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Philosophie – Mitschrift – 04.03.05<br />
- Whd.<br />
- Schöpfung durch (griech.): die Ordnung <strong>de</strong>s Kosmos<br />
- Protagorasmythos ist eine Charakterisierung <strong>de</strong>s Menschen, weniger eine<br />
Darstellung <strong>de</strong>r Schöpfung<br />
- Darstellung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Textes<br />
• Tiere sind nicht fähig zum Erkennen und Reproduzieren von z.B. Kunstwerken<br />
• Lernen nur durch Wie<strong>de</strong>rholung, nicht autodidaktisch und ohne Anstoß durch<br />
Menschen<br />
• Tiere sind spezialisiert auf bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen<br />
Tiere sind nicht dazu in <strong>de</strong>r Lage einen Triathlon zu absolvieren<br />
Unspezialisierung <strong>de</strong>s Menschen<br />
Vielseitigkeit<br />
- Text von Hassenstein:<br />
Der Mensch ist ein kein Mängelwesen, wie er bisher verstan<strong>de</strong>n<br />
wur<strong>de</strong><br />
Wi<strong>de</strong>rspruch zum Protagoras-Text<br />
Der Mensch ist vielseitiger als alle Tiere<br />
• z.B. funktions-anatomische Konstruktion / Konzeption <strong>de</strong>r<br />
Hand<br />
• Mensch kann 9 unterschiedliche Vokale formen<br />
Artikulationsfähigkeit<br />
Tiere sind spezialisiert und damit eingeschränkt<br />
Der Mensch ist vielseitig, also unspezialisiert und damit anpassungsfähig<br />
Nietsche: Der Mensch ist das unspezialisierte Tier<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 113 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 1
Philosophie – Mitschrift – 09.03.05<br />
Zusammenfassung: Welche anthropologische Aussagen enthält dieser Mythos?<br />
Platon Text:<br />
- göttliche Merkmale<br />
Fähigkeit in Gesellschaften zu leben<br />
sittliche Scheu<br />
- Der Mensche als vernünftiges Wesen<br />
- Der Mensch erhält die Möglichkeit sein Leben selbst zu führen / gestalten<br />
Hassenstein Text:<br />
- Der Mensch ist ein Geistbegabtes Wesen<br />
Prinzipielle Fähigkeit, muss aber erst umgesetzt wer<strong>de</strong>n<br />
Geist:<br />
- Geist als höhere Wirklichkeit die erkennt und wertet<br />
macht die Welt zum Gegenstand <strong>de</strong>s Erkennens<br />
- Geist höhere Wirklichkeit, die die Seele gewinnt<br />
- Verhältnis: Seele – Geist<br />
• Geist ist nicht losgelöst von <strong>de</strong>r Seele<br />
Vernünftiger Seelenteil (Mensch)<br />
Animalischer Seelenteil (Tier, Menschen)<br />
Vegetativer Seelenteil (Pflanzen, Tiere, Menschen)<br />
Auffassung von Aristoteles<br />
Die Seele hat 3 Stufen<br />
------------------------------------------------<br />
Materie<br />
Beschreibung:<br />
1.) Belebtes: ist Menschen, Tieren und Pflanzen gemein<br />
2.) Animalischer Seelenteil: nur Tieren und Menschen zugehörig<br />
3.) Vernünftiger Seelenteil: nur <strong>de</strong>r Mensch<br />
Zunahme <strong>de</strong>r Aktivität<br />
Zunahme bzw. Auftreten <strong>de</strong>s Bewusstseins<br />
Geisteseinsatz: bewusstes Planen und Han<strong>de</strong>ln, Enthebung von <strong>de</strong>r Naturkausalität<br />
Geist:<br />
Geist heißt das <strong>de</strong>r Mensch als geistiges Wesen gekennzeichnet ist durch seine existentielle Entbun<strong>de</strong>nheit vom<br />
Organischen, d.h. das er nicht Trieb und umweltgebun<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn weltoffen ist.<br />
- Tiere sind nach Scheler Trieb -und Umweltgebun<strong>de</strong>n<br />
Triebgebun<strong>de</strong>n: Mechanismus beginnt erst, wenn die entsprechen<strong>de</strong>n Triebe vorhandne sind<br />
Umweltgebun<strong>de</strong>nheit: Abhängigkeit von <strong>de</strong>n Angeboten <strong>de</strong>r natürlichen Umwelt (Nahrungsangebot, klimatische<br />
Bedingungen, technische Intelligenz wird nur genutzt, wenn das Nötige zur Verfügung steht => keine Fähigkeit<br />
selbst Gegenstän<strong>de</strong> herzustellen bzw. auch nur für <strong>de</strong>n Fall das Hunger o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Schlüsselreize vorhan<strong>de</strong>n<br />
sind)<br />
- Geist: Möglichkeit sich von <strong>de</strong>r Umwelt und seinen Trieben zu distanzieren und bewusst zu han<strong>de</strong>ln<br />
Autonomie<br />
siehe Hassenstein-Text: Z.38/39:<br />
Unterschied zwischen Mensch und Tier im Bereich <strong>de</strong>s Soziallebens:<br />
• soziale Strukturen ist bei <strong>de</strong>n Tieren von vorneherein festgelegt<br />
• Mensch wählt und schafft sich diese selbst durch geistige Tätigkeit<br />
Stufen <strong>de</strong>r Kultur:<br />
1.) Jäger und Sammler<br />
2.) Ackerbau und Viehzucht (=> Reaktion wird zur Aktion)<br />
Gestaltung <strong>de</strong>r Lebenssituation<br />
Loslösung von <strong>de</strong>n Zwängen und Abhängigkeiten <strong>de</strong>r Natur<br />
• Machen sich die Natur zu Nutze<br />
o Erst möglich, wenn man nicht nur einfach in <strong>de</strong>r Natur lebt, son<strong>de</strong>rn<br />
sich ein Bild von <strong>de</strong>r Umwelt macht und dann gestaltet<br />
Natur wird Gegenstand menschlichen Erkennens und<br />
Han<strong>de</strong>lns<br />
Schaffung von Institutionen<br />
Definition:<br />
Institution<br />
Soziologie<br />
ein Komplex sozialer Regelungen, <strong>de</strong>nen im Gesamtsystem <strong>de</strong>r Gesellschaft grundlegen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung zukommt (z. B. Ehe,<br />
Eigentum, Beruf). Im Allgemeinen wer<strong>de</strong>n durch die Institutionen bestimmte soziale Funktionen und bestimmte, durch Rechte<br />
und Pflichten genau bezeichnete, spezifische Positionen o<strong>de</strong>r Rollen zugewiesen, im Unterschied zu <strong>de</strong>n institutionalisierten<br />
Normen wie Brauch, Sitte und Konvention, <strong>de</strong>nen eine allgemeine und damit unspezifische Geltung zukommt.<br />
Kausalität<br />
Anhang: Naturkausalität<br />
Philosophie und Physik<br />
<strong>de</strong>r angenommene gesetzmäßige Zusammenhang zwischen zwei aufeinan<strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Ereignissen, von <strong>de</strong>nen das eine<br />
(frühere) die Ursache und das an<strong>de</strong>re (spätere) die Wirkung genannt wird. Nach <strong>de</strong>m Kausalitätsprinzip kann es keine<br />
Wirkung ohne Ursache geben. Für I. Kant war das Kausalitätsprinzip a priori, d. h. vor je<strong>de</strong>r Erfahrung gültig und notwendig<br />
zur Ordnung unserer Erfahrung. Für D. Hume stellte es lediglich eine ungerechtfertigte Verallgemeinerung unserer
Gewohnheit dar, Ereignisse in Abhängigkeit voneinan<strong>de</strong>r zu sehen.<br />
In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Wissenschaftstheorie, insbeson<strong>de</strong>re im Neopositivismus, ersetzt man das Kausalitätsprinzip zumeist durch<br />
einen funktionalen Zusammenhang, <strong>de</strong>r die Ereignisse miteinan<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>t, ihre Aufeinan<strong>de</strong>rfolge aber nur beschreibt und<br />
nicht erklärt. Zwischen Ursache und Wirkung kann nur noch im Rahmen eines bereits von J. S. Mill gefun<strong>de</strong>nen Prinzips <strong>de</strong>r<br />
Verän<strong>de</strong>rung unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n: Verän<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>r Ursache beeinflussen zwar die Wirkung, Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />
Wirkung lassen die Ursache hingegen unbeeinflusst.<br />
Der Gedanke strenger Kausalität setzt die genaueste Kenntnis <strong>de</strong>r Ursache voraus, aus welcher die Wirkung erschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n soll. Die genaue Kenntnis dieser Ursache scheitert aber sowohl an praktischen, experimentellen Gegebenheiten als<br />
auch an (möglicherweise prinzipiellen) Einschränkungen durch die aus <strong>de</strong>r Quantenmechanik bekannte Heisenberg'sche<br />
Unschärferelation. Diese for<strong>de</strong>rt zumin<strong>de</strong>st im atomaren Bereich eine prinzipielle und tatsächliche Einschränkung <strong>de</strong>r<br />
Genauigkeit <strong>de</strong>r ein Teilchen bestimmen<strong>de</strong>n Größen (wie Ort und Geschwindigkeit). Es ist <strong>de</strong>shalb (z. B. von H.<br />
Reichenbach) vorgeschlagen wor<strong>de</strong>n, die strenge kausale Verknüpfung durch eine wahrscheinlichkeitstheoretische zu<br />
ersetzen. Auch die neuere Chaostheorie, nach <strong>de</strong>r schon kleinste Ursachen unvorhersehbare (große) Auswirkungen haben<br />
können, schränkt <strong>de</strong>n Geltungsbereich <strong>de</strong>r Kausalität ein.<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
Philosophie – Mitschrift – 06.04.05<br />
Beschreibung <strong>de</strong>s Menschen<br />
• Hauptbegriffe: Instinkt, Geist, Institution, Sozialisation, Seele, ein Vernunfthaben<strong>de</strong>s Tier (animal rationale)<br />
Animal rationale : <strong>de</strong>r Mensch als vernünftiges Tier (antike Ansicht bzw. Beschreibung)<br />
Geist: Der Mensch ist von Trieben und <strong>de</strong>r Natur nicht mehr abhängig (nicht mehr triebgebun<strong>de</strong>n)<br />
Mensch entschei<strong>de</strong>t Frei und ist weltoffen<br />
o Mensch ist das einzige Wesen, dass auf noch nicht sich ereignete Handlungen / Tatsachen planend<br />
reagieren / vorsorgen kann<br />
o Tiere wer<strong>de</strong>n augenblicklich von <strong>de</strong>n Trieben und Angeboten <strong>de</strong>r Natur bestimmt<br />
Kein Zukunfts<strong>de</strong>nken<br />
Seele: (nach Aristoteles)<br />
• Vernünftiger Seelenteil (Mensch)<br />
• Animalischer Seelenteil (Tier, Menschen)<br />
• Vegetativer Seelenteil (Pflanzen, Tiere, Menschen)<br />
o Belebtes: ist Menschen, Tieren und Pflanzen gemein (Stoffwechsel)<br />
o Animalischer Seelenteil: nur Tieren und Menschen zugehörig (Aktivität: Ortswechsel, Bewegung, Bewusstsein,<br />
sinnliche Wahrnehmung)<br />
o Vernünftiger Seelenteil: nur <strong>de</strong>r Mensch (planen<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln, Geist, qualitativ höchstes Bewusstsein)<br />
Son<strong>de</strong>rstellung <strong>de</strong>s Menschen<br />
Aussage <strong>de</strong>s Prometheus-Textes:<br />
• Der Mensch hat Teil am göttlichen<br />
o Teilhabe an verschie<strong>de</strong>nen Fähigkeiten, die sonst keinen Lebewesen gemein sind (Rechtsgefühl, Staatenbildung,<br />
Feuer => Formen und Verän<strong>de</strong>rn, Erfindungsreichtum, e.t.c.)<br />
o Der Mensch ist frei und in keine bestimmte Kategorie eingezwungen bzw. eingeplant<br />
Der Mensch ist im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Tieren unbestimmt und ungebun<strong>de</strong>n<br />
Hassenstein:<br />
• Aufstellung / Erschaffung von künstlichen Rangordnungen / Institutionen / e.t.c.<br />
• Vielseitigkeit <strong>de</strong>s Menschen (technisch / körperlich / geistig)<br />
Fähigkeiten entsprechen im Protagoras-Text <strong>de</strong>n göttlichen Fähigkeiten bzw. Mitteln<br />
• Abbildungsfähigkeiten <strong>de</strong>s Menschen sind einmalig in <strong>de</strong>r Natur<br />
Gegenüberstellung <strong>de</strong>r Texte:<br />
Mythos Logos<br />
Mythos: Erklärung mit Hilfe einer Geschichte mit Verweis auf eigene Ansichten<br />
Logos: wissenschaftliche Untersuchung, mit Beipielen, Experimenten, e.t.c.<br />
Institutionen<br />
z.B. Familie: stellen Normen und Werte auf<br />
Rolle<br />
Sozialisation: (Vergesellschaftung / Einglie<strong>de</strong>rung in die Gesellschaft)<br />
• Lern und Erziehungsprozess <strong>de</strong>r das Hineinwachsen in die sozialkulturelle Gemeinschaft durch Ausbildung eines sozialen Über-<br />
Ichs und Gewinnung <strong>de</strong>r Ich-I<strong>de</strong>ntität bewirkt und durch <strong>de</strong>n sich durch alle Lebensalter fortgesetzte Anpassungsprozesse<br />
anschließen.<br />
zunächst Erziehung durch an<strong>de</strong>re (Eltern, Autoritätspersonen, Medien, e.t.c.)<br />
später: Lernprozess unabhängig von <strong>de</strong>r Erziehung<br />
o Autodidaktisches Lernen<br />
• Lebenslanger Lern –und Entwicklungsprozess<br />
Unterscheidung:<br />
1.) Primäre Sozialisation: durch Eltern<br />
2.) Sekundäre Sozialisation: durch sich selbst, an<strong>de</strong>re einwirken<strong>de</strong> Personen<br />
=> Danach: Selbsterziehung, Autodiktat<br />
Soziales Über-Ich: 3 Teilen <strong>de</strong>s Seelenmo<strong>de</strong>lls (nach Sigmund Freud, siehe Ethik: durcharbeiten)<br />
1. Es<br />
2. Ich<br />
3. Über-Ich<br />
H.A. 06.04.05<br />
Ich-I<strong>de</strong>ntität rescherschieren<br />
Persönlichkeit und I<strong>de</strong>ntität sind nicht das Gleiche: Die I<strong>de</strong>ntität ist das Bild, das man von sich selbst und von seiner eigenen Persönlichkeit<br />
hat. Je<strong>de</strong>r Mensch hat eine I<strong>de</strong>ntität, eine Vorstellung <strong>de</strong>ssen, was sein "Ich" ausmacht. Zur I<strong>de</strong>ntität gehören drei verschie<strong>de</strong>ne Aspekte:<br />
Selbstbild, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Auch wenn einige Aspekte <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität genetisch bedingt sind, wie beispielsweise <strong>de</strong>r<br />
Körperbau, so entwickelt sich die I<strong>de</strong>ntität eines Menschen während seines <strong>gesamt</strong>en Lebens weiter.<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
Seelenmo<strong>de</strong>ll nach Sigmund Freud:<br />
Philosophie – Mitschrift – 08.04.05<br />
1. Zunächst von Geburt vorhan<strong>de</strong>n: ES<br />
2. Durch Einwirkung und Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r Realität: Entwicklung <strong>de</strong>s ICH<br />
3. Gebote und Verbote <strong>de</strong>r Eltern wer<strong>de</strong>n verinnerlicht<br />
wer<strong>de</strong>n Bestandteil <strong>de</strong>r Seele<br />
o Entstehung <strong>de</strong>s Über-Ichs<br />
Erwartungen wer<strong>de</strong>n nicht mehr von <strong>de</strong>n Eltern gestellt, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>m Mensch selbt<br />
• Entwicklung <strong>de</strong>s Gewissens<br />
• Entwicklung <strong>de</strong>s Über-Ichs in etwa mit 7 Jahren abgeschlossen.<br />
• Inhaltliche Bestimmung <strong>de</strong>s Über-Ichs dauert unter Umstän<strong>de</strong>n lebenslang.<br />
Ich-I<strong>de</strong>ntität:<br />
Def.: Die Balance von personaler und sozialer I<strong>de</strong>ntität.<br />
Personale I<strong>de</strong>ntität:<br />
subjektive Selbsteinschätzung ; bezieht sich auf die organische und biographische Einmaligkeit und Kontinuität <strong>de</strong>s Individuums.<br />
Soziale I<strong>de</strong>ntität:<br />
Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r Gruppeni<strong>de</strong>ntität ; bezieht sich auf die Gesamtheit <strong>de</strong>r Rollenerwartungen, die ein Individuum im Interaktionsprozess<br />
erfüllen muss.<br />
Möglichkeit <strong>de</strong>r Verfehlungen: (Überbetonungen)<br />
1. Soziale I<strong>de</strong>ntität: Opportunismus: Nachläufertum<br />
2. Personale I<strong>de</strong>ntität: Asoziales Verhalten<br />
Siehe Unterscheidung: Primäre + Sekundäre Sozialisation => Adoleszenz<br />
Frage: Wann ist man erwachsen?<br />
Anhang:<br />
Sozialisierung<br />
Vergesellschaftung<br />
Überführung von Wirtschaftsgütern in Gemeineigentum (gesellschaftliches Eigentum, Volkseigentum) unter Entziehung <strong>de</strong>s Privateigentums<br />
o<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>ssen Aufrechterhaltung in an<strong>de</strong>re Formen <strong>de</strong>r Gemeinwirtschaft aus i<strong>de</strong>ologischen, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen<br />
Grün<strong>de</strong>n (Gegensatz: die mehr technischen Zwecken, z. B. <strong>de</strong>m Bahn- und Straßenbau, dienen<strong>de</strong> Enteignung). Gemeineigentum ist rechtlich<br />
Eigentum <strong>de</strong>s Staates (Verstaatlichung, Nationalisierung, z. B. <strong>de</strong>r Grundstoffindustrie und <strong>de</strong>s Gesundheitswesens in Großbritannien), von<br />
Gemein<strong>de</strong>n und Gemein<strong>de</strong>verbän<strong>de</strong>n (Kommunalisierung, z. B. von Versorgungsunternehmen), von Genossenschaften (z. B. <strong>de</strong>r sowjetischen<br />
landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften [Kolchosen], im Unterschied zu <strong>de</strong>n Staatsgütern [Sowchosen]).<br />
In <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland ist nach Art. 15 GG eine Sozialisierung nur von Grund und Bo<strong>de</strong>n, Naturschätzen und Produktionsmitteln<br />
und nur durch ein Gesetz zulässig, das Art und Ausmaß <strong>de</strong>r Entschädigung regelt, die unter gerechter Abwägung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r<br />
Allgemeinheit und <strong>de</strong>r Beteiligten zu bestimmen ist und wegen <strong>de</strong>ren Höhe die or<strong>de</strong>ntlichen Gerichte angerufen wer<strong>de</strong>n können.<br />
Autodidakt<br />
[<strong>de</strong>r; griechisch]<br />
ein Gebil<strong>de</strong>ter, <strong>de</strong>r seine Bildung durch Selbstunterricht, nicht durch Schulen o<strong>de</strong>r Lehrer, erworben hat.<br />
I<strong>de</strong>ntität<br />
aus Wikipedia, <strong>de</strong>r freien Enzyklopädie<br />
Dieser Artikel behan<strong>de</strong>lt die I<strong>de</strong>ntität als allgemeinen Begriff. Zum gleichnamigen Film siehe: I<strong>de</strong>ntität (Film).<br />
Unter I<strong>de</strong>ntität (v. lat.: i<strong>de</strong>ntitas = Wesenseinheit) eines Menschen (o<strong>de</strong>r einer Sache) wird häufig die Summe <strong>de</strong>r Merkmale verstan<strong>de</strong>n,<br />
anhand <strong>de</strong>rer wir uns (sie sich) von an<strong>de</strong>ren unterschei<strong>de</strong>n. Diese I<strong>de</strong>ntität erlaubt eine ein<strong>de</strong>utige I<strong>de</strong>ntifizierung im physiologischen Sinne.<br />
Inhaltsverzeichnis [Verbergen]<br />
1 I<strong>de</strong>ntität bei Lebewesen
[Bearbeiten]<br />
I<strong>de</strong>ntität bei Lebewesen<br />
2 I<strong>de</strong>ntität bei Menschen<br />
2.1 Psychische I<strong>de</strong>ntität<br />
3 I<strong>de</strong>ntität in <strong>de</strong>r Mathematik<br />
4 I<strong>de</strong>ntität im Recht<br />
5 I<strong>de</strong>ntität von Begriffen<br />
6 Philosophische Probleme <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität<br />
7 Literatur<br />
7.1 Belletristik<br />
Um zu berücksichtigen, dass bei Lebewesen eine Än<strong>de</strong>rung von Merkmalen nicht notwendig eine Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität be<strong>de</strong>utet – <strong>de</strong>r Kater<br />
"Eugen" bleibt beispielsweise "Eugen", auch nach<strong>de</strong>m ihm die Nachbarskatze ein Ohr abbeißt –, bietet sich folgen<strong>de</strong> Definition <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität an:<br />
I<strong>de</strong>ntität besitzt ein Lebewesen,<br />
(Verän<strong>de</strong>rlichkeit gilt als Wesensmerkmal von Lebewesen.)<br />
[Bearbeiten]<br />
I<strong>de</strong>ntität bei Menschen<br />
• a) wenn es von an<strong>de</strong>ren Lebewesen seiner<br />
Gattung unterscheidbar ist, und<br />
• b) wenn es auf eine Weise verän<strong>de</strong>rlich ist, die<br />
diese Unterscheidung nicht unmöglich<br />
macht.<br />
Die I<strong>de</strong>ntität eines Menschen besteht darin, dass - dieser Mensch von an<strong>de</strong>ren Menschen unterscheidbar ist, und - dieser Mensch als<br />
<strong>de</strong>rselbe/dieselbe i<strong>de</strong>ntifizierbar bleibt, auch wenn er/sie sich verän<strong>de</strong>rt.<br />
I<strong>de</strong>ntität entsteht immer innerhalb eines Verhältnisses zwischen <strong>de</strong>m, was etwas ist und <strong>de</strong>m, was es nicht ist. Insbeson<strong>de</strong>re wäre kein Mensch<br />
in <strong>de</strong>r Lage, ohne an<strong>de</strong>re Menschen eine I<strong>de</strong>ntität als Mensch zu entwickeln. Denn wir sind auf die Menschen, die wir nicht sind, angewiesen,<br />
um uns von ihnen unterschei<strong>de</strong>n und zugleich Mensch sein zu können. Insofern ist unsere persönliche I<strong>de</strong>ntität in ihrem Wesen sozial.<br />
Da I<strong>de</strong>ntität auf Unterscheidung beruht und "Unterscheidung" ein Verfahren ist, das ein Ganzes unterglie<strong>de</strong>rt ("schei<strong>de</strong>t"), kann etwas nur als<br />
Teil eines Ganzen "I<strong>de</strong>ntität" erlangen. Daher wird verständlich, weshalb Menschen ihre "I<strong>de</strong>ntität" als bestimmte Menschen in einem<br />
Wechselspiel von "Dazugehören" und "Abgrenzen" entwickeln.<br />
[Bearbeiten]<br />
Psychische I<strong>de</strong>ntität<br />
Die psychische I<strong>de</strong>ntität stellt keine wie auch immer geartete ein<strong>de</strong>utige Essenz o<strong>de</strong>r ein unverän<strong>de</strong>rliches Wesen dar. Im Gegenteil: I<strong>de</strong>ntität<br />
als psychologisches Konzept geht gera<strong>de</strong>zu davon aus, dass sich ein Mensch mit etwas "i<strong>de</strong>ntifiziert", also ein äußeres Merkmal einer<br />
bestehen<strong>de</strong>n Gruppeni<strong>de</strong>ntität als sein eigenes Wesensmerkmal annimmt. In gewisser Hinsicht erscheint dies als notwendiger Prozess zur<br />
Heranbildung einer eigenen Persönlichkeit, aber es bleibt stets ein Element <strong>de</strong>r Fremdbestimmung und Zuschreibung. So hat vielleicht jemand,<br />
<strong>de</strong>r gerne homosexuellen Sex praktiziert, keine Lust, sich i<strong>de</strong>ntitär als "lesbisch" o<strong>de</strong>r "schwul" zu bezeichnen, wird jedoch <strong>de</strong>nnoch von seiner<br />
Umgebung in diese I<strong>de</strong>ntität gedrängt.<br />
Verlust <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität<br />
Für Menschen ist ein ungewollter I<strong>de</strong>ntitätsverlust psychisch ein großes Problem, <strong>de</strong>nn sämtliche Gruppenzugehörigkeiten ([Familie<br />
(Soziologie)|Familie], [Volk], Kollegen ...) sind damit verloren. Die Person i<strong>de</strong>ntifiziert sich nicht mehr mit diesen Gruppen und wird so physisch<br />
und psychisch isoliert.<br />
Im Feminismus und an<strong>de</strong>ren Strömungen wird <strong>de</strong>r Ausbruch aus einer festgelegten I<strong>de</strong>ntität allerdings auch positiv bewertet: weibliche I<strong>de</strong>ntität<br />
wird nicht mehr als I<strong>de</strong>al empfun<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn als fremdbestimmtes Set von Verhaltensmustern, Stereotypen und Erwartungen. Männlichkeit<br />
o<strong>de</strong>r "nationale I<strong>de</strong>ntität" erscheinen ähnlich problematisch. I<strong>de</strong>ntität als I<strong>de</strong>ntifikation mit einer Gruppe ist eben oftmals auch eine Integration<br />
durch Zwang, <strong>de</strong>r Ausbruch aus <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntitären Festlegung ein Akt <strong>de</strong>r Emanzipation. Ziel dieser Emanzipation ist nicht die Isolation, wohl aber<br />
die Sprengung von fremdbestimmten I<strong>de</strong>ntitäten - hier bewusst im Plural, <strong>de</strong>nn ein Individuum verkörpert stets mehrere sich überschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
I<strong>de</strong>ntitäten: als Mann, als Europäer, als Intellektueller... etc.<br />
Allgemein verliert ein Mensch dann ihre/seine I<strong>de</strong>ntität, wenn - sie/er sich so verän<strong>de</strong>rt, dass wesentliche Kriterien entfallen, anhand <strong>de</strong>rer
sie/er i<strong>de</strong>ntifiziert wird, o<strong>de</strong>r - wesentliche Instanzen, welche die I<strong>de</strong>ntifizierung vornehmen, entfallen o<strong>de</strong>r wesentliche Kriterien <strong>de</strong>r<br />
I<strong>de</strong>ntifizierung geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
[Bearbeiten]<br />
I<strong>de</strong>ntität in <strong>de</strong>r Mathematik<br />
"Gleichungen zwischen arithmetischen Ausdrücken"<br />
Sind A1 und A2 arithmetische Ausdrücke, so heißt die Zeichenreihe A1= A2 eine Gleichung. Eine Gleichung A1= A2 heißt allgemeingültig o<strong>de</strong>r<br />
auch I<strong>de</strong>ntität genau dann, wenn für je<strong>de</strong> Belegung φ gilt:<br />
Wert(A1,φ) R,<br />
Wert(A2,φ) R und<br />
Wert(A1,φ)= Wert(A2,φ).<br />
Anmerkung : Das Zeichen = tritt in dieser Definition in zwei unterschiedlichen Be<strong>de</strong>utungen auf, und zwar einmal als syntaktisches Zeichen<br />
zwischen <strong>de</strong>n Ausdrücken A1 und A2 und zum an<strong>de</strong>rn als Bezeichnung <strong>de</strong>r Gleichheit in R.<br />
Wir beschränken uns bei dieser Bemerkung zur I<strong>de</strong>ntität auf eine Interpretation arithmetischer Ausdrücke über <strong>de</strong>m Körper <strong>de</strong>r reellen Zahlen<br />
R. Die Interpretation <strong>de</strong>r arithmetischen Ausdrücke erfolgt durch eine ein<strong>de</strong>utige Abbildung, «Wert», die in Abhängigkeit von einer Belegung φ<br />
gewisse arithmetische Ausdrücke in die Menge R <strong>de</strong>r reellen Zahlen abbil<strong>de</strong>t. Das Bild eines solchen Ausdrucks A (also die ihm zugeordnete<br />
Zahl) heißt Wert von A bei <strong>de</strong>r Belegung φ, bezeichnet mit Wert(A,φ) R.<br />
I<strong>de</strong>ntitäten wer<strong>de</strong>n oft notiert mit einem Gleichheitszeichen, das nicht aus zwei, son<strong>de</strong>rn drei Strichen besteht ( ).<br />
Stichworte sind: Unterschied von (semantischer) Gleichheit und (syntaktischer) I<strong>de</strong>ntität logischer Formeln; Gleichheit; I<strong>de</strong>ntische Funktion.<br />
siehe auch Philosophie: I<strong>de</strong>ntitätssatz, Satz vom ausgeschlossenen Dritten (zur Motivation <strong>de</strong>s Mengenbegriffs beispielsweise R).<br />
[Bearbeiten]<br />
I<strong>de</strong>ntität im Recht<br />
Im Kontext <strong>de</strong>s Rechts bezeichnet I<strong>de</strong>ntität die Übereinstimmung <strong>de</strong>r personenbezogenen Daten mit einer natürlichen Person. Diese I<strong>de</strong>ntität<br />
kann formal durch <strong>de</strong>ine rechtsverbindliche I<strong>de</strong>ntitätsfeststellung bestimmt wer<strong>de</strong>n. Der rechtswidrige Missbrauch <strong>de</strong>r persönlichen Daten einer<br />
natürlichen Person wird als I<strong>de</strong>ntitätsdiebstahl bezeichnet.<br />
Siehe auch: I<strong>de</strong>ntitätsfeststellung (Recht)<br />
[Bearbeiten]<br />
I<strong>de</strong>ntität von Begriffen<br />
Der Ausdruck i<strong>de</strong>ntische Begriffe bezeichnet Begriffe, die ein und <strong>de</strong>nselben Begriffsumfang besitzen. Dies kann so interpretiert wer<strong>de</strong>n, dass<br />
sie <strong>de</strong>nselben Gegenstand wi<strong>de</strong>rspiegeln.<br />
In diesem Zusammenhang bezeichnet ( lat.) i<strong>de</strong>ntitatis notionum die Beziehung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität zwischen Begriffen.<br />
[Bearbeiten]<br />
Philosophische Probleme <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität<br />
Der Begriff <strong>de</strong>r „I<strong>de</strong>ntität“ ist Gegenstand einiger Fragen und Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen in <strong>de</strong>r Philosophie.<br />
Be<strong>de</strong>utsam ist die Frage, wie weit man bei Dingen überhaupt von „I<strong>de</strong>ntität“ sprechen kann: welche Dinge sind i<strong>de</strong>ntisch, welche nicht? Hier<br />
kommt es zu Problemen, wenn man <strong>de</strong>n alltäglichen Sprachgebrauch ungeprüft in eine formale Sprache bringen will. So wird man im Alltag<br />
kaum behaupten: „Dieser Baum dort ist nicht mehr <strong>de</strong>rselbe Baum wie eben“, nur weil er einige Blätter verloren hat; o<strong>de</strong>r „Diese Person ist<br />
nicht mehr dieselbe“, nur weil ihre Haare geschnitten wur<strong>de</strong>n. Wann man vom Gleichbleiben eines Dinges, von <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung eines Dinges<br />
o<strong>de</strong>r sogar <strong>de</strong>m Entstehen eines neuen Dinges re<strong>de</strong>t, ist in <strong>de</strong>r Umgangssprache nicht festgelegt; die Grenzen sind fließend.<br />
Auf die Wi<strong>de</strong>rsprüche, die sich aus diesem unklaren Sprachgebrauch ergeben können, wies etwa Thomas Hobbes mit einem Beispiel hin. Er<br />
spricht über das Schiff <strong>de</strong>s Theseus:<br />
"Wer<strong>de</strong>n in diesem Schiff nach und nach alle Planken durch neue ersetzt, dann ist es numerisch dasselbe Schiff geblieben; hätte<br />
aber jemand die herausgenommenen alten Planken aufbewahrt und sie schließlich sämtlich in gleicher Richtung wie<strong>de</strong>r<br />
zusammengefügt und aus ihnen ein Schiff gebaut, so wäre ohne Zweifel auch dieses Schiff numerisch dasselbe Schiff wie das<br />
ursprüngliche. Wir hätten dann zwei numerisch i<strong>de</strong>ntische Schiffe, was absurd ist."<br />
(in: T. Hobbes, Grundzüge <strong>de</strong>r Philosophie. Erster Teil. Lehre vom Körper)
Dieses Paradox entsteht, wenn wir beim Austausch von nur einer einzigen Planke nicht annehmen, dass sich das Schiff wesentlich verän<strong>de</strong>rt<br />
hätte: es scheint uns immer noch dasselbe zu sein. Wer<strong>de</strong>n aber viele kleine Verän<strong>de</strong>rungen nacheinan<strong>de</strong>r vorgenommen, die wir einzeln<br />
vernachlässigen, erscheint ein paradoxes Ergebnis. Dies zeigt, daß die alltägliche Sichtweise <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität nicht ohne weiteres übernommen<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Weitere Wi<strong>de</strong>rsprüche ergeben sich etwa, wenn z.B. eine Raupe, die sich verpuppt und zum Schmetterling wird, die ganze Zeit<br />
als „dasselbe“ Wesen angesehen wird. Dies ist ein Wi<strong>de</strong>rspruch zu einer Definition <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität, die völlige Gleichartigkeit <strong>de</strong>r Eigenschaften<br />
verlangt.<br />
Eine klassische Definition <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität, die dieses vermei<strong>de</strong>n soll, gibt das Leibniz-Gesetz, das sich so formulieren läßt: „Zwei Dinge sind<br />
i<strong>de</strong>ntisch, wenn alle ihre Eigenschaften i<strong>de</strong>ntisch sind.“<br />
Ein Hilfssatz, etwa von Sigwart formuliert, lautet nun: „am selben Ort <strong>de</strong>s Raumes kann zu einer bestimmten Zeit nur ein Ding existieren.“<br />
Diese Definition scheint einfach, sie wirft aber Probleme auf. Ein Problem ist, was unter „Eigenschaft“ verstan<strong>de</strong>n wird. Wenn darunter auch die<br />
räumliche und zeitliche Bestimmtheit fallen, ergibt sich mittels <strong>de</strong>s Hilfssatzes eine leichte I<strong>de</strong>ntifizierung: <strong>de</strong>nn wenn man von zwei Dingen<br />
feststellt, dass sie in allen Eigenschaften übereinstimmen und sich insbeson<strong>de</strong>re zur selben Zeit am selben Ort befin<strong>de</strong>n, kann man schließen,<br />
dass sie i<strong>de</strong>ntisch sind.<br />
Jedoch ergibt sich ein weiteres, vielfach aufgeworfenes Problem, das etwa Ludwig Wittgenstein beschäftigte: wie kann ich überhaupt sagen,<br />
daß „zwei Dinge i<strong>de</strong>ntisch sind“, wo doch „zwei Dinge“ naturgemäß nicht i<strong>de</strong>ntisch (son<strong>de</strong>rn eben „zwei“) sind und man bei völliger I<strong>de</strong>ntität<br />
nicht von „zwei Dingen“ sprechen kann? Ähnliche Kritik wur<strong>de</strong> von an<strong>de</strong>ren Philosophen vorgebracht. Ein Ansatz zur Lösung geht davon aus,<br />
dass <strong>de</strong>r Mensch die I<strong>de</strong>ntität von Dingen zunächst nicht erkenne und <strong>de</strong>swegen zunächst zwei verschie<strong>de</strong>ne Dinge annimmt; wenn dann<br />
<strong>de</strong>ren I<strong>de</strong>ntität bewiesen ist, ergibt sich, dass er von Anfang an nur ein Ding betrachtet hat, diesem aber zuvor irrtümlich unterschiedliche<br />
Bezeichnungen gegeben hat.<br />
Gegen diesen Ansatz wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rum eingewen<strong>de</strong>t, dass etwa die Gleichung „2+2 = 4“ trotz<strong>de</strong>m fragwürdig sei: wenn „2+2“ exakt dasselbe<br />
sagt wie „4“, wäre es ja überflüssig, die Gleichung hinzuschreiben. Vertreter <strong>de</strong>s genannten Ansatzes halten dies für ein Missverständnis:<br />
tatsächlich sei es ja überflüssig, die rein tautologische Gleichung hinzuschreiben.<br />
I<strong>de</strong>ntität<br />
Philosophie<br />
in <strong>de</strong>r Logik die Konstanz <strong>de</strong>s Be<strong>de</strong>utungsgehalts eines Begriffs; die For<strong>de</strong>rung, einen im Denken gesetzten Gegenstand nicht zugleich und in<br />
<strong>de</strong>rselben Hinsicht als einen an<strong>de</strong>ren zu setzen. Der durch A = A ausgedrückte I<strong>de</strong>ntitätssatz ist eine Umwandlung <strong>de</strong>s Satzes vom<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch und wird zumeist aus diesem abgeleitet.<br />
hcrummenauer@aol.com - zusen<strong>de</strong>n<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
Zum Text: Sprache als Charakteristikum <strong>de</strong>s Menschen<br />
(aus: G.G. Simpson: Sprache in <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Evolution<br />
Anhang:<br />
Philosophie – Mitschrift – 15.04.05<br />
1. Standpunkt: Systematiker: Funktion <strong>de</strong>r Sprache: Sprache als differencia specifica (charakteristisches Merkmal, das <strong>de</strong>n Menschen<br />
von allen an<strong>de</strong>ren Lebewesen abhebt.)<br />
2. Standpunkt: Biologie: Funktion <strong>de</strong>r Sprache: Sprache als notwendige Anpassung an evolutionär bedingte Gegebenheiten<br />
(Angewiesenheit auf soziales Leben und Kommunikation)<br />
Übergang:<br />
i. Information<br />
ii. Kommunikation<br />
iii. Sprache<br />
Unterscheidung<br />
EVOLUTION<br />
Einführung in die Evolutionstheorie<br />
• Information: Z. 37: Informationsübertragung durch die Sinne im Wesen selbst<br />
entspricht we<strong>de</strong>r Kommunikation, noch Sprache (nach Kant´schem Mo<strong>de</strong>ll)<br />
i. Reiz-Reaktionsmo<strong>de</strong>ll<br />
ii. Instinktmo<strong>de</strong>ll (Fuchs – Hase)<br />
• Kommunikation: Kennzeichen:<br />
i. Codierung / Decodierung und Formulierung von Informationen<br />
ii. Übertragung mittels Lauten o<strong>de</strong>r Verhaltensweisen (z.B. „Bienensprache“)<br />
!Keine Sprache!<br />
Die revolutionäre Vorstellung von <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rbarkeit <strong>de</strong>r Welt, ihrer Lebewesen und ihrer selbst, erfasste <strong>de</strong>n Menschen im 18.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt. Es ging um das Vordringen <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e, dass Verän<strong>de</strong>rung überhaupt möglich sei, wenn auch in langen Zeiträumen, mit<br />
einem Wort, um <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Evolution. Unser heutiges Weltverständnis wird von <strong>de</strong>r Kenntnis bestimmt, dass das Universum, die<br />
Sterne, die Er<strong>de</strong> und alle lebendigen Dinge eine lange Vorgeschichte haben, in <strong>de</strong>r nichts vorbestimmt o<strong>de</strong>r programmiert war, eine<br />
Geschichte langsamer, kontinuierlicher Verän<strong>de</strong>rung, die nach physikalischen Gesetzen in mehr o<strong>de</strong>r weniger richtungsbestimmten<br />
natürlichen Prozessen verlief. Das gilt für die Evolution <strong>de</strong>s Kosmos ebenso wie für die Evolution <strong>de</strong>s Lebendigen.<br />
Dennoch unterschei<strong>de</strong>t sich die biologische Evolution auf vielerlei Weise grundsätzlich von <strong>de</strong>r kosmischen. Zum einen läuft sie<br />
wesentlich komplizierter ab, und zum an<strong>de</strong>ren führt sie zu leben<strong>de</strong>n Systemen, die je<strong>de</strong>s unbelebte System an Komplexität weit<br />
übertreffen.<br />
Dieses Buch aus Beiträgen, die für SCIENTIFIC AMERICAN zum Thema Evolution geschrieben wor<strong>de</strong>n sind, han<strong>de</strong>lt von <strong>de</strong>n<br />
Anfängen, <strong>de</strong>r Geschichte und <strong>de</strong>n Wechselbeziehungen leben<strong>de</strong>r Systeme, so wie sie im Licht <strong>de</strong>r inzwischen allgemein<br />
akzeptierten Theorie über <strong>de</strong>n Ursprung <strong>de</strong>s Lebens verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>r Evolution durch natürliche Selektion, wie<br />
sie vor mehr als hun<strong>de</strong>rt Jahren von Charles Darwin vorgetragen wor<strong>de</strong>n ist und seither von <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Genetik<br />
modifiziert und weiterentwickelt wur<strong>de</strong>. Sie gilt heute als das wichtigste Organisationsprinzip <strong>de</strong>r Biologie.<br />
Den Schöpfungsmythen, die uns bei primitiven Völkern und in <strong>de</strong>n meisten Religionen begegnen, liegt grundsätzlich die statische<br />
Auffassung einer Welt zugrun<strong>de</strong>, die sich, sobald <strong>de</strong>r Schöpfungsakt abgeschlossen ist, nicht mehr weiterentwickelt, einer Welt, die<br />
überhaupt erst seit kurzem existiert. Die berühmte Rechnung von Bischof Ussher, <strong>de</strong>r im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt zu <strong>de</strong>m Ergebnis kam, die<br />
Welt sei im Jahre 4004 vor Christus erschaffen wor<strong>de</strong>n, ist für uns eher wegen ihrer falschen Präzision interessant als für ihren<br />
falschen Ansatz. Die Rechnung stammt aus einer Zeit, in <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>r Griff in die Geschichte von Traditionen und schriftlichen<br />
Überlieferungen verkürzt wur<strong>de</strong>. Erst die Naturforscher und Philosophen <strong>de</strong>r Aufklärung <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts und die Geologen und<br />
Biologen <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts konnten die Zeitachse verlängern. 1749 machte <strong>de</strong>r französische Naturforscher Compte <strong>de</strong> Buffon<br />
<strong>de</strong>n ersten Versuch, das Alter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu berechnen, und kam auf wenigstens 70 000 Jahre. In seinen unpublizierten Notizen hatte<br />
er 500 000 Jahre vermerkt.<br />
Immanuel Kant ging gedanklich in seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie <strong>de</strong>s Himmels von 1755 so weit, dass er von<br />
Millionen o<strong>de</strong>r sogar Hun<strong>de</strong>rten von Millionen Jahren schrieb. Ganz offensichtlich hatten sich Buffon und Kant ein Universum<br />
vorgestellt, das seine Gestalt einer Evolution verdankte.<br />
Der Begriff "Evolution" beinhaltet eine kontinuierliche, meist auch gerichtete Verän<strong>de</strong>rung. Die biologische Evolution lässt sich am<br />
besten als Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Mannigfaltigkeit von Organismenpopulationen und als Verän<strong>de</strong>rung ihrer Anpassung erklären.<br />
Die erste wi<strong>de</strong>rspruchsfreie Evolutionstheorie wur<strong>de</strong> 1809 von <strong>de</strong>m französischen Naturforscher und Philosophen Jean Baptiste <strong>de</strong><br />
Lamarck aufgestellt. Er befasst sich darin mit <strong>de</strong>m Prozess <strong>de</strong>r historischen Verän<strong>de</strong>rung, mit <strong>de</strong>m, was für ihn ein Fortschreiten <strong>de</strong>r<br />
Natur vorn kleinsten sichtbaren Organismus zu <strong>de</strong>n komplexesten und nahezu vollkommenen Pflanzen und Tieren und damit zum<br />
Menschen war.<br />
Um <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r Evolution im einzelnen zu erklären, benutzte Lamarck vier Prinzipien: die Existenz eines in je<strong>de</strong>m Organismus<br />
vorhan<strong>de</strong>nen Drangs zur Vollkommenheit; die Fähigkeit <strong>de</strong>r Organismen, sich gewissen "Umstän<strong>de</strong>n", heute Umwelt genannt,<br />
anzupassen. Das häufige Auftreten spontaner Schöpfungen und die Erblichkeit erworbener Eigenschaften o<strong>de</strong>r Merkmale. Sein<br />
Glaube an die Erblichkeit erworbener Eigenschaften - <strong>de</strong>r Irrtum, an <strong>de</strong>n man bei Lamarck vor allem <strong>de</strong>nkt - war zu dieser Zeit<br />
Allgemeingut, eine I<strong>de</strong>e, die fest in Volksmärchen verankert war, und von <strong>de</strong>r die Bibelgeschichte von Jakob und <strong>de</strong>r Teilung <strong>de</strong>r
gefleckten und <strong>de</strong>r schwarzen Lämmer nur ein Ausdruck ist. Dieser Glaube bestand lange weiter. Auch Darwin hatte angenommen,<br />
dass <strong>de</strong>r Gebrauch o<strong>de</strong>r Nichtgebrauch eines Organs durch eine Generation sich in <strong>de</strong>r nächsten wi<strong>de</strong>rspiegeln wür<strong>de</strong>, und so<br />
dachten die meisten Evolutionisten, bis <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Biologe August Weismann am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahrhun<strong>de</strong>rts auf die Unmöglichkeit<br />
o<strong>de</strong>r doch wenigstens die Unwahrscheinlichkeit hinwies, dass erworbene Eigenschaften vererbt wer<strong>de</strong>n. Auch Lamarcks "Drang zur<br />
Perfektion" und das Auftreten häufiger Spontanschöpfungen stellten sich als unhaltbar heraus. Bestätigt wur<strong>de</strong> seine Annahme, dass<br />
Evolution vor allem das ist, was wir heute adaptiv nennen. Darüber hinaus hatte er erkannt, dass man die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r<br />
zahlreichen Lebewesen nur erklären konnte, wenn man ein hohes Alter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> voraussetzte und die Evolution als langsamen<br />
Vorgang verstand.<br />
Lamarck beschäftigte sich vor allem mit <strong>de</strong>m zeitlichen Ablauf <strong>de</strong>r Evolution, mit ihrer vertikalen Komponente. Darwin hingegen war<br />
zunächst vom Problem <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r Arten fasziniert, von einem Ursprung durch Differenzierung in <strong>de</strong>r geographischen<br />
Verbreitung, kurz von <strong>de</strong>r horizontalen Komponente <strong>de</strong>r Evolution. Sein Interesse an <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung und Spezialisierung von<br />
Pflanzen und Tieren wur<strong>de</strong> bekanntlich auf seiner fünfjährigen Weltreise als Naturforscher, zu <strong>de</strong>r er 1831 mit <strong>de</strong>r Beagle<br />
aufgebrochen war, geweckt. Auf <strong>de</strong>n Galapagosinseln sah er, dass je<strong>de</strong> Insel ihre eigenen Schildkröten, Spottdrosseln und Finken<br />
beherbergte. Die Formen waren eng miteinan<strong>de</strong>r verwandt und doch <strong>de</strong>utlich unterschie<strong>de</strong>n. Wie<strong>de</strong>r in England, grübelte er lange<br />
über seinen Beobachtungen und kam zu <strong>de</strong>m Schluss, dass je<strong>de</strong> einzelne Inselpopulation <strong>de</strong>n Beginn einer selbständigen Spezies<br />
darstellte. Das brachte ihn auf die Vorstellung <strong>de</strong>r "Umwandlung" (Transmutation) o<strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>r Arten. 1838 fand er dafür die<br />
treiben<strong>de</strong> Kraft: die natürliche Auslese o<strong>de</strong>r Selektion. Erst nach zwanzig weiteren Jahren <strong>de</strong>s Beobachtens und Experimentierens,<br />
nach <strong>de</strong>r Lektüre aller wichtigen Literatur <strong>de</strong>r Geologie, Zoologie und verwandter Gebiete, trat er 1858 mit einem Bericht vor <strong>de</strong>r<br />
Londoner Linnean Society an die Öffentlichkeit. Unabhängig von Darwin hatte auch Alfred Russell Wallace, ein junger englischer<br />
Naturforscher in Indien, die Vorstellung von einer natürlichen Selektion entwickelt. Er hatte dazu ein Manuskript verfasst und an<br />
Darwin geschickt. Seine Arbeit wur<strong>de</strong> zusammen mit <strong>de</strong>r Darwins auf <strong>de</strong>r selben Veranstaltung vorgetragen.<br />
Ein Jahr später, am 24. November 1859, publizierte Darwin seine Überlegungen im Zusammenhang: On the Origin of Species<br />
(<strong>de</strong>utsche Übersetzung 1860: Über die Entstehung <strong>de</strong>r Arten). Die theoretischen Ausführungen waren sorgfältig begrün<strong>de</strong>t und mit<br />
einer Fülle von persönlichen Beobachtungen untermauert. In <strong>de</strong>r ausführlichen Begründung verwen<strong>de</strong>te Darwin eine Reihe von<br />
Postulaten, von <strong>de</strong>nen ich die vier, die ich für die wichtigsten halte, hier herausgreifen möchte. Zwei stimmten mit Lamarcks<br />
Vorstellungen überein. Erstens das Postulat, dass die Welt sich nicht statisch verhält, son<strong>de</strong>rn in ständiger Entwicklung begriffen ist.<br />
Die Arten verän<strong>de</strong>rn sich unaufhörlich, neue Arten entstehen, an<strong>de</strong>re sterben aus. Lebensbedingungen än<strong>de</strong>rn sich mit <strong>de</strong>r Zeit, wie<br />
von <strong>de</strong>n Fossilien belegt wird. Je älter sie sind, um so mehr scheinen sie sich von <strong>de</strong>n zeitgenössischen Lebewesen zu<br />
unterschei<strong>de</strong>n. Wohin man in <strong>de</strong>r leben<strong>de</strong>n Natur auch blickt, überall trifft man auf Erscheinungen, die keinen Sinn ergeben, wenn<br />
man sie nicht durch die Brille <strong>de</strong>r Evolution betrachtet. Zweitens übernahm Darwin das Lamarcksche Postulat vom langsamen und<br />
kontinuierlichen Ablauf <strong>de</strong>r Evolution, vom Fehlen zusammenhangloser Sprünge o<strong>de</strong>r plötzlicher Än<strong>de</strong>rungen.<br />
Die zwei an<strong>de</strong>ren Postulate Darwins enthielten neue Konzeptionen. Eines war das Postulat <strong>de</strong>s gemeinsamen Ursprungs. Für<br />
Lamarck besaß noch je<strong>de</strong>r Organismus o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong> Gruppe von Organismen eine eigenständige Entwicklungslinie, die mit einer<br />
spontanen Entstehung begonnen hatte und sich auf <strong>de</strong>m Weg zur Vollkommenheit befand. Dem setzte Darwin entgegen, dass<br />
einan<strong>de</strong>r ähnliche Organismen miteinan<strong>de</strong>r verwandt sind und von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Alle Säugetiere<br />
seien aus einer einzigen Urart hervorgegangen; alle Insekten besäßen einen gemeinsamen Vorfahr, und alle an<strong>de</strong>ren Gruppen von<br />
Lebewesen ebenfalls. Er hielt es für <strong>de</strong>nkbar, dass alles Lebendige auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeführt wer<strong>de</strong>n könne.<br />
Darwin hatte auch <strong>de</strong>n Menschen von <strong>de</strong>r gemeinsamen Abstammung aller Säugetiere nicht ausgeschlossen und entfachte damit<br />
einen Sturm <strong>de</strong>r Entrüstung. Sein Gedanke wur<strong>de</strong> als unverzeihliche Beleidigung <strong>de</strong>r menschlichen Rasse betrachtet. Trotz<strong>de</strong>m<br />
besaß die Vorstellung von einer einheitlichen Abstammung eine <strong>de</strong>rartige Faszination, dass sie von <strong>de</strong>n meisten Biologen ohne<br />
Zögern aufgegriffen wur<strong>de</strong>. Sie lieferte nicht nur <strong>de</strong>n Schlüssel zur Linnéschen Hierarchie taxonomischer Begriffe, son<strong>de</strong>rn gab auch<br />
<strong>de</strong>n vergleichen<strong>de</strong>n Anatomen eine Erklärung für ihre Beobachtung, dass alle Lebewesen einer relativ begrenzten Zahl<br />
morphologischer Typen zuzuordnen sind.<br />
Darwins viertes Postulat gilt <strong>de</strong>r natürlichen Auslese, <strong>de</strong>r Selektion. Erst die Vorstellung von <strong>de</strong>r Selektion öffnet <strong>de</strong>n Zugang zu<br />
seinem verzweigten Gedankengebäu<strong>de</strong>. Verän<strong>de</strong>rungen, sagte Darwin, seien in <strong>de</strong>r Evolution nicht das Resultat eines mysteriösen<br />
Lamarckschen Dranges, und sie seien auch nicht Früchte <strong>de</strong>s Zufalls, son<strong>de</strong>rn das Produkt einer Selektion.<br />
Der Vorgang <strong>de</strong>r Selektion besitzt zwei Stufen. In <strong>de</strong>r ersten Stufe entsteht eine genetische Variation. Je<strong>de</strong> Generation erzeugt<br />
Variationen in riesiger Menge. Ihren Ursprung kannte Darwin noch nicht. Ihn zu fin<strong>de</strong>n, blieb <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Genetik<br />
vorbehalten. Darwin stand lediglich seine empirische Kenntnis zu Verfügung, dass es innerhalb je<strong>de</strong>r Art ein anscheinend<br />
unerschöpfliches Reservoir kleiner und großer Unterschie<strong>de</strong> gibt. Die zweite Stufe zur Selektion heißt Überleben im Existenzkampf.<br />
Bei <strong>de</strong>n meisten Pflanzen und Tieren produziert ein Elternpaar Tausen<strong>de</strong>, wenn nicht Millionen von Nachkommen. Darwin wusste<br />
schon aus <strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>r Schriften von Thomas Malthus (Essay on the principles of population, 1798), dass nur die wenigsten<br />
dieser Nachkommen überleben. Welche hätten dabei die beste Chance? Zweifellos diejenigen, <strong>de</strong>nen die geeignetste Kombination<br />
von Eigenschaften zugefallen ist, um mit <strong>de</strong>r Umwelt fertig zu wer<strong>de</strong>n. Unter Umwelt sind dabei Klima, Konkurrenten und Fein<strong>de</strong> zu<br />
verstehen. Wer überlebt, hätte die größte Chance, sich zu reproduzieren und leben<strong>de</strong> Nachkommen zu hinterlassen, <strong>de</strong>ren<br />
Eigenschaften wie<strong>de</strong>rum für <strong>de</strong>n nächsten Selektionszyklus bereitstün<strong>de</strong>n.<br />
Die Vorstellung einer verän<strong>de</strong>rlichen Welt im Gegensatz zu einer unverän<strong>de</strong>rlichen, statischen wur<strong>de</strong> von fast allen<br />
ernstzunehmen<strong>de</strong>n Wissenschaftlern rund um die Welt akzeptiert, lange vor Darwins Tod im Jahre 1882. Und wer sich zur Evolution<br />
bekannte, übernahm auch die These vom gemeinsamen Ursprung aller Lebewesen. Trotz<strong>de</strong>m gab es eine Gruppe von<br />
Wissenschaftlern, die darauf bestand, <strong>de</strong>n Menschen von <strong>de</strong>r gemeinsamen Entwicklung auszuschließen. Dagegen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n<br />
bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Postulaten Darwins von vielen fähigen und gelehrten Köpfen erbitterter Wi<strong>de</strong>rstand entgegengesetzt, bis in die<br />
Vierziger Jahre unseres Jahrhun<strong>de</strong>rts.<br />
Eines <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Postulate han<strong>de</strong>lt von <strong>de</strong>r schrittweisen Verän<strong>de</strong>rung. Selbst ein so glühen<strong>de</strong>r Anhänger Darwins wie T. H. Huxley,<br />
wegen seines bedingungslosen Eintretens für die meisten Aspekte <strong>de</strong>r neuen Theorie "Darwins Bulldogge" genannt, wollte sich mit<br />
<strong>de</strong>r graduellen Entstehung höherer Lebewesen und neuer Arten nicht anfreun<strong>de</strong>n. Er stellte sich statt <strong>de</strong>ssen sprunghafte<br />
Verän<strong>de</strong>rungen vor. Auch ein Biologe wie Hugo De Vries, <strong>de</strong>r die Vererbungslehre Gregor Men<strong>de</strong>ls wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckt hatte, war ein<br />
Verfechter von Entwicklungssprüngen, Saltationen. 1901 trat er mit einer Theorie an die Öffentlichkeit, nach <strong>de</strong>r neue Arten durch<br />
Mutation entstehen. Bis 1940 verteidigte <strong>de</strong>r große Genetiker Richard B. G. Goldschmidt seine "System-Mutationen" als Ursprung<br />
neuer, höherentwickelter Typen.<br />
Es waren drei Entwicklungen, die schließlich zur Abkehr von <strong>de</strong>n Sprungtheorien führten. Langsam gewann eine neue Einstellung zur<br />
physischen Welt an Bo<strong>de</strong>n. Seit Plato war das herrschen<strong>de</strong> Weltbild von <strong>de</strong>m geprägt, was Karl Popper "Essentialismus" genannt<br />
hat: die Welt besteht aus einer begrenzten Anzahl invariabler Essentia (Platons eidoi) und die verän<strong>de</strong>rlichen Erscheinungen <strong>de</strong>r<br />
sichtbaren Welt seien lediglich unvollständige und ungenaue Spiegelbil<strong>de</strong>r davon. In einem solchen Weltbild konnte sich ein echter<br />
Wan<strong>de</strong>l nur durch Schöpfung o<strong>de</strong>r einen spontanen Sprung, eine Mutation, vollziehen. An<strong>de</strong>rs als in <strong>de</strong>r Biologie bestehen die<br />
Klassen physikalischer Objekte in <strong>de</strong>r Tat aus i<strong>de</strong>ntischen Einheiten, und unter i<strong>de</strong>alen Bedingungen sind alle physikalischen
Konstanten unverän<strong>de</strong>rlich. Im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt gab es keine Konflikte zwischen Mathematik o<strong>de</strong>r Physik und <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>s<br />
Essentialismus.<br />
Für die Erklärung <strong>de</strong>s Lebens ist eine an<strong>de</strong>re Philosophie vonnöten. Je<strong>de</strong>s Lebewesen ist einmalig. Populationen von Lebewesen<br />
bestehen aus nicht-i<strong>de</strong>ntischen Individuen. Bei <strong>de</strong>r Betrachtung von Populationen bleiben die Mittelwerte ihrer Eigenschaften<br />
abstrakt. Nur das einzelne Individuum ist real. Die Be<strong>de</strong>utung einer Population liegt darin, dass sie eine Summe von Varianten<br />
repräsentiert, in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r Genetiker einen Genpool. Erst das Denken in Populationen lässt <strong>de</strong>n Prozess einer schrittweisen<br />
Evolution plausibel erscheinen, <strong>de</strong>r heute alle Gesichtspunkte <strong>de</strong>r Evolutionstheorie beherrscht.<br />
Die sprunghafte Mutation konnte noch aus einem an<strong>de</strong>ren Grund verworfen wer<strong>de</strong>n. Man ent<strong>de</strong>ckte eine immense Variabilität<br />
innerhalb natürlicher Populationen, und die Erkenntnis brach sich Bahn, dass eine hohe Variabilität einzelner genetischer Faktoren<br />
sich in einer kontinuierlichen Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Organismus ausdrücken kann, vorausgesetzt, sie sind zahlreich genug und die<br />
Differenzen zwischen ihnen sind gering. Und noch eine dritte Erkenntnis brach sich Bahn. Die Naturwissenschaftler konnten<br />
beweisen, dass es durchaus möglich ist, <strong>de</strong>n Ursprung offensichtlicher Diskontinuitäten wie neuen Arten o<strong>de</strong>r neuen Typen o<strong>de</strong>r<br />
Innovationen wie Vogelflügel o<strong>de</strong>r Lunge durch <strong>de</strong>n Prozess einer schrittweisen Evolution zu erklären.<br />
Zu <strong>de</strong>n Darwinschen Vorstellungen, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r längste Wi<strong>de</strong>rstand entgegengesetzt wur<strong>de</strong>, gehört neben <strong>de</strong>r Evolution in kleinen<br />
Schritten die These von <strong>de</strong>r natürlichen Selektion. Sie wur<strong>de</strong> zunächst <strong>de</strong>shalb von <strong>de</strong>n meisten verworfen, weil sie gegen das<br />
<strong>de</strong>terministische Denken <strong>de</strong>r Naturwissenschaftler <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts verstieß. Selektion war nicht vorhersagbar. Aber wie konnte<br />
ein "Naturgesetz", als das die Evolution betrachtet wur<strong>de</strong>, ausschließlich eine Sache <strong>de</strong>s Zufalls sein? Von einigen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vorwurf<br />
<strong>de</strong>s "krassen Materialismus" erhoben. Natürlich untergrub die Behauptung, die Harmonie in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Lebendigen sei nichts<br />
an<strong>de</strong>res als das Zufallsergebnis einer natürlichen Auslese, das Weltbild <strong>de</strong>r Naturtheologen. Ihre These, dass sich die Existenz <strong>de</strong>s<br />
Schöpfers aus <strong>de</strong>r Schönheit und Zweckmäßigkeit seiner Werke ableiten lasse, war in Gefahr. Die Ablehnung einer natürlichen<br />
Selektion aus religiösen o<strong>de</strong>r philosophischen Grün<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r einfach, weil es sich um einen Prozess han<strong>de</strong>lte, <strong>de</strong>r viel zu sehr <strong>de</strong>m<br />
Zufall ausgesetzt sei, führte dazu, dass jahrelang alternative Schemata mit Namen wie Orthogenese, Nomogenese, Aristogenese<br />
angeboten wur<strong>de</strong>n, um die Evolution zu erklären, einschließlich Teilhard <strong>de</strong> Chardins "Omega-Prinzip". Allen diesen Schemata war<br />
gemeinsam, dass sie sich auf eine naturgegebene Ten<strong>de</strong>nz o<strong>de</strong>r einen Drang zur Vollkommenheit, einen zielgerichteten Fortschritt<br />
beriefen und eine kosmische Teleologie <strong>de</strong>r Zweckmäßigkeit postulierten.<br />
Doch keinem Anhänger einer teleologischen Theorie ist es trotz aller Anstrengungen je gelungen, auch nur einen einzigen Vorgang<br />
zu beschreiben (übernatürliche ausgeschlossen), <strong>de</strong>r die Teleologie untermauert. Inzwischen hat die Mikrobiologie auch die letzte<br />
Wahrscheinlichkeit ausgeräumt, dass es irgen<strong>de</strong>inen <strong>de</strong>rartigen Mechanismus geben könnte. Der verstorbene Jacques Monod<br />
betonte immer wie<strong>de</strong>r ausdrücklich: Das genetische Material bleibt sich gleich; nur eine Mutation kann es verän<strong>de</strong>rn. Auch die<br />
Fossilfun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Paläontologen beweisen die Unhaltbarkeit teleologischer Theorien. George Gaylord Simpson hat uns das beson<strong>de</strong>rs<br />
<strong>de</strong>utlich gezeigt. Wenn man <strong>de</strong>n evolutionären Trend irgen<strong>de</strong>iner Eigenschaft, nehmen wir einen Trend zur Steigerung <strong>de</strong>r<br />
Körpergröße o<strong>de</strong>r zu längeren Zähnen, genau unter die Lupe nimmt, wird man fin<strong>de</strong>n, dass er nicht gleichmäßig abläuft. Häufig<br />
wechselt er die Richtung und kehrt sich sogar gelegentlich um. Gegen eine immanente Zweckmäßigkeit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Hang zur<br />
Perfektion spricht letztlich auch die Häufigkeit, mit <strong>de</strong>r sich das Aussterben von Arten in allen geologischen Formationen beobachten<br />
lässt.<br />
Die Be<strong>de</strong>nken gegen <strong>de</strong>n befürchteten Zufallsaspekt <strong>de</strong>r natürlichen Auswahl lassen sich leicht zerstreuen. Der Vorgang ist<br />
überhaupt nicht vollkommen willkürlich. Zwar entstehen die Varianten nach <strong>de</strong>m Zufallsprinzip, aber auf <strong>de</strong>r zweiten Stufe <strong>de</strong>s<br />
Evolutionsprozesses, bei <strong>de</strong>r Auswahl durch Überleben, wer<strong>de</strong>n sie keineswegs willkürlich selektiert. Und sollte <strong>de</strong>nnoch ein Teil <strong>de</strong>r<br />
Evolution Resultat eines Zufalls sein, dann wissen wir doch heute, dass auch physikalische Prozesse eine wesentlich größere<br />
Wahrscheinlichkeitskomponente besitzen, als man vor hun<strong>de</strong>rt Jahren angenommen hat.<br />
Wie <strong>de</strong>m auch sei, kann die natürliche Selektion tatsächlich <strong>de</strong>n langen Weg <strong>de</strong>r Evolution von drei bis vier Milliar<strong>de</strong>n Jahren bis zu<br />
<strong>de</strong>n höchsten Pflanzen und Tieren einschließlich <strong>de</strong>s Menschen erklären? In welcher Form ist die natürliche Selektion sowohl für<br />
unterschiedliche Überlebensraten und für Anpassungsän<strong>de</strong>rungen innerhalb einer Art zuständig als auch für <strong>de</strong>n Aufstieg neuer,<br />
an<strong>de</strong>rs adaptierter Arten? Wie<strong>de</strong>r ist es Darwin, <strong>de</strong>r die richtige Antwort bietet: Ein Organismus konkurriert nicht nur mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
Individuen seiner Spezies, son<strong>de</strong>rn auch mit allen Individuen an<strong>de</strong>rer Spezies. Eine neugewonnene Adaption o<strong>de</strong>r eine generelle<br />
physiologische Verbesserung machen ein Individuum auch zum starken Konkurrenten an<strong>de</strong>rer Arten und tragen <strong>de</strong>shalb zu weiterer<br />
Divergenz und Spezialisierung bei. Oft führt eine <strong>de</strong>rartige Spezialisierung auch in eine Sackgasse, wie die Anpassung an ein Leben<br />
in heißen Quellen o<strong>de</strong>r in Höhlen. Die meisten Spezialisierungen, beson<strong>de</strong>rs die aus <strong>de</strong>r frühen Evolutionsgeschichte, erschlossen<br />
völlig neue Ebenen weiterer Adaptionsmöglichkeiten. Das reicht von <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>r Zellmembran bis zum organisierten Zellkern<br />
und von <strong>de</strong>r Aggregation von Einzellern und vielzelligen Organismen bis zum Auftreten hochentwickelter Zentralnervensysteme und<br />
verlängerter Brutpflege.<br />
Die Evolution ist, nach G. G. Simpson, rücksichtslos opportunistisch: sie för<strong>de</strong>rt je<strong>de</strong> Variation, die einem Organismus gegenüber<br />
Artgenossen o<strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rn an<strong>de</strong>rer Spezies einen Überlebensvorteil bietet. Milliar<strong>de</strong>n Jahre lang hat dieser Prozess die Flamme<br />
<strong>de</strong>s evolutionären "Fortschritts" genährt. Dieser Fortschritt war we<strong>de</strong>r gerichtet noch gesteuert; er ist das Resultat von ad-hoc-<br />
Entscheidungen bei <strong>de</strong>r natürlichen Selektion.<br />
Eine große Lücke in Darwins Beweisführung entstammt seiner Unsicherheit, wo nun die Quelle <strong>de</strong>r genetischen Variabilität zu fin<strong>de</strong>n<br />
sei, die das Rohmaterial für die natürliche Auswahl liefert. Die Genetiker konnten die Lücke schließen. 1865 ent<strong>de</strong>ckte Gregor<br />
Men<strong>de</strong>l, dass die Erbfaktoren, über die Erbanlagen übertragen wer<strong>de</strong>n, diskrete Einheiten sind, die als Einheit unverän<strong>de</strong>rt erhalten,<br />
von je<strong>de</strong>m Elternteil an die Nachkommen übergehen, wobei sie je<strong>de</strong>smal neu sortiert wer<strong>de</strong>n. Darwin hatte nie von <strong>de</strong>n Men<strong>de</strong>lschen<br />
Regeln gehört, die unbekannt blieben, bis Correns, Tschermak und <strong>de</strong> Vries sie 1900 wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckten.<br />
Heute wissen wir, dass die DNA im Zellkern aus zahllosen, sich selbst kopieren<strong>de</strong>n Genen (Men<strong>de</strong>ls Erbfaktoren) besteht, die eine<br />
Mutation erlei<strong>de</strong>n können und dann unterschiedliche Allele o<strong>de</strong>r alternative Formen bil<strong>de</strong>n. Es gibt Strukturgene, die eine kodierte<br />
Anweisung zur Herstellung bestimmter Proteine liefern können, und Regulatorgene, die die Strukturgene an- und abschalten. Ein<br />
mutiertes Strukturgen wird zu einem verän<strong>de</strong>rten Protein mit verän<strong>de</strong>rten Eigenschaften führen. Die Gene sind auf <strong>de</strong>n<br />
Chromosomen angeordnet und können bei <strong>de</strong>r Meiose, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Bildung einer Samenzelle vorausgehen<strong>de</strong>n Prozess in <strong>de</strong>r Zelle,<br />
miteinan<strong>de</strong>r rekombiniert wer<strong>de</strong>n. Die Unterschiedlichkeit <strong>de</strong>r Genotypen (vollständiger Gegensätze), die bei <strong>de</strong>r Meiose entstehen<br />
können, ist fast unvorstellbar groß. Und alle diese Abweichungen sind in einer Population vorhan<strong>de</strong>n, trotz <strong>de</strong>r natürlichen Auslese.<br />
Son<strong>de</strong>rbarerweise wollten die ersten Anhänger Men<strong>de</strong>ls die Theorie <strong>de</strong>r natürlichen Auswahl nicht anerkennen. Sie waren<br />
Essentialisten und Saltationisten, und für sie war die spontane Mutation die Triebfe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Evolution. Das än<strong>de</strong>rt sich nach <strong>de</strong>r<br />
Entstehung <strong>de</strong>r Populationsgenetik in <strong>de</strong>n zwanziger Jahren. Erst dann wur<strong>de</strong> eine Synthese erreicht, im wesentlichen beschrieben<br />
und verbreitet in Büchern von Theodosius Dobzhansky, Julian Huxley, Bernhard Rensch, George G. Simpson, G. Ledyard Stebbins<br />
und mir. Mit <strong>de</strong>r neuen "Synthetischen Theorie" <strong>de</strong>r Evolution erweiterten wir Darwins Theorie unter Einbeziehung neuer
Erkenntnisse <strong>de</strong>r Chromosomentheorie, <strong>de</strong>r Vererbungslehre, <strong>de</strong>r Populationsgenetik, <strong>de</strong>s biologischen Konzepts <strong>de</strong>r Spezies und<br />
vieler an<strong>de</strong>rer biologischer und paläontologischer Vorstellungen. Die neue Synthese lehnt je<strong>de</strong> Vererbung erworbener Eigenschaften<br />
vollständig ab und unterstreicht <strong>de</strong>n schrittweisen Charakter <strong>de</strong>r Evolution. Sie erkennt, dass sich Evolutionsphänomene immer als<br />
Populationsphänomene beschreiben lassen und bestätigt wie<strong>de</strong>rum die überragen<strong>de</strong> Wichtigkeit <strong>de</strong>r Rolle, die <strong>de</strong>r natürlichen<br />
Auslese zukommt.<br />
Die Synthetische Theorie hat viel zum Verständnis <strong>de</strong>s Evolutionsprozesses beigetragen. Ihr großer Einfluss auf die weitere<br />
biologische Forschung führte zu <strong>de</strong>r Erkenntnis, dass je<strong>de</strong>s biologische Problem eine Evolutionsfrage birgt, dass es richtig und<br />
legitim ist, bei je<strong>de</strong>r Betrachtung einer Struktur, einer Funktion o<strong>de</strong>r eines Prozesses in <strong>de</strong>r Biologie zu fragen: Warum gibt es das?<br />
Welchen Überlebensvorteil brachte sein Erwerb? Fragen dieser Art hatten einen enormen Einfluss auf alle Gebiete biologischer<br />
Forschung, beson<strong>de</strong>rs auf Molekularbiologie, Verhaltensforschung und Ökologie.<br />
Philosophen, Physiker und die meisten Nichtbiologen haben immer noch Schwierigkeiten, die mo<strong>de</strong>rne Begründung <strong>de</strong>r Evolution<br />
durch natürliche Auswahl zu begreifen. Selbst auf die Gefahr hin, mich zu wie<strong>de</strong>rholen, möchte ich hier noch einmal die wichtigsten<br />
Gesichtspunkte <strong>de</strong>r heutigen Evolutionstheorie zusammenfassen und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>s<br />
Lebendigen und <strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>s Kosmos o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Vorgänge, mit <strong>de</strong>nen sich die Physiker befassen, herausstellen.<br />
Evolution durch natürliche Selektion ist, ich wie<strong>de</strong>rhole das, ein Prozess in zwei Stufen. In <strong>de</strong>r ersten Stufe wird durch<br />
Rekombination, Mutation o<strong>de</strong>r sonstige Zufälle eine genetische Variante gezeugt; in <strong>de</strong>r zweiten wird durch Selektion Ordnung in die<br />
Masse <strong>de</strong>r Varianten gebracht. Die erzeugten Varianten sind, da we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n laufen<strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s Individuums verursacht<br />
noch von <strong>de</strong>r Natur seiner Umwelt beeinflusst, immer zufallsbedingt.<br />
Die natürliche Auslese kann <strong>de</strong>shalb so erfolgreich sein, weil ihr ein unerschöpflicher Strom von Varianten zufließt. Er entspringt aus<br />
<strong>de</strong>m hohen Individualitätsgrad aller biologischen Systeme. Noch nicht einmal zwei Zellen <strong>de</strong>sselben Organismus sind einan<strong>de</strong>r<br />
vollkommen gleich; je<strong>de</strong>s Individuum ist einmalig, je<strong>de</strong> Spezies, je<strong>de</strong>s Biotop, je<strong>de</strong>s Ökosystem. Nichtbiologen können sich das<br />
Ausmaß organisch möglicher Varianten oft nicht vorstellen. Abgesehen davon ist es unvereinbar mit <strong>de</strong>m Denken in<br />
essentialistischen Kategorien. Ein ganz an<strong>de</strong>res Begriffssystem wird notwendig: Denken in Populationen. (Die Individualität<br />
biologischer Systeme und die Tatsache, dass es für beinahe alle Umweltvorgaben mehrere unterschiedliche Lösungen gibt, machen<br />
zusammen je<strong>de</strong> Evolution im organischen Bereich unwie<strong>de</strong>rholbar. Astronomen mit <strong>de</strong>terministischen Ansichten lassen sich von<br />
statistischen Überlegungen zu <strong>de</strong>r Überzeugung verleiten, dass alles, was sich auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ereignet hat, auch auf Planeten an<strong>de</strong>rer<br />
Sterne stattgefun<strong>de</strong>n haben muss. Biologen betrachten es dagegen unter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>r geringen Wahrscheinlichkeit je<strong>de</strong>s<br />
einzelnen Entwicklungsschrittes in <strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>s Menschen praktisch als ausgeschlossen, dass es zum zweitenmal gibt, was<br />
Simpson die "Vorherrschaft <strong>de</strong>r Humanoi<strong>de</strong>n" genannt hat.<br />
Voneinan<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>ne Individuen sind in kreuzungsfähigen Populationen und in Arten organisiert. Alle Mitglie<strong>de</strong>r einer Spezies<br />
sind sozusagen ein Teil von ihr, <strong>de</strong>nn sie sind alle aus <strong>de</strong>m gemeinsamen Genpool entstan<strong>de</strong>n und tragen zu ihm wie<strong>de</strong>r bei. Die<br />
einzelne Population o<strong>de</strong>r auch eine Spezies als Ganzes ist das eigentliche "Individuum", das <strong>de</strong>r Evolution ausgesetzt ist, nicht ihre<br />
einzelnen Mitglie<strong>de</strong>r.<br />
Biologisch gesehen besitzt je<strong>de</strong>s Individuum einen eigentümlichen Dualismus. Es gehört zu einem Genotyp (die Gesamtheit seiner<br />
Gene, von <strong>de</strong>nen nicht alle ausgeprägt sein müssen) und ist ein Phänotyp (<strong>de</strong>r Organismus, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Translation <strong>de</strong>r Gene <strong>de</strong>s<br />
Genotyps hervorgegangen ist). Der Genotyp ist Teil <strong>de</strong>s Genpools <strong>de</strong>r Population. Der Phänotyp konkurriert mit allen an<strong>de</strong>ren<br />
Phänotypen um <strong>de</strong>n reproduktiven Erfolg. Dieser Erfolg, <strong>de</strong>r die Darwinsche Fitness" <strong>de</strong>s Individuums bestimmt, ist nicht von innen<br />
her <strong>de</strong>terminiert, son<strong>de</strong>rn ist das Ergebnis vielfältiger Interaktionen mit Fein<strong>de</strong>n, Konkurrenten, Krankheitserregern und an<strong>de</strong>ren<br />
Auslesefaktoren. Die Konstellation <strong>de</strong>r Faktoren än<strong>de</strong>rt sich mit <strong>de</strong>n Jahreszeiten, von Jahr zu Jahr, o<strong>de</strong>r von Ort zu Ort.<br />
Die zweite Stufe <strong>de</strong>r natürlichen Auslese, <strong>de</strong>r eigentliche Akt <strong>de</strong>r Selektion, ist ein von außen wirksames Ordnungsprinzip. In einer<br />
Population von Tausen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Millionen eigenständiger Individuen wer<strong>de</strong>n einige von ihnen bestimmte Gensätze besitzen, die sie<br />
besser mit <strong>de</strong>n vorherrschen<strong>de</strong>n Umweltbedingungen fertig wer<strong>de</strong>n lassen als an<strong>de</strong>re Individuen. Sie bekommen eine statistisch<br />
höhere Überlebenschance und wer<strong>de</strong>n wahrscheinlich mehr Nachkommen hinterlassen als an<strong>de</strong>re Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gleichen<br />
Population. Erst in dieser zweiten Stufe bekommt die natürliche Auslese eine gewisse Richtung. Es wird die Häufigkeit <strong>de</strong>r Gene und<br />
Genkonstellationen zunehmen, die zu einer gegebenen Zeit und an einem gegebenen Ort anpassungsfähig sind, die Fitness<br />
erhöhen, Spezialisierung för<strong>de</strong>rn, einer sprunghaften Ausbreitung Vorschub leisten und <strong>de</strong>n evolutionären Prozess vorantreiben.<br />
Evolution durch Auslese unterliegt, mit an<strong>de</strong>ren Worten, we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m reinen Zufall, noch ist sie zielgerichtet. Evolution ist ein<br />
zweistufig hintereinan<strong>de</strong>r ablaufen<strong>de</strong>r Prozess, in <strong>de</strong>m Zufall und Notwendigkeit vorteilhaft miteinan<strong>de</strong>r verknüpft sind. Mit <strong>de</strong>n<br />
Worten Sewall Wrights, einem <strong>de</strong>r ersten Populationsgenetiker: "Der darwinsche Prozess ständiger Wechselwirkung zwischen einem<br />
zufallsbedingten und einem selektiven Vorgang ist keineswegs ein Mittelding zwischen nacktem Zufall und reinem Determinismus;<br />
<strong>de</strong>nn die Folgen dieses Prozesses sind von grundsätzlich an<strong>de</strong>rer Qualität als die seiner bei<strong>de</strong>n Komponenten."<br />
Soviel ich weiß, zweifelt kein Darwinist an <strong>de</strong>r Tatsache, dass alle Prozesse <strong>de</strong>r organischen Evolution im Einklang mit<br />
physikalischen Gesetzen ablaufen; daraus lässt sich jedoch nicht <strong>de</strong>r Umkehrschluß ziehen, die biologische Evolution sei auf die<br />
Gesetze <strong>de</strong>r Physik reduziert. Bei <strong>de</strong>r biologischen Evolution wirken ganz bestimmte Prozesse auf ganz bestimmte Systeme ein, die<br />
sich wie<strong>de</strong>rum nur aus <strong>de</strong>m Zusammenhang mit <strong>de</strong>n gleichen Prozessen und Systemen sinnvoll beurteilen lassen, nicht aber<br />
bezüglich ihrer einzelnen Elemente. Die klassische Evolutionstheorie ist weit davon entfernt, zur "Molekulartheorie <strong>de</strong>r Evolution"<br />
reduziert zu wer<strong>de</strong>n, trotz <strong>de</strong>r auf reduktionistischen Definitionen beruhen<strong>de</strong>n Unterstellung, Evolution sei nichts an<strong>de</strong>res als "ein<br />
Wechsel in <strong>de</strong>n Genfrequenzen natürlicher Populationen"; <strong>de</strong>nn bei dieser Definition fallen die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Aspekte <strong>de</strong>r Evolution<br />
unter <strong>de</strong>n Tisch: Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Vielfalt und <strong>de</strong>r Anpassung. (Eines Tages gab ich einem Waschbären im Zoo ein Stück<br />
Würfelzucker. Er rannte damit zum Wasserbassin und wusch <strong>de</strong>n Zucker mit Hingabe solange, bis nichts mehr übrig war. Man soll<br />
kein komplexes System so weit auseinan<strong>de</strong>rnehmen, dass nichts Sinnvolles übrig bleibt.)<br />
Als wir in <strong>de</strong>n dreißiger und vierziger Jahren die neue Synthese erreicht hatten, fragten uns einige Außenstehen<strong>de</strong>, ob damit nicht<br />
das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Evolutionsforschung erreicht sei, ob nicht alle Fragen eine Antwort gefun<strong>de</strong>n hätten. Die Antwort auf bei<strong>de</strong> Fragen ist<br />
ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s "Nein". Das macht schon <strong>de</strong>r exponentielle Anstieg in <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Publikationen über Evolutionsbiologie <strong>de</strong>utlich.<br />
Lassen Sie mich auf einige <strong>de</strong>r Fragen eingehen, die zur Zeit die wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet bewegen. Nach wie<br />
vor ist die Rolle <strong>de</strong>s Zufalls Gegenstand vieler Untersuchungen. 1871 wur<strong>de</strong> zum ersten Mal darüber diskutiert, ob die Selektion nicht<br />
vielleicht nur für <strong>de</strong>n kleineren Teil evolutionärer Verän<strong>de</strong>rungen verantwortlich zu machen sei, und ob nicht viele o<strong>de</strong>r gar die<br />
meisten Verän<strong>de</strong>rungen wirklich nur zufällige Varianten sind, sogenannte "neutrale" Mutationen.<br />
Seit es mit <strong>de</strong>r Technik <strong>de</strong>r Elektrophorese möglich ist, auch kleinste Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Zusammensetzung eines bestimmten<br />
Enzyms herauszufin<strong>de</strong>n, haben Vergleiche zwischen einer großen Zahl zufällig ausgewählter Individuen einer Population<br />
veranschaulicht, welche enorme Menge von Allelen (mutierten Genen) dabei auftritt. Die erste Frage war, welcher Teil davon entfällt<br />
auf evolutionäres "Hintergrundrauschen", und welcher verdankt seine Existenz <strong>de</strong>r Selektion? Wie lassen sich die Genvarianten
zwischen "neutralen" und relativ wichtigen Allelen aufteilen?<br />
Neue Fragen entstehen aus <strong>de</strong>r Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Molekularbiologen, dass es zwei Arten von Genen gibt, Strukturgene und<br />
Regulatorgene. Ist die Evolutionsrate für bei<strong>de</strong> Arten die gleiche? Unterliegen sie in gleicher Weise <strong>de</strong>r natürlichen Selektion? Ist das<br />
eine Gen o<strong>de</strong>r das an<strong>de</strong>re wichtiger bei <strong>de</strong>r Artenbildung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Entstehung höherer Formen? (Zum Beispiel sind die Strukturgene<br />
von Schimpanse und Mensch bemerkenswert ähnlich. Vielleicht sind es die Regulatorgene, die für die meisten Unterschie<strong>de</strong><br />
zwischen ihnen und uns verantwortlich sind?) Gibt es vielleicht noch an<strong>de</strong>re Arten von Genen?<br />
Darwins Lieblingsproblem, die Vervielfältigung <strong>de</strong>r Arten, ist wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>r Forschung gerückt. In bestimmten Gruppen<br />
von Organismen scheinen neue Arten nur durch geographische Speziesbildung zu entstehen, durch die genetische Restrukturierung<br />
von Populationen, die vorn Rest <strong>de</strong>s Verbreitungsgebietes ihrer Spezies isoliert sind, wie Vögel auf einer Insel. Dagegen kann bei<br />
Pflanzen und bei einigen Tiergruppen eine an<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r Speziesbildung auftreten, und zwar als Folge <strong>de</strong>r Polyploidie, <strong>de</strong>r<br />
Verdopplung <strong>de</strong>r Chromosomen. Individuen mit verdoppeltem Chromosomensatz können sich nicht mehr mit ihren normalen<br />
Artgenossen fortpflanzen, sind von ihnen also reproduktiv isoliert.<br />
Noch eine an<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r Speziesbildung zeigen Parasiten o<strong>de</strong>r Insekten, die sich an das Leben auf einer bestimmten Wirtspflanze<br />
adaptieren. Gelegentlich wird eine neue Wirtsart zufällig kolonisiert, und die Nachkommen <strong>de</strong>r Eindringlinge können, vielleicht mit<br />
Hilfe geeigneter Gene, eine stabile Kolonie grün<strong>de</strong>n. Sollte das gelingen, dann wird es eine strenge Genauswahl geben, und<br />
Reproduktion wird vorzugsweise mit Individuen stattfin<strong>de</strong>n, die ebenfalls auf <strong>de</strong>r neuen Wirtsspezies leben. Unter diesen<br />
Bedingungen kann sich dann erst eine neue Rasse entwickeln, die <strong>de</strong>m neuen Wirt angepasst ist, später vielleicht auch eine neue,<br />
wirtsspezifische Art. Über die Häufigkeit dieser Speziesbildung wird noch gestritten. Auch über die Rollen, die Gene o<strong>de</strong>r<br />
Chromosomen bei <strong>de</strong>r Speziesbildung spielen, ist man sich noch keineswegs einig.<br />
Auf wenigen Gebieten <strong>de</strong>r Biologie hat sich das Denken in Evolutionsbegriffen so segensreich ausgewirkt wie in <strong>de</strong>r<br />
Verhaltensforschung. Schon die klassischen Ethologen konnten zeigen, dass manche Verhaltensweisen, wie beispielsweise die<br />
verschie<strong>de</strong>nen Riten beim Balzverhalten, genauso zuverlässige Indizien für taxonomische Verwandtschaften sein können wie<br />
Einzelheiten <strong>de</strong>s Körperbaus. Ganze Systematiken sind auf <strong>de</strong>r Basis von Verhaltensvergleichen aufgestellt wor<strong>de</strong>n, und sie stimmen<br />
bemerkenswert gut mit <strong>de</strong>n Systematiken überein, die vom Körperbau ausgehen. Oft konnten Verhaltensvergleiche entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Hinweise geben, wenn die morphologischen Daten mehr<strong>de</strong>utig waren. Wichtiger noch war die Erkenntnis, dass<br />
Verhaltensän<strong>de</strong>rungen oft - vielleicht ausnahmslos - als Schrittmacher <strong>de</strong>r Evolution dienen. Die Wahl eines neuen Habitats, das<br />
Erschließen einer neuen Nahrungsquelle, erzeugen einen Selektionsdruck und können wichtige Adaptionsschübe auslösen. Es lässt<br />
sich kaum bezweifeln, dass einige <strong>de</strong>r wichtigsten Ereignisse in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Lebens von Verhaltensän<strong>de</strong>rungen in Gang<br />
gesetzt wur<strong>de</strong>n, wie die Eroberung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Luft. Dem Selektionsdruck, <strong>de</strong>r solche Evolutionsschritte verstärkt, widmen<br />
die Forscher wachsen<strong>de</strong> Aufmerksamkeit.<br />
Die Erkenntnis, dass unsere Welt nicht statisch in einem bestimmten Zustand verharrt, son<strong>de</strong>rn ständigem Wan<strong>de</strong>l unterworfen ist,<br />
und dass unsere Spezies das Produkt einer Evolution ist, musste <strong>de</strong>m menschlichen Selbstverständnis unvermeidlich einen<br />
schweren Schlag versetzen. Heute haben wir uns an <strong>de</strong>n Gedanken gewöhnt, dass wir einer Entwicklungslinie angehören, die sich<br />
im Lauf von Millionen Jahren von affenartigen Vorfahren abgetrennt hat. Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Schritte dieser Entwicklung wur<strong>de</strong>n<br />
innerhalb <strong>de</strong>r letzten Million Jahre getan. Wir wissen, dass für diesen Vorgang nur die natürliche Selektion verantwortlich sein kann.<br />
Doch lassen sich aus <strong>de</strong>r Kenntnis vergangener Ereignisse auch Voraussagen für die weitere Entwicklung <strong>de</strong>r Menschheit ableiten?<br />
Nur die, dass es auch in Zukunft in <strong>de</strong>r organischen Evolution kein teleologisches Element geben wird, dass erworbene<br />
Eigenschaften auch in Zukunft nicht vererbt wer<strong>de</strong>n, und dass außer <strong>de</strong>r Selektion kein an<strong>de</strong>rer Mechanismus <strong>de</strong>nkbar ist, <strong>de</strong>r die<br />
biologische Evolution <strong>de</strong>s Menschen beeinflussen könnte.<br />
Diese Schlussfolgerung bringt uns in ein Dilemma. Die Eugenik, die willkürliche Selektion nach Erbgesundheitskriterien, befin<strong>de</strong>t sich<br />
im Konflikt mit höchsten menschlichen Werten. Doch abgesehen von allen moralischen Be<strong>de</strong>nken: Die Information, die das<br />
Fundament für eine solche Selektion bil<strong>de</strong>n müsste, gibt es einfach nicht. Wir wissen so gut wie nichts über die genetischen<br />
Komponenten menschlicher Eigenschaften, ausgenommen die rein körperlichen. Es gibt eine enorme Zahl und sehr viele<br />
Schattierungen <strong>de</strong>s sogenannten "guten" o<strong>de</strong>r "nützlichen" o<strong>de</strong>r angepassten Menschen. Wer wäre sicher, wür<strong>de</strong> er sich heute auf<br />
eine bestimmte Menge i<strong>de</strong>aler Eigenschaften festlegen, ob nicht gesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungen durch weitere technische<br />
Fortschritte so schnell eintreten, dass morgen vielleicht eine ganz an<strong>de</strong>rs zusammengesetzte Eigenschaftsmenge zur erstrebten<br />
harmonischen Gesellschaft führt. "Die Menschheit befin<strong>de</strong>t sich mitten in <strong>de</strong>r Entwicklung", sagt Dobzhansky, "aber wir können nicht<br />
wissen, in welche Richtung die biologische Entwicklung geht".<br />
Es gilt, noch eine an<strong>de</strong>re Evolution zu betrachten, die <strong>de</strong>r menschlichen Kultur. Das ist ein ausschließlich auf <strong>de</strong>n Menschen<br />
beschränkter Prozess, bei <strong>de</strong>m die Umwelt nicht nur ihn formt und zur Anpassung zwingt, son<strong>de</strong>rn auch selbst geformt und<br />
angepasst wird. Vögel, Fle<strong>de</strong>rmäuse und Insekten durchliefen eine Evolution von Millionen Jahren, bis sie die Fähigkeit zum Fliegen<br />
entwickelt hatten. "Der Mensch ist <strong>de</strong>r gewaltigste Flieger von allen gewor<strong>de</strong>n, aber nicht durch eine Rekonstruktion seines<br />
Genotyps, son<strong>de</strong>rn durch die Konstruktion von Flugmaschinen", sagt Dobzhansky. Evolution von Kultur geht wesentlich schneller von<br />
statten als biologische Evolution. Einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> dafür ist die (witzigerweise Lamarcksche) Fähigkeit <strong>de</strong>r menschlichen Rassen,<br />
Kultur durch die Weitergabe erlernter Information von Generation zu Generation zu entwickeln, moralische (und amoralische) Werte<br />
eingeschlossen. Sicher lassen sich gera<strong>de</strong> auf diesem Gebiet noch große Fortschritte erzielen, beson<strong>de</strong>rs wenn man be<strong>de</strong>nkt, wie<br />
beschei<strong>de</strong>n das Niveau <strong>de</strong>r moralischen Werte in <strong>de</strong>r heutigen Menschheit ist. So wenig wir unsere biologische Evolution steuern<br />
können, so leicht könnten wir unsere kulturelle und moralische Entwicklung beeinflussen. Das zu versuchen und dafür eine Richtung<br />
zu fin<strong>de</strong>n, die für die <strong>gesamt</strong>e Menschheit akzeptabel erscheint, wäre ein realistisches evolutionäres Ziel; mit <strong>de</strong>r Einschränkung,<br />
dass es Grenzen gibt für eine kulturelle und moralische Evolution in einer Spezies, <strong>de</strong>ren biologische Evolution sich selbst überlassen<br />
ist.<br />
Quelle: "Evolution" Verlag Spektrum (leicht gekürzt)<br />
Welt <strong>de</strong>r Biologie<br />
Logik <strong>de</strong>r Evolution<br />
(I<strong>de</strong>enfragmente)
München, 1998-10/2001<br />
von<br />
Anton Reutlinger<br />
Dipl.-Inform.<br />
reuanmuc@lycos.com<br />
Zusammenfassung: Die Evolution <strong>de</strong>s Lebens wird in <strong>de</strong>r öffentlichen Darstellung meist auf Mutation und Selektion reduziert. Das ist nicht nur<br />
sachlich falsch, weil die Evolution in ihren Ursachen und ihren Prozessen genauso kompliziert und vielfältig ist wie die Lebewesen selbst,<br />
son<strong>de</strong>rn bewirkt auch eine falsche Rezeption <strong>de</strong>r Evolutionstheorie Darwins und provoziert ihre Ablehnung bei Traditionalisten. Die Evolution<br />
ist vor allem an<strong>de</strong>ren die logische und zwingen<strong>de</strong> Konsequenz von Variationen im Verlauf <strong>de</strong>r Fortpflanzung. Deren Ursachen liegen in einer<br />
gegenüber <strong>de</strong>m zielgerichteten und zweckorientierten Denken <strong>de</strong>s Menschen inversen Kybernetik <strong>de</strong>r Lebensprozesse. Grundlage dafür sind<br />
allein die physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten und die gigantische Diversität <strong>de</strong>r organischen Stoffe, die komplexe materielle<br />
Strukturen und vernetzte Wirkungskreise mit emergenten, biologischen Eigenschaften ermöglichen. Die Selektion ist zwar be<strong>de</strong>utsam für das<br />
gegenwärtig sichtbare und zufällige Resultat, ein Schnappschuss <strong>de</strong>r Evolution, für die Evolution an sich hat sie aber nur zweitrangige und<br />
überschätzte Be<strong>de</strong>utung, weil sie nur restriktiv wirksam sein kann. Selbst manche Wissenschaftler sind sich sowohl dieser Tatsache als auch<br />
<strong>de</strong>r Folgen einer sprachlich nachlässigen Verwendung von Begriffen wie Anpassung anscheinend nicht bewusst. Die Evolutionstheorie<br />
Darwins hat seit ihrer Veröffentlichung 1859 viele Erweiterungen, Modifizierungen und Korrekturen erfahren, so dass <strong>de</strong>r Begriff Darwinismus<br />
kaum mehr zutreffend ist. Sie hat bis heute aber we<strong>de</strong>r eine vernünftige Alternative noch einen Abschluss zu gewärtigen. Es gibt eine Fülle von<br />
Beobachtungen und Argumenten für die Richtigkeit <strong>de</strong>r Thesen Darwins und seiner Nachfolger, so dass die Evolutionstheorie in ihren<br />
wesentlichen Aussagen als erwiesen betrachtet wer<strong>de</strong>n darf. Neben einigen bekannten wer<strong>de</strong>n hier einige bisher wenig beachtete Thesen<br />
erläutert, wie die Prinzipien <strong>de</strong>r Redundanz und <strong>de</strong>s Bootstrapping. In Verbindung mit <strong>de</strong>r Genetik und <strong>de</strong>n Kognitionswissenschaften wird die<br />
Evolutionstheorie erst in <strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten ihre volle Wirkung entfalten und das Selbstverständnis <strong>de</strong>s Menschen, sowie seine Kultur<br />
und seine Ethik umwälzen, in<strong>de</strong>m vielen pseudowissenschaftlichen, philosophischen, metaphysischen und religiösen Spekulationen <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n<br />
entzogen wird. Lebensfreu<strong>de</strong>, Vernunft, Moral und Humanität können dauerhaft nur auf Wahrheit, Wirklichkeit und Wissen aufbauen und die<br />
Wirklichkeit liegt unverän<strong>de</strong>rlich in <strong>de</strong>n materiellen Gegebenheiten und <strong>de</strong>n erkennbaren Gesetzmäßigkeiten <strong>de</strong>r Natur. Nicht ihre Verleugnung<br />
und Verdrängung, son<strong>de</strong>rn ihre Gestaltung ist Ausdruck und Zeugnis von Geist und Wür<strong>de</strong>. Die Erkenntnis <strong>de</strong>r Evolution markiert einen "turnaround"<br />
<strong>de</strong>r Weltgeschichte; sie führt zur Entheiligung und zur Entfrachtung <strong>de</strong>s Lebens von traditionellem Ballast und öffnet <strong>de</strong>n Weg zu<br />
Gelassenheit, Optimismus und Freiheit von Geist und Seele. Die ganze Faszination und <strong>de</strong>r Reichtum <strong>de</strong>s Lebens - seine eigentliche<br />
Wertschätzung - liegen gera<strong>de</strong> in seinem materiellen Ursprung und seiner Zweckfreiheit. Letztlich stehen Geist und Bewusstsein als<br />
Phänomene <strong>de</strong>r Inversion physikalischer Kybernetik selbst auf <strong>de</strong>m Prüfstand <strong>de</strong>r Wissenschaft und im Scheinwerferlicht <strong>de</strong>r Evolution.<br />
_____________<br />
Aus Berichten in öffentlichen Medien, aber auch aus Schriften namhafter Evolutionswissenschaftler ist <strong>de</strong>r Eindruck zu gewinnen, dass auch<br />
heute noch die Evolutionstheorie Charles Darwins (1809-1882; On the Origin of Species, 1859) in weiten Kreisen falsch interpretiert und<br />
missverstan<strong>de</strong>n wird. Die Schlagworte "Kampf ums Dasein", "Kampf ums Überleben", "survival of the fittest", "Recht <strong>de</strong>s Stärkeren", "Erfolg <strong>de</strong>r<br />
Tüchtigen" suggerieren einen Krieg <strong>de</strong>r Arten und sogar <strong>de</strong>r Individuen. Es scheint, dass die Kampfkultur <strong>de</strong>r Menschheit, entstan<strong>de</strong>n aus<br />
jahrhun<strong>de</strong>rtelanger historischer Erfahrung, schlicht als "Selektion <strong>de</strong>r Menschheit" legitimiert wird, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r "struggle for life", d.h. das Ringen<br />
um das Leben, bewusst o<strong>de</strong>r unbewusst missinterpretiert und für eigennützige Zwecke missbraucht wird. Diese machtpolitische, gewollte<br />
Fehl<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Evolutionstheorie war im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt Ursache, Alibi und Rechtfertigung für zweifelhafte Mittel, für viele Verbrechen und<br />
sogar Kriege. Die Selektion in <strong>de</strong>r Natur dagegen ist i<strong>de</strong>ologiefrei und friedlich. Sie hinterlässt Wirkungen, aber sie bil<strong>de</strong>t keine Ursachen. Darin<br />
liegt <strong>de</strong>r große Irrtum.<br />
Mit Anbruch <strong>de</strong>s neuen Jahrhun<strong>de</strong>rts tritt mit <strong>de</strong>r Genforschung und <strong>de</strong>r Gentechnik eine an<strong>de</strong>re Facette <strong>de</strong>r Evolutionstheorie in <strong>de</strong>n<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund. Ihre philosophischen, psychologischen und kulturellen, bis heute kaum erkannten und analysierten Konsequenzen wer<strong>de</strong>n dabei<br />
mit aller Kraft und in voller Tragweite zur Geltung kommen. Sie wer<strong>de</strong>n das Selbstverständnis <strong>de</strong>s Menschen tief erschüttern, Kulturen und<br />
Gesellschaften umwälzen mit nicht vorhersagbaren Folgen. Die wenigsten Menschen haben bisher eine Vorstellung von <strong>de</strong>r universellen,<br />
zeitlosen Gültigkeit und <strong>de</strong>r enormen Aussagekraft <strong>de</strong>r Evolutionstheorie im Verbund mit <strong>de</strong>r Genetik und <strong>de</strong>n Informations-, Kommunikations-<br />
und Erkenntniswissenschaften. Sie wird eine große Gefahr für alle traditionellen Demagogen, Phantasten und Heilsverkün<strong>de</strong>r, weil sie<br />
zunehmend Quelle <strong>de</strong>s Zweifels und <strong>de</strong>r Unsicherheit für <strong>de</strong>ren Anhänger wird. Mit allmählich zunehmen<strong>de</strong>r Publizität kann es ausser zu<br />
einem verstärkten Kampf gegen die Evolutionstheorie selbst auch zu Polarisierungen und zu Konfrontationen gesellschaftlicher Gruppen und<br />
ganzer Gesellschaften kommen. Ebenso wer<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r neue, angepasste Heilsverkün<strong>de</strong>r und Seelenfänger auftauchen. Man kann die<br />
Evolutionstheorie aber nicht ablehnen, soweit sie sich als richtig erweist, weil die Natur sich nicht <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>ologien, Denkgewohnheiten,<br />
Vorurteilen und Wunschvorstellungen <strong>de</strong>r Menschheit verpflichtet fühlt. Die Schlussfolgerung vom Sollen <strong>de</strong>r Theologie, Metaphysik und<br />
Esoterik auf das Sein in <strong>de</strong>r Natur ist <strong>de</strong>r "traditionalistische Fehlschluss". Ohne eine auf <strong>de</strong>r Evolutionstheorie grün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Anthropologie<br />
sind die Geistes- und die Gesellschaftswissenschaften nur endlose Sprachspiele.<br />
Die verbreitete Skepsis gegenüber <strong>de</strong>r Evolutionstheorie geht einher mit einer allgemein wachsen<strong>de</strong>n Skepsis gegenüber <strong>de</strong>n Wissenschaften<br />
und einem Misstrauen gegenüber <strong>de</strong>n Wissenschaftlern. Sie beruht vornehmlich auf <strong>de</strong>r mangelhaften Unterscheidung zwischen Forschung,<br />
Wissenschaft und Technik und auf <strong>de</strong>n Mechanismen <strong>de</strong>r öffentlichen Massenmedien, die spekulative und meist spektakuläre<br />
Wissenschaftsanwendungen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund rücken. Das für <strong>de</strong>ren Darstellung i<strong>de</strong>ale und unverzichtbare Medium Fernsehen neigt dazu,<br />
die Möglichkeiten <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>rkombination Fernsehen und Computergrafik zu übersteigerter Selbstdarstellung zu gebrauchen und Forschung so<br />
zum optischen Spektakel zu machen und als Handlanger <strong>de</strong>r Industrie darzustellen. Dagegen wird die affirmative und oftmals schwieriger zu<br />
verstehen<strong>de</strong>, geringere Quoten versprechen<strong>de</strong> wissenschaftliche Erkenntnis verdrängt. Ihre Be<strong>de</strong>utung an sich für Kultur und Gesellschaft, für<br />
Weltanschauung und Lebensgestaltung jenseits von Technologie, wird nicht öffentlich diskutiert und fast völlig vernachlässigt - obwohl gera<strong>de</strong><br />
sie es ist, die <strong>de</strong>n Mensch zum Menschen macht! So wird es <strong>de</strong>n Kritikern leicht gemacht, nicht nur die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r Wissenschaft<br />
allgemein anzuzweifeln, son<strong>de</strong>rn sogar das Verbot bestimmter Forschungszweige zu verlangen zu Gunsten vorgefaßter Weltbil<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r<br />
beliebiger I<strong>de</strong>ologien, bis hin zum fanatischen und tödlichen Kampf. Wissenschaft ist das stetige Bemühen, die Natur so zu beschreiben, dass<br />
die Beschreibung mit <strong>de</strong>n Beobachtungen und Erfahrungen übereinstimmt. Sie ist einerseits nicht verantwortlich für die Beschaffenheit <strong>de</strong>r<br />
natürlichen Welt, dass die Welt so ist wie sie ist, und an<strong>de</strong>rerseits kann sie nicht wertneutral sein, wo die Wertsetzung selbst<br />
Wissenschaftlichkeit für sich beansprucht zu ihrer Rechtfertigung.
Sensationen sind <strong>de</strong>r Treibstoff <strong>de</strong>r Massenmedien. Ein Beispiel dafür ist die Trivialisierung wissenschaftlicher Erkenntnis wie <strong>de</strong>r<br />
Komplexitätstheorie, die als sogenannte Chaostheorie von <strong>de</strong>n Medien aufgenommen und verbreitet wur<strong>de</strong>. Die Mechanismen <strong>de</strong>r Konkurrenz<br />
führten zur Stilisierung als neue, sensationelle, alle Fachbereiche durchdringen<strong>de</strong> Weltsicht. Die Ikone dafür, die in fast allen Berichten<br />
gebetsmühlenartig wie<strong>de</strong>rholt wird, ist <strong>de</strong>r global präsente, Orkane auslösen<strong>de</strong> Schmetterling. Die Wirkung <strong>de</strong>r Medien ist zu<strong>de</strong>m nicht<br />
symmetrisch, wenn es darum geht, Erkenntnisse und gegensätzliche Meinungen zu verbreiten, weil die Schnelligkeit ihrer Verbreitung u.a. von<br />
ihrer Akzeptanz abhängt, also <strong>de</strong>r Weise, in <strong>de</strong>r sie <strong>de</strong>m Ego und <strong>de</strong>m Weltbild <strong>de</strong>r Rezipienten dienen. Deshalb können sich manche<br />
Erkenntnisse nur äußerst langsam durchsetzen.<br />
Vermutlich ist es <strong>de</strong>r unbändige Forscherdrang, <strong>de</strong>r dazu führt, dass manche Evolutionsbiologen in ihre eigenen Fallen treten, wenn sie<br />
einerseits die Zufälligkeit <strong>de</strong>r Evolution postulieren, an<strong>de</strong>rerseits im Wi<strong>de</strong>rspruch dazu in je<strong>de</strong>r Erscheinungsform eine Be<strong>de</strong>utung, einen Sinn<br />
o<strong>de</strong>r einen Zweck zu erkennen glauben. Die Über<strong>de</strong>utungen gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Biologie und die leichtfertige, unreflektierte Vereinnahmung ihrer<br />
Sprache in an<strong>de</strong>ren Fachgebieten tragen zu ihrer mangeln<strong>de</strong>n Glaubwürdigkeit ebenso bei. Hingewiesen sei hierbei auf die öffentlichen und<br />
heftigen Diskussionen um Sozialdarwinismus und Soziobiologie. Bei solchen Übertragungsversuchen - beispielsweise in Sozialwissenschaften,<br />
Psychologie und Pädagogik - wird gern übersehen, dass Evolution sich auf großräumige Populationen und auf sehr lange Zeiträume bezieht.<br />
Kulturelle Eigenheiten einzelner Gruppen o<strong>de</strong>r Völker, die meist nur Jahrzehnte o<strong>de</strong>r höchstens Jahrhun<strong>de</strong>rte überdauern, sind daher völlig<br />
irrelevant für die Evolution.<br />
Ein gravieren<strong>de</strong>s Missverständnis entspringt <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Zufalls. Ein Missverständnis, das Kritiker und Gegner <strong>de</strong>r Evolutionstheorie<br />
regelmäßig als Argument benutzen, weil sie Zufall mit Lotterie gleichsetzen. Gemeint ist jedoch nicht <strong>de</strong>r Zufall <strong>de</strong>r<br />
Wahrscheinlichkeitsrechnung, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r vermeintliche Zufall im Sinne <strong>de</strong>r Unvorhersehbarkeit, Unbestimmtheit und Planlosigkeit, begrün<strong>de</strong>t<br />
durch die Undurchschaubarkeit und die Komplexität <strong>de</strong>r Zusammenhänge und Abhängigkeiten im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>s Lebens. Offenbar<br />
sind die Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>r interpretativ-scheinbaren Zufälligkeit <strong>de</strong>s Verhaltens komplexstrukturierter Entitäten (Organismen), <strong>de</strong>r<br />
statistisch-realistischen Zufälligkeit strukturarmer Entitäten (Würfel, Kugel) und <strong>de</strong>r faktischen und vollständigen Zufälligkeit strukturloser<br />
Entitäten (Quanten) noch zu wenig bekannt. Bei einer unermesslichen Anzahl gleichartiger Elemente o<strong>de</strong>r Ereignisse und einer kleinen Anzahl<br />
möglicher Zustän<strong>de</strong> ergibt sich eine scheinbare Gesetzmäßigkeit, Gewissheit o<strong>de</strong>r Stabilität - wie beispielsweise die <strong>de</strong>r materiellen Welt.<br />
Ein weiteres fundamentales Missverständnis <strong>de</strong>s Menschen ist zu nennen: er kann nur erkennen, was er erkennen kann. Die scheinbar<br />
unsinnige, banale o<strong>de</strong>r tautologische Aussage be<strong>de</strong>utet, dass wir nicht wissen, mit Hilfe technischer Mittel nur erahnen können, was alles von<br />
dieser Welt wir nicht wahrnehmen und erkennen. So bergen die Überlagerung von Kräften <strong>de</strong>r Elektrostatik mit <strong>de</strong>r Gravitation sowie<br />
elektrodynamische Effekte noch viele rätselhafte Phänomene. Im Gegensatz dazu ist die Erkenntnis, dass wir nicht alles wissen (können), nur<br />
eine populäre, sinnlose Phrase, die häufig nur dazu dient, fehlen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r nicht nachprüfbare Begründungen für pseudowissenschaftliche<br />
Behauptungen, für Wun<strong>de</strong>rgläubigkeit und Metaphysik zu rechtfertigen.<br />
Durch bewusst unein<strong>de</strong>utige o<strong>de</strong>r meist unbedachte und schlampige Verwendung <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Begriffe wer<strong>de</strong>n bei vielen Lesern und<br />
Zuhörern falsche Vorstellungen (Assoziationen) suggeriert. Hinzu kommt, dass mit zunehmen<strong>de</strong>r, vor allem auch öffentlicher Verwendung <strong>de</strong>r<br />
Begriffe diese durch kontextlose Interpretation einer Be<strong>de</strong>utungsdrift unterliegen und Naturerkenntnis und Naturverständnis allmählich <strong>de</strong>n<br />
Begriffen angepasst wer<strong>de</strong>n statt umgekehrt. Einer <strong>de</strong>r zentralen Begriffe <strong>de</strong>r Evolutionstheorie ist das Wort Anpassung (Adaptation). Es<br />
beinhaltet einerseits Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Subjekts, um Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Umwelt zu kompensieren, an<strong>de</strong>rerseits be<strong>de</strong>utet es ein<br />
"Auskommen mit <strong>de</strong>n Gegebenheiten", was Verän<strong>de</strong>rungen aber nicht notwendigerweise voraussetzt. Der Begriff ist aus wissenschaftlicher<br />
Sicht nutzlos, weil er keine logisch klare Aussage besitzt und keine Erkenntnis durch logische Deduktion liefern kann. Er repräsentiert eine<br />
verständliche, aber irreführen<strong>de</strong> Sicht <strong>de</strong>r Evolution.<br />
Die Be<strong>de</strong>utung und die Auswirkung <strong>de</strong>r Sprache, beson<strong>de</strong>rs unter <strong>de</strong>m Einfluß <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Massenmedien, wird allgemein heftig<br />
unterschätzt. Die Sprache ist <strong>de</strong>shalb wichtig, weil sie das individuelle Denken prägt, während umgekehrt wie<strong>de</strong>rum das kollektive Denken die<br />
Sprache prägt. Wörter und Begriffe haben nicht Be<strong>de</strong>utung an sich, son<strong>de</strong>rn bekommen ihre Be<strong>de</strong>utung von <strong>de</strong>r Gesellschaft, in erster Linie<br />
über die Medien, durch <strong>de</strong>n Gebrauch zugeteilt. Es ist leicht einsehbar, dass die Be<strong>de</strong>utung und <strong>de</strong>r Gebrauch sich gegenseitig beeinflussen<br />
und Verän<strong>de</strong>rungen dadurch verstärkt wer<strong>de</strong>n. Nicht zuletzt trifft dies auf <strong>de</strong>n Evolutionsbegriff selbst zu. Die unbewusste Vermischung<br />
verschie<strong>de</strong>ner Sprachebenen o<strong>de</strong>r Sprachräume (Psyche, Physis) und verschie<strong>de</strong>ner Kulturbereiche, sowie historisch überkommene<br />
Begriffsbe<strong>de</strong>utungen und diffuse Begriffsinterpretationen führen häufig zu Verwirrung und zu endlosen wie fruchtlosen Debatten zwischen<br />
Wissenschaftlern bzw. Philosophen (z.B. Leib-Seele-Problem). Die Lückenhaftigkeit <strong>de</strong>s sprachlichen Begriffsrepertoires führt sowohl zur<br />
Mehrfachverwendung bzw. Mehr<strong>de</strong>utigkeit von Begriffen, als auch zu einer übermäßigen, verselbständigen<strong>de</strong>n Verwendung von Metaphern<br />
und Vergleichen. Die Sprache und die Schriften <strong>de</strong>r Wissenschaft sind geprägt von einer kaum vermeidbaren "Teleonomie <strong>de</strong>r Sprache", die<br />
sich beson<strong>de</strong>rs in "um zu .."- und "damit .."-Formulierungen und in <strong>de</strong>r sehr nachlässigen Verwendung <strong>de</strong>r Begriffe Funktion und System<br />
ausdrückt. Dadurch entsteht unumgänglich <strong>de</strong>r Eindruck - zu beobachten in fast allen Fernsehsendungen zum Verhalten in <strong>de</strong>r Tierwelt - dass<br />
die Evolution einem geheimnisvollen Plan folgt und auf ein unbekanntes Ziel zusteuert. Das aber ist ein verhängnisvoller Irrtum, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kern<br />
<strong>de</strong>r Evolutionstheorie trifft.<br />
Begriffe wie Überlebenskampf, Anpassung, Ziel, Zweck, Optimierung und Erfolg haben daher im Vokabular <strong>de</strong>r Evolution nichts zu<br />
suchen. Auch <strong>de</strong>r sogar von Wissenschaftlern verwen<strong>de</strong>te Ausdruck Versuch und Irrtum ist hier fehl am Platz.<br />
Evolution be<strong>de</strong>utet fortschreiten<strong>de</strong> Entwicklung und ist ins<strong>gesamt</strong> das Ergebnis von Variation und Selektion. Variation im allgemeinen ist<br />
Verän<strong>de</strong>rung als Vorgang und Verschie<strong>de</strong>nheit als Zustand, bezieht sich auf die Produktion von Systemen und Theorien und ist entwe<strong>de</strong>r<br />
ungesteuert und ungezielt, d.h. zufällig o<strong>de</strong>r stochastisch, o<strong>de</strong>r aber gesteuert, z.B. durch Beobachtung (Wissenschaft) und Konstruktion<br />
(Variantenfertigung). Hohe Komplexität von Systemen för<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>ren Variation, da mehr Komponenten variiert wer<strong>de</strong>n können, so dass<br />
hochkomplexe Systeme einer dynamischeren Evolution unterliegen und dadurch für unterschiedliche Existenzbedingungen bessere, weil<br />
passen<strong>de</strong>re Lösungen parat haben und somit <strong>de</strong>n einfacheren Systemen in dieser Hinsicht überlegen sind. Prinzipiell unterliegen alle Teile<br />
eines Systems, auch eines Lebewesens, <strong>de</strong>r Variation. Ungleichgewichte, Instabilitäten, Potentialunterschie<strong>de</strong>, Spannungen, Kräfte,<br />
Energieflüsse und <strong>de</strong>rgleichen, die wie<strong>de</strong>rum ihre Ursprünge letztlich in <strong>de</strong>n Unbestimmtheiten und Zufälligkeiten <strong>de</strong>r Quantenphysik haben,<br />
sind zwingen<strong>de</strong> Ursachen für Variationen. Ansatzpunkt <strong>de</strong>r Variation ist je<strong>de</strong>r einzelne Reproduktionsakt. So ist im Prinzip je<strong>de</strong>s Individuum<br />
eine biologische Variante. Daraus ergeben sich Millionen o<strong>de</strong>r Milliar<strong>de</strong>n von Varianten, die <strong>de</strong>n Risiken <strong>de</strong>s Lebens und damit <strong>de</strong>r Selektion<br />
ausgesetzt sind. Die Natur sucht nicht wie <strong>de</strong>r Mensch zielstrebig und algorithmisch nach <strong>de</strong>r richtigen Lösung, son<strong>de</strong>rn erzeugt eine Menge<br />
von möglichen Lösungen und son<strong>de</strong>rt daraus die unpassen<strong>de</strong>n aus. Die dafür häufig benutzten Begriffe Auswahl und Auslese führen hier zu<br />
falschen Vorstellungen; Ausson<strong>de</strong>rn, Aussortieren o<strong>de</strong>r Ausfiltern wären zutreffen<strong>de</strong>re Begriffe.<br />
Das Motto <strong>de</strong>r Evolution ist nicht das von <strong>de</strong>m englischen Philosophen, Zeitgenossen Darwins und Verfechter einer biologischen wie auch<br />
einer universalistischen Evolutionstheorie, Herbert Spencer (1820-1903), stammen<strong>de</strong> und vielfach missverstan<strong>de</strong>ne und missbrauchte "survival<br />
of the fittest" (Principles of Biology, 1864), son<strong>de</strong>rn eher "fit for survival".<br />
Die vermeintliche Anpassung (Adaptation) <strong>de</strong>r Arten fin<strong>de</strong>t nicht wirklich, son<strong>de</strong>rn nur scheinbar statt. Der Eindruck <strong>de</strong>r Anpassung entsteht<br />
durch das Kommen und Gehen <strong>de</strong>r Varianten und das Übrigbleiben einiger Lebensformen, die dazu aposteriori offensichtlich geeignet sind.<br />
Eine Anpassung wür<strong>de</strong> erstens das Vorhan<strong>de</strong>nsein, zweitens das Erkennen und drittens das Annähern o<strong>de</strong>r gar Erreichen eines Zieles<br />
voraussetzen. Evolution ist nicht Anpassung, son<strong>de</strong>rn Ersetzung (Substitution).
Sowohl genetische Mutationen zur Begründung von Strukturverän<strong>de</strong>rungen als auch die natürliche Selektion zur Begründung von<br />
Verhaltensän<strong>de</strong>rungen sind in ihren Auswirkungen rein zufällig im vorgenannten Sinn. Evolution bezieht sich we<strong>de</strong>r auf Individuen noch auf<br />
Arten, son<strong>de</strong>rn auf Generationen von Nachkommen einer Population. Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Eigenheit von Evolution ist, dass das Wesentliche von<br />
einer Generation zur nächsten erhalten bleibt, Verän<strong>de</strong>rungen also in kleinen Schritten erfolgen, so dass die Funktionsfähigkeit und das<br />
Wesensbestimmen<strong>de</strong> dabei nicht verloren gehen.<br />
Mutationen, die irreversible Verän<strong>de</strong>rung, also Variation von Genen im Verlauf ihrer Replikation, sind nicht - entgegen weitläufiger Meinung -<br />
die einzige und unmittelbare Ursache <strong>de</strong>r biotischen Evolution. Vielmehr sind Mutationen lediglich die Ursache für die genetische Variation <strong>de</strong>r<br />
Individuen und <strong>de</strong>r Arten, also die Entstehung neuer Genotypen und in Folge davon auch neuer Phänotypen. Sie bewirken damit eine<br />
anatomisch-physiologische Evolution. Das Phänomen <strong>de</strong>r genetischen Mutationen ist als Faktum keineswegs zufällig, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Leben auf<br />
Grund <strong>de</strong>r genetischen, komplexen und dadurch fehlerträchtigen Replikationsmechanismen inhärent. Zufällig ist nur die Form und damit das<br />
Ergebnis <strong>de</strong>r individuellen Mutationen. Zu überlegen ist überdies, ob <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Mutation nicht eher eine Wirkung als eine Ursache <strong>de</strong>r<br />
genetischen Variation beschreibt, <strong>de</strong>nn die eigentliche Ursache <strong>de</strong>r Mutationen bleibt dadurch ungeklärt. Da die DNA (dt. DNS) im Zellkern<br />
nicht von ihrer Umgebung isoliert sein kann, ist durchaus <strong>de</strong>nkbar, dass Mutationen auch außerhalb <strong>de</strong>s Replikationsprozesses und ohne<br />
Einwirkung von außen möglich sind. Die Natur kennt aber auch Korrekturmechanismen gegen willkürliche Replikationsfehler, die sich für die<br />
Evolution kontraproduktiv auswirken wür<strong>de</strong>n.<br />
Ein weiteres Element <strong>de</strong>r natürlichen Variation ist die sexuelle Fortpflanzung (selbst ein Ergebnis <strong>de</strong>r Evolution), wobei durch die Mischung<br />
<strong>de</strong>r verfügbaren Gene neue Phänotypen entstehen. Die Ausprägungen <strong>de</strong>r Merkmale sind Elemente einer endlichen Menge, da Gene nicht<br />
neu erzeugt, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>m verfügbaren Genpool ausgewählt wer<strong>de</strong>n. Die Vermischung <strong>de</strong>r Gene ist die wesentliche Ursache für die<br />
erstaunliche Formstabilität vieler Spezies über Jahrmillionen, weil individuelle Ausreißer dadurch eliminiert wer<strong>de</strong>n können. Strategien zur<br />
Partnerwahl bestimmen die Auswahl <strong>de</strong>r Gene. Deshalb ist sie die Hauptursache einer physiognomisch-ethologischen Evolution. Die<br />
Rekombination <strong>de</strong>r Elterngene (crossing-over) durch die sexuelle Fortpflanzung bewirkt durch Austausch individueller Mutationen eine<br />
vielfältigere Variabilität <strong>de</strong>r Population, die für begrenzte, aber häufige Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Lebensumwelt wie Kälte und Hitze, Dürre und<br />
Nässe eine breitere Toleranz und daher eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit <strong>de</strong>r Population zur Folge hat. Asexuelle Fortpflanzung<br />
dagegen führt zu variantenlosen Populationen, die ganz spezielle Umweltbedingungen erfor<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Dynamik <strong>de</strong>r<br />
Erdgeschichte keine dauerhafte Überlebenschance haben. Ohne sexuelle Fortpflanzung gäbe es nur sehr robuste, aber primitive<br />
Lebensformen. Sexualität ist möglicherweise das Ergebnis einer asymmetrischen Zellteilung in einem sehr frühen Stadium <strong>de</strong>r Evolution.<br />
Variation ist nur auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r Reproduktion <strong>de</strong>r bereits existieren<strong>de</strong>n Formen möglich. Sie ist sogar eine Eigenschaft <strong>de</strong>r Reproduktion<br />
selbst, weil die Mechanismen und Bedingungen <strong>de</strong>r Reproduktion Störungen zulassen, die zu fehlerhaften Abbil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Originals führen.<br />
Ohne Reproduktion ist Evolution folglich ausgeschlossen. Sie ist <strong>de</strong>shalb die erste notwendige Voraussetzung und das Grundprinzip <strong>de</strong>r<br />
Evolution überhaupt. Die Reproduktion, die ihren Ausgangspunkt immer im Bestehen<strong>de</strong>n hat, führt zur fortschreiten<strong>de</strong>n Entwicklung, zur<br />
Kumulation von Variationen im Zeitablauf <strong>de</strong>r Evolution.<br />
Von <strong>de</strong>r Reproduktion zu unterschei<strong>de</strong>n ist die Replikation. Letztere ist die unmittelbare Abbildung einer Vorlage, während erstere eine<br />
mittelbare Abbildung ist anhand von Plänen, Zeichnungen o<strong>de</strong>r Konstruktionsanweisungen, also beispielsweise <strong>de</strong>m Genom. Da hierbei in <strong>de</strong>r<br />
Regel Originalinformation verloren geht und Fremdinformation infiltrieren kann, besitzt die Replikation entsprechend <strong>de</strong>r Zielsetzung eine<br />
höhere Abbildungstreue, wobei aber die Existenz <strong>de</strong>r Vorlage notwendig ist. Dadurch ist hier zusätzlich, im Unterschied zur Reproduktion, ein<br />
nachträglicher Vergleich mit <strong>de</strong>m Original möglich. Die Fortpflanzung ist folglich eine Reproduktion von Individuen, wobei das Genom repliziert<br />
wer<strong>de</strong>n muss, weil je<strong>de</strong>s reproduzierte Individuum, in fast je<strong>de</strong>r seiner Zellen, sein eigenes Exemplar <strong>de</strong>s Genoms hat.<br />
Zweite notwendige Voraussetzung für die Evolution ist die Vererbung <strong>de</strong>r Wesensmerkmale, also <strong>de</strong>r Eigenschaften und <strong>de</strong>r Fähigkeiten <strong>de</strong>r<br />
Lebensformen, als Reproduktionsmechanismus. Die Vererbung ist dafür verantwortlich, dass die Evolution nicht stets bei "Null", wie bei <strong>de</strong>r<br />
industriellen Fertigung, beginnen muss und damit ad absurdum geführt wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn dass die variierten Wesensmerkmale gemäß <strong>de</strong>n<br />
Vererbungsgesetzen - zuerst ent<strong>de</strong>ckt von Gregor Men<strong>de</strong>l (1822-1884) - an die nächsten Generationen weitergegeben wer<strong>de</strong>n. Das be<strong>de</strong>utet<br />
allerdings auch, dass Variationen und Merkmale, die nicht vererbt wer<strong>de</strong>n - beispielsweise weil sie erst nach <strong>de</strong>r fortpflanzungsaktiven Zeit<br />
erworben wur<strong>de</strong>n - nicht zur Evolution beitragen können: offenkundig ein Argument gegen die Thesen <strong>de</strong>s Biologen Jean-Baptiste Lamarck<br />
(1744-1829), <strong>de</strong>r trotz<strong>de</strong>m wichtige Grundlagen für die Evolutionstheorie schuf, in<strong>de</strong>m er als Vorläufer Darwins die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>r<br />
Arten ablehnte. Die leben<strong>de</strong> Population ist somit Endpunkt <strong>de</strong>r vergangenen und Startpunkt <strong>de</strong>r künftigen Evolution. Dabei fin<strong>de</strong>t eine<br />
Rückwirkung von Selektion auf Variation insofern statt, als nur die verbliebenen Individuen Ausgangspunkt <strong>de</strong>r weiteren Vererbung sein<br />
können. Vererbung ist im Prinzip nur eine beson<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>r Variation, wobei die variablen Merkmale Elemente <strong>de</strong>s Genpools sind, während<br />
die eigentliche Variation eine Erweiterung <strong>de</strong>s Genpools bewirkt. Die Selektionstheorie Darwins in Verbindung mit <strong>de</strong>r Vererbungstheorie bil<strong>de</strong>t<br />
die mo<strong>de</strong>rnere Form <strong>de</strong>r Evolutionstheorie und wird als mo<strong>de</strong>rn synthesis, als Synthetische Theorie <strong>de</strong>r Evolution o<strong>de</strong>r auch als<br />
Neodarwinismus bezeichnet (Th. Dobzhansky 1900-1975: Genetics and the Origin of Species, 1937; G.G. Simpson 1902-1984: Zeitmaße und<br />
Ablaufformen <strong>de</strong>r Evolution, 1944). In jüngerer Zeit ist sie noch ergänzt und modifiziert wor<strong>de</strong>n durch die Systemtheorie <strong>de</strong>r Evolution (Mayr,<br />
Riedl, Wuketits u.a.).<br />
Auch Vererbung ist ein Begriff mit historischer, empirisch begrün<strong>de</strong>ter Be<strong>de</strong>utung aus vorwissenschaftlicher Zeit. Er bezieht sich nur auf die<br />
sichtbaren, variablen Merkmale, die <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>de</strong>n Individuen ausmachen, ignoriert damit <strong>de</strong>n "Rest <strong>de</strong>s Körpers", <strong>de</strong>r als<br />
selbstverständlich hingenommen und doch ebenfalls vererbt wird. Hier offenbart sich ein tiefer Wi<strong>de</strong>rspruch im Denken <strong>de</strong>r Menschheit: die<br />
bewusste Anerkennung <strong>de</strong>s Verschie<strong>de</strong>nen ist die unbewusste, logisch folgen<strong>de</strong>, aber geleugnete Anerkennung einer Evolution!<br />
Die direkte Zuordnung von Genen zu Phänen ist eine drastische Verkürzung <strong>de</strong>r Wirkungsketten im Verlauf <strong>de</strong>r Fortpflanzung. Ein Gen<br />
bestimmt nicht die Haarfarbe o<strong>de</strong>r eine bestimmte Verhaltensweise, son<strong>de</strong>rn die Produktion eines Proteins, das in Folge seiner Konzentration<br />
und möglicherweise im Zusammenwirken mit an<strong>de</strong>ren Substanzen dann eine bestimmte Haarfarbe o<strong>de</strong>r neurophysiologische Vorgänge<br />
bewirkt. Alle übrigen Wirkungen dieses Proteins bleiben dabei, wenn sie unsichtbar sind, unberücksichtigt. Die Anzahl <strong>de</strong>r Kombinations- und<br />
Wirkungsmöglichkeiten <strong>de</strong>s Genoms höherer Organismen ist praktisch unberechenbar. So stellt sich die Frage, ob systematische Prozesse wie<br />
die Rekombination <strong>de</strong>r Chromosomen (crossing-over) im Verlauf <strong>de</strong>r Zellteilung, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Keimzellen, nicht eine viel größere Wirkung auf<br />
die Variation ausüben als zufällige und seltene Mutationen.<br />
Selbstreproduktion und die Vererbung variabler Merkmale sind charakteristische Eigenschaften <strong>de</strong>s Lebens. Da nicht-leben<strong>de</strong> Systeme nicht<br />
über diese Eigenschaften verfügen, ist es aus wissenschaftlicher Sicht Unsinn, die Entwicklung nicht-leben<strong>de</strong>r Systeme, wie beispielsweise<br />
<strong>de</strong>s <strong>gesamt</strong>en Kosmos, als Evolution im Sinne <strong>de</strong>r Biologie zu bezeichnen. Bei Atomen, als Varianten <strong>de</strong>r Materie, sind es zusätzlich zum<br />
Atomkern die Elektronenhüllen, die in bestimmter Weise variieren und damit vielfältige chemische Bindungen und Molekülformen erzeugen,<br />
aber noch keiner Evolution unterliegen. Auch im subatomaren Bereich ist Evolution nicht möglich, da die subatomaren Teilchen keine<br />
(erkennbaren) Varianten ausbil<strong>de</strong>n. Die eigentliche Evolution beginnt erst oberhalb <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Moleküle mit Makromolekülen und<br />
Molekülclustern, weil Atome und Moleküle stets wie<strong>de</strong>r in ihre Grundzustän<strong>de</strong> zurückkehren. Leben ist nur möglich, weil die Welt aus einer<br />
Unzahl gleichartiger Elemente aufgebaut ist, die gegenseitig Wirkungen ausüben, sich gegenseitig ersetzen, zu komplexeren Gebil<strong>de</strong>n<br />
zusammenschließen und ohne Funktionsverlust wie<strong>de</strong>r teilen können.<br />
Dagegen wird die innerorganische Evolution <strong>de</strong>r Zellen, zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r öffentlichen Diskussion, vernachlässigt. Es ist hinreichend bekannt,
dass die meisten Zellen eine begrenzte Lebensdauer haben und ständig, nicht nur in <strong>de</strong>r Wachstumsphase, durch Zellteilung reproduziert<br />
wer<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m geht die Vererbung ohnehin von <strong>de</strong>n Zellen aus - je<strong>de</strong> Zelle verfügt über das vollständige Genom - so dass sie alle<br />
Voraussetzungen <strong>de</strong>r Evolution erfüllen. Die Auswirkungen ihrer Evolution auf die Evolution <strong>de</strong>r Organismen und <strong>de</strong>r Spezies ist bisher wenig<br />
erforscht, da sich <strong>de</strong>r Mainstream <strong>de</strong>r Evolutionsforschung auf die DNA <strong>de</strong>r Keimzellen konzentriert. Dabei drängt sich die Vermutung auf, dass<br />
die Evolution einiger Zellen <strong>de</strong>n Alterungsprozess und das Sterben <strong>de</strong>r Individuen (mit)verursacht. Die Evolution im allgemeinen ist eine<br />
Evolution <strong>de</strong>r Zellen, wobei aber aus historischen Grün<strong>de</strong>n nur die äußerlich erkennbaren Ergebnisse als Evolution betrachtet wer<strong>de</strong>n. Ebenso<br />
wenig beachtet ist die Einwirkung von Mikroorganismen, speziell von lysogenen Viren und Retroviren, die ihre DNA bzw. RNA in die DNA ihrer<br />
Wirte einschleusen. Seit über hun<strong>de</strong>rt Jahren sind sie als Krankheitserreger bekannt und in <strong>de</strong>r Gentechnik wer<strong>de</strong>n sie als Vektoren o<strong>de</strong>r<br />
sogenannte Genfähren zur gezielten Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r DNA eingesetzt. Auswirkungen auf die Evolution sind daher naheliegend, durch die<br />
Gentechnik sogar experimentell bewiesen.<br />
Bei weiterer Überlegung kommt man nicht umhin, <strong>de</strong>n Körper <strong>de</strong>r Lebewesen ausschließlich als Vehikel zur Wie<strong>de</strong>rvereinigung <strong>de</strong>r<br />
Keimzellen und dadurch zu ihrer Replikation zu sehen! Dazu müssen diese Zellen mittels <strong>de</strong>s sie umgeben<strong>de</strong>n Körpers am Leben erhalten<br />
wer<strong>de</strong>n und mit <strong>de</strong>r Umwelt passend interagieren. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat diesen Gedanken statt auf die Keimzellen sogar<br />
auf das DNA-Molekül bezogen noch weiter reduziert (The Selfish Gene, 1976). Die traditionelle, anthropozentrische Deutung <strong>de</strong>s Lebens, die<br />
<strong>de</strong>n Körper und sein Verhalten als Einheit <strong>de</strong>s Lebens wahrnimmt und in das Zentrum stellt, sieht vom biologischen Standpunkt nach einem<br />
großen Irrtum aus.<br />
Aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Variationsmöglichkeiten bei <strong>de</strong>r Reproduktion leiten sich verschie<strong>de</strong>ne, grundsätzliche Formen <strong>de</strong>r Evolution ab: die<br />
anatomisch-physiologische als Folge <strong>de</strong>r Mutation <strong>de</strong>r Gene, die physiognomisch-ethologische als Folge <strong>de</strong>r sexuellen Fortpflanzung und die<br />
soziologisch-kulturelle Evolution (beson<strong>de</strong>rs beim Menschen) als Folge <strong>de</strong>r Wahrnehmung und <strong>de</strong>s Lernens. Die verschie<strong>de</strong>nen Formen<br />
stehen zueinan<strong>de</strong>r in Wechselwirkung und in Abhängigkeiten voneinan<strong>de</strong>r. Die Weitergabe von Information an die Nachkommen könnte im<br />
Sinne <strong>de</strong>r Evolution als "weiche Vererbung" bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Lebenserfahrung, die großenteils erst nach <strong>de</strong>r fortpflanzungsfähigen (o<strong>de</strong>r -<br />
willigen) Zeit erworben wird, kann daher nur auf diesem Weg weitergegeben wer<strong>de</strong>n. Die kulturelle Evolution kann am Beispiel Aids beobachtet<br />
wer<strong>de</strong>n, wo bereits durch das Erkennen von To<strong>de</strong>sgefahren globale Verhaltensän<strong>de</strong>rungen bewirkt o<strong>de</strong>r gar erzwungen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die natürliche Selektion ist we<strong>de</strong>r ein Naturgesetz noch eine Eigenschaft o<strong>de</strong>r gar Voraussetzung <strong>de</strong>r Evolution, son<strong>de</strong>rn eine Eigenschaft<br />
<strong>de</strong>s Lebens selbst: seine Sterblichkeit o<strong>de</strong>r Zerstörbarkeit. Sie ist die posthume Begründung <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s. Da <strong>de</strong>r Tod für alle Lebewesen<br />
unvermeidbar ist, fin<strong>de</strong>t Evolution auch ohne Selektion statt. Im Sinne <strong>de</strong>r Selektion sind Tod und Unfähigkeit zur Fortpflanzung<br />
gleichbe<strong>de</strong>utend. Selektion beschreibt das Aussortieren von existieren<strong>de</strong>n Individuen und lokalen Populationen, die in <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
Lebensumwelt auf Grund ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten nicht lebensfähig o<strong>de</strong>r nicht fortpflanzungsfähig sind. Sie beinhaltet also eine<br />
"Strategie <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s", die in je<strong>de</strong>m Lebensstadium, auch vorgeburtlich, wirksam ist. Zu unterschei<strong>de</strong>n sind exogene, d.h. ökologische, und<br />
endogene, d.h. organische und ethologische, Ursachen und Kriterien <strong>de</strong>r Selektion. Selektion bezieht sich hauptsächlich auf die<br />
Grundbedingungen <strong>de</strong>r Lebewesen: Nahrungssuche, Fortpflanzung, Schutz gegen Lebensgefahren. Räuber-Beute-Beziehungen bil<strong>de</strong>n die<br />
schärfste Form von Selektion. Das Leben als Interaktion <strong>de</strong>r Individuen mit ihrer Umwelt beruht auf Kommunikation im allgemeinsten Sinne, so<br />
dass die Kommunikationsfähigkeiten für das Überleben eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle spielen. Allein <strong>de</strong>r Mensch kann sich <strong>de</strong>r Selektion durch<br />
Wi<strong>de</strong>rstands- und Ausweichverhalten (Schaffung von Werkzeugen, Medikamenten usw.) teilweise entziehen. Selektion von Arten wirkt in <strong>de</strong>r<br />
Regel durch eine allmähliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Vorzeitige Selektion ist das Ausson<strong>de</strong>rn individueller Lebensformen<br />
vor Erreichen <strong>de</strong>s Reproduktionsstadiums (Fortpflanzungsfähigkeit). Selektion beeinflusst die Richtung <strong>de</strong>r Evolution durch Ausson<strong>de</strong>rn<br />
bestimmter Lebensformen, d.h. durch Dezimieren o<strong>de</strong>r gar Auslöschen von Populationen mit bestimmten Eigenschaften (Varianten), so dass<br />
nur die übriggebliebenen Lebensformen durch Reproduktion weiterhin an <strong>de</strong>r Evolution teilnehmen. Dadurch wirkt sie auf die Variation zurück<br />
und schließt einen Wirkungskreis im Sinne <strong>de</strong>r Systemkybernetik. Sie beschreibt nicht einen beobachtbaren biotischen o<strong>de</strong>r gar chemischen<br />
Prozess, son<strong>de</strong>rn faktische Gegebenheiten, die günstigenfalls als Verschiebung von Merkmalsverteilungen in einer Population statistisch<br />
nachprüfbar sind. Ins<strong>gesamt</strong> ist die natürliche Selektion für die Evolution aber von zweitrangiger Be<strong>de</strong>utung, da sie nur restriktiv, aber nicht<br />
konstruktiv wirksam sein kann und weil sie nur in variantenreichen Populationen überhaupt wirksam sein kann.<br />
Selektion als Auswahl kann zwischen Spezies und innerhalb von Spezies stattfin<strong>de</strong>n; überall dort, wo Alternativen verfügbar sind. Alternativen<br />
be<strong>de</strong>uten, wenn sie sich nicht gegenseitig ausschließen, fast immer auch Konkurrenz. Nahrungs- o<strong>de</strong>r Ressourcenkonkurrenz zwischen<br />
Spezies wie auch innerhalb von Spezies, Macht- und Zuneigungskonkurrenz in Gruppen (Familien, Gemeinschaften) und schließlich die<br />
Sexualkonkurrenz <strong>de</strong>r Geschlechter. In <strong>de</strong>r Tat bestimmen Konkurrenzen einen wesentlichen Teil <strong>de</strong>s Verhaltensrepertoires im tierischen<br />
Leben und ebenso in <strong>de</strong>r menschlichen Kultur (Aggression als Folge von Zuneigungs- und Machtkonkurrenzen?). Unter<br />
Konkurrenzbedingungen wird das Individuum, die Gruppe o<strong>de</strong>r die Art mit <strong>de</strong>r "höheren Fitness" die besseren Gewinnchancen haben. Dies ist<br />
<strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>s Darwinismus. Die Konkurrenz <strong>de</strong>r Evolution be<strong>de</strong>utet aber nicht <strong>de</strong>n "hel<strong>de</strong>nhaften Kampf Mann gegen Mann", son<strong>de</strong>rn vielmehr<br />
die indirekte Konkurrenz, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Konkurrenten Ressourcen weggenommen, zerstört (Umweltverschmutzung) o<strong>de</strong>r häufiger vorenthalten<br />
wer<strong>de</strong>n (z.B. Umleitung von Flüssen, Abholzung). Sie wirkt sich beson<strong>de</strong>rs dann auf das Verhalten aus, wenn die Konkurrenten ihrer bewusst<br />
sind im Sinne eines Instinkts o<strong>de</strong>r von Bewusstsein. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass Soziologie eine Wissenschaft <strong>de</strong>r<br />
Konkurrenzen ist. Geeignete Werkzeuge zur Analyse und Prognose von Konkurrenzverhalten bietet die Mathematik neben <strong>de</strong>n klassischen<br />
Kalkülen wie Statistik zunehmend mit <strong>de</strong>r für diesen Zweck hilfreichen Spieltheorie.<br />
Die Spieltheorie wur<strong>de</strong> von John von Neumann (1903-1957), einem <strong>de</strong>r Pioniere <strong>de</strong>r Informatik, um 1930 begrün<strong>de</strong>t. Sie untersucht typische<br />
Entscheidungs- und Verhaltenssituationen, die in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Bereichen als Muster immer wie<strong>de</strong>r anzutreffen sind. Die Selektion als<br />
Teil <strong>de</strong>r Evolution ist ein solcher Anwendungsbereich. So erlaubt sie Einsichten in Handlungsstrategien mit Risikoabschätzung, Gewinn- und<br />
Verlustrechnung und <strong>de</strong>ren Simulation. Was für die Chaostheorie <strong>de</strong>r Schmetterling ist, das ist für die Spieltheorie das Gefangenendilemma.<br />
Die Grenzen ihrer Aussagekraft fin<strong>de</strong>t die Spieltheorie aber in <strong>de</strong>r mangeln<strong>de</strong>n Abgrenzbarkeit realer Situationen, <strong>de</strong>r Verfügbarkeit von<br />
Informationen und <strong>de</strong>r subjektiven Bewertbarkeit <strong>de</strong>r involvierten Werte, auf <strong>de</strong>r wesentlich die apriori gefor<strong>de</strong>rte Rationalität <strong>de</strong>s<br />
Spielerverhaltens grün<strong>de</strong>t: Geld ist sehr genau und ein<strong>de</strong>utig zu bewerten, aber ein sexuelles Erlebnis, lebensnotwendige Beute o<strong>de</strong>r gar das<br />
Leben selbst? Ihre Erkenntnisse können daher in <strong>de</strong>r Praxis leicht zu Fehleinschätzungen führen.<br />
In vielen Schriften zur Evolution ist das Wort Selektionsdruck zu fin<strong>de</strong>n. Dieser Begriff suggeriert einen Zwang zur Verän<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r zur<br />
Anpassung, <strong>de</strong>r über viele Generationen hinweg wirksam sein müßte. Einen Zwang kann es in <strong>de</strong>r Evolution aber nicht geben. Der Begriff führt<br />
damit zu einem grundsätzlich falschen Verständnis <strong>de</strong>r Evolution, das nicht zuletzt auf Darwin selbst zurückzuführen ist, da dieser stark von<br />
<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>en Robert Malthus' (1766-1834) zur Bevölkerungsentwicklung beeinflusst war und eine Überproduktion von Nachkommen als die<br />
Ursache <strong>de</strong>r Selektion angenommen hatte. Wäre die Selektion aber nur auf eine Überproduktion von Nachkommen bzw. nur auf begrenzte<br />
Ressourcen mit <strong>de</strong>r daraus resultieren<strong>de</strong>n Konkurrenz zurückzuführen, dann wäre die Evolution nur ein Spiel <strong>de</strong>s Zufalls und die<br />
Evolutionstheorie in <strong>de</strong>r Tat nur eine historische Erzählung ohne wissenschaftlich beweisbare Rechtfertigung. Das ist genau das<br />
Hauptargument ihrer Gegner. Ist die Selektion aber mit unterschiedlichen Lebensbedingungen unterschiedlicher Varianten zu begrün<strong>de</strong>n, dann<br />
sind die Relationen und Interaktionen materieller Strukturen als Organismen in ihrer Umwelt Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung. Die<br />
Grundlage bil<strong>de</strong>n selbstverständlich die physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten, die schon per Definition nicht zufällig sind. Die<br />
eigentliche Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Evolutionsforschung sind die Voraussetzungen, die Ursachen und die vielschichtigen Zusammenhänge, die<br />
zur Entstehung von Varianten führen, an <strong>de</strong>nen die Selektion erst angreifen kann. Die Auswirkungen <strong>de</strong>r Variabilitäten erstrecken sich dann<br />
über Chemie, Biologie, Ethologie bis zur Soziologie und begrün<strong>de</strong>n eine eigenständige, aus klassischer Sicht notwendig interdisziplinäre<br />
Evolutionswissenschaft. Informatik und Kybernetik liefern zunehmend wichtige wissenschaftliche Werkzeuge zum Verständnis <strong>de</strong>r<br />
Evolution. Das Wesen <strong>de</strong>r Evolution sind nicht so sehr die sichtbaren physiognomischen Merkmale und auch nicht die zeitlichen Abfolgen und<br />
Abstammungen <strong>de</strong>r Spezies, weil sie häufig Zufällen und Täuschungen unterliegen, son<strong>de</strong>rn es sind die vielfältigen Zusammenhänge von
ökologischen und physiologischen Prozessen und es sind die Variationen <strong>de</strong>r intra- und interzellulären Strukturen und Vorgänge mit ihren<br />
Auswirkungen auf Ontogenese und Phylogenese. Den schon Darwin bekannten Zusammenhang von Ontogenese und Phylogenese hat Ernst<br />
Haeckel (1834-1919) als biogenetisches Grundgesetz formuliert, das in seiner naiven Form zwar wi<strong>de</strong>rlegt, aber partiell nach wie vor Gültigkeit<br />
besitzt und zu manchen Erkenntnissen geführt hat.<br />
Selektion wirkt stets auf das Erzeugte, nicht auf das Erzeugen<strong>de</strong>. Auf das Erzeugen<strong>de</strong> wirkt sie nur insofern, als dieses selbst Erzeugtes ist.<br />
Selektion wirkt also stets von "oben nach unten", d.h. am stärksten auf die Endprodukte und am wenigsten auf die Ausgangsstoffe, wobei auf<br />
<strong>de</strong>n einzelnen Stufen unterschiedliche, spezifische Formen <strong>de</strong>r Selektion wirksam sind. Je<strong>de</strong> Komponente <strong>de</strong>s Lebens kann nur überleben,<br />
wenn alle ihre Lebensbedingungen erfüllt sind. Das Überleben einer Spezies schließt das Überleben von Gruppen, von Individuen, von Phänen<br />
und von Genen ein. Je<strong>de</strong> Komponente ist spezifischen - beson<strong>de</strong>rs molekularbiologischen o<strong>de</strong>r ökologischen - Risiken ausgesetzt, so dass die<br />
Selektion an je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r genannten Komponenten - an ihren varianten Formen - angreifen kann. Bereits auf molekularer Ebene treffen die<br />
Enzyme eine scharfe Selektion ihrer Reaktionspartner. Das be<strong>de</strong>utet auch, dass es viele Formen von Selektion gibt, die unsichtbar sind, weil<br />
sie nicht auf die fertigen Organismen, son<strong>de</strong>rn bereits auf ihre Entstehungsformen einwirken, so dass viele prinzipiell mögliche Lebensformen<br />
erst gar nicht erscheinen o<strong>de</strong>r aber scheinbar ganz plötzlich auftauchen. In <strong>de</strong>r Evolutionswissenschaft sind Gruppenselektion und<br />
Genselektion (R. Dawkins: das egoistische Gen) heiß und kontrovers umstritten. In diesen Theorien steckt aber eine unausgesprochene<br />
Teleologie und eine retrospektive Interpretation <strong>de</strong>r Evolution, weshalb ihre Aussagen sehr kritisch zu prüfen sind und weshalb Antidarwinisten<br />
hier mit Recht von unbewiesenen "Theorien" im Sinne von Spekulationen sprechen. Letztlich ist die Erscheinung und das Wesen <strong>de</strong>r Selektion<br />
in <strong>de</strong>m ungeheuer komplizierten Zusammenspiel <strong>de</strong>r Teilsysteme eines Organismus begrün<strong>de</strong>t. Das äußere Erscheinungsbild einer<br />
Lebensform ist nur eine winzige Facette davon. Die Grenze zwischen Organismus und Umwelt ist eine vom Menschen willkürlich gezogene<br />
Trennlinie: für die Selektion hat sie keine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung (R. Dawkins: exten<strong>de</strong>d phenotype).<br />
Neben <strong>de</strong>r ökologischen Selektion spielt auch die sexuelle Selektion eine Rolle für <strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r Evolution. Partnerwahl-, Paarungs-,<br />
Fortpflanzungs- wie auch an<strong>de</strong>re im Zusammenhang stehen<strong>de</strong> Verhaltensstrategien (Anzahl, Schutz und Versorgung <strong>de</strong>r Nachkommen)<br />
bestimmen Ten<strong>de</strong>nzen hinsichtlich <strong>de</strong>r Erhaltung und Verstärkung genetischer Merkmale und sind daher für die Richtung <strong>de</strong>r Evolution<br />
wesentlich. Dabei kommt <strong>de</strong>n Kommunikationsformen zwischen Artgenossen - optische Reize, Geruchsstoffe, menschliche Sprache - große<br />
Be<strong>de</strong>utung zu. Die im 20. Jhdt. eingeführten Verkehrs- und Kommunikationstechnologien sind <strong>de</strong>shalb auch in dieser Hinsicht zu beachten,<br />
wobei <strong>de</strong>ren unvorhersehbare Auswirkungen auf die Evolution <strong>de</strong>s Menschen und indirekt auf die <strong>gesamt</strong>e Natur erst über die kommen<strong>de</strong>n<br />
Generationen sichtbar wer<strong>de</strong>n.<br />
In einer lebensgesättigten Welt, wie <strong>de</strong>m tropischen Regenwald, sind Nahrungsabhängigkeiten und Nahrungskonkurrenz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Kriterien für die Überlebensfähigkeit einer Population. Die Besetzung aller Lebensräume führt durch die daraus resultieren<strong>de</strong> starke<br />
Vernetzung <strong>de</strong>r Abhängigkeiten, beson<strong>de</strong>rs bei Symbiosen, zur Verstärkung <strong>de</strong>r natürlichen Selektion durch eine kompetitive und eine<br />
<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nte Selektion und dadurch zu einer dynamischeren Evolution, jedoch mit kleineren Ausschlägen. Periodische Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />
Umweltbedingungen (Klima) bewirken unter diesen Umstän<strong>de</strong>n eine revolvieren<strong>de</strong> Evolution ("Korkenzieherevolution"), während bei offenen<br />
Lebensräumen eine divergieren<strong>de</strong> Evolution konkurrieren<strong>de</strong>r Populationen wahrscheinlicher ist, wobei die Grenzen <strong>de</strong>r Divergenz durch <strong>de</strong>n<br />
Genotyp vorgegeben sind. So ist die Entstehung neuer Arten in einer lebensgesättigten Welt sehr unwahrscheinlich. Die attraktiven<br />
Nahrungsangebote för<strong>de</strong>rn allerdings <strong>de</strong>n Zuzug frem<strong>de</strong>r Arten aus benachbarten Lebensräumen.<br />
Gäbe es "unsterbliche" Lebensformen, so hätten diese keine Notwendigkeit zur Fortpflanzung und in Konsequenz begrenzter Ressourcen auch<br />
keine Möglichkeit, womit Evolution dieser Lebensformen ausgeschlossen wäre. Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Lebensbedingungen im Zeitablauf wür<strong>de</strong>n<br />
solche Lebensformen letztlich doch zum Aussterben verurteilen, es sei <strong>de</strong>nn, sie könnten und wür<strong>de</strong>n ihr Wesen selbst verän<strong>de</strong>rn<br />
(Gentechnik!). Sterblichkeit und Evolution bedingen einan<strong>de</strong>r und sind <strong>de</strong>m Leben inhärent. Eine medizinische Verlängerung <strong>de</strong>s Lebens ist<br />
aus Sicht <strong>de</strong>r Evolution sinnlos und gefähr<strong>de</strong>t sogar die Existenz <strong>de</strong>r Spezies, weil Leben nach <strong>de</strong>r fortpflanzungsaktiven Zeit nur noch<br />
Ressourcen verbraucht.<br />
Warum gibt es unsterbliches Leben nicht? Die Antwort ist wohl darin zu suchen, dass das "Ziel" <strong>de</strong>r Lebensprozesse nicht die Homöostase,<br />
d.h. die Erhaltung <strong>de</strong>s Lebens ist, son<strong>de</strong>rn ewiges Wachstum. Das aber führt durch Ressourcenverbrauch und durch Erreichen von Sättigungs-<br />
und Wirksamkeitsgrenzen notwendig zur Erschöpfung und schließlich zum eigenen En<strong>de</strong>. Die Sättigungs- und Wirksamkeitsgrenzen haben<br />
ihre Ursachen in <strong>de</strong>n physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten von Schwerkraft, elektrostatischen Kräften, chemischen Bindungskräften<br />
u.a. Leben ist kein Zustand, wie es <strong>de</strong>n Leben<strong>de</strong>n selbst scheint, son<strong>de</strong>rn ein ständiger Prozess, vielmehr ein Konglomerat biochemischer<br />
Prozesse von Energieaufnahme und Energieabgabe, von Bindung und Auflösung, von Wachstum und Zerfall. Es ist eine andauern<strong>de</strong><br />
Transformation <strong>de</strong>r organischen, materiellen Strukturen, <strong>de</strong>ssen Dynamik unabwendbar zu irreversiblen Verän<strong>de</strong>rungen (Variationen) und<br />
somit zur Evolution führt. Der Tod markiert eigentlich nur einen beliebigen, artspezifischen Wen<strong>de</strong>punkt zwischen <strong>de</strong>n Wachstums- und <strong>de</strong>n<br />
Zerfallsprozessen; beim Menschen das En<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>r Prozesse, die Bewusstsein o<strong>de</strong>r "Seele" produzieren. Bei <strong>de</strong>r medizinischen<br />
Verlängerung <strong>de</strong>s Lebens ist damit zu rechnen, dass nicht alle Organe im gleichen Maße funktionsfähig bleiben. Das be<strong>de</strong>utet, dass mit<br />
zunehmen<strong>de</strong>r Alterung unterschiedliche Organe sich als Schwachpunkte erweisen und Krankheitsbil<strong>de</strong>r und To<strong>de</strong>sursachen wechseln.<br />
Beispielsweise ist <strong>de</strong>nkbar, dass das extrem komplizierte Gehirn mit <strong>de</strong>n sich nicht reproduzieren<strong>de</strong>n Neuronen nicht beliebig alterungsfähig<br />
ist, son<strong>de</strong>rn bei Erreichen einer bislang unbekannten Grenze allmählich o<strong>de</strong>r plötzlich ausfallen wird.<br />
Entschei<strong>de</strong>nd für die Lebensfähigkeit einer Art bzw. Population ist die Passung o<strong>de</strong>r Kompatibilität (Verträglichkeit) zwischen<br />
Umweltbedingungen einerseits (Nahrungsangebot, Klima, Konkurrenz) und <strong>de</strong>n anatomischen, <strong>de</strong>n ethologischen und <strong>de</strong>n kognitiven<br />
Fähigkeiten <strong>de</strong>r Art und <strong>de</strong>r Individuen an<strong>de</strong>rerseits. Man bezeichnet die Summe dieser Eigenschaften, die sich als Fortpflanzungserfolg<br />
auswirkt, als Fitness. Es ist unlogisch, in diesem Zusammenhang von Optimierung zu sprechen. Die Evolution kennt kein Optimum, da die<br />
Umgebungsbedingungen, die sich unvorhersehbar, schnell und drastisch än<strong>de</strong>rn können, bestimmen, was optimal ist. Leben ist immer ein<br />
nichtoptimaler Zustand. Die Makrobedingungen <strong>de</strong>s Lebens sind durch die Wirkung <strong>de</strong>r Sonne auf die Erdatmosphäre, die Bewegungen <strong>de</strong>r<br />
Er<strong>de</strong> auf ihrer Umlaufbahn, wie auch Geschehnisse im Erdinneren bestimmt und über die letzten Jahrmillionen annähernd stabil geblieben.<br />
Lokale Lebensbedingungen sind von <strong>de</strong>r Beschaffenheit <strong>de</strong>s Lebensraumes (<strong>de</strong>s Habitats) - im wesentlichen <strong>de</strong>r Erdoberfläche, wie auch <strong>de</strong>r<br />
vorhan<strong>de</strong>nen Fauna und Flora - bestimmt und variieren orts- und zeitabhängig. Mikroskopische Lebensbedingungen sind die aktuellen<br />
Verhältnisse am Lebensort <strong>de</strong>r Individuen und sind beeinflusst von <strong>de</strong>n Auswirkungen <strong>de</strong>s Lebens selbst: Nahrungsangebot,<br />
Populationsdichte, Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch. Die Umweltbedingungen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit<br />
sind in hohem Maße zufallsbestimmt, im Sinne von nicht beeinflußbar und nicht vorhersagbar, so dass auch <strong>de</strong>r Überlebenserfolg <strong>de</strong>r<br />
Individuen und <strong>de</strong>r Lebensformen in hohem Maße vom Zufall abhängt. Die Triebkraft <strong>de</strong>r Evolution ist die Verringerung von Inkompatibilität,<br />
also die gerichtete o<strong>de</strong>r ungerichtete Entfernung von einem Istzustand, im Gegensatz zur Anpassung, <strong>de</strong>r Annäherung an einen Zielzustand.<br />
So ist <strong>de</strong>nkbar, dass zu bestimmten Zeiten <strong>de</strong>r Erdgeschichte ein hoher "Selektionsdruck" herrschte, insofern, als die lokalen<br />
Lebensbedingungen sich in kurzen Zeitabstän<strong>de</strong>n drastisch än<strong>de</strong>rten. Das hätte zur Folge, dass einerseits viele unterschiedliche<br />
Lebensformen erzeugt wor<strong>de</strong>n wären, diese an<strong>de</strong>rerseits nur kurze Entwicklungszeiträume zur Verfügung gehabt hätten und damit nur<br />
kleinräumige und dünne Populationen hätten aufbauen können. Fossilien und Überreste wären dadurch nur mehr mit geringer<br />
Wahrscheinlichkeit auffindbar. Nur wenige <strong>de</strong>r alten, höher entwickelten Arten - die Vorfahren <strong>de</strong>r heute noch leben<strong>de</strong>n, die damals zufällig zur<br />
rechten Zeit am rechten Ort waren - hätten diese Torturen überlebt. Die Suche nach Übergangsformen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n sogenannten missing links ist<br />
auf eine statische Denkweise zurückzuführen, da Zwischenformen in <strong>de</strong>r Dynamik <strong>de</strong>r Evolution we<strong>de</strong>r notwendig existent sind noch notwendig<br />
sichtbar o<strong>de</strong>r als solche erkennbar wären. Ist die wun<strong>de</strong>rbare Metamorphose einer Raupe zum Schmetterling nicht ebenso eine<br />
Zwischenform?
Auch freiwillige und unfreiwillige Wan<strong>de</strong>rungen von Populationen führen dazu, dass manche von ihnen ihre Überlebensgrenzen erreichen.<br />
Dabei verschwin<strong>de</strong>t ein Teil <strong>de</strong>r Population, während Varianten, die zur Überschreitung <strong>de</strong>r physiologischen und ethologischen Grenzen<br />
geeigneter sind, verstärkt wer<strong>de</strong>n. Dadurch erfährt die Entwicklung dieser Population einen Schub und führt zu einer verän<strong>de</strong>rten,<br />
überlebensfähigen Spezies. Die Evolution fin<strong>de</strong>t beson<strong>de</strong>rs an Überlebensgrenzen statt und geht ins<strong>gesamt</strong> nicht graduell, wie Darwin<br />
annahm, auch nicht sprunghaft (saltationistisch), son<strong>de</strong>rn hauptsächlich schubweise vonstatten (Eldredge/Gould: punctuated equilibrium).<br />
Hervorzuheben ist, dass die Intensitäten von Variation und Selektion voneinan<strong>de</strong>r unabhängig sind und ihre Auswirkungen nicht parallel<br />
gleichmäßig verlaufen müssen, so dass die Evolution sehr differenziert betrachtet wer<strong>de</strong>n muss, in<strong>de</strong>m sie in einzelne Entwicklungsstränge<br />
zerlegt wird. Entwicklungen im allgemeinen verlaufen bei fehlen<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r positiver Rückkopplung unidirektional bis zu einem Kulminationspunkt,<br />
an <strong>de</strong>m eine einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rung (Phasenübergang) o<strong>de</strong>r das En<strong>de</strong> stattfin<strong>de</strong>n muss.<br />
Obwohl die Theorie Lamarcks schon lange wi<strong>de</strong>rlegt ist, so hat er doch nicht völlig unrecht. Es gibt viele Individuen und Gruppen, die durch<br />
Erlernen o<strong>de</strong>r Antrainieren bestimmter Fähigkeiten o<strong>de</strong>r Eigenschaften wie Werkzeuggebrauch zu höherer Fitness gelangen. Dadurch wird<br />
<strong>de</strong>ren Genotyp mit möglicherweise charakteristischen Genen in <strong>de</strong>r Evolution geför<strong>de</strong>rt, obwohl diese völlig unabhängig sind von <strong>de</strong>n<br />
erworbenen Eigenschaften. Der Vorgang ist ungefähr vergleichbar mit <strong>de</strong>r Kopplung von Genen auf Chromosomen und kann eine Antwort<br />
geben auf das Erscheinen manch rätselhafter Phänotypen. Der Unterschied ist, dass die Gen-Kopplung systematisch ist, wogegen die<br />
Eigenschafts-Kopplung zufällig und <strong>de</strong>shalb nicht regelmäßig wie<strong>de</strong>rholbar ist.<br />
Für die Entstehung höherer Lebensformen ist ausschließlich die Reproduktion in Verbindung mit Variation verantwortlich. Die Selektion<br />
ihrerseits bevorzugt die komplexeren Lebensformen, weil sie durch die höhere Vielfalt unterschiedlicher, feiner abgestufter, oftmals auch<br />
redundanter Wesensmerkmale - beson<strong>de</strong>rs Sinnesorgane - eine bessere Passung an die Lebensumwelt bieten, so dass es zu einem<br />
zusätzlich verstärken<strong>de</strong>n Effekt zugunsten höherer Komplexität kommt. Die Verfügbarkeit organischen, struktur- und energiereichen Materials<br />
als Nahrungsquelle bietet wie<strong>de</strong>rum Möglichkeiten für die Entwicklung höher organisierter Organismen. An<strong>de</strong>rerseits erfor<strong>de</strong>rn komplexe<br />
Systeme stabilere Lebensbedingungen, da sie durch die starke Vernetzung ihrer Teilsysteme kybernetisch sehr sensibel sind und größere<br />
Verän<strong>de</strong>rungen tödlich wirken. Aus eben diesem Grund sind sprunghafte Mutationen für komplexe Systeme unverträglich, so dass die<br />
Evolution höherer Lebensformen nur in kleinen Schritten stattfin<strong>de</strong>t und innerhalb begrenzter Zeiträume kaum beobachtbar ist. Zusätzlich führt<br />
die Abhängigkeit von organischen Nahrungsquellen durch Rückkopplungseffekte zu einer hohen Sensibilität auch für kleine ökologische<br />
Verän<strong>de</strong>rungen und damit zu einer stärkeren Populationsdynamik. Damit ist auch gesagt, dass die Existenz höherer Lebensformen nur bei<br />
gleichzeitiger Existenz nie<strong>de</strong>rer Lebensformen möglich ist.<br />
Leben<strong>de</strong> Systeme sind "fehlerhafte" und fehleranfällige Systeme - dies ist schließlich die Hauptursache <strong>de</strong>r Evolution. Komplexität hat daher<br />
ihre Grenzen. Die notwendige Kommunikation zwischen Teilsystemen und Synchronisation von Prozessen wird mit zunehmen<strong>de</strong>r Komplexität<br />
fehler- und störanfälliger, zeit- und energieaufwendiger und schließlich prinzipiell unberechenbar o<strong>de</strong>r chaotisch, so dass die natürliche<br />
Evolution nicht unendlich zu komplexeren Systemen tendieren kann, son<strong>de</strong>rn bei quasi unendlicher Dauer sich einer oberen Grenze <strong>de</strong>r<br />
Komplexität annähern dürfte (stagnieren<strong>de</strong> Evolution). Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r zeitliche Aspekt <strong>de</strong>r Komplexität, <strong>de</strong>r durch die Physik von Stofftransport<br />
und Signalübertragung gegeben ist und <strong>de</strong>r Zunahme von funktionaler Komplexität enge Grenzen setzt, scheint bei vielen Prognosen und<br />
Fiktionen ignoriert zu wer<strong>de</strong>n. Die menschliche Vorstellung von zeitlicher Gegenwart ist bereits eine physiologische und neurologische<br />
Täuschung. Überdies führt zunehmen<strong>de</strong> Komplexität natürlicher Systeme notwendig zu stärkerer Individualisierung, so dass extrem komplexe<br />
Spezies in diverse Subspezies und schließlich in Individuen zerfallen wür<strong>de</strong>n. Evolution ist keineswegs eine Einbahnstrasse zu immer höherer<br />
Komplexität.<br />
Aus <strong>de</strong>n eben genannten Grün<strong>de</strong>n reagieren komplexe Organismen auf die Umweltän<strong>de</strong>rungen im Tagesablauf mit einem Zeitverzug. So<br />
können sie eine Zeitspanne ohne Energiezufuhr von außen durch interne Energiespeicher und Energieumsetzung überleben. Diese<br />
Reaktionsträgheit liefert auch eine Begründung für die scheinbare Autonomie <strong>de</strong>r Organismen, da die Korrelation von Umweltereignissen und<br />
Organismus nicht mehr erkennbar ist. Die Autonomie beruht also auf <strong>de</strong>r zeitlichen und physischen Entkoppelung von ökologischen und<br />
physiologischen Ereignissen und ist prinzipiell proportional zur Komplexität <strong>de</strong>s Organismus. Dieser wird zum kybernetischen und scheinbar<br />
selbstregulieren<strong>de</strong>n System. Die Entkoppelung wird perfektioniert durch das menschliche Gedächtnis!<br />
Komplexe Systeme entstehen "bottom up". Das heißt, Atome können nicht an<strong>de</strong>rs als Moleküle zu bil<strong>de</strong>n, Moleküle können nicht an<strong>de</strong>rs als<br />
Makromoleküle, Molekülcluster o<strong>de</strong>r Zellstrukturen (Membrane und Vesikel) zu bil<strong>de</strong>n. Die Eigenschaft <strong>de</strong>s Kohlenstoffes, durch Verbindungen<br />
mit sich selbst und vielen an<strong>de</strong>ren chemischen Stoffen Molekülketten zu bil<strong>de</strong>n, führt zu vielen Millionen verschie<strong>de</strong>ner organischer Stoffe, die<br />
endlos kombiniert wer<strong>de</strong>n können. Allein diese Tatsache begrün<strong>de</strong>t die Möglichkeiten <strong>de</strong>s Lebens. Das Leben ist nicht das Ziel, son<strong>de</strong>rn ein<br />
Nebenprodukt <strong>de</strong>s Zusammenwirkens einer Vielzahl physikalisch-chemischer Ursachen. Organismen sind Molekülcluster gigantischer Vielfalt<br />
mit <strong>de</strong>r Fähigkeit zur Selbstregulation und zur Selbstreproduktion, <strong>de</strong>ren Entstehen und Existenz einzig <strong>de</strong>n attraktiven Eigenschaften<br />
chemischer Bindungen und physikalischer Wechselwirkungen zuzuschreiben ist. So ist die elektrostatische Anziehung und Abstossung von<br />
Ionen für viele Mechanismen <strong>de</strong>r Physiologie verantwortlich (Membranbildung, Stofftransport). Voraussetzung zur Entstehung von Leben ist<br />
allenthalben das Vorhan<strong>de</strong>nsein <strong>de</strong>r geeigneten Grundstoffe und <strong>de</strong>r geeigneten Umgebungsbedingungen. Der erste Zellzyklus mit Zellteilung<br />
markiert <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>s Lebens, wobei alles heutige Leben auf eine einzige o<strong>de</strong>r einige wenige Ursprungszellen zurückzuführen ist. Da die<br />
physikalisch-chemischen Ursachen unaufhörlich an <strong>de</strong>n Schnittstellen zwischen Organismus und Umwelt wirksam sind, ist Evolution und<br />
Wachstum unausweichlich, während antagonistische Wirkungen (attraktiv/repulsiv) unterschiedlicher Stärke und Reichweite zur inneren<br />
Strukturierung führen. So ist nicht das Leben an sich <strong>de</strong>r Zufall, son<strong>de</strong>rn die individuellen Erscheinungsformen <strong>de</strong>s Lebens als Produkte <strong>de</strong>r<br />
Evolution sind zufällig. Das alles än<strong>de</strong>rt aber nichts an <strong>de</strong>r Faszination <strong>de</strong>r Erscheinung und Entstehung von Leben. Mit steigen<strong>de</strong>r Komplexität<br />
sinkt die Wahrscheinlichkeit <strong>de</strong>r Reversibilität und <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rholbarkeit. Die unmittelbare Folge davon ist, dass <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>r Evolution - im<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch zu Haeckels biogenetischem Grundgesetz - nicht allein aus <strong>de</strong>n rezenten Lebensformen zurück verfolgt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Die Zufälligkeit <strong>de</strong>s Lebens kann an einem Beispiel illustriert wer<strong>de</strong>n: die Auswahl <strong>de</strong>r sechs Lottozahlen am Samstag dauert nur wenige<br />
Minuten. So ist es kein Zufall, dass die Lottomaschine stets sechs Zahlen erzeugt, wenn sie eingeschaltet wird. Die meisten Lottospieler<br />
dagegen schaffen es in ihrem ganzen Leben nicht, einmal die sechs Richtigen zu erraten. Das Bild än<strong>de</strong>rt sich, wenn man die Bedingungen<br />
etwas än<strong>de</strong>rt: gibt man z.B. vor, dass die gezogenen Zahlen eine Summe von 200 ergeben sollen, dann braucht die Maschine erheblich länger,<br />
um sechs geeignete Zahlen auszuwählen, <strong>de</strong>r Spieler dagegen erheblich weniger Versuche, um die richtigen Zahlen zu erraten. Dreht man die<br />
Anfangsbedingungen vollständig um, d.h. läßt man <strong>de</strong>n Lottospieler bestimmen, welche Zahlen gezogen wer<strong>de</strong>n sollen, dann braucht die<br />
Lottomaschine unendlich lange, um diese Zahlen zu ziehen. Von diesem Zustand geht <strong>de</strong>r Mensch aus, wenn er die Natur betrachtet. Er sieht<br />
und kennt die Lebensformen, also die "richtigen Zahlen" und ist höchst verwun<strong>de</strong>rt, wie die Natur als Lottomaschine es geschafft hat, im<br />
Verlauf <strong>de</strong>r Evolution diese Zahlen hervorzubringen. Er sieht aber nicht, dass auch viele an<strong>de</strong>re Zahlenkombinationen hätten die richtigen sein<br />
können.<br />
Komplexere Lebensformen könnten erstmals auch dadurch entstan<strong>de</strong>n sein, dass Haufen gleichartiger Gebil<strong>de</strong> (z.B. Kolonien von Einzellern,<br />
Prokaryonten) unter spezifischen Umgebungsbedingungen zusammengeschweißt wur<strong>de</strong>n und die einzelnen Teile sich infolge von<br />
Wechselwirkungen untereinan<strong>de</strong>r sowie zur Umwelt differenzierten und spezialisierten, so dass allmählich Mehrzeller, Organe und<br />
Extremitäten sich herausbil<strong>de</strong>n konnten. Beson<strong>de</strong>rs Schnittstellen zur Aufnahme von Energie können sich so zu Organen für die<br />
Nahrungsaufnahme bzw. zu Sinnesorganen entwickelt haben. Die Zufuhr von Energie ist fast immer auch mit einer Zufuhr von Information<br />
verbun<strong>de</strong>n, so dass sich die heutigen Sinnesorgane durch hochgradige Differenzierung auf die Aufnahme von Information spezialisieren<br />
konnten. Schon die unvermeidbaren Wechselwirkungen eines Körpers mit einer differenzierten Umwelt (Licht, Luft, Feuchtigkeit, Temperatur)<br />
führen zu vielfältigen Verän<strong>de</strong>rungen und Differenzierungen bzw. Strukturierungen seiner Oberfläche (Denkmalschützer können ein Lied davon
singen). Ein an<strong>de</strong>rer Weg führt über Koexistenz, Kooperation, Symbiose schließlich zur Integration (Endosymbiose) und Metamorphose zuvor<br />
selbständiger Organismen. Wahrscheinlich sind auf diese Weise Bakterien als Mitochondrien bzw. Chloroplasten in die Zelle einverleibt wor<strong>de</strong>n<br />
und möglicherweise sind so die Eukaryonten entstan<strong>de</strong>n. Die Biologin Lynn Margulis, be<strong>de</strong>utendste Protagonistin <strong>de</strong>r Endosymbiontentheorie,<br />
betrachtet die Symbiose sogar als Element <strong>de</strong>r genetischen Variation in Ergänzung zu Mutationen. Festzuhalten ist aber, dass alle Zellen eines<br />
Organismus dasselbe DNA-Molekül besitzen, wogegen bei einer Symbiose verschie<strong>de</strong>ner Organismen auch verschie<strong>de</strong>ne DNA-Moleküle<br />
vorhan<strong>de</strong>n sein müßten. Ein Vererbungsmechanismus wird erst ab <strong>de</strong>m Stadium differenzierter Ein- und Mehrzeller (Metazoen) notwendig, so<br />
dass die Bildung <strong>de</strong>s genetischen Apparates mit DNA und RNA also vermutlich mit <strong>de</strong>r Differenzierung und Organisation <strong>de</strong>r Zellen<br />
zusammenhängt. RNA hat es nach Erkenntnissen <strong>de</strong>r Forscher bereits vor 4 Milliar<strong>de</strong>n Jahren gegeben, während die ersten Metazoen auf 800<br />
Millionen Jahre geschätzt wer<strong>de</strong>n.<br />
Eine Evolution in Richtung einfacherer Organismen ist biologisch durchaus <strong>de</strong>nkbar und möglich. Sie ist aber unwahrscheinlich, weil sie eine<br />
einförmige Umwelt voraussetzen wür<strong>de</strong>. Eine sich chaotisch verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Umwelt, auch scheinbare Verän<strong>de</strong>rung durch Eigenbewegungen,<br />
erfor<strong>de</strong>rt eine hohe Komplexität zu ihrer Bewältigung. Die "Frequenz <strong>de</strong>s Lebens" muss höher sein als die Frequenz <strong>de</strong>r Umweltän<strong>de</strong>rungen,<br />
um diese erkennen und bewältigen zu können, vergleichbar <strong>de</strong>r Abtastfrequenz in Systemen <strong>de</strong>r Kybernetik. Die regelmäßigen Licht-,<br />
Temperatur- und an<strong>de</strong>re Verän<strong>de</strong>rungen, hervorgerufen durch die Bewegungen unseres Planeten, zwingen die Evolution daher in Richtung<br />
höherer Komplexität. Dies be<strong>de</strong>utet keineswegs, dass alle Organismen zur Steigerung <strong>de</strong>r Komplexität gezwungen sind o<strong>de</strong>r einfache<br />
Organismen <strong>de</strong>swegen notwendig aussterben müssen. Ihre Lebenszeiten und Reproduktionsintervalle sind aber entsprechend kurz.<br />
Schließlich sind einfache Organismen lebensnotwendige Nahrungsgrundlage für die höheren Organismen und wichtige, auch aktive Mitglie<strong>de</strong>r<br />
im Stoffkreislauf <strong>de</strong>r organischen Natur.<br />
Grundvoraussetzung allen Lebens ist Bewegung - gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m Transport von Stoffen: Bewegungen <strong>de</strong>r Atmosphäre, <strong>de</strong>r<br />
Erdoberfläche und <strong>de</strong>s geologischen Untergrun<strong>de</strong>s, wie auch die unsichtbare, aber stets vorhan<strong>de</strong>ne Brownsche Molekularbewegung in Gasen<br />
und Flüssigkeiten. Ohne bewegliche Gase und Flüssigkeiten an <strong>de</strong>r Erdoberfläche, <strong>de</strong>r Grenzschicht zwischen beweglichen und<br />
unbeweglichen Stoffen, ist Leben praktisch unmöglich. Nicht lineare, son<strong>de</strong>rn zyklische, periodische o<strong>de</strong>r oszillieren<strong>de</strong> Bewegungen sind<br />
notwendig, die durch sich millionenfach wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong> (replizieren<strong>de</strong>) Prozesse <strong>de</strong>r Konzentration und <strong>de</strong>r Differenzierung von Substanzen die<br />
Bildung von materiellen Strukturen för<strong>de</strong>rn. Ursachen für Bewegungen gab es in <strong>de</strong>r Anfangszeit <strong>de</strong>r Erdgeschichte beson<strong>de</strong>rs durch die noch<br />
heiße Er<strong>de</strong> selbst und durch zahlreiche Kometeneinschläge. Die Sonneneinstrahlung ist als Bewegungsursache (Energielieferant) noch heute<br />
die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Voraussetzung für Leben und für die Evolution <strong>de</strong>s Lebens, wobei weniger die Sonnenstrahlung an sich, son<strong>de</strong>rn vielmehr<br />
ihre Verän<strong>de</strong>rung im Tages- und Jahreslauf entschei<strong>de</strong>nd ist, ohne <strong>de</strong>ren abwechseln<strong>de</strong> Energiezufuhr und Energieabfuhr es vermutlich kein<br />
Leben auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> gäbe. Nicht zu vergessen sind auch radioaktive Strahlungsquellen, die durch <strong>de</strong>n natürlichen Zerfall inzwischen erloschen<br />
sind. Ebenso sind die überall und zu je<strong>de</strong>r Zeit wirken<strong>de</strong> Gravitation und an<strong>de</strong>re physikalische Kräfte als Begleitumstän<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Entstehung<br />
von Leben nicht zu vernachlässigen. Allgemein sind es Potentialunterschie<strong>de</strong> bzw. Gradienten und Spannungen, die Bewegung verursachen<br />
und dadurch wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Potentiale aufbauen und lebenswichtige Stabilität bewirken (radfahren, fliegen!). Bewegung hat die Verän<strong>de</strong>rung<br />
physikalischer Bedingungen zur Folge und ist daher nicht nur Katalysator physikalisch-chemischer Prozesse, son<strong>de</strong>rn auch Verän<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r<br />
Lebensumwelt und daher Motor <strong>de</strong>r Selektion. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, eher mit Sicherheit, ist das Leben in einem flüssigen Medium<br />
entstan<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m vielfältige Bewegungen möglich sind und in <strong>de</strong>m sich viele Substanzen in enger Wechselwirkung befin<strong>de</strong>n.<br />
Leben ist in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s physikalischen, bzw. thermodynamischen Gleichgewichts nicht möglich. Gießt man beispielsweise etwas Wasser auf<br />
einen vollkommen ebenen Tisch, dann wird es unkontrollierbar in alle Richtungen zerfließen und nach kurzer Zeit zur Ruhe kommen. Die<br />
Fließrichtung kann von <strong>de</strong>r zufälligen Temperaturverteilung auf <strong>de</strong>r Tischoberfläche, seiner Oberflächenstruktur o<strong>de</strong>r einem zufälligen Luftzug<br />
abhängen. Kippt man <strong>de</strong>n Tisch dagegen etwas, dann wird das Wasser sofort in eine einheitliche, vorhersehbare, immer gleiche Richtung<br />
fließen. Wasser und Gravitation bewirken zusammen, dass Stoffe, die schwerer sind als Wasser, nach unten sinken und leichtere Stoffe nach<br />
oben steigen. Dadurch wer<strong>de</strong>n gleichzeitig ein Stofftransport und eine Konzentration gleichartiger Stoffe bewirkt. So führt ein einfacher, aber<br />
fundamentaler Mechanismus im Körper von Lebewesen zur Differenzierung, Trennung und Filterung von Stoffen.<br />
Das Prinzip <strong>de</strong>r Bewegung gilt nicht nur für biologische, son<strong>de</strong>rn auch für soziologische Systeme. Spannungen, Differenzen und<br />
Ungleichgewichte sorgen für Bewegung, Verän<strong>de</strong>rung, Leistung, Kreativität, Fortschritt, Innovation; dagegen führen Gleichförmigkeit,<br />
Ausgewogenheit, Homogenität und Harmonie zu Unbeweglichkeit und Stillstand. Dabei kommt es darauf an, dass die Spannungen<br />
beherrschbar bleiben, um nicht <strong>de</strong>struktiv wirksam zu wer<strong>de</strong>n. Das aber ist weniger eine Eigenschaft <strong>de</strong>r Spannungsursache selbst, als<br />
vielmehr die Folge <strong>de</strong>r Reaktionen <strong>de</strong>r Systemelemente darauf. Je weniger Spannungen vorhan<strong>de</strong>n sind o<strong>de</strong>r je weniger <strong>de</strong>r Umgang mit<br />
ihnen geübt ist, <strong>de</strong>sto eher wirken neue Spannungen <strong>de</strong>struktiv. Das ist aus Sicht <strong>de</strong>r Kybernetik offenkundig eine Rückkopplung o<strong>de</strong>r<br />
Rekursivität, also ein nichtlineares Element. Um Kreativität, Fortschritt und Fitness zu för<strong>de</strong>rn, müssen folglich gezielt Spannungen erzeugt<br />
wer<strong>de</strong>n: mo<strong>de</strong>rate Konflikte, Aggressionen usw., wie auch Konkurrenz.<br />
Der Gegenpol dazu, Kooperation, führt zu Abhängigkeiten, die unter Umstän<strong>de</strong>n tödlich sein können o<strong>de</strong>r in völlige Unterwerfung mün<strong>de</strong>n. Sie<br />
kann die Selektion erheblich verschärfen, weil sie die Konkurrenz auf die Ebene von Gruppen anhebt. Ein Musterbeispiel dafür mit allen<br />
Konsequenzen bieten die Armeen und die Konzerne. Kooperation kann in einzelnen Situationen, beson<strong>de</strong>rs zur Erschließung zusätzlicher<br />
Ressourcen, notwendig sein. Voraussetzung dafür ist die Teilbarkeit <strong>de</strong>r Ressourcen unter <strong>de</strong>n Kooperanten. Kooperation zum Lebensprinzip<br />
zu stilisieren ist unrealistisch, <strong>de</strong>nn es ist eine i<strong>de</strong>ologisch-moralisieren<strong>de</strong>, sozialromantische o<strong>de</strong>r narzisstische Lebenseinstellung in einer<br />
Wohlstandskultur, in <strong>de</strong>r Kooperation in Folge von Arbeitsteilung und Spezialisierung bereits fest institutionalisiert ist.<br />
Eine Fülle von Kräften und Einflüssen wirken auf Gegenstän<strong>de</strong> und Stoffe an <strong>de</strong>r Erdoberfläche ein: neben <strong>de</strong>n klassischen Kräften <strong>de</strong>r Physik<br />
wie Gravitation, elektromagnetische und Kernkräfte sind es auch die Einflüsse <strong>de</strong>s Erdmagnetfel<strong>de</strong>s, beson<strong>de</strong>rs die Einflüsse <strong>de</strong>r<br />
Sonnenstrahlung mit sichtbarem Licht, Infrarot und Ultraviolett bis Gammastrahlung und <strong>de</strong>r Ionenstrahlung. Durch die Überlagerung <strong>de</strong>r Kräfte<br />
und Einflüsse bei Anhäufungen von Grun<strong>de</strong>inheiten <strong>de</strong>r Stoffe (Atome, Moleküle) entstehen vielfältige Wechselwirkungen, die vom Menschen<br />
nicht mehr einzeln, son<strong>de</strong>rn nur noch als resultieren<strong>de</strong>s, aggregiertes o<strong>de</strong>r ganzheitliches Phänomen wahrnehmbar, begreifbar o<strong>de</strong>r gar<br />
messbar sind. Dadurch entstehen neue kognitive Objekte o<strong>de</strong>r Entitäten - emergente Strukturen und Systeme - mit eigenen begrifflichen<br />
I<strong>de</strong>ntitäten, die meist nur mit Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung quantifizierbar sind. Es wäre jedoch ein Irrtum zu<br />
glauben, dass dabei an<strong>de</strong>re als die fundamentalen Naturgesetze wirksam sind. Einige zunehmend dabei auftreten<strong>de</strong> Begriffe wie<br />
Selbstorganisation o<strong>de</strong>r Synergetik drohen durch übermäßigen Gebrauch aber zu einer mo<strong>de</strong>rnen Variante <strong>de</strong>r Metaphysik zu <strong>de</strong>generieren.<br />
Eine grundlegen<strong>de</strong> Randbedingung <strong>de</strong>r Evolution ist <strong>de</strong>r Energiehaushalt <strong>de</strong>r einzelnen Lebensformen. Evolution kann nur stattfin<strong>de</strong>n und<br />
Lebensformen können nur entstehen solange <strong>de</strong>r Energieverbrauch und die Energieabgabe eines Individuums geringer ist als das natürliche<br />
Energieangebot und <strong>de</strong>r darauf beruhen<strong>de</strong>n Energieaufnahme. Sinken<strong>de</strong>s Energieangebot o<strong>de</strong>r auch erschwerte Energieumsetzung,<br />
beispielsweise durch Asche und Staub in <strong>de</strong>r Atmosphäre, verursacht von Vulkanausbrüchen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Einschlag von Kometen, aber auch<br />
durch die luftverschmutzen<strong>de</strong>n Aktivitäten <strong>de</strong>r Menschheit, führt zum Aussterben <strong>de</strong>rjenigen Arten, <strong>de</strong>ren Energiebedarf das Energieangebot<br />
dann überschreitet.<br />
Aus diesem Grund kann nur <strong>de</strong>r Apparat zur Aufnahme und Verarbeitung von Energie das Rückgrat, <strong>de</strong>n "roten Fa<strong>de</strong>n" <strong>de</strong>r Evolution bil<strong>de</strong>n.<br />
Es ist nicht unlogisch zu vermuten, dass ursprünglich die Sinnesorgane diese Aufgabe passiv erfüllten - ähnlich <strong>de</strong>r Photosynthese. Erst durch<br />
das Auftauchen an<strong>de</strong>rer, aktiver und daher leistungsfähigerer Mechanismen wur<strong>de</strong>n die Sinnesorgane von dieser Aufgabe entlastet und<br />
konnten sich durch stetige Verfeinerung zu <strong>de</strong>m entwickeln, was sie heute tun: die passive Aufnahme und Verarbeitung von Information.
Leben ist ein dynamisch-stabiler Zustand (Fließgleichgewicht) fern <strong>de</strong>s thermodynamischen Gleichgewichts, welches von <strong>de</strong>r sich selbst<br />
überlassenen Natur stets angestrebt wird. Technische Systeme dagegen wer<strong>de</strong>n aus konstruktiven, aus logistischen und aus energieökonomischen<br />
Grün<strong>de</strong>n in einem statischen Gleichgewicht gehalten, so dass je<strong>de</strong> Auslenkung aus <strong>de</strong>m Gleichgewicht, als Reaktion auf<br />
Ereignisse <strong>de</strong>r Umwelt, eine spezifische Energiezufuhr erfor<strong>de</strong>rt. Natürliche Systeme "vibrieren" um einen Gleichgewichtszustand, was auch im<br />
"Ruhezustand" Energie erfor<strong>de</strong>rt, aber spontane Reaktionen ohne verzögern<strong>de</strong> Rüstzeiten und ohne vorausgehen<strong>de</strong>, zusätzliche<br />
Energiezufuhr ermöglicht - eine lebensnotwendige Bedingung. Das mittlere, thermodynamisch hohe Temperaturniveau an <strong>de</strong>r Erdoberfläche<br />
ermöglicht es lokalen, natürlichen Strukturen, aus <strong>de</strong>r Umgebung unwillkürlich Energie aufzunehmen und dadurch einen höheren<br />
Organisationsgrad zu erreichen und permanent o<strong>de</strong>r begrenzt zu halten, bis die Umgebung abgekühlt ist. Organismen haben im Verhältnis zur<br />
Umwelt ein hohes Niveau kinetischer Energie, aber ein sehr niedriges Niveau potentieller Energie - im Gegensatz zu mineralischen Kristallen.<br />
Dadurch können sie sehr leicht Energie aus <strong>de</strong>r Umwelt aufnehmen und stetig, aber langsam abgeben, wogegen Kristalle bei diesem Vorgang<br />
schnell zerstört wer<strong>de</strong>n. Ein hoher Organisationsgrad im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution ist keineswegs im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n Entropiegesetzen <strong>de</strong>r<br />
Thermodynamik, weil Organismen offene Systeme sind. Trotz<strong>de</strong>m darf auf keinen Fall missachtet wer<strong>de</strong>n, dass diese beständig auf <strong>de</strong>n<br />
Organismus einwirken und letztlich <strong>de</strong>ssen Sterblichkeit verursachen.<br />
Lebewesen befin<strong>de</strong>n sich von <strong>de</strong>r Zeugung o<strong>de</strong>r Befruchtung bis zum Tod in einem aktiven Arbeitszustand, <strong>de</strong>r durch äußere Einflüsse über<br />
die Sinnesorgane moduliert wer<strong>de</strong>n kann, <strong>de</strong>r aber we<strong>de</strong>r von innen noch von außen willkürlich ein- o<strong>de</strong>r ausgeschaltet wer<strong>de</strong>n kann. Das hat<br />
zur Folge, dass je<strong>de</strong>r Organismus seine ganze Lebensgeschichte mit sich führt. So sucht die Astrologie das Lebensglück aus <strong>de</strong>r Position <strong>de</strong>r<br />
Gestirne am Geburtstag zu erkun<strong>de</strong>n. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass beispielsweise das erdmagnetische Feld elektrisch gela<strong>de</strong>ne bzw.<br />
polare Moleküle im flüssigen Zellplasma beeinflußt. Dies könnte eine Ursache für die bemerkenswerten Verhaltensweisen mancher Tiere wie<br />
Aale, Lachse o<strong>de</strong>r Zugvögel sein.<br />
Die Prozesse und Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lebens wer<strong>de</strong>n von einer unüberschaubaren Zahl von Wirkungskreisen, also Ursache-Wirkungs-Ketten mit<br />
Rückkopplungsschleifen, bestimmt, die sich überschnei<strong>de</strong>n und vielfach miteinan<strong>de</strong>r gekoppelt und vernetzt sind (Wirkungsnetze). Es sind<br />
keine Regelkreise, da diese eine externe, zur Natur in Wi<strong>de</strong>rspruch stehen<strong>de</strong> Regelgröße als Soll- o<strong>de</strong>r Zielgröße induzieren wür<strong>de</strong>n, während<br />
Wirkungskreise auf Potentialdifferenzen, Gradienten, Kraft- und Spannungsfel<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r ähnliches reagieren in Richtung Ausgleich. Regelkreise<br />
beruhen auf prozeduraler Rückkopplung, Wirkungskreise dagegen auf struktureller Rückkopplung, wie sie auch in Organisationen und in<br />
Gesellschaften zu beobachten ist. Wirkungskreise können nach außen jedoch als Regelkreise erscheinen, wenn durch die Überlagerung<br />
antagonistischer Wirkungen sich ein Gleichgewicht einstellt. Die Form- und Farbmuster <strong>de</strong>r Organismen sind we<strong>de</strong>r Ziel noch Zufall, son<strong>de</strong>rn<br />
Ergebnisse einer spezifischen Form <strong>de</strong>r Kybernetik. Daraus folgt schließlich, dass die biotische Evolution ins<strong>gesamt</strong> nicht irgendwelchen<br />
höheren Zielen zustreben kann.<br />
Der Begriff prozedural soll hier be<strong>de</strong>uten, dass ein Regelungssystem mit <strong>de</strong>dizierten Schnittstellen zwischen <strong>de</strong>n Modulen aufgebaut ist, auf<br />
<strong>de</strong>nen die zweckmäßigen, algorithmisch transformierten Steuerungs- und Kontrollsignale übertragen wer<strong>de</strong>n. Alle an<strong>de</strong>ren, immer auch<br />
vorhan<strong>de</strong>nen Schnittstellen sind unwirksam und irrelevant. Strukturelle Rückkopplung resultiert aus <strong>de</strong>r (begrenzten) Autonomie <strong>de</strong>r Module<br />
und <strong>de</strong>r Beschaffenheit <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen Schnittstellen selbst. Die Eigenschaften <strong>de</strong>r Schnittstellen sind es, die das Verhalten <strong>de</strong>s<br />
Gesamtsystems, <strong>de</strong>r Organisation o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Organismus bestimmen. Hierin ist ein fundamental falsches Verständnis <strong>de</strong>r Kybernetik in<br />
Organismen begrün<strong>de</strong>t, das sich auch in manchen wissenschaftlichen Publikationen bemerkbar macht. Die Vielzahl <strong>de</strong>r Bezeichnungen wie<br />
Selbstorganisation, Autopoiese, Synergetik o<strong>de</strong>r morphogenetische Fel<strong>de</strong>r ist Ausdruck <strong>de</strong>s Noch-nicht-ganz-verstehens und Hinweis auf die<br />
genannte Autonomie. Im wesentlichen sind es symmetrische Schnittstellen zwischen gleichartigen Modulen, so dass eine bestimmte Wirkung<br />
sich über die Module ausbreiten und bei einer Vielzahl von Modulen (z.B. Fisch-, Vogelschwarm, Zellverband) erkennbare Muster erzeugen<br />
kann. In <strong>de</strong>r Informatik wer<strong>de</strong>n solche Phänomene unter <strong>de</strong>m Begriff zelluläre Automaten untersucht. Organismen dürfen nur mit höchster<br />
Vorsicht als Systeme bezeichnet wer<strong>de</strong>n und daraus wie<strong>de</strong>rum dürfen nicht leichtfertig Schlussfolgerungen gezogen wer<strong>de</strong>n. So haben<br />
manche Irrtümer <strong>de</strong>r Pädagogik genau darin ihren Ursprung.<br />
Leben funktioniert we<strong>de</strong>r mechanistisch noch systemisch in Form von Steuerungsketten und Regelkreisen, son<strong>de</strong>rn kybernetisch in<br />
Form von Wirkungsnetzen.<br />
Die Lebensformen von Pflanzen, Tieren und Menschen können vier grundlegen<strong>de</strong>n Typen von Wirkungskreisen unterschiedlichen<br />
Aggregationsgra<strong>de</strong>s zugeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />
1. biochemische Wirkungskreise zum Ausgleich von Mangel o<strong>de</strong>r Überschuss an Substanzen.<br />
2. physiologische Wirkungskreise zur Verringerung von Schmerzen und negativen Empfindungen (Hunger usw.).<br />
3. kognitive Wirkungskreise zur Vermeidung negativer Empfindungen und zur Steigerung <strong>de</strong>s Wohlbefin<strong>de</strong>ns.<br />
4. kommunikative Wirkungskreise zur sexuellen Fortpflanzung und zur Erhaltung <strong>de</strong>r unmittelbaren und <strong>de</strong>r sozialen Lebensumwelt.<br />
Höhere Funktionen grün<strong>de</strong>n auf nie<strong>de</strong>ren Funktionen. Zustandsän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Mikroumwelt -Wärme, Nahrung, Licht u.a. - erzeugen als Reize<br />
(Triebe) die entsprechen<strong>de</strong>n Reaktionen. Schmerzen, Empfindungen und Emotionen sind letztlich auf lokalen Mangel o<strong>de</strong>r Überschuss an<br />
Hormonen, Neurotransmittern und ähnlichen Substanzen (Mediatoren) zurückzuführen. Maturana und Varela haben dafür <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r<br />
Perturbation geprägt, <strong>de</strong>r manchmal fälschlich mit Störung o<strong>de</strong>r Irritation übersetzt wird. Gemeint sind aber Auslenkungen aus einer<br />
Gleichgewichts- o<strong>de</strong>r Mittellage, bzw. Abweichungen von einem statistischen Mittelwert o<strong>de</strong>r einem stochastischen Erwartungswert. Während<br />
technische Systeme durch Zuführung von Signalen gesteuert wer<strong>de</strong>n (müssen), können Organismen als leben<strong>de</strong> Systeme auch durch das<br />
Ausbleiben von Signalen und Reizen gesteuert o<strong>de</strong>r beeinflusst wer<strong>de</strong>n: ein Umstand, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Psychologie, bzw. <strong>de</strong>r Psychiatrie noch zu<br />
wenig beachtet wird.<br />
Der Mensch unterschei<strong>de</strong>t sich in wesentlichen Punkten fundamental von <strong>de</strong>r übrigen Natur:<br />
1. Er han<strong>de</strong>lt ziel-, zweck- o<strong>de</strong>r outputgerichtet. Auf Grund seines Langzeitgedächtnisses ist er in <strong>de</strong>r Lage, Gegenwart und<br />
Vergangenheit, also Wahrnehmung und Erinnerung zu vergleichen und daraus ein zukunfts- o<strong>de</strong>r zielorientiertes<br />
Verhalten (Output) abzuleiten. Die Natur dagegen ist zustands- o<strong>de</strong>r inputorientiert, d.h. auf ein System in einem<br />
bestimmten Zustand wirken Einflüsse von außen (Input) wie Schwerkraft, Licht, Wärme usw. und transformieren das<br />
System auf Grund <strong>de</strong>r physikalisch-chemischen Gesetze in einen neuen Zustand - ungeachtet irgendwelcher Ziele und<br />
Zwecke. Die Natur basiert auf <strong>de</strong>m push-Prinzip, das Verhalten <strong>de</strong>s Menschen dagegen auf <strong>de</strong>m pull-Prinzip <strong>de</strong>r<br />
Kommunikation.<br />
2. Er <strong>de</strong>nkt "top-down". Zu einem Vorhaben wird ein Generalplan (Bild vom Ganzen) erstellt, <strong>de</strong>r in Einzelpläne zerlegt wird,<br />
die wie<strong>de</strong>r in Detailpläne zerlegt wer<strong>de</strong>n und so das Bild vom Ganzen vollständig beschreiben. Das Verhalten <strong>de</strong>s<br />
Kleinen ist im Zweck <strong>de</strong>s Großen begrün<strong>de</strong>t. Die Natur dagegen arbeitet "bottom-up". Elementarteilchen erzeugen<br />
Atome, diese Moleküle, diese Zellen, Organe und schließlich Lebewesen. Die physikalischen Kräfte, die für die<br />
Bewegungen und Verwandlungen <strong>de</strong>s Universums verantwortlich sind, entstammen <strong>de</strong>n kleinsten Teilchen. Die kleinsten<br />
Teilchen erzeugen generativ das Ganze und bestimmen sein Verhalten.<br />
3. Er beobachtet selektiv, subjektiv und höchst unvollständig. Der Mensch ist ein sehr grobkörniges Wesen und kann daher<br />
nur sehr grobkörnig wahrnehmen. Sein zeitliches und räumliches Auflösungsvermögen ist sehr gering. Die meisten Dinge<br />
und Prozesse <strong>de</strong>r Natur bleiben ihm <strong>de</strong>shalb verborgen o<strong>de</strong>r stellen sich ihm phänomenal an<strong>de</strong>rs dar als sie in
Wirklichkeit sind.<br />
4. Er <strong>de</strong>nkt in linearen Ursache-Wirkungs-Ketten. Während <strong>de</strong>r Mensch stets isolierte Zustandsän<strong>de</strong>rungen beobachtet und<br />
nach <strong>de</strong>ren Ursachen forscht, um seine eigene Existenz und seine Intentionen zu manifestieren, ist die Natur in<br />
permanenter Wechselwirkung und daher in permanentem Zustandswechsel begriffen. Die Wechselwirkungen <strong>de</strong>r Natur<br />
sind vielfältig rückgekoppelt, so dass die Unterscheidung von Ursachen und Wirkungen ihren Zweck verfehlt.<br />
5. Er <strong>de</strong>nkt digital und binär: in (kleinen) Zahlen, Alternativen, in schwarz-weiß-, entwe<strong>de</strong>r-o<strong>de</strong>r- bzw. alles-o<strong>de</strong>r-nichts-<br />
Schemata (Dichotomien). Der Mensch muss täglich rationale, lebenswichtige Entscheidungen treffen, er muss dazu die<br />
Komplexität, <strong>de</strong>n Entscheidungsstreß möglichst reduzieren. Die Natur dagegen besteht - bei ausreichend, aber nicht<br />
übermäßig genauem Hinsehen - aus unzählbaren Einzelteilen, sie ist analog, sie hat fließen<strong>de</strong> Übergänge und unscharfe<br />
Rän<strong>de</strong>r, sie hat Bandbreiten und Toleranzen.<br />
6. Er strebt nach Sicherheit, Ein<strong>de</strong>utigkeit, Determinismus, Absolutheit, Perfektion, Vollendung. Leben aber ist genau das<br />
Gegenteil dazu.<br />
So hat <strong>de</strong>r Mensch erhebliche Schwierigkeiten, die Funktionsweise wie auch <strong>de</strong>n "Sinn" <strong>de</strong>r Natur zu verstehen, weil seine "top-down"-<br />
Betrachtungsweise immer wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r "bottom-up"-Funktionsweise <strong>de</strong>r Welt kollidiert. Das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Paradigma ist die in <strong>de</strong>r<br />
Eigenschaft <strong>de</strong>s Bewusstseins begrün<strong>de</strong>te Output-Orientierung o<strong>de</strong>r inverse Kybernetik <strong>de</strong>s Menschen. Der Reaktion auf aktuelle<br />
Inkompatibilität in <strong>de</strong>r Natur steht die Proaktion (zumin<strong>de</strong>st die Intention) zur Herbeiführung einer imaginierten Kompatibilität - <strong>de</strong>n Zielen <strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>lns und <strong>de</strong>s Lebens - beim Menschen gegenüber. Dazu gibt es drei Muster: Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s eigenen Verhaltens, Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Umwelt,<br />
unter Umstän<strong>de</strong>n durch Anwendung von Gewalt, und schließlich Ausweichverhalten bzw. Ersatzhandlungen, vermutlich das am häufigsten<br />
angewen<strong>de</strong>te Muster. Der "naturalistische Fehlschluss" besteht darin, auf Grund <strong>de</strong>s eigenen zielgerichteten und zweckmäßigen Han<strong>de</strong>lns<br />
auch in <strong>de</strong>n zu beobachten<strong>de</strong>n Zweckmäßigkeiten <strong>de</strong>r Natur eine Absicht, einen Plan o<strong>de</strong>r eine Intelligenz erkennen zu wollen. Die<br />
kausalistische Denkweise erschwert ihre Erforschung, ganz beson<strong>de</strong>rs die Erforschung <strong>de</strong>s Menschen selbst. Das Verstehen <strong>de</strong>s Menschen<br />
erfor<strong>de</strong>rt die Abkehr vom Denken <strong>de</strong>s Menschen.<br />
Aus <strong>de</strong>r Kenntnis <strong>de</strong>r Output-Orientierung <strong>de</strong>s Menschen lassen sich wichtige Konsequenzen für seine Beeinflussung, also für Pädagogik,<br />
Psychotherapie, Politik und Management ableiten: es kommt nicht so sehr darauf an, die Menschen selbst, bzw. ihr Verhalten durch<br />
Zielvorgaben und For<strong>de</strong>rungen unmittelbar zu steuern o<strong>de</strong>r zu än<strong>de</strong>rn, son<strong>de</strong>rn es kommt darauf an, ihnen die Inputs, die Möglichkeiten und<br />
die Verlockungen zu geben, die sie zu <strong>de</strong>m erwünschten Output verleiten. Das erfor<strong>de</strong>rt aber mehr Intelligenz, mehr Geduld und <strong>de</strong>n Verzicht<br />
auf nackte Machtausübung. Es wird nicht immer möglich und verlässlich, aber oftmals erfolgversprechen<strong>de</strong>r und weniger frustrierend sein.<br />
Besser bekannt unter <strong>de</strong>m Begriff Motivation ist diese Form <strong>de</strong>r Menschenführung trotz<strong>de</strong>m wenig angewen<strong>de</strong>t.<br />
Die Evolution schert sich we<strong>de</strong>r um Erfolge noch um Misserfolge ihres Tuns. Zwecke, Ziele und Absichten sind Projektionen<br />
anthropozentrischer Weltsicht aus <strong>de</strong>n beobachteten Konsequenzen natürlicher Vorgänge. Der Beweis dafür ist gera<strong>de</strong>zu trivial: die Gravitation<br />
beispielsweise wirkt immer in <strong>de</strong>rselben Weise, konstruktiv o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>struktiv, unabhängig von irgendwelchen Zielen o<strong>de</strong>r Absichten. Der Mensch<br />
ist bei seiner konstruktiven Tätigkeit apriori stets zum Erfolg verdammt, weil die Kosten für Misserfolge untragbar hoch sein können, wogegen<br />
die Evolution aus einem schier unbegrenzten Budget schöpfen kann, um sich gegen eigene "Irrtümer" und gegen die Destruktionen <strong>de</strong>r<br />
Naturgewalten zu verteidigen. Die vielen misslungenen und abgebrochenen Experimente <strong>de</strong>r Evolution bleiben unsichtbar, während die<br />
rezenten Lebensformen per se <strong>de</strong>n Erfolg beeindruckend dokumentieren. Die Natur schreckt auch vor <strong>de</strong>n größten Risiken und <strong>de</strong>n größten<br />
Opfern nicht zurück und gibt selbst ihre wun<strong>de</strong>rbarsten Schöpfungen <strong>de</strong>m Zerfall und <strong>de</strong>r Zerstörung preis! Vom Menschen künstlich erzeugtes<br />
o<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rtes Leben müßte sich in diesem Punkt gravierend von natürlichem Leben unterschei<strong>de</strong>n. Irren ist menschlich - ausschließlich<br />
menschlich.<br />
Manche Robotik-Forscher (Minsky, Moravec) haben die von Medien begierig verbreitete Vorstellung, Roboter mit Bewusstsein und Emotionen<br />
bauen zu können. Sogar von einer Verdrängung <strong>de</strong>s Menschen und einer postbiotischen Evolution ist die Re<strong>de</strong>. Zwar besteht kein Zweifel,<br />
dass, wie <strong>de</strong>r Mensch selbst, noch intelligentere Wesen aus Materie geschaffen wer<strong>de</strong>n könnten; dabei wird aber vergessen, dass das<br />
natürliche, schöpferlose Leben wegen seiner Diversität und Komplexität nicht reproduzierbar und nicht beherrschbar ist, überdies auch Lei<strong>de</strong>n,<br />
Schmerzen und <strong>de</strong>n Tod beinhaltet, wofür kein Schöpfer die Verantwortung zu tragen hat. Wür<strong>de</strong>n künstlich fühlen<strong>de</strong>, also notwendig auch<br />
lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Geschöpfe nicht ihren Schöpfer haftbar machen? Abgesehen davon können Geschöpfe aus Stahl und Silizium grundsätzlich niemals<br />
dieselben Gefühle empfin<strong>de</strong>n wie Geschöpfe aus "Fleisch und Blut". Die Grün<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n sinnlosen Versuch <strong>de</strong>s Menschen, sich selbst<br />
technisch zu rekonstruieren, sind wohl in seinem irrationalen Narzissmus, <strong>de</strong>r Vision <strong>de</strong>s Übermenschen zu fin<strong>de</strong>n. Ein Indiz dafür sind die<br />
bisher phantasielos anthropomorphen Geschöpfe <strong>de</strong>r Robotiker, weil nicht <strong>de</strong>r Funktionszweck, son<strong>de</strong>rn die Funktionsweise <strong>de</strong>s Menschen<br />
imitiert wird.<br />
Es ist zu vermuten, dass auch die Evolution generativ wirkt. Aus <strong>de</strong>n Grundbausteinen (Nukleoti<strong>de</strong>, Aminosäuren, Pepti<strong>de</strong>, Lipi<strong>de</strong>, Sacchari<strong>de</strong><br />
u.a.) wer<strong>de</strong>n komplexere Bausteine erzeugt (Zellen, von <strong>de</strong>nen es im menschlichen Körper über 200 verschie<strong>de</strong>ne Typen gibt), aus diesen<br />
schließlich die bekannten Lebensformen. Mit <strong>de</strong>r Komplexität steigen die Variationsmöglichkeiten, wobei die Strukturen <strong>de</strong>r Grundbausteine<br />
unverän<strong>de</strong>rt bleiben können. Mutationen <strong>de</strong>r Grundbausteine jedoch, z.B. die Polysacchari<strong>de</strong> Zellulose und Stärke o<strong>de</strong>r die Polypepti<strong>de</strong>,<br />
bewirken grundlegen<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r "höheren" Bausteine, so dass die Varianten größere Unterschie<strong>de</strong> aufweisen, wie sie sich in<br />
unterschiedlichen Spezies zeigen. Wie aus einem Alphabet und einer Grammatik unendlich viele und unendlich lange Sätze erzeugt wer<strong>de</strong>n<br />
können, so können aus <strong>de</strong>n Atomen und Molekülen einerseits und <strong>de</strong>n physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten an<strong>de</strong>rerseits fast<br />
unendlich viele und unendlich große Moleküle erzeugt wer<strong>de</strong>n. Die Natur markiert Startpunkte - we<strong>de</strong>r Ziele noch Ergebnisse; diese sind<br />
zufällig.<br />
Die Industrie versucht, die Erfolge <strong>de</strong>r natürlichen Evolution durch Nachahmung zur Entwicklung von Produkten zu nutzen. Dabei ist<br />
festzustellen, dass als Ausgangspunkt ein bereits funktionsfähiges Produkt vorliegen muss. Durch geeignete Modifizierungs-, Bewertungs- und<br />
Entscheidungsstrategien, nichts an<strong>de</strong>res als Variations- und Selektionsstrategien, soll eine Verbesserung <strong>de</strong>s Produkts erreicht und eine<br />
Verschlechterung o<strong>de</strong>r gar Zerstörung ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Es müssen Schranken (Qualität, Zeit, Kosten) bestimmt wer<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>ren<br />
Erreichen die weitere Bearbeitung abgebrochen wird. Aus Kostengrün<strong>de</strong>n wird <strong>de</strong>r Ingenieur versuchen, möglichst effiziente Strategien zu<br />
fin<strong>de</strong>n, weswegen <strong>de</strong>r Möglichkeitsraum <strong>de</strong>r geplanten Variationen apriori eingeschränkt ist, im Gegensatz zu <strong>de</strong>n blin<strong>de</strong>n Variationen <strong>de</strong>r<br />
Natur. Bei mangeln<strong>de</strong>r Berechenbarkeit o<strong>de</strong>r ähnlichen Umstän<strong>de</strong>n kann die evolutive Metho<strong>de</strong> die einzige Alternative zur algorithmischen<br />
Lösung bieten.<br />
In dieser These liegt wie<strong>de</strong>rum ein Ansatzpunkt für die Entstehung komplexer Organismen. Die Natur konstruiert nicht wie <strong>de</strong>r Mensch<br />
rationelle Systeme, die nur die zweckmäßigen Funktionen ausführen, son<strong>de</strong>rn die Natur muss redundant konstruieren, um aposteriori(!)<br />
funktionsfähige Lebensformen hervorzubringen. Redundanz be<strong>de</strong>utet, dass gleichartige o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st ähnliche Funktionen - bzw. <strong>de</strong>ren<br />
Funktionsträger - mehrfach vorhan<strong>de</strong>n sind. Allein die Tatsache, dass das Genom mit etwa 3 Milliar<strong>de</strong>n Basenpaaren beim Menschen in etwa<br />
10 14 Zellen vollständig und sogar jeweils doppelt vorhan<strong>de</strong>n ist, be<strong>de</strong>utet eine gigantische Redundanz. So entstehen Organe und Funktionen,<br />
die nicht notwendig, o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st nicht rationell sind, die aber die Möglichkeit bieten, als Reserve bei Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Umwelt o<strong>de</strong>r zur<br />
Nutzung ökologischer Nischen eine geeignete Funktion zu übernehmen, während an<strong>de</strong>re Organe zwar weiterhin funktionieren, aber ihren<br />
Zweck verloren haben. Manche Organe sind sogar mehrfach vorhan<strong>de</strong>n. Die Menschen wun<strong>de</strong>rn sich bei <strong>de</strong>r Beobachtung von Pflanzen und<br />
Tieren nicht selten über <strong>de</strong>n nicht erkennbaren Zweck mancher Organe und Glie<strong>de</strong>r.
Manche Gemäl<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kunstgeschichte sind heute nicht nur im Museum, son<strong>de</strong>rn auch im Internet zu bewun<strong>de</strong>rn. Der Betrachter ist<br />
unabhängig vom eigenen Wohnort und von an<strong>de</strong>ren Betrachtern und kann sich das Bild bei Bedarf selbst auf Papier ausdrucken.<br />
Voraussetzung ist allerdings die schnelle und zuverlässige Übertragbarkeit im Internet sowie die Verfügbarkeit <strong>de</strong>s Originals. Wer dagegen<br />
genügend Geld hat und <strong>de</strong>n Aufwand nicht scheut, kann das Original kaufen (natürlich nur Einer) o<strong>de</strong>r eine originalgetreue Kopie anfertigen.<br />
Man erhält dafür nicht nur die Information <strong>de</strong>s Gemäl<strong>de</strong>s, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Geruch <strong>de</strong>r Farbe, das Gespür <strong>de</strong>r physischen Oberfläche und die<br />
Wirkung im Raum. Das genau macht die Natur bei <strong>de</strong>r Vervielfältigung <strong>de</strong>r Zellen mit <strong>de</strong>r Kopie <strong>de</strong>s Genoms, trotz <strong>de</strong>s enormen Aufwan<strong>de</strong>s<br />
und <strong>de</strong>r Fehlermöglichkeit bei <strong>de</strong>r Kopie einer Kopie! Offensichtlich kommt es ihr nicht allein auf die Information an, son<strong>de</strong>rn auf die physische<br />
Anwesenheit und Wirkung <strong>de</strong>r DNA in je<strong>de</strong>r Zelle; o<strong>de</strong>r sie will sich nicht auf die genannten Voraussetzungen verlassen.<br />
Redundanz bewirkt in stabilen, wenig verän<strong>de</strong>rlichen Umgebungen eine höhere Zuverlässigkeit <strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit - also höhere<br />
Überlebenschancen. In stark verän<strong>de</strong>rlichen Umgebungen dagegen reduziert Redundanz bei komplexen Organismen die Geschmeidigkeit zur<br />
Selbstverän<strong>de</strong>rung, also die Reaktionsfähigkeit auf äußere Verän<strong>de</strong>rungen und bewirkt hier geringere Überlebenschancen. Strukturelle<br />
Redundanz führt per se zu erhöhter Komplexität und zu unsichtbaren o<strong>de</strong>r versteckten Inter<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nzen (Sprödigkeit). Die Folge ist, dass<br />
Verän<strong>de</strong>rungen maskiert und daher unsichtbar wer<strong>de</strong>n bis zu einem Umschlagpunkt, an <strong>de</strong>m sie lawinenartig hervorbrechen und<br />
unvorhersehbare, chaotische Reaktionen bewirken mit katastrophalen Folgen. Die Architektur in Erdbebengebieten bietet beispielhafte Mo<strong>de</strong>lle<br />
hierfür. Fazit ist, dass bei stabilen Verhältnissen die komplexen Organismen im Vorteil sind, während bei stark verän<strong>de</strong>rlichen Verhältnissen die<br />
einfachen Organismen eher imstan<strong>de</strong> sind, durch stärkere Variation überlebensfähige Spezies zu entwickeln und dabei unwillkürlich die Vielfalt<br />
<strong>de</strong>r Arten erhöhen. Redundanz ist mithin als eine <strong>de</strong>r Ursachen und Begründungen für eine schubweise Evolution zu betrachten.<br />
Der Baumeister <strong>de</strong>r Natur verwen<strong>de</strong>t Ziegelsteine, um daraus Zellen zu bauen und komponiert die Zellen zu Gebäu<strong>de</strong>n mit unterschiedlicher<br />
Größe, Funktion und Fassa<strong>de</strong>. Mit verschie<strong>de</strong>nen Formen von Zellen hat er ganz bestimmte Freiheiten, aber auch Beschränkungen zur<br />
Gestaltung <strong>de</strong>r Gebäu<strong>de</strong> in Anpassung an Funktion, Gelän<strong>de</strong> und Landschaft. Än<strong>de</strong>rt er dagegen die Form <strong>de</strong>r Ziegelsteine, so ergeben sich<br />
daraus auch an<strong>de</strong>re Formen von Zellen mit an<strong>de</strong>ren Anordnungen von Wän<strong>de</strong>n, Decken, Türen und Fenstern und es können völlig an<strong>de</strong>re<br />
Gebäu<strong>de</strong> entstehen, für an<strong>de</strong>re Funktionen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Umgebung. Der Baumeister muss die Eigenschaften <strong>de</strong>r Baumaterialien genau<br />
kennen und <strong>de</strong>mentsprechend das Gebäu<strong>de</strong> planen. Diese Eigenschaften wer<strong>de</strong>n jedoch nicht explizit im Bauplan aufgeführt, <strong>de</strong>nn sie sind<br />
Bestandteil <strong>de</strong>r Ausbildung und <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>s Baumeisters!! Unabhängig von <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>r Ziegelsteine können Zutaten wie Farben,<br />
Bil<strong>de</strong>r, Möbel usw. variiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Es erscheint nicht logisch, dass die vielfältigen Lebensformen nur auf Grund von Mutationen, also zufällig fehlerhaften Genreplikationen<br />
entstan<strong>de</strong>n sein sollen und es erscheint nicht logisch, dass sie von <strong>de</strong>r Selektion nur ausgewählt und geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n. Es erscheint vielmehr<br />
logisch, dass die Weichen <strong>de</strong>s Lebens bereits in einem frühen Stadium gestellt wur<strong>de</strong>n und dass Freiheitsgra<strong>de</strong> sowohl auf <strong>de</strong>r molekularen<br />
Ebene - speziell Proteine - als auch auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Zellen bestan<strong>de</strong>n und bestehen; Freiheitsgra<strong>de</strong>, die für die Gestaltung und die Formung<br />
<strong>de</strong>s Lebens bestimmend sind und bereits in einer frühen Phase, vornehmlich in <strong>de</strong>r Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kambrium vor 500 Mio. Jahren,<br />
explosionsartig zur Ausprägung <strong>de</strong>r Artenvielfalt geführt haben. Die Dynamik <strong>de</strong>r Natur erzeugt ständig neue Formen ungeachtet ihrer Eignung.<br />
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die Evolution Funktionen hervorbringt. Die Produkte <strong>de</strong>r Evolution selbst bestimmen <strong>de</strong>n<br />
Gebrauch ihrer Glie<strong>de</strong>r, Organe, Fähigkeiten und Eigenschaften.<br />
Die unmittelbare Folgerung daraus ist, dass <strong>de</strong>r Gebrauch durch zufällige o<strong>de</strong>r spielerische Erfahrung in einzelnen Populationen plötzlich<br />
geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n kann. Beson<strong>de</strong>rs Streßsituationen können dazu führen, in<strong>de</strong>m beispielsweise erregtes Umsichschlagen <strong>de</strong>r Extremitäten zu<br />
größeren Luftsprüngen verhilft, die bei einer Flucht vor Räubern lebensrettend sein können. Auf diese Weise könnte die Evolution <strong>de</strong>r Vögel<br />
begonnen haben. Es ist zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>nkbar, dass die Makroevolution (Evolution <strong>de</strong>r Spezies) unter an<strong>de</strong>rem auf <strong>de</strong>n variablen und<br />
divergieren<strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r anatomischen Möglichkeiten zurückzuführen ist. Auch <strong>de</strong>r aufrechte Gang <strong>de</strong>s Menschen fällt in diese Kategorie.<br />
Spielerisches Verhalten ist somit eine <strong>de</strong>r (vielen) Triebkräfte <strong>de</strong>r Evolution.<br />
Der heutige Zustand <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ist gekennzeichnet von einer fast vollkommenen Homogenität. Die Luft rund um die Er<strong>de</strong> ist überall aus<br />
<strong>de</strong>nselben Bestandteilen zusammengesetzt, das Wasser <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ist lediglich in Süßwasser und Salzwasser geteilt. Die Lebensräume<br />
unterschei<strong>de</strong>n sich nur unwesentlich und sind fast vollständig besie<strong>de</strong>lt. In <strong>de</strong>n frühen Perio<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Erdgeschichte aber gab es mit Sicherheit<br />
sehr unterschiedliche und noch viele unbesie<strong>de</strong>lte Lebensräume. Die bereits vorhan<strong>de</strong>nen Spezies hatten die Möglichkeit, sich in die neuen<br />
Lebensräume auszu<strong>de</strong>hnen und dabei dank <strong>de</strong>r Variation völlig neue Spezies zu entwickeln. Die Expansion in neue Lebensräume könnte<br />
sogar als "dritte Kraft" neben Variation und Selektion aufgefaßt wer<strong>de</strong>n (Raumfahrt!). In <strong>de</strong>n wenig verän<strong>de</strong>rlichen, heutigen Lebensräumen<br />
dagegen sind starke Verän<strong>de</strong>rungen regressiv, es fin<strong>de</strong>t nur noch eine schwache Art von Evolution statt, die man in ihrer Wirkung als<br />
"Feintuning" o<strong>de</strong>r Mikroevolution bezeichnen kann. Die Artenvielfalt ist vermutlich sehr viel stärker mit <strong>de</strong>r geologischen Entwicklung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />
verknüpft als bisher angenommen. Beson<strong>de</strong>rs zu nennen sind Verschiebungen <strong>de</strong>r Land-Wasser-Grenzen durch Gezeiten,<br />
Kontinentalverschiebungen wie die <strong>de</strong>r Superkontinente Pangäa, Laurasia und Gondwana, Landhebungen und -senkungen und kontinentale<br />
Vereisungen. Die ältesten, rezenten Spezies dürften in Tiefseegebieten zu fin<strong>de</strong>n sein, die vom Menschen und von geologischen Ereignissen<br />
unberührt geblieben sind. Die klassische Evolutionsbiologie ist auf die anatomische Phylogenese <strong>de</strong>r Organismen zentriert und vernachlässigt<br />
die Auswirkungen <strong>de</strong>r ökologischen Verhältnisse (die vielfältigen Eigenschaften und Zusammensetzungen <strong>de</strong>r Luft und <strong>de</strong>s Wassers) auf die<br />
biochemischen Prozesse in <strong>de</strong>n Organismen.<br />
Bereits Darwin selbst war ein guter Kenner <strong>de</strong>r Geologie. Er war beeinflußt von <strong>de</strong>n innovativen I<strong>de</strong>en - wie <strong>de</strong>r Aktualitätshypothese - <strong>de</strong>s<br />
damals schon berühmten Geologen Charles Lyell (1797-1875), seinem späteren Freund. Die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Kontinentalverschiebung geht<br />
auf <strong>de</strong>n Berliner Geophysiker Alfred Wegener (1880-1930) zurück, <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>s 20.Jhdts seine Theorie veröffentlichte. Anerkennung für sein<br />
mobilistisches Weltbild fand er aber erst ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt später, lange nach seinem Tod im Grönlan<strong>de</strong>is und nach vielen<br />
wissenschaftlichen Kämpfen, als seine Theorie durch die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Plattentektonik und <strong>de</strong>s mittelozeanischen Rückens nach 1960(!) und<br />
durch weitere gezielte Forschungen bestätigt wur<strong>de</strong>. Mehrere Kontinentalverschiebungen im Lauf <strong>de</strong>r Erdgeschichte haben das Gesicht <strong>de</strong>r<br />
<strong>gesamt</strong>en Er<strong>de</strong> und die Lebensbedingungen massiv verän<strong>de</strong>rt. Ein wichtiger, gar entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Pfeiler <strong>de</strong>r Evolutionsbiologie ist also erst<br />
wenige Jahre alt und kommt in keiner Schöpfungsgeschichte vor.<br />
Die oftmals verblüffen<strong>de</strong> Reaktion <strong>de</strong>r Organismen auf Charakteristika und Verän<strong>de</strong>rungen ihrer Lebensbedingungen ist eine <strong>de</strong>r<br />
grundlegen<strong>de</strong>n Fragen <strong>de</strong>r Biologie und ist mancherlei metaphysischen Spekulationen ausgesetzt wie Animismus, Vitalismus o<strong>de</strong>r Entelechie.<br />
Die Kybernetik <strong>de</strong>r Evolution beruht weniger auf Anpassung und Selektion, son<strong>de</strong>rn vielmehr auf einer starken, latent stets vorhan<strong>de</strong>nen<br />
und ungerichteten, blin<strong>de</strong>n Variation, die immer dann explosionsartig zur Ausprägung kommt und zu einer Expansion <strong>de</strong>s Lebens führt,<br />
wenn für einzelne Varianten geeignete Lebensräume auftauchen. Die Darwinsche Evolution ist <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rfall für homogene, stark besie<strong>de</strong>lte<br />
Lebensräume, wie sie sich in <strong>de</strong>r jüngeren Vergangenheit bis in die Gegenwart fast überall auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> gezeigt haben. In einer nahezu<br />
unverän<strong>de</strong>rlichen Welt wer<strong>de</strong>n mehr Spezies aussterben als neu entstehen. Die Aktivitäten <strong>de</strong>r Menschheit könnten diese Bedingungen in<br />
naher Zukunft wie<strong>de</strong>r än<strong>de</strong>rn.<br />
Die DNA o<strong>de</strong>r das Genom <strong>de</strong>finiert <strong>de</strong>n Genotyp. Die genetische Information kann jedoch nicht ausschließlich auf die DNA beschränkt sein.<br />
Die Information für die Gestaltung <strong>de</strong>r Lebensformen sitzt auch in <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r Aminosäuren und <strong>de</strong>r Proteine wie auch in <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r<br />
Zellen. Je<strong>de</strong> materielle Struktur ist grundsätzlich Träger von Information, wobei die Komplexität <strong>de</strong>r Struktur unter Berücksichtigung ihrer<br />
Regelmäßigkeit die Informationsmenge bestimmt. Die Struktur bil<strong>de</strong>t dabei die Syntax <strong>de</strong>r Information, während die Semantik (die Be<strong>de</strong>utung<br />
bzw. Verwendung) von einem geeigneten informationserkennen<strong>de</strong>n und -interpretieren<strong>de</strong>n System bestimmt wird. Die Syntax <strong>de</strong>r DNA
estimmt bei <strong>de</strong>r Expression <strong>de</strong>r Gene (bei Menschen ca. 100.000) die Sequenz <strong>de</strong>r Aminosäuren zum Aufbau <strong>de</strong>r Proteine; sie enthält aber<br />
nicht genügend Information für die morphologische Entwicklung <strong>de</strong>r Individuen. Diese Informationsmenge kommt erst dadurch zustan<strong>de</strong>, dass<br />
man die Information in <strong>de</strong>r DNA multipliziert (bildlich) mit <strong>de</strong>r Information, die in <strong>de</strong>r Molekülstruktur <strong>de</strong>r Aminosäuren bzw. <strong>de</strong>r Proteine apriori<br />
gespeichert ist. Dass alle Individuen einer Spezies fast i<strong>de</strong>ntisch sind, beweist, dass die für die Entwicklung notwendige Information bereits<br />
vollständig in <strong>de</strong>r befruchteten Samenzelle (bzw. Eizelle), also einerseits in <strong>de</strong>r dort vorhan<strong>de</strong>nen DNA und an<strong>de</strong>rerseits in <strong>de</strong>n dort<br />
vorhan<strong>de</strong>nen und entstehen<strong>de</strong>n Proteinen sowie <strong>de</strong>r Zellstruktur selbst gespeichert sein muss. Das be<strong>de</strong>utet prinzipiell, dass die Strukturen <strong>de</strong>r<br />
Proteine, sowie ihre Beziehungen untereinan<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Zelle einen dritten Ansatzpunkt für Variation bieten - neben <strong>de</strong>r Mutation <strong>de</strong>r Gene und<br />
<strong>de</strong>r Rekombination <strong>de</strong>r Gene bei <strong>de</strong>r sexuellen Fortpflanzung.<br />
Unter <strong>de</strong>r fiktiven Annahme, dass die natürliche Selektion für je<strong>de</strong>n Genotyp nur einen einzigen Phänotyp als lebensfähig ausweist, entsteht<br />
<strong>de</strong>r Eindruck, dass <strong>de</strong>r Genotyp ein<strong>de</strong>utig <strong>de</strong>n Phänotyp bestimmt. Das aber ist aus <strong>de</strong>n oben genannten Grün<strong>de</strong>n praktisch unmöglich. Je<br />
größer das Genom, <strong>de</strong>sto mehr unterschiedliche Phänotypen sind dadurch möglich. Gene und Merkmale (Phäne) stehen in <strong>de</strong>n seltensten<br />
Fällen in einer 1:1-Beziehung, son<strong>de</strong>rn meist in einer m:n-Beziehung (Pleiotropie, Polygenie). Deshalb kann von <strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>s Genoms nicht<br />
ein<strong>de</strong>utig auf die Komplexität <strong>de</strong>s Organismus geschlossen wer<strong>de</strong>n. Schließlich ist das, was als Merkmal bezeichnet wird, ein Produkt<br />
oberflächlicher Beobachtung und keineswegs eine originäre Eigenschaft <strong>de</strong>r Gene. Die I<strong>de</strong>ntifizierung von Phänen und ihre Zuordnung zu<br />
Genen beruht mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r auf zufälligen Experimenten und Beobachtungen <strong>de</strong>r Biologen und noch nicht auf systematischer Forschung.<br />
Der Organismus, wie logischerweise auch die Ontogenese, sind viel zu komplex, als dass zwischen Genen und Phänen, wie auch zwischen<br />
Genen und Verhalten o<strong>de</strong>r gar Intelligenz, ein direkter Zusammenhang hergestellt wer<strong>de</strong>n könnte. Daran än<strong>de</strong>rn auch manche spektakulären<br />
Resultate <strong>de</strong>r Zwillingsforschung nichts, die beson<strong>de</strong>rs bei Boulevardmedien sehr beliebt sind. Einzelne zufällige o<strong>de</strong>r auch signifikante<br />
Übereinstimmungen sind jedoch nicht ausgeschlossen.<br />
Der Schalter meiner Schreibtischlampe hat zwei Zustän<strong>de</strong> EIN und AUS. Damit enthält er offenkundig 1 bit Information. Derselbe Schalter<br />
könnte aber auch ein Atomkraftwerk ein- und ausschalten, <strong>de</strong>ssen Konstruktionsunterlagen, Betriebs- und Sicherheitshandbücher eine ganze<br />
Sporthalle füllen wür<strong>de</strong>n. Wieviel Information wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schalter dann enthalten? Die Antwort ist überraschend: ebenfalls ein einziges, lausiges<br />
Bit! Die Antwort liegt darin, dass <strong>de</strong>r Schalter in dieser Form das Kraftwerk nur in einen einzigen, präzise vor<strong>de</strong>finierten Zustand schalten kann,<br />
d.h. dass alle Anfahrvorgänge vollautomatisch und vorbestimmt erfolgen müssen, dass während <strong>de</strong>s Anfahrens also keinerlei weitere<br />
Informationen notwendig sind, son<strong>de</strong>rn dass diese vorkonfiguriert sind. Zum Hochfahren o<strong>de</strong>r Booten von Computern sind diese Informationen<br />
in Konfigurationsdateien abgelegt, wobei ein einfaches Programm diese Dateien liest, um die darin aufgeführten komplizierteren und<br />
systemspezifischen Programme mit ihren variablen Parametern zu starten. Wür<strong>de</strong> das Kraftwerk zwei Betriebsarten Normallast und Vollast<br />
kennen, dann müßte <strong>de</strong>r Schalter bereits drei Zustän<strong>de</strong> haben. So entspricht <strong>de</strong>r Befruchtungsakt bei Pflanzen und Tieren <strong>de</strong>m Ein-Schalter,<br />
die DNA liefert die Konfigurationsinformationen und die Molekül- und Zellstrukturen entsprechen <strong>de</strong>n Konstruktions- und Betriebsplänen <strong>de</strong>s<br />
Kraftwerks.<br />
Die Genome von Mensch und Schimpanse unterschei<strong>de</strong>n sich zu weniger als 2%. Die anatomischen, physiognomischen (morphologischen)<br />
und ethologischen Unterschie<strong>de</strong> sind bei oberflächlicher Betrachtung aber offenkundig erheblich größer. Es ist <strong>de</strong>nkbar und fast notwendig,<br />
dass die Entwicklungsgeschichte je<strong>de</strong>s Organismus als bislang unerkannte Information im Organismus selbst gespeichert ist. Dies wür<strong>de</strong><br />
Erklärungen liefern für die biotische Entwicklung von <strong>de</strong>r Befruchtung bis zum Tod (Ontogenese). Die Anwesenheit o<strong>de</strong>r Konzentration<br />
bestimmter Enzyme, die Makrostruktur von Proteinen, die Sortierung <strong>de</strong>r Gene auf <strong>de</strong>r DNA o<strong>de</strong>r gar die nicht genutzten DNA- bzw. RNA-<br />
Abschnitte (repetitive und "junk" DNA, Introns), die nicht weniger als 96% <strong>de</strong>s menschlichen Gesamtgenoms ausmachen, könnten<br />
Ansatzpunkte für Informationsträger sein. Dabei kann die Information entwe<strong>de</strong>r von Anfang bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Entwicklung durchgeschleift wer<strong>de</strong>n<br />
o<strong>de</strong>r - mit größerer Wahrscheinlichkeit - die Information kann auf je<strong>de</strong>r einzelnen Entwicklungsstufe durch die neuen Strukturen erzeugt o<strong>de</strong>r<br />
importiert wer<strong>de</strong>n. Die Ontogenese ist vergleichbar <strong>de</strong>m Bootstrap-Verfahren, wo ein Entwicklungsvorgang stets von einer Stufe zur nächsten<br />
voranschreitet, in<strong>de</strong>m erst das Erreichen einer Stufe die nächste Stufe <strong>de</strong>terminiert. Gene können durch Mutationen und Rekombinationen<br />
verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, neue Gene können z.B. durch Viren importiert wer<strong>de</strong>n, es ist aber eher unwahrscheinlich, dass Gene einfach verschwin<strong>de</strong>n;<br />
viel wahrscheinlicher ist, dass Gene, die im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution "sinnlos" gewor<strong>de</strong>n sind, inaktiviert wer<strong>de</strong>n und als sogenannte junk-DNA im<br />
DNA-Molekül verbleiben. Das wür<strong>de</strong> die geringen Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>r DNA von Mensch und Schimpanse erklären und es könnte<br />
Hinweise auf die (gemeinsame) Phylogenese geben.<br />
Die Ursprungsbe<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Bootstrapping ist, sich am Stiefelanzieher aus <strong>de</strong>m Sumpf zu ziehen, also ein selbstbezügliches Verfahren. In <strong>de</strong>r<br />
Informatik be<strong>de</strong>utet es das selbststeuern<strong>de</strong> Hochfahren eines Computers. Im Bezug zur Evolution kann es illustrativ erläutert wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r<br />
Konstruktion von Robotern durch Roboter. Eine Generation von Robotern fertigt eine Serie intelligenterer Roboter. Diese fertigen die nächste<br />
Robotergeneration usw. Die naheliegen<strong>de</strong>, theoretisch-philosophische Frage ist, woher die Roboter das Wissen für die nächste Generation<br />
nehmen. Solange <strong>de</strong>r menschliche Geist als Kompagnon eingreifen kann, ist die Frage leicht zu beantworten, aber dann...! Damit ist<br />
gleichzeitig eine <strong>de</strong>r Kernfragen <strong>de</strong>r biotischen Evolution offen gelegt. Die einzig mögliche, richtige Antwort dazu ist die Evolution selbst:<br />
geplante o<strong>de</strong>r zufällige Variation <strong>de</strong>s Vorhan<strong>de</strong>nen in kleinen Schritten und anschließen<strong>de</strong> Selektion <strong>de</strong>s Geeigneten - o<strong>de</strong>r schrittweises<br />
Tasten mit einem Bein in neues Gelän<strong>de</strong>.<br />
Man beachte an diesem Beispiel, dass Roboter im allgemeinen einen Zweck erfüllen sollen und bei <strong>de</strong>r vorgegebenen Aufgabe das genannte<br />
Entwicklungsziel haben. Hierin liegt ein Paradoxon. Hat <strong>de</strong>r Konstrukteursroboter im Verlauf <strong>de</strong>r Konstruktion genug neue Intelligenz hinzu<br />
gewonnen, um planmäßig einen intelligenteren Roboter bauen zu können, dann besteht keine Notwendigkeit mehr hierzu und <strong>de</strong>r Konstrukteur<br />
fängt von vorne an. Hat <strong>de</strong>r Neuroboter zufällig mehr Intelligenz als sein Konstrukteur, dann wird dieser es nicht erkennen können und ihn<br />
wie<strong>de</strong>r umbauen. Der Konstrukteur wird also in je<strong>de</strong>m Fall bis zu seinem To<strong>de</strong> konstruieren. Eine <strong>de</strong>nkbare Alternative ist, dass <strong>de</strong>r Neuroboter<br />
seinen Konstrukteur, damit aber auch <strong>de</strong>ssen Auftrag ausschaltet.<br />
Das Bootstrapverfahren ist die eigentliche Metho<strong>de</strong> und das eigentliche Geheimnis <strong>de</strong>r Evolution, sowohl <strong>de</strong>r Phylogenese, als auch <strong>de</strong>r<br />
Ontogenese. Damit ist die Evolution die einzige Lösung <strong>de</strong>s klassischen Henne-Ei-Problems (abgesehen von Wun<strong>de</strong>rn und göttlichen,<br />
außerirdischen o<strong>de</strong>r geheimdienstlichen Eingriffen). Der Begriff <strong>de</strong>s Genoms suggeriert unwillkürlich die falsche Vorstellung einer zentralen und<br />
durchgängigen Steuerung <strong>de</strong>r Ontogenese, wogegen in Wirklichkeit je<strong>de</strong> einzelne Zelle von ihrem eigenen Genom gesteuert wird und in <strong>de</strong>r<br />
Wachstumsphase <strong>de</strong>s Organismus die Umgebungsbedingungen einer Zelle und ihres genetischen Apparats sich von Zellgeneration zu<br />
Zellgeneration än<strong>de</strong>rn. Das Bootstrapverfahren korrespondiert mit einem an<strong>de</strong>ren "Geheimnis" <strong>de</strong>r Natur: <strong>de</strong>r millionen- und milliar<strong>de</strong>nfachen<br />
Wie<strong>de</strong>rholung einfacher, immer gleicher Strukturen und Mechanismen. Kleine Unterschie<strong>de</strong> in frühen Entwicklungsstufen (Varianten) können<br />
so von Stufe zu Stufe potenziert wer<strong>de</strong>n und zu großen Unterschie<strong>de</strong>n im fertigen Organismus führen. Die Phylogenese fin<strong>de</strong>t auf je<strong>de</strong>r Stufe<br />
<strong>de</strong>r Ontogenese und nicht erst am fertigen Organismus, am Phänotyp statt. Die Formen <strong>de</strong>r Entwicklungsstufen wer<strong>de</strong>n bestimmt von <strong>de</strong>n<br />
chemischen, ökologischen, geologischen und vielen an<strong>de</strong>ren Bedingungen.<br />
Hält man ein Satellitenbild einem Meteorologen, einem Ökologen und einem Geologen vor Augen, so wird je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Fachleute das Bild<br />
unterschiedlich interpretieren, je<strong>de</strong>r wird an<strong>de</strong>re Informationen aus <strong>de</strong>m Bild extrahieren, obwohl das Bild doch offensichtlich immer dieselbe<br />
Information (Anordnung <strong>de</strong>r Farbpixel) enthält. Das heißt, die Syntax <strong>de</strong>r Information ist relativ unabhängig vom Betrachter (relativ <strong>de</strong>shalb, weil<br />
das Sehvermögen <strong>de</strong>r Betrachter unterschiedlich sein kann!), die Semantik jedoch, damit auch <strong>de</strong>r eigentliche Informationsgehalt, wird vom<br />
informationserkennen<strong>de</strong>n System bestimmt. Zeigt man das Bild noch einem unerfahrenen und einem erfahrenen Meteorologen, so wird man<br />
ähnliche Unterschie<strong>de</strong> feststellen: <strong>de</strong>r erfahrene Meteorologe wird wesentlich mehr Information <strong>de</strong>m Bild entlocken können als <strong>de</strong>r<br />
unerfahrene. Das wie<strong>de</strong>rum be<strong>de</strong>utet, dass die im Bild enthaltene Information ein Auslöser ist für die beim Betrachter auf Grund seiner<br />
Erfahrung (Evolution!) bereits vorhan<strong>de</strong>ne Information und somit die Gesamtinformation vervielfacht. Unterschiedliche Erfahrung durch
unterschiedliche Umweltbedingungen (z.B. Nord-/Süd-Hemisphäre) kann zu unterschiedlicher Interpretation führen. Eine Än<strong>de</strong>rung im Bild<br />
be<strong>de</strong>utet nicht automatisch eine Än<strong>de</strong>rung seiner Be<strong>de</strong>utung, führt aber zu erhöhter Gesamtinformation.<br />
Obwohl die im Beispiel aufgeführten Erkenntnisse <strong>de</strong>r Informationstheorie nicht neu und gera<strong>de</strong>zu trivial sind, wer<strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>r<br />
Evolutionswissenschaft offenkundig kaum beachtet. Dabei ist das Resultat <strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>s Lebens zuallererst eine Akkumulation von<br />
Information; im Falle <strong>de</strong>s Erfolges gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>r Aquisition von Wissen. Die DNA liefert die Syntax <strong>de</strong>s Lebens - die Semantik<br />
aber macht das Leben selbst. Die Semantik einer Information ist in je<strong>de</strong>m Fall eine Interpretation <strong>de</strong>r Syntax ihrer (auch bildlichen)<br />
Darstellung, beruhend auf Beobachtung, Erfahrung o<strong>de</strong>r Konvention; es gibt keine logisch zwingen<strong>de</strong> Ableitung von Syntax zu Semantik (das<br />
dürfte eine <strong>de</strong>r Wurzeln für <strong>de</strong>n cartesischen Leib-Seele-Dualismus sein und ist zweifelsfrei die Grundlage für die universelle Anwendbarkeit<br />
<strong>de</strong>s Computers; Hieroglyphen und Piktogramme können die Kluft ein wenig überbrücken). Nur die unsichtbaren, bis heute sogar noch<br />
unerkannten chemischen Gesetzmäßigkeiten sind hier bestimmend für die Transformation. Während die DNA noch die Information für die<br />
ersten Stufen <strong>de</strong>r Entwicklung liefert, sind die Informationen für die weitere Entwicklung <strong>de</strong>s Organismus im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution auch im<br />
Organismus selbst kodiert wor<strong>de</strong>n. Die Begründung dafür liegt in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r komplexen biochemischen Reaktionen, <strong>de</strong>r Synthese von<br />
Proteinen und Enzymen aus Aminosäuren und <strong>de</strong>m Stoffwechsel; Proteine beispielsweise <strong>de</strong>naturieren, d.h. sie wer<strong>de</strong>n zerstört zwischen 40<br />
und 60°C, unabhängig von <strong>de</strong>n sie bestimmen<strong>de</strong>n Genen. Das Genom ist insofern "blind", als es die Eigenschaften und Funktionen <strong>de</strong>r von<br />
ihm kodierten und generierten Enzyme (das Proteom) nicht kennen kann. Dieselben Gene wer<strong>de</strong>n in unterschiedlicher Mikroumgebung durch<br />
unterschiedliche Reaktionsbedingungen und unterschiedliches (biochemisches) Nahrungs- und Energieangebot möglicherweise<br />
unterschiedlich ge<strong>de</strong>utet und ausgeführt. In einem komplexen Organismus sind die Mikrobedingungen für diese Reaktionen an<strong>de</strong>rs als in<br />
einfachen Organismen (z.B. Körpertemperatur). Die richtige Temperatur zum Bebrüten eines Eies - die bei manchen Reptilien das Geschlecht<br />
bestimmt - ist nicht in <strong>de</strong>r DNA kodiert, son<strong>de</strong>rn wird vom Reaktionsverhalten <strong>de</strong>r Enzyme im Ei bestimmt. Es ist trivial und allseits bekannt,<br />
dass die Beschaffenheit <strong>de</strong>r Hühnereier als Lebensmittel(!) beson<strong>de</strong>rs auch von <strong>de</strong>n Lebensbedingungen ihrer Erzeuger abhängt. So entsteht<br />
ein evolutionärer Wirkungskreislauf zwischen Umwelt und Organismus, bei <strong>de</strong>m das Genom im wesentlichen unverän<strong>de</strong>rt bleibt. Die zufälligen<br />
und punktuellen genetischen Mutationen verlieren mit fortschreiten<strong>de</strong>r Evolution und höherem Organisationsgrad an Be<strong>de</strong>utung. Die<br />
genetische Information ist nicht mehr ausschließlich im Genom konzentriert, son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>n komplexen Organismus verteilt in Form von<br />
Molekülstrukturen, Zellstrukturen und biochemischen Reaktionsmustern, wie z.B. die Funktionsweise <strong>de</strong>r Neuronen.<br />
Das <strong>gesamt</strong>e Lebensspektrum entstammt einer einheitlichen Wurzel, die von <strong>de</strong>n Nukleinsäuren DNA und RNA, von genau 20 verschie<strong>de</strong>nen<br />
Aminosäuren, die im menschlichen Körper etwa 80.000 verschie<strong>de</strong>ne Proteine generieren, und einigen Lipi<strong>de</strong>n und Sacchari<strong>de</strong>n gebil<strong>de</strong>t wird.<br />
Unterschiedliche Makrobedingungen in <strong>de</strong>r Anfangsperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Lebensentstehung aber können dazu geführt haben, dass in unterschiedlichen<br />
Milieus das Genom unterschiedlich umgesetzt wor<strong>de</strong>n ist. Eine Aminosäure beispielsweise kann zwar im Genom kodiert wor<strong>de</strong>n sein, wenn sie<br />
aber lokal nicht verfügbar ist, kann sie nicht in Proteine und Enzyme eingebaut wer<strong>de</strong>n. Es gibt noch heute einige, sogenannte essentielle<br />
Aminosäuren, die im Organismus nicht produziert wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn über die Nahrung zugeführt wer<strong>de</strong>n müssen (9 von 20 bei Menschen). Die<br />
Organismen haben gelernt, das Genom in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand <strong>de</strong>s Organismus und <strong>de</strong>n aktuellen Umweltbedingungen auf<br />
jeweils ihre eigene Art zu interpretieren. Die günstigsten Interpretationen sind durch die Selektion belohnt wor<strong>de</strong>n.<br />
Die Grundvariablen <strong>de</strong>r Evolution beziehen sich auf die Reproduktion und damit einhergehend auf die Variation. Es sind beson<strong>de</strong>rs die<br />
Reproduktionsrate bzw. das Reproduktionsintervall, davon abhängig die Variationsrate, d.h. die Än<strong>de</strong>rungsrate eines Merkmals, als<br />
unabhängige Variablen die Variationsbreite <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Lebenswelt (Artenvielfalt) o<strong>de</strong>r einer einzelnen Art, die zeitliche und räumliche<br />
Variationsverteilung, die Variationsstrategie (biologische, physikalisch-chemische, Vererbungs- u.a. Naturgesetze), sowie <strong>de</strong>r<br />
Variationsabstand <strong>de</strong>r einzelnen Varianten. Die Selektionsstrategie manifestiert sich in <strong>de</strong>r Ausfilterung von Teilmengen einer Population mit<br />
bestimmten Werten eines Merkmals, <strong>de</strong>m Selektionsintervall eines o<strong>de</strong>r oftmals mehrerer Merkmale, das sich aus <strong>de</strong>r Variationsbreite <strong>de</strong>r<br />
Population und <strong>de</strong>r Variationsbreite <strong>de</strong>r Umwelt ergibt. Ein wesentliches Kriterium <strong>de</strong>r Evolution, ganz beson<strong>de</strong>rs für die Entstehung neuer<br />
Arten, ist <strong>de</strong>shalb die Bedingung, dass die Variationsrate min<strong>de</strong>stens so groß ist wie die Än<strong>de</strong>rungsrate <strong>de</strong>r Lebensumwelt. Das bedingt<br />
entwe<strong>de</strong>r kurze Reproduktionsintervalle o<strong>de</strong>r hohe Plastizität bzw. Flexibilität <strong>de</strong>r Organismen. Ein verlängertes Reproduktionsintervall bei<br />
kleiner Variationsbreite be<strong>de</strong>utet grundsätzlich geringere Überlebenschancen für eine Population dieser Spezies. Neben <strong>de</strong>n Variablen <strong>de</strong>r<br />
Individuen sind diejenigen <strong>de</strong>r Populationen be<strong>de</strong>utsam: die Anzahl <strong>de</strong>r Nachkommen, <strong>de</strong>r Geburten o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Kopulationen bzw.<br />
Bestäubungen pro Fläche und Zeit. Hilfsgrößen dazu sind <strong>de</strong>r mittlere Abstand <strong>de</strong>r Individuen im Verhältnis zu ihrer Bewegungsrate, aus<br />
<strong>de</strong>nen sich eine mittlere Interaktionsrate, d.h. die Anzahl <strong>de</strong>r Interaktionen pro Zeit und Fläche berechnen läßt. Die Variablen ermöglichen eine<br />
mathematische Formulierung <strong>de</strong>r Evolutionszusammenhänge und computergestützte Simulationen, die nachprüfbare Ergebnisse produzieren<br />
und Erkenntnisse zu Langzeitentwicklungen liefern. Wegen <strong>de</strong>r langen, für die Evolution typischen Zeiträume sind solche Erkenntnisse mit<br />
keiner an<strong>de</strong>ren Metho<strong>de</strong> zu gewinnen.<br />
Auch das Bewusstsein <strong>de</strong>s Menschen ist eine Wirkung <strong>de</strong>r Evolution. Es ist die wie<strong>de</strong>rholte, innere Wahrnehmung <strong>de</strong>s Wahrgenommenen,<br />
beruht also vermutlich und mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Rückkopplungen im zentralen Nervensystem (Gehirn). Dabei ist sowohl ein hoher<br />
Vernetzungsgrad, als auch eine hohe Vernetzungsdichte <strong>de</strong>r neuronalen Strukturen (Synapsen pro Volumeneinheit) die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Voraussetzung für Geist und Bewusstsein. Aber es gibt we<strong>de</strong>r eine Ursache noch eine Notwendigkeit dafür. Lediglich die durch seinen<br />
erweiterten kognitiven Horizont bedingten, verbesserten Fähigkeiten zur Nahrungssuche, zur Pflege <strong>de</strong>r Nachkommen, zum Schutz gegen die<br />
Gefahren <strong>de</strong>r natürlichen Umgebung haben die Chancen <strong>de</strong>s Überlebens für <strong>de</strong>n Menschen drastisch erhöht. Wie oben ausgeführt, ist <strong>de</strong>r<br />
Mensch wohl als einzige Lebensform in <strong>de</strong>r Lage, sich <strong>de</strong>r Wirkung <strong>de</strong>r Selektion mit Hilfe <strong>de</strong>s Bewusstseins zumin<strong>de</strong>st teilweise zu entziehen.<br />
Das Bewusstsein hat jedoch ein "Loch", das <strong>de</strong>m Menschen nicht bewusst sein kann. Nervenzellen sind keine Sinneszellen; sie können sich<br />
nicht selbst beobachten. Deshalb ist uns <strong>de</strong>r Sitz <strong>de</strong>s Bewusstseins nicht bewusst - ähnlich zum blin<strong>de</strong>n Fleck in <strong>de</strong>r Netzhaut <strong>de</strong>r Augen - und<br />
das Gehirn selbst verursacht keine Schmerzen. Dieser Umstand hat auch einen tieferen, sehr wichtigen Grund: das Substrat <strong>de</strong>s Bewusstseins<br />
muss unabhängig sein vom Bewusstsein, um nicht durch Gefühlsschwankungen, Stress und <strong>de</strong>rgleichen von <strong>de</strong>n eigenen Auswirkungen<br />
manipuliert o<strong>de</strong>r außer Funktion gesetzt wer<strong>de</strong>n zu können und dadurch die Lebensform Mensch-mit-Bewusstsein durch Selektion zu<br />
gefähr<strong>de</strong>n. Darüber hinaus können aus systemtheoretischen Überlegungen die Mechanismen <strong>de</strong>s Bewusstseinsapparats nicht selbst bewusst<br />
sein, son<strong>de</strong>rn erst seine Ergebnisse, sein Output.<br />
Aus verschie<strong>de</strong>nen Grün<strong>de</strong>n muss man annehmen, dass Bewusstsein und Schmerzempfin<strong>de</strong>n unmittelbar zusammenhängen. Es besteht<br />
sicher kein Zweifel, dass auch Tiere Schmerzen empfin<strong>de</strong>n, es besteht aber sicher auch kein Zweifel, dass sie nicht in <strong>de</strong>mselben Maße wie<br />
<strong>de</strong>r Mensch Schmerzen empfin<strong>de</strong>n. Die für das menschliche Empfin<strong>de</strong>n oft grausamen Tötungsmetho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Tierwelt sind ein starkes Indiz<br />
dafür.<br />
Der Begriff <strong>de</strong>s Bewusstseins ist nicht in wenigen Sätzen <strong>de</strong>finierbar. Er ist eine diffuse Aggregation verschie<strong>de</strong>ner subjektiver Phänomene <strong>de</strong>s<br />
menschlichen Lebens. Der Begriff ist daher zuerst ein sprachliches Problem hinsichtlich <strong>de</strong>r Semantik, noch mehr <strong>de</strong>r Pragmatik, es ist also zu<br />
analysieren, in welchen Zusammenhängen und Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r Begriff benutzt wird. Dies ist Aufgabe <strong>de</strong>r Linguistik und <strong>de</strong>r<br />
Sprachphilosophie. Erst dann kann eine naturwissenschaftliche Analyse und Beschreibung sinnvoll erfolgen. Seit Jahrhun<strong>de</strong>rten - und vielleicht<br />
weitere Jahrhun<strong>de</strong>rte - re<strong>de</strong>n Philosophen und Theologen einerseits und Naturwissenschaftler an<strong>de</strong>rerseits daher aneinan<strong>de</strong>r vorbei. Dasselbe<br />
gilt für die Begriffe Intelligenz, Geist und Seele. Diese Begriffe bezeichnen abstrakte, also nicht wirklich existieren<strong>de</strong> Dinge; diese haben<br />
<strong>de</strong>shalb keine Ursachen, son<strong>de</strong>rn Zwecke - die Forschung nach ihren Ursachen ist also von Anfang an sinnlos und dauerhaft erfolglos. Die<br />
Begriffe könnten als "Containerbegriffe" bezeichnet wer<strong>de</strong>n, da sie jeweils mehrere ähnliche, aber doch verschie<strong>de</strong>ne Phänomene <strong>de</strong>s<br />
menschlichen Lebens umfassen und beinhalten. Deshalb, und weil sie fälschlicherweise nur im Singular benutzt wer<strong>de</strong>n, stiften sie so viel<br />
Verwirrung und beschäftigen seit Menschenge<strong>de</strong>nken Heerscharen von Philosophen, die endlos nur über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r willkürlich
erfun<strong>de</strong>nen Begriffe diskutieren anstatt die bezeichneten, vielfältigen Phänomene zu isolieren und zu spezifizieren - o<strong>de</strong>r anstatt die Begriffe zu<br />
rekonstruieren. Aus <strong>de</strong>r Existenz von Begriffen lässt sich keinesfalls die Existenz <strong>de</strong>r bezeichneten Dinge ableiten. In eklatanter Weise ist<br />
davon <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Information betroffen auf Grund seiner rasanten Ausbreitung und seiner Universalverwendung. Eine Sprache zur<br />
Beschreibung von Phänomenen ist grundsätzlich nicht ausreichend, um auch ihre Ursachen auf einer "tieferen Ebene" zu beschreiben. Dazu<br />
bedarf es einer an<strong>de</strong>ren Sprache (o<strong>de</strong>r Zeichensystems), o<strong>de</strong>r, da wir keine an<strong>de</strong>re Sprache haben, einer Erweiterung <strong>de</strong>r Sprache. Dabei ist<br />
die interessante Frage zu stellen, ob es <strong>de</strong>m Menschen grundsätzlich möglich ist, mit seinem Bewusstsein sein Bewusstsein vollständig zu<br />
beschreiben - was stark zu bezweifeln ist, weil dies eine Erweiterung <strong>de</strong>sselben zur Folge haben müsste und damit unausweichlich in einen<br />
infiniten Regress führen wür<strong>de</strong>.<br />
Bewusstsein ist nicht Realität, son<strong>de</strong>rn wie eine Fata Morgana. Das ist die erste philosophische Erkenntnis dazu. Die zweite Erkenntnis liegt in<br />
<strong>de</strong>r Frage, wie sie zustan<strong>de</strong> kommt und die dritte Erkenntnis liegt in <strong>de</strong>r Frage, was sie darstellt. Das große Problem <strong>de</strong>r klassischen<br />
Philosophie ist, dass die erste Erkenntnis ignoriert wird und die bei<strong>de</strong>n Fragestellungen permanent vertauscht wer<strong>de</strong>n. Das führt dazu, dass die<br />
Diskussionen sich seit Urzeiten um die sinnlose Frage drehen, was Bewusstsein ist. Die Frage ist vielmehr, was wir mit Bewusstsein meinen.<br />
Begriffe für abstrakte Dinge o<strong>de</strong>r unerklärliche Phänomene unterliegen einer eigentümlichen Evolution, einer "Be<strong>de</strong>utungswucherung". Zum<br />
besseren Verständnis, aber auch zur Darstellung von Kompetenz wer<strong>de</strong>n sie mit Metaphern verbun<strong>de</strong>n, mit Bil<strong>de</strong>rn illustriert und personalisiert<br />
an die Mitmenschen weitergegeben. Dieser Prozess wie<strong>de</strong>rholt sich von Generation zu Generation und führt schließlich zu einem Eigenleben<br />
<strong>de</strong>r Begriffe, unabhängig von ihrer ursprünglichen Be<strong>de</strong>utung. Verstärkt wird <strong>de</strong>r Prozess durch die Lückenhaftigkeit <strong>de</strong>s sprachlichen<br />
Repertoires, die zur "assoziativen Auffüllung" zwingt. Auf diese Weise könnte sich im Altertum <strong>de</strong>r Gottesbegriff entwickelt haben. Auch in <strong>de</strong>r<br />
heutigen Zeit sind solche Entwicklungen zu beobachten, wie an <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Gens. Der Glaube an das "egoistische Gen" ist sicher noch<br />
nicht das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Missverständnisse und Fehlinterpretationen.<br />
Das Bewusstsein <strong>de</strong>s Menschen, genauer sein Selbstbewusstsein und seine Zielstrebigkeit, führen zu <strong>de</strong>m irrigen Glauben, dass Bewusstsein<br />
eine wesenhafte, selbstwertliche Eigenschaft <strong>de</strong>s Menschen sei. Wie<strong>de</strong>rum wer<strong>de</strong>n Ursachen und Wirkungen nicht nur unterschie<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />
auch verwechselt. Nicht die Außenwelt bestimmt die Innenwelt, son<strong>de</strong>rn die Innenwelt, das ist die Struktur <strong>de</strong>s Nervensystems, bestimmt, wie<br />
die Außenwelt wahrgenommen wird. Die Wahrnehmungsorgane sind nicht Sensoren, son<strong>de</strong>rn Filter, die <strong>de</strong>n Stoffwechsel <strong>de</strong>s Nervensystems<br />
modulieren. Die Innenwelt funktioniert, pausenlos von <strong>de</strong>r Geburt (und davor) bis zum Tod, auch ohne diese Filter; das Gesamtsystem Mensch<br />
jedoch wäre dann in seiner Umwelt zwar lebensfähig, nicht aber überlebensfähig. Es ist naheliegend, dass das für je<strong>de</strong>s System<br />
charakteristische Reiz-Reaktions-Schema einen Speicher impliziert, <strong>de</strong>r die Reize auf die Reaktionen transformiert. Für elementare<br />
Lebensaufgaben, wie spontane, reaktionsschnelle Bewegungen, ist eine direkte Transformation in Echtzeit notwendig (sensorisches<br />
Gedächtnis, Kurzzeitgedächtnis). Das Gedächtnis ist die zentrale, noch weitgehend unerforschte Funktion <strong>de</strong>s Gehirns, die Bewusstsein als<br />
Nebenprodukt (Epiphänomen) erst möglich macht. Das Gehirn ist kein informationsverarbeiten<strong>de</strong>s System, son<strong>de</strong>rn ein elektrochemisch<br />
funktionieren<strong>de</strong>s, aber äußerst komplexes Organ, in <strong>de</strong>m die Prozesse ablaufen, die das vom Menschen beobachtete und so ge<strong>de</strong>utete und<br />
bezeichnete, mit einem Symbolgedächtnis (Langzeitgedächtnis) verknüpfte Bewusstsein bewirken. Information ist ebenso wie Bewusstsein<br />
o<strong>de</strong>r Geist lediglich ein Begriff, um <strong>de</strong>m Unsichtbaren, Unbegreifbaren eine Gestalt zu geben. Die Speicherung von Information ist nicht die<br />
ursprüngliche Funktion <strong>de</strong>s Gedächtnisses, son<strong>de</strong>rn eine Folge <strong>de</strong>r Evolution, wobei <strong>de</strong>r Begriff Gedächtnis erst <strong>de</strong>ren gegenwärtiges, vom<br />
Menschen selbst empfun<strong>de</strong>nes Ergebnis symbolisiert. Darauf läßt die Tatsache schließen, dass manche Substanzen, die als Neurotransmitter<br />
bekannt sind, noch an<strong>de</strong>re Funktionen im Organismus erfüllen. Auch Gedächtnis ist wie<strong>de</strong>rum ein vom Menschen erfun<strong>de</strong>ner Begriff, <strong>de</strong>r ein<br />
Phänomen bezeichnet, von <strong>de</strong>m das Gehirn selbst nichts weiß.<br />
Eine fundamentale Bedingung <strong>de</strong>s Bewusstseins ist die Differenziertheit <strong>de</strong>r Wahrnehmung, die es ermöglicht, unsere Artgenossen als<br />
Individuen zu erkennen und zu i<strong>de</strong>ntifizieren, so dass wir in <strong>de</strong>r Folge davon auch das Ich als von <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren verschie<strong>de</strong>nes Individuum<br />
erkennen. Durch Redundanz <strong>de</strong>r Wahrnehmung und durch Kommunikation mit Artgenossen erst lernt <strong>de</strong>r Mensch, die Außenwelt und sich<br />
selbst als Element <strong>de</strong>r Außenwelt zu <strong>de</strong>uten und dadurch zu seinem Selbstbewusstsein zu gelangen.<br />
Was gemeinhin als Selbstbewusstsein betrachtet und bezeichnet wird, ist eher Selbstvorstellung, die obendrein zu einem beträchtlichen Teil<br />
nur Wunschvorstellung ist. Das Bild, das die Menschen von sich machen, entstammt <strong>de</strong>r Wahrnehmung <strong>de</strong>r eigenen Körperlichkeit und<br />
Vergleichen mit Eigenschaften und Verhaltensweisen <strong>de</strong>r Mitmenschen. Die Quellen <strong>de</strong>s Selbstbewusstseins sind in Wirklichkeit hauptsächlich<br />
außen, nicht innen zu suchen. Als Konsequenz <strong>de</strong>s Selbstbewusstseins ist die <strong>de</strong>m Menschen eigene Tötung von Artgenossen, auch und<br />
beson<strong>de</strong>rs die Selbsttötung, anzusehen. Während Kannibalismus, sexuelle Konkurrenz und Rangkämpfe noch als "biologisch-natürliche"<br />
Motive <strong>de</strong>r Tötung von Artgenossen möglich wären, sind die Tötungsmotive <strong>de</strong>r Menschen meist im kognitiven Bereich, z.B. in Eifersucht,<br />
Macht, Habgier, zu suchen. Bei Tieren sind diese Motive offensichtlich nicht vorhan<strong>de</strong>n! Ebenso verhält es sich mit <strong>de</strong>r für die menschliche<br />
Spezies typischen Homosexualität. Wenn Sexualität ausschließlich <strong>de</strong>r Fortpflanzung dient, dann ist Homosexualität nutzlos und <strong>de</strong>mgemäß<br />
praktisch nicht vorhan<strong>de</strong>n. Wenn sie aber als Folge von Bewusstsein und Selbstbewusstsein eine Lustbefriedigung mit sich bringt, dann ist sie<br />
statistisch unausweichlich und bedarf keiner beson<strong>de</strong>ren Ursachen. Mit an<strong>de</strong>rn Worten: Homosexualität ist we<strong>de</strong>r krankhaft noch abnorm,<br />
son<strong>de</strong>rn eine natürliche Erscheinungsform von Sexualität in Verbindung mit Bewusstsein. Bestimmte Lebensbedingungen in <strong>de</strong>r Phase <strong>de</strong>r<br />
Persönlichkeitsentwicklung verän<strong>de</strong>rn nur die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit ihres Auftretens.<br />
An dieser Stelle sei eine kühne Behauptung angebracht: das sogenannte Leib-Seele- bzw. mind-body-Problem ist längst gelöst, o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs<br />
ausgedrückt, es ist nur ein Scheinproblem. Wenn jemand mit einem Freund o<strong>de</strong>r Freundin telefoniert, dann wird er/sie nicht nur die Stimme,<br />
son<strong>de</strong>rn auch die Stimmung <strong>de</strong>s Gesprächspartners erkennen. Man wird in aller Regel fragen, "warum hast du gute/schlechte Laune?" Obwohl<br />
je<strong>de</strong>rmann weiß, dass die Stimme von einem modulierten, elektrischen Strom übertragen wird, kommt niemand auf die I<strong>de</strong>e zu fragen, "warum<br />
hast du guten/schlechten Strom?" Das Gehirn funktioniert ähnlich wie das Telefon durch teils elektrische, teils chemische Übertragungen. Geist<br />
und Seele, wie auch die sogenannten Qualia, sind Interpretationen <strong>de</strong>r physikalisch-chemischen Zustän<strong>de</strong> und Prozesse <strong>de</strong>r neuronalen<br />
Strukturen. Selbst das Verstehen <strong>de</strong>r Physik und Chemie ist schon nichts an<strong>de</strong>res als Interpretation. Durch vergleichen<strong>de</strong> Kommunikation mit<br />
Artgenossen wer<strong>de</strong>n die Interpretationen gefestigt, auf ihre Eignung für die Lebensbewältigung überprüft und bewusst gemacht. Das<br />
wissenschaftliche Problem liegt in <strong>de</strong>m historisch bedingten "linguistic gap" zwischen <strong>de</strong>m psychischen Phänomen und <strong>de</strong>n auslösen<strong>de</strong>n<br />
physischen Prozessen. Die Erkenntnisse <strong>de</strong>r Computer- und Informationswissenschaft sind dabei, mit ihrem Begriffsrepertoire zunehmend auf<br />
die life sciences auszustrahlen und damit das linguistic gap allmählich aufzufüllen. An<strong>de</strong>rerseits entstehen neue, irreführen<strong>de</strong> Metaphern wie<br />
Geist-Computer. Die Scheidung <strong>de</strong>r Welt in Hardware und Software ist die mo<strong>de</strong>rne Form <strong>de</strong>s cartesischen Dualismus. Geist, Gefühle und<br />
Seele, also "Software", sind letztlich zurückzuführen auf die gegenseitige Anziehung und Abstoßung elektrisch gela<strong>de</strong>ner Teilchen, die infolge<br />
ihrer Symmetrie, Transitivität und Multidimensionalität die ungeheuer komplexen materiellen Strukturen ermöglichen und bewirken, auf <strong>de</strong>nen<br />
wie<strong>de</strong>rum die Erscheinung <strong>de</strong>r Information beruht. Die zentrale und schwierige Frage ist die Form <strong>de</strong>r Beziehungen und <strong>de</strong>r Wechselwirkungen<br />
eben <strong>de</strong>r Strukturen untereinan<strong>de</strong>r; mit <strong>de</strong>n daraus folgen<strong>de</strong>n emergenten Eigenschaften. Psychische und mentale Phänomene sind<br />
Auswirkungen physiologischer Prozesse - und von nichts an<strong>de</strong>rem und nicht umgekehrt. Es gibt keine Produzenten o<strong>de</strong>r<br />
Funktionsträger für Geist und Psyche - <strong>de</strong>shalb sind sie auch nicht zu fin<strong>de</strong>n, auch wenn bekannt ist, wo sie lokalisiert sein müssen. So wenig<br />
wie die Astronomen <strong>de</strong>n Himmel fin<strong>de</strong>n, so wenig wer<strong>de</strong>n die Physiologen <strong>de</strong>n Geist fin<strong>de</strong>n. Mit an<strong>de</strong>rn Worten: Geist wie Gefühle an sich gibt<br />
es nicht; es sind nur Worte für eine noch unverstan<strong>de</strong>ne Verhaltensweise <strong>de</strong>r Materie, für die es <strong>de</strong>shalb auch noch keine adäquate Sprache<br />
gibt. Es be<strong>de</strong>utet insbeson<strong>de</strong>re auch, dass Gedanken und I<strong>de</strong>en nicht komplexer und umfassen<strong>de</strong>r sein können als die ihnen als Substrat zu<br />
Grun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> materielle Struktur! Den Phantasien von Weltgeist usw. sind dadurch enge Grenzen gesetzt.<br />
Auch das Wetter hat anerkanntermaßen sowohl eine physikalische als auch eine emotionale Dimension. Luftdruck und Temperatur wer<strong>de</strong>n auf<br />
<strong>de</strong>r Grundlage physikalischer Gesetze gemessen, obwohl bei<strong>de</strong> Größen nur statistisch aggregierte, also gar nicht wirklich physikalische
Eigenschaften <strong>de</strong>r Atmosphäre und ihrer Moleküle sind. Es bil<strong>de</strong>t sichtbare Strukturen, die nicht aus <strong>de</strong>n Eigenschaften ihrer Elemente<br />
ableitbar sind und es hinterläßt die Spuren seiner Wirkung an <strong>de</strong>r Erdoberfläche über Jahrtausen<strong>de</strong>. Ebenso sind gefühlsmäßige<br />
Erscheinungsformen wie Abendrot und ihre Auswirkung auf die Psyche und auf die Sprache kaum zu bestreiten. Trotz<strong>de</strong>m ist nach <strong>de</strong>r<br />
Aufklärung niemand mehr auf die I<strong>de</strong>e gekommen, von einem Dualismus <strong>de</strong>s Wetters zu re<strong>de</strong>n bzw. an<strong>de</strong>re als physikalische Eigenschaften<br />
<strong>de</strong>r Atmosphäre zu behaupten. Dieses naive Beispiel, das aber etliche Analogien zum neurobiologischen Geschehen zeigt, wirft ein Schlaglicht<br />
auf manche Denkweisen in <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>s Geistes.<br />
Wahrnehmung ist die Abbildung einer äußeren, emittenten Struktur auf eine innere, rezipiente Struktur. Voraussetzung dafür ist ersichtlich<br />
sowohl eine Variabilität <strong>de</strong>r inneren Struktur als auch die Wirkung vorgegebener Abbildungsregeln. Bei Computerspeichern beruht die<br />
Variabilität auf <strong>de</strong>n möglichen Zustän<strong>de</strong>n 0 und 1. Je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Zustand wür<strong>de</strong> als Defekt betrachtet und wahrscheinlich zum Zusammenbruch<br />
<strong>de</strong>s Systems führen, so dass die Variabilität wie auch die Abbildungsregeln <strong>de</strong>terministisch und unverän<strong>de</strong>rlich sein müssen. Bei organischen,<br />
kognitiven Systemen dagegen wer<strong>de</strong>n die Abbildungsregeln - damit auch die Wahrnehmung selbst - ausschließlich von <strong>de</strong>n biophysikalischen<br />
Eigenschaften <strong>de</strong>r rezipienten Strukturen bestimmt und die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>r erlaubten Zustän<strong>de</strong> kann nicht apriori garantiert wer<strong>de</strong>n<br />
(Bsp. Sehvermögen). An<strong>de</strong>rerseits muss aus <strong>de</strong>r Konsistenz <strong>de</strong>r Wahrnehmung über alle Individuen einer Art und über lange Zeiträume auf<br />
feste Regeln und bestimmte Variabilitäten geschlossen wer<strong>de</strong>n, was prinzipiell erst auf molekularer Basis gesichert ist. Verstöße dagegen<br />
müssen notwendig als "Störungen" hervortreten. Anzumerken ist, dass die sogenannten Abbildungsregeln nur eine gedankliche<br />
Hilfskonstruktion darstellen und nicht wirklich existent, son<strong>de</strong>rn als Transmission zwischen <strong>de</strong>n Strukturen die Folgen physikalischer Wirkungen<br />
sind. Physisch existent sind nur die emittenten und die rezipienten Strukturen; in <strong>de</strong>r Regel über die Sinnesorgane als Zwischenstrukturen in<br />
Doppelfunktion mit Filterwirkung. Offensichtlich müssen die rezipienten Strukturen bei <strong>de</strong>r ersten Wahrnehmung in ihren Grundzügen schon<br />
vorhan<strong>de</strong>n sein und ihre Differenzierung bil<strong>de</strong>t eine obere Grenze <strong>de</strong>r Wahrnehmungsfähigkeit. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass es im<br />
Universum Strukturen geben muss, die nicht vollständig erkennbar sein können, weil ihre Differenzierung höher ist als die je<strong>de</strong>r<br />
wahrnehmen<strong>de</strong>n Struktur, die ihrerseits eine Aggregation von Strukturen ist.<br />
In <strong>de</strong>r zweckfreien Natur gibt es keine Unterteilung in Hardware und Software, wohl aber gibt es ein Eigenverhalten <strong>de</strong>r Hardware, das im<br />
Weltbild <strong>de</strong>r Menschen oftmals ignoriert o<strong>de</strong>r unterdrückt wird. Die Biologen Maturana und Varela (1946-2001) haben das Eigenverhalten<br />
"leben<strong>de</strong>r Hardware" (o<strong>de</strong>r Wetware) als Autopoiese bezeichnet. Im historischen Kontext entspricht diese Ansicht <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätstheorie (<strong>de</strong>m<br />
Monismus), im Gegensatz zum Dualismus René Descartes' (1596-1650), zum psychophysischen Parallelismus Theodor Fechners (1801-1887)<br />
und auch in Gegensatz zu einem materiellen Reduktionismus. Ergänzend sei noch bemerkt, dass an <strong>de</strong>n seelischen Phänomenen nicht nur<br />
das Gehirn, son<strong>de</strong>rn beson<strong>de</strong>rs die Sinne und grundsätzlich <strong>de</strong>r ganze Körper beteiligt ist, sie <strong>de</strong>shalb auch nicht vom Körper losgelöst wer<strong>de</strong>n<br />
können; entgegen mancherlei spiritistischer, religiöser, aber auch wissenschaftlich-spekulativer Phrasen. Zu<strong>de</strong>m be<strong>de</strong>utet dies, dass die<br />
Transplantation eines Organs eine Persönlichkeitsverän<strong>de</strong>rung zur Folge hat, auch wenn sie so gering ist, dass sie im Alltag we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />
betroffenen Person noch von <strong>de</strong>ren Umwelt registriert wird. Weiterhin ist als Tatsache festzustellen, dass die persönliche I<strong>de</strong>ntität nicht wie die<br />
Kleidung gewechselt wer<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn lebenslang "haften" bleibt. Ausnahmen wie Schizophrenie als krankhafte Zustän<strong>de</strong> bestätigen hier<br />
die Regel. Das ist ein <strong>de</strong>utliches Indiz für die Untrennbarkeit von Geist und Körper.<br />
Bei Computerystemen be<strong>de</strong>utet Software nichts an<strong>de</strong>res als eine kontrollierte und gezielte Variation <strong>de</strong>r Hardware. Dies wird ermöglicht durch<br />
<strong>de</strong>ren eingebaute, aber geringe Diversität und Variabilität. Die Hardware ist dabei nur das Vehikel für die Software, die <strong>de</strong>n Nutzen <strong>de</strong>s<br />
Systems ausmacht. Bei leben<strong>de</strong>n Systemen dagegen ist die Software lediglich eine Auswirkung <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Sinneseindrücken und <strong>de</strong>m<br />
Stoffwechsel variierten Wetware - also genau das Gegenteil. Die Rückwirkung <strong>de</strong>r Software auf die Gestaltung <strong>de</strong>r Hardware ist das Wesen<br />
<strong>de</strong>r Evolution. Die Software <strong>de</strong>s Lebens kann nicht von ihrer Hardware getrennt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn sie ist durch die immense Diversität <strong>de</strong>r Stoffe<br />
bis in die Moleküle damit verwoben. Man kann wohl die Information <strong>de</strong>r DNA auf Papier o<strong>de</strong>r im Computer nachbil<strong>de</strong>n, diese könnten aber nie<br />
ein DNA-Molekül ersetzen.<br />
Die extreme Diversität <strong>de</strong>r einen Organismus bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Substanzen und Strukturen ist Ursache dafür, dass zwei Menschen niemals genau<br />
<strong>de</strong>nselben emotionalen o<strong>de</strong>r mentalen Zustand einnehmen können, weil die Anzahl <strong>de</strong>r möglichen Zustän<strong>de</strong> quasi unendlich ist. Eine Folge<br />
davon ist, dass zwei Menschen, die dasselbe Motiv im Auge haben, mit höchster Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Repräsentationen davon<br />
haben. Das be<strong>de</strong>utet, dass die Inhalte verschie<strong>de</strong>ner Gehirne nie direkt und vollständig o<strong>de</strong>r zuverlässig miteinan<strong>de</strong>r verglichen wer<strong>de</strong>n<br />
können. Zwei Computer dagegen können dasselbe Programm ausführen und dabei immer zu <strong>de</strong>mselben Ergebnis kommen, falls sie korrekt<br />
arbeiten, weil ihre Diversität so gering ist, dass ihnen stets zwei diskret unterscheidbare und digital i<strong>de</strong>ntifizierbare Zustän<strong>de</strong> zugeordnet<br />
wer<strong>de</strong>n können.<br />
Bei Verkehrs- und Transportsystemen wird zwischen physischem Netz und logischem Netz unterschie<strong>de</strong>n. Das eine sind die Strassen,<br />
Pipelines und Gleise, das an<strong>de</strong>re sind die Linien und die Ortsverbindungen. Der Vorteil dabei liegt in <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Strukturen, so<br />
dass beispielsweise die sehr aufwändigen Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r physischen Struktur für <strong>de</strong>n Nutzer unsichtbar bleiben können. Unterbrechungen<br />
o<strong>de</strong>r Störungen <strong>de</strong>s physischen Netzes wer<strong>de</strong>n so mit unwesentlichen o<strong>de</strong>r ganz ohne Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s logischen Netzes in Form von<br />
Umleitungen ausgeglichen. Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Nutzer sichtbaren und relevanten, logischen Struktur fin<strong>de</strong>n nur "auf <strong>de</strong>m Papier" statt und<br />
sind daher einfach, ohne Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r physischen Struktur durchführbar. Für einen Gleisbauer macht es keinen Unterschied, ob ein Zug an<br />
einem Bahnhof anhält o<strong>de</strong>r nicht, wohl aber für die Bahnbenutzer! Hervorzuheben ist, dass die logische Struktur eine Erfindung <strong>de</strong>r<br />
Netzbetreiber und nicht physisch existent, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Physis abgeleitet ist. So ist die Materie die Quelle <strong>de</strong>s Geistes und <strong>de</strong>r Geist<br />
eine Erfindung <strong>de</strong>s Geistes selbst!<br />
Während technische Systeme aus- und eingeschaltet wer<strong>de</strong>n, funktionieren leben<strong>de</strong> Systeme von Beginn bis zum Tod ohne Unterbrechung.<br />
Dies ist eine <strong>de</strong>r charakteristischen Eigenschaften <strong>de</strong>s Lebens, die in <strong>de</strong>r life science aber vollständig vernachlässigt wird. Auch "Leerlauf" ist<br />
<strong>de</strong>m Leben unbekannt. Gedächtnisfunktionen und Gedächtnisinhalte können daher auch auf dynamische Zustandsübergänge abgebil<strong>de</strong>t<br />
wer<strong>de</strong>n anstatt auf statische Systemzustän<strong>de</strong>. Nur dadurch sind Erinnerungen je<strong>de</strong>rzeit und ohne Einfluss von außen bzw. ohne spezifische<br />
Energiezufuhr abrufbar. Das be<strong>de</strong>utet allerdings, dass Signale unaufhörlich im "Kreisverkehr" geführt wer<strong>de</strong>n müssen, wenn die Erinnerung<br />
über längere Zeit erhalten bleiben soll (dieser Umstand könnte auch das Auftreten von Träumen und Halluzinationen erklären). Die<br />
unmittelbare Konsequenz ist, dass die Inhalte <strong>de</strong>s Gedächtnisses nicht einfach auf externe (Computer-)Speicher übertragen wer<strong>de</strong>n können,<br />
son<strong>de</strong>rn dass dazu auch die Vergangenheit, mit an<strong>de</strong>rn Worten die "Anfangsbedingungen", übertragen wer<strong>de</strong>n müssten. Prinzipiell gibt es drei<br />
verschie<strong>de</strong>ne Formen <strong>de</strong>r Speicherung von Information im Gehirn, wobei diese Formen natürlich vereinfachen<strong>de</strong> Abstraktionen <strong>de</strong>r wirklichen<br />
Vorgänge sind:<br />
1. die Kodierung <strong>de</strong>r Signale (Frequenz <strong>de</strong>r Aktionspotentiale; <strong>de</strong>ren Amplitu<strong>de</strong> ist konstant),<br />
2. die Kodierung in <strong>de</strong>n Eigenschaften <strong>de</strong>r Neuronen, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Neurotransmitter und ihrer Rezeptoren an <strong>de</strong>n<br />
Synapsen und<br />
3. die Kodierung in <strong>de</strong>r Verknüpfung <strong>de</strong>r Neuronen (Struktur und Organisation).<br />
Letzteres be<strong>de</strong>utet, dass Signale Pfa<strong>de</strong> <strong>de</strong>s neuronalen Netzes im Gehirn durchlaufen, welche mit <strong>de</strong>n Inhalten <strong>de</strong>s Gedächtnisses und <strong>de</strong>n<br />
Vorstellungen <strong>de</strong>s Bewusstseins korrelieren. Nicht Informationen wer<strong>de</strong>n gespeichert, son<strong>de</strong>rn Schaltwege. Neue Wahrnehmungen<br />
durchlaufen neue Pfa<strong>de</strong>, in<strong>de</strong>m Synapsen dadurch an<strong>de</strong>rs verknüpft wer<strong>de</strong>n (Hebb`sche Plastizität, Langzeitpotenzierung). Die Struktur eines<br />
Neurons entspricht <strong>de</strong>m Multiplexer, einem Schaltelement <strong>de</strong>r technischen Informatik. Allerdings unterschei<strong>de</strong>t die Physiologie <strong>de</strong>s Gehirns<br />
nicht zwischen Steuer- und Datenleitungen wie die Elektronikingenieure: alle Dendriten haben Schaltfunktion für das Axon, die aber wegen <strong>de</strong>r
Beteiligung unterschiedlicher präsynaptischer Neuronen und Neurotransmitter - exzitatorisch und inhibitorisch - sehr viel komplizierter ist als ein<br />
Multiplexer.<br />
Der Ausdruck "Speicherung von Information" ist einer <strong>de</strong>r populärsten Irrtümer unserer Zeit und eine <strong>de</strong>utliche Bestätigung <strong>de</strong>r Sapir-Whorf-<br />
Hypothese, wonach die Sprache das Denken prägt. In <strong>de</strong>r Tat wer<strong>de</strong>n auch im Computerspeicher nicht Informationen gespeichert, son<strong>de</strong>rn<br />
Signalwege durch Schalter bestimmt und dauerhaft festgelegt. Von dieser Erkenntnis ist es nur noch ein "kleiner Gedankensprung" zur<br />
Funktionsweise <strong>de</strong>s Gehirns bzw. <strong>de</strong>s Gedächtnisses.<br />
Technische Schalter führen immer dieselbe, festgelegte Funktion aus, wogegen "leben<strong>de</strong> Schalter" verän<strong>de</strong>rlich sind wie das Signal, das sie<br />
schalten. Das physische Verkehrsnetz <strong>de</strong>s Gehirns wird vom Verkehr im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution selbst geformt und bietet sich dafür an, die<br />
Grundmuster <strong>de</strong>r Wahrnehmung zu repräsentieren. Das logische Verkehrsnetz, also die dynamische Struktur, kann die Erfahrungen, das<br />
Erlernte und somit das Bewusstsein repräsentieren. Auch die Regenerationsfähigkeit nach Hirnschädigungen kann vornehmlich nur auf das<br />
logische Netz zurückgeführt wer<strong>de</strong>n. Die Verkehrswege mün<strong>de</strong>n im Muskelapparat, im Sprachapparat, in Drüsen und Organen zur Produktion<br />
und Transformation von Hormonen, Sekreten u.v.a. Substanzen., wodurch Motorik, Sprache, Empfindungen und Emotionen erzeugt und<br />
verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Sinneswahrnehmungen, Gedanken und Gefühle reflektieren <strong>de</strong>n momentanen Zustand <strong>de</strong>r neuronalen Strukturen.<br />
Physikalisch ist nicht auszuschließen, dass Aktionspotentiale, also elektrische Ströme in <strong>de</strong>n Axonen, über die dadurch erzeugten<br />
magnetischen Fel<strong>de</strong>r auf Nachbarneuronen einwirken sowie elektromagnetische Emissionen bewirken.<br />
Theoretisch könnten solche elektromagnetischen Emissionen über das Gehirn hinaus abgestrahlt und nicht nur von externen Geräten (EEG),<br />
son<strong>de</strong>rn auch von an<strong>de</strong>ren Gehirnen mittels Induktion empfangen wer<strong>de</strong>n; möglicherweise sogar über Reflexionen an Sternen im Weltall, so<br />
dass Zeitverzögerungen von Jahrtausen<strong>de</strong>n und völlige Ortsunabhängigkeit die Folge wären. Die geringe Energie <strong>de</strong>r Emissionen spricht<br />
selbstverständlich gegen diese "science-fiction". Überdies bil<strong>de</strong>n die Aktionspotentiale nur Bruchstücke <strong>de</strong>r ohnehin interpretationsbedürftigen<br />
Information, so dass die empfangenen Signale nur ein Chaos bzw. Rauschen bewirken wür<strong>de</strong>n.<br />
Wür<strong>de</strong>n Informationen im Gehirn wie in einem Computer an statischen Stellen, m.a.W. an bestimmten Adressen, gespeichert, dann wür<strong>de</strong> das<br />
Gedächtnis mit unwichtigen Informationen überflutet und beim Lernen müssten alle Speicherstellen zuerst nach bereits vorhan<strong>de</strong>nen<br />
Informationen abgesucht wer<strong>de</strong>n, um Wi<strong>de</strong>rsprüche erkennen zu können. Dies wäre sehr zeitraubend, eher unmöglich. An<strong>de</strong>rnfalls könnten<br />
unbewusst(!) wi<strong>de</strong>rsprüchliche Informationen gleichzeitig vorhan<strong>de</strong>n sein, was die Überlebenswahrscheinlichkeit stark reduzieren wür<strong>de</strong>.<br />
Darüber hinaus hat je<strong>de</strong>r Computer eine endliche Wortlänge, kann also nur endlich viele, fest <strong>de</strong>finierte Zustän<strong>de</strong> darstellen - für Organismen<br />
untragbar. Folglich sind nicht die Informationen bestimmend, son<strong>de</strong>rn die materiellen Prozesse und Strukturen bestimmen das, was <strong>de</strong>r<br />
Mensch als Information empfin<strong>de</strong>t. Das Gedächtnis entspricht <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r assoziativen, d.h. inhaltsadressierten Speicher in <strong>de</strong>r Informatik.<br />
Im Gegensatz zur Computertechnik hat <strong>de</strong>r neurophysiologische Apparat kein Problem, eine Vielzahl von Speicherstellen gleichzeitig bzw.<br />
parallel zu adressieren, wie es bei dieser Speicherform notwendig ist. Modifikationen <strong>de</strong>r neuronalen, dynamischen Strukturen führen zu<br />
Modifikationen <strong>de</strong>r Informationen, wobei die alte Struktur und dadurch zwingend die alte Information verloren geht, so dass unmöglich<br />
dieselben Informationen mehrfach im Gedächtnis vorhan<strong>de</strong>n sein können. Dies ist aus ersichtlichen Grün<strong>de</strong>n, nicht nur aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />
Konsistenz <strong>de</strong>r Information (z.B. Kapazitäts- und Leistungsproblem), eine lebenswichtige Eigenschaft <strong>de</strong>s Gedächtnisses.<br />
Die klassische Post verwen<strong>de</strong>t ein<strong>de</strong>utige Hausnummern als Adressen, um Botschaften zu überbringen. Der Postbote muss weniger<br />
Information speichern und übertragen, um <strong>de</strong>n richtigen Empfänger zu i<strong>de</strong>ntifizieren und ist unabhängig von <strong>de</strong>ssen aktuellem Aussehen. In<br />
technischen Systemen zur Zugangskontrolle o<strong>de</strong>r zur Täteri<strong>de</strong>ntifizierung wird als Adresse ein Fingerabdruck, ein Abbild <strong>de</strong>r Netzhaut und<br />
neuerdings das Genom verwen<strong>de</strong>t. Voraussetzung ist, dass eine zentrale Instanz zuvor je<strong>de</strong>m Empfänger eine Nummer bzw. ein Abbild zuteilt<br />
und dass bei <strong>de</strong>r Zustellung die Zuordnung von Empfänger und Hausnummer möglich ist (Kennzeichnung und Korrektheit <strong>de</strong>r Adresse). Bei<br />
<strong>de</strong>r Zeugnisverteilung in <strong>de</strong>r Schule an<strong>de</strong>rerseits wird <strong>de</strong>r Empfänger selbst i<strong>de</strong>ntifiziert. Das setzt offensichtlich voraus, dass dieser soweit<br />
bekannt ist, dass er durch Vergleich <strong>de</strong>s aktuellen mit <strong>de</strong>m bekannten Aussehen i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n kann (z.B. nicht vollständig maskiert und<br />
kein Zwillingsproblem!) und zweitens, dass er zur Übergabe physisch anwesend ist. Genau so wird bei inhaltsadressierten Speichern nicht eine<br />
Hausnummer als Adresse verwen<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn ein aktuelles Datum, das mit <strong>de</strong>m Inhalt aller Speicherstellen verglichen wird. Konsequenz ist<br />
die eventuell fehlen<strong>de</strong> Ein<strong>de</strong>utigkeit bei unvollständigen bzw. gleichartigen Daten (Maskierung/Zwilling), die Entscheidungsstrategien<br />
notwendig macht. Im Gedächtnis fehlt eine zentrale Instanz zur Nummernverteilung und die notwendige Zuordnung von Adresse zu<br />
Speicherinhalt wäre keine Lösung, son<strong>de</strong>rn nur eine Problemverlagerung (Kennzeichnung <strong>de</strong>r Adresse und Überprüfung <strong>de</strong>r Korrektheit). Die<br />
fehlen<strong>de</strong> Ein<strong>de</strong>utigkeit auf physiologischer Ebene muss durch Zufall gelöst wer<strong>de</strong>n, kann also nicht in das Bewusstsein vordringen.<br />
Ein Charakteristikum <strong>de</strong>r Natur ist, dass sie nicht aus mehreren Möglichkeiten die beste auswählt und alle an<strong>de</strong>ren ignoriert, son<strong>de</strong>rn dass sie<br />
alle verfügbaren Möglichkeiten nutzt, wenngleich in unterschiedlicher Intensität. Deshalb wer<strong>de</strong>n Informationen wohl auf verschie<strong>de</strong>ne Arten im<br />
Gedächtnis gespeichert. Es ist eine falsche Vorstellung, dass im Gedächtnis Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Realität gespeichert wer<strong>de</strong>n. Die unleugbar<br />
wirklichkeitsnahe Übereinstimmung von Realität und Wahrnehmung, die unvermeidlich zu dieser Vorstellung geführt hat, beruht auf <strong>de</strong>m<br />
rückkoppeln<strong>de</strong>n Zusammenwirken von Anfassen und Erfassen und <strong>de</strong>r Fixierung <strong>de</strong>r Erfahrungen im langen Zeitraum <strong>de</strong>r Evolution. Wenn es<br />
überlebensnotwendig ist, dass die Wahrnehmung ein adäquates Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Lebenswelt liefert, dann sind im Umkehrschluss alle Organismen<br />
fähig, ein adäquates Mo<strong>de</strong>ll ihrer Lebenswelt zu erzeugen. Wenn zusätzlich die Wirklichkeitstreue <strong>de</strong>r Abbildung ein Selektor <strong>de</strong>r Fitness ist,<br />
dann muss im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution "adäquat" in Richtung "wirklichkeitsnah" konvergieren. Dieses Pauschalurteil setzt sich zusammen aus <strong>de</strong>r<br />
Quantität und <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>r Sinnesdaten, weit mehr aber aus <strong>de</strong>n Eigenheiten <strong>de</strong>r Transformation <strong>de</strong>r Sinnesdaten in Handlungen. Hieraus<br />
läßt sich ableiten, dass Bewusstsein nicht Ziel <strong>de</strong>r Evolution, son<strong>de</strong>rn "nur" ein Epiphänomen <strong>de</strong>r Transformation einer Überfülle von<br />
Sinnesdaten in Verhalten ist.<br />
Manche KI-Forscher (KI=Künstliche Intelligenz) und Informationstechnologen haben die Vorstellung, die Inhalte <strong>de</strong>s Gehirns auf einen<br />
Computerspeicher zu übertragen (upload) und so ihr Bewusstsein für die Ewigkeit zu konservieren, bzw. das Gehirn selbst technisch zu<br />
ersetzen. Diese Vorstellungen sind naiv, auch wenn heute schon viel bewun<strong>de</strong>rnswertes möglich ist und weitere Leistungssteigerungen durch<br />
höhere Informationsdichten subatomarer Schalter sicher noch kommen wer<strong>de</strong>n. Sie nehmen kopierbare, also lokalisierbare und objektivierbare<br />
Realitäten an, wo nur Begriffe für Phänomene sind. Abgesehen davon wären solche Kopien grundsätzlich unmöglich. Je<strong>de</strong>s Originalbild wird<br />
durch eine Abbildung bzw. Replikation selbst verän<strong>de</strong>rt, allein schon durch die dafür erfor<strong>de</strong>rliche Zeit. Dies mag in <strong>de</strong>r Praxis meist<br />
unerheblich o<strong>de</strong>r rekonstruierbar sein, <strong>de</strong>nnoch ist es immer und unleugbar wahr. Es be<strong>de</strong>utet nichts an<strong>de</strong>res, als dass es unmöglich ist, ein<br />
absolut getreues Abbild eines Originals zu erhalten, ohne in einen infiniten Regress zu geraten. Auch eine atomgetreue Abbildung wür<strong>de</strong> daran<br />
nichts än<strong>de</strong>rn. I<strong>de</strong>ntität ist zwar möglich, dann aber nicht mit Sicherheit erkennbar bzw. nachweisbar. Heraklit erkannte dies bereits vor 2500<br />
Jahren und Heisenberg hat es aus an<strong>de</strong>rer Perspektive formuliert.<br />
Der Mensch kann nur erkennen, was er früher schon einmal erkannt hatte. Ein bekanntes Gesicht beispielsweise kann nur i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n,<br />
wenn sein Muster bereits im Gedächtnis vorhan<strong>de</strong>n ist und wenn ihm seine Be<strong>de</strong>utung zugeordnet ist! Es entsteht also offenkundig das<br />
klassische Henne-Ei-Problem. Der Prozess <strong>de</strong>r Erkenntnisgewinnung geschieht grob in drei Schritten:<br />
1. Wahrnehmung und Etablierung eines Wahrnehmungsmusters,<br />
2. Etablierung von Be<strong>de</strong>utung durch Verknüpfung mit sprachlichen Symbolen und an<strong>de</strong>ren Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten,<br />
3. I<strong>de</strong>ntifizierung von Wahrnehmungen durch Vergleich mit <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen Mustern und Verstehen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung bei Erfolg.
Wenn Informationen im Gedächtnis dynamisch gespeichert wer<strong>de</strong>n, dann können sie nicht vererbt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn müssen erworben wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Erkenntnisfähigkeit kann sich <strong>de</strong>shalb nur evolutionär vom Neugeborenen zum Erwachsenen entwickeln. Es sind die Erfahrungen unserer<br />
Eltern und Vorfahren, die uns sagen, wie wir unsere Wahrnehmungen zu <strong>de</strong>uten haben. Es ist anzunehmen, dass unmittelbar nach <strong>de</strong>r Geburt<br />
nur Grundfarben und Grundformen erkannt wer<strong>de</strong>n können. Eine genetisch vorgegebene, vollständige Festlegung <strong>de</strong>s<br />
Wahrnehmungsvermögens wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>ssen Flexibilität verhin<strong>de</strong>rn, so dass die reale menschliche Kulturleistung unmöglich wäre. Be<strong>de</strong>utung<br />
entsteht durch das wie<strong>de</strong>rholte Auftreten von Mustern in gleichartigen Situationen, so dass allmählich ein dichtes Beziehungsgeflecht von<br />
Informationen gebil<strong>de</strong>t wird. Durch eigene Erfahrung kann die Be<strong>de</strong>utung von Unbekanntem aus Bekanntem erschlossen wer<strong>de</strong>n, so dass die<br />
Erfahrung selbst wie<strong>de</strong>rum zunimmt. Entgegen <strong>de</strong>n Abbildungsgesetzen <strong>de</strong>r Mathematik können die Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Außenwelt nicht nur auf<br />
einzelne, son<strong>de</strong>rn auf jeweils mehrere Bil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Innenwelt abgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gibt es multiple Repräsentationen<br />
unterschiedlicher Aggregation für unmittelbare Sinneseindrücke, für sprachliche Symbole und schließlich für Gefühle. Sinnvolle und konsistente<br />
Wahrnehmung setzt eine Redundanz <strong>de</strong>r Wahrnehmung voraus, wobei zwischen syntaktischer Redundanz und semantischer Redundanz zu<br />
unterschei<strong>de</strong>n ist. An<strong>de</strong>rnfalls könnte <strong>de</strong>r Mensch nur relative Differenzen erkennen, nicht aber statische Eigenschaften wie Farben. Mit<br />
ziemlicher Sicherheit ist die Redundanz <strong>de</strong>r Wahrnehmung auch eine wesentliche Voraussetzung für die Erscheinung <strong>de</strong>s Bewusstseins. Nur<br />
ein Teil <strong>de</strong>r Wahrnehmungen wird überhaupt bewusst. Aus Vergleichen mit Tieren und technischen Detektoren wissen wir, was alles wir nicht<br />
bewusst wahrnehmen können (Ultraschall, UV-Licht). Damit ist nicht die Aufmerksamkeit als psychischer Filter gemeint, son<strong>de</strong>rn ein<br />
physiologischer Filter, <strong>de</strong>r aber nicht die Wahrnehmungsfähigkeit <strong>de</strong>r Sinnesorgane und somit die Wahrnehmung als solche ausschließt,<br />
son<strong>de</strong>rn nur verhin<strong>de</strong>rt, dass die Inputsignale neurologisch vollständig verarbeitet wer<strong>de</strong>n. Wahrscheinlich wer<strong>de</strong>n die neurophysiologischen<br />
Prozesse auch von <strong>de</strong>n unbewussten Wahrnehmungen - einem "Wahrnehmungsrauschen" - beeinflusst, so dass Empfindungen, Vorstellungen<br />
und Verhaltensweisen nicht selten irrational, rätselhaft, wun<strong>de</strong>rlich o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st unerklärlich erscheinen und <strong>de</strong>n Glauben an übersinnliche<br />
und übernatürliche Erscheinungen begrün<strong>de</strong>n.<br />
Die Fähigkeiten <strong>de</strong>s menschlichen Erkenntnisapparates sind offenkundig ausreichend für ein Leben an <strong>de</strong>r dreidimensionalen Erdoberfläche.<br />
Es war nicht notwendig, weitergehen<strong>de</strong> Sinnesfähigkeiten zur Erkennung <strong>de</strong>s subatomaren Mikrokosmos wie <strong>de</strong>s galaktischen Makrokosmos<br />
zu entwickeln. Dass die heutigen Wissenschaften die Beschränktheiten <strong>de</strong>r menschlichen Sinnesfähigkeiten erkennen und ihre Grenzen weit<br />
übertreffen, ist eine erstaunliche, intellektuelle Leistung <strong>de</strong>s Gehirns. Diesem Umstand allzu hohe Be<strong>de</strong>utung beizumessen, wür<strong>de</strong> eben diese<br />
Fähigkeiten und Leistungen eher wie<strong>de</strong>r in Frage stellen.<br />
Die Diversität und Komplexität <strong>de</strong>s kognitiven Apparates ist eine <strong>de</strong>r Grundlagen für <strong>de</strong>n freien Willen <strong>de</strong>s Menschen. Dieser beruht auf einer<br />
Vielzahl eng beieinan<strong>de</strong>r liegen<strong>de</strong>r Entscheidungsalternativen (z.B. die Wörter <strong>de</strong>r Sprache). Wichtig ist dabei, dass <strong>de</strong>r<br />
"Entscheidungswi<strong>de</strong>rstand" klein ist, ähnlich einer ausbalancierten Wippe, so dass mehrere Entscheidungsalternativen erreichbar und etwa<br />
gleichwertig sind. Eine Entscheidung zwischen Leben und Tod ist keine Entscheidung <strong>de</strong>s freien Willens. Gleichwertigkeit bezieht sich<br />
einerseits auf <strong>de</strong>n Entscheidungsvorgang und an<strong>de</strong>rerseits auf die Entscheidungsfolgen, beispielsweise in Form von Aufwand o<strong>de</strong>r Kosten,<br />
wobei <strong>de</strong>ren Kenntnis bzw. Einschätzung Eingangsgröße ist für <strong>de</strong>n Entscheidungsvorgang. Unvermeidbar spielt auch hier <strong>de</strong>r Zufall mangels<br />
vollständiger Information eine große Rolle. Die physiologische Komplexität führt nicht nur zur Erhöhung <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r<br />
Entscheidungsalternativen, son<strong>de</strong>rn auch zur Einbeziehung <strong>de</strong>r erfahrungsbedingt erwarteten, zukünftigen Entscheidungsfolgen (Absichten) in<br />
<strong>de</strong>n Vorgang <strong>de</strong>r Willensbildung. Zu be<strong>de</strong>nken ist, dass die Erwartungen und die Absichten selbst schon getroffene Entscheidungen sind - <strong>de</strong>r<br />
freie Wille also auf Entscheidungen nach Entscheidungen nach Entscheidungen usw. aufbaut. Wenn Entscheidungsalternativen eng<br />
beieinan<strong>de</strong>r liegen, wie dies in hochdiversitären Systemen fast immer <strong>de</strong>r Fall ist, dann können auch externe o<strong>de</strong>r frem<strong>de</strong> Einflüsse die<br />
Entscheidung zufällig herbeiführen. Hier liegen Grün<strong>de</strong> für die Anwendung von Metho<strong>de</strong>n aus Bereichen wie <strong>de</strong>r Esoterik und <strong>de</strong>r Astrologie<br />
und insbeson<strong>de</strong>re liegen hier die Arbeitsgebiete von Psychologie und Psychiatrie. Nur am Ran<strong>de</strong> sei vermerkt, dass <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Willens<br />
unterschiedlichen Interpretationen seiner Be<strong>de</strong>utung unterliegt, so dass es nicht verwun<strong>de</strong>rlich ist, wenn Diskussionen dazu nicht zum Konsens<br />
führen.<br />
Der Mensch glaubt, dass sein Verhalten von seinen Wahrnehmungen und seinem "freien Willen" gesteuert wird. Es wird ursprünglich jedoch<br />
mehr von internen Bedürfnissen bzw. Reizen gesteuert (als Reiz wird hier die physiologische Manifestation eines Bedürfnisses betrachtet), zu<br />
<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Mensch die passen<strong>de</strong>n Wahrnehmungen sucht, um sie zu befriedigen. Die Ursache dieser Täuschung liegt in <strong>de</strong>r gewaltigen<br />
Redundanz und Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>r Wahrnehmungsorgane, die zur Befriedigung <strong>de</strong>r Bedürfnisse allein überdimensioniert sind und so nicht<br />
notwendig wären. Sie führen aber dazu, dass die Kybernetik <strong>de</strong>s Menschen im Lauf <strong>de</strong>r ersten Lebensjahre von <strong>de</strong>r ursprünglichen,<br />
physiologischen Reizsteuerung allmählich zu einer bewussten Wahrnehmungssteuerung wechselt, weil zu <strong>de</strong>n Reizen neben <strong>de</strong>n<br />
Primärwahrnehmungen (Mutterbrust) auch Sekundärwahrnehmungen (Umgebung <strong>de</strong>r Mutter, Geräusche) assoziiert wer<strong>de</strong>n, die ihrerseits<br />
wie<strong>de</strong>rum zu an<strong>de</strong>ren Reizen assoziiert wer<strong>de</strong>n. In einem Abschnitt <strong>de</strong>r Ontogenese fin<strong>de</strong>t ein Übergang von <strong>de</strong>r physikalischen zur<br />
kognitiven Kybernetik statt. Die Wahrnehmung übernimmt neben <strong>de</strong>r Rolle als Reizbefriediger auch die Rolle als Reizauslöser. Mit<br />
zunehmen<strong>de</strong>r Lebenserfahrung treten die physiologischen Reize mehr und mehr in <strong>de</strong>n Hintergrund und die kognitiven Reize bestimmen<br />
zunehmend das Verhalten. Die Physiologie aber än<strong>de</strong>rt sich dadurch nicht und die Reize selbst sowie einige Reste <strong>de</strong>r physiologischen<br />
Reizsteuerung bleiben als Instinkte o<strong>de</strong>r als Un(ter)bewusstsein noch erhalten.<br />
Für die Konstruktion <strong>de</strong>s persönlichen Weltbil<strong>de</strong>s gibt es kaum objektive Maßstäbe. Neue Teile wer<strong>de</strong>n stets auf <strong>de</strong>m bereits vorhan<strong>de</strong>nen<br />
aufgebaut. Es hat also die Form von Zwiebelschalen, die um einen Kern herum übereinan<strong>de</strong>r geschichtet sind. Im Zentrum <strong>de</strong>s individuellen<br />
Weltbil<strong>de</strong>s steht eine Vorstellung <strong>de</strong>s Selbst sowie eine Vorstellung <strong>de</strong>r engsten Bezugspersonen und Umwelt. Man kann sich leicht vorstellen<br />
was geschieht, wenn <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>r Zwiebel sich aus irrationalen und fehlerhaften Vorstellungen in <strong>de</strong>r frühen Kindheit entwickelt hat.<br />
Zu <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s physiologischen Apparates (Stoffwechsel zur Funktionserhaltung) und <strong>de</strong>s sexuellen Apparates (Fortpflanzung zur<br />
Arterhaltung) sind auch die Bedürfnisse <strong>de</strong>s kognitiven Apparates (Erkenntnisgewinnung zur I<strong>de</strong>ntitätserhaltung) als eigenständige Bedürfnisse<br />
<strong>de</strong>s Menschen zu konstatieren. Es sind Bedürfnisse <strong>de</strong>r Wahrnehmung, <strong>de</strong>r Selbstwahrnehmung und <strong>de</strong>s Wahrgenommenseins. Daraus<br />
entwickeln sich autonome Funktionen - das sind abgeleitete, aber verselbständigte Bedürfnisse - in Form von Neugier, Lernbegier<strong>de</strong>,<br />
Wissensdurst und schließlich Kultur wie auch Ästhetik. Autonome Funktionen <strong>de</strong>r Selbstwahrnehmung, bzw. <strong>de</strong>s Wahrgenommenseins sind<br />
Anerkennung, Erfolg, Prestige (Geltungsbedürfnis), bis hin zur Mo<strong>de</strong>. Die Erkenntnisgewinnung ist sowohl sinnesgeleitet und positivistisch als<br />
auch verstan<strong>de</strong>sgeleitet und dialektisch. Viele Phänomene menschlichen Lebens, beson<strong>de</strong>rs psychischer Art, wie auch das aus <strong>de</strong>r Neugier<br />
erwachsen<strong>de</strong> Mobilitätsbedürfnis <strong>de</strong>r Menschen lassen sich leichter erklären, wenn man die Existenz und die Eigenständigkeit dieser<br />
Bedürfnisse als biotische Gegebenheiten anerkennt. Unausweichlich för<strong>de</strong>rn sie auch exhibitionistische Bedürfnisse und Triebe als Reflexion<br />
auf sich selbst. Außergewöhnliche Wahrnehmungen erzeugen zweifellos und bestätigt durch alltägliche Beobachtungen ein physiologisch<br />
höheres Erregungspotential und höhere Aufmerksamkeit als immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> Wahrnehmungen. Kurze Reaktionszeiten beim Auftauchen<br />
von Gefahren bieten einen erheblichen Selektionsvorteil. Möglicherweise kann sich daraus eine Sucht nach ständig neuen Reizen entwickeln!<br />
Auch <strong>de</strong>r "struggle for life" und die Milliar<strong>de</strong>numsätze <strong>de</strong>r Massenmedien sind sicher <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s kognitiven Apparates<br />
zuzuschreiben. In <strong>de</strong>r Regel überlagern sich verschie<strong>de</strong>ne Bedürfnisse zu komplexen Verhaltensweisen als Operationen zu <strong>de</strong>ren<br />
Befriedigung. Dabei ist zu bemerken, dass die Bedürfnisse nie endgültig befriedigt sind, son<strong>de</strong>rn stets erhalten bleiben o<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r entstehen.<br />
Ein neugeborenes Kind kann nur farbige Flächen und Konturen (Syntax) wahrnehmen, ohne je<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung, mit Ausnahme <strong>de</strong>r instinktiv<br />
eingeprägten "Information" für die erste Nahrungsaufnahme. Im Lauf <strong>de</strong>r ersten Monate lernt es, die farbigen Flächen und ihre Bewegungen<br />
mit an<strong>de</strong>ren Beobachtungen und Empfindungen zu verbin<strong>de</strong>n, so dass es allmählich lernt, die visuellen Wahrnehmungen zu <strong>de</strong>uten und ihnen<br />
die Be<strong>de</strong>utung (Semantik) zu geben, die sein Leben dann begleiten. Redundante Wahrnehmung, Kommunikation und körperliche Erfahrung<br />
führen als Lernprozess allmählich zu einem einheitlichen Weltbild. Hier liegt die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Begründung für die "Erfindung" und <strong>de</strong>n Erfolg<br />
<strong>de</strong>r Sprache: sie erspart <strong>de</strong>n Menschen langwierige, mühsame und kostspielige Lernprozesse, in<strong>de</strong>m sie apriori die Verknüpfung von Syntax<br />
und Semantik liefert. Eine wichtige Rolle spielen dabei Sprachmuster, die sich durch häufige Verwendung im Gedächtnis "einbrennen" und
somit eine feste Brücke zwischen Syntax und Semantik bil<strong>de</strong>n. Der Zoologe Richard Dawkins hat dafür in Analogie zum Gen <strong>de</strong>n Begriff "Mem"<br />
erfun<strong>de</strong>n (Das egoistische Gen, 1978). Die Sprache muss <strong>de</strong>m individuellen Bewusstsein in <strong>de</strong>r Evolution ein kleines Schrittchen vorauseilen,<br />
weil erst sie durch die Kommunikation Bewusstsein erzeugen kann ("hast du das gesehen?") und gemeinsames Bewusstsein wie<strong>de</strong>rum die<br />
Sprache erweitert. Sie ermöglicht es, Vorstellungen von Dingen und Situationen zu bil<strong>de</strong>n, bevor diese wahrgenommen und "erfahren" wer<strong>de</strong>n<br />
mit möglicherweise tödlichen Folgen. Damit schafft sie <strong>de</strong>m Homo sapiens sapiens einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Überlebensvorteil (z.B. Kin<strong>de</strong>r im<br />
Straßenverkehr). Die Entwicklung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s im Zeitraum vor Erlernen <strong>de</strong>r Sprache ist bisher wenig erforscht, da niemand sich daran erinnern<br />
kann. Dies legt <strong>de</strong>n Schluss nahe, dass bewusste Erinnerung - folglich auch Bewusstsein - mit <strong>de</strong>r Sprache zusammenhängt. Aus diesem<br />
Grund ist auch weitgehend unbekannt, wie sich Eindrücke und Erfahrungen dieser Zeit auf <strong>de</strong>n Menschen auswirken. Es ist zu vermuten, dass<br />
das Verhalten <strong>de</strong>r Mutter u.a. beim Stillen, Wickeln und Waschen in <strong>de</strong>n ersten Lebensmonaten für das spätere Verhalten <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s sehr viel<br />
prägen<strong>de</strong>r und be<strong>de</strong>utsamer ist als das genetische Erbe. Auch die Auswirkungen <strong>de</strong>r pränatalen Lebensbedingungen auf <strong>de</strong>n sich<br />
entwickeln<strong>de</strong>n Menschen sind bisher wenig erforscht.<br />
Bis zu seiner Geburt hat <strong>de</strong>r Mensch noch keinen Menschen gesehen und gehört - auch nicht sich selbst. Das be<strong>de</strong>utet, er hat bis dahin kein<br />
Selbstbildnis, keine Vorstellung vom Menschsein, außer seinen eigenen körperlichen Empfindungen. Es be<strong>de</strong>utet auch, dass <strong>de</strong>r Mensch sein<br />
menschliches Bewusstsein frühestens nach <strong>de</strong>r Geburt in <strong>de</strong>n ersten Lebensmonaten vollständig entwickeln kann - mit all <strong>de</strong>n sich daraus<br />
ergeben<strong>de</strong>n, auch ethischen Konsequenzen.<br />
Vorstellungen von <strong>de</strong>r Ethik und <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen grün<strong>de</strong>n auf Weltbil<strong>de</strong>rn, die entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Theologie, bzw. einer Naturreligion,<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Anthropologie mit <strong>de</strong>r Evolutionstheorie entstammen. Ausgangspunkt, aber gleichzeitig auch Zielpunkt ist die Vorstellung von <strong>de</strong>r<br />
Gleichwertigkeit bei Anerkennung <strong>de</strong>r Ungleichheit aller Menschen. Es gibt keine erkennbaren und objektiven Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />
Menschen, die eine Höher- o<strong>de</strong>r eine Min<strong>de</strong>rwertigkeit begrün<strong>de</strong>n; wohl aber gibt es das subjektive Bedürfnis nach Höherwertigkeit, <strong>de</strong>ssen<br />
Konsequenz eine intraspezifische Selektion ist und <strong>de</strong>ssen Übertreibungen Ursprung einer Ethik sind. Der Unterschied zwischen Mensch und<br />
Nichtmensch dagegen ist groß genug, um ein<strong>de</strong>utig erkannt zu wer<strong>de</strong>n. Insofern hat es die Evolution <strong>de</strong>m heutigen Menschen leicht gemacht.<br />
Wie wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch sich aber verhalten, wenn die Nean<strong>de</strong>rtaler heute noch leben<strong>de</strong> Nachfahren hätten? Aus <strong>de</strong>r Kenntnis <strong>de</strong>r Historie kann<br />
man wohl ableiten, dass <strong>de</strong>r Mensch es selbst war, <strong>de</strong>r für diesen Abstand gesorgt hat und auf <strong>de</strong>m besten Weg ist, <strong>de</strong>n Abstand weiter zu<br />
vergrößern.<br />
Zur Frage <strong>de</strong>r Gleichwertigkeit <strong>de</strong>r Menschen und <strong>de</strong>r Kulturen hat <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch-amerikanische Anthropologe und Ethnologe Franz Boas (1858-<br />
1942) bereits En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19.Jhdts. Expeditionen zu <strong>de</strong>n Eskimos Kanadas unternommen und <strong>de</strong>ren Sprachen und Kulturen studiert. Seine<br />
Erkenntnisse, auch aus seinen Studien zur Immigration in <strong>de</strong>n USA, können je<strong>de</strong>m Anhänger eines Rassismus zur Lektüre empfohlen wer<strong>de</strong>n!<br />
Bezeichnen<strong>de</strong>rweise sind seine Werke von <strong>de</strong>n Nazis verboten und verteufelt und später ignoriert wor<strong>de</strong>n. Unter seinen Nachfolgern ist <strong>de</strong>r<br />
französische Anthropologe Clau<strong>de</strong> Lévi-Strauss (1908-1998) als Zeuge zu nennen.<br />
Ausgehend von <strong>de</strong>r "Natürlichkeit" <strong>de</strong>s Menschen gibt es keine Instanz, außer <strong>de</strong>r Menschheit selbst, auf die ethische Normen zurückgeführt<br />
wer<strong>de</strong>n können. Und es gibt keine Werte, außer <strong>de</strong>nen, die <strong>de</strong>r Mensch sich selber setzt zur Richtschnur seines Verhaltens gegenüber sich<br />
selbst und seinen Mitmenschen. Die Beachtung <strong>de</strong>r Werte und <strong>de</strong>r daraus abgeleiteten Normen unterliegt daher <strong>de</strong>r Freiwilligkeit <strong>de</strong>s<br />
Einzelnen. Ihre Nichtbeachtung kann gesellschaftlich sanktioniert wer<strong>de</strong>n im Hinblick auf die Verhin<strong>de</strong>rung möglicher Schä<strong>de</strong>n und die<br />
Wie<strong>de</strong>rgutmachung entstan<strong>de</strong>ner Schä<strong>de</strong>n, sie darf aber nicht gewaltsam verhin<strong>de</strong>rt und nicht moralisch verurteilt wer<strong>de</strong>n. Kein Mensch hat<br />
das Recht, sich persönlich zum Richter über seine Mitmenschen zu erheben. Je<strong>de</strong>r ist für sein Tun, sowie <strong>de</strong>ssen Folgen grundsätzlich selbst<br />
verantwortlich. Staatliche Gesetze, Traditionen o<strong>de</strong>r psychischer Notstand können ihn möglicherweise von juristischer o<strong>de</strong>r moralischer<br />
"Schuld" befreien, sie können ihn aber nicht von seiner Verantwortung vor sich selbst entheben.<br />
Allzu häufig wird Moral dazu missbraucht, Menschen an<strong>de</strong>rer Konfession, Sitte, Tradition, Kultur o<strong>de</strong>r Lebensweise zu bevormun<strong>de</strong>n, zu<br />
drangsalieren, zu nötigen, zu diskriminieren und zu verurteilen. Ethos o<strong>de</strong>r Moral kann <strong>de</strong>n Menschen helfen, sich sozial konform zu verhalten,<br />
lebensgeeignete Entscheidungen zu treffen und das Leben im Konsens mit <strong>de</strong>n Mitmenschen zu gestalten. Dazu soll Moral die Richtschnur<br />
sein. Sie darf aber nicht zum Gängelband gemacht wer<strong>de</strong>n, das zur Unfreiheit führt; und sie darf nicht Alibi sein für Macht- und<br />
Herrschaftsausübung in Form einer "Präventivethik". Bezeichnend dafür ist, dass vor <strong>de</strong>m Hintergrund wachsen<strong>de</strong>n Misstrauens gegenüber<br />
<strong>de</strong>n Mitmenschen ethisches Verhalten immer nur bei <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren eingefor<strong>de</strong>rt wird! Der Ruf nach Moral kommt aus <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r<br />
eigenen Unmoral. Ethische Grundsätze wie Wür<strong>de</strong>, Ehre, Treue, Liebe in Kombinationen mit Gott, Mensch, Volk, Vaterland und dgl. sind nicht<br />
selten nur abstrakte, substanzlose Phrasen, die zur binären und willkürlichen Einteilung <strong>de</strong>r Menschen in gut und böse verführen. Letzte<br />
Konsequenz daraus sind To<strong>de</strong>surteile, Terror und Kriege. Staatliche Gesetze sollen <strong>de</strong>r Orientierung <strong>de</strong>s Verhaltens dienen; sie können keine<br />
ethischen o<strong>de</strong>r moralischen Werte darstellen. Das Strafrecht ist Spiegelbild einer autoritären Gesellschaft, <strong>de</strong>r es weniger auf die Hilfe für die<br />
Opfer und auf die Sozialisierung <strong>de</strong>r Täter ankommt, als vielmehr auf die Ausübung von Macht über die Mitbürger und die Durchsetzung ihrer<br />
eigenen Moralvorstellungen und Lebensi<strong>de</strong>ale.<br />
Der Moralbegriff wird zu<strong>de</strong>m durch die Massenmedien entwertet, in<strong>de</strong>m er für an<strong>de</strong>re Zwecke missbraucht wird. Ein prägnantes Beispiel ist die<br />
Sport-, beson<strong>de</strong>rs die Fussballberichterstattung, wenn von <strong>de</strong>r Moral <strong>de</strong>r Mannschaft gesprochen wird, wo nur Motivation o<strong>de</strong>r<br />
Durchhaltevermögen gemeint ist. Häufig wird in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit Gesetzestreue als Moral bezeichnet, ohne dabei die Moral <strong>de</strong>r Gesetze zu<br />
beachten. Es sind Beispiele für die generelle Auflösung von Be<strong>de</strong>utungen in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r Medien. Diese Form von Evolution in <strong>de</strong>r Kultur<br />
hat teils noch unabsehbare, teils absehbare Folgen hin zu Aggressivität, Fanatismus o<strong>de</strong>r auch Fatalismus.<br />
Je<strong>de</strong>r Mensch hat die Freiheit, Handlungsmöglichkeiten aus rationalen o<strong>de</strong>r emotionalen Motiven, ohne Begründung, abzulehnen und auch zu<br />
verhin<strong>de</strong>rn (z.B. Abtreibung, Gentechnik). Dies mit moralischen Grün<strong>de</strong>n zu rechtfertigen ist aber unzulässig und selbst unmoralisch, weil<br />
niemand über das vollkommene Wissen verfügt. Moral darf nicht Ersatz sein für fehlen<strong>de</strong> rationale Argumente. Es darf auch nicht vergessen<br />
wer<strong>de</strong>n, dass Moral ausschließlich aus <strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>s Einzelnen erwächst, also Entscheidungs- und Handlungsfreiheit voraussetzt.<br />
Regeln und Normen <strong>de</strong>r Ethik und Moral sind folglich ein Wi<strong>de</strong>rspruch in sich und <strong>de</strong>generieren leicht zu einem formalen Moralismus, an<br />
<strong>de</strong>ssen Prinzipien die Moralisten oft genug selbst scheitern. Moral ist nicht selten Tarnung und Rechtfertigung für eine intolerante, autoritäre<br />
Geisteshaltung, weshalb Handlungsweisen <strong>de</strong>r Mitmenschen gerne auf die ethisch-moralische Ebene gehievt wer<strong>de</strong>n, um sie anklagen und<br />
verurteilen zu können. Erzwungene, o<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>m Deckmantel von I<strong>de</strong>ologien o<strong>de</strong>r Heilslehren erschlichene Moral (wie auch political<br />
correctness) ist so flüchtig wie Nebel und daher sinn- und wertlos. Gesellschaftliche Lebensformen erfor<strong>de</strong>rn vernünftige Konventionen,<br />
Regeln und auch Rituale - aber we<strong>de</strong>r Ethik noch Moral. Die Regeln sind in <strong>de</strong>mokratischen Prozessen auf <strong>de</strong>r Basis freien Willens, ohne<br />
Pseudolegitimierung, zu bestimmen. Ethik ist das Eingeständnis menschlicher Unvernunft, die, ebenso wie die Vernunft, <strong>de</strong>r Fähigkeit zu<br />
vorausschauen<strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>ln entspringt. Vernunft zeigt sich grundsätzlich aposteriori aus <strong>de</strong>m Ergebnis von Handlungen. Erst die<br />
Wie<strong>de</strong>rholbarkeit <strong>de</strong>r Handlungen ermöglicht die Anwendung von Vernunft als Erfahrung apriori zur Handlung. Der technologische Fortschritt<br />
und die kulturelle Evolution beruhen vornehmlich auf <strong>de</strong>r Treulosigkeit <strong>de</strong>r Menschheit gegenüber ihren ethischen Prinzipien. Auch die Natur<br />
und die Evolution scheren sich nicht um Moral und Ethos.<br />
Die klassische Ansicht <strong>de</strong>s Menschen über <strong>de</strong>n Menschen führt zur unbegrün<strong>de</strong>ten Selbstüberhöhung als "Krone <strong>de</strong>r Schöpfung" und zur<br />
Selbstüberschätzung - <strong>de</strong>m Lieblingsirrtum <strong>de</strong>r Menschheit. Die unmittelbare Folge davon ist i<strong>de</strong>ologischer o<strong>de</strong>r religiöser Fanatismus und die<br />
gewaltsame Durchsetzung von Dogmen, da man von einer "höheren Autorität" beseelt ist, die dazu berechtigt und sogar dazu verpflichtet, die<br />
Mitmenschen um ihrer selbst willen zu "retten" o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>stens zu "überzeugen" und Gegner zu töten: <strong>de</strong>r Ohnmächtige o<strong>de</strong>r Machtlose<br />
bastelt sich so aus <strong>de</strong>m Nichts ein wirksames Machtinstrument mitsamt <strong>de</strong>r moralischen Selbstrechtfertigung. Die Wertigkeit <strong>de</strong>s Menschen
aber liegt ausschließlich in seiner Einmaligkeit als Individuum und in seiner Be<strong>de</strong>utung für sein soziales Umfeld. Somit kann einerseits je<strong>de</strong>r<br />
Mensch über die Wertigkeit seines Lebens wie auch über die freiwillige Beendigung <strong>de</strong>sselben selbst entschei<strong>de</strong>n und niemand hat das Recht<br />
an<strong>de</strong>re Menschen zu töten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren Tötung zu veranlassen; an<strong>de</strong>rerseits besitzt niemand einen universellen Anspruch auf sein Leben.<br />
Ebenso gibt es keinen natürlichen Anspruch auf <strong>de</strong>n Besitz eines bestimmten Fleckchens dieses Planeten. Es ist eine stillschweigen<strong>de</strong> und<br />
sinnvolle Abmachung unter <strong>de</strong>n Völkern, <strong>de</strong>n Nachbarn nicht die Lebensgrundlagen wegzunehmen; trotz<strong>de</strong>m hat niemand das Recht,<br />
unerwünschte Eindringlinge zu töten, auch nicht in Notwehr zur Rettung von Menschenleben! Es ist zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen einem apriori<br />
Recht und <strong>de</strong>r aposteriori Toleranz einer Handlung, eben wenn in Folge von Notwehr ein Mensch getötet wur<strong>de</strong>.<br />
Fragen an die Gegner <strong>de</strong>r Selbsttötung bzw. <strong>de</strong>r aktiven Sterbehilfe: warum dürfen Menschen täglich potenziellen Selbstmord begehen, in<strong>de</strong>m<br />
sie sich in ein Auto, auf ein Motorrad o<strong>de</strong>r in ein Flugzeug setzen? Ist das Verhalten mancher Verkehrsteilnehmer o<strong>de</strong>r Extremsportler nicht<br />
gleichwertig mit Selbstmord o<strong>de</strong>r aktiver Sterbehilfe? Ist es nicht sehr häufig das Verhalten <strong>de</strong>r lieben Mitmenschen, das Menschen in <strong>de</strong>n<br />
Selbstmord treibt, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>ren Leben unerträglich machen? Ist <strong>de</strong>r Tod nicht ohnehin unausweichlich, so dass es in Wirklichkeit nur um die<br />
Bestimmung von <strong>de</strong>ssen Zeitpunkt geht? Kann man Entscheidungen, die nicht im Zustand <strong>de</strong>r Vernunft getroffen wer<strong>de</strong>n, mit Argumenten <strong>de</strong>r<br />
Vernunft bewerten?<br />
Ebenso wie <strong>de</strong>r Mensch ist die Natur ein Produkt <strong>de</strong>r Evolution. Ihre Erhaltung ist lebensnotwendig für die Menschheit, sie ist aber kein<br />
Eigenwert o<strong>de</strong>r Wert höherer Ordnung. Das be<strong>de</strong>utet, dass <strong>de</strong>r Mensch alle seine Fähigkeiten zur Nutzung und zur Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Natur -<br />
das menschliche Leben eingeschlossen - anwen<strong>de</strong>n darf. Die Grenzen hierzu liegen in <strong>de</strong>r Unkenntnis und <strong>de</strong>m Unwissen über die Folgen<br />
seines Tuns sowie in einer ungerechten Ausbeutung <strong>de</strong>r begrenzten, natürlichen Ressourcen auf Kosten <strong>de</strong>r Mitmenschen und <strong>de</strong>r<br />
Nachkommen und in <strong>de</strong>r Zerstörung unwie<strong>de</strong>rbringlicher Schätze <strong>de</strong>r Natur. Diese Grenzen sind von <strong>de</strong>r Menschheit selbst zu bestimmen und<br />
zu vereinbaren. Es muss vielleicht daran erinnert wer<strong>de</strong>n, dass auch die Menschheit und alle ihre Produkte (apriori) und ihre Fehler<br />
(aposteriori!) <strong>de</strong>r natürlichen Selektion unterliegen und dass nur Überlebenschancen hat, was langfristig im Einklang (Kompatibilität) mit <strong>de</strong>r<br />
übermächtigen Natur steht. Das Tun <strong>de</strong>s Menschen - Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, inklusive Gentechnik - und <strong>de</strong>ssen Ergebnis ist<br />
selbst Teil <strong>de</strong>r Evolution, wobei <strong>de</strong>r Mensch die natürliche Evolution zwar manipulieren, nicht aber verhin<strong>de</strong>rn kann.<br />
In <strong>de</strong>r Diskussion um die Ethik <strong>de</strong>r Gentechnik ist eine wesentliche Frage zu stellen: wer ist von wessen Entscheidungen o<strong>de</strong>r Handlungen in<br />
welcher Weise betroffen? Charakteristisch für die Humangenetik ist, dass alle, die zur Zeit darüber diskutieren, selbst nicht mehr betroffen sind<br />
und die eigentlich Betroffenen noch gar nicht leben! Mangeln<strong>de</strong> Kompetenz und Information, emotionale Empfindlichkeiten, traditionelle und<br />
i<strong>de</strong>ologische Vorurteile und oberflächliches Denken, wie auch reißerisch aufgemachte, stark verkürzen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r fachlich falsche Medienberichte<br />
führen zu irrationalen Meinungen, diffusen Ängsten und missionarischem Eifer. Zu kritisieren ist <strong>de</strong>r Absolutheitsanspruch vieler Kritiker und<br />
Gegner, wie auch die unsinnigen Projektionen mancher Protagonisten, mitunter vor <strong>de</strong>m Hintergrund kommerzieller Interessen. Der Mensch in<br />
<strong>de</strong>r heutigen Form ist nicht das Maß aller Dinge, son<strong>de</strong>rn ein Schnappschuss <strong>de</strong>r Evolution mit ungewisser Zukunft, ausgeliefert <strong>de</strong>m<br />
kosmischen Geschehen - ebenso wie <strong>de</strong>n vielen unsichtbaren o<strong>de</strong>r unerkannten Risiken seiner eigenen Aktivitäten. Erstmals in <strong>de</strong>r<br />
Menschheitsgeschichte zwar kann <strong>de</strong>r Mensch die Konstruktion <strong>de</strong>s Menschen (geringstfügig) manipulieren, aber auch die gentechnisch<br />
hervorgebrachten Varianten wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r Molekularbiologie und <strong>de</strong>r Selektion unterliegen. Das Design <strong>de</strong>s Menschen wird die<br />
Gentechnik nicht verän<strong>de</strong>rn können, weil sie die Eigenschaften <strong>de</strong>r essenziellen Substanzen nicht verän<strong>de</strong>rn kann. Sie wird die heute<br />
bekannten Krankheiten beseitigen bzw. verhin<strong>de</strong>rn, aber wegen <strong>de</strong>r immensen Kompliziertheit <strong>de</strong>s Organismus auch neue, noch unbekannte<br />
Störungen hervorrufen. Daran knüpft sich die Frage <strong>de</strong>r Haftung, wenn die hohen Erwartungen an die gentechnischen Eingriffe nicht erfüllt<br />
wer<strong>de</strong>n. Die ethischen Argumente wer<strong>de</strong>n dann schnell <strong>de</strong>n juristischen Platz machen. Nicht zuletzt ist die Diskussion selbst ein evolutionärer,<br />
dialektischer Prozess mit Variation und Selektion von Argumenten - Thesen und Antithesen - und mit offenem Ausgang!<br />
Der Übergang <strong>de</strong>s Urmenschen zu einer sozialen Lebensform in Gruppen, in Verbindung mit <strong>de</strong>r Evolution <strong>de</strong>r Sprache, <strong>de</strong>m allmählichen<br />
Übergang von einfachen zu strukturierten, abstrakten Signalen, dürfte <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Auslöser für die Evolution zum Homo sapiens<br />
sapiens gewesen sein. Die Koevolution <strong>de</strong>r Hör- und Sprechorgane zu feinerer Differenzierung führte zu einer Potenzierung <strong>de</strong>r Menge<br />
empfangener Sinnesdaten und in Folge davon notwendig zur Selektion größerer Gehirnvolumina. Sprache ermöglichte dann die Darstellung<br />
zeitlicher, räumlicher und gegenständlicher Relationen, die <strong>de</strong>r unmittelbaren Wahrnehmung verschlossen sind. So mußte es zu einer<br />
Explosion <strong>de</strong>r Erkenntnisfähigkeit und <strong>de</strong>r Intelligenz kommen. Die Gruppe konnte nun mittels Kommunikation von <strong>de</strong>n erweiterten<br />
Möglichkeiten gemeinschaftlichen Han<strong>de</strong>lns und von <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>en einzelner Erfin<strong>de</strong>r profitieren - wie auch heute noch. Positive Rückkopplungen<br />
im Verlauf <strong>de</strong>r Evolution, wie Wachstum und Gebrauch <strong>de</strong>s Gehirns, dürften die Entwicklung durch Steigerung <strong>de</strong>r Fitness verstärkt haben.<br />
Positive Rückkopplungen führen aber nicht immer zu höheren Zielen, son<strong>de</strong>rn en<strong>de</strong>n oftmals im Chaos. Deshalb sind Spekulationen über die<br />
künftige Entwicklung <strong>de</strong>s Lebens auf <strong>de</strong>r Grundlage linearer Extrapolation höchst fragwürdig.<br />
Seit <strong>de</strong>r Erfindung <strong>de</strong>r Schrift vor mehr als 7000 Jahren (z.B. Vinca-Kultur an <strong>de</strong>r Donau bei Belgrad) wird Information unverän<strong>de</strong>rbar<br />
konserviert. In <strong>de</strong>n letzten Jahrhun<strong>de</strong>rten und Jahrzehnten hat das Ausmaß <strong>de</strong>r Konservierung durch die Erfindung <strong>de</strong>s Buchdrucks und durch<br />
die mo<strong>de</strong>rnen Technologien, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r elektronischen Medien, drastisch zugenommen. Einerseits hat die Konservierung <strong>de</strong>r Information<br />
zur Kumulation von Wissen und dadurch zu einem rasanten kulturellen Innovationsschub geführt, an<strong>de</strong>rerseits ist Konservierung aber ein<br />
Gegensatz zur Evolution als einer Form von Verän<strong>de</strong>rung. Die kulturelle Evolution <strong>de</strong>r Menschheit o<strong>de</strong>r einzelner Völker kann also durch <strong>de</strong>n<br />
Ballast ihres eigenen Fortschritts behin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, wenn kulturelle Än<strong>de</strong>rungen existenziell notwendig wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m soziale o<strong>de</strong>r<br />
ökologische Spannungen sich aufstauen o<strong>de</strong>r Irrtümer erkannt wer<strong>de</strong>n. Bezeichnend dafür ist, dass Zerstörungen oftmals zu Reformen und<br />
Verän<strong>de</strong>rungen führen, bzw. notwendige Reformen erst durch zerstörerische Aktionen herbeigeführt wer<strong>de</strong>n können. Der ewige Kampf um<br />
Jerusalem, <strong>de</strong>ssen Motivation überwiegend in <strong>de</strong>n alten religiösen Schriften fixiert ist, ist symbolisch auch ein Kampf gegen die Evolution <strong>de</strong>s<br />
Intellekts.<br />
Es gibt keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Evolution stattgefun<strong>de</strong>n hat und unaufhörlich weiter stattfin<strong>de</strong>t, auch wenn viele Fragen noch<br />
offen sind. Sie ist allgegenwärtig und beobachtbar. Man muss sie so wenig beweisen, so wenig wie man das Wetter beweisen muss. Mutation<br />
und Selektion allein sind allerdings nicht ausreichend die Evolution zu erklären. Sie ist ein Zusammenspiel von individueller und<br />
kollektiver Verän<strong>de</strong>rung: die individuelle, selektive Substitution erscheint als kollektive Evolution, wenn sie sich im Verlauf von Generationen<br />
gegenüber <strong>de</strong>n konventionellen Individuen durchsetzen kann. Es ist zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>r populären Betrachtungsweise <strong>de</strong>r<br />
Evolution als Abfolge historischer, nicht wie<strong>de</strong>rholbarer, nur lückenhaft erkennbarer Ereignisse und <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Betrachtungsweise<br />
als Menge gesetzmäßiger Relationen eines Organismus in sich selbst und zu seiner Umwelt. Es ist eine ebenso triviale, wie unumstößliche<br />
Tatsache, dass man auf einem Boot im Ozean eine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Meeresspiegels nicht ohne Hilfsmittel erkennen kann. Ebenso schwierig<br />
ist es, die biotische Evolution allein in <strong>de</strong>r Gegenwart zu erkennen. Wer sie aber erkennen will, fin<strong>de</strong>t genügend Hinweise und Bestätigungen.<br />
Wer sie aus religiösen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n nicht erkennen will, wird sich auch von wissenschaftlichen Argumenten nicht überzeugen lassen.<br />
Es sind große, innere Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> zu überwin<strong>de</strong>n, um die anerzogenen Überzeugungen fallen zu lassen, weil sie Bestandteil <strong>de</strong>r persönlichen<br />
Integrität und I<strong>de</strong>ntität sind. Die Gegner <strong>de</strong>r Evolutionstheorie sind aber aufgefor<strong>de</strong>rt, (echte!) Wi<strong>de</strong>rsprüche zu <strong>de</strong>n bewährten Erkenntnissen<br />
o<strong>de</strong>r aber "bessere" Alternativen aufzuzeigen und zu begrün<strong>de</strong>n.<br />
Theorien und Hypothesen können richtig o<strong>de</strong>r falsch, fruchtbar o<strong>de</strong>r schädlich sein. Letzteres bezieht sich aber nicht auf die Theorie selbst,<br />
son<strong>de</strong>rn nur auf ihre Anwendung. Richtige Theorien können zu schädlichen Anwendungen führen, wie die Atombombe auf Grund <strong>de</strong>r<br />
Atomtheorie, wie auch umgekehrt. Es wäre aber unvernünftig, eine falsche Theorie beizubehalten, nur weil sie einmal nützlich gewesen ist, wie<br />
es genauso unvernünftig wäre, eine richtige Theorie abzulehnen, weil eine ihrer Anwendungen schädlich ist. Bei<strong>de</strong>s kann aber jeweils erst<br />
aposteriori erkannt wer<strong>de</strong>n! Man wird <strong>de</strong>shalb eine Theorie solange als richtig anerkennen, wie die darauf begrün<strong>de</strong>ten Anwendungen nützlich<br />
sind, und sie nicht durch Wi<strong>de</strong>rsprüche zu <strong>de</strong>n bewährten o<strong>de</strong>r zu neuen Erkenntnissen wi<strong>de</strong>rlegt (falsifiziert) ist. Dann wird man sie
modifizieren o<strong>de</strong>r aufgeben. Unter vernünftigen Menschen wer<strong>de</strong>n falsche Theorien also notwendig ihr En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n ("aussterben") - o<strong>de</strong>r die<br />
Menschheit wird ihr vorzeitiges En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n. So ist es meist mit <strong>de</strong>n pararationalen (psychischen und sozialen) Eigenheiten <strong>de</strong>r Menschen zu<br />
begrün<strong>de</strong>n, wenn Wi<strong>de</strong>rsprüche in falschen Theorien durch "logische Retuschen" ausgeräumt wer<strong>de</strong>n sollen. Ähnlich verhält es sich mit <strong>de</strong>r<br />
Behauptung, Wissenschaft sei nur eine an<strong>de</strong>re Form von Glaubenslehre. Solche Versuche sind die typischen Mechanismen in I<strong>de</strong>ologien und<br />
Religionen mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Selbsterhaltung und <strong>de</strong>m Resultat ihres plötzlichen Zusammenbruchs o<strong>de</strong>r ihrer allmählichen Selbstentfremdung.<br />
Das Ziel <strong>de</strong>r forschen<strong>de</strong>n Wissenschaft ist die Erkenntnis <strong>de</strong>r Lebenswelt, ihre Formulierung als Aussagensysteme und die Übereinstimmung<br />
von darauf begrün<strong>de</strong>ten Vorstellungen und Ableitungen mit Beobachtung und Erfahrung - notwendig ein evolutionärer Prozess. Sie ist nicht<br />
apriori verantwortlich für Anwendungen <strong>de</strong>s Wissens zum Scha<strong>de</strong>n von Menschen und Natur. Ihre Einschränkung o<strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung ist keine<br />
Lösung für die Übel in <strong>de</strong>r Welt.<br />
Leben ist Evolution an sich. Es bietet noch viel Unbekanntes, aber es birgt keine metaphysischen Geheimnisse. Das eigentliche Geheimnis<br />
<strong>de</strong>s Lebens ist die hohe Diversität von Substanzen auf kleinstem Raum und ihre geordnete Wechselwirkung. Die oberflächliche, äußerlich<br />
erkennbare Vielfalt von Fauna und Flora (Biodiversität) täuscht über die tiefe Einheitlichkeit <strong>de</strong>r Lebensformen, die bis heute aus ihren<br />
gemeinsamen Wurzeln geblieben ist und die erst allmählich in Folge <strong>de</strong>r Forschung zur Genetik erkannt wird. Es gibt zwar <strong>de</strong>utliche, aber<br />
keine grundsätzlichen Unterschie<strong>de</strong> zwischen Tier und Mensch. Man vergleiche hier auch die Grausamkeiten <strong>de</strong>r Tierwelt mit <strong>de</strong>n<br />
Grausamkeiten <strong>de</strong>r Menschheit! Das teleologische und rational-technologische Denken <strong>de</strong>s Menschen hat ihn schon zu vielen Irrtümern<br />
verleitet und hat die Evolution zur Überlebenskunst <strong>de</strong>r Überleben<strong>de</strong>n reduziert. Be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Philosophen wie Karl Popper (1902-1994) haben<br />
<strong>de</strong>shalb mit Scharfsinn und mit Recht <strong>de</strong>n Vorwurf <strong>de</strong>r Tautologie in <strong>de</strong>r Evolutionstheorie erhoben. Solche Vorwürfe treffen aber nicht die<br />
Evolutionstheorie an sich, son<strong>de</strong>rn nur ihre ungeschickte, manchmal reißerische Formulierung und ihr naives Verständnis, so wie sie von <strong>de</strong>n<br />
öffentlichen Medien verbreitet wird.<br />
Die bemerkenswerte Homogenität <strong>de</strong>r Spezies Mensch (Einheitlichkeit <strong>de</strong>r biologischen Form) <strong>de</strong>utet sowohl auf eine kurze<br />
Entwicklungsgeschichte als auch auf eine späte Verbreitung über die Erdteile hin. Die Erfindungen von Esel bzw. Pferd und Boot als<br />
Verkehrsmittel haben zwar die schnelle Verbreitung, aber auch eine dauern<strong>de</strong> Isolation einzelner Populationen verhin<strong>de</strong>rt und haben im<br />
Gegenteil die Vermischung von Völkern und <strong>de</strong>n Austausch <strong>de</strong>s Genoms geför<strong>de</strong>rt. Die beschränkte Sicht auf <strong>de</strong>n gegenwärtigen Stand <strong>de</strong>r<br />
Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen führt zu einem falschen Bild <strong>de</strong>r Evolution, in<strong>de</strong>m sie scheinbar ein genormtes Exemplar <strong>de</strong>s Menschen<br />
hervorgebracht hat. Dadurch entsteht ein falsches Selbstverständnis, das wie<strong>de</strong>rum zu manchen psychosozialen, soziologischen und<br />
ethischen Fehlschlüssen geführt hat: Abweichungen von <strong>de</strong>r selbst<strong>de</strong>finierten Norm haben als Vorwand gedient für Rassismus,<br />
Psychiatriemissbrauch, Eugenik, Euthanasie.<br />
Die Gemeinsamkeiten aller Lebensformen bil<strong>de</strong>n auch die Quelle für die von <strong>de</strong>n Wissenschaften etwas vernachlässigte Naturheilkun<strong>de</strong>. Erst<br />
über die heutige Genforschung wer<strong>de</strong>n gemeinsame Gene und damit Substanzen (Nukleinsäuren, Proteine u.v.a.) bekannt, die in gleichartiger<br />
o<strong>de</strong>r ähnlicher Form in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Lebensformen Pflanzen, Tiere und Mensch vorkommen und ihre Wirkungen entfalten. Winzige,<br />
kaum nachweisbare Mengen o<strong>de</strong>r Konzentrationen können genügen, um physiologische und neurologische Prozesse zu beeinflussen.<br />
Deshalb und wegen <strong>de</strong>r Vielzahl <strong>de</strong>r Substanzen mit ihren Kombinationsmöglichkeiten ist ihre Analyse sowie eine Prognose ihrer Wirkungen<br />
äußerst schwierig. In banaler Form beginnt die Naturheilkun<strong>de</strong> bereits bei <strong>de</strong>n Nahrungs- und Genussmitteln. Weitere einfache Beispiele sind<br />
die Vitamine, sowie stimulieren<strong>de</strong> und berauschen<strong>de</strong>, aber auch manche toxische Substanzen. So nimmt es nicht wun<strong>de</strong>r, dass die<br />
therapeutischen und präventiven Wirkungen mancher Pflanzen als Wirkstoffträger durch Jahrtausen<strong>de</strong> währen<strong>de</strong> Erfahrung erschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n konnten. Je<strong>de</strong>s Gere<strong>de</strong> von Mystik und Geheimlehren dient dagegen nur <strong>de</strong>r kommerziellen Aufwertung.<br />
Auch wenn die Evolution eines Tages in ihrem historischen Ablauf und ihrer Notwendigkeit vollständig durch Naturgesetze und durch<br />
Naturereignisse erklärbar sein wird, so wird doch immer noch eine Letztbegründung für die Naturgesetze selbst fehlen. Hier bleibt noch<br />
Freiraum für metaphysische und religiöse Erklärungen insofern, als nicht die existenten Dinge dieser Welt mit ihren Eigenschaften und ihrer<br />
Historie, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r unerkennbare Urgrund allen Seins und die Naturgesetze als Mechanismen <strong>de</strong>r Welt auf einen Schöpfer bezogen wer<strong>de</strong>n<br />
können. Während die Gültigkeit <strong>de</strong>r Naturgesetze vielfach bestätigt ist, sind für die Existenz eines suprakosmischen Schöpfers keine rationalen<br />
Indizien zu erkennen. Insbeson<strong>de</strong>re gibt es keine Notwendigkeit für die Existenz eines Schöpfers, wenn ausreichend begrün<strong>de</strong>t und gezeigt<br />
wird, dass Leben auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> auf natürliche, also auf chemische Weise entstan<strong>de</strong>n sein kann. Die Existenz eines Wesens, das we<strong>de</strong>r<br />
erkennbar noch notwendig ist, wird damit irrelevant, d.h. es ist ohne Auswirkungen, ob es existiert o<strong>de</strong>r nicht; ein Beweis für die Nichtexistenz -<br />
genauer für die Unmöglichkeit <strong>de</strong>r Existenz - wird obsolet.<br />
Darwin war nicht <strong>de</strong>r Einzige, aber <strong>de</strong>r Erste, <strong>de</strong>r das traditionelle Menschenbild mit seiner Erklärung <strong>de</strong>r Herkunft und <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s<br />
Lebens und speziell <strong>de</strong>s Menschen selbst unmissverständlich und öffentlich zerstört hat (Descent of Man, 1871). Er hat - nach längerem<br />
Hinauszögern <strong>de</strong>r Veröffentlichung - damit die religiösen Fundamente untergraben und mußte notwendig zum Feindbild aller Theologen und<br />
mancher I<strong>de</strong>ologen wer<strong>de</strong>n. So ist <strong>de</strong>r erbitterte und anhalten<strong>de</strong> Kampf gegen <strong>de</strong>n Darwinismus zu verstehen. Für die Wissenschaft gehört<br />
Darwin zur Historie, weil die gegenwärtige Evolutionsbiologie weit über ihn hinausgewachsen ist. Beson<strong>de</strong>rs ist zu betonen, dass die<br />
Evolutionstheorie ein fortlaufen<strong>de</strong>s Forschungsprojekt darstellt, das auf <strong>de</strong>r Interpretation von Darwins Werk grün<strong>de</strong>t, aber offen ist für künftige<br />
Erkenntnisse, im Gegensatz zu I<strong>de</strong>ologien und Religionen.<br />
Viele Naturereignisse, wie die nach menschlichem Ermessen oft sehr grausamen und sinnlosen Tötungen in <strong>de</strong>r Tierwelt (von <strong>de</strong>r<br />
Menschenwelt ist besser zu schweigen), wecken erhebliche Zweifel an <strong>de</strong>r Weisheit eines Schöpfergottes o<strong>de</strong>r eines Weltgeistes, wie<br />
gleichermaßen an einer Zweckmäßigkeit, einem höheren Plan o<strong>de</strong>r einem geheimen Ziel <strong>de</strong>r Natur. Alle Rechtfertigungsversuche dafür, die<br />
sogenannte Theodizee, sind spekulativ, retrospektiv und in sich wi<strong>de</strong>rsprüchlich. Sie erklären nicht die Beobachtungen, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>ren<br />
vorgefaßte, willkürliche Interpretationen aus vorwissenschaftlicher Zeit: <strong>de</strong>r traditionalistische Fehlschluss.<br />
Es ist grundsätzlich nicht entscheidbar, ob Leben zufällig o<strong>de</strong>r notwendig entstan<strong>de</strong>n ist. Wäre es notwendig entstan<strong>de</strong>n, dann müsste als<br />
Konsequenz alle Biomasse sich zu Leben entwickeln, was offensichtlich nicht zutreffend ist. Wäre es nur <strong>de</strong>m (faktischen) Zufall ausgeliefert,<br />
dann wäre die erreichte Komplexität und Ubiquität (Allgegenwart) praktisch unmöglich. Vielmehr ist anzunehmen, dass bei einer Kombination<br />
<strong>de</strong>finierbarer Bedingungen einfaches Leben in Form organischer Molekülcluster notwendig entstan<strong>de</strong>n ist und dass die Wahrscheinlichkeit <strong>de</strong>r<br />
wenigen notwendigen Entstehungsbedingungen in <strong>de</strong>r Frühperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erdgeschichte - und nur in jener Perio<strong>de</strong> - sehr hoch gewesen ist. Die<br />
Entstehung von Leben auch in <strong>de</strong>r heutigen Zeit kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n, dürfte aber viel weniger wahrscheinlich sein<br />
als in <strong>de</strong>r bro<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Ursuppe. Die Evolution dagegen ist die unausweichliche Konsequenz <strong>de</strong>r physikalischen, chemischen und biologischen<br />
Gesetzmäßigkeiten. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite genügt ein einziges, je<strong>de</strong>rzeit mögliches Ereignis kosmischen Ausmaßes, um je<strong>de</strong>s Leben auf <strong>de</strong>r<br />
Er<strong>de</strong> für immer auszulöschen. Allein schon diese Tatsache zeigt die Unhaltbarkeit vieler religiöser und pseudophilosophischer Behauptungen.<br />
Häufig wird argumentiert, dass die Evolution <strong>de</strong>n Menschen seines Lebenssinnes beraubt, weil sie keinen Sinn offenbart. Tatsächlich hat das<br />
Leben an sich keinen Sinn - außer <strong>de</strong>n einen, darüber nachzu<strong>de</strong>nken. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s kurzen Lebens, <strong>de</strong>m sich bis dato niemand entziehen<br />
kann, bleibt vom Leben an sich nichts übrig. Die jämmerlichen Umstän<strong>de</strong>, unter <strong>de</strong>nen manche Menschen leben und sterben müssen, wie<br />
auch <strong>de</strong>r leichtfertige Umgang mit Menschenleben, sprechen eine eigene Sprache. Hätte das Leben einen metaphysischen Sinn - dürfte <strong>de</strong>r<br />
Mensch dann so achtlos damit umgehen? Dürfte er sich dann in ein Auto o<strong>de</strong>r in ein Flugzeug setzen und sein Leben damit gefähr<strong>de</strong>n? Dürfte<br />
er dann überhaupt über sein Leben selbst bestimmen? Dürfte er dann soviel Intelligenz haben zur Manipulation dieses Lebens? Folglich kann<br />
man <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Lebens nicht suchen o<strong>de</strong>r analysieren, son<strong>de</strong>rn man muss ihn konstruieren. Die vergebliche Suche danach führt notwendig<br />
zu Enttäuschungen, zu Orientierungslosigkeit und zu Anfälligkeit für abstruse Heilslehren, für mysteriöse "Weisheiten" o<strong>de</strong>r "Geheimnisse" -
evorzugt aus Fernost o<strong>de</strong>r vergangenen Kulturen - o<strong>de</strong>r für kommerzielle Sinnkonserven als sogenannte Ratgeber, weil für <strong>de</strong>n seines<br />
Daseins bewussten Menschen ein Leben ohne Sinn unvorstellbar und unerträglich ist (das ist eine <strong>de</strong>r interessantesten Fragen <strong>de</strong>r Philosophie<br />
und Arbeitgeber <strong>de</strong>r Psychiatrie). Gera<strong>de</strong> die Evolution aber hat <strong>de</strong>m Menschen die Möglichkeit und mit <strong>de</strong>m Bewusstsein die Fähigkeit<br />
gegeben, selbst seinem Leben einen Sinn und einen Wert zu geben - vorausgesetzt er wird sich <strong>de</strong>ssen bewusst. Das ist ein ungeheures<br />
Geschenk <strong>de</strong>r Evolution, das die meisten Menschen bis heute nicht zu schätzen wissen. Der sogenannte Sinn <strong>de</strong>s Lebens liegt in <strong>de</strong>ssen<br />
Bewältigung. Mein persönlicher Kandidat hierfür ist simple Lebensfreu<strong>de</strong>, die sowohl physische, als auch psychische und intellektuelle<br />
Komponenten umfasst und aus <strong>de</strong>m Lebensinhalt, d.h. <strong>de</strong>r Summe <strong>de</strong>r Tätigkeiten, Beziehungen, Erlebnisse, gespeist wird. Dabei ist zu<br />
be<strong>de</strong>nken, dass Lebensfreu<strong>de</strong> auch durch die Teilnahme und die Teilhabe an <strong>de</strong>r Lebensfreu<strong>de</strong> von Mitmenschen geschaffen wird. Auch ist zu<br />
be<strong>de</strong>nken, dass es beson<strong>de</strong>rs die intellektuellen und die kreativen Fähigkeiten sind, die das Sinn geben<strong>de</strong> Lebenswerk eines Individuums<br />
ausmachen, beson<strong>de</strong>rs wenn es seinen Tod überdauert, und ihn zu <strong>de</strong>m faszinieren<strong>de</strong>n Geschöpf <strong>de</strong>r Evolution, <strong>de</strong>n Menschen, machen.<br />
Zum intellektuellen Leben gehört ganz beson<strong>de</strong>rs die Forschung im weiteren Sinne. Ohne die forschen<strong>de</strong>n Aktivitäten wäre <strong>de</strong>r Mensch kein<br />
Mensch, son<strong>de</strong>rn eben auch nur eine Kreatur, die über Jahrmillionen auf <strong>de</strong>r Stelle tritt und irgendwann zum Aussterben verurteilt ist. Ohne<br />
Forschung, die Jagd nach Erkenntnissen, wür<strong>de</strong>n die intellektuellen Fähigkeiten, auf <strong>de</strong>r biologischen Grundlage <strong>de</strong>r kognitiven Fähigkeiten,<br />
wie<strong>de</strong>r verkümmern - o<strong>de</strong>r sie wären erst gar nicht entstan<strong>de</strong>n. Forschung ist allem Anschein nach ein kognitives Bedürfnis: ich forsche, also<br />
bin ich. Sie ist wie Sprache daher ein fundamentales Menschenrecht. Grenzen sind nur bei Forschungsexperimenten zu setzen, die i<strong>de</strong>elle<br />
o<strong>de</strong>r materielle Schä<strong>de</strong>n verursachen. Ob und welche Ergebnisse die Forschung erbringt ist von untergeordneter Be<strong>de</strong>utung. Die öffentlichen<br />
Diskussionen um <strong>de</strong>n Sinn und <strong>de</strong>n Wert von Raumfahrt, Beschleunigern für die Quantenphysik und <strong>de</strong>rgleichen sind <strong>de</strong>shalb ein wenig<br />
sinnvolles Dauerthema. Kein einziges Problem <strong>de</strong>r Welt wür<strong>de</strong> dauerhaft gelöst durch <strong>de</strong>n Verzicht auf Forschung, selbst wenn sie viel Geld<br />
kostet. Letzteres wür<strong>de</strong> auch für weit unsinnigere Dinge ausgegeben.<br />
Im übrigen ist <strong>de</strong>r Ausdruck Lebensfreu<strong>de</strong> ebenso wie Sinn <strong>de</strong>s Lebens selbst ohne Sinn, weil er einer Metasprache angehört, also nicht<br />
Wirklichkeiten, son<strong>de</strong>rn an<strong>de</strong>re Sprachausdrücke beschreibt. Es sind wie<strong>de</strong>rum aggregierte Begriffe, die <strong>de</strong>r Ökonomisierung <strong>de</strong>r Sprache<br />
dienen, im Verlauf <strong>de</strong>r kulturellen Evolution aber allmählich Eigenwerte angenommen haben. Damit stiften sie viel Verwirrung sowohl in <strong>de</strong>r<br />
Philosophie als auch im Alltagsleben.<br />
Der vor allem von <strong>de</strong>n Massenmedien verbreitete, in die Gesellschaft diffundieren<strong>de</strong> Ausdruck Lebensqualität ist <strong>de</strong>r Gipfel <strong>de</strong>s Unsinns. Er<br />
symbolisiert <strong>de</strong>n Drang <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Wohlstandsgesellschaft nach Beschönigung, Stilisierung und Inszenierung <strong>de</strong>s Selbstbil<strong>de</strong>s. Die<br />
Hintergrün<strong>de</strong> dafür liegen sicher in einem Geflecht von Konkurrenzen: <strong>de</strong>m in Kultur verhüllten, damit kompensierten und verdrängten "struggle<br />
for life". An <strong>de</strong>n Stellen, an <strong>de</strong>nen die dünne Hülle reißt in Folge von Zuneigungskonkurrenz, beispielsweise bei Eifersucht und bei<br />
Frem<strong>de</strong>nhass, treten die nackte Aggression und die archaische Gewalt wie<strong>de</strong>r ans Tageslicht.<br />
Die Menschheit muss endlich lernen, dass die Prinzipien, Ziele, Inhalte und Werte <strong>de</strong>s Lebens we<strong>de</strong>r von einem Gott o<strong>de</strong>r einer kosmischen<br />
Intelligenz, noch von <strong>de</strong>r Natur stammen, son<strong>de</strong>rn allein von ihr selbst geschaffen sind und weitervererbt wer<strong>de</strong>n und daher aber immer wie<strong>de</strong>r<br />
überprüft und erneuert wer<strong>de</strong>n müssen. Die Philosophie hat es bis heute nicht geschafft, <strong>de</strong>n Menschen dazu Hilfestellungen zu geben.<br />
Vielmehr hat sie sich durch metaphysisches Denken und pseudowissenschaftliches Gebaren an manchen Katastrophen <strong>de</strong>r Geschichte<br />
schuldig gemacht. Als Wissenschaft <strong>de</strong>s Nichtwissens, im Sinne <strong>de</strong>s glaubens, hoffens, <strong>de</strong>nkens, meinens, sollens hat die Philosophie ein<br />
überwältigen<strong>de</strong>s und für die Lebensinhalte <strong>de</strong>r Menschen überaus wichtiges Arbeitsgebiet.<br />
Die Kirchen, die ihre Existenz beson<strong>de</strong>rs auf <strong>de</strong>r Sinnfrage begrün<strong>de</strong>n und durch Verleugnung und Verdrängung von Alternativen sogar ein<br />
Monopol dafür beanspruchen, haben eben <strong>de</strong>swegen nicht nur die Wissenschaften und die Philosophie über viele Jahrhun<strong>de</strong>rte massiv<br />
behin<strong>de</strong>rt, sie pflegen noch heute falsche, unsinnige und schädliche Vorstellungen vom Menschsein und führen die Menschen damit in Krisen<br />
und Konflikte. Das "Wesen <strong>de</strong>r Religion" haben schon vor Darwin im 18.Jhdt. die Philosophen Voltaire (1694-1778), David Hume (1711-1776)<br />
und Immanuel Kant (1724-1804) und im 19.Jhdt. Ludwig Feuerbach (1804-1872) neben vielen an<strong>de</strong>ren erkannt und beschrieben. Die exklusive<br />
Vereinnahmung humanistischer und humanitärer I<strong>de</strong>ale durch die Kirchen und ihr Alleinvertretungsanspruch - nach Vernichtung unliebsamer<br />
Konkurrenz - ist nur aus <strong>de</strong>r historischen Entwicklung als unbegrün<strong>de</strong>te Schutzbehauptung zu erklären. Einerseits wur<strong>de</strong>n Menschen wegen<br />
ihres angeblich falschen Glaubens als Ketzer von <strong>de</strong>r Kirche getötet, an<strong>de</strong>rerseits wer<strong>de</strong>n Menschen, die angeblich wegen ihrer Treue zum<br />
Glauben getötet wur<strong>de</strong>n, von eben dieser Kirche noch heute als Märtyrer heilig gesprochen. Dadurch wird <strong>de</strong>r Wert <strong>de</strong>s Lebens - in völligem<br />
Wi<strong>de</strong>rspruch zur eigenen Lehre - zutiefst verachtet und <strong>de</strong>m nekrophilen Fanatismus und Fundamentalismus Vorschub geleistet. Es ist eine<br />
grandiose Lüge von Menschen gegenüber Menschen, dass eine gottlose Welt auch eine sinnlose Welt sei. Die eigene Unfähigkeit zu leben,<br />
wird, um sie erträglicher zu machen, auch <strong>de</strong>n Mitmenschen unterstellt.<br />
Die Menschheit braucht an Stelle <strong>de</strong>r Religionen eine lebenstaugliche Philosophie, um auf <strong>de</strong>m Fundament, aber über die Grenzen <strong>de</strong>s<br />
Wissens hinaus allgemeine Möglichkeiten, Bedingungen, Regeln und Grenzen <strong>de</strong>s Lebens aufzuzeigen. Es ist falsch und unnötig, die<br />
Religionen o<strong>de</strong>r Kirchen zu bekämpfen; es genügt, <strong>de</strong>n Menschen vernünftige Alternativen zu bieten. Damit wür<strong>de</strong>n ihnen die Möglichkeiten<br />
gegeben, ihre individuellen Lebensziele und geeignete Wege dahin selbst zu fin<strong>de</strong>n. Die Psychologie kann <strong>de</strong>n einzelnen Menschen dabei als<br />
i<strong>de</strong>ologiefreie Lebensberatung (wirklich!) behilflich sein. Die Schaffung und Vermittlung <strong>de</strong>s für die materielle Sicherung und die kulturelle<br />
Bereicherung <strong>de</strong>s Lebens sowie für die Einbindung <strong>de</strong>s Menschen in die Gesellschaft notwendigen und nützlichen Wissens ist Aufgabe <strong>de</strong>r<br />
nomothetischen, mitunter auch normativen Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften.<br />
Die Verabsolutierung, I<strong>de</strong>alisierung und Selbstbeschönigung <strong>de</strong>s menschlichen Lebens steht im krassen Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n Erfahrungen <strong>de</strong>r<br />
Menschheitsgeschichte. Seine Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit, dokumentiert in <strong>de</strong>n täglichen Nachrichtensendungen, offenbart <strong>de</strong>n<br />
Irrsinn <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s, das die Menschen sich selbst vom Leben machen und <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong>zu lächerlichen Eifer, mit <strong>de</strong>m sie diesem Bild gerecht zu<br />
wer<strong>de</strong>n versuchen. Das Selbstverständnis <strong>de</strong>s Menschen darf nicht auf <strong>de</strong>m i<strong>de</strong>alistischen, selbstgefälligen "Ebenbild Gottes" grün<strong>de</strong>n,<br />
son<strong>de</strong>rn muss in <strong>de</strong>m Bewusstsein als "Kreatur <strong>de</strong>r Evolution mit beson<strong>de</strong>ren Talenten" verankert sein. Dabei bil<strong>de</strong>n diese Talente eine<br />
eigene und einzigartige Qualität als Geist und Seele <strong>de</strong>s Menschen; eine Qualität, die naturwissenschaftlich erklärbar und begründbar ist, die<br />
aber nicht ausschließlich auf die Sprache <strong>de</strong>r Naturwissenschaft reduzierbar ist und die als Kultur im weiteren Sinne sichtbar wird. Die<br />
Naturwissenschaft selbst ist bereits eine kulturelle Leistung. Die Akzeptanz <strong>de</strong>r Evolutionstheorie ist unabdingbare Voraussetzung für<br />
eine wirklich humane Kultur <strong>de</strong>r Menschheit. Auch sie aber kann nicht die Garantie dafür liefern. Der größte Irrtum <strong>de</strong>r Menschheit liegt in<br />
<strong>de</strong>r Illusion, jemals das himmlische Paradies erreichen zu können. Ihr Streben sollte statt <strong>de</strong>ssen darauf gerichtet sein, die eigenen Teufeleien<br />
zu erkennen und zu vermei<strong>de</strong>n. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Verfügbarkeit <strong>de</strong>s Geistes das genetische Erbe <strong>de</strong>r Primaten<br />
unwirksam und überflüssig gemacht hätte. Unter an<strong>de</strong>ren Namen lebt vieles davon in <strong>de</strong>r Kultur fort.<br />
Es gibt viele Mittel, um Krankheiten zu kurieren und es gibt viele Mittel, um die Gesundheit zu för<strong>de</strong>rn; es gibt aber kein einziges Mittel, das<br />
Gesundheit garantieren kann. Ebenso gibt es viele Mittel, um Unmoral zu bekämpfen und es gibt kein einziges Mittel, das Moral garantieren<br />
kann. Genauso verhält es sich mit Begriffen wie Glück, Sicherheit, Erfolg, Gerechtigkeit, Humanität, Frie<strong>de</strong>n, Umweltschutz und manch an<strong>de</strong>re.<br />
Auf einem Zahlenstrahl dargestellt, entsprechen diese Begriffe <strong>de</strong>r Unendlichkeit, sind also nie erreichbar, während die Umkehrung <strong>de</strong>m<br />
Nullpunkt entspricht und oftmals als Scha<strong>de</strong>n quantifizierbar ist. Die Maxime <strong>de</strong>s Lebens muss also sein, einen gebühren<strong>de</strong>n Abstand zum<br />
Nullpunkt zu wahren, nicht aber die Ziele in <strong>de</strong>r Unendlichkeit anzustreben, weil sie nur mit absolutem Totalitarismus annähernd zu erreichen<br />
sind bzw. weil das Nichterreichen mit Enttäuschung, Resignation o<strong>de</strong>r Aggression verbun<strong>de</strong>n ist.<br />
Der vermeintlich transbiotische, unbegrenzte Geist <strong>de</strong>s Menschen sucht Ausflüchte, um seine biotischen Grundlagen und Grenzen und sein
eigenes unabwendbares En<strong>de</strong> nicht verstehen und nicht akzeptieren zu müssen; davon zeugen monumentale Grablegen. Seine Grenzen sind<br />
zwar offen, aber nicht beliebig, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>n Eigenschaften seines materiellen Substrats bestimmt. Der Geist, wenn er Geist sein will,<br />
manifestiert sich in <strong>de</strong>r Selbstbefreiung vom mittelalterlichen Mystizismus und Mythologismus wie auch vom neuzeitlichen, radikalen<br />
Szientismus bzw. Reduktionismus, Materialismus, Biologismus o<strong>de</strong>r Physikalismus in einem - nie en<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n - Prozess <strong>de</strong>s "anthropological<br />
rightsizing". Daraus ergibt sich die Gewissensfreiheit und die Handlungsfreiheit <strong>de</strong>s einzelnen Menschen zur Gestaltung seines realen Lebens<br />
und zur Gestaltung seiner Lebenswelt, aber auch Irrtumsmöglichkeit und Verantwortlichkeit für die Folgen seines Tuns. Verantwortlichkeit<br />
be<strong>de</strong>utet hier nicht Rechenschaft, son<strong>de</strong>rn präaktives Wirkungsbewusstsein und postaktives Ursachenbewusstsein. Die Verbesserung <strong>de</strong>r<br />
physischen und <strong>de</strong>r psychischen Lebensbedingungen, das Ausschöpfen kreativer Fähigkeiten und die För<strong>de</strong>rung sozialer Kontakte sind<br />
Beispiele für erstrebenswerte Lebensziele, wogegen Erweiterungs-, Erhöhungs- und Erleuchtungsphantasien von Seele, Geist und<br />
Bewusstsein o<strong>de</strong>r geheimnisvolle Lebensenergien und Lebenskräfte nur zirkuläre Sprachspiele o<strong>de</strong>r sprachliche Pirouetten sind.<br />
Es ist allein die Konstruktion <strong>de</strong>s Gehirns, einschließlich <strong>de</strong>r Sinnesorgane und <strong>de</strong>s Nervensystems, die rationale wie auch pararationale -<br />
intuitive, emotionale, sinnliche u.dgl. - Empfindungen und Erfahrungen möglich macht. Objektive Ursachen erfor<strong>de</strong>rn rationale<br />
Verhaltensweisen und subjektive Ziele und Vorstellungen sind Auslöser für pararationales Verhalten. Bei<strong>de</strong> Formen sind notwendig zur<br />
Bewältigung <strong>de</strong>s Lebens: Vernunft ist Voraussetzung zur Erhaltung <strong>de</strong>s Lebens (sofern die Erhaltung <strong>de</strong>s Lebens vernünftig ist), Emotionen<br />
sind die Triebkräfte zur Gestaltung <strong>de</strong>s Lebens. Es ist sogar festzustellen, dass die Natur ins<strong>gesamt</strong>, <strong>de</strong>r Mensch eingeschlossen, zwar nach<br />
Gesetzmäßigkeiten funktioniert, die <strong>de</strong>r Vernunft zugänglich sind, dass ihr Verlauf aber nicht ausschließlich <strong>de</strong>r Vernunft folgen kann, weil ein<br />
Zweck o<strong>de</strong>r Ziel nicht erkennbar und <strong>de</strong>r Zufall immanent ist. Komplexe Organismen können nicht maschinenartig und <strong>de</strong>shalb nicht<br />
ausschließlich vernünftig funktionieren! Mit an<strong>de</strong>rn Worten: nicht das Rationale, son<strong>de</strong>rn das Pararationale ist bestimmen<strong>de</strong>r Bestandteil<br />
menschlichen Verhaltens. Die Tragik <strong>de</strong>r Menschheitsgeschichte besteht darin, dass das Irrationale in die Klei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Rationalen<br />
kriecht und auf diese Weise das Pararationale verdrängt, erdrückt, <strong>de</strong>mütigt.<br />
Die Befähigung zu einer individuell souveränen, sozialverträglichen und umweltschonen<strong>de</strong>n Lebensführung muss das Ziel von Erziehung und<br />
Bildung sein. Zukunfterhalten<strong>de</strong>s Verhalten <strong>de</strong>r Menschheit kann nicht über Bevormundung ("du musst ../du darfst nicht ..") o<strong>de</strong>r über ethischmoralische<br />
Normen und staatliche Regulierungen erreicht wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur über Aufklärung hinsichtlich <strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>s Menschen in <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft und in <strong>de</strong>r Natur und mit <strong>de</strong>r Entlarvung und Entzauberung seiner selbst. Eine humane Lebensweise erwirbt man nicht durch<br />
Predigten und schon gar nicht durch Erpressung, son<strong>de</strong>rn nur durch passive und aktive Erfahrung im Umgang mit <strong>de</strong>n Mitmenschen. Anstatt<br />
apriori Pflichtappelle, Moralfor<strong>de</strong>rungen, Schuldzuweisungen und Strafandrohungen zu verkün<strong>de</strong>n, sollten <strong>de</strong>n Menschen, ganz beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n<br />
Kin<strong>de</strong>rn, vielmehr die möglichen Handlungsalternativen mit <strong>de</strong>n möglichen Handlungsfolgen aufgezeigt wer<strong>de</strong>n. Im Gegenzug müssen sie bei<br />
sozial schädlichem Verhalten zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung verpflichtet wer<strong>de</strong>n, jedoch ohne moralische Verurteilung und Abstempelung zu<br />
Versagern, Sün<strong>de</strong>rn, Straftätern o<strong>de</strong>r Kriminellen. Letzteres verhin<strong>de</strong>rt das Eingeständnis fehlerhaften Verhaltens, das fester und<br />
charakteristischer Bestandteil <strong>de</strong>s Lebens ist und <strong>de</strong>m sich niemand entziehen kann. Auch in einem Rechtsstaat und selbst in religiösen<br />
Kreisen hat es bekanntlich Raub und Mord gegeben und viele an<strong>de</strong>re "unmoralische" Taten und sozial schädliches Verhalten. Auch sollte<br />
niemand versuchen, das Glück <strong>de</strong>r Mitmenschen stellvertretend und allein aus eigener Anschauung bestimmen und beschützen zu wollen.<br />
Diese Haltung mün<strong>de</strong>t gelegentlich in <strong>de</strong>r Entmündigung <strong>de</strong>r solchermaßen Beglückten und Beschützten. Das klassische, autoritäre und<br />
vielfach versagen<strong>de</strong>, weil überfrachtete Erziehen und Lehren muss ersetzt wer<strong>de</strong>n durch ein autoritätsfreies, menschenfreundliches,<br />
motivieren<strong>de</strong>s und erfahrungsgestütztes Lernen, wo immer dies möglich ist: <strong>de</strong>monstrieren statt instruieren. Die beste Erziehung ergibt sich<br />
auf natürliche Weise aus <strong>de</strong>m gewöhnlichen Zusammenleben <strong>de</strong>r Menschen. Es ist eine Anmaßung <strong>de</strong>r Erwachsenen und ihre eigene<br />
rückbezügliche Sinnstiftung, wenn sie die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Erziehung von Kin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r auch an<strong>de</strong>rer Erwachsener behaupten. Dabei<br />
gleichen die Erziehungsprinzipien eher einer Dressur, mal offen, mal versteckt und subtil, <strong>de</strong>n Lerntheorien <strong>de</strong>s Behaviorismus gemäß, weil<br />
man <strong>de</strong>n Intellekt <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r unterschätzt, ihm mißtraut und weil ihr Wille nicht planungsfähig und kaum kontrollierbar ist. Eine große Rolle<br />
spielt die Angst vor Risiken - Verlust von Gesundheit, Wohlstand, Ansehen - die zur Bevormundung und zur Beschränkung von Freiheiten<br />
führt. Der Begriff <strong>de</strong>r Schan<strong>de</strong> (bzw. <strong>de</strong>r reziproke Begriff Ehre), sei es die sogenannte Familienschan<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r die Nationalschan<strong>de</strong>, ist eines<br />
<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rlichsten Instrumente zur Unterdrückung und Ausgrenzung bis hin zur Vernichtung von Menschen.<br />
Pädagogik ist wohl die älteste Wissenschaft <strong>de</strong>r Menschheit. Trotz<strong>de</strong>m ist sie so unausgereift wie kaum eine <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Wissenschaften. Sie<br />
ist geprägt von I<strong>de</strong>alen und Zielen, die in <strong>de</strong>r Realität aber so gut wie nie erreicht wer<strong>de</strong>n, weil <strong>de</strong>n meisten Erziehern die nötige Erfahrung und<br />
Weisheit fehlen. Trotz<strong>de</strong>m wird an <strong>de</strong>n Zielen festgehalten, weil sie als Alibi gebraucht wer<strong>de</strong>n zur Erklärung menschlichen Fehlverhaltens. Die<br />
Erreichung von Erziehungszielen - die Erziehung "zu etwas" - ist sogar prinzipiell illusorisch, weil sie <strong>de</strong>r Kybernetik kognitiver Systeme und<br />
Organisationen wi<strong>de</strong>rspricht. Dasselbe gilt grundätzlich auch für Menschenführung und Psychotherapie. Erzieher wie Therapeuten versuchen<br />
per Definition ihre eigenen Weltbil<strong>de</strong>r durchzusetzen, was von alltäglichen Verhaltensfor<strong>de</strong>rungen über die Erpressung (wenn du .. dann ..) bis<br />
zur gewalttätigen Erzwingung von "Erziehungserfolgen" reichen kann. Damit erzeugen sie aber notwendig Wi<strong>de</strong>rstand und Ausweich- o<strong>de</strong>r<br />
Fluchtverhalten, prägen Komplexe und schaffen mitunter Erziehungsopfer mit Psycho<strong>de</strong>fekten (Jugendstrafvollzug!). Obendrein grün<strong>de</strong>n die<br />
allermeisten Erziehungsziele nicht auf tatsächlichen Erfahrungen und rationalen Begründungen, son<strong>de</strong>rn entstammen diffusen Gewohnheiten,<br />
Traditionen, Sitten, Moral- und Wunschvorstellungen, Vorurteilen und <strong>de</strong>rgleichen, so dass <strong>de</strong>r Sinn und Zweck von Erziehung und auch ihre<br />
Notwendigkeit an sich unbegrün<strong>de</strong>t ist. Folglich ist bewusste Erziehung entwe<strong>de</strong>r überflüssig o<strong>de</strong>r erfolglos. Da diese Behauptung <strong>de</strong>n<br />
Lebenssinn vieler Menschen als Erzieher in Frage stellt (Alibifunktion), ist sie tabu und muss auf heftigen Protest stoßen. Je<strong>de</strong> Form von<br />
Gesellschaft ist ein umfassen<strong>de</strong>s, fortdauern<strong>de</strong>s Erziehungsprojekt; die Paradoxie seines Erfolges spiegelt sich in mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaften in<br />
<strong>de</strong>r Heterogenität <strong>de</strong>r Psychogramme o<strong>de</strong>r Restauration <strong>de</strong>r Individualitäten, nach<strong>de</strong>m man die Individualität <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s eben durch die<br />
Erziehung auszutreiben versucht hat. Soziokulturelle Evolution ist Folge unbewusster Erziehung.<br />
Die beson<strong>de</strong>rs in christlichen und politisch konservativen Gesellschaften krampfhaft gepflegte Familienkultur liefert Kin<strong>de</strong>r schutzlos ihren<br />
manchmal unfähigen, manchmal gewalttätigen Eltern und <strong>de</strong>ren exklusiver und einseitiger Erziehung aus, wogegen die sogenannten Sippen<br />
Mechanismen <strong>de</strong>s Ausgleichs und <strong>de</strong>r Pluralität bieten. Die Paradoxie <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne liegt in <strong>de</strong>r Auflösung dieser Kultur durch Scheidung und<br />
Partnerwechsel, so dass die Kin<strong>de</strong>r in "Patchworkfamilien" eine Erweiterung ihres Denkhorizonts erfahren und im Gegensatz zur öffentlichen<br />
Meinung <strong>de</strong>shalb trotz mancher Belastungen überwiegend als Gewinner zu betrachten sind. Einen ähnlichen Effekt hätte <strong>de</strong>r gelegentliche<br />
Austausch <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r zwischen <strong>de</strong>n (kin<strong>de</strong>rarmen) Elternhäusern. Die vom Elternhaus und von <strong>de</strong>r Schule geraubte Denkfreiheit wie<strong>de</strong>r zurück<br />
zu gewinnen ist äußerst mühsam und psychisch belastend. Es bereitet im allgemeinen kaum Schwierigkeiten, neue Weltbil<strong>de</strong>r in bestehen<strong>de</strong><br />
Weltbil<strong>de</strong>r zu integrieren. Die festgefügten Weltbil<strong>de</strong>r zu verän<strong>de</strong>rn kann dagegen größte Schwierigkeiten bereiten, begleitet von Aggressionen,<br />
Gewalt o<strong>de</strong>r psychischen Störungen. Sogar Naturwissenschaftler können sich von gewissen anerzogenen und angewöhnten, aber unlogischen<br />
und unsinnigen Denkschablonen, Phrasen, Traditionen und Ritualen nicht lösen, seien sie politischer, kultureller o<strong>de</strong>r religiöser Natur.<br />
Dazu ein allfälliges Beispiel: auch Wissenschaftler benutzen <strong>de</strong>n Zusatz "v.Chr." bzw. "n.Chr." zu Jahreszahlen, obwohl er unwissenschaftlich,<br />
schlicht falsch und unvernünftig und für Nichtchristen eine Zumutung ist! Deshalb habe ich mir <strong>de</strong>n Ausdruck "vor Null" bzw. "nach Null",<br />
abgekürzt "v.N." bzw. "n.N.", angewöhnt (Der Bezug zwischen Jahreszahlen und Geschichte ist ausreichend verankert inzwischen!).<br />
Die häufig gehörten For<strong>de</strong>rungen nach "Werten" wie Nächstenliebe, Hilfs- und Opferbereitschaft, Sozialverantwortung, Pflichtbewusstsein,<br />
Solidarität usw. erzeugen einen diffusen und unbegrenzten, emotionalen Druck in Form <strong>de</strong>s sogenannten Gewissens und können zu einer<br />
Selbsteinschätzung als Versager, Opfer o<strong>de</strong>r Märtyrer führen. Solche For<strong>de</strong>rungen müssen daher notwendig auf Wi<strong>de</strong>rstand stoßen und nicht<br />
nur erfolglos bleiben, son<strong>de</strong>rn sogar kontraproduktiv und zerstörerisch wirken, was in Psychosen und Neurosen sichtbar wird. Ein abstraktes<br />
und anonymes Gemeinwohl als Ziel menschlichen Han<strong>de</strong>lns zu propagieren, erscheint vor<strong>de</strong>rgründig zwar einsichtig, grün<strong>de</strong>t aber auf<br />
unreflektierten Illusionen, ist aus Sicht <strong>de</strong>r Kybernetik sachlich wi<strong>de</strong>rsinnig und dient vorwiegend <strong>de</strong>r Rechtfertigung autoritären Gebarens.<br />
Vielmehr müssen die konkreten Zusammenhänge zwischen <strong>de</strong>m individuellen Wohlergehen und <strong>de</strong>m Wohlergehen <strong>de</strong>r Gemeinschaft objektiv<br />
und einsichtig dargestellt und begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. An Stelle <strong>de</strong>r irrealen, missbrauchbaren Zielsetzung <strong>de</strong>s Gemeinwohls soll die konkrete,
ewertbare und nachprüfbare Gemeinschaftsleistung stehen. Nicht <strong>de</strong>r Verzicht auf die Befriedigung individueller Bedürfnisse, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren<br />
Abwägen mit <strong>de</strong>n konkreten Bedürfnissen <strong>de</strong>r Mitmenschen ist die zu lösen<strong>de</strong> Aufgabe. Nur ein mit sich selbst zufrie<strong>de</strong>ner, selbstbestimmter,<br />
selbstverantwortlicher und selbstmotivieren<strong>de</strong>r Mensch ist zu einer lebensbejahen<strong>de</strong>n, kreativen und sozialen Lebenseinstellung fähig.<br />
Egoismus als Streben nach Glück und Eigennutz ist wesentlicher, unvermeidbarer Bestandteil <strong>de</strong>r individuellen Lebensfähigkeit - <strong>de</strong>r "struggle<br />
for life" Darwins. Aus <strong>de</strong>r Einsicht in die Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Gemeinschaft und <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r Reflexivität eigenen Verhaltens in <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaft ("wie ich dir, so du mir" o<strong>de</strong>r "tit for tat") muss eine universelle und einfache Regel als ethisches Grundprinzip hinzutreten: du<br />
sollst nieman<strong>de</strong>m wissentlich o<strong>de</strong>r willentlich Scha<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Leid zufügen! Ein "sozialisierter Egoismus", d.h. ein nicht nur auf die eigene<br />
Person o<strong>de</strong>r Gruppe beschränkter, son<strong>de</strong>rn integrieren<strong>de</strong>r Eigennutz ist also notwendig - alles an<strong>de</strong>re ist eine Lebenslüge und Betrug am<br />
Menschen.<br />
Je<strong>de</strong> Politik in <strong>de</strong>r Form eines Utilitarismus Jeremy Benthams (1748-1832) - größtmögliches Glück <strong>de</strong>r größtmöglichen Zahl, auch Hutcheson-<br />
Prinzip genannt - ist tautologisch und zum Scheitern verurteilt. Da die meisten Menschen per se nach Glück streben, jedoch vornehmlich nach<br />
individuellem und weniger nach kollektivem Glück, ist dieses Prinzip ohne Erkenntniswert und ohne normative Be<strong>de</strong>utung. Es birgt im<br />
Gegenteil gera<strong>de</strong> die Probleme ethischen Han<strong>de</strong>lns in sich, weil es durch kollektive Glücksbestimmung die Selbstbestimmung und Freiheit <strong>de</strong>r<br />
Individuen verletzen wür<strong>de</strong> und weil es kein allgemein verbindliches Maß und keine Grenzen gibt für Glück. Eines <strong>de</strong>r logisch daraus folgen<strong>de</strong>n<br />
bzw. empirischen Ergebnisse ist <strong>de</strong>r so genannte Manchester- o<strong>de</strong>r Turbokapitalismus. Der normative Faktor einer Ethik als Grundlage und<br />
Motivation von Politik kann daher nicht <strong>de</strong>r Zwang zu vorgegebenem, ethischem Verhalten sein, son<strong>de</strong>rn ein Katalog von Kompensationen<br />
(eine "Preisliste") für Abweichungen vom Korridor <strong>de</strong>r ethischen I<strong>de</strong>ale. Dabei geht es nicht um ein käufliches Ethos o<strong>de</strong>r einen Freikauf davon,<br />
son<strong>de</strong>rn um einen Ausgleich für die in <strong>de</strong>r Realität bei <strong>de</strong>n meisten Vorhaben unvermeidbaren Schä<strong>de</strong>n, Belastungen und Nachteile für<br />
Unbeteiligte. Die anzustreben<strong>de</strong> Wirkung besteht in <strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung bzw. Verringerung von Unglück, Ungerechtigkeit und Leid, <strong>de</strong>nn diese<br />
sind messbar (negativer Utilitarismus). Zur Klarheit muss hinzugefügt wer<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Preis (z.B. Versicherungsprämie bzw. Scha<strong>de</strong>nsersatz)<br />
so hoch sein kann, dass er einem Verbot entspricht, formal aber die Freiheit <strong>de</strong>s Individuums bewahrt anstatt Macht und Autorität auszuüben<br />
durch Androhung von Strafen. Auch eine Gefängnisstrafe ist letztlich nur ein Preis; allerdings ist die damit verbun<strong>de</strong>ne gesellschaftliche<br />
Ächtung nicht zu unterschätzen.<br />
Aus <strong>de</strong>r Zufälligkeit kosmischer, terrestrischer und geologischer Ereignisse folgt zwingend die Zufälligkeit <strong>de</strong>r Phylogenese, wenngleich auf<br />
gesetzmäßigen, erstaunlich stabilen Grundlagen in <strong>de</strong>r Ontogenese. Daraus läßt sich ableiten, dass die Natur und das menschliche Leben<br />
apriori keinen Zweck o<strong>de</strong>r Sinn haben können. Alles Suchen von Wissenschaft, Philosophie, Religion und Kunst in dieser Richtung ist<br />
vergeblich und wird immer vergeblich bleiben. Das ist eine Erkenntnis, die mit fast allen herkömmlichen, jahrtausen<strong>de</strong>alten Denkweisen und<br />
Lehren bricht - ausgenommen einige vergessene o<strong>de</strong>r verdrängte wie die von Lukrez (98-55 v.N.: De Rerum Natura), <strong>de</strong>r schon damals eine<br />
Evolution <strong>de</strong>r Arten vermutete. Im Gegensatz zu traditionellen Argumentationen jedoch gewinnt das menschliche Leben als aktueller<br />
Gipfelpunkt <strong>de</strong>r biotischen Evolution gera<strong>de</strong> und ausschließlich dadurch an Faszination und an Wert, weil es ihm die seinen geistigen<br />
Fähigkeiten (Verstand) angemessenen Gestaltungsfreiheiten gibt. Erst aus <strong>de</strong>m Wissen und <strong>de</strong>r Anerkenntnis dieser Zwanglosigkeit entfaltet<br />
sich für <strong>de</strong>n Menschen das ganze Spektrum von Vernunft, Empfindung, Kreativität und Phantasie, kurz: <strong>de</strong>r ganze Zauber <strong>de</strong>s menschlichen<br />
Wesens und <strong>de</strong>r wirkliche Zweck und Sinn seines Lebens. Alles an<strong>de</strong>re, was als transzen<strong>de</strong>nte Wahrheiten, Weltgeist, spirituelle Weisheiten<br />
o<strong>de</strong>r Seelenheil feilgeboten wird, ist vom Menschen selbst frei erfun<strong>de</strong>n, ist pure Spekulation, entbehrt jeglicher Begründungen, dient <strong>de</strong>r<br />
Selbstinszenierung und an<strong>de</strong>ren zweifelhaften Zwecken und en<strong>de</strong>t in substanzlosen und irrationalen, nur sich selbst bestätigen<strong>de</strong>n Phrasen<br />
und scholastischen Wortspielen. Davon sind auch hochgeachtete Denker und Wissenschaftler <strong>de</strong>r jüngsten Zeit wie zum Beispiel Karl Popper<br />
und John Eccles (1903-1997; das Ich und sein Gehirn, 1977) nicht verschont geblieben. Es sind verständliche, aber auch erfolglose Versuche,<br />
die tiefe Kluft zwischen geistiger Macht und natürlicher Ohnmacht - im Beson<strong>de</strong>ren gegenüber <strong>de</strong>m Tod - zu überbrücken. Hierin liegen die<br />
Grün<strong>de</strong> für die schlimmsten Lügen, die abenteuerlichsten Versprechungen und die farbigsten Illusionen <strong>de</strong>r Menschheit. Viele Menschenleben<br />
sind psychisch und auch physisch daran zugrun<strong>de</strong> gegangen und dafür ausgelöscht wor<strong>de</strong>n.<br />
Bis heute ist <strong>de</strong>r Mensch nicht in <strong>de</strong>r Lage, seine wahren Freiheiten zu erkennen, son<strong>de</strong>rn er opfert sie bereitwillig - o<strong>de</strong>r fühlt sich ausgesetzt -<br />
vielen unsichtbaren, aus dunkler Vergangenheit kommen<strong>de</strong>n, seine Kultur bestimmen<strong>de</strong>n Mächten. Sein soziokulturelles Leben ist noch immer<br />
gezeichnet von Ängsten und Opferzwängen, von Gehorsam und Bestrafungen, materialisiert in <strong>de</strong>r Ehrfurcht vor allmächtigen Göttern und<br />
selbstgewählten Autoritäten o<strong>de</strong>r Idolen ("Gurus"). Die mit allerlei Tricks und Scheinargumenten (z.B. Gemeinwohl, Gewissen) begrün<strong>de</strong>ten<br />
Herrschaftsansprüche von Kirche, Staat und Elternhaus, die eine sich gegenseitig stützen<strong>de</strong> Symbiose formen, setzen <strong>de</strong>m individuellen<br />
Streben nach Freiheit und Freu<strong>de</strong> hohe und dauerhafte Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> entgegen. Die Wörter Ehrfurcht und Gottesfurcht entlarven die ganze<br />
Paranoia <strong>de</strong>utscher Kultur- und Bildungsgeschichte.<br />
Nach <strong>de</strong>r Aufklärung <strong>de</strong>s 18. Jhdts. ist die Befreiung von <strong>de</strong>r Geschichte, die Entrümpelung <strong>de</strong>s religiös-kulturellen Fundus überfällig, um<br />
dadurch die Freilegung <strong>de</strong>r anthropischen Freiheiten und Fähigkeiten zu för<strong>de</strong>rn. Es be<strong>de</strong>utet nicht, alle Traditionen und Gebräuche<br />
abzulehnen, <strong>de</strong>nn manche sind sinnvoll und nützlich, um <strong>de</strong>n Stress <strong>de</strong>s Lebens zu min<strong>de</strong>rn, aber es be<strong>de</strong>utet, sich von frem<strong>de</strong>n Zwängen zu<br />
befreien. Wie die Freiheiten und die Fähigkeiten genutzt wer<strong>de</strong>n, liegt an <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r Mensch selbst als Vernunft bezeichnet und <strong>de</strong>m er bei<br />
seinen Artgenossen wie bei sich selbst nicht ganz ohne Grund zutiefst misstraut. Vernunft wird nicht vererbt, son<strong>de</strong>rn muss in je<strong>de</strong>r Generation<br />
neu erworben wer<strong>de</strong>n und muss sich <strong>de</strong>r kulturellen Evolution anpassen, die sie kollektiv aus ihren Möglichkeiten und Freiheiten heraus selbst<br />
geprägt hat. Die Quellen <strong>de</strong>r Vernunft sind nicht nur die Wissenschaften, son<strong>de</strong>rn vielmehr die geschichtliche (aber entrümpelte!) Erfahrung<br />
und die Intuition. Deshalb ist es für Kin<strong>de</strong>r so wichtig, eigene, auch schmerzhafte Erfahrungen zu machen: rechtzeitige Schmerzen verhin<strong>de</strong>rn<br />
die Amputation.<br />
Allmählich kristallisiert sich die Erkenntnis heraus, dass Vernunft nicht monolithisch zu betrachten ist, son<strong>de</strong>rn ein weites Feld von<br />
Möglichkeiten darstellt, weil die Menschen trotz physischer Gleichheit psychisch und mental sehr verschie<strong>de</strong>n sind, was sich in zunehmen<strong>de</strong>r<br />
Individualität und gesellschaftlichem Pluralismus offenbart. Die Verschie<strong>de</strong>nheiten zu akzeptieren und zu integrieren ist eine <strong>de</strong>r größten<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen für <strong>de</strong>n einzelnen Menschen und für je<strong>de</strong> Gesellschaft, <strong>de</strong>nn Verschie<strong>de</strong>nheit be<strong>de</strong>utet subjektiv und apriori Unsicherheit,<br />
Stress, Bedrohung und Angst. Genau darin haben Unfreiheit, Unterdrückung, Aggression, Rassismus, Vertreibung und Völkermord ihre<br />
Wurzeln: die Rang- und Revierverteidigung <strong>de</strong>r tierischen Vorfahren. Das in <strong>de</strong>r Evolution nicht vorgesehene Leben in <strong>de</strong>n heterogenen<br />
Gemeinschaften <strong>de</strong>r Gegenwart muss erst erlernt wer<strong>de</strong>n und dazu sind mentale Mutationen zu einem wahrhaften Verständnis <strong>de</strong>s Anthropos<br />
notwendig. Die Tatsache, dass alle Menschen gleichermaßen aus Materie ("Staub") geboren sind und dorthin zurückkehren, dass es keine<br />
Auserwählten gibt, von wem auch immer, ist die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rechtfertigung für Gleichberechtigung und Demokratie, unabhängig von<br />
Kulturen, Religionen und Weltanschauungen.<br />
Die Konfrontation mit Verschie<strong>de</strong>nheiten ist die unausweichliche Folge <strong>de</strong>r technologischen und kulturellen Entwicklung mit <strong>de</strong>n globalen<br />
Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten. Die ohnehin schon beträchtliche Bevölkerungsdichte wird dadurch zu einer noch höheren,<br />
soziologisch und psychologisch (und auch evolutionsbiologisch) relevanten virtuellen Bevölkerungsdichte gesteigert. Eine Kenngröße dafür ist<br />
die Anzahl <strong>de</strong>r Kontakte pro Zeit und Fläche. Die Reaktion darauf kann entwe<strong>de</strong>r die gewalttätige Verteidigung und Verbreitung <strong>de</strong>s eigenen<br />
traditionellen Wertesystems o<strong>de</strong>r aber eine - letztlich notwendige und unvermeidbare - gründliche Rekonstruktion aller Wertesysteme sein.<br />
Auch in freien Gesellschaften gibt es Ten<strong>de</strong>nzen zu offener o<strong>de</strong>r versteckter Bevormundung mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Uniformisierung, begrün<strong>de</strong>t mit<br />
fa<strong>de</strong>nscheinigen Argumenten <strong>de</strong>r Tradition, <strong>de</strong>r Moral, <strong>de</strong>r Kultur, eingeklei<strong>de</strong>t in abstrakte, oberflächlich einsichtige Phrasen von Wohlstand,<br />
Fortschritt, Sicherheit, Menschenwür<strong>de</strong> usw. Während <strong>de</strong>r politische Pluralismus zumin<strong>de</strong>st in Teilen <strong>de</strong>r Welt weit fortgeschritten ist, steckt <strong>de</strong>r<br />
psychische Pluralismus überall noch in <strong>de</strong>n Anfängen!<br />
Nur ganz wenige Denker haben es geschafft, sich aus <strong>de</strong>m historisch gewachsenen Wertesystem, <strong>de</strong>m klerikal-moralistischen Käfig <strong>de</strong>r
allumfassend wirken<strong>de</strong>n öffentlichen Meinung zu befreien. Dazu gehören Julien Offray <strong>de</strong> La Mettrie (1709-1751) und Max Stirner (1806-1856),<br />
die bezeichnen<strong>de</strong>rweise von ihren Zeitgenossen angefein<strong>de</strong>t und bedroht und von <strong>de</strong>r späteren, etablierten Philosophie missverstan<strong>de</strong>n,<br />
verleum<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r verleugnet wur<strong>de</strong>n (philosophieren<strong>de</strong> Staatsbeamte!). Die Begründung liegt in <strong>de</strong>r "gefährlichen" Konsequenz ihrer<br />
kompromisslosen, aber scharfsinnigen I<strong>de</strong>en: Anarchie bzw. Nihilismus. Es geht aber nicht um die Ablehnung von Werten an sich, son<strong>de</strong>rn um<br />
ihre penetrante und heuchlerische Einfor<strong>de</strong>rung, um autoritäre Wertsetzung und Fremdbestimmung <strong>de</strong>r Werte seitens bestimmter<br />
gesellschaftlicher Gruppen. Stirner hat in seinem Werk "Der Einzige und sein Eigentum" von 1845 die Wertesysteme von Kirche, Staat und<br />
öffentlicher Meinung gna<strong>de</strong>nlos als nackte Machtansprüche entlarvt. Es ist daher nicht verwun<strong>de</strong>rlich, dass ihm wie auch La Mettrie von genau<br />
diesen Gruppen die Vorwürfe <strong>de</strong>s Egoismus, <strong>de</strong>s Hedonismus und <strong>de</strong>s Materialismus gemacht wer<strong>de</strong>n! Der Drang zur Herrschaft bzw. die<br />
Befürchtung ihres Verlustes ist auch noch in <strong>de</strong>r medienbestimmten Gegenwart stärker als <strong>de</strong>r Drang zur Freiheit. Gemeint sind hier nicht die<br />
großen, politischen Freiheiten, son<strong>de</strong>rn die kleinen Freiheiten <strong>de</strong>s Alltagslebens.<br />
Das Leben ist wie ein Spiel - in einem komplizierten Spannungsfeld vielfältiger Konkurrenz, sozialer Depen<strong>de</strong>nz und physischer Koexistenz -<br />
<strong>de</strong>ssen Verlauf <strong>de</strong>n biologischen Zwängen unterliegt und we<strong>de</strong>r vorhersehbar noch zuverlässig planbar ist. Gera<strong>de</strong> darin aber liegt das Wesen<br />
und <strong>de</strong>r ganze Reiz <strong>de</strong>s Lebens. Seine Überfrachtung mit Werten <strong>de</strong>r Ethik und mit Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Moral, mit Sinn, Be<strong>de</strong>utung, Wichtigkeit,<br />
Wür<strong>de</strong> und Ehre führt zu nichts an<strong>de</strong>rem als Selbstbetrug, Selbstzerstörung, Frust, Aggression und Terror. Selbst <strong>de</strong>r tagtäglich erlebbare<br />
Kollaps bringt die Menschheit offenkundig nicht davon ab, an ihren traditionellen Märchen und Mythen, an <strong>de</strong>r Verleugnung <strong>de</strong>r Wirklichkeit<br />
festzuhalten. Der betäuben<strong>de</strong> Lärm <strong>de</strong>r öffentlichen Rufe nach Frie<strong>de</strong>n, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Toleranz usw. macht die Welt<br />
erfahrungsgemäß nicht besser. Stoische Gelassenheit und Mut zum eigenen Leben mit <strong>de</strong>r auf natürliche Weise daraus erwachsen<strong>de</strong>n<br />
Toleranz dagegen wür<strong>de</strong> durch das Ausbleiben von Aggression bzw. Resignation manche Probleme erst gar nicht entstehen lassen. Zwischen<br />
Aberglaube und Rationalität ist die Psyche das wesens- und verhaltensbestimmen<strong>de</strong> Element <strong>de</strong>s Menschen. Sie wird durch die Erforschung<br />
ihrer physiologischen Wurzeln und in Folge <strong>de</strong>r Erkenntnisse <strong>de</strong>r Evolution mit einem <strong>de</strong>r Wirklichkeit näheren Menschenbild außeror<strong>de</strong>ntlich<br />
an Be<strong>de</strong>utung gewinnen. Die Anfor<strong>de</strong>rungen an sie allerdings wer<strong>de</strong>n durch die Erfindungen <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts künftig erheblich<br />
wachsen und es wer<strong>de</strong>n damit Selektionen einsetzen<br />
Auf <strong>de</strong>m Weg vom Chaos zum Chaos, irgendwo zwischen Urknall und Wärmetod, hat die biotische Evolution die größten Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
sichtbaren Universums hervorgebracht. Aus <strong>de</strong>m Zusammenspiel von Materie und Energie entstehen Geschöpfe mit <strong>de</strong>r Fähigkeit zu<br />
vorausschauen<strong>de</strong>m, zielgerichtetem, zweckmäßigem Han<strong>de</strong>ln und schöpferischer Tätigkeit: die Inversion <strong>de</strong>r physikalischen Kybernetik.<br />
Ihr Dasein <strong>de</strong>monstriert das Potenzial <strong>de</strong>r Schöpfung vor sich selbst. Aber sie wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s kosmischen Geschehens we<strong>de</strong>r aufhalten,<br />
noch verlassen o<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rn können - was immer sie auch anstellen. Daher sind Fortschritts- wie Untergangspropheten nur kulturelle<br />
Dekoration ohne Auswirkung und Be<strong>de</strong>utung. Allein schon die Fähigkeit, sich <strong>de</strong>r Tatsache <strong>de</strong>s Daseins bewusst zu sein, ist es wert, dieses<br />
Dasein nicht mutwillig für immer zu zerstören. Einen Daseinsanspruch gibt es nicht.<br />
________________________<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
Darstellung <strong>de</strong>s Menschen<br />
Aus <strong>de</strong>r Sicht von:<br />
Schema:<br />
1. Biologie<br />
2. Recht<br />
3. Religion<br />
Philosophie – Mitschrift – 27.04.05<br />
• Säugetier aus <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Primaten<br />
• Unterordnung <strong>de</strong>r Trockennasenaffen<br />
Kennzeichnung: Homo Sapiens Sapiens<br />
• natürliche Person<br />
• Festlegung <strong>de</strong>s Status durch <strong>de</strong>n Staat<br />
• Nach unserem Verständnis: Wesen mit unantastbarer Wür<strong>de</strong><br />
• glauben<strong>de</strong>s, beten<strong>de</strong>s, Riten ausüben<strong>de</strong>s Subjekt, als auch als Objekt religiöser Riten und Anbetungen.<br />
• gilt nicht in allen Religionen als direkte Schöpfung (eines) Gottes.
Anhang<br />
Biologie<br />
Der mo<strong>de</strong>rne Mensch (Homo sapiens) ist aus biologischer Sicht ein Säugetier aus <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Primaten (Primates). Er gehört zur<br />
Unterordnung <strong>de</strong>r Trockennasenaffen (Haplorhini) und dort zur Familie <strong>de</strong>r Menschenaffen (Hominidae). Früher wur<strong>de</strong>n Mensch (Hominidae)<br />
und Menschenaffen (Pongidae) insbeson<strong>de</strong>re aufgrund <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren geistigen Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen als zwei getrennte Familien<br />
betrachtet, jüngere Untersuchungen sehen zwischen bei<strong>de</strong>n Gruppen ein engeres Verwandtschaftsverhältnis und stellen sie daher in eine<br />
gemeinsame Familie. Der mo<strong>de</strong>rne Mensch ist die einzige bis heute überleben<strong>de</strong> Art <strong>de</strong>r Gattung Homo.<br />
Manchmal wird für <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Menschen auch die wissenschaftliche Bezeichnung Homo sapiens sapiens gebraucht, die zum Ausdruck<br />
bringen soll, dass <strong>de</strong>r Nean<strong>de</strong>rthaler (dann Homo sapiens nean<strong>de</strong>rthalensis) zur selben Art gehörte wie <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Mensch. Diese Ansicht<br />
gilt heute aber als sehr zweifelhaft, weswegen die mo<strong>de</strong>rne Bezeichnung schlicht Homo sapiens ist. Sie leitet sich aus <strong>de</strong>m Lateinischen von<br />
homo:„Mensch“ und sapiens:„weise“ ab.<br />
Recht<br />
Rechtlich gesehen ist <strong>de</strong>r Mensch zumeist eine ("natürliche") Person, <strong>de</strong>ren Status je nach Staat unterschiedlich festgelegt ist, je<strong>de</strong>nfalls ist er<br />
rechtsfähig. Im "Bürgerlichen Gesetzbuch" <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland heißt es <strong>de</strong>mentsprechend in § 1: Die Rechtsfähigkeit <strong>de</strong>s<br />
Menschen beginnt mit <strong>de</strong>r Vollendung seiner Geburt. Es gibt Gesellschaften, in <strong>de</strong>nen das nicht je<strong>de</strong>r Mensch ist: In Stammesgesellschaften<br />
beispielsweise kann ein Neugeborenes bis zur Anerkennung durch <strong>de</strong>n Vater ohne Rechtsfähigkeit sein; in Staaten mit Sklaverei gelten<br />
Sklaven zuweilen als "Sachen" u. a.<br />
Die Allgemeine Erklärung <strong>de</strong>r Menschenrechte <strong>de</strong>r Vereinten Nationen soll in je<strong>de</strong>m Staat einen Grundstatus vorgeben. Gemäß diesem<br />
Menschenbild besitzt je<strong>de</strong>r einzelne Mensch von Geburt an eine beson<strong>de</strong>re, unantastbare und unveräußerliche Wür<strong>de</strong>. Aus diesem Grund hat<br />
je<strong>de</strong>r Einzelne bestimmte Rechte, zum Beispiel das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit, auf Religionsfreiheit und auf<br />
Meinungsfreiheit sowie auf einen angemessenen Arbeitslohn. Dieses I<strong>de</strong>al ist aber nicht überall verwirklicht, <strong>de</strong>nn in vielen Staaten wer<strong>de</strong>n<br />
Leute ohne Gerichtsverfahren eingesperrt, Gefangene gefoltert, Frauen und Kin<strong>de</strong>r unterdrückt und Menschen leben in Armut. Ferner wird das<br />
Grundrecht auf Leben, obgleich mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> eng verknüpft, in keinem Land als unantastbar angesehen, da eine solche<br />
Unantastbarkeit mit jeglicher Bewaffnung (Armee, Polizei usw.) im Wi<strong>de</strong>rspruch stün<strong>de</strong>.<br />
Manche Kulturkreise und Religionen kennen keine allgemeingültigen Menschenrechte. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Islam, die indische und die<br />
chinesische Kultur machen einen Unterschied zwischen "Gläubigen" und "Ungläubigen" bzw. zwischen <strong>de</strong>n Rechten <strong>de</strong>s Mannes und <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>r Frau.<br />
Religion<br />
Menschen entwickeln und entwickelten unterschiedliche Religionen und Glaubensvorstellungen.<br />
Dabei han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Mensch selbst sowohl als glauben<strong>de</strong>s, beten<strong>de</strong>s, Riten ausüben<strong>de</strong>s Subjekt, als auch als Objekt religiöser Riten und<br />
Anbetungen. Nicht in allen Religionen gilt er als direkte Schöpfung (eines) Gottes.<br />
Religionen und religiöse Motive haben nahezu die <strong>gesamt</strong>e bekannte Geschichte <strong>de</strong>s Menschen begleitet, zuerst als Verehrung von<br />
Naturkräften, dann als Anbetung mehrerer Götter und schließlich als Monotheismus. Dies führte zu <strong>de</strong>r philosophischen Frage, in wieweit die<br />
Religion zu <strong>de</strong>n spezifischen Merkmalen <strong>de</strong>s Menschen gehöre.<br />
Das Christentum, das Ju<strong>de</strong>ntum und <strong>de</strong>r Islam betrachten die Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen, wie auch die <strong>gesamt</strong>e Schöpfung als Werk Gottes.<br />
Für die großen christlichen Religionsgemeinschaften bestehen dabei keine Wi<strong>de</strong>rsprüche zwischen <strong>de</strong>m wissenschaftlich Bewiesenem und<br />
<strong>de</strong>m christlichen Glauben, weil nach ihrer Auffassung Theologie und Wissenschaft unterschiedliche Fragestellungen behan<strong>de</strong>ln.<br />
Aus Sicht christlicher Kreationisten, die vor allem in <strong>de</strong>n USA ein umfangreiches Unterstützerfeld haben, wird die Vorstellung, <strong>de</strong>r Mensch habe<br />
sich über Jahrmillionen aus tierischen Vorfahren entwickelt, in wörtlicher Auslegung <strong>de</strong>r biblischen Schöpfungsgeschichte entschie<strong>de</strong>n<br />
abgelehnt.
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
Reiz<br />
Umwelt<br />
Philosophie – Mitschrift – 27.04.05<br />
Geist<br />
Vernunft<br />
Interpretation<br />
Nein<br />
Reiz been<strong>de</strong>t<br />
bzw. unterdrückt<br />
Einfluss <strong>de</strong>r Sozialisation<br />
Ja<br />
Nicht erfolgreich<br />
Erfolgreich<br />
(Reiz been<strong>de</strong>t)<br />
Nicht erfüllbar /<br />
Nicht<br />
zweckdienlich<br />
Handlungsmöglichkeiten<br />
Äußerer Antrieb<br />
Inner Antrieb<br />
Festlegung <strong>de</strong>r<br />
Handlungssequenz zur<br />
Erfüllung <strong>de</strong>s Reizes<br />
Erfüllbar /<br />
zweckdienlich<br />
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nicht<br />
zweckdienlich
Seite 17 oben – 19, 7. Zeile - zu bearbeiten (Anne + myself)<br />
Weltbild nach Pico<br />
Immer noch im Mittelalter verhaftet<br />
Philosophie – Mitschrift – 01.06.05<br />
1. überirdisch: Geister (himmlisch)<br />
2. ätherische Sphäre: unsterbliche Seelen (neutral)<br />
3. materieller + fruchtbarer Teil: Tiere (unreine und schmutzig)<br />
Rangordnung (siehe Mittelalter)<br />
Seiten 9 - 13<br />
- Freie Entfaltung <strong>de</strong>s Menschen<br />
höchste Leistung <strong>de</strong>s Menschen: Annährung an das „Göttliche“<br />
Aktivität – Sinnlichkeit – Vernunft<br />
- Entwicklungsfähigkeiten <strong>de</strong>s Menschen:<br />
1. pflanzlich<br />
2. animalisch<br />
3. himmlisch (Philosoph)<br />
4. geistig<br />
5. unio mystica: Vereinigung mit <strong>de</strong>m göttlichen Geist ist schon als Mensch möglich<br />
Aufstieg auf geistiger Ebene: Pflanze – Tier – himmlisches Lebewesen (Engel) (analog zur o.g. Glie<strong>de</strong>rung)<br />
1.) vegetativ: ohne Verstand und Gefühle<br />
2.) animalisch: vernunftlos, nur <strong>de</strong>m Instinkt gehorchend<br />
3.) vernünftig: vernunftgemäße Ordnung<br />
4.) Engel: Fähigkeit zu geistiger Erkenntnis<br />
- Wandlungsfähigkeit und Entfaltungsfähigkeit <strong>de</strong>s Menschen durch einen Vergleich mit einem griechischen Gott<br />
- Einführung einer neuen geistigen Entwicklungsstufe über das System <strong>de</strong>s Aristoteles hinaus<br />
Materie wird als schmutzig angesehen<br />
Menschlicher Körper wird als Hülle <strong>de</strong>s menschlichen Geistes verstan<strong>de</strong>n<br />
Gleichzeitig einschränken<strong>de</strong>s Element <strong>de</strong>s Menschen, das ihn vom Erreichen <strong>de</strong>s göttlichen abhält<br />
Einzufügen: 2 Blätter
Seraphim<br />
Philosophie – Mitschrift – 03.06.05<br />
aus Wikipedia, <strong>de</strong>r freien Enzyklopädie<br />
Die Seraphim (Singular: "Seraph") sind Engel. Sie besitzen nach <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>s biblischen Jesaja-Buches sechs Flügel sowie<br />
Hän<strong>de</strong> und Füße. Sie stehen - so die außerbiblische Überlieferung - an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Hierarchie <strong>de</strong>r Engelschöre (siehe Angelologie).<br />
Im To<strong>de</strong>sjahr <strong>de</strong>s Königs Usija sah ich <strong>de</strong>n Herrn. Er saß auf einem hohen und erhabenen Thron. Der Saum seines<br />
Gewan<strong>de</strong>s füllte <strong>de</strong>n Tempel aus. Seraphim stan<strong>de</strong>n über ihm. Je<strong>de</strong>r hatte sechs Flügel: Mit zwei Flügeln be<strong>de</strong>ckten sie ihr<br />
Gesicht, mit zwei be<strong>de</strong>ckten sie ihre Füße und mit zwei flogen sie. Sie riefen einan<strong>de</strong>r zu: Heilig, heilig, heilig ist <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>r<br />
Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Er<strong>de</strong> erfüllt. Die Türschwellen bebten bei ihrem lauten Ruf und <strong>de</strong>r Tempel füllte<br />
sich mit Rauch. Da sagte ich: Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem<br />
Volk mit unreinen Lippen und meine Augen haben <strong>de</strong>n König, <strong>de</strong>n Herrn <strong>de</strong>r Heere, gesehen. Da flog einer <strong>de</strong>r Seraphim zu<br />
mir; er trug in seiner Hand eine glühen<strong>de</strong> Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte. Er berührte damit meinen<br />
Mund und sagte: Das hier hat <strong>de</strong>ine Lippen berührt: Deine Schuld ist getilgt, <strong>de</strong>ine Sün<strong>de</strong> gesühnt. (Buch Jesaja 6,1-7)<br />
Die Herkunft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes Seraph / Seraphim ist umstritten. Man vermutet zum einen, <strong>de</strong>r Begriff sei ursprünglich<br />
persischer Herkunft. Ein ähnlich klingen<strong>de</strong>s Wort bezeichnet hier symbolische Tiergestalten mit Schlangenköpfen (Serapis, Saraphen).<br />
An<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>nkt man bei <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m Ursprung an eine hebräische Wortwurzel, die das aktive Entzün<strong>de</strong>n, Brennen<br />
bezeichnet; <strong>de</strong>r Seraph wäre also einer, <strong>de</strong>r entzün<strong>de</strong>t, in Brand steckt - eine Ansicht, die sicherlich sehr gut zu <strong>de</strong>m zitierten biblischen<br />
Text paßt.<br />
Der Gesang <strong>de</strong>r Seraphim hat als Sanctus Einzug in die christliche Liturgie gefun<strong>de</strong>n.<br />
Franz von Assisi wur<strong>de</strong> von einem Seraphen stigmatisiert. Deshalb lautet sein Beiname auch "Seraphicus". Auch wird <strong>de</strong>r<br />
Franziskaneror<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Entstehung auf ihn zurück geht, in <strong>de</strong>r älteren Literatur <strong>de</strong>r seraphische Or<strong>de</strong>n genannt.<br />
Vermutlich in Anlehnung daran heißt <strong>de</strong>r Beschützer <strong>de</strong>s Orakels im Film Matrix (Teil 2 und 3) "Seraph".<br />
Cherubim<br />
aus Wikipedia, <strong>de</strong>r freien Enzyklopädie<br />
Die Cherubim (Hebräisch cherub בורכ; plural cherubim, םיבורכ) sind Engel.<br />
Mittelalterliche Darstellung eines Cherubs (ca. 1156 n.Chr)<br />
Die Cherubim sind als Wächter <strong>de</strong>s Paradies und als Träger <strong>de</strong>s Thron Gottes beschrieben.<br />
Die Beschreibung <strong>de</strong>r Cherubim im Buch Ezechiel 10, 4-19 zeigt sie als begrenzt menschenähnliche Wesen, die einen himmlischen<br />
Wagen begleiten, auf <strong>de</strong>m Gott thront (Ähnlichkeit mit geflügelten Sphinxen, typologisch mit Greifen verwandt):
4 Und ich sah, und siehe, es kam ein ungestümer Wind von Nor<strong>de</strong>n her, eine mächtige Wolke und lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s Feuer, und<br />
Glanz war rings um sie her, und mitten im Feuer war es wie blinken<strong>de</strong>s Kupfer. 5 Und mitten darin war etwas wie vier<br />
Gestalten; die waren anzusehen wie Menschen. 6 Und je<strong>de</strong> von ihnen hatte vier Angesichter und vier Flügel. 7 Und ihre<br />
Beine stan<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong>, und ihre Füße waren wie Stierfüße und glänzten wie blinken<strong>de</strong>s, glattes Kupfer. 8 Und sie hatten<br />
Menschenhän<strong>de</strong> unter ihren Flügeln an ihren vier Seiten; die vier hatten Angesichter und Flügel. 9 Ihre Flügel berührten einer<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn. Und wenn sie gingen, brauchten sie sich nicht umzuwen<strong>de</strong>n; immer gingen sie in <strong>de</strong>r Richtung eines ihrer<br />
Angesichter. 10 Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen und zur rechten Seite gleich einem Löwen bei allen<br />
vieren und zur linken Seite gleich einem Stier bei allen vieren und hinten gleich einem Adler bei allen vieren. 11 Und ihre<br />
Flügel waren nach oben hin ausgebreitet; je zwei Flügel berührten einan<strong>de</strong>r und mit zwei Flügeln be<strong>de</strong>ckten sie ihren Leib. <strong>12</strong><br />
Immer gingen sie in <strong>de</strong>r Richtung eines ihrer Angesichter; wohin <strong>de</strong>r Geist sie trieb, dahin gingen sie; sie brauchten sich im<br />
Gehen nicht umzuwen<strong>de</strong>n. 13 Und in <strong>de</strong>r Mitte zwischen <strong>de</strong>n Gestalten sah es aus, wie wenn feurige Kohlen brennen, und<br />
wie Fackeln, die zwischen <strong>de</strong>n Gestalten hin und her fuhren. Das Feuer leuchtete und aus <strong>de</strong>m Feuer kamen Blitze. 14 Und<br />
die Gestalten liefen hin und her, dass es aussah wie Blitze. 15 Als ich die Gestalten sah, siehe, da stand je ein Rad auf <strong>de</strong>r<br />
Er<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n vier Gestalten, bei ihren vier Angesichtern. 16 Die Rä<strong>de</strong>r waren anzuschauen wie ein Türkis und waren alle vier<br />
gleich, und sie waren so gemacht, dass ein Rad im an<strong>de</strong>rn war. 17 Nach allen vier Seiten konnten sie gehen; sie brauchten<br />
sich im Gehen nicht umzuwen<strong>de</strong>n. 18 Und sie hatten Felgen, und ich sah, ihre Felgen waren voller Augen ringsum bei allen<br />
vier Rä<strong>de</strong>rn. 19 Und wenn die Gestalten gingen, so gingen auch die Rä<strong>de</strong>r mit, und wenn die Gestalten sich von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />
emporhoben, so hoben die Rä<strong>de</strong>r sich auch empor.<br />
Damit die ersten Menschen nach ihrer Sün<strong>de</strong> nicht mehr in <strong>de</strong>n Garten E<strong>de</strong>n zurück gelangen konnten, stan<strong>de</strong>n Cherubim am Eingang<br />
<strong>de</strong>s Paradieses:<br />
Er vertrieb <strong>de</strong>n Menschen und stellte östlich <strong>de</strong>s Gartens von E<strong>de</strong>n die Cherubim auf und das lo<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Flammenschwert,<br />
damit sie <strong>de</strong>n Weg zum Baum <strong>de</strong>s Lebens bewachten. (1. Buch Mose 3,24)<br />
Die Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong> war mit zwei Cherubim-Statuen verziert:<br />
Verfertige auch eine Deckplatte aus purem Gold zweieinhalb Ellen lang und an<strong>de</strong>rthalb Ellen breit! Mach zwei Cherubim aus<br />
getriebenem Gold und arbeite sie an <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n En<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Deckplatte heraus! Mach je einen Cherub an <strong>de</strong>m einen und <strong>de</strong>m<br />
an<strong>de</strong>ren En<strong>de</strong>; auf <strong>de</strong>r Deckplatte macht die Cherubim an <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n En<strong>de</strong>n! Die Cherubim sollen die Flügel nach oben<br />
ausbreiten, mit ihren Flügeln die Deckplatte beschirmen und sie sollen ihre Gesichter einan<strong>de</strong>r zuwen<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>r Deckplatte<br />
sollen die Gesichter <strong>de</strong>r Cherubim zugewandt sein. (2. Buch Mose 25, 17-20).<br />
Weitere Darstellungen <strong>de</strong>r Cherubim fin<strong>de</strong>n sich auch in <strong>de</strong>n Beschreibungen <strong>de</strong>r Tempelheiligtümer <strong>de</strong>r Bibel.<br />
In <strong>de</strong>r Kunst wer<strong>de</strong>n die Cherubim meist menschenähnlich (außer in <strong>de</strong>n meisten mittelalterlichen Abbildungen) dargestellt. Dadurch<br />
wird die Bezeichnung Cherubim häufig als Synonym für Engel gebraucht.
Cherubim: stehen für Wissen und Erkenntnis<br />
Seraphim: stehen für Liebe und Gefühl<br />
Throne: logisches Han<strong>de</strong>ln, richten<br />
Menschen verfügen über alle 3 Elemente: Engelartige Wesen<br />
Dionysius Areopagita: pseudo – Dionysius bei Pico<br />
1. Moralphilosophie + Dialektik => Reinigung <strong>de</strong>r Seele<br />
2. Naturphilosophie<br />
3. Erkenntnis <strong>de</strong>r göttlichen Dinge => Vollkommenheit<br />
Philosophie – Mitschrift – 08.06.05<br />
Aufstieg in höhere Bereiche ist nur mit einer reinen Seele möglich: Symbol: Hän<strong>de</strong> und Füße müssen gereinigt wer<strong>de</strong>n / rein sein<br />
Reinigung möglich durch: Moralphilosophie, Naturphilosophie, Dialektik, Rhetorik<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r Verlockung
Zur ersten Kursarbeit: Philosophie<br />
Allgemeine Begriffs<strong>de</strong>finitionen:<br />
- Aporie: erkennen <strong>de</strong>s eigenen Unwissens Verlegenheit ; Bsp.: „Ich weis, das ich nichts<br />
weis“. Selbsterkenntnis beinhaltet <strong>de</strong>n Willen sich mit <strong>de</strong>r Thematik auseinan<strong>de</strong>rzusetzen.<br />
- Maieutik: wörtlich: Hebammenkunst ; Hebamme nicht an <strong>de</strong>r Zeugung beteiligt, son<strong>de</strong>rn nur<br />
an <strong>de</strong>r Entbindung Verfahrensweise <strong>de</strong>s Sokrates<br />
- Logik: Lehre von <strong>de</strong>r Folgerichtigkeit <strong>de</strong>s Denkens und Han<strong>de</strong>lns<br />
- Onthologie: Lehre vom Wesen <strong>de</strong>s Seins ; Sein <strong>de</strong>s Seien<strong>de</strong>n (=Gemeinsamkeiten<br />
verschie<strong>de</strong>ner Gegenstän<strong>de</strong>)<br />
- Spontaneität: aus eigenem Entschluss<br />
- Affizieren: empfangen Rezeptivität<br />
- Spekulativ (phil.): in reinen Begriffen <strong>de</strong>nkend empirische Denkweise<br />
Vorgehensweise <strong>de</strong>s Sokrates<br />
Maieutik (siehe oben)<br />
Zu Platons Philosophie<br />
Platon geht von einem Leben vor <strong>de</strong>m eigentlichen Leben aus Erlangen von Erfahrungen /<br />
Vorstellungen Voraussetzungen aller Seelen vor <strong>de</strong>r Geburt<br />
Präexistenz <strong>de</strong>r Seele<br />
Haupti<strong>de</strong>e: Wie gelangt man zu Lebzeiten zu neuen Erkenntnissen, die nicht Truggebil<strong>de</strong> sind?<br />
Rolle <strong>de</strong>r Seele: Bin<strong>de</strong>glied zwischen wirklicher und <strong>de</strong>nkbarer Welt, als ehemaliges Element <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>nkbaren Welt (Abstrakte Vorstellung)<br />
Logische / onthologische Beziehungen<br />
Nachahmung eines Urbil<strong>de</strong>s<br />
Die I<strong>de</strong>e ist eine Art von begrün<strong>de</strong>tem Wissen ( Logik), <strong>de</strong>ssen die Seele vor ihrer Geburt in <strong>de</strong>n<br />
Körper teilhaftig war. Sie konnte die I<strong>de</strong>e bereits sehen, hat sie aber vergessen.<br />
Das Vermögen <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerinnerung (=Anamnesis) ist aber gegeben.<br />
Die Gegenstän<strong>de</strong> sind <strong>de</strong>m Menschen erkennbar, da sie an <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>en teilhaben.<br />
Die I<strong>de</strong>en sind auch eigentliches, wahres Sein ( Onthologie), wogegen <strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung nur Schein ist.<br />
Zum Höhlengleichnis<br />
Höhle:<br />
- Schatten <strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong><br />
- Gebil<strong>de</strong>r Abbild<br />
- Feuer<br />
Oberwelt:<br />
- Schatten <strong>de</strong>r natürlichen Gegenstän<strong>de</strong><br />
- Gegenstän<strong>de</strong> Originalbild<br />
- Sonne<br />
Welt <strong>de</strong>s Gesichtssinnes = Gefängnis / Höhle<br />
Die menschliche Wahrnehmung ist von <strong>de</strong>r sichtbaren Welt / sinnlich erfahrbaren Welt abhängig.<br />
Aufstieg aus <strong>de</strong>r Höhle = Aufstieg <strong>de</strong>r Seele zur Ebene <strong>de</strong>s Denkbaren Wan<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Seele<br />
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Zu Thomas v. Aquins Philosophie<br />
Göttliches Erkenntnisvermögen (onthologisch wahr)<br />
Natürliche Dinge (logisch wahr)
Menschliche Erkenntnis<br />
Fremdbestimmung: natürliche Dinge formen ihr Bild in <strong>de</strong>r Seele (Prägung)<br />
Wahrnehmung wird durch die Dinge geformt (=Entmachtung)<br />
Gegenüberstellung: Platon – Thomas v. Aquin<br />
Platon: Seele sieht die I<strong>de</strong>en vorher Dinge nur Anlass zum Denkprozess<br />
Thomas: passiver, irdischer Vorgang ; Dinge formen in <strong>de</strong>r Seele ihre Wahrnehmung<br />
nur die Verarbeitung ist aktiv<br />
menschliche Erkenntnis = endliche Erkenntnis<br />
geistige Erkenntnis wird durch die Sinne eingegrenzt<br />
Die onthologische Wahrheit begrün<strong>de</strong>t die logische Wahrheit<br />
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />
Zur Philosophie von Immanuel Kant<br />
Dinge wer<strong>de</strong>n affiziert<br />
(empfangen)<br />
passiv<br />
Erste Grundquelle:<br />
Sinnlichkeit<br />
„Rezeptivität“<br />
Erkenntnis<br />
Zweite Grundquelle<br />
Verstand (Denken)<br />
„Spontaneität“<br />
gegenstand<br />
Leitsatz: Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.<br />
Chiasmus: Gedanken Inhalt<br />
Anschauungen Begriffe<br />
Der Verstand verfügt über die Kategorien, um die Rezeption einzuordnen.<br />
Problematik: Nur sinnliche Eindrücke ohne Kategorien und Einordnungsmöglichkeit blind<br />
Nur Kategorien ohne Inhalt leer<br />
Reine Begriffe = Kategorien, die grundsätzlich vorhan<strong>de</strong>n sind<br />
Empirische Begriffe = gelernte Kategorien<br />
Anschauungen und Begriffe sind entwe<strong>de</strong>r rein o<strong>de</strong>r empirisch.<br />
Selbsthervorbringen von<br />
Vorstellungen<br />
aktiv
Zum Text von Immanuel Kant<br />
- Z. 6-7: Alle Erkenntnis beginnt mit <strong>de</strong>r Erfahrung<br />
- Z. 8-<strong>12</strong>: Hauptquellen: Rezeptivität + Spontanietät wer<strong>de</strong>n benötigt<br />
Erkenntnis entspringt <strong>de</strong>r Kombination bei<strong>de</strong>r Elemente<br />
• Gewohnheit differenziert diese Unterscheidung nicht<br />
mehr<br />
nur eine bewusste Analyse zeigt <strong>de</strong>n Zusammenhang auf<br />
- Es gibt Erkenntnisse, die unabhängig von <strong>de</strong>r menschlichen<br />
Rezeptivität sind<br />
Erkenntnisse a priori, die durch reine Begriffe, die uns bereits<br />
gegeben sind erworben wer<strong>de</strong>n / gegeben wer<strong>de</strong>n<br />
- Allgemeine Regeln wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Erfahrung abgeleitet<br />
keine Erkenntnisse a priori<br />
Suche nach reinen Erkenntnissen, die frei von aller Erfahrung sind<br />
Begriffs<strong>de</strong>finition:<br />
- „schlechterdings“ = ganz und gar, überhaupt<br />
Zum Empirismus allgemein<br />
• Empirismus: philosophische Richtung, die behauptet das alle<br />
Erkenntnis auf <strong>de</strong>r Erfahrung beruht. Erkenntnisse a priori wer<strong>de</strong>n<br />
bestritten<br />
• Hauptvertreter: John Locke, Francis Bacon, David Hume, George<br />
Barkley<br />
- Hauptsatz: Alle Erkenntnis entspringt <strong>de</strong>r Erfahrung<br />
Philosophie - 2. Kursarbeit - 15.<strong>12</strong>.04<br />
- Kurzbeschreibung:<br />
• Nichts ist im Denken (in unseren Begriffen), was nicht aus <strong>de</strong>r<br />
Erfahrung stammt.<br />
• Empirismus ist eine philosophische Richtung, die davon ausgeht das<br />
alle Erkenntnis auf Erfahrung beruht und dabei die Möglichkeit einer<br />
Erkenntnis a priori bestreitet<br />
tabula rasa := unbeschriebenes Blatt<br />
Begriffs<strong>de</strong>finition(en):<br />
- tabula rasa: (wörtlich): unbeschriebene Tafel (=> römisch<br />
Wachstafeln)<br />
- diskursiv: von Begriff zu Begriff fortschreitend / schlussfolgernd <br />
intuitiv<br />
- intuitiv: Das Unmittelbare, nicht diskursive nicht auf Reflexion<br />
beruhen<strong>de</strong> Erkennen, Erfassen eines Sachverhalts o<strong>de</strong>r eines<br />
komplizierten Vorgangs<br />
- Evi<strong>de</strong>nz: intuitives, Selbsthervorgebrachtes Erkennen<br />
Zum Text von David Hume<br />
- Überschrift: Gegenstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vernunft und Forschung wer<strong>de</strong>n in 2<br />
Arten zerlegt:<br />
1. Beziehungen von Vorstellungen ( z.B. Mathematik)<br />
2. Beziehungen von Tatsachen ( von intuitiver o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>monstrativer<br />
Gewissheit )<br />
- Vorstellungen: Sind rein geistiger Natur, ohne <strong>de</strong>monstrative<br />
Gewissheit<br />
- Z. <strong>12</strong> – 14: Kein Wi<strong>de</strong>rspruch im <strong>gesamt</strong>en Satz, da die rein geistige<br />
Vorstellung noch nicht <strong>de</strong>monstrativ bewiesen bzw. wi<strong>de</strong>rlegt wur<strong>de</strong> (<br />
Bsp. Sonnenaufgang )<br />
- Z. 17 – 28: 2 Arten <strong>de</strong>r Evi<strong>de</strong>nz<br />
1. Evi<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Sinne / <strong>de</strong>s Gedächtnisses<br />
2. Evi<strong>de</strong>nz durch die Analyse von Ursache und Wirkung<br />
- Z. 29 – 50:<br />
• Begründung von Tatsachen außerhalb <strong>de</strong>r Evi<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Sinne durch<br />
Verknüpfung mit an<strong>de</strong>ren bekannten Tatsachen<br />
• Gegenwärtige Tatsachen erklären sich rein empirisch => Wirklichkeit<br />
Die gegenwärtige Tatsache ist die Wirkung einer Ursache<br />
Rückschlüsse sind zwar möglich, können aber falsch sein<br />
Zusammenfassung<br />
Gegenstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Erkennens<br />
Beziehungen von Vorstellungen<br />
Beziehen sich auf die<br />
Mathematik<br />
Beruhen auf reiner<br />
Tätigkeit <strong>de</strong>s Denkens<br />
Beziehungen von<br />
Vorstellungen sind sicher<br />
Mathe reinste<br />
Geisteswissenschaft<br />
Axiome:<br />
Grundsätzliches<br />
Tatsachen<br />
Beziehen sich auf die Wirklichkeit und<br />
beruhen auf:<br />
• Sinneswahrnehmungen (<br />
(unmittelbar und<br />
gespeichert)<br />
• Verknüpfung von<br />
Tatsachen in <strong>de</strong>r Ursache –<br />
Wirkung - Beziehung<br />
Tatsachen sind unsicher<br />
und täuschungsanfällig<br />
Sog. Kontingente<br />
Aussagen: das Gegenteil<br />
ist <strong>de</strong>nkbar<br />
Das Ursache – Wirkungsverhältnis erlaubt <strong>de</strong>m Menschen über<br />
die Eingebung <strong>de</strong>r gegenwärtigen Sinne bzw. <strong>de</strong>s Gedächtnisses<br />
hinauszugehen<br />
Frage: Wie kommt man zur Kenntnis von Ursache und Wirkung ?<br />
nicht aus Denkakten a priori möglich / gewonnen<br />
„allgemein und ausnahmslos“ aus <strong>de</strong>r Erfahrung<br />
dadurch das Gegenstän<strong>de</strong> beständig in Zusammenhang stehen (<br />
Z. 51 – 55 )<br />
- Z. 69 – 70: These: „Ursache und Wirkungen [sind] nicht durch die<br />
Vernunft, son<strong>de</strong>rn durch die Erfahrung zu ent<strong>de</strong>cken.“<br />
- Syllogismus im Text vorhan<strong>de</strong>n:<br />
1. Prämisse: Alle Menschen sind sterblich (= Allaussage)<br />
2. Prämisse: Sokrates ist ein Mensch (= Existenzaussage /<br />
Einzelaussage)<br />
3. Konklusion: Also ist Sokrates sterblich<br />
Anwendung <strong>de</strong>s Einzelfalls auf <strong>de</strong>n Allgemeinfall<br />
Anwendung bei Hume:<br />
1. Prämisse: Aus <strong>de</strong>r Ursache A folgt die Wirkung B<br />
2. Prämisse: Es gibt A<br />
3. Konklusion: Es folgt B<br />
Fehler: Das System funktioniert nur wenn gilt: natura non facit saltus<br />
so wie es war, bleibt es in Ewigkeit / „Die Natur macht keine<br />
Sprünge<br />
Da die Erfahrung zwar bisher so war, heißt das nicht unbedingt<br />
das es immer so sein wird<br />
Verfahren entspricht einem Induktionsschluss<br />
Schließen von Einzelfällen auf ein Gesetz<br />
Nur möglich wenn natura non facit saltus gilt<br />
Schlüsse sind nach Hume keine zwingen<strong>de</strong>n Schlüsse<br />
Schlüsse sind immer durch eine begrenzte Erfahrung<br />
eingeschränkt<br />
Mögliche Unvollkommenheit <strong>de</strong>s Syllogismus / <strong>de</strong>r<br />
Konklusion<br />
S.58 Z.1 – 36<br />
- Von <strong>de</strong>r Ursache auf die Wirkung zu schließen ist durch Denkakte<br />
a priori nicht möglich<br />
eine vorherige Beobachtung ist notwendig, um zukünftige<br />
Ursachen / Wirkungen zu ermitteln<br />
Bsp. Bewegung <strong>de</strong>r Billardkugeln beliebig <strong>de</strong>nkbar, aber empirisch<br />
erst beweisbar<br />
Denkakte a priori sind nicht in <strong>de</strong>r Lage, uns die Anleitung zum<br />
Umgang mit nicht empirisch analysierten Ursachen / Wirkungen<br />
zu geben (S. 57, Z. 59 – 62)<br />
Auch Naturgesetze sind davon abhängig, ob ihre<br />
Rahmenbedingungen weiterhin Bestand haben<br />
Letztliche Schlussfolgerung:<br />
Die Wissenschaft kann die Grundbegriffe und Prinzipien <strong>de</strong>r Natur nicht<br />
wissenschaftlich erfassen, aufgrund <strong>de</strong>s endlichen, menschlichen Wissens<br />
Faust: 1. Monolog, dieselbe Feststellung<br />
Intention Humes: Argumentation gegen die Naturwissenschaftler seiner Zeit<br />
nicht zwingen<strong>de</strong>r Induktionsschluss<br />
Wi<strong>de</strong>rstand gegen <strong>de</strong>n Gedanken, das etwas a priori existiert<br />
Nur Gott ist allwissend