechtfertigen können. Sie darf ihnen nicht scha<strong>de</strong>n. Gerecht ist die<br />
Privilegierung einzelner nur, wenn sie auch <strong>de</strong>n schwächsten nützt und ihre Wohlfahrt för<strong>de</strong>rt. Der gleiche Zugang aller Bürger zu sozial<br />
privilegierten Positionen ist damit unabdingbar.<br />
[Bearbeiten]<br />
Ökonomische Analyse <strong>de</strong>s Rechts<br />
Unter <strong>de</strong>m Namen "Ökonomische Analyse <strong>de</strong>s Rechts" o<strong>de</strong>r "Ökonomische Theorie <strong>de</strong>s Rechts" hat sich eine neue Richtung <strong>de</strong>r<br />
Rechtstheorie etabliert, die vor allem in <strong>de</strong>n USA weit verbreitet ist. Sie ist dort unter <strong>de</strong>r Bezeichnung Law and Economics bekannt<br />
gewor<strong>de</strong>n. Ihr Gegenstand ist die Anwendung <strong>de</strong>r ökonomischen Theorie auf das Recht. Vor allem in <strong>de</strong>n letzten 10--15 Jahren hat die<br />
Zahl <strong>de</strong>r Veröffentlichungen zu dieser Richtung auch in <strong>de</strong>utscher Sprache insbeson<strong>de</strong>re im Wirtschaftsrecht <strong>de</strong>utlich zugenommen.<br />
Begrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> die Theorie von <strong>de</strong>n amerikanischen Ökonomen Ronald Coase ("The Problem of Social Costs", Journal of Law and<br />
Economics 3 [1960], p. 1 ff) und Richard Allen Posner ("Economic Analysis of Law", 1977).<br />
Rechtliche Entscheidungen wer<strong>de</strong>n hiernach -- analog zu ökonomischen Entscheidungen -- einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül<br />
unterworfen. Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Theorie steht <strong>de</strong>r rein rational han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Homo oeconomicus, <strong>de</strong>r seinen Nutzen unter Zugrun<strong>de</strong>legung<br />
eines wi<strong>de</strong>rspruchsfreien Satzes von Präferenzen, <strong>de</strong>rer er sich bewußt ist, optimiert. Dazu verfügt er über eine mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />
umfassen<strong>de</strong> Kenntnis <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong>, unter <strong>de</strong>nen er seine Entscheidung trifft. Je mehr er weiß, <strong>de</strong>sto "sicherer" ist er, je weniger er<br />
weiß, <strong>de</strong>sto mehr han<strong>de</strong>lt er "unter Unsicherheit".<br />
Ein <strong>de</strong>rart rational han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r Mensch wird auch Entscheidungen im rechtlichen Bereich einem strengen Kosten-Nutzen-Prinzip<br />
unterordnen. Er wird beispielsweise nur dann einen Prozess führen, wenn er das Ziel, das er damit verfolgt, nicht auf effizientere Weise<br />
erreichen kann. "Effizienz" meint hierbei das Verhältnis von eingesetzten Mitteln (Ressourcen, Faktoren) zu <strong>de</strong>m konkreten bezweckten<br />
Erfolg. Wenn es billiger ist, beispielsweise ein Feld durch das Aufstellen eines Zauns vor <strong>de</strong>m Abgrasen durch Schafe zu schützen, die<br />
auf <strong>de</strong>r benachbarten Wei<strong>de</strong> gehalten wer<strong>de</strong>n, als hierzu einen Prozess gegen <strong>de</strong>n Nachbarn zu führen, so wird <strong>de</strong>r ökonomisch rational<br />
Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Zaun aufstellen.<br />
Über <strong>de</strong>n Einzelfall hinaus for<strong>de</strong>rt die ökonomische Theorie <strong>de</strong>s Rechts die Steigerung <strong>de</strong>r allgemeinen Wohlfahrt mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>s<br />
Rechts. Nur diejenige Rechtsordnung ist legitim und "richtig", die <strong>de</strong>r allgemeinen Wohlfahrt för<strong>de</strong>rlich ist. Ausgangspunkt ist hierbei die<br />
Wohlfahrtsökonomik <strong>de</strong>r sogenannten "Chicago School". Insoweit wird "Effizienz" über <strong>de</strong>n einzelnen Fall hinaus "als Rechtsprinzip" (so<br />
<strong>de</strong>r Titel einer Monographie von Ei<strong>de</strong>nmüller, 1995) verstan<strong>de</strong>n. Effizienz im ökonomischen Sinne ist die wichtigste For<strong>de</strong>rung an die<br />
gesamte Rechtsordnung. Das Recht hat <strong>de</strong>mnach einen ganz bestimmten gesellschaftlichen Zweck, nämlich volkswirtschaftlich nützlich<br />
zu sein. Folgerichtig hält Posner nur eine solche Eigentumsordnung für legitim, die dafür sorgt, dass ökonomische Güter <strong>de</strong>njenigen<br />
zufließen, die daraus <strong>de</strong>n größten ökonomischen Nutzen aus volkswirtschaftlicher Sicht ziehen können -- insbeson<strong>de</strong>re unabhängig von<br />
<strong>de</strong>r sozialen Bedürftigkeit <strong>de</strong>s einzelnen.<br />
Insoweit kann die ökonomische Theorie als präskriptive/ normative Entscheidungshilfe in Einzelfallentscheidungen dienen, sowohl für<br />
<strong>de</strong>n Betroffenen (soll er Klage erheben/ sich verklagen lassen?, soll er eine Straftat begehen?) als auch für Entscheidungen <strong>de</strong>s<br />
Richters (soll er <strong>de</strong>r Klage stattgeben o<strong>de</strong>r sie abweisen?) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verwaltung. So wird <strong>de</strong>r "Nutzen" auch in <strong>de</strong>r "Juristischen<br />
Begründungslehre" von Koch/ Rüßmann zur Auswahl zwischen Entscheidungsalternativen diskutiert. Beson<strong>de</strong>rs be<strong>de</strong>utsam wird <strong>de</strong>r<br />
wirtschaftliche Aspekt natürlich für <strong>de</strong>n Gesetzgeber sein, <strong>de</strong>r eine allgemeine Regel setzen will, die Auswirkungen auf die gesamte<br />
Gesellschaft zeitigen wird.<br />
Dieser Ansatz ist aber ganz sicherlich nicht auf die gesamte Rechtsordnung anwendbar. Die ökonomische Theorie <strong>de</strong>s Rechts ist<br />
<strong>de</strong>shalb -- auch in <strong>de</strong>n USA -- beachtlicher Kritik ausgesetzt. Der "Nutzen" <strong>de</strong>r Risikoverteilung im Haftungsrecht (insbeson<strong>de</strong>re bei<br />
Unfallschä<strong>de</strong>n im Deliktsrecht, bei <strong>de</strong>r Gefährdungshaftung, beim gutgläubigen Erwerb o<strong>de</strong>r bei Leistungsstörungen im Vertragsrecht)<br />
ist insofern leichter zu untersuchen -- und betreffen<strong>de</strong> Reglungen <strong>de</strong>mentsprechend zu begrün<strong>de</strong>n -- als etwa <strong>de</strong>r "Nutzen" einer<br />
Ehescheidung, unabhängig davon ob man sie aus <strong>de</strong>r Sicht eines Ehegatten o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s Richters betrachtet. Die<br />
ökonomische Theorie <strong>de</strong>s Rechts hat folgerichtig vor allem im Wirtschaftsrecht Anwendung gefun<strong>de</strong>n. Bekannt gewor<strong>de</strong>n ist etwa die<br />
Untersuchung <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Michael Adams (Betriebsberater [BB], 1989, 781), <strong>de</strong>r das<br />
AGB-Gesetz unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r zwischen <strong>de</strong>n Parteien "asymmetrisch" verteilten/ verfügbaren Information beim<br />
Vertragsschluß untersucht.<br />
Problematisch ist die völlige Ausblendung an<strong>de</strong>rer Gesichtspunkte bei rechtlichen Entscheidungen durch die Beschränkung auf<br />
ökonomische Aspekte als allein sinnvolle bzw. empfehlenswerte Handlungsmotivation. Es ist auch eine empfindliche Verkürzung in <strong>de</strong>r<br />
Sache, <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s Rechts und die Legitimität seiner Geltung allein auf <strong>de</strong>n Aspekt <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Effizienz zurückführen zu<br />
wollen. Es gibt noch weitere Aspekte, die in diesem Mo<strong>de</strong>ll nicht abzubil<strong>de</strong>n sind, insbeson<strong>de</strong>re das Rechtsgefühl (von <strong>de</strong>m Ernst<br />
Blochs Rechtsphilosophie ausgeht) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wunsch nach einem Zuwachs an (politischer, wirtschaftlicher, zwischenmenschlicher)<br />
Macht durch die Gestaltung von Rechtsbeziehungen o<strong>de</strong>r durch das Führen von Verfahren. Übrigens bleibt offen, wessen "Nutzen"<br />
jeweils als Maßstab dienen soll und in welcher Weise er zu messen wäre.