gesamt 12 - Evolutionsfehler.de
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Hauptfrage von Staatstheorien:<br />
Was ist ein Staat?<br />
113 Politik – Mitschrift – 22.02.05<br />
Unter Karl <strong>de</strong>m Großen: Staat soll ein christlich bestimmtes Reich sein.<br />
christliches Weltreich<br />
In <strong>de</strong>r Renaissance: Humanismus<br />
Mensch als Maß aller Dinge<br />
Neue Staatsi<strong>de</strong>e<br />
John Locke: Staatsi<strong>de</strong>e<br />
- 17.Jhrd.: Versuch in England <strong>de</strong>n Absolutismus einzuführen<br />
Bill of Right / Magna Carta: Scheitern <strong>de</strong>s Versuchs<br />
Locke formuliert Kampfschrift<br />
- Definition <strong>de</strong>s Staates: Der Mensch ist <strong>de</strong>r Stifter <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>r das Eigentum <strong>de</strong>r<br />
Menschen sichern soll<br />
Sicherung <strong>de</strong>s Eigentums an Leben und physischem Eigentum (Land, erarbeitete<br />
Güter, e.t.c.)<br />
Besitz und Sicherung <strong>de</strong>s selbst geschaffenen Eigentums wird angestrebt<br />
Staat ist sozusagen eine Selbstschutzorganisation, die <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>s selbst<br />
geschaffenen Eigentums sichern soll<br />
I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Staatsertrags / Gesellschaftsvertrag geschlossen durch das Volk<br />
Der Staat ergibt sich aus einem Vertrag <strong>de</strong>r Bürger<br />
Gesetze sollen die Interessen <strong>de</strong>r Vertragschließen<strong>de</strong>n Parteien zu sichern (= Mittel<br />
zum Zweck)<br />
Unterscheidung: 2 Gewalten<br />
1.) Legislative<br />
– Gesetzgeben<strong>de</strong> Körperschaft ist durch das Volk gewählt und soll ihm dienen<br />
– oberste Gewalt und liegt in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Volkes und ihrer Repräsentanten<br />
nicht <strong>de</strong>r König ist die höchste Gewalt, son<strong>de</strong>rn das Volk<br />
Schutz <strong>de</strong>r Bürger und ihres Eigentums<br />
Zentrale For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Parlamentarismus: Steuerrecht / Finanzrecht<br />
Billigung durch das Parlament<br />
Grundlegen<strong>de</strong>s Recht Eigentum zu erwerben<br />
Das Eigentum darf <strong>de</strong>n Menschen ohne ihre Zustimmung nicht weggenommen<br />
wer<strong>de</strong>n<br />
Das Denken <strong>de</strong>r Menschen än<strong>de</strong>rt sich vom Theozentrischen Weltbild zur Ansicht <strong>de</strong>s<br />
Humanismus <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund stellt<br />
Zentrale Begriffe innerhalb <strong>de</strong>s Textes: Eigentum, Volk, Legislative, Grundrechte<br />
(Menschenrechte)<br />
Begrenzung <strong>de</strong>r exekutiven Macht gegenüber <strong>de</strong>r Legislativen Gewalt wird somit<br />
gerechtfertigt<br />
H.A. 22.02.05: Montesquieu recherchieren<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 113 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 1
113 Politik – Mitschrift – 24.02.05<br />
Adam Smith (1776): Natur und Wesen <strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s<br />
- Der Mensch ist von an<strong>de</strong>ren Menschen abhängig<br />
vom Wohlwollen allein wird er diese Hilfe nicht bekommen<br />
- Je<strong>de</strong>r soll davon überzeugt sein das es ihm einen Vorteil verschafft, wenn er so<br />
han<strong>de</strong>lt wie ich es will<br />
- Bei einem Geschäft meinen bei<strong>de</strong> sie hätten einen Vorteil<br />
Tauschhan<strong>de</strong>l: „Gib mir was ich brauche und ich gebe dir was du brauchst.“<br />
gerechter Han<strong>de</strong>l ohne das jemand dabei Gewinn / Vorteil hat<br />
- Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen wer<strong>de</strong>n nicht aus Wohlwollen befriedigt, son<strong>de</strong>rn aus<br />
Eigennutz <strong>de</strong>r Anbieter<br />
- Man spricht von ihren Vorteilen und an ihr Selbstinteresse<br />
Marktwirtschaftliches Prinzip<br />
Egoistische Einstellung<br />
- Der Markt reguliert sich selbst durch die verschie<strong>de</strong>nen egoistischen Interessen <strong>de</strong>r<br />
Individuen<br />
Grundgedanke <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
- Locke: Staat nur Beschützer <strong>de</strong>r Bürger, sodass sie ihr Eigentum genießen können<br />
Kombination <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Theorien (Locke + Adam Smith) ergibt die Grundtheorie <strong>de</strong>s<br />
Liberalismus<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 113 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 1
113 Politik – Mitschrift – 01.03.05<br />
- Unterschiedliche Freiheitsbegriffe innerhalb <strong>de</strong>r Parteien vorhan<strong>de</strong>n<br />
unterschiedliche Auslegung<br />
prinzipiell hat <strong>de</strong>r Mensch das Recht auf die Wahrung <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong><br />
- Bestimmte Aspekte <strong>de</strong>r Freiheit:<br />
• Freizügigkeit<br />
• Wahlrecht<br />
• E.t.c.<br />
- Unterschied zwischen Locke und Montesquieu:<br />
• Locke: Freier Genuss <strong>de</strong>s Eigentums => bei vielen im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
• Montesquieu: Schutz <strong>de</strong>s Individuums<br />
Rechtsstaat<br />
- Problematik: Schutz <strong>de</strong>s Eigentums o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Individuums?<br />
- Text: Der Liberale Rechtsstaat<br />
Durchsetzung dieser Fundamentalen Prinzipien zu unterschiedlichen Zeiten<br />
Unterschiedliche Betonung <strong>de</strong>r o.g. Punkte (Eigentum Rechtssicherheit)<br />
Betonung <strong>de</strong>s Eigentums in <strong>de</strong>r BRD<br />
Staatliches Han<strong>de</strong>ln wird an Recht und Gesetz gebun<strong>de</strong>n<br />
• nur Staatliche Organe<br />
Rechtsstaat bzw. Organe <strong>de</strong>s Rechtsstaats wer<strong>de</strong>n eingeschränkt<br />
Priorität im Rechtsstaat für Rechtssicherheit und nicht für soziale Sicherheit /<br />
Gerechtigkeit<br />
• nur ein Paragraph bezieht sich auf soziale Gerechtigkeit: 17<br />
Naturrecht: vorstaatliches, angeborenes Recht das je<strong>de</strong>m Menschen eigen ist<br />
• Steht nicht zur Disposition <strong>de</strong>s Staates<br />
H.A. 01.03.05<br />
Seite 1+2 <strong>de</strong>s Textes<br />
Von Robert Leicht<br />
durchlesen<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 113 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 1
Angelsächsischer Liberalismus:<br />
(freie Nutzung <strong>de</strong>r eingenen Arbeit<br />
Arbeit bil<strong>de</strong>t Eigentum<br />
Freiheit)<br />
Französischer Liberalismus:<br />
(Begrenzung staatlicher Macht, Zugunsten<br />
<strong>de</strong>r individuellen Freiheit)<br />
Freiheit als Schutz vor staatlicher<br />
Willkür<br />
Nationalliberale<br />
(zur Unterstützung<br />
Bismarcks)<br />
For<strong>de</strong>rungen:<br />
Sozialer Liberalismus:<br />
- Rechtsordnung<br />
Von Friedrich Normann:<br />
- Wirtschaftliche<br />
Es existiert nur Freiheit, wenn sie<br />
Auch wahrgenommen wird.<br />
Orientierung<br />
Die Möglichkeit zur Ausübung muss gegeben<br />
Sein<br />
Der Staat muss die Möglichkeiten zur<br />
Verfügung stellen, um die Freiheit wahr<br />
Zunehmen<br />
Staat wird aktiv tätig<br />
2<br />
Klassischer Liberalismus<br />
Des 19. Jhrds.<br />
(liberalischer<br />
Nachtwächterstaat)<br />
113 Politik – Mitschrift – 10.03.05<br />
Sozialer Liberalismus<br />
(Normann)<br />
1<br />
Wirtschaftsorientierung<br />
Rechtsstaatsorientierung<br />
Neoliberalismus<br />
Sozialliberalismus<br />
(Freiburger Thesen<br />
1871)<br />
Rückkehr zur<br />
klassischen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s<br />
frühen Liberalismus<br />
(Neoliberalismus)<br />
Altliberalismus<br />
Ordolberalismus<br />
(Prinzip <strong>de</strong>s<br />
Wettbewerbs soll<br />
aufrecht erhalten<br />
bleiben) =><br />
Stabilisierung <strong>de</strong>s<br />
Marktes durch<br />
staatliche Ordnung
Text von Robert Leicht:<br />
213 Politik – Mitschrift – 15.03.05<br />
- Kommunitarismus: (v.a. in <strong>de</strong>n USA)<br />
Bürger sind dazu angehalten, ihr Eigentum zu erhalten und zu beschützen<br />
Bzw. das Eigentum an<strong>de</strong>rer zu sichern<br />
I<strong>de</strong>e außerhalb <strong>de</strong>r staatlichen Organisation sich selbst zu verwalten und zu beschützen<br />
Unter Umstän<strong>de</strong>n faschistoi<strong>de</strong> Einstellung bzw. Auswüchse<br />
An<strong>de</strong>res Gesellschaftsverständnis<br />
Abschottung von <strong>de</strong>r Außenwelt, innerhalb <strong>de</strong>s Staates bleiben die Bürger größtenteils<br />
selbstverantwortlich<br />
Gegenbewegung zum Liberalismus (nicht in BRD etabliert)<br />
- Abschnitt (1):<br />
• Freiburger Thesen: Regeln <strong>de</strong>s sozialen Liberalismus sind darin nie<strong>de</strong>rgeschrieben<br />
Abschnitt (2):<br />
Abschnitt (3):<br />
• Was ist eigentlich noch liberal?<br />
• Ten<strong>de</strong>nz: Der Staat tritt autoritärer auf und kontrolliert die Bürger zunehmend<br />
• Liberale Gesellschaften sind nicht dazu in <strong>de</strong>r Lage ihre Existenz zu sichern, bauen kontinuierlich<br />
ab (= Gegensatz zum Liberalismus)<br />
Abschnitt (4):<br />
• Liberalismus for<strong>de</strong>rt einen informierten, selbstbewussten Menschen<br />
Realität: Zunehmen<strong>de</strong> Entmündigung <strong>de</strong>s Menschen und Desinformation<br />
Abschnitt (6):<br />
• Alle Richtungen sind am Gemeinwohl orientiert: Frage steht im Raum in welcher Weise dies<br />
bewerkstelligt wer<strong>de</strong>n soll<br />
Abschnitt (7):<br />
• Rechtsstaat und Grundrechte sind (zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r westlichen Hemisphäre) Allgemeingut<br />
Inhalte dieser Grundrechte sind allerdings in <strong>de</strong>r Diskussion und nicht vollkommen<br />
Allgemeingut (bis heute)<br />
Abschnitt (8): vgl. 3+4<br />
Abschntt (9):<br />
• In Krisen sind die Menschen schnell dazu bereit gesetzliche Min<strong>de</strong>stgarantien aufzugeben<br />
Duldung <strong>de</strong>s Staates<br />
Abschnitt (10):<br />
• Liberalismus ist hochaktuell, da je<strong>de</strong>r sich für liberal hält, aber liberales Gedankengut gleichzeitig<br />
bekämpfen<br />
Abschnitt (11)<br />
• Geht auf Montesquieu, Locke, u.s.w. ein<br />
H.A.: 15.03.05<br />
Historischer Überblick lesen<br />
S.7: „Um es einmal gotisch auszudrücken.“<br />
Lesen.<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 113 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 1
Einzufügen: Zeichnung (auf Mitschrift 24.02.05)<br />
113 Politik – Mitschrift – 25.02.05<br />
- Bun<strong>de</strong>skanzler bleibt Abgeordneter<br />
- Wird durch die Mehrheit gewählt<br />
bestimmt sein Kabinett<br />
Exekutive bleibt Teil <strong>de</strong>r Legislative<br />
Wenn überhaupt funktionelle Gewaltenteilung<br />
Keine institutionelle Gewaltenteilung<br />
Keine Gewaltenteilung, son<strong>de</strong>rn Gewaltenverschränkung bzw. Gewaltenverschmelzung<br />
Element <strong>de</strong>r sog. Parlamentarischen Demokratie<br />
- erstmals untersucht durch Sir Walter Bagehot<br />
- parlamentarische Mehrheit will die Regierung im Amt halten<br />
bei Wi<strong>de</strong>rstand: Vertrauensfrage<br />
Kontrolle <strong>de</strong>r Regierung nur in <strong>de</strong>r präsidialen Demokratie, nicht in <strong>de</strong>r parlamentarischen Demokratie<br />
- Die Mehrheit <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stages bestimmt über <strong>de</strong>n Ausgang <strong>de</strong>r Untersuchungskommissionen<br />
Affären und Vorfälle gehen gemäß <strong>de</strong>r Mehrheitsverteilungen im Bun<strong>de</strong>stag aus<br />
Montesquieu:<br />
- in England im Exil aufgrund:<br />
Kritik am französischen System<br />
Siehe Rousseau (war in die Schweiz ausgewan<strong>de</strong>rt)<br />
- Ungleichheit durch Besitz<br />
- Zivilisation hat die Kultur verdorben<br />
Rückbezug auf natürliche Lebensbedingungen<br />
In <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>s Barock (Absolutismus)<br />
Entmachtung <strong>de</strong>r Adligen durch Ludwig 14. durch Einführung und Zwang <strong>de</strong>s sog. Höfischen Lebens<br />
Libertinage: Das Leben genießen, aber nur im oberflächigen Bereich<br />
- alle Kritiker wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Land verbannt<br />
- politisches System <strong>de</strong>s Absolutismus: Terror und Unterdrückung, Entmachtung und Kontrolle <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls<br />
- in England: Parlament beharrt auf Gewaltenteilung<br />
kein Absolutismus<br />
I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gewaltenteilung von 3 Gewalten, die nebeneinan<strong>de</strong>r existieren (nicht übereinan<strong>de</strong>r wie in<br />
England)<br />
http://www.case-gallery.<strong>de</strong>/<br />
Modding-Station.net - The German Modding Source<br />
- bei Montesquieu: Freiheitheitsbegriff bzw. Staatsvorstellung:<br />
Sicherheit vor staatlicher Willkür<br />
Sicherheit / Freiheit von Angst<br />
Rechtssicherheit die ihn vor staatlicher Willkür schützt<br />
Ein Bürger braucht <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und braucht <strong>de</strong>n Staat nicht zu führen<br />
Rechtsstaat soll angestrebt wer<strong>de</strong>n<br />
- Legislative und Judikaive in einer Hand: Einschränkung <strong>de</strong>r Freheit<br />
- Bzw. Legislative und Exekutive<br />
siehe Ermächtigungsgesetz (NS)<br />
- kommen alle 3 Gewalten zusammen<br />
keine Freiheit (siehe NS-Zeit)<br />
Französischer Liberalismus: Rechtsstaatsi<strong>de</strong>e<br />
Englischer Liberalismus: Weitgehen<strong>de</strong> Enthaltung <strong>de</strong>s Staates aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />
FDP: Dualismus aus diesen bei<strong>de</strong>n Strömungen ergibt <strong>de</strong>n politischen Kurs<br />
Hausaufgabe 25.02.05<br />
Abschnitt: Der liberale Rechtsstaat durchlesen<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 113 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 1
Thema: Kommunitarismus<br />
Anhang:<br />
213 Politik – Mitschrift – 17.03.05<br />
- Philosophische, politische Richtung: v.a. verbreitet in <strong>de</strong>n USA<br />
- lehnt <strong>de</strong>n Liberalismus ab<br />
- Das Individuum ist nicht wie im Liberalismus angenommen in <strong>de</strong>m beschriebenen Maße autonom<br />
Die liberale Gesellschaft verkennt, dass Individuen nicht autonome Wesen sind, son<strong>de</strong>rn immer<br />
auch Teile von Communities.<br />
• Individualismus: hat Sinnverlust zur Folge<br />
Menschenbild <strong>de</strong>s Kommunitarismus:<br />
- Mensch bewertet sein Han<strong>de</strong>ln immer nach bestimmten Kriterien<br />
- Menschliches Han<strong>de</strong>ln ist niemals wertneutral, son<strong>de</strong>rn steht in einem moralischen Raum<br />
Problem: Keine Aussage wer diesen moralischen Raum vorzugeben hat.<br />
- Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Liberalismus: Staatsvertragsi<strong>de</strong>e wird verneint<br />
- Kommunitarier <strong>de</strong>finieren die Vernunft und Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen Menschen über die Gemeinschaft<br />
Gemeinschaft wird über <strong>de</strong>n Menschen gestellt<br />
- Menschen sind nur Menschen, wenn sie als Teil einer Gesellschaft leben<br />
Anzweiflung <strong>de</strong>r Menschenrechte<br />
Gefangene wer<strong>de</strong>n nicht als Menschen mit unveräußerlichen Rechten verstan<strong>de</strong>n<br />
Respekt vor <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist ausschlaggebend für die Einhaltung von Werten und Normen und nicht<br />
die Tat an sich ist für die Entscheidung wichtig<br />
Mensch han<strong>de</strong>lt aus Eigennutz, da er Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft bleiben möchte<br />
Kommunitarismus<br />
[von englisch community, "Gemeinschaft", "Gemeinwesen"]<br />
eine in <strong>de</strong>n USA entstan<strong>de</strong>ne Denkströmung innerhalb <strong>de</strong>r Sozialwissenschaften und <strong>de</strong>r Philosophie, die <strong>de</strong>m<br />
Gemeinschafts<strong>de</strong>nken angesichts globaler Herausfor<strong>de</strong>rungen und fortschreiten<strong>de</strong>r Inividualisierung beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung<br />
zuschreibt. Führen<strong>de</strong> Repräsentanten dieser Strömung sind u. a. A. Etzioni und M. Walzer. Der Kommunitarismus kritisiert<br />
<strong>de</strong>n Liberalismus als unzureichend und will ihn durch gemeinschaftsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Elemente ergänzen. Anhänger <strong>de</strong>s<br />
Kommunitarismus verurteilen die Verfolgung individueller Interessen ohne Berücksichtigung gemeinsamer ethischer Prinzipien<br />
und ohne soziale Orientierung. Auf politischer Ebene sollen dabei kommunitaristische Prinzipen das herkömmliche<br />
Institutionengeflecht erneuern.<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
Donnerstag 07.04.05<br />
3. Kursarbeit<br />
Politik - LK<br />
5. + 6. Stun<strong>de</strong><br />
Freitag 08.04.05<br />
Treffen mit Ottmar Schreiner<br />
Aufenthaltsraum: Neues Gebäu<strong>de</strong><br />
Wichtig für die Arbeit:<br />
213 Politik – Mitschrift – 05.04.05<br />
- Unterschiedliche Gewichtung <strong>de</strong>r Liberalismen<br />
- Verschie<strong>de</strong>ne Staatsi<strong>de</strong>en<br />
- Locke Montesquieu<br />
- Wirtschaftsliberalismus Rechtsstaats<strong>de</strong>nken<br />
- Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r einzelnen Liberalismus-Strömungen unterschei<strong>de</strong>n und innerhalb eines Textes erkennen<br />
können<br />
Strömungen: (Wirtschaftsliberalismus Rechtsstaats<strong>de</strong>nken) innerhalb z.B. <strong>de</strong>r FDP vertreten<br />
- Text:<br />
• welches Staatsverständnis liegt <strong>de</strong>m Text zu Grun<strong>de</strong>?<br />
• Welches Gesellschaftsbild liegt <strong>de</strong>m Text zu Grun<strong>de</strong> bzw. welches Gesellschaftsbild soll herbeigeführt<br />
wer<strong>de</strong>n?<br />
• Was ist Freiheit nach <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Verständnis? (z.B.: (Naumann): Freiheit liegt nur vor, wenn<br />
sie je<strong>de</strong>rmann wahrnehmen kann.)<br />
Rechtsstaatsi<strong>de</strong>e:<br />
- Bindung <strong>de</strong>s Staates an Recht und Gesetz (gemäß Montesquieu)<br />
Referent: Michael Couck<br />
Bezugskurs: 213 Politik<br />
Tutor: Herr Krisam<br />
Halbjahr: <strong>12</strong> / 2
213 Politik – Mitschrift – 15.04.05<br />
Friedrich List:<br />
Gründung <strong>de</strong>s allgemeinen <strong>de</strong>utschen Zollvereins in Verbindung mit radikaler Industrialisierung und Ausbau <strong>de</strong>s Verkehrsystems,<br />
z.B. Versuchsstrecke für experimentelle Dampfmaschinen (Lokomobil)<br />
Anlage<br />
- Rolle <strong>de</strong>s Staates differiert in allen Richtungen<br />
- Ordoliberalismus: Starke Rolle <strong>de</strong>s Staates, um die Wirtschaft zu lenken und zu ordnen<br />
Erhaltung <strong>de</strong>s Marktes (z.B. Kartellrecht / Gesetze – gegen Monopolstellung)<br />
- Verständnis <strong>de</strong>r Freiheit ist ebenso unterschiedlich<br />
Faschismus<br />
[italienisch fascio, "Bund, Bün<strong>de</strong>l", von lateinisch fascis, Fasces]<br />
die von B. Mussolini 1919 gegrün<strong>de</strong>te politische Bewegung, die zunächst aus Kampfverbän<strong>de</strong>n (fasci di combattimento) bestand, sich<br />
1921 als Partei formierte und 1922-1945 Italien beherrschte. Der Name Faschismus wird schon seit <strong>de</strong>n 1920er Jahren als<br />
Gattungsbezeichnung für ähnliche politische Bewegungen und Herrschaftssysteme außerhalb Italiens gebraucht, die sich selbst in <strong>de</strong>r<br />
Regel nicht "faschistisch" nannten o<strong>de</strong>r nennen. Die Frage, welche Merkmale für <strong>de</strong>n Faschismus wesentlich sind, wird unterschiedlich<br />
beantwortet. Es gibt enger und weiter gefasste Begriffsbestimmungen, aber auch die Auffassung, dass die Bezeichnung Faschismus auf<br />
das historische italienische System beschränkt wer<strong>de</strong>n sollte.<br />
Im weiteren Sinne kann <strong>de</strong>r Faschismus <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n als ein politisches System, das gekennzeichnet ist durch antiparlamentarische,<br />
oft antisemitische, totalitäre Führerstaatsten<strong>de</strong>nzen und sich vielfach einer sozialrevolutionären Ausdrucksweise bedient. Der an die<br />
Macht gelangte Faschismus lässt die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaftsordnung grundsätzlich unangetastet. Von Militärdiktaturen und an<strong>de</strong>ren<br />
autoritären Regimes unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Faschismus durch eine breitere Machtbasis, die durch zentral gesteuerte<br />
Massenorganisationen angestrebt wird. Diese Massenanhängerschaft kommt vor allen aus <strong>de</strong>m kleinen Mittelstand, <strong>de</strong>r sich zwischen <strong>de</strong>n<br />
Machtblöcken <strong>de</strong>s Großkapitals und <strong>de</strong>r Arbeiterbewegung bedroht fühlt. Der herrschen<strong>de</strong> Faschismus strebt jedoch <strong>de</strong>n Ausgleich mit<br />
<strong>de</strong>m Großkapital an, während er <strong>de</strong>mokratisch-unabhängige Arbeiterorganisationen zerstört. Charakteristisch für <strong>de</strong>n Faschismus ist die<br />
erbitterte Gegnerschaft gegen Demokratie, Liberalismus und Sozialismus.<br />
Neben <strong>de</strong>m italienischen Faschismus gab es in <strong>de</strong>n 1920er und 1930er Jahren in Europa mehrere Bewegungen und Parteien, die man im<br />
weiteren Sinne als faschistisch bezeichnen kann, z. B. <strong>de</strong>n Nationalsozialismus in Deutschland, <strong>de</strong>n Falangismus in Spanien, die<br />
Heimwehr in Österreich, die Pfeilkreuzler in Ungarn und die Eiserne Gar<strong>de</strong> in Rumänien. Nach <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg traten verschie<strong>de</strong>ne<br />
Spielarten von Neofaschismus auf.
Thema: <strong>de</strong>mokratischer Sozialismus<br />
213 Politik – Mitschrift – 19.04.05<br />
Hegel: Schöpfungsgedanke<br />
absoluter Weltgeist<br />
versucht seine Gedanken umzusetzen<br />
o Ausrichtung an einer I<strong>de</strong>e (Schöpfungsi<strong>de</strong>e)<br />
o Entstehung <strong>de</strong>r Realität dieser I<strong>de</strong>e Dialektik<br />
o Realität bringt neue I<strong>de</strong>en hervor<br />
Ziel <strong>de</strong>r Geschichte ist die Realisierung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s absoluten Weltgeistes<br />
o These – Antithese – Synthese – These<br />
eine Erklärung <strong>de</strong>r Geschichtsphilosophie<br />
Scheitern am 3. Reich, da dieses m.H. <strong>de</strong>r Dialektik nicht erklärt wer<strong>de</strong>n kann („Betriebsunfall“ <strong>de</strong>r Geschichte)<br />
• Menschen, Staaten und Institutionen sind Instrumente <strong>de</strong>s absoluten Weltgeists<br />
Staat ist ein mächtigeres Instrument <strong>de</strong>s absoluten Weltgeists<br />
o Der Mensch hat sich <strong>de</strong>m Staat unterzuordnen<br />
preußisches Gedankengut<br />
Übersicht über die Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach Karl Marx<br />
- verwirft Hegels Weltbild<br />
- Schüler an einer Jesuitenschule<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r Religion<br />
Atheist<br />
- Standpunkt: am Anfang stand die Materie<br />
Entwicklung zum Sinn <strong>de</strong>r Geschichte / En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geschichte<br />
o Materielle Beziehungen innerhalb <strong>de</strong>r Geschichte regeln <strong>de</strong>n Verlauf<br />
Dialektischer Materialismus<br />
• Umkehrung <strong>de</strong>s Hegel´schen Weltbil<strong>de</strong>s<br />
Geschichte wird als vorhersehbar und wissenschaftlich planbar angesehen<br />
o Führungsanspruch <strong>de</strong>r kommunistischen Parteien wird hierdurch begrün<strong>de</strong>t<br />
Zur Übersicht:<br />
1. Schritt<br />
o Vorhaben <strong>de</strong>s Menschen: Besitz erwerben und sichern (Existenzsicherung)<br />
o Planvolles Han<strong>de</strong>ln: zukünftige Existenzsicherung und Bearbeitung <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns (Ackerbau)<br />
Menschen wer<strong>de</strong>n sesshaft<br />
Arbeitsteilung: Trennung in Jäger und Ackerbaubetreiben<strong>de</strong><br />
o notwendige Hilfsmittel wer<strong>de</strong>n geschaffen<br />
• Prozesse wer<strong>de</strong>n spezialisiert und effizienter gemacht<br />
o Handwerkertum<br />
Trennung von Produktionsmittelbesitz und Produktionsmittelbenutzung<br />
2. Schritt<br />
o Sklavenhaltergesellschaft in <strong>de</strong>r Antike<br />
• Grundlage: Landarbeit <strong>de</strong>r Sklaven und Grundherrschaft weniger<br />
Mittelalter: Grundherrschaft weniger (Fürsten, Könige, Kaiser, u.s.w.), auf <strong>de</strong>ren Land Untergebene / Leibeigene arbeiten<br />
(Lehnswesen)<br />
• Lehnsstruktur<br />
o Abgaben an je<strong>de</strong> einzelne Schicht<br />
frühe Neuzeit: Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Schwarzpulvers<br />
• Rittertum been<strong>de</strong>t<br />
• Neuer Berufsstand in <strong>de</strong>n Städten (Handwerker, Händler)<br />
o Entstehung <strong>de</strong>s Frühbürgertums<br />
o „Stadtluft macht frei“<br />
17. + 18. Jhrd.: Enormer Geldbedarf <strong>de</strong>r Fürsten, wegen stehen<strong>de</strong>r Armeen<br />
• französischer Merkantilismus<br />
• Interesse <strong>de</strong>s Staates: hohe Einnahmen aus Steuern, Zölle<br />
o Einfuhr von Fertigwaren wird blockiert<br />
o Einfuhr von Rohstoffen för<strong>de</strong>rn<br />
o Ausfuhr von Rohstoffen hemmen<br />
o För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ausfuhr von Fertigwaren<br />
• Zur Produktion / Umsetzung notwendig: Manufakturen<br />
o Massenproduktion aufgrund von Handarbeit in einzelnen Arbeitsschritten<br />
Trennung <strong>de</strong>r Produktionsmittelbesitzer von <strong>de</strong>n Benutzern<br />
3. Schritt<br />
o Industrialisierung: Ersatz <strong>de</strong>r Arbeiter durch Maschinen, Produktionssteigerung<br />
Überangebot an Arbeitskräften<br />
• Billiglöhne<br />
o Entstehung <strong>de</strong>s Proletariats<br />
Trennung in Kapitalisten und Proletarier<br />
• Kapitalisten (Produktionsmittelbesitzen<strong>de</strong>):<br />
o<br />
• Proletarier (mit Produktionsmittel Arbeiten<strong>de</strong>):<br />
o Entfremdung <strong>de</strong>r Arbeiter vom Produkt (aufgrund mangeln<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation)<br />
Nur geringe Teilhabe am Produkt<br />
• Geistige Verelendung (Langeweile, geistige Beschränkung, e.t.c.)<br />
o<br />
Ausbeutung <strong>de</strong>r Arbeiter: Entstehung <strong>de</strong>s Kapitalismus (privatrechtliche Verfügung über Produktionsmittel)<br />
• Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Aufwertung <strong>de</strong>s Kapitals (Produktionsmittel: Maschinen, Gerätschaften, e.t.c.)<br />
• Konkurrenz zwecks Profitorientierung und Aufhebung <strong>de</strong>r Konkurrenz (Ausschaltung von Marktgegnern)<br />
o Monopolbildung<br />
Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals in wenigen Hän<strong>de</strong>n<br />
Nachschlagen: Akkumulation, Konkurrenz, Verelendung (HA. 19.04.05)<br />
Ab Seite 11: Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung lesen
Seite 11<br />
213 Politik – Mitschrift – 26.04.05 + 28.04.05 + 29.04.05<br />
Produktion von Mehrwert durch Lohnarbeit<br />
- Arbeiter verkauft <strong>de</strong>m Kapitalist seine Arbeitskraft<br />
- Arbeiter erwirtschaftet seinen eigenen Bedarf innerhalb einer kürzeren Zeit (z.B. 6 Stun<strong>de</strong>n)<br />
Kapitalist verpflichtet ihn aber zu <strong>de</strong>r doppelten Zeit<br />
Erwirtschaftung <strong>de</strong>s Mehrwertes für <strong>de</strong>n Kapitalisten<br />
Arbeiter erwirtschaften <strong>de</strong>n Wohlstand <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Profitmaximierung<br />
- Arbeitstag wird über das notwendige Maß hinausgezogen<br />
- Arbeitszeit muss immer noch bei 10 Stun<strong>de</strong>n bleiben<br />
Rationalisierung: schnelleres Arbeiten<br />
Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit wird verkürzt<br />
o Profitmaximierung <strong>de</strong>s Kapitalisten durch größeren Mehrwert<br />
Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung<br />
- geistige und körperliche Fixierung auf die monotone Arbeit<br />
- Maschine beraubt <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>s Inhaltes seines bearbeiteten Produkts (Entfremdung vom Produkt)<br />
- Arbeitsbedingung schafft / gestaltet <strong>de</strong>n Arbeiter (z.B. Geschwindigkeit <strong>de</strong>r Arbeit / Art <strong>de</strong>r Arbeit bleibt gleich, <strong>de</strong>r Arbeiter<br />
muss sich anpassen => z.B. Hüttenbetrieb / Kraftwerke / e.t.c.)<br />
Einschränkung <strong>de</strong>r Lebensqualität<br />
- Maschine ersetzt letztendlich <strong>de</strong>n Arbeiter<br />
Überangebot an Arbeitern durch langfristige Ersetzung <strong>de</strong>r Angestellten (z.B. Bankautomaten, Fahrkartenautomaten, e.t.c.)<br />
Sinken <strong>de</strong>r Löhne<br />
Chronisches Elend in <strong>de</strong>r Arbeiterschicht<br />
Entfremdung im Kapitalismus<br />
- keine I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>m Endprodukt, da<br />
• nur noch Teilprozesse durchgeführt wer<strong>de</strong>n<br />
• das Endprodukt nicht verstan<strong>de</strong>n wird<br />
geistige Beschränkung und Stagnation in <strong>de</strong>r geistigen Entwicklung <strong>de</strong>s Arbeiters<br />
- Das System Kapitalismus ist für Marx nicht das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s menschlichen Zusammenlebens<br />
Adam SmithsTheorie trifft nicht zu<br />
Die Freiheit <strong>de</strong>s Menschen wur<strong>de</strong> durch die Wirtschaft eingeschränkt und <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>generiert / stumpft ab durch o.g.<br />
Entwicklung<br />
Verelendung bei wachsen<strong>de</strong>m Reichtum<br />
- Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Investition in neue Maschinen zur Produktionssteigerung und Profitmaximierung<br />
Entlassung von Arbeitern<br />
o Verschlechterung <strong>de</strong>r Lebenssituation<br />
Verelendung Reichtum<br />
- Arbeitsqual: Monotonie / Dauerbelastung / Speditionsbetriebe [Fahrtzeiten]<br />
- Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation<br />
steigen<strong>de</strong> Arbeitslosenzahlen<br />
sinken<strong>de</strong> Löhne<br />
Arbeiter abhängig und verelen<strong>de</strong>n materiell<br />
Zentralisation <strong>de</strong>r Kapitale im Konkurrenzkampf<br />
Exkurs<br />
- Verwandlung vieler kleiner Kapitale in wenige große Kapitale weniger<br />
- Zentralisation von Kapitalen<br />
- Konkurrenzkampf: Verbilligung <strong>de</strong>r Preise durch bessere / effektivere Produktsmittel<br />
Ausschalten kleiner Anbieter, die preislich nicht konkurrieren können<br />
Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation und Zentralisierung von Kapital<br />
„Es ist nicht das ökonomische Sein das vom Bewusstsein gebil<strong>de</strong>t wird, son<strong>de</strong>rn umgekehrt das ökonomische Sein bil<strong>de</strong>t das<br />
Bewusstsein.“<br />
Produktionsbedingungen bestimmen das Bewusstsein (Kultur / Wissenschaft / e.t.c.)
Spiegel: lesen, Kapitalismuskritik<br />
Bernstein Text (S.13)<br />
1. Abschnitt<br />
213 Politik – Mitschrift – 03.05.05 + 10.05.05<br />
• Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus ist nicht in näherer Zeit zu erwarten<br />
• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen Taktik nicht nötig<br />
Kritik an Engels Revolutionsbestrebungen (gewalttätiger Umsturz Umsturz allgemein; nicht zwangsläufig m.H. von Gewalt)<br />
2. Abschnitt<br />
• Prognose <strong>de</strong>s „kommunistischen Manifests“ ist in ihrer Ten<strong>de</strong>nz richtig<br />
• Zeitlicher Aspekt und spezielle For<strong>de</strong>rungen wur<strong>de</strong>n aber falsch eingeschätzt<br />
3. Abschnitt<br />
• gesellschaftliche Probleme und Zuspitzungen sind nicht so verlaufen wie Marx es beschrieben hat (Arbeitszeit, Lebensumstän<strong>de</strong>, e.t.c.)<br />
• Zahl <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n ist angestiegen, nicht gesunken<br />
Kapitalismus hat sich geän<strong>de</strong>rt<br />
Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
• Mittelschichten sind immer größer gewor<strong>de</strong>n<br />
Unterschicht ist weitgehend verschwun<strong>de</strong>n<br />
o Verbleiben<strong>de</strong> Unterschicht wird gesellschaftlich und finanziell stark belastet<br />
4. Abschnitt<br />
• technologischer Fortschritt wird immer schneller, entgegen Bernstein<br />
Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals vollzieht sich entgegen Bernstein zunehmend schneller<br />
5. Abschnitt<br />
• Staat schränkt <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Kapitalisten ein<br />
entgegen Marx<br />
• zunehmen<strong>de</strong> Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Arbeiter haben großen Einfluss auf die Unternehmen durch <strong>de</strong>mokratische Institutionen<br />
o Gewerkschaften<br />
• Staat hat sich verän<strong>de</strong>rt:<br />
o Früher: Unterdrückungsinstrument <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Klasse (Kapilisten)<br />
o Heute: Staat <strong>de</strong>s Volkes, <strong>de</strong>r die Arbeiter vor Missbrauch und Machtausübung <strong>de</strong>s Staates schützt<br />
• Gesetze schützen die Arbeiter: Arbeiterschutzgesetze, Fabrikgesetze (Arbeitszeiten, Sicherheitsbestimmungen, e.t.c.)<br />
Freiheit <strong>de</strong>r Gewerkschaften und Machteinfluss wird als Fortschrittszeichen von Bernstein angesehen<br />
6. Abschnitt<br />
• Je mehr Demokratie zum tragen kommt, <strong>de</strong>sto weniger ist eine politische Katastrophe zu befürchten (Revolution)<br />
Streitpunkt: Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus (Marx: ja, Bernstein: Nein)<br />
o Da <strong>de</strong>r Staat sein Verständnis geän<strong>de</strong>rt hat<br />
o Kapitalismus hat sich als reformfähig erwiesen<br />
Kapitalismus wird in absehbarer Zeit nicht zusammenbrechen<br />
Revolutionärer Sozialismus:<br />
1. Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse durch eine Revolution ist zwangsläufig (Marx)<br />
2. bewusste Revolution (Engels / Lenin) – soll herbeigeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
Ablauf: nach Marx<br />
- Kapitalismuszusammenbruch<br />
Revolution <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />
Absterben <strong>de</strong>s Staates nach Erreichung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft<br />
Ablauf.: nach Engels<br />
- Anzetteln einer militärischen, Gewaltorientierten Revolution zur Umwälzung <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />
Folge: Leninsche Interpretation / Abwandlung <strong>de</strong>r Marxistischen Theorie<br />
- Revolution ohne Proletariat durch Umsturz in einem agrarischen Staat<br />
Theorie <strong>de</strong>r Klassenbündnisse (Arbeiter und Bauern)<br />
Theorie <strong>de</strong>r Neuen Partei<br />
o Grundlage <strong>de</strong>r Revolution (Berufsrevolutionäre, die die Bevölkerung zu einem revolutionären<br />
Bewusstsein bringen wollen)<br />
Folge: Stalin<br />
- Revolution als Sozialismus in einem Land (Russland)<br />
Demokratischer Sozialismus:<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r Revolution, statt<strong>de</strong>ssen Evolution<br />
Staat hat sein Selbstverständnis / Rollenverständnis geän<strong>de</strong>rt (Herrschaftsinstrument => Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft)<br />
Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
Bernstein verän<strong>de</strong>rt die Marxschen Theorien:<br />
• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Staates<br />
Volksstaat<br />
• Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
• Neuer Mittelstand statt Verelendung <strong>de</strong>s Proletariats<br />
Teilung:<br />
1. Demokratisierung <strong>de</strong>s Staates<br />
2. Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Abgrenzung verschie<strong>de</strong>ner Strömungen <strong>de</strong>s Sozialismus: USPD, MSPD<br />
Revisionismusstreit zwischen 2 Lagern:<br />
revolutionärer Sozialismus <strong>de</strong>mokratischer<br />
Sozialismus<br />
Kommentar:<br />
Teilung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />
Nummer 1<br />
Kommentar:<br />
Teilung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />
Nummer 2<br />
Kommentar: HA. 10.05.05:<br />
Text: Der Weg <strong>de</strong>s<br />
Kommunismus<br />
zusammenfassen (Qualität:<br />
Kursarbeit)
Themen <strong>de</strong>r Arbeit : 03.06.05<br />
Konservativismus<br />
Der Weg zum Sozialismus (2. Bernstein – Text)<br />
Abschnitt 1:<br />
213 Politik – Mitschrift – 13.05.05<br />
- Völliger Zusammenbruch <strong>de</strong>s gegenwärtigen Produktionssystems ist bei <strong>de</strong>r gegenwärtigen Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
unwahrscheinlich<br />
För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Anpassungsfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
- Wi<strong>de</strong>rspruch zu Marx: Revolution för<strong>de</strong>rt diese Entwicklung nicht positiv<br />
- Umstülpung <strong>de</strong>r bürgerlichen Schicht hätte heutzutage Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft, im Gegensatz zur feudalen<br />
Gesellschaft (A<strong>de</strong>l gegen König => Bauern sind nicht betroffen)<br />
Auswirkungen auf das <strong>gesamt</strong>e Proletariat, das in <strong>de</strong>r Industrie arbeitet (bsp. Französische Revolution; bürgerliche Schicht<br />
gegen A<strong>de</strong>l und König)<br />
Sollte das Proletariat gegen die an<strong>de</strong>ren Schichten vorgehen, wäre die Zahl <strong>de</strong>r betroffenen Menschen wesentlich höher<br />
- Enteignung und Zerteilung von Firmen ist heutzutage kaum mehr möglich, da die Produktion bei einer Erhebung schwer zu<br />
erhalten wäre<br />
Gegensatz zur feudalen Politik (Enteignung von Bauern, Grundbesitz, e.t.c.)<br />
Eine Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse ist aus diesen Grün<strong>de</strong>n nicht erwünschenswert<br />
Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus aus Eigeninteresse<br />
Abschnitt 2:<br />
- Frage: Verwirklichung <strong>de</strong>s Sozialismus nie zu erwarten? (Herstellung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft)<br />
- Die strenge Umsetzung <strong>de</strong>s Sozialismus (nach Marx) liegt in weiter Ferne<br />
- Reformweise Umsetzung sozialistischer Elemente wird angestrebt<br />
z.B. Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip [n. –snur Sg.; Pol., Soziol.] Ordnungsprinzip in Staat und Gesellschaft, das besagt, dass <strong>de</strong>r<br />
Staat im Verhältnis zur Gesellschaft Hilfe zur Selbsthilfe als Ergänzung <strong>de</strong>r Eigenverantwortung anbieten soll (1961 im<br />
Bun<strong>de</strong>ssozialhilfegesetz verankert)<br />
- Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Kontrollmöglichkeiten <strong>de</strong>r Gesellschaft / Staates über die Wirtschaft<br />
Gegensatz zum Liberalismus: nicht mehr nur Ermöglichung <strong>de</strong>s freien Spiels <strong>de</strong>r Kräfte, son<strong>de</strong>rn Eingriff <strong>de</strong>s Staates / <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft<br />
Staat soll die Wirtschaft so leiten, das die von Marx beschriebene Ausbeutung <strong>de</strong>r Proletarier nicht zu Stan<strong>de</strong> kommt (=<br />
Auswüchse <strong>de</strong>s Sozialismus nach Marx) (= Ziel <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus nach Bernstein)<br />
Das Endziel <strong>de</strong>s Sozialismus rückt in <strong>de</strong>n Hintergrund – Der Weg hin zum Endziel <strong>de</strong>s Sozialismus steht im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
Bewegung steht im Vor<strong>de</strong>rgrund, nicht das Endziel (= Utopie) („Das Ziel ist nichts, <strong>de</strong>r Weg ist Alles.“)<br />
Abkehr von <strong>de</strong>m Revolutionsgedanken Marx´s<br />
Weg zu einer reformartigen Umsetzung sozialistischen Gedankenguts<br />
Abgleich mit aktueller Politik <strong>de</strong>r SPD<br />
Grundwerte (allgemein):<br />
1. Freiheit<br />
2. Rechtsgleichheit Grundwerte <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
3. Recht auf Eigentum<br />
H.A. 13.05.05<br />
Text durchlesen
Politik – Arbeit: 3. Juni<br />
Text: Zielvorstellungen <strong>de</strong>r SPD (S. 14 / 15)<br />
Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Abgleich mit aktueller Politik <strong>de</strong>r SPD<br />
213 Politik – Mitschrift – 16.05.05<br />
Demokratischer Sozialismus grenzt sich sowohl vom Liberalismus, als auch vom Marxismus ab.<br />
Grundwerte (allgemein):<br />
1. Freiheit<br />
2. Rechtsgleichheit Grundwerte <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
3. Recht auf Eigentum<br />
Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Freiheit<br />
1. Freiheit<br />
2. Gerechtigkeit Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
3. Solidarität<br />
Definition <strong>de</strong>r Freiheit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Freiheit verlangt Freisein von entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten, von Not und Furcht,<br />
aber auch die Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten und in Gesellschaft und<br />
Politik verantwortlich mitzuwirken.<br />
Menschliche Freiheit ist nicht gegeben, wenn man in einer entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeit ist.<br />
• Chance zur Entfaltung <strong>de</strong>r Freiheit ist eine Leistung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Freiheit existiert nur innerhalb einer Gesellschaft<br />
Die Gesellschaft schafft die Rahmenbedingungen in <strong>de</strong>r Menschen frei sein können<br />
Gesellschaft muss die Abhängigkeiten <strong>de</strong>r Menschen beseitigen<br />
o Wahrnehmung <strong>de</strong>r Freiheit erst dann möglich<br />
Gerechtigkeit<br />
Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Gerechtigkeit in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen:<br />
• gleichen Wür<strong>de</strong> aller Menschen<br />
• gleiche Freiheit,<br />
• Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetz,<br />
• gleiche Chancen <strong>de</strong>r politischen<br />
und sozialen Teilhabe und <strong>de</strong>r<br />
sozialen Sicherung.<br />
• gesellschaftliche Gleichheit von<br />
Mann und Frau<br />
Solidarität<br />
Chancengleichheit statt Chancengerechtigkeit !<br />
Umverteilung von Einkommen durch Steuern<br />
(hohe Steuern für Hochverdienen<strong>de</strong> / niedrige<br />
Steuern für Niedrigverdiener<br />
nicht Gleichförmigkeit, son<strong>de</strong>rn<br />
Entfaltungsraum für alle<br />
Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
• Verteilung von Einkommen<br />
• Eigentum<br />
• Macht<br />
• Zugang zu Bildung<br />
• Ausbildung und Kultur.<br />
• Bereitschaft füreinan<strong>de</strong>r Einzustehen und zu helfen, über das lebenserhalten<strong>de</strong> Niveau hinaus<br />
• Subsidiarität: Unterstützung <strong>de</strong>r niedrigeren Schicht, sofern sie sich selbst nicht mehr helfen kann<br />
Solidarität: Hilfe in je<strong>de</strong>m Fall, nicht nur im Notfall<br />
• Chancengleichheit für alle Menschen (vor allem für Menschen in <strong>de</strong>r Dritten Welt)<br />
Grundbedürfnisstrategie<br />
• Sicherung für kommen<strong>de</strong> Generationen<br />
Prinzip <strong>de</strong>r Nachhaltigkeit<br />
• Nur gemeinsames Agieren sichert das Wohl aller<br />
Abkehr vom Individualismus<br />
H.A. 16.05.05 – Parteiprogramme raussuchen – auf 3 Begriffe reduzieren (pro Partei > Be<strong>de</strong>utung je nach Partei)
Parteiprogramm <strong>de</strong>r CDU<br />
Freiheit<br />
213 Politik – Mitschrift – 19.05.05<br />
Freie Entfaltung in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />
freie Entfaltung <strong>de</strong>r Person ein.<br />
<strong>de</strong>n notwendigen Freiheitsraum zu sichern.<br />
Freiheit umfaßt Rechte und Pflichten. Wer Freiheit für sich for<strong>de</strong>rt, muß die Freiheit seines Mitmenschen anerkennen.<br />
Recht sichert Freiheit<br />
sichert Freiheit. Es regelt das geordnete und friedliche Zusammenleben <strong>de</strong>r Menschen in Freiheit.<br />
Die Verwirklichung <strong>de</strong>r Freiheit bedarf <strong>de</strong>r sozialen Gerechtigkeit.<br />
Aufgabe <strong>de</strong>r Politik ist es daher, <strong>de</strong>r Not zu wehren, unzumutbare Abhängigkeiten zu beseitigen und die materiellen Bedingungen <strong>de</strong>r<br />
Freiheit zu sichern.<br />
Persönliches Eigentum erweitert <strong>de</strong>n Freiheitsraum <strong>de</strong>s einzelnen für seine persönliche Lebensgestaltung.<br />
Subsidiarität<br />
Gleichberechtigung von Mann und Frau<br />
Leistung<br />
Die eigene Leistung gehört zur freien Entfaltung <strong>de</strong>r Person.<br />
Unsere Gesellschaft ist auf die Leistungsbereitschaft ihrer Mitglie<strong>de</strong>r angewiesen. Sie ist eine <strong>de</strong>r wesentlichen Grundlagen für<br />
Wohlstand und sozialen Frie<strong>de</strong>n.<br />
Gerechtigkeit<br />
Gleichheit<br />
Gleichheit aller Menschen in ihrer von Gott gegebenen Wür<strong>de</strong> und Freiheit.<br />
Gerechtigkeit be<strong>de</strong>utet gleiches Recht für alle. Recht schützt vor Willkür und Machtmißbrauch.<br />
Es sichert Freiheit auch für <strong>de</strong>n Schwächeren und schützt ihn.<br />
Chancengerechtigkeit<br />
Gerechtigkeit for<strong>de</strong>rt die Anerkennung <strong>de</strong>r persönlichen Leistung und Anstrengung ebenso wie <strong>de</strong>n sozialen Ausgleich.<br />
Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behan<strong>de</strong>ln.<br />
Ausgleichen<strong>de</strong> Gerechtigkeit<br />
Chancengerechtigkeit wächst auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n möglichst gerecht verteilter Lebenschancen Streben nach Gerechtigkeit<br />
28. Absolute Gerechtigkeit ist nicht erreichbar. Auch politisches Han<strong>de</strong>ln stößt wegen <strong>de</strong>r Unzulänglichkeit <strong>de</strong>s Menschen an Grenzen.<br />
Aber wir setzen uns mit äußerster Anstrengung für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und eine gerechtere Welt ein.<br />
Soziale Gerechtigkeit<br />
Gerechtigkeit schließt die Übernahme von Pflichten entsprechend <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>s einzelnen zum Wohle <strong>de</strong>s<br />
Ganzen ein.<br />
Einsatz für weltweite Gerechtigkeit<br />
Solidarität<br />
Soziale Natur <strong>de</strong>s Menschen<br />
Solidarität heißt füreinan<strong>de</strong>r da sein, weil <strong>de</strong>r einzelne und die Gemeinschaft darauf angewiesen sind. Solidarität ist Ausdruck <strong>de</strong>r<br />
sozialen Natur <strong>de</strong>s Menschen und folgt aus <strong>de</strong>m Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe. Wechselseitige Verantwortung <strong>de</strong>s einzelnen und <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaft<br />
Solidarität und Subsidiarität<br />
Solidarität und Mitverantwortung<br />
Solidarische Gemeinschaft im wie<strong>de</strong>rvereinigten Deutschland<br />
Solidarität mit <strong>de</strong>n künftigen Generationen<br />
Hausaufgaben<br />
Parteiprogramm <strong>de</strong>r Grünen analysieren
Schrö<strong>de</strong>r - Blair – Papier<br />
213 Politik – Mitschrift – 24.05.05<br />
Aufgaben:<br />
- Rolle <strong>de</strong>s Staates im wirtschaftlichen und sozialen System herausarbeiten<br />
- Zukunft <strong>de</strong>s Sozialsystems<br />
- Verhältnis Individuum – Gesellschaft<br />
Jospin - Papier<br />
Aufgaben:<br />
- Überprüfung <strong>de</strong>r Werte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus (HA. 24.05.05)
Zum Text von Edmund Burke<br />
213 Politik – Mitschrift – 10.06.05<br />
- Konservativismus: Entstan<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Gegenbewegung zur Aufklärung<br />
- Heilige Allianz: Bündnis von Kaisern gegen die Revolution<br />
- keine geschlossene Theorie, son<strong>de</strong>rn eine Geisteshaltung gegen liberale und sozial<strong>de</strong>mokratische Emanzipation<br />
• keine Bindung an die Meinung <strong>de</strong>r Wähler, son<strong>de</strong>rn Eigenverantwortlichkeit <strong>de</strong>s Parlamentariers<br />
Absprache <strong>de</strong>r Mündigkeit <strong>de</strong>s Bürgers<br />
Herrschaft <strong>de</strong>r Klugen<br />
Absprache <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s Volkes, allenfalls Legitimierung <strong>de</strong>r Herrschaft durch das Volk<br />
Zum Text von Gerd-Klaus Kaltenbrunner<br />
Kennzeichen <strong>de</strong>s Konservativismus:<br />
• nicht die Emanzipation <strong>de</strong>s Menschen führt zum Glück, son<strong>de</strong>rn die Bewahrung <strong>de</strong>r Rohstoffbestän<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r alten<br />
Tugen<strong>de</strong>n<br />
Ablehnung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus und <strong>de</strong>s Gedankengutes <strong>de</strong>r Aufklärung<br />
H.A. 10.06.05<br />
1. Menschenbild<br />
2. Bedürfnisse <strong>de</strong>s Menschen zur Anleitung<br />
3. Rolle <strong>de</strong>r Institutionen<br />
Menschenbild <strong>de</strong>s Konservatismus herausarbeiten<br />
Anhang<br />
Konservatismus<br />
(Weitergeleitet von Konservativismus)<br />
Konservatismus o<strong>de</strong>r auch Konservativismus (lat. conservare: erhalten, bewahren) ist ein Sammelbegriff für politische,<br />
gesellschaftliche o<strong>de</strong>r religiöse Bewegungen, <strong>de</strong>ren Hauptziel es ist, die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaftsordnung zu bewahren o<strong>de</strong>r<br />
Verän<strong>de</strong>rungen so zu gestalten, dass Revolutionen unnötig wer<strong>de</strong>n.<br />
Der Begriff Konservatismus geht auf die 1818 von François-René <strong>de</strong> Chateaubriand in Paris herausgegebene Zeitschrift "Le<br />
Conservateur" zurück. Als Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r konservativen I<strong>de</strong>ologie gilt <strong>de</strong>r Englän<strong>de</strong>r Edmund Burke.<br />
Konservatismus ist keine philosophisch <strong>de</strong>finierte politische Haltung mit abstrakten Werten, son<strong>de</strong>rn jeweils auf die historische Situation<br />
bezogen - <strong>de</strong>r Konservatismus <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts hatte an<strong>de</strong>re I<strong>de</strong>ale als <strong>de</strong>r Konservatismus <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts, <strong>de</strong>r<br />
Konservatismus in Amerika vertritt an<strong>de</strong>re Werte als <strong>de</strong>r Konservatismus in <strong>de</strong>r Schweiz.<br />
In <strong>de</strong>r Schweiz wie auch in an<strong>de</strong>ren europäischen Län<strong>de</strong>rn, insbeson<strong>de</strong>re im Alten Europa, dort insbeson<strong>de</strong>re in Frankreich, tritt <strong>de</strong>r<br />
Konservatismus heutzutage primär entwe<strong>de</strong>r in Form eines nationalistisch-ländlich-randregional geprägten Rechtskonservatismus o<strong>de</strong>r<br />
aber in Form eines etatistisch-gewerkschaftlichen (und oft ebenfalls ländlich-randregional geprägten) Linkskonservatismus auf; bei<strong>de</strong><br />
Strömungen sind gegen eine vertiefte Integration ihrer jeweiligen Staaten in die Europäische Union.<br />
Die genaue Definition <strong>de</strong>s Begriffes ist relativ schwierig, u.a. auch durch die Unterscheidung von liberalkonservativem,<br />
nationalkonservativem als auch christlichkonservativem Gedankengut. Oftmals wird auch in die zwei Hauptrichtungen<br />
Wertkonservatismus und Strukturkonservatismus eingeteilt.<br />
Der Konservatismus stützt sich jedoch zumeist auf Tradition, Religiosität und Autorität.<br />
Nicht nur in <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten wird zunehmend <strong>de</strong>r Begriff eines Neokonservativismus benutzt.<br />
Auch in Europa ist <strong>de</strong>rzeit ein Trend zur Rückkehr zu alten Werten wie Fleiß, Gehorsam und Patriotismus in öffentlichen Diskussionen,<br />
Kultur und Politik bemerkbar.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>r "Konservativen Revolution" schufen Intellektuelle in <strong>de</strong>r Weimarer Republik eine Verbindung zwischen<br />
nationalkonservativem und nationalsozialistischem Gedankengut.<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Geistige Vertreter<br />
2 Siehe auch:<br />
1 Literatur<br />
2 Weblinks<br />
Geistige Vertreter<br />
Bereits Platons I<strong>de</strong>en über <strong>de</strong>n Staat können als "urkonservativ" verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Als einer <strong>de</strong>r wichtigsten Denker <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />
Konservatismus gilt <strong>de</strong>r englische Philosoph Edmund Burke. Einigen gilt er als "Vater <strong>de</strong>s Konservatismus".<br />
Konservatismus (conservare lat. bewahren) Restauration <strong>de</strong>r Stän<strong>de</strong>gesellschaft; Restauration <strong>de</strong>s Fürstenstaates. Ordnung, Tradition,<br />
Autorität als oberste Werte. Kritik <strong>de</strong>r Staatsvertragstheorien, Kritik <strong>de</strong>r Volkssouveranität, Kritik <strong>de</strong>r Französischen Revolution (Burke)<br />
organische Staatstheorie, Staat als natürliche, gewachsene, gottgewollte Ordnung (v. Stahl)<br />
Siehe auch:<br />
Patriotismus, Nation, Volk, Werte, Die Deutschen Konservativen, Neokonservatismus<br />
Konservativismus<br />
[lateinisch]<br />
Konservatismus<br />
eine sich am geschichtlich Gewor<strong>de</strong>nen orientieren<strong>de</strong> Einstellung. Die konservative Haltung darf nicht mit <strong>de</strong>r reaktionären verwechselt<br />
wer<strong>de</strong>n, wenn bei<strong>de</strong> auch häufig ineinan<strong>de</strong>r übergehen. Der Konservativismus begreift Geschichte als fortwirken<strong>de</strong> Vergangenheit und<br />
ist bemüht, ihren Kräften auch in mo<strong>de</strong>rner Form zur Wirksamkeit zu verhelfen. - Die konservative, historisch-organische<br />
Staatsauffassung entwickelte sich zu Beginn <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts durch Edmund Burke, <strong>de</strong>r im Staat eine Institution sah, die auf <strong>de</strong>r<br />
Verbindung von Tradition und <strong>de</strong>r Wirksamkeit <strong>de</strong>r gegenwärtig Leben<strong>de</strong>n in Verantwortung gegenüber <strong>de</strong>n zukünftigen Generationen<br />
beruhe; er stellte die zeitgemäße, reformerische Weiterentwicklung überkommener Einrichtungen <strong>de</strong>r (Französischen) Revolution<br />
entgegen. Als Vertreter <strong>de</strong>utscher konservativer Gedankengänge im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt bemühte sich F. J. Stahl um die Kontinuität<br />
sittlicher Werte auf <strong>de</strong>r Grundlage von Gewaltenteilung und Verfassung gegen die Willkür von Seiten <strong>de</strong>r Fürsten wie auch seitens <strong>de</strong>s
souveränen Volks. Diese gegen überspitzten Nationalismus und revolutionären Umsturz gerichtete Haltung bestimmt auch die Politik <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen konservativen Parteien. Reaktion, Restauration.<br />
Burke<br />
Edmund, englischer politischer Schriftsteller und Parlamentarier, * <strong>12</strong>. 1. 1729 Dublin, † 9. 7. 1797 Beaconsfield, Buckinghamshire; bis<br />
1790 Whig in <strong>de</strong>r Gruppe um Lord Rockingham (* 1730, † 1782); trat für die Freiheit <strong>de</strong>r nordamerikanischen Kolonien ein. Burke<br />
wandte sich scharf gegen die Französische Revolution, <strong>de</strong>ren Gräuel er voraussah. In seinen "Reflections on the Revolution in France"<br />
1790 trat er für <strong>de</strong>n organisch gewachsenen Staat im Gegensatz zum künstlich geschaffenen ein und wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
konservativen Staatsauffassung in <strong>de</strong>r Neuzeit.<br />
Heilige Allianz<br />
auf Veranlassung <strong>de</strong>s Zaren Alexan<strong>de</strong>r I. zwischen Russland, Österreich und Preußen am 26. 9. 1815 in Paris geschlossenes Bündnis,<br />
um die Staaten nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>s Christentums, <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, <strong>de</strong>r Liebe und <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns zu leiten. Alle europäischen<br />
Herrscher außer England und <strong>de</strong>m Papst traten <strong>de</strong>r Heiligen Allianz bei. Sie wur<strong>de</strong> unter Führung Metternichs zum Werkzeug <strong>de</strong>r<br />
reaktionären Mächte gegen die nationalen und liberalen Strömungen <strong>de</strong>r Völker.<br />
Die Arbeit von Professor Hengsbach<br />
Der gläubige Katholik Friedhelm Hengsbach ist ein erklärter Gegner <strong>de</strong>r zur Zeit laufen<strong>de</strong>n Sozialreformen. In einem Interview mit <strong>de</strong>m<br />
Stern-Magazin sprach er <strong>de</strong>utliche Worte über die Fehlentwicklung <strong>de</strong>r momentanen Reformeuphorie <strong>de</strong>r politischen Kräfte. Der<br />
Professor, für <strong>de</strong>n Solidarität und soziales Verhalten christliche Werte und gleichzeitig gesellschaftliche Notwendigkeit sind, artikuliert<br />
seine Ablehnung <strong>de</strong>r Einschnitte in das Sozialgefüge sehr <strong>de</strong>utlich.<br />
Interview mit <strong>de</strong>m Stern<br />
Es folgen weitere Schriften, die kurz kommentiert wer<strong>de</strong>n und dann als Link auf die Original-Beiträge eingefügt wur<strong>de</strong>n. Alle Links auf<br />
die Original-Beiträge verweisen auf PDF-Files.<br />
Kritik <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Fundamentalismus<br />
Im März 2003 publizierte er eine seine scharfe Kritik über, wie er es nannte, marktradikale Bekenntnisse und wirtschaftlichen<br />
Fundamentalismus.<br />
Er bezieht sich dabei auf auf Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme und auf Friedrich A. Hayeks Konzept spontaner Ordnung als<br />
Deutungsmuster <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft und setzt sich mit <strong>de</strong>n Theorien <strong>de</strong>r ökonomischen Funktionsregeln von Angebot und<br />
Nachfrage auseinan<strong>de</strong>r.<br />
Er verweist in seiner Analyse darauf, dass einseitige Betrachtungsweisen o<strong>de</strong>r die Ausblendung bestimmter Sichtweisen zwangsläufig<br />
zu Fehldiagnosen führt und zieht als Beispiel die Arbeitslosigkeit und die politische Reaktion darauf heran.<br />
Er kritisiert, dass betriebswirtschaftliches Denken mehr und mehr die volkswirtschaftliche Betrachtung verdrängt mit <strong>de</strong>r Folge, dass<br />
Unternehmen, <strong>de</strong>ren Blick zwangsläufig mehr auf betriebs- als auf volkswirtschaftliche Interessen gerichtet ist, stagnative Ten<strong>de</strong>nzen<br />
nicht <strong>de</strong>n marktpolitischen Anfor<strong>de</strong>rungen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n arbeitspolitischen Rahmenbedingungen zuordnen.<br />
Weiterhin kritisiert er die Fehleinschätzungen bezüglich <strong>de</strong>s Generationenkonflikts, beleuchtet die Fiskalpolitik <strong>de</strong>r EU mit <strong>de</strong>n<br />
unterschiedlichen Inflationswerten <strong>de</strong>r Kern- und <strong>de</strong>r Randlän<strong>de</strong>r und wirft einen Blick auf die Gefahren <strong>de</strong>r unterschiedlichen<br />
Marktsichtweisen <strong>de</strong>r USA und Europas.<br />
Die marktradikalen Bekenntnisse sind bo<strong>de</strong>nlos - Kritik <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Fundamentalismus<br />
Wird Solidarität fahrlässig <strong>de</strong>montiert?<br />
In einem im Mai 2003 publiziertem Beitrag reflektiert Professor Hengsbach die Betrachtung solidarischen Han<strong>de</strong>lns, real und politisch<br />
gesehen. So verweist er die modische Betrachtung, dass die Risikobereitschaft, Kreativität und Innovationskraft <strong>de</strong>r 20-30jährigen mehr<br />
Wachstum und Beschäftigung hervorbringen als die Erfahrung, das Urteilsvermögen und die Weisheit <strong>de</strong>r 50-60jährigen, in das Reich<br />
<strong>de</strong>r Fabel. Er sieht <strong>de</strong>n Generationenkonflikt nicht als Konflikt <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Generationen (Kind, Eltern, Großeltern) son<strong>de</strong>rn als<br />
Verteilungskonflikt einer Gereration (Erwerbstätige) an.<br />
Er verneint <strong>de</strong>n Zusammenhang zwischen Globalisierung und Arbeitslosigkeit und geißelt die politische Demontage <strong>de</strong>r sozialen Werte.<br />
In diesem Zusammenhang geht er auch auf die politischen Fehlentscheidungen <strong>de</strong>r Gesundheitsreform ein.<br />
Solidarität schmilzt nicht von selbst - Wird sie fahrlässig <strong>de</strong>montiert?<br />
Verantwortung <strong>de</strong>r Unternehmer<br />
In diesem Beitrag (Oktober 2003) setzt sich Prof. Hngsbach mit <strong>de</strong>r Verantwortung von Untenehmen auseinan<strong>de</strong>r und sinniert über die<br />
von von Max Weber vor 100 Jahren <strong>de</strong>finierten Begriffe einer Gesinnungsethik, die sich auf Handlungsabsichten und einer<br />
Verantwortungsethik, die sich auf Handlungsfolgen bezieht. Er verweist auf die Unterschie<strong>de</strong> individueller und gesellschaftlicher<br />
Verantwortung. Er verweist darauf, wie aus fürsorglicher Verantwortung <strong>de</strong>r Unternehmer kleinerer und mittlerer Betriebe zu ihren<br />
Arbeitern und Angestellten eine partnerschaftliche Verantwortung für hochqualifizierte und kompetente Angestellte gewor<strong>de</strong>n ist, die<br />
sorgsam gepflegt wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Er verweist auf die Divergenzen bei freiwilliger Verantwortungsbereitschaft gegenüber einer aufoktruierten Verantwortungspflicht und<br />
beleuchtet die Dimension <strong>de</strong>r Verantwortung im Verhältnis einer starr auf unternehmerische Gewinnmaximierung im Gegensatz zu einer<br />
offenen Auslegung mit optimalem Verhältnis <strong>de</strong>r genutzten Ressourcen und <strong>de</strong>s angestebten Gewinns.<br />
Die zivilgesellschaftliche und <strong>gesamt</strong>wirtschaftliche Verantwortung <strong>de</strong>r Unternehmer<br />
Gerechtigkeit zwischen <strong>de</strong>n Generationen?<br />
In diesem Beitrag (Oktober 2003) reflektiert er die Generationen<strong>de</strong>batte. Er klärt zunächst über <strong>de</strong>n Begriff Generationen auf. Er<br />
verweist auf die sozialen Regelungen, die gesellschaftliche Gruppen einan<strong>de</strong>r beanspuchen und schul<strong>de</strong>n und verweist die<br />
Kampfparolen <strong>de</strong>r Politik in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Populismus. In vier Schritten überprüft er die Kampfparolen und weist anschließend Wege<br />
zur Bewältigung. Dabei zerpflückt er zuerst die Behauptung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische Faktor und die geringe Geburtenrate belasteten die<br />
Generation von morgen. Im zweiten Schritt beleuchtet er das Verhältnis <strong>de</strong>r Staatsverschuldung zur nächsten Generation. Im dritten<br />
Schritt geht er auf die Umlagenfinanzierung ein und mo<strong>de</strong>riert <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Generationen-Bilanzierung. Danach folgen seine Thesen<br />
für <strong>de</strong>n Ausweg aus <strong>de</strong>r Krise.<br />
Gerechtigkeit zwischen <strong>de</strong>n Generationen? - Gerechtigkeit innerhalb <strong>de</strong>rselben Generation!<br />
Ein Menschenbild hinter <strong>de</strong>r Agenda 2010?<br />
In diesem Beitrag wer<strong>de</strong>n die markigen Thesen bezgl. <strong>de</strong>r Agenda und die dagegen diffus und <strong>de</strong>solat wirken<strong>de</strong>n ökonomischen und<br />
gesellschaftlichen Analysen <strong>de</strong>r Agenda gebrandmarkt.<br />
Anschließend wird das Menschbild beschrieben, <strong>de</strong>r Adressat <strong>de</strong>r Agenda o<strong>de</strong>r gelin<strong>de</strong> gesagt die Vorstellung <strong>de</strong>r Politiker von <strong>de</strong>n<br />
Menschen, die man mit <strong>de</strong>r Agenda in eine glorreiche Zukunft führen will.<br />
Ein Menschenbild hinter <strong>de</strong>r Agenda 2010?
Soziale Gerechtigkeit - mutwillig beschädigt<br />
Der Titel spricht für sich. Hier ein kurzer Auszug aus <strong>de</strong>m Beitrag:<br />
Tatsächlich wollte Bun<strong>de</strong>skanzler Schrö<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Erfolg seiner Politik daran messen lassen, dass sie zu mehr Wachstum und<br />
Beschäftigung führt. Aber die Verän<strong>de</strong>rungen, die jetzt <strong>de</strong>n Bürgerinnen und Bürgern mit geringem Einkommen zugemutet wer<strong>de</strong>n, sind<br />
wohl das Gegenteil versprochener Reformen.<br />
Sie sind ein reines Reform-Spektakel. Die Politiker kündigen Jahrhun<strong>de</strong>rtwerke an, etwa die größte Steuerreform seit Bestehen <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik o<strong>de</strong>r die größte Gesundheitsreform in <strong>de</strong>r jüngeren Sozialgeschichte o<strong>de</strong>r die größte Sparoperation, die es je gegeben<br />
hat. Aber sehr schnell verkümmert <strong>de</strong>r inszenierte Bühnenzauber zur Mini-Reparatur in einer Hinterhofwerkstatt. Dann wer<strong>de</strong>n nur noch<br />
Sozialleistungen eingespart, gekürzt, gestrichen.<br />
Soziale Gerechtigkeit - mutwillig beschädigt<br />
Gerechtigkeitsfieber<br />
Hier prangert Professor Hengsbach die von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Politikern geprägten Definitionen <strong>de</strong>r Gerechtigkeit an.<br />
Gerechtigkeitsfieber<br />
Die neuen Verformer<br />
Für Professor Hengsbach sind die Maßnahmen <strong>de</strong>r Agenda keine Reformen, son<strong>de</strong>rn Verformungen und ihre Initiatoren Verformer. Mit<br />
scharfen Worten greift er <strong>de</strong>n volkswirtschaftlichen Unsinn <strong>de</strong>r Maßnahmen an.<br />
Die neuen Verformer<br />
Clement durchgeknallt?<br />
Mit <strong>de</strong>r Fronleichnams-I<strong>de</strong>e von Clement, Feiertage abzuschaffen und unbezahlte Mehrarbeit zu verlangen und <strong>de</strong>n Hurra-Schreien<br />
etlicher Wirtschafts-Bosse und Parteifunktionäre hat man <strong>de</strong>n Professor wohl verärgert. Mit klaren Worten prangert er <strong>de</strong>n Unsinn<br />
solcher For<strong>de</strong>rungen an.<br />
Clement durchgeknallt?<br />
Viel Deformation, wenig Reform<br />
Dieser Beitrag befasst sich mit <strong>de</strong>r Gesundheitsreform und kritisiert unverhohlen die reißerischen Ankündigungen einer qualitativen<br />
Verbesserung <strong>de</strong>s Gesundheitswesens bei gleichzeitiger Demontage <strong>de</strong>s Solidargedankens. Auch hier verweist <strong>de</strong>r Professor auf die<br />
realen Marktmechanismen, die nach seinem Empfin<strong>de</strong>n keine Relevanz zu <strong>de</strong>n politisch <strong>de</strong>finierten Wettbewerbsmechanismen haben.<br />
Viel Deformation, wenig Reform<br />
Her<strong>de</strong>ntiere im Reformfieber<br />
Nach Ansicht von Professor Hengsbach füttert die Koalition die Öffentlichkeit mit Legen<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Abbau <strong>de</strong>r Sozialstruktur zu<br />
rechtfertigen. Die Opposition verliert sich nach seiner Auffassung in einem Überbietungswettbewerb, von <strong>de</strong>m letztendlich nichts als<br />
reine Sparkosmetik übrig bleibt. Er verweist darauf, dass sich im Solidargedanken die Beiträge nach <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit und die<br />
Hilfeleistungen nach <strong>de</strong>r Notlage richten.<br />
Hengsbach geißelt die CDU als Trittbrettfahrer <strong>de</strong>r SPD-Beschlüsse, die nach seiner Ansicht die gesellschaftliche Spaltung verfestigen<br />
statt sie zu entschärfen.<br />
Her<strong>de</strong>ntiere im Reformfieber<br />
Sozialreformen sollen wirken und gerecht sein<br />
Prof. Hengsbach dokumentiert in diesem Beitrag die Defizite <strong>de</strong>r öffentlichen Debatten, die von Jahrhun<strong>de</strong>rtwerken und größten<br />
Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Sozialgeschichte sprechen und als stümperisches Flickwerk en<strong>de</strong>n. Er verweist auf die Tatsache, das bei <strong>de</strong>r<br />
Rasenmähermetho<strong>de</strong> von vorneherein die Stellen ausgegrenzt wur<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>r Rasenmäher nicht erfassen soll, dass die<br />
Entscheidungsträger und die einberufenen Kommissionäre selbst keinerlei Erfahrung mit sozialer Ausgrenzung und Armut haben und<br />
somit die Denkweisen von abgesicherten Beamten und Unternehmensmanagern vertreten. Er klagt an, dass bei <strong>de</strong>n Reformen die<br />
Opfer zu Tätern, Verweigerern und Schmarotzern stilisiert wer<strong>de</strong>n. Er verweist auf die brüchig gewor<strong>de</strong>nen Familienbil<strong>de</strong>r, die von<br />
einem arbeiten<strong>de</strong>n Ehemann, einer im Haushalt beschäftigten Partnerin und 2 bzw. mehr Kin<strong>de</strong>rn ausgehen. Er for<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n offenen<br />
Dialog über Gerechtigkeit, getragen von gegenseitigem Respekt.<br />
Sozialreformen sollen wirken und gerecht sein<br />
Fetisch Demographie<br />
In diesem Beitrag räumt <strong>de</strong>r Professor mit <strong>de</strong>r spekulativen Verwendung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mographischen Faktors auf und verweist auf die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Vergangenheit, in welcher <strong>de</strong>r gleiche Faktor je<strong>de</strong>rzeit erkennbar war und durch die wirtschaftliche<br />
Produktivitätssteigerung mehr als neutralisiert wur<strong>de</strong>. Er verweist auf die Diskrepanz einer gefor<strong>de</strong>rten, höheren Lebensarbeitszeit und<br />
<strong>de</strong>r gleichzeitig ausgeübten Praxis <strong>de</strong>r Wirtschaft, <strong>de</strong>n Arbeitnehmerbestand ständig zu verjüngen. Dieser Trend <strong>de</strong>r Wirtschaft habe<br />
sich vor allem in <strong>de</strong>n 90-ger Jahren herauskristallisiert, als dynamische Jungmanager <strong>de</strong>n neuen Markt grün<strong>de</strong>ten, <strong>de</strong>r sich letztendlich<br />
als Blase entpuppte und immenses Volksvermögen vernichtete. Nach seinem Urteil braucht die Wirtschaft sowohl die Kreativität und<br />
Risikobereitschaft <strong>de</strong>r Jugend, als auch die Weisheit und Erfahrung <strong>de</strong>s Alters, wenn sie fortbestehen und konkurrenzfähig bleiben will.
Zum Text von "Der Konservative"<br />
1. These<br />
213 Politik – Mitschrift – 14.06.05<br />
- Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Konservatismus: Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />
Der Mensch muss regiert und kontrolliert wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Mensch wird erst durch Erziehung und Disziplinierung zu einem guten Menschen<br />
- Ausgangspunkt: Hegel:<br />
1. Ungleichheit <strong>de</strong>r Menschen aufgrund unterschiedlicher Intelligenz<br />
2. Endlichkeit <strong>de</strong>s Menschen<br />
3. Kein Verständnis <strong>de</strong>r Weltzusammenhänge<br />
Fehlen <strong>de</strong>r letzten Erkenntnis<br />
4. Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />
Gerechtigkeit und Freiheit ist nur dann möglich, wenn die Bürger in einer Ordnung <strong>de</strong>s Zwangs, <strong>de</strong>r Disziplin und<br />
<strong>de</strong>r Repression leben<br />
Ordnungssystem<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft nach Marx<br />
Ordnung wird <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und Freiheit vorgezogen<br />
2. These<br />
- Einsichten und Orientierungen zu o.g. Ordnung gewinnt <strong>de</strong>r Mensch nicht aus <strong>de</strong>m Verstand (rational) o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Instinkt<br />
Einsichten und Orientierungen wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Tradition bzw. Geschichte entnommen<br />
- „Der Konservative verteidigt das Menschenrecht auf Vergangenheit“:<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität durch die Geschichte / Geschichtsunterricht
Zum Text von "Der Konservative"<br />
1. These<br />
213 Politik – Mitschrift – 08.07.05<br />
- Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Konservatismus: Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />
Der Mensch muss regiert und kontrolliert wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Mensch wird erst durch Erziehung und Disziplinierung zu einem guten Menschen<br />
- Ausgangspunkt: Hegel:<br />
1. Ungleichheit <strong>de</strong>r Menschen aufgrund unterschiedlicher Intelligenz<br />
2. Endlichkeit <strong>de</strong>s Menschen<br />
3. Kein Verständnis <strong>de</strong>r Weltzusammenhänge<br />
Fehlen <strong>de</strong>r letzten Erkenntnis<br />
4. Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />
Gerechtigkeit und Freiheit ist nur dann möglich, wenn die Bürger in einer Ordnung <strong>de</strong>s Zwangs, <strong>de</strong>r Disziplin und<br />
<strong>de</strong>r Repression leben<br />
Ordnungssystem<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft nach Marx<br />
Ordnung wird <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und Freiheit vorgezogen<br />
2. These<br />
- Einsichten und Orientierungen zu o.g. Ordnung gewinnt <strong>de</strong>r Mensch nicht aus <strong>de</strong>m Verstand (rational) o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Instinkt<br />
Einsichten und Orientierungen wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Tradition bzw. Geschichte entnommen<br />
- „Der Konservative verteidigt das Menschenrecht auf Vergangenheit“:<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität durch die Geschichte / Geschichtsunterricht<br />
Einbindung <strong>de</strong>s Menschen in ein System, das ihm von außen auferlegt wird<br />
Staat vermittelt mittels Traditionen die notwendige Orientierung<br />
3. These<br />
- Mensch ist in Institutionen organisiert<br />
Einbindung <strong>de</strong>s Menschen<br />
Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Institutionen intakt sind (z.B. Familie)<br />
o Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen<br />
4. These<br />
- Ordnung passt sich zwar <strong>de</strong>n Gegebenheiten an, hat aber Vorrang vor an<strong>de</strong>ren Prinzipien<br />
- Individuum muss sich unterordnen<br />
5. These<br />
- Problem <strong>de</strong>r heutigen Zeit: Herstellung von Regierbaren Ordnungen und Menschen<br />
Vorrang vor <strong>de</strong>r Emanzipation <strong>de</strong>s Individuums<br />
o Vorrang vor <strong>de</strong>m Abbau von Herrschaft<br />
Abhängigkeit<br />
starker Staat notwendig<br />
Regierbarkeit hat höheren Stellenwert als die Emanzipation <strong>de</strong>s Menschen<br />
- Gesellschaft hat nur partikulare Interessen<br />
Staat gewährleistet die Wahrnehmung <strong>de</strong>s Gesamtinteresses<br />
Staatsverständnis: starker, kontrollieren<strong>de</strong>r Staat<br />
Gefährdung durch Einzelinteressen <strong>de</strong>r Individuen und Gruppen<br />
Zusammenfassung:<br />
Konservativ sein heißt, ein pessimistisches Menschenbild haben.<br />
Der Mensch wird nur zum Guten geführt durch eine Ordnung, die ihn einbin<strong>de</strong>t, die aber nicht selbst geschaffen ist.<br />
Muss also vom Staat geschaffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Autorität muss akzeptiert wer<strong>de</strong>n<br />
Stützpfeiler:<br />
• Autorität<br />
• Regierbarkeit<br />
• Kontrolle
Zum Text von "Der Konservative"<br />
Weiterführung vom 08.07.05<br />
Technokratischer Konservatismus<br />
(Neokonservatismus)<br />
Bruch mit <strong>de</strong>m alten Konservatismus !<br />
Typisches Merkmal:<br />
Fortschrittsgläubigkeit: Glauben an neue technische Entwicklungen<br />
213 Politik – Mitschrift – <strong>12</strong>.07.05
Theorie und I<strong>de</strong>ologie - Versuch einer Begriffsklärung<br />
Kaum ein Begriff <strong>de</strong>r Sozialwissenschaften ist<br />
mehr<strong>de</strong>utiger als <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologiebegriff Es ist<br />
daher gerechtfertigt, immer dann, wenn <strong>de</strong>r<br />
Begriff fällt, nach seiner aktuellen Be<strong>de</strong>utung<br />
zu fragen. Aus diesem Grun<strong>de</strong> ist es auch<br />
nicht möglich, eine immergültige und abschließen<strong>de</strong><br />
Definition vorzulegen.<br />
Allen I<strong>de</strong>ologiebegriffen gemeinsam ist, dass<br />
sie sich aus zentral gedachten Werten und<br />
Überzeugungen (Freiheit, Gleichheit, Ordnung<br />
etc.) entwickeln. Zentrale Werte aber sind an<br />
gesellschaftliche Situationen gebun<strong>de</strong>n, die sie<br />
für diejenigen, die in gleicher Situation leben,<br />
einsichtig lind nachvollziehbar machen. Der<br />
Ruf nach Freiheit begeisterte die Bürger <strong>de</strong>s<br />
18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts gegen die Vormacht<br />
<strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls im absolutistischen Staat, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum<br />
<strong>de</strong>n Wert „Ordnung“ <strong>de</strong>r zerstörerischen<br />
Gewalt <strong>de</strong>r Freiheit entgegenhielt. Gegen bei<strong>de</strong><br />
richtete sich die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Arbeiterschaft<br />
nach Verwirklichung <strong>de</strong>r Freiheit in<br />
Gleichheit nach gleichen Lebenschancen. Die<br />
zentrale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Werte Freiheit, Ordnung<br />
o<strong>de</strong>r Gleichheit war <strong>de</strong>mnach gebun<strong>de</strong>n<br />
an die Lebenserfahrung ihrer Träger, an die<br />
gesellschaftliche Situation <strong>de</strong>s Bürgertums,<br />
<strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls o<strong>de</strong>r- <strong>de</strong>r Arbeiterschaft. Diese Werte<br />
befähigten die Angehörigen <strong>de</strong>r jeweiligen<br />
gesellschaftlichen Schichten zum gemeinsamen<br />
politischen Han<strong>de</strong>ln, in<strong>de</strong>m sie unterschiedliche<br />
Berufsgruppen zusammenführten<br />
(z. B. Bauern, Handwerker, Klein-, Bildungs-<br />
und Großbürgertum im Liberalismus) und trennen<strong>de</strong><br />
Interessen als unwichtig erscheinen<br />
ließen, also integrierten. Gleichzeitig trennte<br />
die Anerkennung gemeinsamer zentraler Werte<br />
bestimmte Schichten von an<strong>de</strong>ren, separierte<br />
also (z. B. A<strong>de</strong>l von Arbeiterschaft), und ließ<br />
schließlich die Wahl bestimmter Programme<br />
bzw. <strong>de</strong>r diese repräsentieren<strong>de</strong>n Personen<br />
sinnvoll erscheinen. I<strong>de</strong>ologien befähigen als<br />
Vermittler zentraler Werte zum politischen<br />
Han<strong>de</strong>ln, d. h. zur sinnorientierten politischen<br />
Tätigkeit, da sie Prioritäten (was ist wichtig)<br />
und die Richtung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns (wie soll gestaltet<br />
wer<strong>de</strong>n) vorgeben. I<strong>de</strong>ologien wer<strong>de</strong>n<br />
unter diesem Aspekt als Voraussetzung und<br />
Rechtfertigung politischen Han<strong>de</strong>lns in <strong>de</strong>r<br />
Regel positiv bewertet.<br />
Die Akzeptanz einer I<strong>de</strong>ologie ergibt sich aus<br />
<strong>de</strong>n Lebensverhältnissen ihrer Träger: Die<br />
Frage nach <strong>de</strong>m Träger ist daher auch immer<br />
die Frage nach <strong>de</strong>n Interessen, die mit <strong>de</strong>m<br />
vorherrschen<strong>de</strong>n zentralen Wert verbun<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n. Diese Interessen sind in <strong>de</strong>r Regel<br />
1<br />
vielschichtig. Ohne Zweifel drängte das Bürgertum<br />
im 18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt auf die<br />
Anerkennung <strong>de</strong>r Menschenrechte, ihre Verwirklichung<br />
diente jedoch zugleich <strong>de</strong>m Schutz<br />
seines Eigentums gegenüber Staat und Arbeiterschaft,<br />
seinen Karrierewünschen und<br />
Machtansprüchen. An<strong>de</strong>rerseits war <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>l<br />
ohne Zweifel zutiefst beunruhigt durch die<br />
Gräuel im Gefolge <strong>de</strong>r Französischen Revolution,<br />
sicherte zugleich aber mit <strong>de</strong>m Ruf nach<br />
Ordnung seine gesellschaftliche Stellung. I<strong>de</strong>ologien<br />
ermöglichen daher nicht nur politisches<br />
Han<strong>de</strong>ln, sie verschleiern durch die Vorgabe<br />
zentraler Werte die eigentliche Interessenlage,<br />
ja vermitteln Teilen ihrer Anhänger ein „falsches<br />
Bewusstsein“ (Marx), in<strong>de</strong>m sie sie veranlassen,<br />
unter Berufung auf diesen Wert gegen<br />
ihre eigentlichen Interessen zu han<strong>de</strong>ln (z.<br />
B. Arbeiter, die unter Berufung auf die göttliche<br />
Ordnung Vorrechte <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls verteidigen).<br />
Haben wir uns erst einmal daran gewöhnt,<br />
unser politisches Han<strong>de</strong>ln rechtfertigen zu<br />
müssen, können I<strong>de</strong>ologien zur nachträglichen<br />
Rechtfertigung politischen Han<strong>de</strong>lns geraten,<br />
das aus ganz an<strong>de</strong>ren Motiven, u. U. aus reinen<br />
Sachgrün<strong>de</strong>n, geschieht.<br />
Schließlich kann eine I<strong>de</strong>ologie pervertieren,<br />
ohne dass dies ihren Anhängern direkt bewusst<br />
wird: Unter <strong>de</strong>m Ruf nach Freiheit gegen<br />
Bevormundung verwehrten liberale Politiker im<br />
Kulturkampf nach 1870/71 Katholiken die Meinungs-<br />
und Religionsfreiheit und griffen<br />
schließlich zum Mittel <strong>de</strong>s Polizeistaates; konservative<br />
Philosophen begrüßten als Ausdruck<br />
überzeitlicher Ordnung die Entstehung von<br />
Technokratien; Sozialisten ließen es zu, dass<br />
die Gleichheit über die Freiheit triumphierte,<br />
die Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats sich zur Diktatur<br />
über das Proletariat entwickelte. Die Ursachen<br />
dieser Pervertierung sehen Politikwissenschaftler<br />
in <strong>de</strong>m Absolutheitsanspruch <strong>de</strong>r<br />
jeweiligen Werte.<br />
Unter dieser Bedingung entarten I<strong>de</strong>ologien<br />
zur Rechtfertigung und Verschleierung von<br />
Interessen, zur Täuschung und selektiven<br />
Wahrnehmung, zum Verlust von Realitätssinn.<br />
Ihre Anhänger sind dann intolerant, da sie für<br />
bestimmte Werte absolute Geltung verlangen.<br />
I<strong>de</strong>ologisch argumentiert jemand, <strong>de</strong>r seine<br />
wahren Interessen nicht offen legt, son<strong>de</strong>rn sie<br />
hinter hohlem Pathos verbirgt, <strong>de</strong>r offenkundige<br />
Fakten nicht wahrnehmen will, son<strong>de</strong>rn unbelehrbar<br />
auf seiner Meinung beharrt. I<strong>de</strong>ologie<br />
in diesem Sinne wird negativ bewertet.
In diesem negativen Sinn i<strong>de</strong>ologisch argumentieren<br />
immer nur die an<strong>de</strong>ren, da wir selbst<br />
nicht nur unsere wahren Interessen regelmäßig<br />
zu erkennen geben, son<strong>de</strong>rn auch die Wirklichkeit<br />
objektiv wahrnehmen können, uns nicht<br />
durch vorgegebene Werte täuschen lassen<br />
und tolerant je<strong>de</strong>n nach seinen Werten leben<br />
lassen: So je<strong>de</strong>nfalls die geläufige Argumentation.<br />
Dies bestreitet Karl Mannheim. Sein totaler.<br />
I<strong>de</strong>ologiebegriff stellt die Möglichkeit eines<br />
Ausstiegs aus <strong>de</strong>m Wertebezug in Frage: Da<br />
wir alle von Werten bestimmt wer<strong>de</strong>n, die uns<br />
zentral und wichtig sind, unterliegen wir alle<br />
<strong>de</strong>m I<strong>de</strong>ologieverdacht.<br />
Die klassische Frage <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologiekritik: „cui<br />
bono“ — „wem nützt es“ führt noch tiefer in <strong>de</strong>n<br />
ambivalenten Sachverhalt. Der Liberalismus<br />
nutzte vor allem <strong>de</strong>n wirtschaftlichen und politi-<br />
Thesen zum I<strong>de</strong>ologiebegriff<br />
1<br />
Im englischen Sprachgebrauch verwen<strong>de</strong>t man<br />
„i<strong>de</strong>ology“ oft wertfrei im Sinne von „Weltanschauung“<br />
o<strong>de</strong>r „Überzeugung“. Auch im Deutschen<br />
wird dieser Sprachgebrauch üblich. Die<br />
letztgenannte Kennzeichnung <strong>de</strong>s Begriffes<br />
„I<strong>de</strong>ologie“ bil<strong>de</strong>t die Grundlage für die Verwendung<br />
<strong>de</strong>s I<strong>de</strong>ologiebegriffes in dieser Ausgabe<br />
(vgl. Quellenangabe — d. Red.). Es geht<br />
darum, Grundüberzeugungen darzustellen, die<br />
im politischen Bereich wirksam waren und sind<br />
und im 19. und 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt Deutschland<br />
mitgeprägt haben. (Manfred Bormann, Politische<br />
I<strong>de</strong>ologien. Informationen zur politischen<br />
Bildung, Heft 2<strong>12</strong>, Bonn 1986, S. 1)<br />
2<br />
Also 1. I<strong>de</strong>ologie ist (in näher bestimmter Weise)<br />
falsches Denken. „Richtige I<strong>de</strong>ologie“ ist<br />
ein Wi<strong>de</strong>rspruch in sich, „falsche I<strong>de</strong>ologie“ ein<br />
hölzernes Holz. 2. Die Falschheit, das I<strong>de</strong>ologische,<br />
liegt in <strong>de</strong>r Nicht-Übereinstimmung mit<br />
<strong>de</strong>r objektiv-rationalen o<strong>de</strong>r Erkenntniswirklichkeit.<br />
(Theodor Geiger, Kritische Bemerkungen<br />
zum Begriffe <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie; in:<br />
Gottfried Eisermann, Gegenwartsprobleme <strong>de</strong>r<br />
Soziologie, Potsdam 1949, 5. 142)<br />
3<br />
I<strong>de</strong>ologie, das sind immer die an<strong>de</strong>ren, und wir<br />
entlarven sie. Je<strong>de</strong> I<strong>de</strong>ologie setzt sich in dieser<br />
Weise absolut — als <strong>de</strong>n einzigen Rechtgläubigen<br />
unter lauter Ungläubigen und Irrgläubigen.<br />
Überdies ist es ein Kennzeichen<br />
gutgebauter I<strong>de</strong>ologien, dass sie die Einwän-<br />
<strong>de</strong>, die mit Sicherheit zu erwarten sind, vor-<br />
2<br />
schen Interessen <strong>de</strong>s Großbürgertums, schuf<br />
aber die Grundlagen für <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen<br />
Rechts- und Verfassungsstaat; die For<strong>de</strong>rung<br />
nach Respektierung <strong>de</strong>r alten Ordnung nutzte<br />
<strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls, bereitete aber <strong>de</strong>r<br />
Sozialgesetzgebung <strong>de</strong>n Weg und stellt uns<br />
heute vor die Frage nach <strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>r<br />
Steuerbarkeit sozialer Prozesse; das sozialistische<br />
Programm diente <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>r<br />
Industriearbeiter und legte damit <strong>de</strong>n Grund für<br />
einen umfassen<strong>de</strong>n Sozialstaat. I<strong>de</strong>ologie in<br />
diesem Sinne kann als wertneutral bezeichnet<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
In <strong>de</strong>r Wissenschaft wird <strong>de</strong>r Begriff in allen<br />
drei Bewertungen gebraucht. Dabei konzentriert<br />
sich das Interesse auf einzelne Aspekte<br />
<strong>de</strong>s Begriffs: Integration, Rechtfertigung politischen<br />
Han<strong>de</strong>lns, Versehleierung von Interessen,<br />
selektive Wahrnehmung, Intoleranz; je<br />
nach Aspekt wer<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>ologien positiv, negativ<br />
o<strong>de</strong>r als wertneutral beurteilt.<br />
wegnehmen, und zwar nicht so, dass sie sich<br />
dagegen verteidigen, son<strong>de</strong>rn so, dass sie sie<br />
gegen diejenigen erheben, von <strong>de</strong>nen sie zu<br />
erwarten sind. Alle guten I<strong>de</strong>ologien kämpfen<br />
präventiv. (Hans Freyer, Theorie <strong>de</strong>s gegenwärtigen<br />
Zeitalters, Stuttgart 1955, 5. 119)<br />
4<br />
I<strong>de</strong>ologie sei hier verstan<strong>de</strong>n als Verzerrung<br />
<strong>de</strong>r Realität im Dienste <strong>de</strong>r Rechtfertigung von<br />
Institutionen o<strong>de</strong>r sozialem Han<strong>de</strong>ln. (...) Auch<br />
wenn I<strong>de</strong>ologien im Gewan<strong>de</strong> von Tatsachenbehauptungen<br />
auftreten, wollen sie ja bei ihren<br />
Adressaten nicht so sehr <strong>de</strong>n Wissensstand<br />
heben, son<strong>de</strong>rn Einstellungen beeinflussen,<br />
und diese ihre Absicht lässt sich nicht einfach<br />
durch Wi<strong>de</strong>rlegung <strong>de</strong>r Tatsachenbehauptungen<br />
beseitigen. (Heiner Flohr, Über <strong>de</strong>n möglichen<br />
Beitrag <strong>de</strong>r Wissenschaft zur Rationalität<br />
<strong>de</strong>r Politik; in: Maier, Ritter, Matz [Hg.], Politik<br />
und Wissenschaft. Münchener Studien zur<br />
Politik, Bd. 17, München 1971, 5. 163)<br />
5<br />
Die I<strong>de</strong>ologie ist ein Prozess, <strong>de</strong>r zwar mit<br />
Bewusstsein vom sogenannten Denker vollzogen<br />
wird, aber mit <strong>de</strong>m falschen Bewusstsein.<br />
Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen,<br />
bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben<br />
kein i<strong>de</strong>ologischer Prozess. Er imaginiert sich<br />
also falsche resp. scheinbare Triebkräfte.<br />
(Friedrich Engels, An Franz Mehring, Brief vom<br />
14. 7. 1893; in: Marx/Engels, Werke, Bd. 39,<br />
[Ost-]Berlin 1968, S. 97)
Liberalismus<br />
„Der Liberalismus hat es schwer mit seinen<br />
Gegnern. Noch schwerer hat er es mit seinen<br />
(scheinbaren) Freun<strong>de</strong>n.“<br />
Was Karl Hermann Flach hier schreibt, gilt im<br />
Prinzip für je<strong>de</strong> politische I<strong>de</strong>ologie, jedoch in<br />
beson<strong>de</strong>rem Maße für <strong>de</strong>n Liberalismus. Je<br />
viel<strong>de</strong>utiger ein Begriff ist, um so mehr lässt er<br />
sich semantisch missbrauchen.<br />
Die hier ausgewählten Texte sollen dazu beitragen,<br />
die notwendige Klarheit zu schaffen<br />
und <strong>de</strong>n verbreiteten Missbrauch <strong>de</strong>s Begriffs<br />
Liberalismus einzuschränken. Aus <strong>de</strong>n Texten<br />
ergibt sich ein historischer Abriss <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
<strong>de</strong>s Liberalismus - bis hin zum Neoliberalismus<br />
und <strong>de</strong>r aktuellen Diskussion. Auf<br />
Grund <strong>de</strong>r historischen Kenntnis können künftige<br />
Weiterentwicklungen <strong>de</strong>r liberalen Theorie,<br />
ihre jeweils aktuelle Ausprägung anhand zu er-<br />
gänzen<strong>de</strong>r Materialien beurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />
John Locke<br />
Die Reichweite <strong>de</strong>r Staatsgewalt<br />
Das große Ziel, das Menschen, die in eine<br />
Gesellschaft eintreten, vor Augen haben, liegt<br />
im friedlichen und sicheren Genuss ihres Eigentums,<br />
und das große Werkzeug und Mittel<br />
dazu sind die Gesetze, die in ihrer Gesellschaft<br />
erlassen wor<strong>de</strong>n sind. So ist das erste und<br />
grundlegen<strong>de</strong> positive Gesetz aller Staaten die<br />
Begründung <strong>de</strong>r legislativen Gewalt, so wie<br />
das erste und grundlegen<strong>de</strong> natürliche Gesetz,<br />
das sogar über <strong>de</strong>r legislativen Gewalt gelten<br />
muss, die Erhaltung <strong>de</strong>r Gesellschaft und (soweit<br />
es mit <strong>de</strong>m öffentlichen Wohl vereinbar ist)<br />
je<strong>de</strong>r einzelnen Person in ihr ist. Diese Legislative<br />
ist nicht nur die höchste Gewalt <strong>de</strong>s Staates,<br />
son<strong>de</strong>rn sie liegt auch geheiligt und unabän<strong>de</strong>rlich<br />
in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n, in welche die Gemeinschaft<br />
sie einmal gelegt hat. Keine Vorschrift<br />
irgen<strong>de</strong>ines an<strong>de</strong>ren Menschen, in welcher<br />
Form sie. auch verfasst, von welcher<br />
Macht sie auch gestützt sein mag, kann die<br />
verpflichten<strong>de</strong> Kraft eines Gesetzes haben,<br />
wenn sie nicht ihre Sanktionen von <strong>de</strong>rjenigen<br />
Legislative erhält, die das Volk gewählt und<br />
ernannt hat. Denn ohne sie könnte das Gesetz<br />
nicht haben, was absolut notwendig ist, um es<br />
zu einem Gesetz zu machen, nämlich die Zustimmung<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft. (...)<br />
We<strong>de</strong>r absolute und willkürliche Gewalt noch<br />
eine Regierung ohne feste, stehen<strong>de</strong> Gesetze<br />
lassen sich mit <strong>de</strong>n Zielen von Gesellschaft<br />
und Regierung vereinbaren, und die Menschen<br />
wür<strong>de</strong>n nicht auf die Freiheit <strong>de</strong>s Naturzustan<strong>de</strong>s<br />
verzichten und sich selbst Fes-<br />
3<br />
Die zentralen Begriffe <strong>de</strong>s Liberalismus:<br />
Menschenrechte, Eigentum, Freiheit <strong>de</strong>s<br />
Marktes und Gewaltenteilung wer<strong>de</strong>n in<br />
ihrer historisch emanzipatorischen wie<br />
i<strong>de</strong>ologischen Funktion vorgestellt. Dabei<br />
wird einer <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsprüche <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
beson<strong>de</strong>rs hervor gehoben, <strong>de</strong>r<br />
nämlich zwischen Freiheit und Gleichheit,<br />
<strong>de</strong>n die Theorie <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft<br />
aufzulösen sucht.<br />
Der Liberalismus hat im Verlauf <strong>de</strong>r historischen<br />
Entwicklung die Grundlagen <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />
Rechts- und Verfassungsstaates geschaffen.<br />
Damit wird das Grundgesetz zu einem<br />
wichtigen Medium <strong>de</strong>s Unterrichts; nicht zuletzt<br />
folgt daraus als Arbeitsauftrag, das Grundgesetz<br />
daraufhin zu überprüfen, in welchem Maße<br />
die Verfassungsnorm in <strong>de</strong>r politischen<br />
Realität jeweils verwirklicht wird.<br />
seln anlegen, wenn es nicht darum ginge, ihr<br />
Leben, ihre Freiheiten und ihr Vermögen zu<br />
erhalten und auf Grund fester Regeln für Recht<br />
und Eigentum ihren Frie<strong>de</strong>n und ihre Ruhe zu<br />
sichern. (...)<br />
Die höchste Gewalt (kann) keinem Menschen<br />
einen Teil seines Eigentums ohne seine eigene<br />
Zustimmung wegnehmen. Denn da die Erhaltung<br />
<strong>de</strong>s Eigentums <strong>de</strong>r Zweck <strong>de</strong>r Regierung<br />
und das Ziel ist, weshalb Menschen in die Gesellschaft<br />
eintreten, so muss auch notwendigerweise<br />
vorausgesetzt und verlangt wer<strong>de</strong>n,<br />
dass sie Eigentum haben sollen. An<strong>de</strong>rnfalls<br />
müsste man annehmen, dass sie bei ihrem<br />
Eintritt in die Gesellschaft gera<strong>de</strong> das verlieren<br />
wür<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>r Zweck war, weshalb die Menschen<br />
in die Gesellschaft eingetreten sind. Und<br />
das wäre doch wohl zu absurd, als dass es<br />
irgend jemand zugestehen könnte. Da also die<br />
Menschen in <strong>de</strong>r Gesellschaft Eigentum haben,<br />
haben sie auf diese Güter, die nach <strong>de</strong>n<br />
Gesetzen <strong>de</strong>r Gemeinschaft ihnen gehören,<br />
<strong>de</strong>shalb auch ein solches Recht, dass niemand<br />
ihnen ohne ihre eigene Zustimmung rechtmäßig<br />
alles o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>inen Teil davon wegnehmen<br />
darf Ohne dieses Recht hätten sie<br />
überhaupt kein Eigentum.<br />
(John Locke, Two Treatises on civil government, London<br />
1690; <strong>de</strong>utsch: Zwei Abhandlungen über die Regierung,<br />
Frankfurt/M. / Wien 1967. Zit. nach: Lothar Gall / Rainer<br />
Koch [Hrsg.l, Der europäische Liberalismus im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />
Texte zu seiner Entwicklung, Bd. 1, Frankfurt/M. /<br />
Berlin / Wien 1981, S. 239—243)
Adam Smith<br />
Natur und Wesen <strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s<br />
Bei fast allen Lebewesen ist je<strong>de</strong>s Einzelwesen,<br />
wenn es herangewachsen ist, vollkommen<br />
selbständig und hat im Naturzustand <strong>de</strong>n<br />
Beistand keines an<strong>de</strong>ren leben<strong>de</strong>n Wesens<br />
mehr nötig, <strong>de</strong>r Mensch dagegen braucht fortwährend<br />
die Hilfe seiner Mitmenschen, und<br />
vergeblich erwartet er diese von ihrem Wohlwollen<br />
allem. Er wird viel eher seine Ziele erreichen,<br />
wenn er ihr Selbstinteresse zu seinen<br />
Gunsten lenken und ihnen zeigen kann, dass<br />
sie auch ihren eigenen Vorteil verfolgen, wenn<br />
sie für ihn tun, was er von ihnen haben will.<br />
Wer einem an<strong>de</strong>ren ein Geschäft irgendwelcher<br />
Art anträgt, verfährt in diesem<br />
Sinne. Gib, was ich brauche, und du sollst<br />
haben, was du brauchst, das ist <strong>de</strong>r Sinn eines<br />
je<strong>de</strong>n solchen Anerbietens, und auf diese<br />
Weise erhalten wir voneinan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n bei weitem<br />
größten Teil all <strong>de</strong>r Dienste, auf die wir<br />
gegenseitig angewiesen sind. Nicht von <strong>de</strong>m<br />
Wohlwollen <strong>de</strong>s Fleischers, Brauers o<strong>de</strong>r Bäckers<br />
erwarten wir das, was wir zum Essen<br />
brauchen, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Rücksichtnahme<br />
auf ihr eigenes Interesse. Wir wen<strong>de</strong>n uns (...)<br />
an ihr Selbstinteresse und sprechen zu ihnen<br />
nie von unserem Bedarf, son<strong>de</strong>rn von ihren<br />
Vorteilen. Stets sind alle Menschen darauf<br />
bedacht, die für sie vorteilhafteste Anlage ihrer<br />
Kapitalien ausfindig zu machen. In <strong>de</strong>r Tat hat<br />
je<strong>de</strong>r dabei nur seinen eigenen Vorteil, nicht<br />
aber das Wohl <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Volkswirtschaft<br />
im Auge. Aber dieses Erpichtsein auf seinen<br />
eigenen Vorteil führt ihn ganz von selbst —<br />
o<strong>de</strong>r besser gesagt — notwendigerweise dazu,<br />
<strong>de</strong>rjenigen Kapitalanlage <strong>de</strong>n Vorzug zu<br />
geben, die zu gleicher Zeit für die Volkswirtschaft<br />
als Ganzes am vorteilhaftesten ist. Verfolgt<br />
er nämlich sein eigenes Interesse, so<br />
för<strong>de</strong>rt er damit indirekt das Gesamtwohl viel<br />
nachhaltiger, als wenn die Verfolgung <strong>de</strong>s<br />
Gesamtinteresses unmittelbar sein Ziel gewesen<br />
wäre. Ich habe nie viel Gutes von <strong>de</strong>nen<br />
gehalten, die angeblich für das allgemeine<br />
Beste tätig waren. Der Jahresertrag einer<br />
Volkswirtschaft ist höher, wenn sie sich auf die<br />
Erzeugung <strong>de</strong>rjenigen Waren beschränkt, in<br />
<strong>de</strong>nen sie vor an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn Kostenvorteile<br />
voraus hat, und die ihrerseits von an<strong>de</strong>ren<br />
Län<strong>de</strong>rn diejenigen Waren kauft, die dort billiger<br />
sind. Die Regelung dieser Austauschverhältnisse<br />
aber muss <strong>de</strong>m freien Spiel <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />
Kräfte überlassen bleiben. Kapitalbildung<br />
und Industrieentfaltung müssen in<br />
einem Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>m natürlichen Gang <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
überlassen bleiben. Je<strong>de</strong> künstliche<br />
wirtschaftspolitische Maßnahme lenkt die pro-<br />
4<br />
duktiven Kräfte <strong>de</strong>r Arbeit und auch die Kapitalien<br />
in falsche Richtung.<br />
(Adam Smith, Eine Untersuchung über Natur und Wesen<br />
<strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s [1776]; zit. nach: Mickel/Wiegand,<br />
Geschichte, Politik und Gesellschaft. Bd. 1, Frankfurt/M.<br />
1987, S. 178—179)<br />
Charles <strong>de</strong> Montesquieu<br />
Gewaltenteilung<br />
In je<strong>de</strong>m Staat gibt es drei Arten von Gewalt:<br />
die gesetzgeben<strong>de</strong> Gewalt, die vollziehen<strong>de</strong><br />
Gewalt in Ansehung <strong>de</strong>r Angelegenheiten, die<br />
vorn Völkerrecht abhängen, und die vollziehen<strong>de</strong><br />
Gewalt hinsichtlich <strong>de</strong>r Angelegenheiten,<br />
die vorn bürgerlichen Recht abhängen.<br />
Vermöge <strong>de</strong>r ersten gibt <strong>de</strong>r Fürst o<strong>de</strong>r Magistrat<br />
Gesetze auf Zeit o<strong>de</strong>r für immer, verbessert<br />
er die bestehen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r hebt sie auf.<br />
Vermöge <strong>de</strong>r zweiten schließt er Frie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
führt er Krieg, schickt o<strong>de</strong>r empfängt Gesandtschaften,<br />
befestigt die Sicherheit, kommt Invasionen<br />
zuvor. Vermöge <strong>de</strong>r dritten straft er<br />
Verbrechen o<strong>de</strong>r spricht das Urteil in Streitigkeiten<br />
<strong>de</strong>r Privatpersonen. Ich wer<strong>de</strong> diese<br />
letzte die richterliche Gewalt und die an<strong>de</strong>re<br />
schlechthin die vollziehen<strong>de</strong> Gewalt <strong>de</strong>s Staates<br />
nennen.<br />
Die politische Freiheit <strong>de</strong>s Bürgers ist jene<br />
Ruhe <strong>de</strong>s Gemüts, die aus <strong>de</strong>m Vertrauen<br />
erwächst, das ein je<strong>de</strong>r zu seiner Sicherheit<br />
hat. Damit man diese Freiheit hat, muss die<br />
Regierung so eingerichtet sein, dass ein Bürger<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren nicht zu fürchten braucht.<br />
Wenn in <strong>de</strong>rselben Person o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gleichen<br />
obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgeben<strong>de</strong><br />
Gewalt mit <strong>de</strong>r vollziehen<strong>de</strong>n vereinigt ist,<br />
gibt es keine Freiheit; <strong>de</strong>nn es steht zu befürchten,<br />
dass <strong>de</strong>rselbe Monarch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rselbe<br />
Senat tyrannische Gesetze macht, um sie<br />
tyrannisch zu vollziehen.<br />
Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche<br />
Gewalt nicht von <strong>de</strong>r gesetzgeben<strong>de</strong>n<br />
und vollziehen<strong>de</strong>n getrennt ist. Ist sie mit <strong>de</strong>r<br />
gesetzgeben<strong>de</strong>n Gewalt verbun<strong>de</strong>n, so wäre<br />
die Macht über Leben und Freiheit <strong>de</strong>r Bürger<br />
willkürlich, weil <strong>de</strong>r Richter Gesetzgeber wäre.<br />
Wäre sie mit <strong>de</strong>r vollziehen<strong>de</strong>n Gewalt verknüpft,<br />
so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Richter die Macht eines<br />
Unterdrückers haben.<br />
Alles wäre verloren, wenn <strong>de</strong>rselbe Mensch<br />
o<strong>de</strong>r die gleiche Körperschaft <strong>de</strong>r Großen, <strong>de</strong>s<br />
A<strong>de</strong>ls o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Volkes diese drei Gewalten<br />
ausüben wür<strong>de</strong>: die Macht, Gesetze zu geben,<br />
die öffentlichen Beschlüsse zu vollstrecken
und die Verbrechen o<strong>de</strong>r die Streitsachen <strong>de</strong>r<br />
einzelnen zu richten.<br />
(Charles <strong>de</strong> Montesquieu, De l‘esprit <strong>de</strong>s lois [1748],<br />
<strong>de</strong>utsch: Vom Geist <strong>de</strong>r Gesetze, Tübingen 1951; zit.<br />
nach: Lothar Gall, Rainer Koch [Hrsg.], Der europäische<br />
Liberalismus im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt, s. a. 0., S. 259—260)<br />
Der liberale Rechtsstaat<br />
Der große Fortschritt <strong>de</strong>s liberalen Rechtsstaates<br />
war die Garantie <strong>de</strong>r Rechtssicherheit.<br />
Sie be<strong>de</strong>utete, dass Recht und Gesetz<br />
alles staatliche Han<strong>de</strong>ln bin<strong>de</strong>n sollten, privates<br />
Han<strong>de</strong>ln jedoch nur dort, wo es das Gesetz<br />
ausdrücklich vorsah o<strong>de</strong>r die Rechte an<strong>de</strong>rer<br />
verletzt wur<strong>de</strong>n. Eine geschriebene Verfassung,<br />
das Grundgesetz <strong>de</strong>s Staates, steckte<br />
die Grenzen und Befugnisse <strong>de</strong>s Staates<br />
ab.<br />
Der liberale Rechtsstaat konnte nur Verfassungsstaat<br />
sein. Der Kampf zwischen <strong>de</strong>n<br />
alten staatlichen Mächten und <strong>de</strong>m Bürgertum<br />
äußerte sich vor allem als Kampf um die geschriebene<br />
Verfassung. Hierbei war nicht einmal<br />
entschei<strong>de</strong>nd, ob die Verfassung aus einem<br />
Kompromiss zwischen <strong>de</strong>m fürstlichen<br />
Souverän und einer Volksvertretung entstan<strong>de</strong>n<br />
war o<strong>de</strong>r vom Volk auf revolutionärem<br />
Wege gebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Verfassungs- und<br />
Rechtsstaat sollten mehr bewirken als eine<br />
Abwehr staatlicher Willkür, die freilich zunächst<br />
als Hauptmotiv <strong>de</strong>n Verfassungskampf<br />
gegen <strong>de</strong>n Absolutismus bestimmt hatte. Nicht<br />
nur <strong>de</strong>r fürstliche Souverän, auch die von einer<br />
Volksvertretung kontrollierte bürgerliche Regierung<br />
stand grundsätzlich unter und nicht<br />
über <strong>de</strong>m Gesetz. Das gleiche galt für die<br />
Verwaltung und die Rechtsprechung, die Eingriffe<br />
in Freiheit und Eigentum nur aufgrund<br />
von Gesetze vornehmen durften. Nicht Menschen<br />
sollen im liberalen Rechtsstaat herrschen,<br />
son<strong>de</strong>rn das Gesetz. (...)<br />
Zweck <strong>de</strong>r Gesetze im liberalen Rechtsstaat<br />
ist die Berechenbarkeit, nicht aber die soziale<br />
Gerechtigkeit. Sozial tätig sollten <strong>de</strong>r Staat<br />
und seine Gesetzgebung nicht wer<strong>de</strong>n. Vielmehr<br />
sei „die Sorgfalt <strong>de</strong>s Staates für, das<br />
positive Wohl <strong>de</strong>r Bürger schädlich“ (so <strong>de</strong>r<br />
preußische Reformer Wilhelm von Humboldt).<br />
Entsteht doch nach liberaler Auffassung in einem<br />
marktwirtschaftlichen System mit freien<br />
vertraglichen Beziehungen zwangsläufig soziale<br />
Gerechtigkeit.<br />
Der Schritt <strong>de</strong>s Liberalismus vom Naturrecht*<br />
zum mo<strong>de</strong>rnen Rechtsverständnis, nach <strong>de</strong>m<br />
Gesetze allgemein sein müssen und keine<br />
rückwirken<strong>de</strong> Kraft haben dürften, diente und<br />
5<br />
dient <strong>de</strong>m Bedürfnis <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Gesellschaft<br />
nach Rechtssicherheit. Er lag gleichwohl<br />
im kapitalistischen Interesse nach Berechenbarkeit<br />
und Zuverlässigkeit <strong>de</strong>s Rechtssystems<br />
und <strong>de</strong>r Verwaltung. Bestand doch<br />
die Aufgabe <strong>de</strong>s liberalen Staates in <strong>de</strong>r<br />
Schaffung einer Rechtsordnung, die die Erfüllung<br />
von Verträgen sichert. „Die Erwartung,<br />
dass Verträge erfüllt wer<strong>de</strong>n, muss stets berechenbar<br />
sein. Diese Berechenbarkeit kann<br />
aber, wenn die Wettbewerber annähernd<br />
gleich sind, nur durch allgemeine Gesetze<br />
hergestellt wer<strong>de</strong>n“ (F. L. Neumann). Beson<strong>de</strong>re<br />
Gesetze o<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re staatliche Maßnahmen<br />
verletzen <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>r<br />
Wettbewerber.<br />
(Lothar Döbn, Liberalismus; im Franz Neumann [Hrsg.],<br />
Politische Theorien und I<strong>de</strong>ologien, a.a.O., S. 34—35)<br />
* Naturrecht heißt jenes Recht, das <strong>de</strong>m Menschen<br />
kraft seiner Vernunftbegabung eigen ist. Er<br />
besitzt es unabhängig von seiner sozialen und<br />
historischen Position. Seine Beson<strong>de</strong>rheit besteht<br />
vor allem darin, dass es unabän<strong>de</strong>rlich ist und damit<br />
nicht zur Disposition (etwa eines Gesetzgebers)<br />
steht. Im Gegensatz dazu steht das positive, vom<br />
Menschen geschaffene, „gesetzte“ Recht, das <strong>de</strong>m<br />
sozialen Wan<strong>de</strong>l unterworfen ist.<br />
Das Problem von Freiheit und Gleichheit<br />
Theoretisch äußerte sich dieser soziale Gegensatz<br />
in <strong>de</strong>m Streit über das Verhältnis zwischen<br />
Freiheit und Gleichheit, die - zusammen<br />
mit <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rlichkeit - die Kampfparole <strong>de</strong>r<br />
Französischen Revolution gebil<strong>de</strong>t hatten. Für<br />
die unteren Klassen nämlich war Freiheit mein<br />
mehr als eine schöne Formel, solange sie arm<br />
und ökonomisch abhängig blieben. und gezwungen<br />
waren, die Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r<br />
Unternehmer zu akzeptierein. Für sie war<br />
soziale Gleichheit die elementare Voraussetzung<br />
für die reale Möglichkeit persönlicher<br />
Freiheit. Das besitzen<strong>de</strong> Bürgertum dagegen<br />
musste in <strong>de</strong>r Gleichheit die größte Gefahr für<br />
seine sozialen Privilegien erblicken. Die liberalen<br />
Theoretiker verkün<strong>de</strong>ten alsbald, dass<br />
Freiheit und Gleichheit unüberbrückbare Gegensätze<br />
darstellten, dass soziale Gleichheit<br />
die wahre Freiheit beseitige, dass man also<br />
zwischen bei<strong>de</strong>n zu wählen habe und dass<br />
Freiheit <strong>de</strong>r höhere Wert sei.<br />
(Reinhard Kühn, Formen bürgerlicher Herrschaft, Liberalismus<br />
- Faschismus., Reinbek 1977 S. 36,41ff)
Robert Leicht<br />
Was heißt heute noch liberal?<br />
Wozu brauchen wir noch die Liberalen? Die FDP ist<br />
seit geraumer Zeit personell und programmatisch im<br />
Nie<strong>de</strong>rgang. Wo wäre heutzutage ein Karl-Hermann<br />
Flach zu fin<strong>de</strong>n, einer, <strong>de</strong>r ein Dokument vom Range<br />
<strong>de</strong>r „Freiburger Thesen“ aus <strong>de</strong>m Jahr 1971<br />
formulieren könnte - o<strong>de</strong>r auch nur wollte? Zur gleichen<br />
Zeit allerdings heißt es, im Grun<strong>de</strong> seien inzwischen<br />
alle Parteien irgendwie liberal. Der Liberalismus<br />
- alles o<strong>de</strong>r nichts?<br />
Welches Paradox! Da en<strong>de</strong>t das 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
mit einem Sieg <strong>de</strong>r Demokratie - und zugleich im<br />
Katzenjammer. Europa befreite sich zum glücklichen<br />
Abschluss <strong>de</strong>s Säkulums auch von <strong>de</strong>r zweiten <strong>de</strong>r<br />
Geißeln, die so grässliches Leid über seine Völker<br />
gebracht hatte. im Jahr 1989 brachen nach <strong>de</strong>n<br />
rechten Diktaturen - von Hitler über Mussolini, von<br />
Salazar über Franco und die griechischen Obristen -<br />
endlich auch die kommunistischen Regime im Osten<br />
Europas zusammen. Nicht die nach innen machtgepanzerte,<br />
son<strong>de</strong>rn die offene Gesellschaft überlebte<br />
<strong>de</strong>n Kalten Krieg. Aber wozu so viele mör<strong>de</strong>rische<br />
Umwege zur Einsicht, die schon am Anfang hätte<br />
stehen können: dass nur in einer pluralistischen, in<br />
einer liberalen Gesellschaft die Probleme <strong>de</strong>r Neuzeit<br />
friedlich zum Ausgleich zu bringen sind?<br />
Und ausgerechnet in dieser Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
weiß niemand mehr, will niemand mehr wissen,<br />
was das eigentlich ist: liberal? Joachim Fest<br />
notiert in seinem Buch „Die schwierige Freiheit“<br />
sarkastisch: „Jetzt bringt <strong>de</strong>r ohne eigenes Zutun<br />
errungene Erfolg <strong>de</strong>r freien Ordnung <strong>de</strong>ren innere<br />
Schwächen und Gefährdungen zurück.“ Und er<br />
zitiert <strong>de</strong>n konservativ-sozial<strong>de</strong>mokratischen Verfassungsrichter<br />
Ernst-Wolfgang Böckenför<strong>de</strong>: Die freien<br />
Gesellschaften seien außerstan<strong>de</strong>, die Voraussetzungen<br />
ihrer Existenz zu gewährleisten; sie bauten<br />
unablässig ab.<br />
Die Kritik an seiner angeblichen Leere hat <strong>de</strong>n<br />
Liberalismus freilich seit jeher begleitet – von rechts<br />
wie von links, als gäbe es ein unausrottbares Bedürfnis<br />
vieler Menschen, lieber am Leitseil zu gehen.<br />
Dazu mag ihnen eine traditionalistische Autorität,<br />
eine fraglose Konvention o<strong>de</strong>r eine ins Hier und<br />
Jetzt eingeholte Utopie dienen. Bereits im Symboljahr<br />
1968 erschien aus linker Perspektive das Buch<br />
„The Poverty of Liberalism“ <strong>de</strong>s Amerikaners Robert<br />
Paul Wolff: Das Elend <strong>de</strong>s Liberalismus: es bot eine<br />
fulminante Polemik gegen <strong>de</strong>n „psychologischen<br />
Hedonismus“ <strong>de</strong>r liberalen Tradition, <strong>de</strong>r nur noch<br />
private Werte kenne, <strong>de</strong>m man mit „kollektiven Überlegungen“<br />
entgegentreten müsse. in Wolffs Kritik<br />
kündigte sich bereits mancher jener Gedanken an,<br />
die heute im amerikanischen Kommunitarismus eine<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle spielen.<br />
Wenn aber Axel Honneth in seiner für die <strong>de</strong>utsche<br />
Diskussion bestimmten Präsentation <strong>de</strong>s Kommunitarismus<br />
hervorhebt, „dass ohne die Einbindung in<br />
Wertgemeinschaften auch heute die Freiheit von<br />
menschlichen Subjekten nicht sinnvoll zu <strong>de</strong>nken<br />
ist“, so liegt darin noch lange keine zutreffen<strong>de</strong> Kritik<br />
<strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Liberalismus. Auch seine These,<br />
„dass die staatliche Integration eines Gemeinwesens<br />
selbst nur in <strong>de</strong>r Ausrichtung an bestimmten,<br />
6<br />
ethischen Werten gelingen kann“, richtet sich in<br />
Wirklichkeit nicht gegen <strong>de</strong>n Liberalismus.<br />
Konservativismus, Sozialismus o<strong>de</strong>r Liberalismus<br />
unterschei<strong>de</strong>n sieh nicht etwa im Grad ihrer Orientierung<br />
am Gemeinwohl, sehr wohl aber in <strong>de</strong>r<br />
Frage, auf welche Weise das Gemeinwohl angestrebt<br />
wer<strong>de</strong>n soll: durch autoritäre o<strong>de</strong>r traditionalistische<br />
Vorgabe, durch utopisch behauptete und<br />
machtvoll oktroyierte Egalität – o<strong>de</strong>r eben durch<br />
freie und einsichtige Konsoziation <strong>de</strong>r Bürger. Der<br />
Unterschied liegt also nicht im Prinzip, son<strong>de</strong>rn im<br />
Modus <strong>de</strong>r Gesellschaftsbildung. Im übrigen: Wenn<br />
<strong>de</strong>r Liberale das Wort „Ausrichtung“ an Gemeinschaftswerten<br />
liest, fährt er doch, dunklen historischen<br />
und militärischen Ange<strong>de</strong>nkens, erschrocken<br />
zusammen...<br />
In einem historischen Sinne trifft es zu, dass<br />
Rechtsstaat und Grundrechte, Freiheit und Demokratie<br />
zum Allgemeingut gewor<strong>de</strong>n sind. Aber die<br />
aktuellen Herausfor<strong>de</strong>rungen liberaler I<strong>de</strong>en und<br />
Politik bleiben durchaus brisant. Nichts spricht dafür,<br />
dass <strong>de</strong>m Liberalismus und <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft<br />
<strong>de</strong>r Gegner und folglich <strong>de</strong>r Sinn abhan<strong>de</strong>n gekommen<br />
ist.<br />
Nationalismus in Osteuropa, nationalistische Anwandlungen<br />
selbst in Westeuropa, auch im wie<strong>de</strong>rvereinigten<br />
Deutschland — ein klarer Gegner für<br />
Liberale. Bürokratische Bevormundung, korporatistische<br />
Ten<strong>de</strong>nzen, Wucherungen im staatlichen<br />
Transferwesen, Subventionsdschungel und Überregulierung,<br />
die Vorherrschaft <strong>de</strong>r Parteienpatronage<br />
— dies alles sind gesellschaftliche und politische<br />
Versteinerungen, die je<strong>de</strong>n Liberalen auf <strong>de</strong>n Plan<br />
rufen müssen. Dasselbe gilt für die immer wie<strong>de</strong>r<br />
gegenwärtige Bereitschaft, rechts-staatliche Garantien<br />
entwe<strong>de</strong>r zur Disposition zu stellen o<strong>de</strong>r gar<br />
nicht erst zur Geltung zu bringen.<br />
In je<strong>de</strong>r sozialen o<strong>de</strong>r ökonomischen Krise regen<br />
sich eben als erstes illiberale Ten<strong>de</strong>nzen. Offenheit<br />
und Toleranz, Aufklärung und Pluralität, Rationalität<br />
und Effizienz - wer wollte im Ernst behaupten, in<br />
einer Zeit <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>nfeindlichkeit, <strong>de</strong>r Ausgrenzung<br />
und <strong>de</strong>s Fundamentalismus, <strong>de</strong>s erstarrten<br />
Denkens in Besitzstän<strong>de</strong>n sei die liberale Sache<br />
überholt, ja im Hegelschen Sinne längst aufgehoben?<br />
Was aber heißt dann liberal? Damit dies in <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Unübersichtlichkeit wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich wird,<br />
lohnt sich ein Rückgriff auf die ursprünglichen historischen<br />
Fragestellungen. Dabei ist eines vorwegzuschicken:<br />
Menschliche Gesellschaften sind viel zu<br />
komplex, als dass sie einer perfekten Konstruktion<br />
folgen könnten; folglich kann es schlechterdings<br />
auch keine perfekte Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft geben.<br />
Gesellschaften lassen sich außer<strong>de</strong>m nicht als abgeschlossene<br />
Systeme darstellen; folglich kann es<br />
keine systematische Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft geben.<br />
Gesellschaften stecken schließlich voller Wi<strong>de</strong>rsprüche;<br />
folglich muss eine angemessene Gesellschaftstheorie<br />
auch wi<strong>de</strong>rspruchsfreundlich sein<br />
und die Konkurrenz <strong>de</strong>r Deutungsmuster nach <strong>de</strong>m<br />
Gebot <strong>de</strong>r Toleranz in ihren eigenen Entwurf einbeziehen.
Der Liberalismus erweist seinen Vorzug schon<br />
darin, dass er diese Wi<strong>de</strong>rsprüche und Konflikte<br />
nicht nur zum Thema hat, son<strong>de</strong>rn regelrecht zu<br />
seinem Prinzip <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft wählt. Er<br />
setzt sich also nicht in einen fatalen Gegensatz zu<br />
seinem Gegenstand, we<strong>de</strong>r autoritär noch utopisch,<br />
noch - was bei<strong>de</strong> Irrwege kennzeichnet - bürokratisch.<br />
Wie aber kommt nun eine Gesellschaft zustan<strong>de</strong>?<br />
Diese Frage versuchten die Denker seit <strong>de</strong>m 17.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt mit verschie<strong>de</strong>nen Mo<strong>de</strong>llen <strong>de</strong>s „Gesellschaftsvertrags“<br />
zu beantworten. Zur Rechtfertigung<br />
ihres eigenen Staats- und Gesellschaftsbil<strong>de</strong>s<br />
zeichneten sie nach, wie die Menschen sich aus<br />
<strong>de</strong>m rohen Naturzustand in <strong>de</strong>n geordneten Gesellschaftszustand<br />
fortbewegt haben. Eben in<strong>de</strong>m sie<br />
untereinan<strong>de</strong>r einen Vertrag schlossen. In <strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong>n<br />
zwischen <strong>de</strong>n Vertragstypen wer<strong>de</strong>n die<br />
politischen Fronten und I<strong>de</strong>en vorgeprägt, die auch<br />
heute noch bezeichnend sind. Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich<br />
wird dies an <strong>de</strong>n Beispielen von Thomas Hobbes,<br />
John Locke und Jean-Jacques Rousseau.<br />
Im Gesellschaftsvertrag nach Thomas Hobbes<br />
treten die Menschen ihre Rechte ein für allemal an<br />
einen absoluten Souverän ab, <strong>de</strong>r sie vor <strong>de</strong>m Krieg<br />
aller gegen alle bewahren soll. Der Souverän kann<br />
und darf auf Macht nicht verzichten, ja nicht einmal<br />
sich auf eine Gewaltenteilung einlassen. Es han<strong>de</strong>lt<br />
sich also im strengen Sinne gar nicht um einen<br />
Gesellschaftsvertrag, son<strong>de</strong>rn um ein unwi<strong>de</strong>rrufliches<br />
Auslieferungsabkommen. Die abgrundtief<br />
pessimistische Behauptung, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m<br />
Menschen ein Wolf sei, bringt Hobbes dazu, die<br />
Gesamtheit <strong>de</strong>r Bürger durch einen einzigen Wolf,<br />
<strong>de</strong>n Souverän, in Schach halten zu wollen.<br />
Über diesen anthropologischen Pessimismus hat<br />
Horst Ehmke einmal geschrieben, seine Problematik<br />
liege nicht im Pessimismus, son<strong>de</strong>rn vielmehr darin,<br />
„dass er so ausschließlich auf die Regierten angewandt<br />
wird — obwohl er doch in Anwendung auf die<br />
Regieren<strong>de</strong>n viel schönere Früchte tragen sollte, da<br />
diese <strong>de</strong>n Versuchungen, <strong>de</strong>nen die menschliche<br />
Natur erliegen könnte, in viel stärkerem Maße ausgesetzt<br />
sind“.<br />
Hobbes‘ Gesellschaftsvertrag steht am Anfang<br />
eines konservativen bis autoritären Denkens, das<br />
<strong>de</strong>n Staat <strong>de</strong>r Neuzeit von oben her konstruiert, zur<br />
Aufsicht und allein zur Herrschaft über die misstrauisch<br />
betrachteten Bürger.<br />
Ganz an<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Entwurf von John Locke, <strong>de</strong>r<br />
ungefähr dreißig Jahre später mit seinem „Second<br />
Treatise of Government“ auf Hobbes‘ „Leviathan“<br />
(1651) antwortet: Das wäre ja so, als „ob die Menschen<br />
- während sie aus <strong>de</strong>m Naturzustand in die<br />
Gesellschaft eintreten —übereinkämen, dass alle<br />
außer einem in <strong>de</strong>n Schranken <strong>de</strong>s Gesetzes stehen<br />
sollten, aber dieser eine alle Freiheiten <strong>de</strong>s Naturzustan<strong>de</strong>s<br />
behalten soll - vermehrt um die Macht und<br />
durch Straffreiheit zügellos“.<br />
Bei Locke, <strong>de</strong>m Stammvater <strong>de</strong>s heutigen liberalen<br />
Denkens, errichten die Menschen eine vertraglich<br />
etablierte Autorität, die dann verbindlich<br />
herrscht, solange sie <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Grundrechte<br />
dient. Während bei Hobbes <strong>de</strong>r König über <strong>de</strong>m<br />
Recht steht, steht bei Locke das Recht über <strong>de</strong>m<br />
König. Sobald <strong>de</strong>r Souverän seine Pflichten aus<br />
<strong>de</strong>m ursprünglichen Gesellschaftsvertrag vergisst<br />
7<br />
und aus <strong>de</strong>r Zweckbindung an die Grundfreiheiten<br />
ausbricht, fällt die Macht an die Bürger zurück, die<br />
einen neuen Gesellschaftsvertrag schließen:<br />
Dies ist also die Verankerung eines Wi<strong>de</strong>rstandsrechts,<br />
ja eines Rechts zur Revolution. (Man <strong>de</strong>nkt<br />
gera<strong>de</strong>zu zwangsläufig an <strong>de</strong>n Artikel 20 Absatz 4<br />
<strong>de</strong>s Grundgesetzes, <strong>de</strong>r ein Wi<strong>de</strong>rstandsrecht normiert.)<br />
Dabei ist bei Locke <strong>de</strong>r Staat keineswegs bloß<br />
eine Selbsthilfeagentur vieler interessierter einzelner,<br />
son<strong>de</strong>rn durchaus eine selbständige Autorität,<br />
freilich eine an <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Freiheitsrechte aller<br />
gebun<strong>de</strong>ne Autorität: im Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r liberale Staat.<br />
Jean-Jacques Rousseau hingegen problematisiert<br />
das bei Locke regulieren<strong>de</strong> Mehrheitsprinzip auf<br />
zwiespältige Art und Weise:: Rousseau konfrontiert<br />
<strong>de</strong>n Gemeinwillen (die volonté générale) mit <strong>de</strong>m<br />
Gesamtwillen (<strong>de</strong>r volonté <strong>de</strong> tous). Und er spielt<br />
<strong>de</strong>n höherrangigen Gemeinwillen, <strong>de</strong>r eigentlich nur<br />
in <strong>de</strong>r isolierten direkten Abstimmung aller über alle<br />
Gesetze zum Ausdruck kommen könnte, gegen <strong>de</strong>n<br />
nie<strong>de</strong>rrangigen, ja nie<strong>de</strong>rträchtigen Gesamtwillen<br />
aus, <strong>de</strong>r in politisch organisierten Verbän<strong>de</strong>n und<br />
Mehrheiten manifest wird. In diesem Typ <strong>de</strong>s contrat<br />
social bil<strong>de</strong>t sich schon früh eine antiliberale, antipluralistische,<br />
antirepräsentative Vorstellung von einer<br />
Massen<strong>de</strong>mokratie ab - ohne all jene mäßigen<strong>de</strong>n<br />
forces intermédiaires, ohne jegliche ausgleichen<strong>de</strong>n<br />
Zwischengewalten, die eine mo<strong>de</strong>rne repräsentative<br />
Demokratie ausmachen.<br />
So wie bei Hobbes <strong>de</strong>r absolute Souverän<br />
schrankenlos regiert, soll bei Rousseau die direkte<br />
Mehrheit diktatorisch herrschen. (Die Diktaturen <strong>de</strong>s<br />
20. Jahrhun<strong>de</strong>rts haben Hobbes und Rousseau<br />
gekreuzt, in<strong>de</strong>m sie sich zu ihrer absoluten Herrschaft<br />
von oben auf ein massenhaftes Mandat von<br />
unten beriefen - im Falle <strong>de</strong>s NS-Regimes auch<br />
noch, je<strong>de</strong>nfalls eine ganze Zeitlang, zu Recht.)<br />
Während Hobbes aus tiefem Pessimismus gegen<br />
die Menschen argumentiert, verherrlicht Rousseau<br />
in seinem Optimismus die Mehrheit. Bei<strong>de</strong>n gemeinsam<br />
ist aber die Ablehnung <strong>de</strong>s Pluralismus <strong>de</strong>r<br />
wirklichen Gesellschaft. Für Hobbes kann <strong>de</strong>r Pluralismus<br />
nur im Bürgerkrieg en<strong>de</strong>n, für Rousseau nur<br />
Bei<strong>de</strong> - Hobbes wie Rousseau - setzen, darin genuin<br />
antiliberal, auf die ungebremste Macht, sei es <strong>de</strong>r<br />
auctoritas, sei es <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mos — seien die Machthaber<br />
(mo<strong>de</strong>rn gesprochen) in ihrem gewaltsamen<br />
Homogenitätswunsch und Einheitswahn nun nationalistisch<br />
orientiert o<strong>de</strong>r volksrepublikanisch, rechtspopulistisch<br />
o<strong>de</strong>r links-sozialistisch.<br />
Der Liberale hält sich mit John Locke von all diesen<br />
übersteigern<strong>de</strong>n Verzerrungen frei. Er verfällt,<br />
was die Menschen angeht, we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m absoluten<br />
Pessimismus noch <strong>de</strong>m blin<strong>de</strong>n Optimismus. Er wird<br />
auch die Macht we<strong>de</strong>r diktatorisch verherrlichen<br />
noch anarchisch verteufeln. Er macht sich, wie Ralf<br />
Dahrendorf bemerkt hat, we<strong>de</strong>r Illusionen über die<br />
Macht noch über die Möglichkeit, sie abzuschaffen.<br />
Er kann sich keinen absoluten Staat ohne pluralistische<br />
Gesellschaft vorstellen — aber eben auch<br />
keine zufällige Gesellschaft ohne <strong>de</strong>n ordnen<strong>de</strong>n<br />
Staat. Der Liberale plädiert für aufgeklärte, dann<br />
aber auch verbindliche Gesetze.<br />
Um es anekdotisch auszudrücken: Als es in <strong>de</strong>n<br />
Justizreformen <strong>de</strong>r sechziger und siebziger Jahre
darum ging, vernünftige Gesetze auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r<br />
Zeit zu formulieren, an die man sich dann auch<br />
halten konnte und <strong>de</strong>shalb halten musste, waren die<br />
Liberalen ganz hei <strong>de</strong>r Sache. Als es wenig später<br />
für „liberal“ galt, sich je nach Gusto an Gesetze nicht<br />
mehr zu halten, war <strong>de</strong>r wahre Liberale als erster<br />
entsetzt.<br />
Für <strong>de</strong>n Liberalen gibt es eben nicht nur Rechte,<br />
schon gar nicht nur Rechte, die als „ungesellige“ Ansprüche<br />
gedacht wären. Er kennt durchaus auch<br />
Pflichten. Aber diese Pflichten sind nicht gegen die<br />
Rechte auszuspielen, ihnen auch nicht vor- o<strong>de</strong>r<br />
überzuordnen; son<strong>de</strong>rn die Freiheitsrechte selber,<br />
und nur sie, sind - liberal verstan<strong>de</strong>n - die Wurzeln<br />
<strong>de</strong>r Pflichten.<br />
Diese Differenzen zwischen <strong>de</strong>n politischen Theorien<br />
die <strong>de</strong>r historische Rückblick offen legt, sind<br />
beileibe nicht überholt. Sie kehren im Grun<strong>de</strong> in<br />
allen aktuellen politischen Debatten wie<strong>de</strong>r. Es mag<br />
ja sein, dass im heutigen <strong>de</strong>mokratischen Diskurs<br />
auf <strong>de</strong>n ersten Blick alle Katzen grau - und insofern<br />
auch: liberal - wirken. Doch in Wirklichkeit lässt sich<br />
noch immer ziemlich genau bestimmen, was liberal<br />
ist, auch wenn man viele Liberale außerhalb <strong>de</strong>r<br />
liberalen Partei fin<strong>de</strong>t - und die FDP längst nicht<br />
immer auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>s Liberalismus.<br />
Was also erwi<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Liberale auf <strong>de</strong>n Vorwurf,<br />
in Wirklichkeit sei <strong>de</strong>r Liberalismus schuld an <strong>de</strong>n<br />
akuten Problemen unserer Gesellschaft: grenzenloser<br />
Individualismus, rein materielle Bereicherungssucht<br />
in einer „Raffgesellschaft‘, Verlust <strong>de</strong>r Gemeinschaftswerte<br />
bis hin zum Vandalismus?<br />
Es ist schon merkwürdig, was <strong>de</strong>rzeit alles als<br />
negative Folge <strong>de</strong>s Jahres 1968 abgebucht wird -<br />
als ob die Mör<strong>de</strong>r von Mölln bis Lübeck von Altachtundsechzigern<br />
erzogen wor<strong>de</strong>n wären, während sie<br />
in Wirklichkeit ganz überwiegend aus Elternhäusern<br />
stammen, in <strong>de</strong>nen man noch nie tolerant und liberal,<br />
son<strong>de</strong>rn allenfalls autoritär gedacht hatte. Die<br />
Pointe freilich: 1968 war am En<strong>de</strong> bei weitem eher<br />
ein linkes als ein liberales Datum. Die Spannungen<br />
zwischen liberalen Radikal<strong>de</strong>mokraten und linken<br />
I<strong>de</strong>ologen waren immer manifest gewesen — siehe<br />
das Schimpfwort: „Scheißliberale“.<br />
Wohl kann eine Gesellschaft sowenig aufgrund<br />
<strong>de</strong>s nackten Egoismus <strong>de</strong>r isolierten einzelnen ge<strong>de</strong>ihen<br />
wie unter <strong>de</strong>m obrigkeitlichen Druck <strong>de</strong>r<br />
kalten Macht. Wenn jetzt immer mehr Autoren die<br />
Rückbesinnung auf die Gemeinschaftswerte einklagen,<br />
kann <strong>de</strong>r Liberale sie nur fröhlich an <strong>de</strong>r Eingangstür<br />
begrüßen:<br />
Welcome to the Club!“ — Herzlich willkommen! Das<br />
eben war ja die authentische Pointe <strong>de</strong>s liberalen<br />
Gesellschaftsbil<strong>de</strong>s: die gemeinsame Errichtung <strong>de</strong>s<br />
Gesellschaftsvertrages, allerdings eines Vertrages<br />
<strong>de</strong>r Einsichtigen, die mit <strong>de</strong>m Abschluss <strong>de</strong>s Vertrages,<br />
mo<strong>de</strong>rn gesprochen: die mit <strong>de</strong>r Verfassung<br />
ihre Mündigkeit nicht etwa aufgeben, son<strong>de</strong>rn darin<br />
wahren - als einzige Garantie dafür, dass dieser<br />
Vertrag zur Gestaltung <strong>de</strong>r gemeinsamen Freiheitsrechte<br />
überhaupt Geltung erlangen und behalten<br />
kann.<br />
Auf eines allerdings wird <strong>de</strong>r Liberale nie verzichten:<br />
darauf, dass über die Inhalte <strong>de</strong>r Gemeinschaftswerte<br />
offen diskutiert und auch gemeinsam<br />
beschlossen wird. Die Flucht in autoritativ o<strong>de</strong>r kollektiv<br />
vorgegebene „Werte“, die eben gar keine<br />
8<br />
gemeinschaftlich gelebten Orientierungen, son<strong>de</strong>rn<br />
irgendwo getroffene Anordnungen über die „Gemeinschaft“<br />
sind, lehnt er ab. Übrigens ebenso die<br />
merkwürdig mystische Bevorzugung <strong>de</strong>r „Gemeinschaft“<br />
gegenüber <strong>de</strong>r „Gesellschaft“. Glaubt jemand<br />
im Ernst, es sei möglich, <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>altypisch<br />
verstan<strong>de</strong>nen Zusammenschluss <strong>de</strong>r Mündigen und<br />
Einsichtigen zu ersetzen durch <strong>de</strong>n Rückgriff auf<br />
eine vorgesellschaftliche, vorpolitische, vorrationale<br />
Gemeinschaft? Gewiss, die Gesellschaft <strong>de</strong>r Mündigen<br />
ist oft genug vom Scheitern bedroht, weil ihre<br />
Subjekte sich oft genug nicht als mündig erweisen<br />
und weil <strong>de</strong>r Bürger nie seinem eigenen I<strong>de</strong>albild<br />
entspricht. Aber <strong>de</strong>shalb von Anfang an auf eine<br />
Gemeinschaft <strong>de</strong>r Unmündigen setzen?<br />
Nein, <strong>de</strong>r Liberale wird auch weiterhin die Sache<br />
<strong>de</strong>r Emanzipation aller Bürgerinnen und Bürger<br />
verfechten. Er versteht darunter nicht die Absage an<br />
jegliche Normen und Institutionen <strong>de</strong>s Zusammenlebens,<br />
wohl aber die Kritik an falschen Autoritäten<br />
und Lehren. Was dann aber als falsch zu betrachten<br />
ist, hat sich im freien und öffentlichen Diskurs herauszustellen,<br />
nicht im autoritären o<strong>de</strong>r utopischen<br />
Dunst <strong>de</strong>r geistigen Hinterzimmer. Und natürlich<br />
verlangt auch <strong>de</strong>r Gesellschaftsvertrag seit Locke,<br />
dass sich die Bürger an die zum Schutz <strong>de</strong>r Freiheitsrechte<br />
beschlossenen Regeln halten; die wehrhafte<br />
Demokratie, auch die kämpferisch liberale<br />
Gesellschaft sind eine pure Selbstverständlichkeit.<br />
Deshalb ist <strong>de</strong>r Liberale stets auch „Verfassungspatriot“<br />
— womit bei<strong>de</strong>s gemeint ist: die weltoffene<br />
Verfassung und ihr konkreter politischer Ort; die<br />
Patria ist ihm nicht nur normatives, menschenleeres<br />
Gefüge. Aber <strong>de</strong>r Liberale kann sich auch kein Vaterland<br />
vorstellen, das sich jenseits, über o<strong>de</strong>r unter<br />
<strong>de</strong>n weltoffenen Normen <strong>de</strong>r freiheitlichen <strong>de</strong>mokratischen<br />
Verfassung, sozusagen verfassungstranszen<strong>de</strong>nt<br />
o<strong>de</strong>r ganz unverfasst darstellt. Er <strong>de</strong>nkt<br />
eben im Gesellschaftsvertrag und nicht in ungeformten<br />
Gemeinschaften. Und <strong>de</strong>swegen kann er sich<br />
we<strong>de</strong>r ein ethnisch eingeschränktes noch ein weltweit<br />
entgrenztes Staatsbürgerschaftsrecht vorstellen.<br />
Übrigens wird <strong>de</strong>r Liberale - bei aller Weltoffenheit<br />
und bei aller Bereitschaft zur europäischen Integration<br />
- für die Gegenwart begrifflich genau vom<br />
„Nationalstaat“ sprechen, allerdings nicht mythologisch<br />
raunend vom „Volk“. Denn wer vom Nationalstaat<br />
re<strong>de</strong>t, kann nicht an<strong>de</strong>rs, als immer<br />
zugleich konkret vom Staat und folglich von <strong>de</strong>r<br />
republikanischen, freiheitlichen und <strong>de</strong>mokratischen<br />
Verfassung zu sprechen. Für Liberale gibt es keine<br />
vorpolitisch wabern<strong>de</strong> Nation (auch keine Gemeinschaft)<br />
außerhalb ihrer <strong>de</strong>finierten Verfassung als<br />
Gesellschaft und Staat. Allerdings auch keine ortlos<br />
schweben<strong>de</strong> Freiheit ohne einen verfassungsmäßig<br />
errichteten und gesicherten Staat. Und <strong>de</strong>swegen<br />
wer<strong>de</strong>n Liberale ihren Nationalstaat gerne aufgeben<br />
- aber erst dann, wenn dieser in einem ebenso freiheitlichen<br />
und <strong>de</strong>mokratischen Verfassungsstaat<br />
„Europa“ aufgehoben wird.<br />
Doch wie wird es mit <strong>de</strong>n Grundfreiheiten aussehen<br />
in einem neuen Europa - o<strong>de</strong>r im alten Nationalstaat?<br />
Allerorten ist doch die Neigung zu spüren,<br />
die Grundfreiheiten zu relativieren, ob aus Grün<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r politischen Popularität, <strong>de</strong>r ökonomischen Rationalität<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s sozialen Fortschritts. Der Liberale
kann aber keine fragwürdigen Tauschgeschäfte<br />
abschließen, son<strong>de</strong>rn beruft sich auf <strong>de</strong>n amerikanischen<br />
Liberalen John Rawls: „Grundfreiheiten dürfen<br />
nur um ihrer selbst willen reguliert, nicht aber<br />
beschränkt wer<strong>de</strong>n aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ökonomischen<br />
Effizienz o<strong>de</strong>r sozialer Zweckmäßigkeiten: und zwar<br />
auch nicht im Interesse <strong>de</strong>rer, die die Beschränkungen<br />
hinnehmen sollen.“<br />
Man muss nur die aktuellen Debatten Revue<br />
passieren lassen, um zu verstehen, worum es dabei<br />
geht: <strong>de</strong>r Lauschangriff (natürlich „nur‘ gegen Drogenhändler<br />
und Waffenschieber gemeint), die angestrebte<br />
Verknüpfung von Polizei und Geheimdiensten<br />
(<strong>de</strong>ren Schleppnetzfahndung die alten „Hauptverwaltungen“<br />
<strong>de</strong>r DDR wie ein Museum erscheinen<br />
lassen muss), das ernstlich betriebene Abschleifen<br />
<strong>de</strong>r Strafprozessordnung (<strong>de</strong>r „Magna Charta“ <strong>de</strong>s<br />
Strafrechts) - von <strong>de</strong>m verrückten La<strong>de</strong>nschlussgesetz<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m skurrilen Rabattgesetz gar nicht erst<br />
zu sprechen. O<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Regelmäßigkeit, mit <strong>de</strong>r<br />
die angeblich allein in <strong>de</strong>r Tarifautonomie ausgehan<strong>de</strong>lten<br />
Tarifverträge hernach vom fürsorglichen<br />
Staat mit Gesetzeskraft für allgemeinverbindlich<br />
erklärt wer<strong>de</strong>n, auch für die, die gar nicht Tarifpartner<br />
sein wollen - und dies von einem Staat, <strong>de</strong>ssen<br />
Regierung diese Tarifverträge zuvor als nicht in die<br />
Landschaft passend bezeichnet hat.<br />
Am fragwürdigsten freilich erscheint <strong>de</strong>r Liberalismus<br />
seinen Verächtern auf <strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ökonomie<br />
- als ob die Liberalen mit ihrer Vorstellung von<br />
<strong>de</strong>r Marktwirtschaft die letzten Befürworter <strong>de</strong>s<br />
schlechthin ungezügelten Kapitalismus wären. Dabei<br />
liegt die Pointe <strong>de</strong>r wettbewerbsorientierten<br />
Marktwirtschaft gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Zügelung ökonomischer<br />
(und damit auch politischer) Macht. Im voll<br />
funktionieren<strong>de</strong>n Wettbewerb kann niemand eine<br />
Rente auf Macht erzielen: daher das Kartellgesetz,<br />
die Fusionskontrolle, das Wettbewerbsgesetz.<br />
Wirtschaftlich vermittelte und politisch wirksame<br />
Macht entsteht nur dort, wo <strong>de</strong>r Markt zuvor aus<br />
politischen Motiven entmachtet wur<strong>de</strong>. Wer weiß,<br />
wie groß die Kuhhaut sein müsste, auf die all die<br />
Fälle zu schreiben wären, in <strong>de</strong>nen aus kaum transparent<br />
gemachten politischen Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Markt mit<br />
großen gemeinwohlschädlichen Wirkungen suspendiert<br />
wur<strong>de</strong> - ob es sich nun um <strong>de</strong>n EU-Agrar-<br />
,,Markt“ o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Subventionsorgien han<strong>de</strong>ln<br />
mag. Hinterher spricht man dann am liebsten vom<br />
Marktversagen.<br />
Für <strong>de</strong>n Liberalen ist <strong>de</strong>r Markt aber nicht eine<br />
bloß ökonomische Instanz, son<strong>de</strong>rn ein durchaus<br />
politisches Prinzip <strong>de</strong>r Machtkontrolle. Als Instanz<br />
ökonomischer Ethik fungiert <strong>de</strong>r Markt zu<strong>de</strong>m als<br />
Instrument <strong>de</strong>r treuhän<strong>de</strong>rischen Sparsamkeit im<br />
Umgang mit Ressourcen - im Interesse sowohl <strong>de</strong>r<br />
Zeitgenossen wie <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Generationen.<br />
Das gegenwärtig so beliebte antiökonomische Denken,<br />
das ethisches Empfin<strong>de</strong>n fundamentalistisch<br />
gegen wirtschaftliches Han<strong>de</strong>ln stellt, setzt <strong>de</strong>n<br />
Markt fälschlich gleich mit raffgierigem Egoismus -<br />
wo doch gera<strong>de</strong> im i<strong>de</strong>altypisch funktionieren<strong>de</strong>n<br />
Markt die Selbstbändigung <strong>de</strong>r Marktteilnehmer<br />
stattfin<strong>de</strong>t, übrigens auch gegenüber Zukunftsinteressen.<br />
Deshalb ist für <strong>de</strong>n Liberalen wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>r Markt<br />
das gebotene Mittel, <strong>de</strong>r jüngsten politischen Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
gerecht zu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Ökologie.<br />
9<br />
Niemand darf sich <strong>de</strong>n konkreten Kosten seines<br />
Han<strong>de</strong>lns durch politisch erworbene o<strong>de</strong>r korrumpierte<br />
Macht entziehen. Deshalb ist es ein genuin<br />
liberaler politischer Imperativ, je<strong>de</strong>m Marktteilnehmer,<br />
<strong>de</strong>m Hersteller wie <strong>de</strong>m Verbraucher, die ökologischen<br />
Folgekosten seines Han<strong>de</strong>lns produkt-<br />
und verhaltensadäquat zuzurechnen. Da darf es<br />
dann keine „Externalisierung“ o<strong>de</strong>r „Sozialisierung“<br />
ökologischer Schä<strong>de</strong>n zu Lasten künftiger Generationen<br />
geben — übrigens auf Dauer auch keine sozial<br />
motivierten Kilometergeldpauschalen.<br />
Die Beispiele ließen sich fortsetzen — vom Hölzchen<br />
aufs Stöckchen. Sie wür<strong>de</strong>n je<strong>de</strong>s Mal nur das<br />
eine <strong>de</strong>monstrieren: die Vorzüge <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft.<br />
In diesem Begriff kommt bei<strong>de</strong>s zur Geltung:<br />
das Element <strong>de</strong>r Offenheit wie das soziale<br />
Band <strong>de</strong>r Gesellschaft, die Freiheit wie die Bindungen<br />
— o<strong>de</strong>r, wie Ralf Dahrendorf dies ausgedrückt<br />
hat, die Optionen und die Ligaturen.<br />
Von einem aber bleibt <strong>de</strong>r Liberale überzeugt:<br />
dass Bindungen nur dort wirklich verpflichtend wirken<br />
können, wo sie in Freiheit eingegangen wor<strong>de</strong>n<br />
sind. Und wo sie in ebenso großer Freiheit immer<br />
wie<strong>de</strong>r überprüft wer<strong>de</strong>n können.<br />
Je<strong>de</strong>r Epoche stellen sich neue Probleme: die<br />
Zukunft <strong>de</strong>r Arbeit, die Bevölkerungsexplosion, die<br />
Klimakatastrophe. . . Aber immer wie<strong>de</strong>r stellt sich<br />
auch neu die Frage: Wie wollen wir versuchen,<br />
diese Probleme zu lösen — auf freiheitliche Weise<br />
o<strong>de</strong>r mit Zwangsmitteln? Wollen wir uns in die falsche<br />
Alternative zwischen Freiheit o<strong>de</strong>r Gleichheit<br />
treiben lassen? O<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n wir Wege, auf <strong>de</strong>nen<br />
sich, wie Alexis <strong>de</strong> Tocqueville es einmal erträumt<br />
hat, Freiheit und Gleichheit i<strong>de</strong>aliter verbin<strong>de</strong>n‘?<br />
Die Sache <strong>de</strong>s Liberalismus ist bei weitem noch<br />
nicht erledigt. Im Gegenteil, es ist schon so, wie<br />
Ulrich Beck jüngst schrieb: Eine <strong>de</strong>r wichtigsten<br />
Konfliktlinien läuft gera<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r Zeitenwen<strong>de</strong><br />
von‘ 1989 „zwischen <strong>de</strong>n Protagonisten <strong>de</strong>r offenen<br />
und <strong>de</strong>r geschlossenen Zukunftsgesellschaft“. Und<br />
damit stehen wir zum Ausgang <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
wie<strong>de</strong>r am Anfang.<br />
(Robert Leicht: Was heißt heute noch liberal? In: ZEIT-<br />
PUNKTE 1/1995, S. 91 –95)<br />
Das Jahrhun<strong>de</strong>rt en<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>m Sieg <strong>de</strong>r<br />
Demokratie – und im Katzenjammer.<br />
Doch die Zukunftsprobleme lassen sich<br />
nur in einer offenen Gesellschaft lösen.<br />
In je<strong>de</strong>r sozialen o<strong>de</strong>r ökonomischen<br />
Krise regen sich illiberale Ten<strong>de</strong>nzen.<br />
Wirtschaftliche Macht herrscht dort, wo<br />
zuvor <strong>de</strong>r Markt politisch entmachtet<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Der Liberale kennt keine Illusionen –<br />
we<strong>de</strong>r über die Macht noch über ihre Abschaffung
Neoliberalismus<br />
Als „Neoliberalisrnus“ wird die von Rüstow, Röpke,<br />
Böhm, Müller-Armack, Eucken u. a. in <strong>de</strong>n 30er und<br />
40er Jahren entwickelte Wirtschaftstheorie bezeichnet,<br />
die zur Grundlage <strong>de</strong>r Wirtschaftsverfassung<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik, <strong>de</strong>r „sozialen Marktwirtschaft“,<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Die Zielrichtung:<br />
Sozialliberalismus<br />
Es wäre naiv, etwa schließen zu wollen, dass eine<br />
Rückkehr zu <strong>de</strong>n wirtschaftspolitischen Grundsätzen<br />
<strong>de</strong>r 60er und 70er Jahre <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts das<br />
Heil bringen müsste, selbst wenn sie möglich wäre.<br />
Der durch die spätere krasse Entwicklung geschärfte<br />
Blick erkennt vielmehr auch schon hier und von<br />
Anfang an jene grundlegen<strong>de</strong>n Schwächen und<br />
Blindheiten <strong>de</strong>s historischen Wirtschaftsliberalismus,<br />
aus <strong>de</strong>nen auch die späteren schweren Degenerationen<br />
hervorgegangen sind. Notwendig ist vielmehr<br />
eine Erneuerung <strong>de</strong>s Liberalismus von Grund auf,<br />
eine Erneuerung, die insbeson<strong>de</strong>re auch allen berechtigten<br />
Einwän<strong>de</strong>n und For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Sozialismus<br />
voll Rechnung trägt. Man könnte unter diesem<br />
Gesichtspunkt das, was uns vorschwebt, auch<br />
Sozialliberalismus nennen. (...)<br />
Wir wissen heute, dass die die Marktwirtschaft <strong>de</strong>r<br />
vollständigen Konkurrenz auszeichnen<strong>de</strong> selbsttätige<br />
Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz<br />
nur unter ganz bestimmten Bedingungen und innerhalb<br />
eines scharf abgegrenzten Bereichs <strong>de</strong>s Wirtschaftsfel<strong>de</strong>s<br />
Platz greift. Infolge<strong>de</strong>ssen wür<strong>de</strong> sich<br />
als nächstes die dringen<strong>de</strong> Aufgabe ergeben, die<br />
Funktionsbedingungen <strong>de</strong>r Konkurrenzwirtschaft, die<br />
allein ihren Erfolg verbürgen, mit aller Klarheit und<br />
allem Nachdruck in <strong>de</strong>r Theorie wie in <strong>de</strong>r Praxis<br />
sicherzustellen. Ich habe schon 1932 ausgerührt,<br />
dass nur ein starker und unabhängiger Staat die<br />
wirklich freie Wirtschaft sichern kann, und dass anstelle<br />
<strong>de</strong>s manchesterlichen laissez-faire ein „liberaler<br />
Interventionismus“ zu treten hätte, d. h. ein Interventionismus,<br />
<strong>de</strong>r nicht eis Hemmungsintervention<br />
quer zu <strong>de</strong>n Marktgesetzen, son<strong>de</strong>rn als konforme<br />
Anpassungsintervention in <strong>de</strong>r Wirkungsrichtung <strong>de</strong>r<br />
Marktgesetze. zur Sicherung ihres möglichst reibungslosen<br />
Ablaufs, eingreift. (...)<br />
Der Staat macht bestimmte Eingriffe in <strong>de</strong>r Absicht,<br />
sich auf sie zu beschränken. Aber diese Eingriffe<br />
führen zu unvorhergesehenen Folgen, die ihrerseits<br />
neue, ursprünglich nicht beabsichtigte .Eingriffe<br />
nötig machen. Wenn die Grenze <strong>de</strong>r Staatseingriffe<br />
nicht auf eine einsichtige und haltbare Weise von<br />
vornherein min<strong>de</strong>stens im Prinzip festliegt, wenn die<br />
.privaten Wirtschaftler irgen<strong>de</strong>ines bisher noch freigelassenen<br />
Wirtschaftssektors mit <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />
rechnen müssen, dass <strong>de</strong>r Staat über kurz o<strong>de</strong>r lang<br />
auch in ihre Sphäre in nicht vorausberechenbarer<br />
Weise eingreift, so hört je<strong>de</strong> Möglichkeit langfristiger<br />
Kalkulation und soli<strong>de</strong>r Geschäftsführung auf.<br />
(Alexan<strong>de</strong>r Rüstow, Zwischen Kapitalismus und Kommunismus.<br />
Go<strong>de</strong>sberg 1949, S. 34—36) Rüstow (1932)<br />
10<br />
Man hat <strong>de</strong>m alten Liberalismus vorgeworfen und<br />
wirft ihm noch heute vor, wenn man ihn als Manchestertum<br />
beschimpft, er habe einen schwachen<br />
Staat, einen Nachtwächterstaat, gefor<strong>de</strong>rt. Die historische<br />
Situation war die, dass <strong>de</strong>r alte Liberalismus<br />
einem außeror<strong>de</strong>ntlich starken Staat gegenüberstand<br />
und daß er von diesem Staat nicht<br />
Schwäche verlangte, son<strong>de</strong>rn Freigabe <strong>de</strong>s Entfaltungsraumes<br />
für sich selber unter <strong>de</strong>m Schutz<br />
dieses gegebenen starken Staates, eine For<strong>de</strong>rung,<br />
die historisch war und die auch er-<br />
füllt wor<strong>de</strong>n ist. Der neue Liberalismus je<strong>de</strong>nfalls,<br />
<strong>de</strong>r heute vertretbar ist und <strong>de</strong>n ich mit meinen<br />
Freun<strong>de</strong>n vertrete, for<strong>de</strong>rt einen starken Staat, einen<br />
Staat oberhalb <strong>de</strong>r Wirtschaft, oberhalb <strong>de</strong>r Interessenten,<br />
da, wo er hingehört.<br />
(Aus: Alexan<strong>de</strong>r Rüstow, Re<strong>de</strong> und Antwort. Ludwigsburg<br />
1963, S. 258)<br />
Friedrich Naumann:<br />
Wan<strong>de</strong>l liberaler Prinzipien<br />
Der Sozialismus ist die <strong>de</strong>nkbar weiteste Aus<strong>de</strong>hnung<br />
<strong>de</strong>r liberalen Metho<strong>de</strong> auf alle mo<strong>de</strong>rnen Herrschafts-<br />
und Abhängigkeitsverhältnisse. Die gegenwärtige<br />
Frage <strong>de</strong>s Liberalismus aber hat <strong>de</strong>shalb<br />
folgen<strong>de</strong>n Inhalt: Ist es richtig, dass wir uns nur<br />
darauf beschränken, Gegenwirkung gegen staatlichen<br />
Despotismus zu sein? Die Frage ist <strong>de</strong>shalb so<br />
schwer, weil <strong>de</strong>r Kampf gegen die Nachteile <strong>de</strong>r<br />
neuen Großbetriebe offenbar nur mit Hilfe <strong>de</strong>s alten<br />
Großbetriebes Staat geführt wer<strong>de</strong>n kann. Der<br />
Staat, <strong>de</strong>n man in seiner Wirksamkeit einengen<br />
wollte, muss mit neuen Aufgaben betraut und also<br />
direkt gestärkt wer<strong>de</strong>n, wenn er helfen soll, die Menschenrechte<br />
im gewerblichen Großbetrieb zu schützen.<br />
An dieser Stelle setzte <strong>de</strong>r alte und erste Wi<strong>de</strong>rspruch<br />
<strong>de</strong>r strengen Manchesterleute gegen <strong>de</strong>n<br />
Sozialismus ein. Man musste die liberale Lehre vom<br />
freien Spiel <strong>de</strong>r Kräfte im Wirtschaftsleben einschränken,<br />
wenn man staatliche Zwangsversicherung<br />
gen und Arbeiterschutzgesetze gutheißen<br />
wollte. Das hat man nun trotz<strong>de</strong>m fast im ganzen<br />
Liberalismus tatsächlich nicht vermei<strong>de</strong>n können,<br />
aber es ist das Gefühl einer Schwächung <strong>de</strong>s Prinzips<br />
übriggeblieben. Gewöhnlich legte man sich die<br />
Sache so zurecht, dass man sagte: erst durch diese<br />
Staatseingriffe entsteht die Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen,<br />
die wir anstreben! Das ist sachlich unbestreitbar<br />
richtig, überwin<strong>de</strong>t aber <strong>de</strong>n Umstand doch nicht<br />
ganz, dass <strong>de</strong>r Liberalismus staatssozialistische<br />
Elemente aufnehmen musste, die ihm von Haus<br />
aus fern lagen. Ein gutes Gewissen beim weiteren<br />
Beschreiten dieses Weges wird .<strong>de</strong>r Liberalismus<br />
gegenüber seinen eigenen Prinzipien erst dann<br />
bekommen, wenn er das ganze Gewicht <strong>de</strong>r Neuerung<br />
begreift, die darin liegt, dass es nicht <strong>de</strong>r staatliche<br />
Großbetrieb allein ist, son<strong>de</strong>rn aller Großbetrieb,<br />
<strong>de</strong>n er als gefährlich für die Persönlichkeit zu<br />
begrenzen und auf parlamentarische Basis zu stellen<br />
sucht. Erst von da aus ist es unbe<strong>de</strong>nklich, die
Kräfte <strong>de</strong>s am meisten liberalisierten Großbetriebes<br />
zur Liberalisierung <strong>de</strong>r noch rein absolutistischen<br />
Formen zu verwen<strong>de</strong>n.<br />
(Friedrich Naumann, Liberalismus als Prinzip; in: Süd<strong>de</strong>utsche<br />
Monatshefte 1 Jg. 1904; zit. Nach Helga Schuchardt/<br />
Günther Verheugen: Das liberale Gewissen. Reinbeck<br />
1982, S. 168f)<br />
Demokratischer Sozialismus<br />
Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n die Theorien von Karl<br />
Marx und Friedrich Engels nur insoweit an<br />
Textbeispielen vorgestellt, als sie die theoretische<br />
Grundlage <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
be<strong>de</strong>uten. Da <strong>de</strong>r Demokratische Sozialismus<br />
die Gestaltung <strong>de</strong>s politisch-sozialen<br />
Systems <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />
maßgeblich beeinflusst hat, steht diese Theorie<br />
im Zentrum <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r „Sozialismen“.<br />
Falls im Pflichtbereich II <strong>de</strong>r Marxismus als<br />
antipluralistische Theorie behan<strong>de</strong>lt wird, müssen<br />
weitere Quellen von Marx und Engels,<br />
insbeson<strong>de</strong>re zur Klassentheorie, Revolutionstheorie<br />
und zur Imperialismustheorie herangezogen<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Hier wer<strong>de</strong>n lediglich die ökonomischen Grundi<strong>de</strong>en<br />
an Beispielen erläutert.<br />
Produktion von Mehrwert durch Lohnarbeit<br />
Der Wert <strong>de</strong>r Arbeitskraft ist be1 stimmt durch<br />
das zu ihrer Erhaltung o<strong>de</strong>r Reproduktion notwendige<br />
Arbeitsquantum, aber die Nutzung<br />
dieser Arbeitskraft ist nur begrenzt durch die<br />
aktiven Energien und die Körperkraft <strong>de</strong>s Arbeiters.<br />
(..) Nehmen wir das Beispiel unseres<br />
Spinners. Wir haben gesehn, dass er, um seine<br />
Arbeitskraft täglich zu reproduzieren, täglich<br />
einen Wert von 3 sh. reproduzieren muss, was<br />
er dadurch tut, dass er täglich 6 Stun<strong>de</strong>n arbeitet.<br />
Dies hin<strong>de</strong>rt ihn jedoch nicht, 10 o<strong>de</strong>r <strong>12</strong><br />
o<strong>de</strong>r mehr Stun<strong>de</strong>n am Tag arbeiten zu können.<br />
Durch die Bezahlung <strong>de</strong>s Tages- o<strong>de</strong>r<br />
Wochenwerts <strong>de</strong>r Arbeitskraft <strong>de</strong>s Spinners hat<br />
nun aber <strong>de</strong>r Kapitalist das Recht erworben,<br />
diese Arbeitskraft während <strong>de</strong>s ganzen Tags<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ganzen Woche zu nutzen. Er wird ihn<br />
daher zwingen, sage <strong>12</strong> Stun<strong>de</strong>n täglich zu<br />
arbeiten. Über die zum Ersatz seines Arbeitslohns<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Werts seiner Arbeitskraft erheischten<br />
6 Stun<strong>de</strong>n hinaus wird er daher noch<br />
6 Stun<strong>de</strong>n zu arbeiten haben, die ich Stun<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Mehrarbeit nennen will, welche Mehrarbeit<br />
11<br />
sich vergegenständlichen wird in einem Mehrwert<br />
und einem Mehrprodukt. (...) Da er seine<br />
Arbeitskraft <strong>de</strong>m Kapitalisten verkauft hat, so<br />
gehört <strong>de</strong>r ganze von ihm geschaffene Wert<br />
o<strong>de</strong>r sein ganzes Produkt <strong>de</strong>m Kapitalisten,<br />
<strong>de</strong>m zeitweiligen Eigentümer seiner Arbeitskraft.<br />
(Karl Marx, Lohn, Preis, Profit. In: Karl Marx/Friedrich<br />
Engels, Studienausgabe in 4 Bän<strong>de</strong>n, hrsg. von Iring Fetscher,<br />
Bd. 2:<br />
Politische Ökonomie, Frankfurt am Main 1966, S. 196)<br />
Profitmaximierung<br />
Die Verlängerung <strong>de</strong>s Arbeitstags über <strong>de</strong>n<br />
Punkt hinaus, wo <strong>de</strong>r Arbeiter nur ein Äquivalent<br />
für <strong>de</strong>n Wert seiner Arbeitskraft produziert<br />
hätte, und die Aneignung dieser Mehrarbeit<br />
durch das Kapital - das ist die Produktion <strong>de</strong>s<br />
absoluten Mehrwerts. Sie bil<strong>de</strong>t die allgemeine<br />
Grundlage <strong>de</strong>s kapitalistischen Systems und<br />
<strong>de</strong>n Ausgangspunkt <strong>de</strong>r Produktion <strong>de</strong>s relativen<br />
Mehrwerts. Bei dieser ist <strong>de</strong>r Arbeitstag<br />
von vornherein in zwei Stücke geteilt:<br />
notwendige Arbeit und Mehrarbeit. Um die<br />
Mehrarbeit zu verlängern, wird die notwendige<br />
Arbeit verkürzt durch Metho<strong>de</strong>n, vermittelst<br />
<strong>de</strong>ren das Äquivalent <strong>de</strong>s Arbeitslohns in weniger<br />
Zeit produziert wird. Die Produktion <strong>de</strong>s<br />
absoluten Mehrwerts dreht sich nur um die<br />
Länge <strong>de</strong>s Arbeitstags; die Produktion <strong>de</strong>s<br />
relativen Mehrwerts revolutioniert durch und<br />
durch die technischen Prozesse <strong>de</strong>r Arbeit und<br />
die gesellschaftlichen Gruppierungen.<br />
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1. In: MEW [ = Karl<br />
Marx/Friedrich Engels, Werke], Bd. 23, Berlin ~Ost] 1962,<br />
S. 532—533)<br />
Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung<br />
Während die Maschinenarbeit das Nervensystem<br />
aufs Äußerste angreift, unterdrückt sie das<br />
vielseitige Spiel <strong>de</strong>r Muskeln und konfisziert<br />
alle freie körperliche und geistige Tätigkeit.<br />
Selbst die Erleichterung <strong>de</strong>r Arbeit wird Mittel<br />
<strong>de</strong>r Tortur, in<strong>de</strong>m die Maschine nicht <strong>de</strong>n Arbeiter<br />
von <strong>de</strong>r Arbeit befreit, son<strong>de</strong>rn seine Arbeit<br />
vom Inhalt. Aller kapitalistischen Produktion,<br />
soweit sie nicht nur Arbeitsprozess, son<strong>de</strong>rn<br />
zugleich Verwertungsprozess <strong>de</strong>s Kapitals,<br />
ist es gemeinsam, dass nicht <strong>de</strong>r Arbeiter<br />
die Arbeitsbedingung, son<strong>de</strong>rn umgekehrt die<br />
Arbeitsbedingung <strong>de</strong>n Arbeiter anwen<strong>de</strong>t, aber<br />
erst mit <strong>de</strong>r Maschinerie erhält diese Verkehrung<br />
technisch handgreifliche Wirklichkeit.<br />
Durch seine Verwandlung in einen Automaten<br />
tritt das Arbeitsmittel während <strong>de</strong>s Arbeitsprozesses<br />
selbst <strong>de</strong>m Arbeiter als Kapital ge-
genüber, als tote Arbeit, welche die lebendige<br />
Arbeitskraft beherrscht und aussaugt.<br />
(Karl Marx, Das Kapital, Bd., 1 a. a. 0., 5.446)<br />
Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum<br />
Konkurrenten <strong>de</strong>s Arbeiters selbst. Die Selbstverwertung<br />
<strong>de</strong>s Kapitals durch die Maschine<br />
steht in direktem Verhältnis zur Arbeiter-<br />
zahl, <strong>de</strong>ren Existenzbedingungen sie vernichtet.<br />
Das ganze System <strong>de</strong>r kapitalistischen<br />
Produktion beruht darauf, dass <strong>de</strong>r Arbeiter<br />
seine Arbeitskraft als Ware verkauft. Die Teilung<br />
<strong>de</strong>r Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft<br />
zum ganz partikularisierten Geschick, ein Teilwerkzeug<br />
zu führen. Sobald die Führung <strong>de</strong>s<br />
Werkzeugs <strong>de</strong>r Maschine anheimfällt, erlischt<br />
mit <strong>de</strong>m Gebrauchswert <strong>de</strong>r Tauschwert <strong>de</strong>r<br />
Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich,<br />
wie außer Kurs gesetztes Papiergeld. Der Teil<br />
<strong>de</strong>r Arbeiterklasse, <strong>de</strong>n die Maschinerie so in<br />
überflüssige, d. h. nicht länger zur Selbstverwertung<br />
<strong>de</strong>s Kapitals unmittelbar notwendige<br />
Bevölkerung verwan<strong>de</strong>lt, geht einerseits unter<br />
in <strong>de</strong>m im-. gleichen Kampf <strong>de</strong>s alten handwerksmäßigen<br />
und manufakturmäßigen Betriebs<br />
wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n maschinenmäßigen, überflutet<br />
an<strong>de</strong>rerseits alle leichter zugänglichen Industriezweige,<br />
überfüllt <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt und senkt<br />
daher <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Arbeitskraft unter ihren<br />
Wert (...). Wo die Maschine allmählich ein Produktionsfeld<br />
ergreift, produziert sie chronisches<br />
Elend in <strong>de</strong>r mit ihr konkurrieren<strong>de</strong>n Arbeiterschicht.<br />
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a. a. 0., S. 454)<br />
Entfremdung im Kapitalismus<br />
Ziel <strong>de</strong>r Marxschen Kritik ist das Privateigentum<br />
- insbeson<strong>de</strong>re in seiner kapitalistischen<br />
Ausprägung-, da es die Entfremdung<br />
<strong>de</strong>s Menschen auf die Spitze getrieben hat.<br />
Der Kapitalismus macht <strong>de</strong>n Menschen zur<br />
Ware, die <strong>de</strong>n anonymen Gesetzen <strong>de</strong>s Marktes<br />
gehorcht. Arbeitsteilige Spezialisierung<br />
beschränkt <strong>de</strong>n Menschen und erlaubt es ihm<br />
nicht, sein Produkt als Ganzes zu konzipieren<br />
und zu verstehen. Das Produkt hört auf, Ausdruck<br />
seiner schöpferischen Kraft zu sein und<br />
wird, im Gegenteil, Bestandteil jenes Systems,<br />
das ihn unterdrückt; die Mitglie<strong>de</strong>r einer Konkurrenzgesellschaft<br />
wer<strong>de</strong>n zu Instrumenten<br />
<strong>de</strong>r Bedürfnisbefriedigung o<strong>de</strong>r Ausbeutung,<br />
anstatt ineinan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mitmenschen zu erkennen.<br />
Der „homo oeconomicus“, <strong>de</strong>r Profit maximieren<strong>de</strong>,<br />
kalkulieren<strong>de</strong> anthropologische<br />
Grundpfeiler <strong>de</strong>r von Adam Smith abgeleiteten<br />
Wirtschaftslehre ist für Marx nicht das Mo<strong>de</strong>ll<br />
<strong>de</strong>s Menschen, wie er ist, son<strong>de</strong>rn Beschreibung<br />
<strong>de</strong>r Deformation, die durch ein auf Pri-<br />
<strong>12</strong><br />
vatbesitz und Tauschprinzip aufgebautes Wirtschaftssystem<br />
hervorgebracht wird.<br />
(Kurt L. Shell, Marxismus; in: Axel Görlitz [Hrsg.], Handlexikon<br />
zur Politikwissenschaft, Reinbeck 1973, S. 240)<br />
Verelendung bei wachsen<strong>de</strong>m Reichtum<br />
Alle Metho<strong>de</strong>n zur Produktion <strong>de</strong>s Mehrwerts<br />
sind zugleich Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Akkumulation (<strong>de</strong>s<br />
Kapitals), und je<strong>de</strong> Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Akkumulation<br />
wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung<br />
jener Metho<strong>de</strong>n. Es folgt daher, dass im Maße<br />
wie Kapital akkumuliert, die Lage <strong>de</strong>s Arbeiters,<br />
welches immer seine Zahlung, hoch o<strong>de</strong>r<br />
niedrig, sich verschlechtern muss. Das Gesetz<br />
(...)‚ welches die relative Übervölkerung o<strong>de</strong>r<br />
industrielle Reservearmee stets mit Umfang<br />
und Energie <strong>de</strong>r Akkumulation in Gleichgewicht<br />
hält, schmie<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Arbeiter fester an das Kapital<br />
als <strong>de</strong>n Prometheus die Kelle <strong>de</strong>s<br />
Hephästos an <strong>de</strong>n Felsen. Es bedingt eine <strong>de</strong>r<br />
Akkumulation von Kapital entsprechen<strong>de</strong> Akkumulation<br />
von Elend. Die Akkumulation von<br />
Reichtum auf <strong>de</strong>m einen Pol ist also zugleich<br />
Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei,<br />
Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer<br />
Degradation auf <strong>de</strong>m Gegenpol, d. h. auf<br />
Seite <strong>de</strong>r Klasse, die ihr eigenes Produkt als<br />
Kapital produziert.<br />
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a. a. 0., 1 S. 675)<br />
Zentralisation <strong>de</strong>r Kapitale im Konkurrenzkampf<br />
Der Zersplitterung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Gesamtkapitals<br />
in viele individuelle Kapitale o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Repulsion seiner Bruchteile voneinan<strong>de</strong>r<br />
wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dies nicht<br />
mehr einfache, mit <strong>de</strong>r Akkumulation (<strong>de</strong>s Kapitals)<br />
i<strong>de</strong>ntische Konzentration von Produktionsmitteln<br />
und Kommando über Arbeit. Es ist<br />
Konzentration bereits gebil<strong>de</strong>ter Kapitale, Aufhebung<br />
ihrer individuellen Selbständigkeit,<br />
Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist,<br />
Verwandlung vieler kleineren in weniger größere<br />
Kapitale.(...) Das Kapital schwillt hier in einer<br />
Hand zu großen Massen, weil es dort in vielen<br />
Hän<strong>de</strong>n verloren geht. Es ist die eigentliche<br />
Zentralisation im Unterschied zur Akkumulation<br />
und Konzentration. (...) Der Konkurrenzkampf<br />
wird durch Verwohlfeilerung <strong>de</strong>r Waren geführt.<br />
Die Wohlfeilheit <strong>de</strong>r Waren hängt, ... von <strong>de</strong>r<br />
Produktivität <strong>de</strong>r Arbeit, diese aber von <strong>de</strong>r<br />
Stufenleiter <strong>de</strong>r Produktion ab. Die größeren<br />
Kapitale schlagen daher die kleineren.<br />
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a. a. 0., S. 654)
Die Theorie Bernsteins Rechtfertigung<br />
sozial<strong>de</strong>mokratischer Reformpolitik<br />
Ich bin <strong>de</strong>r Anschauung entgegengetreten,<br />
dass wir vor einem in Bäl<strong>de</strong> zu erwarten<strong>de</strong>n<br />
Zusammenbruch <strong>de</strong>r bürgerlichen Gesellschaft<br />
stehen und dass die Sozial<strong>de</strong>mokratie ihre<br />
Taktik durch die Aussicht auf eine solche bevorstehen<strong>de</strong><br />
große soziale Katastrophe<br />
bestimmen beziehungsweise von ihr abhängig<br />
machen soll. Das halte ich in vollem Umfang<br />
auf recht. (...)<br />
Die Prognose, welche das „Kommunistische<br />
Manifest“ (Marx/Engels 1848) <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaft stellt, war richtig,<br />
soweit sie die allgemeinen Ten<strong>de</strong>nzen dieser<br />
Entwicklung kennzeichnete. Sie irrte aber in<br />
verschie<strong>de</strong>nen speziellen Folgerungen, vor<br />
allem in <strong>de</strong>r Abschätzung <strong>de</strong>r Zeit, welche die<br />
Entwicklung in Anspruch nehmen wür<strong>de</strong>. ...<br />
Die Zuspitzung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
hat sich nicht in <strong>de</strong>r Weise vollzogen, wie<br />
sie das „Manifest“ schil<strong>de</strong>rt. Es ist nicht nur<br />
nutzlos, es ist auch die größte Torheit, sich<br />
dies zu verheimlichen. Die Zahl <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n<br />
ist nicht kleiner, son<strong>de</strong>rn größer gewor<strong>de</strong>n.<br />
Ihre enorme Vermehrung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />
Reichtums wird nicht von einer<br />
zusammenschrumpfen<strong>de</strong>n Zahl von Kapitalmagnaten,<br />
son<strong>de</strong>rn von einer wachsen<strong>de</strong>n<br />
Zahl von Kapitalisten aller Gra<strong>de</strong> begleitet. Die<br />
Mittelschichten än<strong>de</strong>rn ihren Charakter, aber<br />
sie verschwin<strong>de</strong>n nicht aus <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />
Stufenleiter.<br />
Die Konzentrierung <strong>de</strong>r Produktion vollzieht<br />
sich in <strong>de</strong>r Industrie auch heute noch nicht<br />
durchgängig mit gleicher Kraft und Geschwindigkeit.<br />
In einer großen Anzahl Produktionszweige<br />
rechtfertigt sie zwar alle Vorhersagungen<br />
<strong>de</strong>r sozialistischen Kritik, in an<strong>de</strong>ren Zweigen<br />
bleibt sie jedoch noch heute hinter ihnen<br />
zurück.<br />
Politisch sehen wir das Privilegium <strong>de</strong>r kapitalistischen<br />
Bourgeoisie in allen vorgeschrittenen<br />
Län<strong>de</strong>rn Schritt für Schritt <strong>de</strong>mokratischen<br />
Einrichtungen weichen. Unter <strong>de</strong>m Einfluss<br />
dieser und getrieben von <strong>de</strong>r sich immer kräftiger<br />
regen<strong>de</strong>n Arbeiterbewegung hat eine gesellschaftliche<br />
Gegenaktion gegen die ausbeuterischen<br />
Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>s Kapitals eingesetzt,<br />
die zwar heute noch sehr zaghaft und tastend<br />
vorgeht, aber doch da ist und immer mehr Gebiete<br />
<strong>de</strong>s Wirtschaftslebens ihrem Einfluss unterzieht.<br />
Fabrikgesetzgebung, die Demokrati-<br />
13<br />
sierung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>verwaltungen und die<br />
Erweiterung ihres Arbeitsgebiets, die Befreiung<br />
<strong>de</strong>s Gewerkschafts- und Genossenschaftswesens<br />
von allen gesetzlichen Hemmungen,<br />
Berücksichtigung <strong>de</strong>r Arbeiterorganisationen<br />
bei allen von öffentlichen Behör<strong>de</strong>n zu<br />
vergeben<strong>de</strong>n Arbeiten kennzeichnen diese<br />
Stufe <strong>de</strong>r Entwicklung. Dass in Deutschland<br />
man noch daran <strong>de</strong>nken kann, die Gewerkschaften<br />
zu knebeln, kennzeichnet nicht <strong>de</strong>n<br />
Höhegrad, son<strong>de</strong>rn die Rückständigkeit einer<br />
politischen Entwicklung.<br />
Je mehr aber die politischen Einrichtungen <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Nationen <strong>de</strong>mokratisiert wer<strong>de</strong>n, um<br />
so mehr verringern sich die Notwendigkeiten<br />
fund Gelegenheiten großer politischer Katastrophen.<br />
Wer an <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>r Katastrophen<br />
festhält, muss die hier gezeichnete Entwicklung<br />
nach Möglichkeit bekämpfen und zu hemmen<br />
suchen, wie das die konsequenten Verfechter<br />
dieser Theorie übrigens früher auch getan haben.<br />
(...)<br />
Kein Mensch hat die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Erkämpfung<br />
<strong>de</strong>r Demokratie für die Arbeiterklasse<br />
in Frage gestellt. Worüber gestritten wur<strong>de</strong>,<br />
ist die Zusammenbruchstheorie und die Frage,<br />
ob bei <strong>de</strong>r gegebenen wirtschaftlichen Entwicklung<br />
Deutschlands und <strong>de</strong>m Reisegrad seiner<br />
Arbeiterklasse in Stadt und Land <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie<br />
an einer plötzlichen Katastrophe<br />
gelegen sein kann. Ich habe die Frage verneint<br />
und verneine sie noch, weil meines Erachtens<br />
im stetigen Vormarsch eine größere Gewähr<br />
für dauern<strong>de</strong>n Erfolg liegt wie in <strong>de</strong>n Möglichkeiten,<br />
die eine Katastrophe bietet.<br />
(Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen <strong>de</strong>s Sozialismus<br />
und die Aufgaben <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie [1899]. Bonn-Bad<br />
Go<strong>de</strong>sberg 1973, S. 6-7, 9)<br />
Der Weg zum Sozialismus<br />
Ein annähernd gleichzeitiger völlige Zusammenbruch<br />
<strong>de</strong>s gegenwärtigen Productionssystems<br />
wird mit <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft nicht wahrscheinlicher,<br />
son<strong>de</strong>rn unwahrscheinlicher, weil dieselbe auf<br />
<strong>de</strong>r einen Seite die Anpassungsfähigkeit, auf<br />
<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren bzw. zugleich damit - die Differenzierung<br />
<strong>de</strong>r Industrie steigert. Es hilft auch<br />
nichts, sich darauf zu berufen, dass die mit<br />
einem solchen Zusammenbruch eintreten<strong>de</strong><br />
Volkserhebung voraussichtlich die Dinge mit
Treibhausgeschwindigkeit zur höchsten Entwicklung<br />
bringen wer<strong>de</strong>. Diese, aus <strong>de</strong>r Geschichte<br />
<strong>de</strong>r großen französischen Revolution<br />
abgeleitete Annahme beruht auf totaler Verkennung<br />
<strong>de</strong>s großen Unterschieds zwischen<br />
feudalen und liberalen Einrichtungen, zwischen<br />
feudalistisch bewirtschaftetem Grundbesitz und<br />
mo<strong>de</strong>rner Industrie. Mit <strong>de</strong>n meisten feudalistischen<br />
Rechten konnte man aufräumen, ohne<br />
mehr als einem verhältnismäßig kleinen Bruchteil<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung Scha<strong>de</strong>n zuzufügen, radikale<br />
Eingriffe ins bürgerliche Eigentumsrecht<br />
berühren einen unendlich weiteren Kreis von<br />
Interessen, die man nicht alle zur Emigration<br />
veranlassen kann. Feudale Landgüter konnte<br />
man zerschlagen und parcellenweise veräußern,<br />
mno<strong>de</strong>rnen Fabriken gegenüber geht das<br />
nicht; je mehr davon (...) expropriiet wür<strong>de</strong>n,<br />
um so größer die Schwierigkeit, sie während<br />
einer Erhebung in Betrieb zu halten. (...)<br />
Man wird nun die Frage aufwerfen, ob mit dieser<br />
Darlegung die Verwirklichung <strong>de</strong>s Socialismus<br />
nicht auf <strong>de</strong>n St. Nimmerleinstag (...)<br />
verlegt o<strong>de</strong>r auf viele, viele Generationen hinaus<br />
vertagt wird. Wenn man unter Verwirklichung<br />
<strong>de</strong>s Socialismus die Errichtung einer in<br />
allen Puncten streng communistisch geregelten<br />
Gesellschaft versteht, so trage ich allerdings<br />
keine Be<strong>de</strong>nken zu erklären, dass mir dieselbe<br />
noch in ziemlich weiter Ferne zu liegen scheint.<br />
Dagegen ist es meine feste Überzeugung,<br />
dass schon die gegenwärtige Gesellschaft<br />
noch die Verwirklichung von sehr viel Socialismus<br />
erleben wird, wenn nicht in <strong>de</strong>r patentierten<br />
Form, so doch in <strong>de</strong>r Sache. Die stetige<br />
Erweiterung <strong>de</strong>s Umkreises <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />
Pflichten, d.h. <strong>de</strong>r Pflichten und correspondieren<strong>de</strong>n<br />
Rechte <strong>de</strong>r Einzelnen gegen<br />
die Gesellschaft, und <strong>de</strong>r Verpflichtung <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft gegen die Einzelnen, die Aus<strong>de</strong>hnung<br />
<strong>de</strong>s Aufsichtsrechts <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Nation<br />
o<strong>de</strong>r im Staat organisierten Gesellschaft über<br />
das Wirtschaftsleben, die Ausbildung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen<br />
Selbstverwaltung in Gemein<strong>de</strong>,<br />
Kreis und Provinz und die Erweiterung <strong>de</strong>r<br />
Aufgaben dieser Verbän<strong>de</strong> - alles das heißt für<br />
mich Entwicklung zum Socialismus o<strong>de</strong>r, wenn<br />
man will, stückweise vollzogene Verwirklichung<br />
<strong>de</strong>s Socialismus (...) In einem guten Fabrikgesetz<br />
kann mehr Socialismus stecken, als in <strong>de</strong>r<br />
Verstaatlichung einer ganzen Gruppe von Fabriken.<br />
Ich gestehe es offen, ich habe für das, was<br />
man gemeinhin unter „Endziel <strong>de</strong>s Socialismus“<br />
versteht, außeror<strong>de</strong>ntlich wenig Sinn und<br />
Interesse. Dieses Ziel, was immer es sei, ist<br />
mir gar nichts, die Bewegung alles. Und unter<br />
Bewegung verstehe ich sowohl die allgemeine<br />
Bewegung <strong>de</strong>r Gesellschaft, d.h. <strong>de</strong>n socialen<br />
14<br />
Fortschritt, wie die politische und wirtschaftliche<br />
Agitation und Organisation zur Bewirkung<br />
<strong>de</strong>s Fortschritts.<br />
(Eduard Bernstein: Zusammenbruchstheorie und<br />
Colonialpolitik; in <strong>de</strong>rs., Zur Theorie und Geschichte<br />
<strong>de</strong>s Socialismus [1901], Teil II: Berlin 1904, S. 993 –<br />
95)<br />
Zielvorstellungen <strong>de</strong>r SPD<br />
Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen<br />
Sozialismus<br />
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die<br />
Grundwerte <strong>de</strong>s Demokratischen Sozialismus.<br />
Sie sind unser Kriterium für die Beurteilung <strong>de</strong>r<br />
politischen Wirklichkeit, Maßstab für eine neue<br />
und bessere Ordnung <strong>de</strong>r Gesellschaft und<br />
zugleich Orientierung für das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s<br />
einzelnen Sozial<strong>de</strong>mokraten.<br />
Die Sozial<strong>de</strong>mokratie erstrebt eine Gesellschaft,<br />
in <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>r Mensch seine Persönlichkeit<br />
in Freiheit entfalten und verantwortlich am<br />
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />
Leben mitwirken kann.<br />
Der Mensch ist als Einzelwesen zur Freiheit<br />
befähigt. Die Chance zur Entfaltung seiner<br />
Freiheit ist aber stets eine Leistung <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />
Freiheit ist für uns die Freiheit eines<br />
je<strong>de</strong>n, auch und gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rs Denken<strong>de</strong>n.<br />
Freiheit für wenige wäre Privileg.<br />
Die Freiheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren ist Grenze und Bedingung<br />
<strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen. Freiheit<br />
verlangt Freisein von entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten,<br />
von Not und Furcht, aber auch die<br />
Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten<br />
und in Gesellschaft und Politik verantwortlich<br />
mitzuwirken. Nur wer sich sozial ausreichend<br />
gesichert weiß, kann seine Chance zur Freiheit<br />
nutzen. Auch um <strong>de</strong>r Freiheit willen wollen wir<br />
gleiche Lebenschancen und umfassen<strong>de</strong> soziale<br />
Sicherung.<br />
Gerechtigkeit grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r gleichen Wür<strong>de</strong><br />
aller Menschen. Sie verlangt gleiche Freiheit,<br />
Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetz, gleiche Chancen<br />
<strong>de</strong>r politischen und sozialen Teilhabe und <strong>de</strong>r<br />
sozialen Sicherung. Sie verlangt die gesellschaftliche<br />
Gleichheit von Mann und Frau.<br />
Gerechtigkeit erfor<strong>de</strong>rt mehr Gleichheit in <strong>de</strong>r<br />
Verteilung von Einkommen, Eigentum und<br />
Macht, aber auch im Zugang zu Bildung, Ausbildung<br />
und Kultur.
Gleiche Lebenschancen be<strong>de</strong>uten nicht Gleichförmigkeit,<br />
son<strong>de</strong>rn Entfaltungsraum für individuelle<br />
Neigungen und Fähigkeiten aller.<br />
Gerechtigkeit, das Recht auf gleiche Lebenschancen,<br />
muss mit <strong>de</strong>n Mitteln staatlicher<br />
Macht angestrebt wer<strong>de</strong>n. Solidarität, die Bereitschaft,<br />
über Rechtsverpflichtungen hinaus<br />
füreinan<strong>de</strong>r einzustehen, lässt sich nicht erzwingen.<br />
Solidarität hat die Arbeiterbewegung im Kampf<br />
für Freiheit und Gleichheit geprägt und ermutigt.<br />
Ohne Solidarität gibt es keine menschliche<br />
Gesellschaft.<br />
Solidarität ist zugleich Waffe <strong>de</strong>r Schwachen<br />
im Kampf um ihr Recht und Konsequenz aus<br />
<strong>de</strong>r Einsicht, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Mitmenschen<br />
bedarf. Wir können als Freie und Gleiche<br />
nur dann menschlich miteinari<strong>de</strong>r leben,<br />
wenn wir füreinan<strong>de</strong>r einstehen und die Freiheit<br />
<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren wollen. Wer in Not gerät,<br />
muss sich auf die Solidarität <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
verlassen können.<br />
Solidarität gebietet auch, dass die Menschen in<br />
<strong>de</strong>r Dritten Welt die Chance für ein menschenwürdiges<br />
Leben erhalten. Kommen<strong>de</strong> Generationen,<br />
über <strong>de</strong>ren Lebenschancen wir heute<br />
entschei<strong>de</strong>n, haben Anspruch auf unsere Solidarität.<br />
Solidarität ist auch nötig, um individuelle Entfaltungschancen<br />
zu erweitern. Nur gemeinsames<br />
Han<strong>de</strong>ln, nicht egoistischer Individualismus<br />
schafft und sichert die Voraussetzungen individueller<br />
Selbstbestimmung. Unsere Grundwerte<br />
bedingen und stützen einan<strong>de</strong>r. Sie entfalten<br />
ihren Sinn nur, wenn sie als gleichrangig, einan<strong>de</strong>r<br />
erläuternd, ergänzend und begrenzend<br />
angesehen wer<strong>de</strong>n.<br />
Diese Grundwerte zu verwirklichen und die<br />
Demokratie zu vollen<strong>de</strong>n, ist die dauern<strong>de</strong><br />
Aufgabe <strong>de</strong>s Demokratischen Sozialismus.<br />
(Vorstand <strong>de</strong>r SPD [Hrsg.], Das neue Grundsatzprogramm<br />
<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratischen Partei Deutschlands.<br />
Entwurf, März 1989. Bonn 1989, 5. <strong>12</strong> - 13)<br />
Auszüge aus <strong>de</strong>m Schrö<strong>de</strong>r/Blair-<br />
Papier „Der Weg nach vorn für Europas<br />
Sozial<strong>de</strong>mokraten“<br />
I. Aus Erfahrung lernen<br />
Obgleich Sozial<strong>de</strong>mokraten und Labour Party<br />
eindrucksvoll historische Errungenschaften<br />
15<br />
vorweisen können, müssen wir heute realitätstaugliche<br />
Antworten auf neue Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
in Gesellschaft und Ökonomie entwickeln.<br />
Dies erfor<strong>de</strong>rt Treue zu unseren Werten, aber<br />
Bereitschaft zum Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r alten Mittel und<br />
traditionellen Instrumente.<br />
In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong> die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
sozialen Gerechtigkeit manchmal mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung<br />
nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt.<br />
Letztlich wur<strong>de</strong> damit die Be<strong>de</strong>utung von<br />
eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert<br />
und nicht belohnt und die soziale Demokratie<br />
mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbun<strong>de</strong>n<br />
statt mit Kreativität, Diversität und herausragen<strong>de</strong>r<br />
Leistung. Einseitig wur<strong>de</strong> die Arbeit<br />
immer höher mit Kosten belastet.<br />
— Der Weg zur sozialen Gerechtigkeit<br />
war mit immer höheren öffentlichen Ausgaben<br />
gepflastert, ohne Rücksicht auf Ergebnisse<br />
o<strong>de</strong>r die Wirkung <strong>de</strong>r hohen Steuerlast auf<br />
Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung o<strong>de</strong>r<br />
private Ausgaben. Qualitätsvolle soziale<br />
Dienstleistungen sind ein zentrales Anliegen<br />
<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokraten, aber soziale Gerechtigkeit<br />
lässt sich nicht an <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r öffentlichen<br />
Ausgaben messen. Der wirkliche Test für<br />
die Gesellschaft ist, wie effizient diese Ausgaben<br />
genutzt wer<strong>de</strong>n und inwieweit sie die Menschen<br />
in die Lage versetzen, sich selbst zu<br />
helfen.<br />
— Die Ansicht, dass <strong>de</strong>r Staat schädliches<br />
Marktversagen korrigieren müsse, führte<br />
allzu oft zur überproportionalen Ausweitung<br />
von Verwaltung und Bürokratie, im Rahmen<br />
sozial<strong>de</strong>mokratischer Politik. Wir haben Werte,<br />
die <strong>de</strong>n Bürgern wichtig sind - wie persönliche<br />
Leistung und Erfolg, Unternehmergeist, Eigenverantwortung<br />
und Gemeinsinn - zu häufig zurückgestellt<br />
hinter universelles Sicherungsstreben.<br />
— Allzu oft wur<strong>de</strong>n Rechte höher bewertet<br />
als Pflichten. Aber die Verantwortung <strong>de</strong>s<br />
einzelnen in Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft<br />
kann nicht an <strong>de</strong>n Staat <strong>de</strong>legiert<br />
wer<strong>de</strong>n. Geht <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r gegenseitigen<br />
Verantwortung verloren, so führt dies zum Verfall<br />
<strong>de</strong>s Gemeinsinns, zu mangeln<strong>de</strong>r Verantwortung<br />
gegenüber Nachbarn, zu steigen<strong>de</strong>r<br />
Kriminalität und Vandalismus und einer Überlastung<br />
<strong>de</strong>s Rechtssystems.<br />
— Die Fähigkeit <strong>de</strong>r nationalen Politik zur<br />
Feinsteuerung <strong>de</strong>r Wirtschaft hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen<br />
wur<strong>de</strong> über-, die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s einzelnen und<br />
<strong>de</strong>r Wirtschaft bei <strong>de</strong>r Schaffung von<br />
Wohlstand unterschätzt. Die Schwächen <strong>de</strong>r<br />
Märkte wur<strong>de</strong>n über-, ihre Stärken unterschätzt.<br />
II. Neue Konzepte für verän<strong>de</strong>rte Realitäten
Das Verständnis <strong>de</strong>ssen, was „links“ ist, darf<br />
nicht i<strong>de</strong>ologisch einengen.<br />
— Die Politik <strong>de</strong>r neuen Mitte und <strong>de</strong>s dritten<br />
Weges richtet sich an <strong>de</strong>n Problemen <strong>de</strong>r<br />
Menschen aus, die mit <strong>de</strong>m raschen Wan<strong>de</strong>l<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaften leben und zurechtkommen<br />
müssen. In dieser neu entstehen<strong>de</strong>n Welt wollen<br />
die Menschen Politiker, die Fragen ohne<br />
i<strong>de</strong>ologische Vorbedingungen angehen und<br />
unter Anwendung ihrer Werte und Prinzipien<br />
nach praktischen Lösungen für ihre Probleme<br />
suchen, mit Hilfe aufrichtiger, wohl konstruierter<br />
und pragmatischer Politik. Wähler, die in<br />
ihrem täglichen Leben Initiative und Anpassungsfähigkeit<br />
im Hinblick auf die wirtschaftlichen<br />
und sozialen Verän<strong>de</strong>rungen beweisen<br />
müssen, erwarten das gleiche von ihren Regierungen<br />
und ihren Politikern.<br />
— In einer Welt immer rascherer Globalisierung<br />
und wissenschaftlicher Verän<strong>de</strong>rungen<br />
müssen wir Bedingungen schaffen, in <strong>de</strong>nen<br />
bestehen<strong>de</strong> Unternehmen prosperieren und<br />
sich entwickeln und neue Unternehmen entstehen<br />
und wachsen können.<br />
— Neue Technologien ziehen radikale Verän<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>r Arbeit sowie eine Internationalisierung<br />
<strong>de</strong>r Produktion nach sich. Einerseits<br />
führen sie dazu, dass Fertigkeiten verloren<br />
gehen und einige Wirtschaftszweige schrumpfen,<br />
an<strong>de</strong>rerseits för<strong>de</strong>rn sie die Entstehung<br />
neuer Unternehmen und Tätigkeiten. Daher<br />
besteht die wichtigste Aufgabe <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnisierung<br />
darin, in Humankapital zu investieren, um<br />
sowohl <strong>de</strong>n einzelnen als auch die Unternehmen<br />
auf die wissensgestützte Wirtschaft <strong>de</strong>r<br />
Zukunft vorzubereiten.<br />
— Ein einziger Arbeitsplatz fürs ganze Leben<br />
ist Vergangenheit. Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen<br />
<strong>de</strong>n wachsen<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an die Flexibilität<br />
gerecht wer<strong>de</strong>n und gleichzeitig soziale<br />
Min<strong>de</strong>stnormen aufrechterhalten, Familien bei<br />
<strong>de</strong>r Bewältigung <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls helfen und<br />
Chancen für die eröffnen, die nicht Schritt halten<br />
können.<br />
— Wir stehen zunehmend vor <strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rung,<br />
umweltpolitische Verantwortung<br />
gegenüber künftigen Generationen mit materiellem<br />
Fortschritt für die Breite <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
zu vereinbaren. Wir müssen Verantwortung<br />
für die Umwelt nur einem mo<strong>de</strong>rnen,<br />
marktwirtschaftlichen Ansatz verbin<strong>de</strong>t, Was<br />
<strong>de</strong>n Umweltschutz anbelangt, so verbrauchen<br />
die neuesten Technologen weniger Ressourcen,<br />
eröffnen neue Märkte und schaffen<br />
Arbeitsplätze.<br />
— Die Höhe <strong>de</strong>r Staatsausgaben hat trotz<br />
einiger Unterschie<strong>de</strong> mehr o<strong>de</strong>r weniger die<br />
Grenzen <strong>de</strong>r Akzeptanz erreicht. Die notwendige<br />
Kürzung <strong>de</strong>r staatlichen Ausgaben erfor<strong>de</strong>rt<br />
eine radikale Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>s öffentlichen<br />
16<br />
Sektors und eine Leistungssteigerung und<br />
Strukturreform <strong>de</strong>r öffentlichen Verwaltung. Der<br />
öffentliche Dienst muss <strong>de</strong>n Bürgern tatsächlich<br />
dienen: Wir wer<strong>de</strong>n daher nicht zögern,<br />
Effizienz-, Wettbewerbs- und Leistungs<strong>de</strong>nken<br />
einzuführen.<br />
— Die sozialen Sicherungssysteme müssen<br />
sich <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Lebenserwartung,<br />
<strong>de</strong>r Familienstruktur und <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>r<br />
Frauen anpassen. Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen<br />
Wege fin<strong>de</strong>n, die immer drängen<strong>de</strong>ren Probleme<br />
von Kriminalität, sozialem Zerfall und<br />
Drogenmissbrauch zu bekämpfen. Wir müssen<br />
uns an die Spitze stellen, wenn es darum geht,<br />
eine Gesellschaft mit gleichen Rechten und<br />
Chancen für Frauen und Männer zu schaffen.<br />
— Armut, insbeson<strong>de</strong>re unter Familien mit<br />
Kin<strong>de</strong>rn, bleibt ein zentrales Problem. Wir<br />
brauchen gezielte Maßnahmen für die, die am<br />
meisten von Marginalisierung und sozialer<br />
Ausgrenzung bedroht sind.<br />
— Die Kriminalität ist ein zentrales politisches<br />
Thema für die mo<strong>de</strong>rnen Sozial<strong>de</strong>mokraten: So<br />
verstehen wir Sicherheit auf <strong>de</strong>n Straßen als<br />
ein Bürgerrecht.<br />
— Und: Eine Politik für lebenswerte Städte<br />
for<strong>de</strong>rt Gemeinsinn, schafft Arbeit und macht<br />
die Wohnviertel sicherer. [...]<br />
Unsere Staaten haben unterschiedliche Traditionen<br />
im Umgang zwischen Staat, Industrie,<br />
Gewerkschaften und gesellschaftlichen Gruppen,<br />
aber wir alle teilen die Überzeugung, dass<br />
die traditionellen Konflikte am Arbeitsplatz überwun<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
Dazu gehört vor allem, die Bereitschaft und die<br />
Fähigkeit <strong>de</strong>r Gesellschaft zum Dialog und zum<br />
Konsens wie<strong>de</strong>r neu zu gewinnen und zu stärken.<br />
Wir wollen allen Gruppen ein Angebot<br />
unterbreiten, sich in die gemeinsame Verantwortung<br />
für das Gemeinwohl einzubringen. [...]<br />
— Wir möchten wirkliche Partnerschaft bei <strong>de</strong>r<br />
Arbeit, in<strong>de</strong>m die Beschäftigten die Chance<br />
erhalten, die Früchte <strong>de</strong>s Erfolgs mit <strong>de</strong>n Unternehmern<br />
zu teilen.<br />
— Wir wollen, dass die Gewerkschaften in <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Welt verankert bleiben. Wir wollen,<br />
dass sie <strong>de</strong>n einzelnen gegen Willkür schützen<br />
und in Kooperation mit <strong>de</strong>n Arbeitgebern <strong>de</strong>n<br />
Wan<strong>de</strong>l gestalten und dauerhaften Wohlstand<br />
schaffen helfen.<br />
—. In Europa streben wir - unter <strong>de</strong>m Dach<br />
eines Europäischen Beschäftigungspaktes -<br />
einen fortlaufen<strong>de</strong>n Dialog mit <strong>de</strong>n Sozialpartnern<br />
an. Das beför<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n notwendigen ökonomischen<br />
Wan<strong>de</strong>l.<br />
-<br />
III. Eine neue, angebotsorientierte Agenda für<br />
die Linke
Europa sieht sich <strong>de</strong>r Aufgabe gegenüber, <strong>de</strong>n<br />
Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Weltwirtschaft zu begegnen<br />
und gleichzeitig <strong>de</strong>n sozialen Zusammenhalt<br />
angesichts tatsächlicher o<strong>de</strong>r subjektiv<br />
empfun<strong>de</strong>ner Ungewissheit zu. wahren. Eine<br />
Zunahme <strong>de</strong>r Beschäftigung und <strong>de</strong>r Beschäftigungschancen<br />
ist die beste Garantie für eine in<br />
sich gefestigte Gesellschaft.<br />
Die bei<strong>de</strong>n vergangenen Jahrzehnte <strong>de</strong>s neoliberalen<br />
Laisser-faire sind vorüber. An ihre Stelle<br />
darf jedoch keine Renaissance <strong>de</strong>s „<strong>de</strong>ficit<br />
spending“ und massiver staatlicher Intervention<br />
im Stile <strong>de</strong>r siebziger Jahre treten. Eine solche<br />
Politik führt heute in die falsche Richtung.<br />
Unsere Volkswirtschaften und die globalen<br />
Wirtschaftsbeziehungen haben einen radikalen<br />
Wan<strong>de</strong>l erfahren. Neue Bedingungen und neue<br />
Realitäten erfor<strong>de</strong>rn eine Neubewertung alter<br />
Vorstellungen und die Entwicklung neuer Konzepte.<br />
In einem großen Teil Europas ist die Arbeitslosigkeit<br />
viel zu hoch, und ein großer Teil<br />
dieser Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt.<br />
Um dieser Herausfor<strong>de</strong>rung begegnen zu können,<br />
müssen die europäischen Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />
gemeinsam eine neue, angebotsorientierte<br />
Agenda für die Linke formulieren und umsetzen.<br />
Wir wollen <strong>de</strong>n Sozialstaat mo<strong>de</strong>rnisieren, nicht<br />
abschaffen. Wir wollen neue Wege <strong>de</strong>r Solidarität<br />
und <strong>de</strong>r Verantwortung für an<strong>de</strong>re beschreiten,<br />
ohne die Motive für wirtschaftliche<br />
Aktivitäten auf puren Eigennutz zu grün<strong>de</strong>n.<br />
Die wichtigsten Elemente dieses Ansatzes sind<br />
die folgen<strong>de</strong>n:<br />
Ein robuster und wettbewerbsfähiger marktwirtschaftlicher<br />
Rahmen . [...]<br />
Eine auf die För<strong>de</strong>rung nachhaltigen Wachstums<br />
ausgerichtete Steuerpolitik[...]<br />
Ein aktiver Staat in einer neuverstan<strong>de</strong>nen<br />
Rolle hat einen zentralen Beitrag zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung zu leisten<br />
Mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten sind ‚keine Laisser-faire-Neoliberalen.<br />
Flexible Märkte müssen<br />
mit einer neu <strong>de</strong>finierten Rolle für einen aktiven<br />
Staat kombiniert wer<strong>de</strong>n. Erste Priorität muss<br />
die Investition in menschliches und soziales<br />
Kapital sein.<br />
Wenn auf Dauer ein hoher Beschäftigungsstand<br />
erreicht wer<strong>de</strong>n soll, müssen Arbeitnehmer<br />
auf sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen reagieren.<br />
Unsere Volkswirtschaften lei<strong>de</strong>n an<br />
einer erheblichen Diskrepanz zwischen offenen<br />
Stellen, die nicht besetzt wer<strong>de</strong>n können (z. B.<br />
im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie)<br />
und (<strong>de</strong>m Mangel an) angemessen<br />
qualifizierten Bewerbern. Dies be<strong>de</strong>utet,<br />
dass Bildung keine „einmalige“ Chance sein<br />
darf: Zugang und Nutzung zu Bildungsmöglichkeiten<br />
und lebenslanges Lernen stel-<br />
17<br />
len die wichtigste Form <strong>de</strong>r Sicherheit in <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Welt dar. Die Regierungen sind<br />
dafür verantwortlich, einen Rahmen zu schaffen,<br />
<strong>de</strong>r es <strong>de</strong>n einzelnen ermöglicht, ihre<br />
Qualifikationen zu steigern und ihre Fähigkeiten<br />
auszuschöpfen. Dies muss heute für Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />
höchste Priorität haben. [...]<br />
Mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen die Anwälte<br />
<strong>de</strong>s Mittelstands sein<br />
Der Aufbau eines prosperieren<strong>de</strong>n Mittelstands<br />
muss eine wichtige Priorität für mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten.<br />
sein. Hier Liegt das größte Potential<br />
für neues Wachstum und neue Arbeitsplätze<br />
in <strong>de</strong>r wissensgestützten Gesellschaft<br />
<strong>de</strong>r Zukunft.<br />
— Menschen unterschiedlichster Herkunft wollen<br />
sich selbständig machen:<br />
Seit langem etablierte und neue Unternehmer,<br />
Anwälte, Computerexperten, Ärzte, Handwerker,<br />
Unternehmensberater, Kulturschaffen<strong>de</strong><br />
und Sportler. Ihnen muss man <strong>de</strong>n Spielraum<br />
lassen, wirtschaftliche Initiative zu entwickeln<br />
und neue Geschäftsi<strong>de</strong>en zu kreieren. Sie<br />
müssen zur Risikobereitschaft ermutigt wer<strong>de</strong>n.<br />
Gleichzeitig muss man ihre Belastungen<br />
verringern. Ihre Märkte und ihr Ehrgeiz dürfen<br />
nicht durch Grenzen behin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
.<br />
Gesun<strong>de</strong> öffentliche Finanzen sollten zum Gegenstand<br />
<strong>de</strong>s Stolzes für Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />
wer<strong>de</strong>n<br />
In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong> sozial<strong>de</strong>mokratische<br />
Politik allzu oft assoziiert mit <strong>de</strong>r<br />
Einstellung, dass <strong>de</strong>r beste Weg zur För<strong>de</strong>rung<br />
von Beschäftigung und Wachstum die Aus<strong>de</strong>hnung<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Verschuldung zum<br />
Zweck höherer öffentlicher Ausgaben sei. Für<br />
uns ist öffentliche Verschuldung nicht abzulehnen<br />
— während eines zyklischen Abschwungs<br />
kann es Sinn machen, die automatischen Stabilisatoren<br />
arbeiten zu lassen. Und Verschuldung<br />
mit <strong>de</strong>m Ziel höherer öffentlicher Investitionen,<br />
in strikter Beachtung <strong>de</strong>r „gol<strong>de</strong>nen<br />
Regel“, kann eine wichtige Rolle in <strong>de</strong>r Stärkung<br />
<strong>de</strong>r Angebotsseite <strong>de</strong>r Ökonomie spielen.<br />
Aber „Defizit spending“ kann nicht genutzt wer<strong>de</strong>n,<br />
um strukturelle Schwächen in <strong>de</strong>r Ökonomie<br />
zu beseitigen, die schnelleres Wachstum<br />
und höhere Beschäftigung verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Sozial<strong>de</strong>mokraten dürfen <strong>de</strong>shalb exzessive<br />
Staatsverschuldung nicht tolerieren. (...)<br />
IV. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke<br />
Der Staat muss die Beschäftigung aktiv for<strong>de</strong>rn<br />
und nicht nur passiver Versorger <strong>de</strong>r Opfer<br />
wirtschaftlichen Versagens sein.<br />
Menschen, die nie gearbeitet haben o<strong>de</strong>r<br />
schon lange arbeitslos sind, verlieren die Fer-
tigkeiten, die sie brauchen, um auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt<br />
konkurrieren zu können. Langzeitarbeitslosigkeit<br />
beeinträchtigt die persönlichen<br />
Lebenschancen auch in an<strong>de</strong>rer Weise und<br />
macht die uneingeschränkte gesellschaftliche<br />
Teilhabe schwieriger.<br />
Ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit,<br />
Arbeit zu fin<strong>de</strong>n, behin<strong>de</strong>rt, muss reformiert<br />
wer<strong>de</strong>n. Mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten wollen<br />
das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein<br />
Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwan<strong>de</strong>ln.<br />
Für unsere Gesellschaften besteht <strong>de</strong>r Imperativ<br />
<strong>de</strong>r sozialen Gerechtigkeit aus mehr als <strong>de</strong>r<br />
Verteilung von Geld. Unser Ziel ist eine Ausweitung<br />
<strong>de</strong>r Chancengleichheit, unabhängig<br />
von Geschlecht, Rasse, Alter o<strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung<br />
— um sozialen Ausschluss zu bekämpfen<br />
und die Gleichheit zwischen Mann und Frau sicherzustellen.<br />
Die Menschen verlangen zu Recht nach hochwertigen<br />
Dienstleistungen und Solidarität für<br />
alle, die Hilfe brauchen — aber auch nach<br />
Fairness gegenüber <strong>de</strong>nen, die das bezahlen.<br />
Alle sozialpolitischen Instrumente müssen Lebenschancen<br />
verbessern, Selbsthilfe anregen,<br />
Eigenverantwortung för<strong>de</strong>rn. [...]<br />
Zeiten <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit müssen in einer<br />
Wirtschaft, in <strong>de</strong>r es <strong>de</strong>n lebenslangen Arbeitsplatz<br />
nicht mehr gibt, eine Chance für Qualifizierung<br />
und persönliche Weiterbildung sein.<br />
Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser<br />
als gar keine Arbeit, <strong>de</strong>nn sie erleichtern<br />
<strong>de</strong>n Übergang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung.<br />
Eine neue Politik mit <strong>de</strong>m Ziel, arbeitslosen<br />
Menschen Arbeitsplätze und Ausbildung anzubieten,<br />
ist eine sozial<strong>de</strong>mokratische Priorität -<br />
wir erwarten aber auch, dass je<strong>de</strong>r die ihm<br />
gebotenen Chancen annimmt. (...)<br />
V. „Politisches Benchmarking“ in Europa<br />
Die Herausfor<strong>de</strong>rung besteht in <strong>de</strong>r Formulierung<br />
und Umsetzung einer neuen sozial<strong>de</strong>mokratischen<br />
Politik in Europa. Wir re<strong>de</strong>n nicht<br />
einem einheitlichen europäischen Mo<strong>de</strong>ll das<br />
Wort, geschweige <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Umwandlung <strong>de</strong>r<br />
Europäischen Union in einen „Superstaat“,. Wir<br />
sind für Europa und für Reformen in Europa.<br />
(...)<br />
(zitiert nach <strong>de</strong>r FR vom 10 Juni 1999 S. 18)<br />
Die gebändigte Mo<strong>de</strong>rnität <strong>de</strong>s Lionel<br />
Jospin<br />
Eine Antwort auf das Schrö<strong>de</strong>r/Blair-Papier<br />
Vom 8. bis 10. November tagt in Paris <strong>de</strong>r 21. Kongress<br />
<strong>de</strong>r Sozialistischen Internationale. Das Präsi-<br />
18<br />
dium <strong>de</strong>r gastgeben<strong>de</strong>n französischen PS hat aus<br />
diesem Anlass ein Papier beschlossen, das als eine<br />
Art Antwort auf das "Schrö<strong>de</strong>r/Blair-Papier" (siehe<br />
FR vom 10. Juni) verstan<strong>de</strong>n und daher als Jospin-Papier"<br />
etikettiert wur<strong>de</strong>. Wir dokumentieren <strong>de</strong>n<br />
ersten Teil dieses Papiers im Wortlaut. Der Text ist<br />
vollständig in Heft 11 <strong>de</strong>r Blätter für <strong>de</strong>utsche und<br />
internationale Politik nachzulesen, das am 2. November<br />
ausgeliefert wird<br />
Einer Tradition treu zu sein, heißt, <strong>de</strong>r Flamme<br />
treu zu sein und nicht <strong>de</strong>r Asche. (Jean Jaures)<br />
In einer Zeit tief greifen<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>ls stellen<br />
sich die Sozialisten natürlich Fragen hinsichtlich<br />
ihrer I<strong>de</strong>ntität. Nicht zum ersten Mal. Im<br />
Laufe ihrer Geschichte sind sie immer wie<strong>de</strong>r<br />
veranlasst gewesen, neue politische, wirtschaftliche,<br />
soziale und kulturelle Rahmenbedingungen<br />
zu berücksichtigen. Sie haben sich<br />
<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen angepasst, ohne ihren<br />
Willen zur Gerechtigkeit aufzugeben.<br />
Überall haben sich unsere Parteien mit <strong>de</strong>r<br />
Sache <strong>de</strong>r Demokratie und <strong>de</strong>s sozialen Fortschritts<br />
i<strong>de</strong>ntifiziert. Sie haben <strong>de</strong>n Kapitalismus<br />
bekämpft und durch politische und soziale<br />
Erfolge dazu beigetragen, die Marktwirtschaft<br />
zu organisieren und zu zivilisieren und ihr so<br />
ermöglicht, ihre Rolle voll auszufüllen, und<br />
gleichzeitig eine Wohlstandsgesellschaft geschaffen,<br />
die Ungleichheiten je<strong>de</strong>r Art vermin<strong>de</strong>rt.<br />
Sie haben <strong>de</strong>n Kommunismus in seiner<br />
totalitären Form entschlossen angeprangert,<br />
<strong>de</strong>ssen irregeleitete Logik <strong>de</strong>m humanistischen<br />
Anspruch wi<strong>de</strong>rsprach, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m sozialistischen<br />
I<strong>de</strong>al zu Grun<strong>de</strong> liegt. Im Laufe <strong>de</strong>r bewegten<br />
Geschichte <strong>de</strong>r Arbeiterbewegungen gegrün<strong>de</strong>t,<br />
sind sie zu "Parteien <strong>de</strong>s ganzen Volks"<br />
gewor<strong>de</strong>n, zu Verteidigern <strong>de</strong>s allgemeinen<br />
Interesses. In ihren nationalen Realitäten verankert,<br />
haben sich die sozialistischen Parteien<br />
stets ihre internationalistische Perspektive bewahrt.<br />
Nach <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Weltkriegen und <strong>de</strong>r<br />
großen Dekolonisierungsbewegung haben sie<br />
<strong>de</strong>r Schaffung internationaler Normen und Institutionen<br />
zunehmen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung beigemessen,<br />
um Konflikten vorzubeugen und Entwicklung<br />
zu för<strong>de</strong>rn.<br />
Das sind die Errungenschaften unserer Internationale,<br />
die in <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn geboren<br />
wur<strong>de</strong>, doch heute weltweit vertreten ist. Sie<br />
vereint Parteien, Bewegungen und Organisationen,<br />
die für ihre Völker die Hoffnung auf eine<br />
bessere Zukunft verkörpern. Sie müssen sich<br />
dieser Hoffnung würdig erweisen.<br />
Unsere Zukunft meistem<br />
Unsere Werte bestätigen
Die Dynamik, die uns eint, grün<strong>de</strong>t sich vor<br />
allem auf die Werte, die wir verteidigen. Die<br />
drei Grundsätze <strong>de</strong>r Französischen Revolution,<br />
"Freiheit, Gleichheit, Brü<strong>de</strong>rlichkeit", die vom<br />
Stockholmer Kongress von 1989 in die Erklärung<br />
<strong>de</strong>r Sozialistischen Internationale aufgenommen<br />
wur<strong>de</strong>n, liegen weiterhin unserem<br />
Engagement zu Grun<strong>de</strong>. Freiheit: Ohne sie<br />
kann es we<strong>de</strong>r Demokratie noch eine vollkommene<br />
Selbstverwirklichung <strong>de</strong>s Einzelnen geben.<br />
Gleichheit: Sie verbietet es, sich mit einer<br />
ungerechten Gesellschaft abzufin<strong>de</strong>n. Brü<strong>de</strong>rlichkeit:<br />
Sie ist es - bzw. in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r<br />
Arbeiterbewegung die Solidarität und Zusammenarbeit<br />
-, die aus <strong>de</strong>r Gesellschaft mehr als<br />
eine Ansammlung von Einzelnen macht.<br />
.<br />
Sie bringt die Rechte <strong>de</strong>s Menschen und seine<br />
Pflichten in ein Gleichgewicht. Wir wissen,<br />
dass diese Werte zueinan<strong>de</strong>r in einem Spannungsverhältnis.<br />
stehen können. Unsere Politik<br />
gewinnt ihre Legitimität aus <strong>de</strong>r Fähigkeit, zwischen<br />
ihnen zu vermitteln und Prioritäten zu<br />
setzen, aber auch aus <strong>de</strong>r Notwendigkeit, neue<br />
Ziele zu berücksichtigen: <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Umwelt,<br />
die Gleichberechtigung von Mann und<br />
Frau, <strong>de</strong>n kulturellen Pluralismus.<br />
Über all dies herrscht unter Sozialisten Einvernehmen.<br />
Doch die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage bleibt,<br />
heute wie gestern, wie sich unsere grundsätzlichen<br />
Werte und die Mittel, die es erlauben<br />
wer<strong>de</strong>n, sie in <strong>de</strong>r Wirklichkeit umzusetzen,<br />
darstellen. Zwischen <strong>de</strong>n Grundsätzen und <strong>de</strong>n<br />
Notwendigkeiten <strong>de</strong>s politischen Alltags müssen<br />
wir <strong>de</strong>utlich machen, was wir tun wollen,<br />
um eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft<br />
zu schaffen, müssen wir die Verbindung<br />
zwischen <strong>de</strong>n Zielen und <strong>de</strong>n Mitteln aufzeigen.<br />
Hierfür müssen wir uns erneut über unser<br />
Verhältnis zum Kapitalismus klar wer<strong>de</strong>n.<br />
Wir sind <strong>de</strong>r Meinung, dass wir ein kritisches<br />
Verhältnis zum Kapitalismus aufrechterhalten<br />
müssen. Denn die Sozialisten wissen, dass die<br />
Marktwirtschaft, auch wenn ihre Stärke darin<br />
besteht, eine unvergleichliche Produzentin von<br />
Reichtümern zu sein, auch ungerecht und häufig<br />
irrational ist. Eine Kraft, die marschiert, ohne<br />
jedoch zu wissen, wohin sie marschiert." Eine<br />
<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten Entwicklungen <strong>de</strong>r letzten<br />
20 Jahre ist die Zunahme <strong>de</strong>r Ungleichheiten<br />
zwischen <strong>de</strong>n ebenso wie innerhalb <strong>de</strong>r Nationen.<br />
Die Krisen dauern an, mit hohen menschlichen<br />
Kosten, die in <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit und<br />
Ausgrenzung ihren schmerzhaften Ausdruck<br />
fin<strong>de</strong>n. Wir haben diese schwierigen Momente<br />
in Europa erlebt und erleben sie noch immer,<br />
19<br />
wir haben ihre Auswirkungen kürzlich in Südostasien,<br />
in Lateinamerika und Russland erfahren<br />
müssen.<br />
Ein Erbe, auf das wir stolz sind<br />
Die Sozialisten haben die Sackgasse <strong>de</strong>r<br />
Planwirtschaft erkannt und angeprangert, lange<br />
bevor das Scheitern <strong>de</strong>s Kommunismus offiziell<br />
festgestellt wur<strong>de</strong>. Sie waren <strong>de</strong>r Meinung und<br />
haben bewiesen, dass es notwendig und möglich<br />
ist, <strong>de</strong>n Kapitalismus zu regulieren, u. a.<br />
durch die Umsetzung einer antizyklischen Politik,<br />
die Entwicklung von Sozialsystemen, <strong>de</strong>n<br />
Vorrang von Bildung und Ausbildung, die<br />
Durchsetzung einer Einkommenspolitik etc.<br />
Wir müssen die Karikatur zurückweisen, die<br />
manche gelegentlich vom Erbe <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie<br />
<strong>de</strong>r 50er und 60er Jahre zeichnen. Es<br />
stimmt nicht, dass sie sich nur auf die Aktivitäten<br />
<strong>de</strong>s Staates verließ und systematisch die<br />
Staatsausgaben begünstigte. Ihr Erfolg bestand<br />
vielmehr darin, durch Gesetze und Verhandlungen,<br />
in <strong>de</strong>ren Rahmen sie <strong>de</strong>m öffentlichen<br />
Sektor eine mehr o<strong>de</strong>r weniger große<br />
Rolle einräumte, die Aktivitäten <strong>de</strong>r wichtigsten<br />
Akteure einer Gesellschaft zu koordinieren,<br />
<strong>de</strong>ren Solidarität sie anstrebte: Regierung,<br />
Unternehmerschaft, Gewerkschaften. Sie hat<br />
auf diese Weise, durch die Versöhnung <strong>de</strong>s<br />
Privateigentums an <strong>de</strong>n Unternehmen mit einer<br />
<strong>de</strong>mokratischen Regulierung <strong>de</strong>r Wirtschaft zu<br />
Gunsten <strong>de</strong>r Mehrheit, Vollbeschäftigung, ein<br />
starkes Wirtschaftswachstum sowie spektakuläre<br />
soziale Fortschritte ermöglicht- Vergessen<br />
wir das nicht.<br />
Eine Mo<strong>de</strong>rnität für alle<br />
Heute sind wir - wie -in unserer ganzen Geschichte<br />
- <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnität zugewandt, jedoch<br />
nicht irgen<strong>de</strong>iner Mo<strong>de</strong>rnität. Für uns ist Mo<strong>de</strong>rnität<br />
untrennbar mit Authentizität verbun<strong>de</strong>n,<br />
d. h. <strong>de</strong>r Treue gegenüber unseren Werten.<br />
Für uns muss Mo<strong>de</strong>rnität Trägerin von<br />
Fortschritt bleiben. In <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r<br />
Menschheit muss sie Fortschritte bringen, nicht<br />
Rückschritte rechtfertigen. Darum wollen wir<br />
eine gebändigte Mo<strong>de</strong>rnität.<br />
Mo<strong>de</strong>rnität be<strong>de</strong>utet nicht, sich angeblich naturgesetzlichen<br />
Wirtschaftskräften auszuliefern,<br />
sie ist eine gemeinschaftliche Konstruktion. Sie<br />
ist das Produkt einer auf <strong>de</strong>mokratische Weise<br />
zum Ausdruck gebrachten Souveränität. Um<br />
diese Mo<strong>de</strong>rnität zu konstruieren, benötigt die<br />
Welt unserer Meinung nach Regeln, eine an<br />
die heutigen Bedingungen angepasste Steuerung.<br />
Und wir wollen eine vollständige Mo<strong>de</strong>rnität.<br />
Mo<strong>de</strong>rnität beschränkt sich nicht auf <strong>de</strong>n
wirtschaftlichen Bereich: Sie beinhaltet auch<br />
politische, soziale, kulturelle Aspekte. Schließlich<br />
und vor allen Dingen wollen wir eine gemeinschaftliche<br />
Mo<strong>de</strong>rnität. Mo<strong>de</strong>rnität sollte<br />
Gemeingut aller sein, nicht das Privileg einiger<br />
weniger.<br />
Um mo<strong>de</strong>rn zu sein, müssen wir zunächst die<br />
Welt, so wie sie ist, genau analysieren, um sie<br />
zu begreifen und zu beherrschen.<br />
Das neue Zeitalter <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
Der Kontext, in <strong>de</strong>n sich unsere Handlungen<br />
einordnen, ist in <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r Kommission<br />
"Globaler Fortschritt", die von Felipe Gonzalez<br />
angeregt wur<strong>de</strong>, ausgezeichnet analysiert. Er<br />
lässt sich nicht auf ein einziges Konzept beschränken<br />
auch wenn <strong>de</strong>r Begriff "Globalisierung"<br />
in angemessener Weise <strong>de</strong>n eingetretenen<br />
Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Maßstäbe beschreibt. Tatsächlich<br />
haben mehrere be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Phänomene<br />
unterschiedlicher Art dazu beigetragen,<br />
die Welt unter <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>s Marktes zu<br />
einen und <strong>de</strong>n Kapitalismus in ein neues Zeitalter<br />
treten zu lassen: Nennen wir als die wesentlichen<br />
die technischen Umwälzungen,<br />
ganz beson<strong>de</strong>rs im Informations- und Kommunikationsbereich,<br />
die Zunahme <strong>de</strong>s internationalen<br />
Han<strong>de</strong>ls, die Entwicklung <strong>de</strong>r Finanzverbün<strong>de</strong><br />
und internationalen Kapitalbewegungen,<br />
<strong>de</strong>n Durchbruch aufstreben<strong>de</strong>r kapitalistischer<br />
Staaten, <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r kontinentalen Massen<br />
(u.a. China, Indien, Brasilien und Russland) in<br />
<strong>de</strong>n wirtschaftlichen Austausch, <strong>de</strong>n Zusammenbruch<br />
und Zerfall <strong>de</strong>r Sowjetunion und die<br />
Diskreditierung revolutionärer I<strong>de</strong>ologien, die<br />
Hegemonie <strong>de</strong>r USA.<br />
Dieser tief greifen<strong>de</strong> Wan<strong>de</strong>l führt uns in eine<br />
zugleich globalisierte und fragmentierte Welt.<br />
Er bringt neue Produktions- und Beschäftigungsstrukturen<br />
hervor, die alte Solidaritäten<br />
zersetzen. Er begünstigt die Entwicklung <strong>de</strong>s<br />
Individualismus in unseren Gesellschaften. Er<br />
begrenzt die Autonomie <strong>de</strong>r Staaten und beschränkt<br />
ihre Optionen. Auf diese Weise verringert<br />
er zugleich die Hoffnungen, die in politisches<br />
Han<strong>de</strong>ln gesetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />
Wir müssen also die Formen <strong>de</strong>r Regulierung<br />
bestimmen, die das neue Zeitalter. <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
erfor<strong>de</strong>rt. Das setzt die Festlegung <strong>de</strong>r<br />
jeweiligen Anteile, die <strong>de</strong>m Markt und die <strong>de</strong>m<br />
Staat zukommen sollen, <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Einzelnen<br />
und <strong>de</strong>r Gesellschaft, <strong>de</strong>s Wirkungsfelds<br />
<strong>de</strong>r Nationalstaaten, <strong>de</strong>r regionalen Gruppierungen<br />
und <strong>de</strong>r internationalen Organisationen<br />
voraus. Wir müssen dieselbe Anstrengung <strong>de</strong>s<br />
Willens und <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s leisten, die die<br />
20<br />
vorangegangenen sozialistischen Generationen<br />
in einer an<strong>de</strong>ren, aber durchaus nicht einfacheren<br />
Welt geleistet haben.<br />
Werte und Praxis sind also untrennbar. Der<br />
Kapitalismus impliziert ständig erneuerte Risiken.<br />
Sie lassen sich nur ertragen, wenn <strong>de</strong>r<br />
Einzelne die Garantie <strong>de</strong>r vollen Bürgerrechte<br />
(Anm. <strong>de</strong>r Red.: im Original citoyenneté besitzt.<br />
Die Sozial<strong>de</strong>mokratie <strong>de</strong>finiert sich weiterhin<br />
durch ein Gerechtigkeitsi<strong>de</strong>al. Es ist ihre Aufgabe,<br />
ein kohärentes Programm zu formulieren,<br />
um die Ausübung individueller Fähigkeiten<br />
und Initiativen so stark wie möglich zu för<strong>de</strong>rn;<br />
um <strong>de</strong>n Unzulänglichkeiten <strong>de</strong>s Marktes zu<br />
begegnen und Ungleichheiten zu korrigieren;<br />
um die Rechte und Pflichten, die sämtliche<br />
Bevölkerungsschichten - die Reichen und<br />
Mächtigen ebenso wie die Armen und Schwachen<br />
- betreffen, zu <strong>de</strong>finieren. Der <strong>de</strong>mokratische<br />
Sozialismus, <strong>de</strong>r darin besteht, je<strong>de</strong>n so<br />
weit wie möglich zu befähigen, am Leben <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft teilzuhaben, seine Rechte und<br />
seine Verantwortung voll auszuüben, beruht<br />
auf einem Verständnis <strong>de</strong>r Bürgerrechte, das<br />
alle Bereiche <strong>de</strong>r Wirklichkeit umfasst. Es ist<br />
dieser Anspruch auf bürgerschaftliche Teilhabe,<br />
an <strong>de</strong>m wir uns bei <strong>de</strong>r Bestimmung unserer<br />
konkreten Antworten auf die drängen<strong>de</strong>n<br />
Fragen <strong>de</strong>r Zeit weiterhin orientieren müssen.<br />
Ein Anspruch auf bürgerschaftliche Teilhabe<br />
(citoyenneté)<br />
Wenn wir die jeweiligen Rollen <strong>de</strong>s Staates<br />
und <strong>de</strong>s Marktes ver<strong>de</strong>utlichen wollen, müssen<br />
wir auf das Wesentliche zurückkommen: <strong>de</strong>r<br />
Sozialismus ist grundsätzlich ein I<strong>de</strong>al gemeinschaftlicher<br />
Souveränität, das darauf abzielt,<br />
die Entwicklung <strong>de</strong>s Einzelnen zu ermöglichen.<br />
Der mo<strong>de</strong>rne Sozialismus muss ausdrücklich<br />
eine Theorie <strong>de</strong>r bürgerschaftlichen Teilhabe<br />
sein. Die Staatsbürger müssen, wenn sie gemeinsam<br />
han<strong>de</strong>ln, in <strong>de</strong>r Lage sein, die wesentlichen<br />
Entwicklungen <strong>de</strong>r Gesellschaft zu<br />
meistern und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n unerwünschten<br />
Auswirkungen <strong>de</strong>r Handlungen Einzelner<br />
entgegenzutreten. Je<strong>de</strong>r Einzelne ist zugleich<br />
Staatsbürger und ein Akteur auf <strong>de</strong>m Markt.<br />
Der Staat und <strong>de</strong>r Markt stellen zwei legitime<br />
Institutionen dar, die jedoch unterschiedlicher<br />
Art das Primat <strong>de</strong>r Demokratie bekräftigen. Sie<br />
ist es, die <strong>de</strong>n Staatsbürgern durch politisches<br />
Han<strong>de</strong>ln die Möglichkeit gibt, in allen Bereichen<br />
über das, was sie betrifft, zu entschei<strong>de</strong>n. Das<br />
setzt Gleichheit beim Zugang zum Entscheidungsprozess<br />
voraus.<br />
Daher rührt die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />
Bildung, <strong>de</strong>r Ausbildung, <strong>de</strong>r bürgerschaftlichen<br />
Teilhabe, <strong>de</strong>s geregelten Funktionierens <strong>de</strong>r
Institutionen. Daher rührt auch die Notwendigkeit<br />
sozialer Bürgerrechte citoyenneté die Lebenssicherheit<br />
und Chancengleichheit verbin<strong>de</strong>t,<br />
um allen zu ermöglichen, tatsächlich und<br />
umfassend an <strong>de</strong>r. politischen Gemeinschaft<br />
teilzuhaben. Ein Han<strong>de</strong>ln, das unseren Werten<br />
entspricht und das Politische, Wirtschaftliche<br />
und Soziale nicht voneinan<strong>de</strong>r trennt, kann sich<br />
an diesen Kriterien orientieren. Ohne sie bleibt<br />
unklar, welchen Sinn das sozialistische I<strong>de</strong>al in<br />
<strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Völker weiter haben sollte.<br />
Eine menschlichere Gesellschaft<br />
"Ja zur Marktwirtschaft, nein zur Marktgesellschaft":<br />
Diese Formulierung von Lionel Jospin<br />
ist häufig aufgegriffen wor<strong>de</strong>n. Sie unterstreicht,<br />
dass sich, auch wenn <strong>de</strong>r Markt eine<br />
eigene Realität dar_ stellt, die Lebenswirklichkeit<br />
nicht auf <strong>de</strong>n Markt beschränkt. Die Teilhabe<br />
an <strong>de</strong>r Gesellschaft hat nicht nur ihre<br />
ökonomische Seite. Zu ihr gehört auch <strong>de</strong>r<br />
Zugang zu Gesundheit, Bildung, Kultur, Umwelt.<br />
Alles Güter, die im Wesentlichen nicht<br />
von einer Verteilung durch <strong>de</strong>n Markt abhängen<br />
und auch nicht abhängen dürfen. Eine<br />
menschliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft,<br />
<strong>de</strong>ren Werte nicht ausschließlich <strong>de</strong>m Profit<strong>de</strong>nken<br />
unterworfen sind. Eine menschliche<br />
Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in <strong>de</strong>r nicht<br />
alle Waren mit Gütern gleichgesetzt wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>n. Eine menschliche Gesellschaft ist eine<br />
Gesellschaft, die sich die Reduzierung <strong>de</strong>r<br />
Ungleichheiten je<strong>de</strong>r Art zum Ziel gesetzt hat.<br />
Den Markt eindämmen<br />
Die Arbeit <strong>de</strong>s Menschen und die Schöpfungen<br />
seines Geistes können nicht auf einfache Waren<br />
reduziert wer<strong>de</strong>n. Der menschliche Körper<br />
ist keine Ware und darum müssen die Sozialisten<br />
die beunruhigen<strong>de</strong>n Fragen aufgreifen, die<br />
die Bioethik stellt. Die Gesundheit <strong>de</strong>r Menschen<br />
ist keine Ware. Wenn die Begrenzung<br />
<strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben unabdingbar ist"<br />
dann <strong>de</strong>shalb, um <strong>de</strong>n Fortbestand <strong>de</strong>r sozialen<br />
Sicherungssysteme gegen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand<br />
<strong>de</strong>rjenigen zu sichern, die sie privatisieren<br />
möchten, um aus <strong>de</strong>r Gesundheit ein Geschäft<br />
zu machen. Ebenso wenig darf die Gesundheitsfürsorge<br />
durch <strong>de</strong>n Freihan<strong>de</strong>l gefähr<strong>de</strong>t<br />
wer<strong>de</strong>n, und es ist legitim, das Recht aller Völker<br />
auf eine sichere und gesun<strong>de</strong> Ernährung<br />
zu verteidigen. Unsere Umwelt ist genauso<br />
wenig eine Ware, ein simples Vorratslager an<br />
Rohstoffen, aus <strong>de</strong>m man schöpfen könnte,<br />
ohne sich um die zukünftigen Generationen zu<br />
sorgen. Nur nachhaltige Entwicklung ist echte<br />
Entwicklung. Wir verwechseln die Produktion<br />
von (gesellschaftlichen) Reichtümern nicht mit<br />
21<br />
<strong>de</strong>m Produktivismus. Überall müssen Produktivkräfte,<br />
ländliche Entwicklung und Bewahrung<br />
<strong>de</strong>r Umwelt miteinan<strong>de</strong>r in Einklang gebracht<br />
wer<strong>de</strong>n. Eine menschlichere Gesellschaft ist<br />
auch eine Gesellschaft, in <strong>de</strong>r die öffentlichen<br />
Dienste <strong>de</strong>nZugang aller zu <strong>de</strong>n wesentlichen<br />
Dienstleistungen sichern, ebenso wie die soziale<br />
und territoriale Einheit ö<strong>de</strong>r die Entwicklung<br />
von Aktivitäten, die langfristige Investitionen<br />
verlangen. Auch wenn die Form <strong>de</strong>r Leistungserbringung<br />
von einem Sektor zum an<strong>de</strong>ren<br />
unterschiedlich sein kann, von Staatsbesitz<br />
bis hin zur Delegierung an die Privatwirtschaft,<br />
müssen die Aufgaben <strong>de</strong>s öffentlichen Dienstes<br />
aufrechterhalten wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Vollbeschäftigung wie<strong>de</strong>rerlangen<br />
Eine menschlichere Gesellschaft ist vor allen<br />
Dingen eine Gesellschaft, die die Rückkehr -<br />
bzw. <strong>de</strong>n Zugang - zur Vollbeschäftigung organisiert.<br />
Die sozial<strong>de</strong>mokratische Politik muss<br />
sich mit <strong>de</strong>m Streben nach Vollbeschäftigung<br />
i<strong>de</strong>ntifizieren. Arbeitslosigkeit bleibt die größte<br />
Quelle von Armut. Die soziale Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
besteht jetzt darin, Vollbeschäftigung für Männer<br />
und Frauen zu erreichen bzw. wie<strong>de</strong>rzuerlangen<br />
und die wachsen<strong>de</strong> Kluft. zwischen<br />
qualifizierter und nicht-qualifizierter Arbeit zu<br />
schließen, die durch die technologischen Umwälzungen<br />
entstan<strong>de</strong>n ist. Um uns dieser Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
zu stellen, dürfen wir uns nicht<br />
innerhalb <strong>de</strong>r falschen Alternativen bewegen,<br />
die die wirtschaftsliberalen Konservativen vorgeben.<br />
Stellen wir nicht mikroökonomische Politik gegen<br />
makroökonomische Politik; tun wir nicht<br />
so, als ob die Hinnahme erheblicher sozialer<br />
Ungleichheiten die Beschäftigung för<strong>de</strong>rn<br />
könnte.<br />
Wir sind nicht bar je<strong>de</strong>r Handlungsmöglichkeiten<br />
und können u.a. durch eine makroökonomische<br />
Politik, durch die Verschiebung <strong>de</strong>r<br />
Abgabenlast zwischen <strong>de</strong>n Produktionsfaktoren,<br />
durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik,<br />
durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch<br />
Ausbildung, durch die Reduzierung <strong>de</strong>r Arbeitszeit,<br />
durch eine gezielte Politik zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung von benachteiligten<br />
Gebieten tätig wer<strong>de</strong>n. Die Auswahl kann von<br />
Land zu Land unterschiedlich sein. Doch muss<br />
sich die Sozial<strong>de</strong>mokratie überall die Umsetzung<br />
einer Beschäftigungspolitik zum Ziel setzen,<br />
die das Recht auf Arbeit respektiert und<br />
die Unsicherheit (précarité) nicht begünstigt.<br />
In diesem Sinne ist es offensichtlich grundlegend,<br />
ein starkes und stabiles Wachstum zu
sichern. Der Staat muss, insbeson<strong>de</strong>re durch<br />
seine Steuerpolitik, dazu beitragen, eine günstiges<br />
Umfeld für die Unternehmen zu för<strong>de</strong>rn.<br />
Doch er spielt auch - vergessen wir das nicht<br />
eine wesentliche Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit<br />
einer Volkswirtschaft, in<strong>de</strong>m er. u.a. die<br />
Qualität <strong>de</strong>s öffentlichen Diensts, das Bildungs-<br />
und Ausbildungsniveau <strong>de</strong>r Bevölkerung, das<br />
Forschungspotenzial, die Angemessenheit <strong>de</strong>r<br />
Infrastruktur sichert.<br />
Das Wachstum muss beschäftigungsintensiv<br />
sein. Wir müssen die nicht-qualifizierte Arbeit<br />
för<strong>de</strong>rn, sei es direkt, in<strong>de</strong>m wir personenbezogene<br />
Dienstleistungsarbeitsplätze (emplois<br />
<strong>de</strong> proximité) schaffen, sei es indirekt, in<strong>de</strong>m<br />
wir die Dynamik eines privaten Dienstleistungssektors<br />
unterstützen. Eine beson<strong>de</strong>re<br />
Anstrengung muss unternommen wer<strong>de</strong>n, um<br />
die dauerhafte Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>rjenigen<br />
Bevölkerungsschichten in <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt zu<br />
ermöglichen, die sich <strong>de</strong>n größten Schwierigkeiten<br />
gegenübersehen - ganz beson<strong>de</strong>rs Jugendliche<br />
ohne Qualifikation und Langzeitarbeitslose<br />
-, in<strong>de</strong>m wir insbeson<strong>de</strong>re unsere<br />
Umverteilungssysteme anpassen. Die Reduzierung<br />
<strong>de</strong>r Arbeitszeit ist eine Entwicklung, die<br />
es zu unterstützen gilt, sie verstärkt die Auswirkungen<br />
<strong>de</strong>s Wachstums, sie gibt <strong>de</strong>n Arbeitnehmern<br />
zusätzliche Freizeit, um sich besser<br />
weiterzubil<strong>de</strong>n, sich ihren Familien o<strong>de</strong>r<br />
ihrer persönlichen Entwicklung zu widmen. Die<br />
Art und Weise <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r Arbeitszeitverkürzung<br />
hängt selbstverständlich von <strong>de</strong>n<br />
verschie<strong>de</strong>nen nationalen Realitäten, vom Arbeitsmarkt<br />
und vom System <strong>de</strong>r Arbeitsbeziehungen<br />
ab. Bei <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>r<br />
35-Stun<strong>de</strong>n-Woche, die wir gegenwärtig umsetzen,<br />
stellen wir das Gesetz in <strong>de</strong>n Dienst<br />
<strong>de</strong>r Sozialverhandlungen (négociation sociale).<br />
Die Verän<strong>de</strong>rungen, die mit <strong>de</strong>m technologischen<br />
Fortschritt und <strong>de</strong>r Härte <strong>de</strong>s wirtschaftlichen<br />
Wettbewerbs einhergehen, zwingen die<br />
Unternehmen zur Anpassung an sich ständig<br />
än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Bedingungen. Dieses Bemühen ist<br />
legitim, doch muss man es einzuordnen wissen.<br />
Wir können keine Flexibilität" akzeptieren,<br />
die zu einer allgemeinen Unsicherheit führt.<br />
Arbeiten be<strong>de</strong>utet zunächst, eine Form von<br />
Sicherheit angesichts <strong>de</strong>r Unwägbarkeiten <strong>de</strong>s<br />
Lebens zu erlangen. Es be<strong>de</strong>utet nicht, sich<br />
zusätzlichen Unwägbarkeiten auszusetzen. Die<br />
Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen die Errungenschaft<br />
geregelter Tarifverträge verteidigen. Sie ermöglichen<br />
in <strong>de</strong>n meisten Fällen eine wirksame<br />
Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung -<br />
<strong>de</strong>nn Zusammenarbeit und ausgewogene<br />
Kompromisse sind Quellen von Fortschritt -und<br />
22<br />
die Bewahrung <strong>de</strong>r Rechte und Lebensbedingungen<br />
<strong>de</strong>r Arbeitnehmer.<br />
Beson<strong>de</strong>re und anhalten<strong>de</strong> Aufmerksamkeit<br />
muss <strong>de</strong>r Frauenarbeit gewidmet wer<strong>de</strong>n. In<br />
manchen Weltregionen wird sie als Ergänzung<br />
<strong>de</strong>s Familieneinkommens betrachtet, die keine<br />
angemessene Entlohnung beanspruchen kann;<br />
an<strong>de</strong>rswo wird ihre strukturieren<strong>de</strong> Dimension<br />
innerhalb <strong>de</strong>r nationalen Volkswirtschaften<br />
nicht anerkannt. Und in <strong>de</strong>n entwickelten Län<strong>de</strong>rn<br />
muss festgehalten wer<strong>de</strong>n, dass es weiter<br />
nennenswerte Einkommensunterschie<strong>de</strong> bei<br />
gleicher Qualifikation und Kompetenz gibt. Die<br />
Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen sich entschlossen<br />
dafür einsetzen, die Chancengleichheit von<br />
Mann und Frau im Bildungs- und Ausbildungsbereich<br />
sowie die Gleichberechtigung hinsichtlich<br />
Rechtsstatus und Entlohnung voranzutreiben.<br />
Die soziale Sicherung garantieren<br />
Gleichgültig welchen Namen man ihr gibt<br />
-"Vorsorgestaat", "Wohlfahrtsgesellschaft" -,<br />
die soziale Sicherung steht im Zentrum <strong>de</strong>r<br />
Debatte,. Ihre Schwierigkeiten sind bekannt,<br />
die Überalterung <strong>de</strong>r Bevölkerungen, die Last<br />
<strong>de</strong>r Massenarbeitslosigkeit von zwei Jahrzehnten,<br />
die soziale Ausgrenzung, die zunehmen<strong>de</strong><br />
Komplexität <strong>de</strong>r medizinischen Pflege: Das<br />
for<strong>de</strong>rt in Volkswirtschaften, die im internationalen<br />
Wettbewerb stehen, seinen Preis. Doch<br />
das Projekt einer solidarischen Gesellschaft,<br />
für das die soziale Sicherung steht, bleibt aktuell.<br />
Der Vorsorgestaat muss heute die traditionellen<br />
Risiken ab<strong>de</strong>cken, Krankheit, Rente, die<br />
frühe Kindheit, Arbeitslosigkeit, doch er muss<br />
sich auch neuen sozialen Bedürfnissen stellen,<br />
um die Verän<strong>de</strong>rungen zu berücksichtigen, die<br />
in <strong>de</strong>r Familie, im Arbeitsprozess und in unseren<br />
Lebenszyklen stattfin<strong>de</strong>n. Die soziale Sicherung<br />
kann und muss an diese neuen Vorgaben<br />
angepasst wer<strong>de</strong>n; nicht in Frage stellen<br />
darf man ihre Grundsätze. Zu Recht wird die<br />
Be<strong>de</strong>utung "sozialer Investitionen", insbeson<strong>de</strong>re<br />
in Bildung und Ausbildung, betont, die <strong>de</strong>n<br />
Einzelnen dazu befähigen sollen, unter bestmöglichen<br />
Bedingungen auf <strong>de</strong>m Markt zu<br />
konkurrieren. Doch wir sind nicht <strong>de</strong>r Meinung,<br />
dass man soziale Investitionen" und Sozialausgaben"<br />
gegeneinan<strong>de</strong>r ausspielen sollte.<br />
Denn zahlreiche Politikansätze lassen sich<br />
nicht einfach <strong>de</strong>r einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kategorie<br />
zuordnen: Wenig qualifizierte Arbeit. zu för<strong>de</strong>rn<br />
ist beispielsweise zugleich eine wirtschaftliche<br />
Investition und eine Form von Umverteilung.<br />
Der Gedanke, dass soziale Investitionen
zahlreiche traditionelle Aufgaben <strong>de</strong>s Vorsorgestaates<br />
ersetzen könnten, ist unrealistisch,<br />
und sei es. nur - beispielsweise -weil unsere<br />
Gesellschaften einen <strong>de</strong>mographischen Alterungsprozess<br />
durchlaufen, <strong>de</strong>ssen Folgen sie<br />
wer<strong>de</strong>n tragen müssen Wir dürfen nicht - und<br />
können im Übrigen auch nicht - bei <strong>de</strong>r Umverteilungspolitik<br />
sparen.<br />
Wir dürfen auch nicht Universalität und Selektivität<br />
von Sozialleistungen gegeneinan<strong>de</strong>r ausspielen.<br />
Selektivität kann notwendig sein, und<br />
die Erfahrung hat gezeigt, dass bestimmte<br />
Leistungen ressourcenabhängig erbracht wer<strong>de</strong>n<br />
können. Doch die wirksamsten Sicherungen<br />
sind jene, die <strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
in Bezug auf wesentliche Güter, wie<br />
z.B. Gesundheit und Renten, ab<strong>de</strong>cken. Das<br />
Konzept eines Vertrags, <strong>de</strong>r die Rechte und<br />
Pflichten <strong>de</strong>r Begünstigten, aber auch aller<br />
an<strong>de</strong>ren Akteure <strong>de</strong>r sozialen Sicherung festschreibt,<br />
ermöglicht es, die Gefahr von Passivität,<br />
die allen an<strong>de</strong>ren Beistandsformen eigen<br />
ist, zu überwin<strong>de</strong>n, ohne die sozialen Risiken in<br />
Kauf zu nehmen, die mit einer Selektivität von<br />
Leistungen verbun<strong>de</strong>n sind.<br />
Die Universalität begrün<strong>de</strong>t die Legitimität <strong>de</strong>r<br />
Sozialpolitik und ermöglicht es, „Armutsfallen"<br />
zu bekämpfen, die ganze Schichten ausgrenzen.<br />
Es muss ein gerechtes Gleichgewicht<br />
zwischen Hilfe, Anreiz und Verpflichtung hergestellt<br />
wer<strong>de</strong>n. Glauben wir doch nicht, dass<br />
"workfare" die Allzwecklösung sein kann, wenn<br />
die Ausgrenzungen eine erhebliche geographische<br />
Dimension haben, in Gegen<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>r Mangel an Sicherheit, Ausbildung, Hilfen,<br />
Arbeitsplätzen vor allen Dingen nach einer<br />
breiten öffentlichen und privaten Mobilisierung<br />
verlangt.<br />
Ein neues Bündnis schmie<strong>de</strong>n<br />
Die "Wohlfahrtsgesellschaft" ist ein politisches<br />
Projekt. Sie muss als solches dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />
Unsere Gesellschaften bleiben in ein<strong>de</strong>utige<br />
soziale Gruppen unterteilt. Die Mittelschichten<br />
bil<strong>de</strong>n heute das Herzstück unserer<br />
Gesellschaften. Sie spielen eine beson<strong>de</strong>re<br />
Rolle bei <strong>de</strong>r Expansion unserer Volkswirtschaften.<br />
Doch zwei Jahrzehnte Massenarbeitslosigkeit<br />
hab haben Gruppen von "Ausgegrenzten"<br />
hervorgebracht. Und wenn die unteren<br />
Schichten sich auch gewan<strong>de</strong>lt haben, so<br />
sind sie doch nicht verschwun<strong>de</strong>n. Die Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />
müssen also gleichzeitig die Interessen<br />
und Bestrebungen <strong>de</strong>r Ausgegrenzten,<br />
<strong>de</strong>r unteren Schichten und <strong>de</strong>r Mittelschichten<br />
berücksichtigen. Ungeachtet ihrer Unterschie<strong>de</strong><br />
haben diese Gruppen gemeinsame Anlie-<br />
23<br />
gen: die Entwicklung <strong>de</strong>r Arbeit, <strong>de</strong>n Rückgang<br />
<strong>de</strong>r ungesicherten Arbeitsplätze (précarité) die<br />
Verbesserung <strong>de</strong>s Bildungssystems, die Konsolidierung<br />
<strong>de</strong>r sozialen Sicherung. Für die<br />
Ausgegrenzten und die unteren Schichten bil<strong>de</strong>n<br />
die Mittelschichten das Mo<strong>de</strong>ll einer gelungenen<br />
sozialen Integration. Die Sozialisten<br />
müssen also die Anliegen <strong>de</strong>r Mittelschichten<br />
beachten. Doch dürfen sie nicht <strong>de</strong>n Anspruch<br />
aufgeben, sie links zu verankern, in<strong>de</strong>m sie<br />
daran arbeiten, ihnen unsere Werte zu vermitteln.<br />
Daraus folgt, dass es darum geht eine<br />
Mehrheit für eine Umverteilungspolitik zu<br />
schaffen, die als gerecht empfun<strong>de</strong>n wird. Im<br />
Rahmen ihres politischen Projekts sind die<br />
Sozial<strong>de</strong>mokraten die Einzigen, die ein solches<br />
"neues Bündnis" verkörpern und umsetzen<br />
können.<br />
Einen mo<strong>de</strong>rnen Staat för<strong>de</strong>rn<br />
Um mit dieser Politik Erfolg zu haben, muss<br />
<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Staat zur Schaffung von<br />
Wohlstand (création <strong>de</strong> richesses) ermutigen,<br />
eine aktive Politik zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Risikobereitschaft<br />
führen sowie dabei behilflich sein,<br />
Verän<strong>de</strong>rungen zu .antizipieren. Der Staat,<br />
Garant <strong>de</strong>r gemeinsamen Regeln, muss weiterhin<br />
eine Steuerungsfunktion wahrnehmen.<br />
Ein mo<strong>de</strong>rner Staat ist ein vorausschauen<strong>de</strong>r<br />
Staat, <strong>de</strong>r seine Mittel in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Antizipation<br />
stellt, <strong>de</strong>r dabei behilflich ist, die Zukunft<br />
zu meistern. Er ist ein Staat, <strong>de</strong>r die notwendigen<br />
Impulse gibt, ohne dabei an die Stelle <strong>de</strong>r<br />
gesellschaftlichen Akteure -Bürger, Vereinigungen,<br />
Gewerkschaften Unternehmen, Gebietskörperschaften<br />
- zu treten, <strong>de</strong>r ihre Bemühungen<br />
jedoch unterstützt, in<strong>de</strong>m er sie in die<br />
Lage versetzt, selbstständig zu han<strong>de</strong>ln. Er ist<br />
ein Staat, <strong>de</strong>r seine unersetzliche Verantwortung<br />
für das Funktionieren einer Marktwirtschaft<br />
übernimmt, in<strong>de</strong>m er je<strong>de</strong>m seinen Platz<br />
in <strong>de</strong>r Gesellschaft garantiert. ( ... )
Konservatismus<br />
Im Gegensatz zum Liberalismus und erst recht<br />
zum Marxismus ist es <strong>de</strong>m Konservatismus nie<br />
gelungen, eine geschlossene Gesellschaftstheorie<br />
zu entwickeln, in <strong>de</strong>r sich alle Konservativen<br />
wie<strong>de</strong>rerkennen könnten. Konservative,<br />
die die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaft in ihren Strukturen<br />
o<strong>de</strong>r Werten erhalten wollten, haben<br />
immer auf die Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rer<br />
(Liberale, Sozialisten, Reaktionäre, Faschisten)<br />
reagieren müssen; da sie selbst Gesellschaft<br />
nicht verän<strong>de</strong>rn wollen, fehlt ihnen <strong>de</strong>r Zukunftsbezug,<br />
die große Utopie, auf die hin Gesellschaft<br />
gestaltet wer<strong>de</strong>n soll. Je<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />
Verän<strong>de</strong>rung, wenn sie <strong>de</strong>nn stattgefun<strong>de</strong>n<br />
und sich bewährt hat, gilt als bewahrens-<br />
und erhaltenswert. So verteidigt <strong>de</strong>r Konservative<br />
von heute gesellschaftliche Strukturen,<br />
die er gestern noch bekämpfte. Liberale<br />
Positionen, im 19. und frühen 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
von Konservativen noch erbittert abgelehnt,<br />
sind heute von ihnen ebenso entschie<strong>de</strong>n besetzt.<br />
Es gibt daher keine konservative Tradition<br />
o<strong>de</strong>r Schule. Es ist nicht einmal klar, wer<br />
konservativ ist: <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokrat, <strong>de</strong>r konservative<br />
Werte verteidigt, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Grüne, <strong>de</strong>r<br />
Unkrautvernichtungsmittel ablehnt, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Philosoph, <strong>de</strong>r die Technokratie verherrlicht?<br />
Es wur<strong>de</strong> daher auch darauf verzichtet, konservative<br />
Texte aus <strong>de</strong>r Geschichte (mit Ausnahme<br />
<strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> von Burke [S. 2411, die eine<br />
Tradition darstellt) in die Textsammlung aufzunehmen,<br />
da uns heute die damals zu bewahren<strong>de</strong>n<br />
gesellschaftlichen Strukturen fremd<br />
sind. Der interessierte Schüler sei auf Hegel,<br />
Stahl, Görres u. a. verwiesen.<br />
Trotz fehlen<strong>de</strong>r Tradition und Theorie gibt es<br />
jedoch Grundpositionen, die – über Abneigung<br />
gegen Neuerungen und Hängen am Alten hinaus<br />
<strong>de</strong>n meisten Konservativen gemeinsam<br />
sind. - ein Menschenbild und ein Geschichtsverständnis,<br />
die sich von <strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>rer I<strong>de</strong>ologien<br />
unterschei<strong>de</strong>n und von <strong>de</strong>nen sich Abwehrstrategien<br />
gegen Neuerungen, so unterschiedlich<br />
sie auch sein mögen, ableiten lassen<br />
(vgl. dazu die Thesen von Kaltenbrunner,<br />
S. 241 ff).<br />
(Walter Kappmeier)<br />
Begriffsbestimmungen<br />
Was heißt heute konservativ?<br />
24<br />
Konservativ ist es, <strong>de</strong>m Gewachsenen und<br />
Gewor<strong>de</strong>nen zu vertrauen, seine ihm innewohnen<strong>de</strong><br />
Vernunft höher zu schätzen als die Logik<br />
<strong>de</strong>s Machbaren und Planbaren. Konservativ<br />
ist die Überzeugung, dass die Institutionalisierbarkeit<br />
<strong>de</strong>s menschlichen Glücks eine Illusion<br />
ist, dass es eine vollkommene, gerechte Gesellschaft<br />
nicht geben kann, dass wir äußeren<br />
Zufällen und <strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r individuellen<br />
Verfassung nicht entgehen können, dass<br />
unser Glück vor <strong>de</strong>m unauslöschbaren Hintergrund<br />
von Unglück und Tod steht. Konservativ<br />
ist die Überzeugung, dass die Menschen durch<br />
Verwöhnung moralisch korrumpiert und infantilisiert<br />
wer<strong>de</strong>n, dass Arbeit und das Ertragen<br />
von Unlust und Verzicht Bedingungen unserer<br />
Existenz sind. ( ... )<br />
Konservativ ist aber auch <strong>de</strong>r kritiklose Glaube<br />
an Autoritäten und eine gewisse Härte und<br />
Achtlosigkeit gegenüber menschlichen Lei<strong>de</strong>n<br />
und Bedürftigkeiten. Konservativ sein kann<br />
heißen, normativ statt sachlich und situationsbezogen<br />
zu <strong>de</strong>nken, neue Entwicklungen und<br />
Möglichkeiten grundsätzlich abzulehnen und<br />
sich <strong>de</strong>fensiv auf Reservate verklärter Vergangenheit<br />
und die eigenen Privilegien zurückzuziehen.<br />
Heute, da wir mit <strong>de</strong>n katastrophalen Folgen<br />
<strong>de</strong>s industriellen Wachstums und <strong>de</strong>r Fortschrittsi<strong>de</strong>ologen<br />
konfrontiert sind, stecken im<br />
konservativen Denken Potenzen für eine notwendige<br />
Neuorientierung unseres Lebens. Soll<br />
das nicht rein nostalgisch o<strong>de</strong>r reaktionär ausfallen<br />
und in sentimentaler Ohnmacht en<strong>de</strong>n,<br />
muss sich die konservative Kulturkritik in praktisches<br />
Denken verwan<strong>de</strong>ln, das ausgeht von<br />
<strong>de</strong>n gegenwärtigen Bedingungen und Möglichkeiten<br />
und das in die kritische Wertediskussion<br />
die eigenen ungeprüften Axiome einbezieht.<br />
(Dieter Wellershoff [Schriftsteller] in: Die Zeit Nr. 43<br />
v. 16.10.1981, S. 42)<br />
Nicht die Erstarrung, son<strong>de</strong>rn die Instabilität.<br />
unserer Lebensverhältnis se ist es, die uns<br />
heute zu schaffen macht. Nicht verkrustete<br />
Traditionen drücken uns, vielmehr das ungelöste<br />
Problem, wie sich in einer dynamischen<br />
Zivilisation Traditionen, das heißt orientierungspraktische<br />
kulturelle Selbstverständlichkeiten<br />
überhaupt bil<strong>de</strong>n lassen. Die Menge <strong>de</strong>r<br />
Reformen, die sich als Realisierung gen "konkreter<br />
Utopien" feiern ließen, nimmt ständig ab.<br />
Dafür nimmt <strong>de</strong>r Anteil solcher "Reformen" zu,<br />
die ihrer Struktur nach nichts an<strong>de</strong>res als nötige<br />
Kompensationen von Schädlichkeitsnebenfolgen<br />
eines Fortschritts sind, <strong>de</strong>r nicht erst frei
gekämpft wer<strong>de</strong>n muss, vielmehr ohnehin<br />
längst im Gang ist.<br />
Was Günter Grass veranlasst hat, die Schnecke<br />
zum Symbol zeitgenössischer gesellschaftlicher<br />
Bewegungsformen zu erheben, weiß ich<br />
nicht. Selbst für die unmittelbar vom Willen<br />
unserer gewählten Politiker abhängige Rotationsgeschwindigkeit<br />
unserer Gesetzgebungsmaschinerie,<br />
zum Beispiel, gilt doch, daß sie<br />
nicht stockt, son<strong>de</strong>rn weit über sinnvolle administrative<br />
Verarbeitungskapazitäten hinaus<br />
überhöht ist. (...) . .) Die Nötigkeit sogenannter<br />
konservativer Verhaltensweisen nimmt in dieser<br />
Lage zu. Kulturrevolutionäre Abräumwut<br />
verschlimmert sie, und Avantgardismus wird<br />
zur Merkwürdigkeit <strong>de</strong>r Genugtuung darüber,<br />
jeweils übermorgen bereits selber von vorgestern<br />
zu sein. Bis in die Politik hinein gewinnt<br />
entsprechend <strong>de</strong>r Handlungsgrundsatz an Geltung:<br />
So viel zusätzliche Verän<strong>de</strong>rung wie nötig;<br />
so viel Erhaltung zukunftsfähiger Herkunftsbestän<strong>de</strong><br />
wie möglich.<br />
Eigentlich ist das ein Grundsatz schlichter<br />
praktischer Vernunft. Dass man das, was insoweit<br />
vernünftig ist, heute als "konservativ"<br />
i<strong>de</strong>ntifiziert, ist ein verbaler Reflex jener traditionalistischen<br />
Progressphilosophie, die, was in<br />
Wahrheit belasten<strong>de</strong> Nebenfolgen längst stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
Fortschritts sind, als Folgen anhalten<strong>de</strong>r<br />
Fortschrittsverzögerung interpretiert.<br />
(Hermann Lübbe [Politologe und Philosoph] in: Die<br />
Zeit Nr. 43 v. 16.10.1981, S. 41- 42)<br />
Edmund Burke<br />
Konservative Weltsicht<br />
Re<strong>de</strong> an die Wähler von Bristol<br />
Gewiss, meine Herren, es sollte das Glück und<br />
<strong>de</strong>r Ruhm eines Volksvertreters sein, in engster<br />
Verbindung, völliger Übereinstimmung und<br />
rückhaltlosem Gedankenaustausch mit seinen<br />
Wählern zu leben. Ihre Wünsche sollten für ihn<br />
großes Gewicht besitzen, ihre Meinung seine<br />
hohe Achtung, ihre Interessen seine unablässige<br />
Aufmerksamkeit. ( ... ) Doch seine unvoreingenommene<br />
Meinung, sein ausgereiftes<br />
Urteil, sein erleuchtetes Gewissen sollte er<br />
we<strong>de</strong>r euch noch irgen<strong>de</strong>inem Menschen o<strong>de</strong>r<br />
irgen<strong>de</strong>iner Gruppe aufopfern; <strong>de</strong>nn er leitet sie<br />
nicht von eurer Gunst her, noch aus <strong>de</strong>m Recht<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verfassung. Sie sind ein von <strong>de</strong>r Vorsehung<br />
anvertrautes Gut, für <strong>de</strong>ssen Missbrauch<br />
er voll verantwortlich ist. Euer Abgeord-<br />
25<br />
neter schul<strong>de</strong>t euch nicht nur seinen ganzen<br />
Fleiß, son<strong>de</strong>rn auch einen eigenen Standpunkt;<br />
und er verrät euch, anstatt euch zu dienen,<br />
wenn er ihn zugunsten eurer Meinung aufopfert.<br />
Mein ehrenwerter Kollege sagt, sein Wille sollte<br />
sich <strong>de</strong>m euren fügen. Ist das alles, so ist die<br />
Sache harmlos. Wenn das Regieren nur eine<br />
Frage <strong>de</strong>s Willens auf irgen<strong>de</strong>iner Seite wäre,<br />
so müsste euer Wille ohne Zweifel <strong>de</strong>r höhere<br />
sein. Doch das Regieren und die Gesetzgebung<br />
sind Fragen <strong>de</strong>r Vernunft und <strong>de</strong>s Urteils<br />
und nicht <strong>de</strong>r (persönlichen) Neigung; und was<br />
ist das für eine Vernunft, bei <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Beschluss<br />
<strong>de</strong>r Diskussion vor-. angeht, bei <strong>de</strong>r eine Gruppe<br />
von Menschen berät und eine an<strong>de</strong>re beschließt;<br />
und wo diejenigen, die <strong>de</strong>n Beschluss<br />
fassen, vielleicht dreihun<strong>de</strong>rt Meilen von <strong>de</strong>nen<br />
entfernt sind, die die Argumente für und wi<strong>de</strong>r<br />
hören?<br />
Eine Meinung zu äußern ist das Recht aller<br />
Menschen; diejenige <strong>de</strong>r Wähler ist eine gewichtige<br />
und achtenswerte Meinung, die zu<br />
hören ein Volksvertreter sich stets freuen sollte<br />
und die er immer auf das ernsthafteste erwägen<br />
müsste. Doch autoritative Instruktionen,<br />
erteilte Mandate, die das Parlamentsmitglied<br />
blindlings und ausdrücklich befolgen muss, für<br />
die es seine Stimme abgeben und für die es<br />
eintreten soll, obgleich diese Instruktionen im<br />
Gegensatz zur klarsten Überzeugung seines<br />
Urteils und Gewissens stehen mögen, sind<br />
Dinge, die <strong>de</strong>n Gesetzen unseres Lan<strong>de</strong>s völlig<br />
unbekannt sind und die aus einem fundamentalen<br />
Missverständnis <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Ordnung<br />
und <strong>de</strong>s Inhaltes unserer Verfassung entspringen.<br />
Das Parlament ist kein Kongress von Botschaftern<br />
im Dienste verschie<strong>de</strong>ner und feindlicher<br />
Interessen, die je<strong>de</strong>r als Vertreter und Befürworter<br />
gegen an<strong>de</strong>re Vertreter und Befürworter<br />
verfechten müsste, son<strong>de</strong>rn das Parlament ist<br />
die beraten<strong>de</strong> Versammlung einer Nation, mit<br />
einem Interesse, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Ganzen, wo nicht<br />
lokale Zwecke, nicht lokale Vorurteile bestimmend<br />
sein sollten son<strong>de</strong>rn das allgemeine<br />
Wohl, das aus <strong>de</strong>r allgemeinen Vernunft hervorgeht.<br />
Wohl wählt ihr allein einen Abgeordneten,<br />
aber wenn ihr ihn gewählt habt, dann ist er<br />
nicht mehr Vertreter von Bristol, son<strong>de</strong>rn ein<br />
Mitglied <strong>de</strong>s Parlamentes. Falls <strong>de</strong>r lokale Auftraggeber<br />
ein Interesse verfolgen o<strong>de</strong>r sich<br />
eine voreilige Meinung gebil<strong>de</strong>t haben sollte,<br />
die ganz offensichtlich im Wi<strong>de</strong>rspruch zum<br />
wahren Wohl <strong>de</strong>r - restlichen Gemeinschaft<br />
stehen, dann sollte <strong>de</strong>r Abgeordnete dieses<br />
Wahlkreises, so gut wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, davon
Abstand, nehmen, diese Son<strong>de</strong>rinteressen<br />
durchzusetzen.<br />
(Edmund Burke [1729-1797, britischer Politiker<br />
und Publizist]; entnommen aus: 0. H. von <strong>de</strong>r<br />
Gablentz, Politische Theorien. Teil III: Die politischen<br />
Theorien seit <strong>de</strong>r Französischen Revolution,<br />
Köln/Opla<strong>de</strong>n 1957, S. 49-50)<br />
"Der Konservative"<br />
Selbstdarstellung in Thesen<br />
Wenn angesichts <strong>de</strong>r Gefahr einer Ökokatastrophe<br />
und <strong>de</strong>r Lehren von zwei Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />
Revolution nicht mehr die progressive Entfesselung<br />
<strong>de</strong>r industriellen Produktivkräfte, die<br />
stetige Steigerung <strong>de</strong>s Lebensstandards und<br />
die Verwirklichung eines sozialen Utopia zeitgemäß<br />
sind, son<strong>de</strong>rn die Verhütung <strong>de</strong>s Weltuntergangs,<br />
die Bewahrung <strong>de</strong>r Natur und die<br />
umsichtige Verwaltung <strong>de</strong>r immer knapper<br />
wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong>, dann ist schwer einzusehen,<br />
wie diese von <strong>de</strong>n "Grenzen <strong>de</strong>s<br />
Wachstums" uns auferlegten Notwendigkeiten<br />
durch eine progressistisch-emanzipatorische<br />
Theorie und Praxis bewältigt wer<strong>de</strong>n könnten.<br />
Dazu bedarf es vielmehr einer Ehrenrettung<br />
und Erneuerung von Grundsätzen, Einsichten<br />
und Tugen<strong>de</strong>n, die man in einem sehr bestimmten<br />
Sinn für konservativ erklären kann.<br />
Die seit <strong>de</strong>m Zeitalter <strong>de</strong>r Aufklärung entstan<strong>de</strong>nen<br />
linken I<strong>de</strong>ologien vom klassischen Liberalismus<br />
bis zum Marxismus - waren durchwegs<br />
davon ausgegangen, dass sich durch<br />
zunehmen<strong>de</strong> Gütererzeugung unweigerlich<br />
auch die Lebensqualität verbessere und dass<br />
das Ziel <strong>de</strong>r Menschheit in ununterbrochen<br />
fortschreiten<strong>de</strong>r Industrialisierung, Technisierung,<br />
Urbanisierung, Homogenisierung und<br />
Ausbeutung <strong>de</strong>r Natur bestehe. Wer das bezweifelt<br />
( ... ), <strong>de</strong>r kann sich in einem geistespolitischen<br />
Sinne schwerlich als "links" o<strong>de</strong>r<br />
"progressiv" einordnen. Denn er stellt mit diesem<br />
Zweifel die <strong>gesamt</strong>e progressistische Philosophie<br />
<strong>de</strong>r letzten zwei Jahrhun<strong>de</strong>rte in Frage,<br />
um sich, wenngleich bisweilen unbewusst,<br />
Prinzipien und I<strong>de</strong>en zu nähern, <strong>de</strong>nen von<br />
jeher konservative Kritiker sowohl <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
als auch <strong>de</strong>s Sozialismus gehuldigt<br />
haben. (...)<br />
1. Menschen sind begrenzte, ungleiche, endliche<br />
und <strong>de</strong>shalb auf Disziplin und Bindung<br />
angewiesene Wesen.<br />
Der Konservative ist - aus welchen Grün<strong>de</strong>n<br />
auch immer, aus angeborener Skepsis, aus<br />
Erfahrung o<strong>de</strong>r aus schmerzlicher Ernüchte-<br />
26<br />
rung - nicht davon überzeugt, dass <strong>de</strong>r Mensch<br />
ein v on Natur aus gutes, nur durch außer ihm<br />
liegen<strong>de</strong> Umstän<strong>de</strong> verdorbenes Wesen ist. Er<br />
glaubt, dass <strong>de</strong>r Mensch nicht ohne äußere<br />
Ordnungen, die stets auch ein gewisses Ausmaß<br />
an Zwang und Repression mit sich bringen,<br />
jene Gerechtigkeit und Freiheit erreichen<br />
und bewahren kann, die die Linke als gesellschaftlichen<br />
Endzustand verkün<strong>de</strong>t. (...)<br />
2. Menschen sind <strong>de</strong>shalb angewiesen auf<br />
Einsichten und Orientierungen, die sie we<strong>de</strong>r<br />
aus <strong>de</strong>m angeborenen Instinktvorrat noch<br />
durch rationales Kalkül und subjektive Erfahrung<br />
gewinnen können. Das Arsenal dieser<br />
Einsichten und Orientierungen ist die Überlieferung,<br />
die durch die Geschichte sich hindurch<br />
halten<strong>de</strong> Tradition.<br />
Der Konservative verteidigt das Menschenrecht<br />
auf Vergangenheit. ( ... ) Der Mensch (...) bedarf<br />
<strong>de</strong>r Überlieferung. Seine I<strong>de</strong>ntität und Integrität<br />
fin<strong>de</strong>t er durch die Einwurzelung in<br />
geschichtlich tradierte Bestän<strong>de</strong>, durch die<br />
Annahme einer "Geschichte", <strong>de</strong>r er seine<br />
Loyalität entgegenbringt. ( ... ) Tradition aber (<br />
... ) ist nur institutionell zu garantieren. Nur<br />
Institutionen vermögen das Kapital an Einsichten,<br />
Erfahrungen und Lebensregeln zu repräsentieren,<br />
das je<strong>de</strong>s Zeitalter für das nachkommen<strong>de</strong><br />
treuhän<strong>de</strong>risch verwalten muss.<br />
( ... )<br />
3. Erst in <strong>de</strong>n großen Institutionen fin<strong>de</strong>n<br />
die Menschen vor sich selbst Schutz; nur in<br />
ihnen gewinnen sie überhaupt erst Gestalt,<br />
Standort und Handlungsspielraum.<br />
Der Konservative ist Institutionalist ( ... ). Institutionen<br />
sind jene stabilisieren<strong>de</strong>n Stützen und<br />
Formen, mittels <strong>de</strong>rer ein seiner Natur nach<br />
riskiertes, extrem korrumpierbares, zum Verfall<br />
bereites, unstabiles, affektüberlastetes und an<br />
instinktiven Regulierungsmechanismen armes<br />
Wesen sich gleichsam von außen her versteift,<br />
hochhält und hochschwingt, um sich selbst und<br />
seinesgleichen überhaupt erst erträglich, zu<br />
einem kultivierten Wesen zu machen. In <strong>de</strong>n<br />
Institutionen (...) bändigt <strong>de</strong>r Mensch seine<br />
erste "wil<strong>de</strong>" Natur. Die Institutionen - Recht,<br />
Eigentum, Familie, Kult, Staat und so weiter -<br />
sind die Gehäuse <strong>de</strong>s Menschen. In ihnen<br />
fin<strong>de</strong>t er Schutz und Geborgenheit, seinen Ort<br />
und Status in <strong>de</strong>r Gesellschaft. Sie verkörpern<br />
ihm gegenüber jedoch auch das Realitätsprinzip;<br />
sie be<strong>de</strong>uten Grenze, Verpflichtung<br />
und Zwang. ( ... )<br />
Ist <strong>de</strong>r Konservative, <strong>de</strong>r als Institutionalist ein<br />
gewisses Ausmaß an Entfremdung sowie <strong>de</strong>n<br />
Primat <strong>de</strong>r großen sozialen und politischen<br />
Formen vor <strong>de</strong>m Bedürfnis nach Emanzipation<br />
bejaht, <strong>de</strong>shalb ein bornierter Reaktionär, <strong>de</strong>r
sich gegen je<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l mit Ingrimm sträubt<br />
und <strong>de</strong>n jeweiligen Status quo unverän<strong>de</strong>rt<br />
erhalten will? Ist er notwendig ein Apologet <strong>de</strong>r<br />
Oberklasse? ( ... ) Ein weiteres konservatives<br />
Prinzip (lautet):<br />
4. Die Welt, soweit wir sie kennen, befin<strong>de</strong>t<br />
sich in ständigem Wan<strong>de</strong>l, und Ordnung ist<br />
in einem solchen evolutiven Universum nur<br />
möglich als Prozess, als flukturieren<strong>de</strong> Ordnung.<br />
Der Konservative ist sich, an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r Reaktionär,<br />
<strong>de</strong>r Tatsache bewusst, dass Tradition<br />
nicht einfach erhalten wer<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn<br />
vertieft und vermehrt wer<strong>de</strong>n muss. Der Konservative<br />
weiß, ( ... ) dass Fortschritt vor allem<br />
in <strong>de</strong>r schöpferisch verjüngen<strong>de</strong>n Übernahme<br />
<strong>de</strong>r Vergangenheit besteht. Der Konservative<br />
weiß aber auch, dass die für <strong>de</strong>n Menschen<br />
lebensnotwendige Stabilität nicht gleichbe<strong>de</strong>utend<br />
mit Wan<strong>de</strong>llosigkeit ist. Stabilität ist die<br />
Bedingung nichtkatastrophischen Wan<strong>de</strong>ls:<br />
künftiger Entwicklung ebenso wie künftiger<br />
Bewahrung. Instabil hingegen ist ein Zustand,<br />
in <strong>de</strong>m die Art und das Tempo <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls<br />
die Schaffung von Ordnung unmöglich macht;<br />
o<strong>de</strong>r ein Zustand, in <strong>de</strong>m eine scheinbar stabile<br />
Ordnung, die in Wirklichkeit verkalkt und hohl<br />
ist, ihren eigenen Untergang herbeiruft; o<strong>de</strong>r<br />
eine Ordnung, die vielleicht auf <strong>de</strong>n ersten<br />
Blick schöpferisch und progressiv scheint, tatsächlich<br />
aber<br />
sich nur um <strong>de</strong>n Preis einer ökologischen, kulturellen<br />
und wirtschaftlichen Hinterlassenschaft<br />
zu verwirklichen vermag, die kommen<strong>de</strong> Generationen<br />
aller Wahrscheinlichkeit nach verfluchen<br />
wer<strong>de</strong>n. ( ... )<br />
5. Der Mensch muss regiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Das vorrangige Problem unserer Zeit liegt nicht<br />
darin, dass wir uns von allen Autoritäten emanzipieren<br />
(wie uns die sogenannten Progressiven<br />
einre<strong>de</strong>n wollen), son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Gewinnung<br />
von regierbaren Ordnungen mit regierbaren<br />
Menschen. ( ... ) Angesichts <strong>de</strong>r ökologischen<br />
Krise, <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n Mangels an<br />
Rohstoffen, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Kernspaltung und <strong>de</strong>r<br />
Möglichkeit genetischer Manipulation zusammenhängen<strong>de</strong>n<br />
Probleme stehen ( ... ) Interessen<br />
auf <strong>de</strong>m Spiel, die keinen Anwalt unter <strong>de</strong>n<br />
verschie<strong>de</strong>nen gesellschaftlichen Gruppen<br />
haben. Diese Interessen können nicht auf das<br />
interne Kräftespiel <strong>de</strong>r partikularen Kollektive<br />
<strong>de</strong>r Industriegesellschaft verwiesen wer<strong>de</strong>n;<br />
auch ein unter <strong>de</strong>m missverständlichen Begriff<br />
Demokratisierung forciertes Wachstum an<br />
Selbstverwaltung <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n wirtschaftlichen,<br />
kulturellen und sonstigen Organisationen Tätigen<br />
bietet keine Gewähr dafür, dass Interes-<br />
27<br />
sen, die faktisch alle teilen, auch mit Nachdruck<br />
wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. Dieser allgemeinen<br />
Interessen kann sich nur <strong>de</strong>r Staat<br />
annehmen - und zwar in <strong>de</strong>m Maße, in <strong>de</strong>m er<br />
fähig und willens ist, auch <strong>de</strong>n Erpressungen<br />
organisierter partikularer Interessen zu wi<strong>de</strong>rstehen.<br />
( ... ).Arbeitgeber, Gewerkschaften,<br />
Industrie, Han<strong>de</strong>l, Landwirtschaft, Massenmedien<br />
stellen überaus wirksame Organisationen<br />
je bestimmter Gruppeninteressen dar; aber sie<br />
sind nicht imstan<strong>de</strong>, jene Interessen konkret-allgemeiner<br />
Art, die allen partikularen Interessen<br />
vorausliegen, zu ihrer eigenen Sache<br />
zu machen. ( ... )<br />
Es mag sein, dass diese For<strong>de</strong>rung nach einem<br />
starken Staat angesichts <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n<br />
Unregierbarkeit <strong>de</strong>r westlichen Län<strong>de</strong>r und<br />
<strong>de</strong>s verbreiteten Ressentiments gegen Herrschaft<br />
überhaupt utopisch wirkt. Für diese Utopie<br />
<strong>de</strong>r Konservativen spricht freilich, daß die<br />
entgegengesetzte Utopie eines Absterbens von<br />
Staat und politischer Herrschaft keine mögliche<br />
Alternative darstellt, da sie zu einem Totalitarismus<br />
<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Mächte<br />
wür<strong>de</strong>. ( ... )führen wür<strong>de</strong>. (...)<br />
6: Obwohl Teil <strong>de</strong>r Natur, biogenetisch in<br />
tiefsten Vergangenheiten verwurzelt und<br />
gesellschaftlich geprägt, wird <strong>de</strong>r Mensch<br />
unter seinem ihm möglichen Niveau begriffen,<br />
wenn er nicht als ein von Natur zur<br />
Freiheit berufenes Wesen geehrt wird.<br />
Freiheit wird vom Konservativen in ihrer dialektischen<br />
Spannung zur Bindung gesehen. ( ... )<br />
Im konservativen Freiheitsbegriff ist allemal<br />
auch das Moment <strong>de</strong>s Gehorsams gegenüber<br />
Bindungen enthalten, <strong>de</strong>ren Urheber nicht die<br />
partikulare Subjektivität ist, ohne dass er <strong>de</strong>shalb<br />
(...) Freiheit auf bloße Unterwerfung unter<br />
das Gesetz <strong>de</strong>r Institutionen zurückführen wür<strong>de</strong>.<br />
Vielmehr verhält es sich so, daß die Institutionen<br />
ihrerseits auf Leistungen angewiesen<br />
sind, die nur <strong>de</strong>r einzelne als freies Wesen<br />
vollbringen kann. Gegenüber je<strong>de</strong>m sozialen<br />
Monismus o<strong>de</strong>r Kollektivismus, <strong>de</strong>r das Heil<br />
von <strong>de</strong>r Gesellschaft erwartet, wird damit auf<br />
konservativer Seite die alte Lehre hochgehalten,<br />
dass das menschliche Individuum<br />
Selbstand hat, dass es, obwohl verflochten in<br />
mannigfaltige Abhängigkeiten und sich in diesen<br />
verwirklichend, doch auch "Zweck seiner<br />
selbst` ist. ( ... )<br />
Eine solche Lehre hat durchaus auch praktische<br />
Konsequenzen in politischer Hinsicht.<br />
Der für einen starken, über <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />
Gruppen stehen<strong>de</strong>n Staat eintreten<strong>de</strong><br />
Konservative ist keineswegs <strong>de</strong>r Meinung,<br />
dass die Regierung das Recht o<strong>de</strong>r die<br />
Pflicht habe, sich in alles und je<strong>de</strong>s ein zu mischen.<br />
Eine von einem starken Staat geschütz-
te freie Gesellschaft ( ... ) kann nicht bestehen,<br />
wenn man alle Verantwortung <strong>de</strong>m Staat zuschiebt.<br />
(...) Es wäre freilich zynisch, individuelle Verantwortung<br />
einer armen Gesellschaft zu predigen.<br />
In einer relativ reichen Gesellschaft sollte<br />
sie sich von selber verstehen. Wir haben uns<br />
daran gewöhnt, dass <strong>de</strong>r Staat immer mehr<br />
zum Versorgungsstaat wird und darüber seine<br />
im strengen Sinne <strong>de</strong>s Wortes staatlichen Aufgaben<br />
vernachlässigt. ( ... )<br />
Ist es wirklich zuviel verlangt, dass mündige<br />
Menschen, die heute mehr verdienen als <strong>de</strong>r<br />
alte Mittelstand, auch Verantwortung für sich<br />
und ihre Angehörigen übernehmen und zum<br />
Beispiel Kin<strong>de</strong>rerziehung, Altersversorgung<br />
und Sicherung für <strong>de</strong>n Krankheitsfall weitestgehend<br />
in eigener Regie treiben? Es ist eine<br />
kaum zu leugnen<strong>de</strong> Tatsache, daß wir auf die<br />
Dauer das weniger zu würdigen wissen, was<br />
wir durch anonyme Apparate scheinbar gratis<br />
zugewiesen erhalten. Deshalb geht auch die<br />
Rechnung nicht auf, dass die Loyalität <strong>de</strong>r Bürger<br />
in <strong>de</strong>m gleichen Maße zunimmt, in <strong>de</strong>m sie<br />
versorgungsstaatlich betreut wer<strong>de</strong>n. Im Gegenteil:<br />
<strong>de</strong>r administrativ betreute Mensch verfällt<br />
gegenüber <strong>de</strong>m Staat immer mehr in eine<br />
passiv for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> "orale" Haltung, in jene "grenzenlose<br />
Pleonexie", die bereits Max Scheler<br />
(1874-1928) als einen beherrschen<strong>de</strong>n Zug<br />
unseres Jahrhun<strong>de</strong>rts bezeichnet hat. Das<br />
Wort Pleonexie be<strong>de</strong>utet Begehrlichkeit, Anmaßung,<br />
eine Grundhaltung infantilregressiven<br />
Glücksverlangens. ( ... )<br />
7. Der Mensch ist nicht nur ein gesellschaftliches,<br />
son<strong>de</strong>rn auch ein kosmisches Wesen.<br />
Zu <strong>de</strong>n Ordnungen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Mensch lebt<br />
und auf die er unaufhebbar angewiesen ist,<br />
gehört auch die Natur, die Ordnung <strong>de</strong>s Kosmos.<br />
Das Gebot <strong>de</strong>r Demut, das <strong>de</strong>n meisten<br />
Religionen eigentümlich ist, lässt sich im Hinblick<br />
auf diese Naturverhaftetheit <strong>de</strong>s Menschen,<br />
<strong>de</strong>r selber ein Teil <strong>de</strong>r Natur ist, auch<br />
ohne direkten Bezug auf religiöse Offenbarungen<br />
begrün<strong>de</strong>n.( ... )<br />
Heute wissen wir, dass die unseren eigenen<br />
Fortbestand als Gattung gefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Instabilität<br />
aller Lebensverhältnisse um so größer wird,<br />
je mehr wir als angeblich autonome, kein an<strong>de</strong>res<br />
Maß als das <strong>de</strong>r beliebigen Machbarkeit<br />
anerkennen<strong>de</strong> Herren in unsere Umwelt eingreifen.<br />
( ... ) Wenn wir uns in technischer,<br />
politischer und ökologischer Hinsicht nicht uneinsichtiger<br />
stellen wollen, als wir sind, dann<br />
ergibt sich angesichts <strong>de</strong>r Tatsache, dass heute<br />
zum erstenmal die menschliche Umwelt in<br />
28<br />
planetarischem Umfang zu einer abhängigen<br />
Variablen gewor<strong>de</strong>n ist, die unbedingte For<strong>de</strong>rung,<br />
dass je<strong>de</strong>r manipulative Eingriff in die<br />
Natur beweislastpflichtig ist. Die expansionistischen<br />
Neuerer haben die Beweislast dafür zu<br />
tragen, dass ihre Eingriffe die ökologischen<br />
Bedingungen nicht verschlechtern. Das ist eine<br />
erzkonservative For<strong>de</strong>rung, die sowohl für die<br />
kapitalistische als auch die sozialistische Organisation<br />
<strong>de</strong>r Wirtschaft in ihrer bisherigen<br />
Gestalt eine radikale Provokation be<strong>de</strong>utet.<br />
Denn bei<strong>de</strong>r Legitimationsi<strong>de</strong>ologie ist ein<br />
anthropozentrisches Menschenbild, das in<br />
seinen extremen Ausprägungen einen zur puren<br />
Wut gesteigerten Naturhass verrät. ( ... )<br />
In kosmischer Perspektive geht es keineswegs<br />
bloß um etwas mehr Umweltschutz, son<strong>de</strong>rn<br />
um das grundsätzlich neue Konzept einer Ordnung,<br />
die sich nicht selbst zerstört: einer ökologischen<br />
Frie<strong>de</strong>nsordnung, die die außermenschliche<br />
Natur nicht länger als bloßen<br />
Rohstoff o<strong>de</strong>r als Sklavin ansieht, son<strong>de</strong>rn als<br />
Partner mit eigenem Anspruch.<br />
Eine konservative Theorie, die diese Einsichten<br />
ernst nimmt, ist nicht romantisch, son<strong>de</strong>rn vernünftig<br />
und lebensgerecht. Sie steht vor <strong>de</strong>r<br />
paradoxen Aufgabe, ein Konzept revolutionärer<br />
Bewahrung zu entwickeln, <strong>de</strong>n Entwurf einer<br />
Ordnung, in <strong>de</strong>r Bewahren möglich und sinnvoll<br />
ist.<br />
(Gerd-Klaus Kaltenbrunner [Schriftsteller und Publizist;<br />
gilt als einer <strong>de</strong>r profiliertesten Vertreter <strong>de</strong>s<br />
zeitgenössischen <strong>de</strong>utschen Konservatismus], Sieben<br />
Thesen über <strong>de</strong>n Konservatismus; in: Konrad<br />
Bonkosch [Hrsg.], Kompendium <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />
christlich-freiheitlichen Konservatismus. Bonn 1978,<br />
S. 109-<strong>12</strong>3)<br />
Bestimmungsmerkmale <strong>de</strong>s<br />
Neokonservatismus<br />
Wie unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r "neue Konservatismus"<br />
von <strong>de</strong>n älteren Formen <strong>de</strong>s konservativen<br />
Selbstverständnisses? Diese Differenz<br />
kann am ehesten, wie ich meine, auf <strong>de</strong>r Folie<br />
<strong>de</strong>s sogenannten technokratischen Konservatismus<br />
ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r von Theoretikern<br />
wie Hans Freyer, Arnold Gehlen, Ernst<br />
Forsthoff und Helmut Schelsky entwickelt wor<strong>de</strong>n<br />
ist: Ohne Zweifel war er bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er<br />
bzw. Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre die fortgeschrittenste<br />
Variante <strong>de</strong>s Konservatismus in <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik. Worin bestehen seine zentralen<br />
Aussagen? Stark vereinfacht, möchte ich<br />
folgen<strong>de</strong> Aspekte hervorheben:
Der technokratische Konservatismus vollzog<br />
insofern einen Bruch mit er konservativen Tradition<br />
<strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, als er sich von<br />
vorindustriellen Leitbil<strong>de</strong>rn verabschie<strong>de</strong>te und<br />
<strong>de</strong>n wissenschaftlich-technischen Fortschritt<br />
sowie das kapitalistische Wirtschaftssystem<br />
uneingeschränkt begrüßte. Diese Umorientierung<br />
brachte Franz Josef Strauß 1968 auf eine<br />
prägnante Formel, als er auf einem<br />
CSU-Parteitag verkün<strong>de</strong>te: "Konservativ sein<br />
heißt, an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s (technischen) Fortschritts<br />
marschieren."<br />
2. Der technokratische Konservatismus war<br />
von <strong>de</strong>m optimistischen Glauben an die selbststabilisieren<strong>de</strong><br />
Wirkung <strong>de</strong>r "wissenschaftlich-technischen<br />
Zivilisation", durchdrungen.<br />
Die bürgerliche Klassengesellschaft und ihre<br />
Antagonismen gehörten <strong>de</strong>r Vergangenheit an.<br />
Die Industriegesellschaft, <strong>de</strong>ren Stichworte<br />
"Vollbeschäftigung" und "Steigerung <strong>de</strong>s Sozialprodukts"<br />
seien, bin<strong>de</strong> die einzelnen und<br />
organisierten Interessen in einen unentrinnbaren<br />
Funktionszusammenhang, <strong>de</strong>ssen disziplinieren<strong>de</strong><br />
und integrieren<strong>de</strong> "Sachzwänge" die<br />
Klassengegensätze gegenstandslos erscheinen<br />
lasse.<br />
3. Auch die "Sinnfrage" für <strong>de</strong>n einzelnen in<br />
seinem konkreten Lebenszusammenhang wur<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>r Sicht technokratischer Konservativer<br />
vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt<br />
gelöst: Er erzwinge nämlich genau die Tugen<strong>de</strong>n<br />
und Motivationen, die er zu seiner Weiterentwicklung<br />
benötige, also Anpassungsbereitschaft,<br />
Loyalität, Selbstdisziplin und das freiwillige<br />
Mitmachen eines je<strong>de</strong>n einzelnen.<br />
4. Schließlich ging <strong>de</strong>r technische Konservatismus<br />
von <strong>de</strong>r Prämisse aus, dass Politik im<br />
traditionellen Sinne zunehmend durch die sogenannten<br />
."Sachzwänge" ersetzt wer<strong>de</strong>. Formen<br />
<strong>de</strong>mokratischer Teilhabe, so Schelsky,<br />
blieben als leere Hülsen zurück. Die Demokratie<br />
schaffe sich gleichsam selbst ab, weil es in<br />
<strong>de</strong>r Industriegesellschaft nur eine Legitimation<br />
von Handlungsbefugnissen gebe: für das jeweils<br />
anstehen<strong>de</strong> technische bzw. sozialtechnische<br />
Problem die jeweils beste technische<br />
Lösung zu fin<strong>de</strong>n.<br />
Es ist klar, dass die Herrschaft <strong>de</strong>r sogenannten<br />
"Sachzwänge" einen zutiefst konservativen<br />
Kern hat. Sie löst die Herrschaft von Menschen<br />
über Menschen nicht auf, wie Schelsky in Anlehnung<br />
an Marx und Engels behauptet hat.<br />
Denn <strong>de</strong>r kleinen Elite von Experten steht abhängig<br />
die große Masse <strong>de</strong>r Bevölkerung gegenüber,<br />
die über das Herrschaftswissen <strong>de</strong>r<br />
Experten nicht verfügt. O<strong>de</strong>r - an<strong>de</strong>rs ausge-<br />
29<br />
drückt: Die wissenschaftlich-technische Zivilisation<br />
bil<strong>de</strong>t Kompetenzhierarchien heraus, die<br />
in ihrer Herrschaftsstruktur härter sind als die<br />
<strong>de</strong>r Feudal- und Stän<strong>de</strong>gesellschaft, auf die<br />
sich <strong>de</strong>r ältere Konservatismus bezogen hat.<br />
Meine These ist nun, dass die Geburt <strong>de</strong>s<br />
Neokonservatismus begann, als dieser technokratische<br />
Konservatismus Anfang <strong>de</strong>r70er Jahre<br />
in eine Krise geriet. Ich möchte ( ... ) auf die<br />
Umstän<strong>de</strong> hinweisen, die sie bewirkt haben.<br />
1. Die Studien <strong>de</strong>s Club of Rome machten<br />
einer breiten Öffentlichkeit die Grenzen <strong>de</strong>s<br />
Wachstums angesichts schrumpfen<strong>de</strong>r und<br />
nicht beliebig vermehrbarer Ressourcen bewusst.<br />
Gleichzeitig geriet mit <strong>de</strong>m konjunkturellen<br />
Einbruch von 1973 in <strong>de</strong>n meisten westlichen<br />
Industriegesellschaften die bisherige<br />
Kombination von industrieller Wachstumsgesellschaft<br />
und Wohlfahrtsstaat in Schwierigkeiten.<br />
Damit war die wirtschaftliche Grundlage<br />
<strong>de</strong>r technischen "Selbstintegration" <strong>de</strong>r Industriegesellschaft<br />
fraglich gewor<strong>de</strong>n.<br />
,2. Die Ökologieproblematik begann zunehmend<br />
ins Bewusstsein <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu<br />
treten. Die Wissenschaft und Technik mussten<br />
in <strong>de</strong>m Maße beträchtliche Autoritätseinbußen<br />
hinnehmen, wie sie sich außerstan<strong>de</strong> zeigten,<br />
auf die katastrophalen Nebenfolgen <strong>de</strong>s wissenschaftlich-technischen<br />
Fortschritts ein<strong>de</strong>utige<br />
Antworten zu geben. Diese Verunsicherung<br />
breiter Bevölkerungsschichten schaffte nun<br />
ihrerseits Bedingungen, unter <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik die neuen sozialen Bewegungen<br />
massenwirksamen Protest gegen die sogenannten<br />
Sachzwänge erheben konnten.<br />
3. Ein sogenannter "postmaterieller Wertewan<strong>de</strong>l"<br />
machte sich in Teilen <strong>de</strong>r Jugend bemerkbar.<br />
In einer im "Spiegel" veröffentlichten Untersuchung<br />
motivationaler Einstellungen Frankfurter<br />
Stu<strong>de</strong>nten, die Peter Glotz und Wolfgang<br />
Malanowski durchführten, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass<br />
35 Prozent <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>n Begriff "Konsum"<br />
negativ besetzten, "und je<strong>de</strong>r dritte <strong>de</strong>r<br />
Befragten steht <strong>de</strong>m Begriff Pflicht ablehnend<br />
gegenüber; nur wenige, drei Prozent, äußern<br />
sich positiv. Aber auch <strong>de</strong>r Begriff „Fortschritt“<br />
wird nur von wenigen (elf Prozent) ein<strong>de</strong>utig<br />
positiv gewertet; mehr äußern Ablehnung (22<br />
Prozent) und Neutralität (25 Prozent); fast je<strong>de</strong>r<br />
zweite (40 Prozent) assoziiert im Begriff Fortschritt<br />
Vor- und Nachteile gleichzeitig". Die<br />
systemerhalten<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Leistung und<br />
<strong>de</strong>r Pflicht, auf die <strong>de</strong>r technokratische Konservatismus<br />
setzte, schien also bei einem relevanten<br />
Teil <strong>de</strong>r Jugendlichen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
in Misskredit geraten zu sein.
Soweit ich sehen kann, reagierte <strong>de</strong>r Neokonservatismus<br />
auf diese Umbruchsituation vor<br />
allem auf vier Ebenen, die ich im folgen<strong>de</strong>n<br />
etwas näher charakterisieren möchte.<br />
a) Die Ebene <strong>de</strong>r Erziehungssituationen, auf<br />
<strong>de</strong>r versucht wird, die <strong>de</strong>stabilisieren<strong>de</strong>n Auswirkungen<br />
<strong>de</strong>s wissenschaftlich-technischen<br />
Fortschritts durch die Einübung sekundärer<br />
Tugen<strong>de</strong>n aufzufangen. (... )<br />
b) Die Ebene <strong>de</strong>s Politikverständnisses, auf <strong>de</strong>r<br />
sich immer stärker ein Freund-Feind-Denken<br />
Bahn bricht, das einen ein<strong>de</strong>utigen Primat <strong>de</strong>r<br />
Politik gegenüber <strong>de</strong>n organisierten gesellschaftlichen<br />
Interessen wie<strong>de</strong>rherzustellen<br />
sucht. ( ... ) Das neokonservative Selbstverständnis<br />
(<strong>de</strong>finiert) Politik vom Ausnahmezustand<br />
her: Sie wird gleichgesetzt mit <strong>de</strong>r autoritären<br />
Dezision <strong>de</strong>s starken Staates, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
inneren und äußeren Feind bestimmt und neutralisiert.<br />
Ohne Zweifel stellt das Aufleben <strong>de</strong>s<br />
Freund-Feind-Denkens innerhalb <strong>de</strong>s neokonservativen<br />
Lagers die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Brücke<br />
zum Rechtsradikalismus dar, auch wenn es<br />
analytisch und politisch dringend geboten erscheint,<br />
zwischen bei<strong>de</strong>n Strömungen zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />
( ... )<br />
c) Die Ebene <strong>de</strong>s Sozialstaates, auf <strong>de</strong>r unter<br />
<strong>de</strong>m Stichwort "Unregierbarkeit" <strong>de</strong>r Angriff auf<br />
die sozialpolitischen Errungenschaften <strong>de</strong>r<br />
Arbeiterbewegung erfolgt. Als Indiz für<br />
,Unregierbarkeit" gelten wachsen<strong>de</strong> Kriminalität,<br />
wil<strong>de</strong> Streiks, Jugendunruhen, Vandalismus,<br />
aber auch Kriegsdienstverweigerung,<br />
Bürgerinitiativen, Alkoholismus, Drogenkonsum<br />
sowie die Aufmüpfigkeit <strong>de</strong>r Bürger gegen <strong>de</strong>n<br />
Staat, <strong>de</strong>r zunehmend für individuelle Lebensumstän<strong>de</strong><br />
verantwortlich gemacht wer<strong>de</strong>. ( ... )<br />
Doch die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Ursache für das "Elend<br />
<strong>de</strong>r Unregierbarkeit" sei <strong>de</strong>r Sozialstaat:<br />
Er trage entschei<strong>de</strong>nd dazu bei, dass die Erwartungshaltung<br />
<strong>de</strong>r Massen steigt. Da aber<br />
<strong>de</strong>ren "Begehrlichkeit" angesichts schrumpfen<strong>de</strong>r<br />
Zuwachsraten nur teilweise befriedigt wer<strong>de</strong>n<br />
könne, breche sich eine kollektive Enttäuschung<br />
und Unzufrie<strong>de</strong>nheit Bahn, die vorn<br />
Zerfall <strong>de</strong>s Lebensprinzips begleitet wer<strong>de</strong>.<br />
Dieser Zustand allgemeiner Frustration <strong>de</strong>ute<br />
seinerseits auf eine vorrevolutionäre Situation<br />
hin, <strong>de</strong>ren eigentliche politische Träger die<br />
Sozial<strong>de</strong>mokraten und die Gewerkschaften<br />
seien. ( ... )<br />
d) Die Ebene <strong>de</strong>s Geschichtsbil<strong>de</strong>s, auf <strong>de</strong>r die<br />
"Entsorgung" (Haberrnas) <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />
Vergangenheit angestrebt wird. ( ... )<br />
30<br />
Wie konnte es zu dieser neokonservativen<br />
Ten<strong>de</strong>nzwen<strong>de</strong> kommen? Wie war es möglich,<br />
dass das neokonservative Ordnungs<strong>de</strong>nken<br />
nicht auf einen kleinen Kreis rechtslastiger<br />
Intellektueller beschränkt blieb, son<strong>de</strong>rn für<br />
zentrale Politikfel<strong>de</strong>r im Begriff ist, Formeln zu<br />
liefern, mit <strong>de</strong>nen sich Massen i<strong>de</strong>ntifizieren?<br />
Ohne Zweifel ist seine Massenwirksamkeit<br />
entschei<strong>de</strong>nd durch <strong>de</strong>n Konjunktureinbruch<br />
seit 1973 geför<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n: Insbeson<strong>de</strong>re mittelständische<br />
Schichten sahen ihre und ihrer<br />
Kin<strong>de</strong>r Privilegien bedroht und suchten nach<br />
Auswegen, die sie in frühkapitalistischen Verhaltensweisen<br />
fin<strong>de</strong>n zu können glaubten.<br />
(Richard Saage, Die neokonservative Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik / Mittelständische<br />
Schichten sahen ihre Privilegien bedroht. Auszug<br />
aus einem 1985 vor <strong>de</strong>m Arbeitskreis Forum kritischer<br />
Wissenschaft" an <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Universität<br />
gehaltenen Vortrag; zit. nach: Frankfurter Rundschau<br />
v. 25. 7. 1985, S. <strong>12</strong>)<br />
Strukturkonservatismus –<br />
- Wertkonservatismus<br />
Es gibt in unserer Gesellschaft vieles, was<br />
einer Anstrengung <strong>de</strong>s Bewahrens wert ist. Die<br />
Frage ist nur: Was kann und soll bewahrt wer<strong>de</strong>n,<br />
und wie kann dies geschehen?<br />
Schon auf die Frage, was zu konservieren sei,<br />
erhalten wir zwei sehr verschie<strong>de</strong>ne Antworten,<br />
die bei<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>mselben Begriff als konservativ<br />
bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Die eine zielt auf Strukturen:<br />
Zu bewahren sei unter allen Umstän<strong>de</strong>n<br />
und ohne Abstriche das ökonomische System<br />
mit seinen Machtstrukturen, zu erhalten seien<br />
die Einkommenshierarchien, auch wo sie auf<br />
skurrile Weise verzerrt sind, die Eigentumsordnung,<br />
auch wo sie <strong>de</strong>m Gemeinwohl im Wege<br />
steht, zu bewahren seien Normen <strong>de</strong>s Strafrechts,<br />
auch wo sie ihren Zweck verfehlen,<br />
Formen <strong>de</strong>s Welthan<strong>de</strong>ls, auch wo sie das<br />
nackte Leben ganzer Völker gefähr<strong>de</strong>n, nationale<br />
Ansprüche, auch wo die Geschichte<br />
längst darüber hinweggegangen ist, institutionelle<br />
Autorität, auch wo sie sich längst selbst<br />
verschlissen hat.<br />
Hier geht es offenkundig um die Konservierung<br />
von Machtpositionen, von Privilegien, von<br />
Herrschaft. Im Folgen<strong>de</strong>n wird daher von<br />
Strukturkonservatismus die Re<strong>de</strong> sein.<br />
Meist besteht <strong>de</strong>r geistige Fundus dieser Strukturkonservativen<br />
aus <strong>de</strong>m letzten Aufguss <strong>de</strong>s<br />
Liberalismus <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong>. Sie geben
sich optimistisch, setzen nach wie vor Wachstum<br />
mit Fortschritt gleich, glauben an die<br />
menschliche Erfindungskraft, die schließlich -<br />
technokratisch - alles wie<strong>de</strong>r ins Lot bringe,<br />
verwechseln Erfolg mit Leistung, neigen zum<br />
Sozialdarwinismus, halten Gerechtigkeit für<br />
eine romantische Vokabel und sich selbst für<br />
Pragmatiker, weil sie es als Zeitverschwendung<br />
ansehen, über ihre eigenen Werturteile<br />
zu reflektieren.<br />
Dieser Strukturkonservatismus ist I<strong>de</strong>ologie im<br />
strengen Sinne <strong>de</strong>r Marxschen Definition:<br />
Überbau zum Schutz und zur Rechtfertigung<br />
von Herrschaft. Da die Machtstrukturen von<br />
heute am besten mit <strong>de</strong>n progressiven I<strong>de</strong>ologien<br />
von vorgestern abgesichert wer<strong>de</strong>n können,<br />
sind sogar die letzten Reste eines naiven<br />
Fortschrittsglaubens ins Lager <strong>de</strong>r Strukturkonservativen<br />
ausgewan<strong>de</strong>rt: Keine Angst, es wird<br />
sich alles wie<strong>de</strong>r einspielen, man muss uns nur<br />
machen lassen. (...)<br />
Dieser Strukturkonservatismus ist fast in allen<br />
Stücken <strong>de</strong>m entgegengesetzt, was die europäische<br />
Geschichte an christlich-konservativer<br />
Tradition hervorgebracht hat und was heute<br />
auch in Bereiche hinein ausstrahlt, die sich<br />
nicht auf diese Tradition berufen. Der Strukturkonservatismus<br />
gerät in Konflikt mit einem<br />
Konservatismus, <strong>de</strong>m es weniger um Strukturen<br />
als um Werte geht, <strong>de</strong>r beharrt auf <strong>de</strong>m<br />
unaufhebbaren Wert <strong>de</strong>s einzelnen Menschen,<br />
was immer er leiste, <strong>de</strong>r Freiheit versteht als<br />
Chance und Aufruf zu solidarischer Verantwortung,<br />
<strong>de</strong>r nach Gerechtigkeit sucht, wohlwissend,<br />
dass sie nie zu erreichen ist, <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>n<br />
riskiert, auch wo er Opfer kostet. In dieser Tradition<br />
haben Werte wie Dienst o<strong>de</strong>r Treue,<br />
Tugen<strong>de</strong>n wie Sparsamkeit o<strong>de</strong>r die Fähigkeit<br />
zum Verzicht noch keinen zynischen Beigeschmack.<br />
Dieser Konservatismus verficht die<br />
Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n und for<strong>de</strong>rt die Wür<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Sterbens zurück. Vor allem aber geht es<br />
ihm heute um die Bewahrung unserer natürlichen<br />
Lebensgrundlagen. Im Folgen<strong>de</strong>n sei<br />
daher von Wertkonservatismus die Re<strong>de</strong>.<br />
Dieser Konservatismus <strong>de</strong>r Werte war immer<br />
misstrauisch, wenn von Fortschritt, zumal vom<br />
technischen, die Re<strong>de</strong> war, er neigt heute gelegentlich<br />
dazu, sich durch die Ereignisse mehr<br />
bestätigt als herausgefor<strong>de</strong>rt zu fühlen. Er hat<br />
nie geglaubt, aus <strong>de</strong>m freien Spiel <strong>de</strong>r Kräfte<br />
müsse notwendig Gutes erwachsen. Auf die<br />
Frage angesprochen, wie dieses Gute zustan<strong>de</strong><br />
komme, hat er oft moralische Kräfte über-<br />
und Machtverhältnisse unterschätzt.<br />
Wertkonservatismus ist oft an Stellen lebendig,<br />
wo man ihn nicht vermutet: er war auch eine<br />
31<br />
<strong>de</strong>r Antriebskräfte <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntenrevolte. Viele<br />
Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r späteren sechziger Jahre rebellierten,<br />
weil sie die Werte, von <strong>de</strong>nen man ihnen<br />
allzu viel gere<strong>de</strong>t hatte, von Machtstrukturen<br />
überrollt sahen, die ihnen fremd und feindlich<br />
gegenübertraten. Sie sahen, wie die Natur<br />
überfor<strong>de</strong>rt, die Umwelt vergiftet, solidarische<br />
Gemeinschaft verhin<strong>de</strong>rt, Menschenwür<strong>de</strong> - bei<br />
uns und noch mehr in <strong>de</strong>r Dritten Welt - mit<br />
Füßen getreten, <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r Gerechtigkeit<br />
verhöhnt, ihre Zukunft verspielt wur<strong>de</strong>.<br />
Die meisten Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen in <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik sind heute solche zwischen<br />
Strukturkonservativen und Wertkonservativen.<br />
Wenn eine Autobahn über <strong>de</strong>n Hochschwarzwald<br />
gebaut wer<strong>de</strong>n soll, verbün<strong>de</strong>n sich Jungsozialisten<br />
mit Bergbauern gegen Christ<strong>de</strong>mokraten<br />
und Industrieverbän<strong>de</strong>. Den einen<br />
geht es darum, <strong>de</strong>n Wert einer unvergleichlichen<br />
Landschaft zu bewahren, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren,<br />
das wirtschaftliche Wachstum zu sichern, ohne<br />
das sie die ökonomischen Machtstrukturen<br />
gefähr<strong>de</strong>t sehen. (...)<br />
Wenn <strong>de</strong>r Konkurrenzdruck in unserem Erziehungswesen<br />
zunehmend Psychosen, Neurosen<br />
und psychogene Erkrankungen hervorbringt,<br />
stellt sich die Frage, ob die Gesundheit<br />
unserer Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r ihre frühzeitige Einpassung<br />
in die Strukturen unserer Erfolgsgesellschaft<br />
Vorrang hat.<br />
Wenn Preisschwankungen auf <strong>de</strong>m Weltmarkt<br />
Millionen zum Tod verurteilen, haben wir zu<br />
wählen zwischen <strong>de</strong>m Wert von Menschenleben<br />
und einer Struktur <strong>de</strong>s Welthan<strong>de</strong>ls, bei<br />
<strong>de</strong>r wir bisher - zugegeben - nicht schlecht<br />
gefahren sind.<br />
Wenn gesicherter Frie<strong>de</strong> in Europa nur zu haben<br />
ist, wenn Grenzen nicht mehr in Frage<br />
gestellt wer<strong>de</strong>n, müssen wir entschei<strong>de</strong>n, ob<br />
<strong>de</strong>r Wert <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns uns wichtiger ist als die<br />
verbale Aufrechterhaltung eines - wenn auch<br />
fiktiven - Nationalstaats von <strong>de</strong>r Maas bis an<br />
die Memel.<br />
Wenn, wie E. F. Schumacher sarkastisch fest-<br />
stellt, im entwickeltsten Land, in <strong>de</strong>n USA,<br />
"nicht die Mondfahrt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Weg nach<br />
Hause, wenn es dunkel wird", das eigentliche<br />
Wagnis ist, rufen die Strukturkonservativen<br />
nach immer mehr Polizei, während Wertkonservative<br />
fragen, ob diese Welle <strong>de</strong>r Kriminalität<br />
nicht doch etwas mit <strong>de</strong>n Machtstrukturen<br />
einer Gesellschaft zu tun hat, die <strong>de</strong>n materiellen<br />
Erfolg zum Maßstab menschlichen Wertes<br />
erhebt und täglich die physische Gewalt in<br />
Wort und Bild glorifiziert. (...)<br />
Auch wenn wir zwischen <strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s<br />
Lebensstandards und <strong>de</strong>r Lebensqualität zu<br />
wählen haben, geht es letztlich darum, ob wir
Werte o<strong>de</strong>r Strukturen bewahren wollen. Wer<br />
davon überzeugt ist, dass unser ökonomisches<br />
System die kommen<strong>de</strong>n Jahre nur dann ohne<br />
Korrekturen übersteht, wenn das wirtschaftliche<br />
Wachstum wie<strong>de</strong>r voll in Gang kommt,<br />
wird Wachstum zum obersten Ziel <strong>de</strong>r Politik<br />
erheben. Wer fragt, was für die Menschen welchen<br />
Wert habe, wird versuchen, daraus soziale<br />
Indikatoren abzuleiten und daran die Nützlichkeit<br />
wirtschaftlichen Wachstums zu messen.<br />
(Erhard Eppler, En<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>. Von <strong>de</strong>r Machbarkeit<br />
<strong>de</strong>s Notwendigen. Stuttgart 1975, S. 28 – 31)<br />
"Die Technik hat die politische Unschuld<br />
schon lange verloren"<br />
Eberhard von Kuenheim zur Verantwortung <strong>de</strong>r<br />
Unternehmen und <strong>de</strong>n Umgang mit neuen<br />
Technologien: Konstruktive Mitwirkung<br />
Die Technik war über Jahrhun<strong>de</strong>rte mehr Segen<br />
als Fluch. Zwar wur<strong>de</strong>n durch neue Techniken<br />
oft schmerzliche Verän<strong>de</strong>rungen im Leben<br />
<strong>de</strong>r Menschen hervorgerufen: Kriege konnten<br />
durch neue Waffentechniken entschie<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n; soziale Krisen entstan<strong>de</strong>n durch neue<br />
Produktionstechniken. Denken Sie nur an <strong>de</strong>n<br />
Verfall <strong>de</strong>r Handwerkszünfte nach <strong>de</strong>r Einführung<br />
industrieller Metho<strong>de</strong>n im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />
Maschinen wur<strong>de</strong>n damals gestürmt. ,<br />
Aber solche Erschütterungen entstan<strong>de</strong>n ad<br />
<strong>de</strong>n Bruchstellen zwischen Alt und Neu. Hatte<br />
sich die Menschheit auf die technischen Neuerungen<br />
eingelassen, so erwiesen sie sich als<br />
vorteilhaft für alle, als Fortschritt und Segen. Zu<br />
friedlichen Zeiten mehrten sie <strong>de</strong>n Wohlstand<br />
<strong>de</strong>r Völker und führten sie auf nie erwartete<br />
Höhen. Lassen Sie mich das verkürzt auf die<br />
Formel bringen, die ich gerne an dieser Stelle<br />
verwen<strong>de</strong>: Das elektromagnetische Prinzip von<br />
Siemens und die Verbrennungsmotoren von<br />
Otto und Diesel haben die Welt mehr verän<strong>de</strong>rt<br />
als die Theorien von Marx und Lenin.<br />
Heute wird über Technik an<strong>de</strong>rs gedacht, differenzierter,<br />
auch verängstigter. "Die Verheißung<br />
<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Technik ist in Drohung umgeschlagen",<br />
schreibt Hans Jonas und fährt fort:<br />
"Was <strong>de</strong>r Mensch heute tun kann und dann, in<br />
<strong>de</strong>r unwi<strong>de</strong>rstehlichen Ausübung dieses Könnens,<br />
weiterhin zu tun gezwungen ist, hat nicht<br />
seinesgleichen in vergangener Erfahrung.“<br />
32<br />
Lassen Sie mich das, was Hans Jonas und<br />
vielen an<strong>de</strong>ren als bedrohlich erscheint, in drei<br />
Phänomenen zusammenfassen. Ich wer<strong>de</strong> an<br />
ihnen die Chancen <strong>de</strong>r Technik erläutern, die<br />
das mir vorgegebene Thema sind, aber auch<br />
die Gefahren; und mit ihnen möchte ich bewusst<br />
beginnen. -<br />
Die neuartigen Probleme entstehen<br />
1. durch die massenhafte Verbreitung <strong>de</strong>r<br />
technischen Zivilisation über <strong>de</strong>n ganzen<br />
Globus;<br />
2. durch die ungenügen<strong>de</strong> Entsorgung<br />
<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Resten technischen,<br />
Konsums und<br />
3. durch die riskante Anwendung wissenschaftlichen<br />
Wissens und technischer<br />
Geräte.<br />
Wohlstand für alle?<br />
Ich nannte als erstes Problem die massenhafte<br />
Verbreitung <strong>de</strong>r technischen Zivilisation. Gera<strong>de</strong><br />
sie ist <strong>de</strong>r genuine Auftrag <strong>de</strong>r Menschheit<br />
an Wirtschaft und Industrie. Skeptiker mögen<br />
das bezweifeln und darauf verweisen, dass es<br />
je<strong>de</strong>m einzelnen von uns zuför<strong>de</strong>rst um die<br />
Mehrung von Vermögenswerten geht, Aber wir<br />
alle zusammen besorgen die Ausstattung <strong>de</strong>r<br />
Menschen mit Gütern für <strong>de</strong>n Lebensunterhalt<br />
und zu Steigerung <strong>de</strong>r Daseinsmöglichkeiten.<br />
Wir schaffen <strong>de</strong>n „Wohlstand für alle", <strong>de</strong>r einmal<br />
von Ludwig Erhard, <strong>de</strong>m großen bayerischen<br />
Politiker, programmiert wor<strong>de</strong>n ist.<br />
Was aber geschieht, wenn wirklich alle Menschen,<br />
das heißt jetzt fünf, in einem Jahrzehnt<br />
rund sechs Milliar<strong>de</strong>n Menschen diesen technischen<br />
Wohlstand reklamieren? Viele Völker<br />
mögen heute nicht einmal auf <strong>de</strong>m Zivilisationstand<br />
!eben, <strong>de</strong>r in Deutschland vor rund<br />
100 Jahren vorherrschte. Unser Wasserverbrauch<br />
hat sich seither mehr als verdreifacht:-<br />
pro Kopf von 50 auf 150 Liter täglich.<br />
Unser Verbrauch an Primärenergie stieg um<br />
das Zwanzigfache. Allein in <strong>de</strong>n letzten drei<br />
Jahrzehnten hat er sich mehr als verdoppelt.<br />
Was geschieht, wenn 6 Milliar<strong>de</strong>n Menschen<br />
soviel verbrauchen wollen? Man stelle sich<br />
allein die Motorisierung <strong>de</strong>r Bevölkerungen<br />
Sowjetrusslands und Chinas in nordamerikanischem<br />
Ausmaße vor!<br />
Mit unseren <strong>de</strong>rzeitigen Techniken wären dann<br />
die abschätzbaren fossilen Energievorräte<br />
dieses Planeten bald erschöpft. Aber die Lösung<br />
dieses Problems besteht nicht, wie die<br />
alternativen Bewegungen for<strong>de</strong>rn, in einer<br />
Verdrängung <strong>de</strong>s Automobils, generell in einem<br />
Ausstieg aus <strong>de</strong>r Technik. Unsere Chance<br />
besteht in <strong>de</strong>r Entwicklung neuer, auch alterna-
tiver Techniken. Das tat Technik übrigens<br />
schon immer und sie verwirklichte damit schon<br />
immer ein Stück Utopie: Buna war eine Alternative<br />
zum natürlichen Rohstoff Kautschuk,<br />
Indigo eine Alternative zum Purpur und die<br />
Kernkraft eine Alternative zur Kohle (ein Rohstoff,<br />
<strong>de</strong>r übrigens viel zu scha<strong>de</strong> ist, um verbrannt<br />
zu wer<strong>de</strong>n. Mit Uran kann man nichts<br />
an<strong>de</strong>res anfangen).<br />
So scheint es auch jetzt noch utopisch, auf<br />
sogenannte regenerative Energien zu setzen,<br />
wie es manche Gruppen beson<strong>de</strong>rs wortreich<br />
tun. Zwar sind diese Energien bekannt, auch<br />
belasten. sie die Umwelt nicht wie die heute<br />
genutzten und gehen nie zu En<strong>de</strong>. Aber we<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Transport noch die Lagerung von Wasserstoffgas<br />
sind für Großserienanwendungen<br />
technisch bereits beherrscht. Auch ist es Utopie<br />
zu glauben, Solarenergie könnte nennenswerte<br />
Be<strong>de</strong>utung erlangen, solange noch die<br />
Kilowattstun<strong>de</strong> Energie aus fossilen Brennstoffen<br />
bei uns rund fünfzehn Pfennige, in Län<strong>de</strong>rn<br />
mit Kohle zu Weltmarktpreisen sogar nur acht<br />
bis neun Pfennige kostet; während die Energie<br />
aus Sonne und Wasserstoff das rund Zwanzigfache<br />
an Aufwand erfor<strong>de</strong>rt.<br />
In die acht bis fünfzehn Pfennige sind allerdings<br />
die enormen Kosten für die Entwicklung<br />
einer neuen Technologie nicht einkalkuliert, die<br />
die CO2-Belastung <strong>de</strong>r Atmosphäre durch die<br />
Emissionen aus Kohlekraftwerken, Haushaltsheizungen<br />
und Kraftverkehr vermei<strong>de</strong>t. Solarenergie<br />
und Wasserstoff nutzbar zu machen,<br />
ist daher eine Herausfor<strong>de</strong>rung an unsere Ingenieure,<br />
es ist ein technisches Zukunfts- und<br />
<strong>de</strong>nnoch schon Gegenwartsprogramm. Vielleicht<br />
darf ich hier ein Beispiel aus meinem<br />
Haus anführen.<br />
BMW-Forschungsautomobile mit Wasserstoffantrieb<br />
laufen seit vielen Jahren im Probebetrieb.<br />
Eines Tages - aber das mag noch<br />
jahrzehnteweit weit weg sein -, wer<strong>de</strong>n sie<br />
allen zur Verfügung stehen<br />
.Dieser Sachverhalt lässt sich verallgemeinern.<br />
Wir haben die Chance ohne Plün<strong>de</strong>rung unseres<br />
Planeten <strong>de</strong>r ganzen Erdbevölkerung<br />
jenes Maß an Mobilität, an Hygiene, an Informationsstand<br />
und Lebensgütern zu verschaffen,<br />
das für uns Mitteleuropäer „Wohlstand"<br />
be<strong>de</strong>utet. Aber wir sind aufgerufen, dazu neue,<br />
teilweise revolutionär neue, alternative. Technologien<br />
aufzuspüren, zu erproben und anzuwen<strong>de</strong>n.<br />
Dazu bedarf es Zeit und daher Geduld. Um<br />
einer gesicherten Zukunft willen müssen wir die<br />
Chancen nutzen, die uns die Investitionen in<br />
33<br />
solche Forschungen eröffnen, auch wenn wir<br />
nicht wissen, ob und wann wir welche Lösungen<br />
schaffen.<br />
Umweltbelastungen<br />
Können wir uns angesichts <strong>de</strong>r mit diesen Aufgaben<br />
vermutlich verbun<strong>de</strong>nen Geschäfte<br />
nunmehr beruhigt zurücklehnen? Ich fürchte:<br />
nein. In früheren Zeiten mochte es für das.<br />
Unternehmertum genügt haben, wenn es für<br />
die Versorgung <strong>de</strong>r Menschen mit Lebensgütern<br />
tätig war. Heute sind wir aufgerufen, auch<br />
<strong>de</strong>r Entsorgung unser Augenmerk zuzuwen<strong>de</strong>n.<br />
Durch die massenhafte Verwendung technischer<br />
Güter wer<strong>de</strong>n Müll und Son<strong>de</strong>rmüll zu<br />
einem wachsen<strong>de</strong>n Problem. Die Zahl <strong>de</strong>r nicht<br />
recyclebaren Giftstoffe nimmt eher zu als ab,<br />
und selbst Spurenelemente in nur einem Gegenstand<br />
können bei massenhafter Anwendung<br />
Umweltschä<strong>de</strong>n auslösen. (Dabei ist es<br />
nur mo<strong>de</strong>rnsten Messtechniken zuzuschreiben,<br />
dass solche Spuren heutzutage wahrgenommen<br />
wer<strong>de</strong>n!)<br />
Recycling-Technologien sind daher gefragt.<br />
Das ist eine Chance für viele Unternehmen und<br />
für alle Anwen<strong>de</strong>r eine Pflicht. Es ist aber auch<br />
ein politisches Problem. Nicht je<strong>de</strong> Entsorgung<br />
ist unangefochten. Mit Müllverbrennungs- und<br />
Wie<strong>de</strong>raufarbeitungsanlagen stößt die Technik<br />
in politisch sensible Zonen vor. Weil es um die<br />
Zukunft <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s geht, müssen hierzu politische.<br />
Entscheidungen getroffen wer<strong>de</strong>n. Nur<br />
sind die Politiker dabei auf die Expertisen <strong>de</strong>r<br />
Ingenieure angewiesen. Auf jene fällt daher die<br />
eigentliche Verantwortung, und ein Herausre<strong>de</strong>n<br />
gibt es nicht. Die Technik hat die<br />
politische Unschuld lange schon verloren.<br />
Soll man solche Entscheidungen <strong>de</strong>r ganzen<br />
Bevölkerung überantworten!. Mit <strong>de</strong>m Stichwort<br />
Zwentendorf, <strong>de</strong>m betriebsfertigen, aber nach<br />
gegenteiligem österreichischem Volksentscheid<br />
nicht in Betrieb genommenen Kernkraftwerk<br />
ist eine Facette dieses Handlungsmusters<br />
umrissen. Sie wer<strong>de</strong>n sich erinnern,<br />
dass jener Volksentscheid mit <strong>de</strong>m knappestmöglichen<br />
Ergebnis en<strong>de</strong>te. In <strong>de</strong>r Balance von<br />
Hoffnung und Sorgen hatten letztere das marginal<br />
größere Gewicht.<br />
Nicht mit <strong>de</strong>m kühlen Kopf allein, son<strong>de</strong>rn auch<br />
mit <strong>de</strong>m heißen Herzen wur<strong>de</strong> hier entschie<strong>de</strong>n.<br />
Dies beklage ich nicht. Aber ich plädiere<br />
für Entscheidungsprozesse unter Verantwortlichen.<br />
Dazu sind in unserer Kultur die Wissenschaft,<br />
die Technik, die Politik und die Verwaltung,<br />
aufgerufen, nicht aber die politische<br />
Großkundgebung.<br />
Politik und Technik sind in vielfältiger Weise<br />
aufeinan<strong>de</strong>r angewiesen. Ich verkenne nicht
<strong>de</strong>n Rechtfertigungszwang <strong>de</strong>s Politikers gegenüber<br />
seinen Wählern. Auch herrscht im<br />
Wählerpotential häufig erheblicher Sachverstand<br />
vor. Der Informationsstand ist - nicht zuletzt<br />
durch das Berichtswesen <strong>de</strong>r Industrie -<br />
sehr hoch. Dennoch dominieren in Versammlungen<br />
bei <strong>de</strong>r Erörterung technischer Probleme<br />
Lei<strong>de</strong>nschaft, Rhetorik und - eingestan<strong>de</strong>nermaßen<br />
– Angst.<br />
Ich halte nichts von <strong>de</strong>r vorbehaltlosen Übertragung<br />
naturwissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher<br />
Erkenntnisse auf die<br />
Welt sozialer und politischer Gestaltung. Zwar<br />
dürfen wir das Schicksal <strong>de</strong>r Welt nicht <strong>de</strong>n<br />
Weltverbesserern anvertrauen. Aber wir dürfen<br />
uns auch nicht an <strong>de</strong>ren Stelle setzen. Behutsamkeit<br />
ist angebracht.<br />
Der Technikskepsis unserer Tage liegt eine<br />
verständliche Vertrauenskrise zugrun<strong>de</strong>, die<br />
auf <strong>de</strong>r Undurchschaubarkeit technischer Zusammenhänge<br />
beruht. Frühere Generationen<br />
erlebten Gefahren direkt, sozusagen hautnahe.<br />
Die heutigen Gefahren hingegen sind mit<br />
Schlagwörtern beschrieben, die sehr abstrakt<br />
und unverständlich klingen. Die fast ausweglosen<br />
Diskussionen über <strong>de</strong>n Umfang und die<br />
Auswirkungen <strong>de</strong>s Fallout nach <strong>de</strong>m Reaktorunglück<br />
in Tschernobyl zeigten es. Die Technik<br />
steht seither vermehrt im Kreuzfeuer von Kritik<br />
und Verhör bei Millionen Menschen.<br />
Gegen einen solchen Gang <strong>de</strong>r Dinge hilft nur<br />
<strong>de</strong>r Aufbau von Vertrauen; so schwer dies ist.<br />
Politiker stehen dabei oft allein. Vielleicht sollten<br />
wir uns häufiger‘ in die Bresche schlagen<br />
und mit <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s Sachkenners unsere<br />
eigenen Projekte selbst verteidigen.<br />
Haben wir keine Berührungsängste, auch nicht<br />
gegenüber <strong>de</strong>n Grünen! Trotz aller Utopie, die<br />
uns aus ihren Handlungsempfehlungen entgegendringt,<br />
wissen wir, dass sie etwas bewirken.<br />
Sie manövrieren und experimentieren in unbekannten<br />
Gewässern. Viele, ja die meisten dieser<br />
grünen Boote laufen - wenn ich weiter in<br />
<strong>de</strong>m gewählten Bild sprechen darf - auf Sand.<br />
Manche mögen allerdings neue Kanäle ausstechen.<br />
Schiffbar erscheinen sie anfangs<br />
meist nur kleinen Gruppen in schwanken<strong>de</strong>n<br />
Booten.<br />
Zunächst abweichen<strong>de</strong> Maßstäbe wer<strong>de</strong>n in<strong>de</strong>ssen<br />
manchmal später gelten<strong>de</strong> Regel. Die<br />
Grünen organisieren Randgruppen und integrieren<br />
sie in <strong>de</strong>n gesellschaftlichen und politischen<br />
Dialog. Wir müssen das, was sie zu<br />
sagen haben, nicht immer richtig fin<strong>de</strong>n; wir<br />
können es in Anbetracht unseres konkreten<br />
Wissens in vielen Fällen auch nicht billigen. Es<br />
wäre trotz<strong>de</strong>m gut, wenn auch hier <strong>de</strong>r Dialog<br />
funktionierte.<br />
34<br />
Riskante Anwendungen<br />
Bei solchen Dialogen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Ingenieuren<br />
immer wie<strong>de</strong>r die augenfälligen Beispiele<br />
menschlichen Fehlverhaltens vor Augen gehalten.<br />
Ich komme damit - zum dritten großen<br />
Problemkreis meiner Erörterungen und nenne<br />
die Schlussfolgerung gleich vorab: Technik<br />
kann nur dann unsere Chance sein, wenn wir<br />
mit ihr verantwortungsbewusst umgehen. Die<br />
Politiker, ja alle Menschen schlügen sie uns<br />
sonst aus <strong>de</strong>r Hand.<br />
Dass diese Verantwortung eine ganz neue,<br />
bisher nicht gefor<strong>de</strong>rte Dimension hat, ist uns<br />
bewusst. Die neuen Zeit- und Raumhorizonte<br />
unseres Han<strong>de</strong>lns übersteigen das gewohnte<br />
Maß eines Augenblicks und eines Ortes. Hans<br />
Jonas spricht vom „quasi eschatologischen",<br />
also <strong>de</strong>m gera<strong>de</strong>zu endzeitlichen Potenzial<br />
unserer technischen Prozesse.<br />
Die gängigen Stichworte dazu sind Gentechnologie<br />
und Kernkraft. Aber dass es auch Spraydosen<br />
sein können, wird uns immer eindringlicher<br />
vorgehalten. Die möglichen Folgen verfolgen<br />
uns.<br />
Unsere Verantwortung macht dabei an <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utschen Grenze nicht halt. Wir mögen stolz<br />
darauf sein, dass unser Know-how international<br />
gefragt ist. Aber wir haben die Aufgabe,<br />
auch hierbei einen ungerechtfertigten Umgang<br />
mit unseren "Blaupausen" in Rechnung zu<br />
stellen. Dazu ist politische Sensibilität vonnöten.<br />
Unser diesbezügliches Wissen muss <strong>de</strong>m<br />
hohen technischen Wissen entsprechen, über<br />
das wir verfügen. Die Welt rückt viel zu sehr<br />
zusammen, als dass wir uns aus diesem Teil<br />
<strong>de</strong>r Verantwortung für die Gestaltung <strong>de</strong>r Zukunft<br />
verabschie<strong>de</strong>n dürften.<br />
Technische Verfahren, die bei sorgfältigem<br />
Umgang <strong>de</strong>r Menschheit Nutzen stiften, können<br />
in unbefugten Hän<strong>de</strong>n zum Fluch wer<strong>de</strong>n.<br />
Muss aber die Möglichkeit eines verantwortungslosen<br />
Einsatzes <strong>de</strong>r Technik gleich die<br />
ganze Technik unverantwortbar machen? . Ich<br />
meine nicht; <strong>de</strong>nn selbst die. einfachsten<br />
Techniken sind gegen Missbrauch nicht gefeit.<br />
Der: Verantwortung für einen rechten<br />
Gebrauch unserer Waren und unseren<br />
Know-hows können wir uns nicht mehr entziehen:<br />
Das gilt auch noch in einer weiteren Hinsicht<br />
Wer die öffentliche Diskussion beobachtet,<br />
gewinnt <strong>de</strong>n Eindruck, dass wir uns in <strong>de</strong>r<br />
Großtechnik keine Fehler mehr leisten dürfen.<br />
Aber Menschen machen Fehler. Alle Menschen?<br />
Lange Zeit glaubten wir, dabei könne<br />
es sich bloß um Menschen in fernen Län<strong>de</strong>rn<br />
han<strong>de</strong>ln, auch wenn ihr Fehlverhalten auf uns
abstrahlte. Vor kurzem wur<strong>de</strong>n wir, eines an<strong>de</strong>ren<br />
belehrt.<br />
Wir brauchen technische Systeme, die Fehler<br />
tolerieren. Neue Technologien mit geringer<br />
Fehlertoleranz überfor<strong>de</strong>rn ihre Anwen<strong>de</strong>r und<br />
wer<strong>de</strong>n daher wohl zu Recht von <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
abgelehnt. Die Qualität technischer Problemlösungen<br />
wird sich in <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Jahren<br />
daher erstens darin erweisen, dass sie<br />
dauerhaft sind, zweitens aber auch daran, daß<br />
sie sich gutmütig im Gebrauch verhalten. In <strong>de</strong>r<br />
Entwicklung solcher Lösungen liegen unsere<br />
Chancen.<br />
Und <strong>de</strong>nnoch bleibt ein Rest Unbehagen. Was<br />
nützt das fehlertolerante System, über das <strong>de</strong>r<br />
Airbus verfügt, wenn ein Pilot, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Trick kennt, es einfach abschalten<br />
kann? Sie erinnern sich <strong>de</strong>s Absturzes im vergangenen<br />
Jahr bei Mühlhausen. Technik zu<br />
erzeugen und Technik zu nutzen muss be<strong>de</strong>uten,<br />
moralisch zu han<strong>de</strong>ln. Ethik und Technik<br />
sind kein Gegensatz. Sie bedingen heute einan<strong>de</strong>r.<br />
Es ist kein Scha<strong>de</strong>n, dass es dahin kommt.<br />
Wenn wir die Folgen neuer Technologien abschätzen,<br />
ist auch Ethik gefragt. Philosophie<br />
und Technik - und die Sozialwissenschaften -<br />
müssen sich dazu häufiger begegnen. Sie sollten<br />
eine gemeinsame, Sprache fin<strong>de</strong>n. Vielleicht<br />
kommen sie darin auch zu gemeinsamen<br />
Analysen und Vorschlägen.<br />
Technologiefolgen-Abschätzung<br />
Die drei Problemkreise bedürfen zur Bewältigung<br />
vieler technischer Innovationen. Dazu ist<br />
nach allen Erfahrungen nur die Privatwirtschaft<br />
in <strong>de</strong>r Lage - trotz o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> wegen <strong>de</strong>s uns<br />
nachgesagten dominieren<strong>de</strong>n Gewinnstrebens.<br />
Wenn wir die staatlich gelenkten, i<strong>de</strong>ologisch<br />
ausgerichteten Volkswirtschaften dieses Erdballs<br />
mit unseren Verhältnissen vergleichen so<br />
fehlen bei jenen nicht nur das innovative Potential<br />
und die Anstöße aus eigenverantwortlicher<br />
Initiative. Es fehlt vielfach überhaupt ein<br />
Problembewusstsein. Es fehlt eine freie Presse,<br />
die solche, Bewusstseinsrückstän<strong>de</strong> auf<strong>de</strong>ckt<br />
und – äußerst lästig für das jeweilige<br />
Establishment - heftig kritisiert.<br />
Aber we<strong>de</strong>r die Presse noch, <strong>de</strong>r Markt leisten<br />
jene Auskünfte, die wir auf unsere Vorstöße in<br />
technisches Neuland erwarten: Wie umweltverträglich<br />
unsere Erfindungen sind, wie sozial<br />
verträglich unsere Vorhaben. Wir stehen als<br />
private, Unternehmer sehr häufig vor einer<br />
großen Mauer unbekannter Risiken. Und trotz<strong>de</strong>m<br />
müssen wir die Verantwortung zur Tat<br />
übernehmen, <strong>de</strong>nn "die Angst vor <strong>de</strong>m Risiko<br />
ist selbst ein Risiko". Das hat unser bayerischer<br />
Wissenschaftsminister Wolfgang Wild in<br />
35<br />
einem Vortrag über eine neue Ethik <strong>de</strong>r Technik<br />
kürzlich sehr treffend festgestellt.<br />
Für unser Han<strong>de</strong>ln brauchen wir daher <strong>de</strong>n<br />
Dialog mit <strong>de</strong>r Wissenschaft. Diese formiert<br />
sich dazu neu. Technologiefolgen-Abschätzung<br />
ist die da und dort aufkeimen<strong>de</strong> neue Disziplin.<br />
Angesichts <strong>de</strong>r vielfältigen Rückkoppelungen,<br />
um die, es geht, sind <strong>de</strong>ren Spezialisten um die<br />
Schwierigkeit ihrer Aufgabe nicht zu benei<strong>de</strong>n.<br />
Wir Unternehmer aber sind auf-, gerufen, Erkenntnisse<br />
dieser neuen wissenschaftlichen<br />
Fel<strong>de</strong>r so ernst zu nehmen wie nur irgend einen<br />
an<strong>de</strong>ren Handlungsrahmen sonst- Bezeichnen<br />
wir auch dies als eine Chance! Gelingt<br />
uns die Zusammenarbeit hier, nehmen wir<br />
damit die große Chance wahr, dass Technik<br />
wie<strong>de</strong>r zu einem vertrauteren Gegenstand<br />
wird.<br />
Das gilt nicht nur für unser Verhältnis zur Außenwelt.<br />
Es gilt genauso für unsere eigenen<br />
Werke und Büros. Allein zur Aufrechterhaltung<br />
unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit<br />
ist eine hohe Produktivität erfor<strong>de</strong>rlich. Das soll<br />
hier weniger mein Thema sein als <strong>de</strong>r Einzug<br />
neuer Techniken in die Unternehmen und das<br />
sich dadurch wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Verhältnis <strong>de</strong>r Menschen<br />
zueinan<strong>de</strong>r.<br />
Der Kontakt mit <strong>de</strong>n Wissenschaften wird auch<br />
hier neue Chancen erschließen. Die Verwissenschaftlichung<br />
<strong>de</strong>r Industrie drückt sich bereits<br />
in <strong>de</strong>n computergestützten Design- und<br />
Produktionssystemen aus. Ein En<strong>de</strong> dieser<br />
Prozesse ist nicht absehbar. Das technische<br />
Grun<strong>de</strong>lement "Information" vermag <strong>de</strong>n Einsatz<br />
von Energien und Materie, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
technischen Grun<strong>de</strong>lementen, zu reduzieren-<br />
Auch die Schadstofferrussionen verringern<br />
sich. Professor Wild hat in <strong>de</strong>m von mir erwähnten<br />
Vortrag daher die Überzeugung ausgesprochen,<br />
daß wir zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n hochentwickelten<br />
Industrielän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Höhepunkt<br />
<strong>de</strong>r Umweltbelastung erreicht und vermutlich<br />
sogar überschritten haben. Seine Schlussfolgerung:<br />
"Wenn wir <strong>de</strong>r Umweltzerstörung wirksam<br />
begegnen wollen, dann ist die beste Strategie,<br />
<strong>de</strong>n technischen Fortschritt voranzutreiben,<br />
damit umweltbelasten<strong>de</strong> alte Technologien<br />
möglichst rasch durch eine umweltfreundliche<br />
mo<strong>de</strong>rne Technik abgelöst wer<strong>de</strong>n."<br />
Lassen Sie mich hinzufügen dass diese mo<strong>de</strong>rne<br />
Technik auch menschenfreundlicher ist.<br />
Durch sie entstehen neue Arbeitsverhältnisse,<br />
die einen organisatorischen Wandlungsprozess<br />
hervorrufen. Das linear-hierarchische Element<br />
nimmt ab; vernetzte Strukturen, die neue Kompetenzen<br />
erfor<strong>de</strong>rn, nehmen zu. Die menschliche<br />
Arbeit koppelt sich von <strong>de</strong>r Maschine ab.<br />
Sie wird in ihren Bewegungsabläufen selbständig.<br />
Gleichzeitig koppelt sie sich auch von <strong>de</strong>r<br />
Betriebslaufzeit <strong>de</strong>r Maschine ab und eröffnet
damit kapitalintensiven, fortschrittlichen technischen<br />
Lösungen neue Wege. Halten wir selbst<br />
damit Schritt?<br />
Die Taten' einzelner Ingenieure eilen oft <strong>de</strong>m<br />
Verständnis <strong>de</strong>r vielen voraus. Daher besteht<br />
unsere Aufgabe darin, uns möglichst umfassend<br />
auf die Zukunft vorzubereiten. Das gilt in<br />
<strong>de</strong>r Schule, noch mehr aber im Leben selbst<br />
Wir haben bisher die Möglichkeit gehabt, das<br />
Verständnis <strong>de</strong>r Menschen relativ rasch auf.<br />
die Höhe <strong>de</strong>r ihnen verfügbaren Technik anzuheben.<br />
Jetzt müssen sie erstmals mit einem<br />
Lernprozess beginnen, <strong>de</strong>r nicht mehr aufhört.<br />
Sie wer<strong>de</strong>n lebenslang lernen müssen<br />
Rolle <strong>de</strong>s Unternehmers<br />
Was wir von unseren Mitarbeitern erwarten,<br />
müssen wir aber auch selbst leisten. Auch wir<br />
müssen lebenslang lernen. Wir müssen aufgeschlossen<br />
sein, selbst die Gefahren erkennen<br />
und die Konsequenzen unseres Tuns be<strong>de</strong>nken.<br />
Dies braucht nicht hinter <strong>de</strong>r vorgehaltenen<br />
Hand zu geschehen. Unser Wirken ist<br />
öffentlich, ja es vollzieht sich unter <strong>de</strong>n Augen<br />
einer kritischen Öffentlichkeit.<br />
Der unternehmerische Mensch ist gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r,<br />
<strong>de</strong>r auch öffentlich vor großen Problemen nicht<br />
zurückschreckt Da <strong>de</strong>ren Tragweite heute,<br />
unmittelbar je<strong>de</strong>m spürbar wird; erhalten Unternehmer,<br />
die sich hierin in Einklang mit <strong>de</strong>n<br />
Sorgen <strong>de</strong>r Menschheit befin<strong>de</strong>n, erstmals die<br />
Chance, <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s Unternehmertums<br />
selbst in unserer Gesellschaft zum Allgemeingut<br />
wer<strong>de</strong>n zu lassen.<br />
An<strong>de</strong>re - in <strong>de</strong>n USA und in England, - sind uns<br />
auf diesem Weg schon ein Stück vorausgegangen.<br />
Sie haben. Josef Schumpeter wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckt,<br />
<strong>de</strong>n, großen Ökonom, von <strong>de</strong>m<br />
man sagt, dass sein Name die nächsten 25<br />
Jahre prägen wird. Seine Vision von unserer<br />
Rolle in <strong>de</strong>r Gesellschaft wird wie<strong>de</strong>r geschätzt<br />
Der Pionierunternehmer, <strong>de</strong>n er beschrieb,<br />
erlebt weltweit eine Renaissance. Dieser Unternehmer<br />
verhilft im dynamischen Wettbewerb<br />
überlegenen Lösungen zum Durchbruch. Er<br />
treibt <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r "schöpferischen Zerstörung<br />
<strong>de</strong>s Überkommenen" voran. Er ist <strong>de</strong>r<br />
"Motor" für <strong>de</strong>n wirtschaftlichen, technischen<br />
und damit nicht zuletzt für <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />
Fortschritt. Erweisen wir uns dieser Erwartungen<br />
würdig! ( ... )<br />
(Frankfurter Rundschau Nr. 93, 21.04.1989, S.10)<br />
36
Blockierer unter Druck<br />
VON MARTIN WINTER<br />
Die europäische Verfassung ist an <strong>de</strong>r Verfassung Europas<br />
gescheitert. Die Hoffnung auf einen gemeinsamen Willen hat sich<br />
als verfrüht erwiesen. Die große Perspektive einer starken,<br />
handlungsfähigen und weltzugewandten Europäischen Union ist<br />
über kleinliche Machtfragen ins Stolpern geraten. Das Debakel<br />
von Brüssel gibt <strong>de</strong>n Blick schonungslos frei auf <strong>de</strong>n Zustand<br />
Europas: Es ist noch nicht so weit. Tiefe Risse durchziehen die<br />
EU. Hier Integrationisten, <strong>de</strong>nen das Zusammenwachsen Europas<br />
auch <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Aufgabe nationaler Macht wert ist. Dort<br />
Utilitaristen, die die EU vor allem als einen Topf begreifen, aus<br />
<strong>de</strong>m man sich bedient. Dazwischen die Indifferenten. Dass am<br />
En<strong>de</strong> einer langen Debatte über das gemeinsame<br />
Selbstverständnis über diese Gräben keine belastbaren Brücken<br />
gebaut wer<strong>de</strong>n konnten, das ist die eigentliche Nie<strong>de</strong>rlage.<br />
Die Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r EU nach Osten trägt daran eine Mitschuld.<br />
Es war ein schwerer Fehler, die Erweiterung zu beschließen, ohne<br />
die Vertiefung gesichert zu haben. Dabei war von Anbeginn klar,<br />
dass die Aufnahmen nur dann nicht zur Lähmung <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaft führen, wenn die sich handlungsorientierte innere<br />
Strukturen gibt, die ausreichend blocka<strong>de</strong>resistent sind. Der vom<br />
Reformkonvent vorgelegte Verfassungsvertrag leistet genau<br />
dieses. Für die Protagonisten <strong>de</strong>r Erweiterung muss es bitter sein,<br />
dass ihr Versprechen von Erweiterung und Vertiefung zugleich,<br />
nicht allein, aber doch wesentlich, an Polen gescheitert ist. [...]<br />
Um Europa auf <strong>de</strong>m Weg zu einer dynamischen Union <strong>de</strong>r<br />
Staaten zu führen, die nicht nur nach innen schaut, son<strong>de</strong>rn auch<br />
jener weltpolitischen Verantwortung gerecht wird, die ihr aus ihrer<br />
ökonomischen, militärischen und politischen Größe erwächst,<br />
müssen jetzt die europäischen Grün<strong>de</strong>rstaaten Frankreich, Italien,<br />
Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Belgien, Luxemburg und Deutschland die Initiative<br />
ergreifen. Als Mütter und Väter <strong>de</strong>s großen Vorhabens Europa<br />
stehen sie stärker als an<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Pflicht, es voranzutreiben.<br />
Das muss unter ausdrücklicher Einladung an alle geschehen, die<br />
integrationswillig sind. Es muss aber auch klare Grenzen ziehen<br />
zu jenen, die Europa Fesseln anlegen wollen. Denn es wäre das<br />
En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Europäischen Union, wenn sie sich ihre Richtung und<br />
ihre Geschwindigkeit von <strong>de</strong>n Langsamen und <strong>de</strong>n Unwilligen<br />
aufzwingen ließe.<br />
113 Politik-LK –Materialien – 26.11.04<br />
Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />
(FR 15. <strong>12</strong>. 2003, S. 3)<br />
Aufgaben:<br />
1. Legen Sie <strong>de</strong>n Gedankengang <strong>de</strong>s Autors dar.<br />
2. Worin sieht <strong>de</strong>r Autor die wesentlichen Grün<strong>de</strong> für das Scheitern<br />
<strong>de</strong>r EU-Verfassung?<br />
3. Prüfen Sie, ob durch das Scheitern <strong>de</strong>r EU-Verfassung die<br />
„Blockierer“ ihre Ziele erreicht haben. Gehen Sie dabei auf<br />
frühere Verträge ein.<br />
4. Inwieweit war die EU-Verfassung geeignet, das<br />
Demokratie<strong>de</strong>fizit <strong>de</strong>r EU abzubauen?<br />
Erwartungshorizont:<br />
Aufgabe 1(Gedankengang <strong>de</strong>s Autors) [4 Punkte]:<br />
Verfassung ist an <strong>de</strong>r Struktur Europas gescheitert. 1 Punkt<br />
Struktur ist gekennzeichnet durch kleinliche, nationale Machtfragen.1 Punkt<br />
Osterweiterung war zu früh. 1 Punkt<br />
Grün<strong>de</strong>rstaaten müssen die Zukunftsinitiative ergreifen, ohne Rücksicht auf<br />
die Unwilligen. 1 Punkt<br />
Aufgabe 2 (Grün<strong>de</strong> für das Scheitern) [11 Punkte]:<br />
Probleme <strong>de</strong>r EU zwischen Integration und Unterstützungssystem nicht<br />
geklärt.<br />
Integrationisten: Befürworter <strong>de</strong>s Zusammenwachsens, Akzeptanz <strong>de</strong>s<br />
Souveränitätsverlusts<br />
Utilitaristen: Sie wollen nur <strong>de</strong>n wirtschaftlichen und finanziellen Nutzen aus<br />
<strong>de</strong>r EU schöpfen. 6 Punkte<br />
Die Struktur <strong>de</strong>r EU ist zur Zeit noch geprägt von <strong>de</strong>r Blocka<strong>de</strong>möglichkeit<br />
einzelner Staaten o<strong>de</strong>r Staatengruppen. Ursächlich ist also die<br />
Abstimmungsregelung dafür verantwortlich, dass es keine Verfassung gibt.<br />
2 Punkte<br />
Schlussfolgerung:<br />
Die Verfassung ist daran gescheitert, dass zu viele integrationsunwillige<br />
Staaten beteiligt sind. 3 Punkte<br />
Aufgabe 3 (Erfolg <strong>de</strong>r Blockierer?) [14 Punkte]:<br />
Abstimmungsmodalitäten und Anzahl <strong>de</strong>r Kommissare sind bereits in<br />
früheren Verträgen festgelegt wor<strong>de</strong>n. 2 Punkte<br />
Abstimmungsmodalitäten zuletzt in <strong>de</strong>n Verträgen von Maastricht (1995),<br />
Amsterdam (1997) und Nizza (2001), früher bereits in <strong>de</strong>r Einheitlichen<br />
Europäischen Akte (1987): Einführung <strong>de</strong>r „qualifizierten Mehrheit“.<br />
3 Punkte<br />
Durch unterschiedliche Stimmengewichtung <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r auch<br />
Benachteiligung <strong>de</strong>r kleineren Län<strong>de</strong>r. 2 Punkte<br />
Das frühere Einstimmigkeitsgebot (das auf Frankreich zurückging) ist<br />
bereits seit Maastricht überwun<strong>de</strong>n. 2 Punkte<br />
Schlussfolgerung: Die Befürchtung kleinerer Län<strong>de</strong>r, überstimmt zu wer<strong>de</strong>n,<br />
ist nicht erst durch die EU-Verfassung ermöglicht wor<strong>de</strong>n; die Grün<strong>de</strong> für<br />
die Ablehnung sind vielmehr im agrarpolitischen Bereich (Spanien) bzw. im<br />
finanzpolitischen Bereich (Polen) o<strong>de</strong>r im strukturellen Aufbau <strong>de</strong>r EU zu<br />
suchen. 5 Punkte<br />
Aufgabe 4 (Demokratie<strong>de</strong>fizit) [11 Punkte]:<br />
Aspekte <strong>de</strong>s Demokratie<strong>de</strong>fizits <strong>de</strong>r EU:<br />
Parlament relativ inkompetent im Bereich <strong>de</strong>r Legislativen (trotz <strong>de</strong>s<br />
Gemeinsamen Standpunktes)<br />
Legislative durch die Angehörigen <strong>de</strong>r nationalen Exekutiven<br />
Europäische Exekutive (Kommission) wird durch die nationale Exekutive<br />
(=europäische Legislative) legitimiert. 5 Punkte<br />
Prinzipielle Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zuständigkeiten waren in <strong>de</strong>r EU-Verfassung<br />
nicht vorgesehen.<br />
Grün<strong>de</strong>: Die eigentliche Machtausübung erfolgt in <strong>de</strong>n Nationalstaaten<br />
durch die nationalen Exekutiven, die dort auch von Wählern wie<strong>de</strong>rgewählt<br />
wer<strong>de</strong>n wollen. 6 Punkte
Keine Verfassung – aber doch mehr als ein Stück Papier<br />
Mit <strong>de</strong>r Erklärung von Nizza ist <strong>de</strong>r Weg <strong>de</strong>r EU-Grundrechte-<br />
Charta längst nicht zu En<strong>de</strong><br />
Eigentlich hatte die <strong>de</strong>utsche Regierung, die die I<strong>de</strong>e einer<br />
Grundrechte-Charta im Juni 1999 während ihrer EU-Ratspräsi<strong>de</strong>ntschaft<br />
auf <strong>de</strong>m Gipfel in Köln auf <strong>de</strong>n Tisch <strong>de</strong>r Union<br />
gelegt hatte, an eine Aufnahme <strong>de</strong>s Rechtekatalogs in die europäischen<br />
Verträge gedacht. Doch <strong>de</strong>m stan<strong>de</strong>n massive<br />
Be<strong>de</strong>nken, vor allem aus Großbritannien aber auch aus einigen<br />
nordischen Staaten entgegen. Die lehnen je<strong>de</strong> Art von<br />
europäischer Verfassung aus <strong>de</strong>r Furcht ab, dass man sich damit<br />
auf <strong>de</strong>n Weg zu einem europäischen Bun<strong>de</strong>sstaat begeben<br />
könnte. So blieb <strong>de</strong>m EU-Gipfel in Nizza jetzt nur <strong>de</strong>r Weg einer<br />
„Erklärung“. Damit ist die von einem Konvent unter Vorsitz <strong>de</strong>s<br />
ehemaligen Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nten Roman Herzog in neun Monaten<br />
erarbeitete und in Form einer Verfassung geschriebene Charta für<br />
<strong>de</strong>n europäischen Bürger nicht direkt nutzbar. Er kann mit ihr nicht<br />
zu Gericht gehen und klagen.<br />
Aber das heißt nicht, dass die Charta nutzlos wäre bei <strong>de</strong>r<br />
Sicherung <strong>de</strong>r Grundrechte in <strong>de</strong>r EU. Als „Erklärung« drückt sie<br />
<strong>de</strong>n politischen Willen <strong>de</strong>r Mitgliedsstaaten aus und damit können<br />
<strong>de</strong>r Europäischen Gerichtshof, aber auch Gerichte in <strong>de</strong>n<br />
einzelnen Län<strong>de</strong>rn bei <strong>de</strong>r Auslegung europäischen Rechtes<br />
darauf zurückgreifen. In <strong>de</strong>r Praxis vor allem <strong>de</strong>s Gerichtshofes in<br />
Luxemburg kann das von großer Be<strong>de</strong>utung sein. Schon heute<br />
bedient man sich dort bei <strong>de</strong>r Interpretation <strong>de</strong>s EU-Rechtes auch<br />
an<strong>de</strong>rer als rein rechtlicher Quellen.<br />
So könnte, wenn auch durch die Hintertür erreicht wer<strong>de</strong>n, was<br />
<strong>de</strong>r eigentliche Sinn <strong>de</strong>r Charta ist: <strong>de</strong>m europäischen Bürger<br />
erstmals in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r EU ein Instrument an die Hand zu<br />
geben, seine Rechte individuell gegen die Union durchzusetzen.<br />
Die in mehr als 50 Artikel unterteilte Charta reicht von <strong>de</strong>n klassischen<br />
Freiheitsrechten <strong>de</strong>r Bürger bis zu sozialen und<br />
wirtschaftlichen Rechten.<br />
Verfassungsrechtliches Neuland betritt die Charta mit <strong>de</strong>m Verbot<br />
<strong>de</strong>s „reproduktiven Klonens von Menschen“.<br />
Mit <strong>de</strong>r Erklärung von Nizza ist <strong>de</strong>r Weg <strong>de</strong>r Grundrechte-Charta<br />
allerdings noch nicht zu En<strong>de</strong>, Auch wenn die Chancen noch recht<br />
gering sind, sie eines Tages als Bestandteil einer europäischen<br />
Verfassung zu verabschie<strong>de</strong>n, wird über ihren Rang weiter<br />
politisch verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Denn in Nizza wer<strong>de</strong>n sich die<br />
Staats- und Regierungschefs auf beson<strong>de</strong>res Drängen <strong>de</strong>r<br />
Deutschen wohl an diesem Wochenen<strong>de</strong> darauf einigen, von zirka<br />
2004 an eine weitere Reformanstrengung zu beginnen. Dann soll<br />
über eine klarere Kompetenzverteilung zwischen Europäischer<br />
Union und Mitgliedslän<strong>de</strong>rn verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n - ein beson<strong>de</strong>rer<br />
Wunsch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r.<br />
Das wildwuchsähnliche europäische Vertragssystem soll<br />
übersichtlicher und damit bürgerfreundlicher neugeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />
Und es soll <strong>de</strong>r Einstieg in eine europäische<br />
Verfassungsdiskussion gesucht wer<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>ren Kern die<br />
Grundrechte-Charta notwendig gehören müsste.<br />
Martin Winter (Nizza), in: Frankfurter Rundschau vom 8. <strong>12</strong>. 2000<br />
S. 7<br />
113 Politik-LK –Materialien – 26.11.04<br />
Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />
Aufgaben:<br />
1. Beschreiben Sie, was im Text unter <strong>de</strong>m Begriff „Grundrechte-<br />
Charta“ verstan<strong>de</strong>n wird.<br />
2. Begrün<strong>de</strong>n Sie anhand von Beispielen, warum die Grundrechte-<br />
Charta“ nicht unmittelbar Bestandteil <strong>de</strong>r Vertragstexte wur<strong>de</strong>.<br />
Gehen Sie dabei auf die <strong>de</strong>nnoch positive Beurteilung <strong>de</strong>r<br />
Charta durch <strong>de</strong>n Autor <strong>de</strong>s Textes ein.<br />
3. In Nizza wer<strong>de</strong>n auch weitere Vorschläge zur Reformierung <strong>de</strong>r<br />
EU zur Diskussion stehen. Beurteilen Sie die Erfolgsausssichten<br />
zur Realisierung einer europäischen Verfassung einerseits und<br />
<strong>de</strong>r übrigen Vorschlägen zur Demokratisierung <strong>de</strong>r EU<br />
an<strong>de</strong>rerseits.<br />
4. Überprüfen Sie die Behauptung, dass die EU an einem<br />
Demokratie<strong>de</strong>fizit lei<strong>de</strong>.<br />
Erwartungshorizont:<br />
Aufgabe 1:<br />
Grundrechte-Charta = gemeinsame Erklärung, die keinen<br />
rechtsverbindlichen Charakter hat<br />
Reine Absichtserklärung<br />
Sie hat für EU-Bürger keine Konsequenzen, da ihre Einhaltung vor keinem<br />
Gericht eingeklagt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Sie ist für EU-Gerichte lediglich erklären<strong>de</strong>r Text bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r<br />
übrigen Rechtsvorschrifte<br />
Sie beinhaltet<br />
- bürgerlich-liberale Grundrechte (Freiheitsrechte)<br />
- soziale Rechte<br />
- wirtschaftliche Rechte<br />
- Verbot <strong>de</strong>s reproduktiven Klonens (neues Recht)<br />
Aufgabe 2:<br />
Verschie<strong>de</strong>ne Staaten haben grundsätzlich Vorbehalte vor einer<br />
Ausweitung <strong>de</strong>s Rechtscharakters <strong>de</strong>r EU.<br />
Sie lehnen die Ausweitung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sstaates und damit die Reduzierung<br />
ihrer Souveränität ab.<br />
Zu diesen Län<strong>de</strong>rn gehören insbeson<strong>de</strong>re Frankreich und Großbritannien.<br />
Aufgabe 3:<br />
Grundsätzliche Be<strong>de</strong>nken bleiben erhalten, da nationale Politiker in<br />
nationalen Wahlen wie<strong>de</strong>rgewählt wer<strong>de</strong>n wollen; kein Verzicht auf<br />
nationale Machtausübung zu erwarten ist.<br />
Ausweitung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>s europäischen Parlaments nicht zu erwarten,<br />
da die nationalen Politiker auf <strong>de</strong>r europäischen Ebene die Macht nicht aus<br />
<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n geben wollen.<br />
Die Anzahl <strong>de</strong>r Kommissionsmitglie<strong>de</strong>r wird nicht reduziert wer<strong>de</strong>n, da<br />
dies ein Einflussverlust <strong>de</strong>s jeweiligen betroffenen Nationalstaates be<strong>de</strong>utet.<br />
Das Einstimmigkeitsprinzip wird nur modifiziert, nicht aber zugunsten <strong>de</strong>s<br />
Mehrheitsprinzips abgeschafft wer<strong>de</strong>n.<br />
Urteil und Argumente<br />
Aufgabe 4:<br />
Demokratie<strong>de</strong>fizit = Europäische Legislative ist Ministerrat/Europa-<br />
Gipfel; die Minister sind aber nur nationalstaatlich <strong>de</strong>mokratisch legitimiert.<br />
Europa Parlament hat keine echte Gesetzgebungskompetenz; auch <strong>de</strong>r<br />
Gemeinsame Standpunkt wird durch die Kommission und <strong>de</strong>n Minister-<br />
Rat dominiert.<br />
Ins<strong>gesamt</strong> fehlt die <strong>de</strong>mokratische Legitimation als<br />
Repräsentationsorgan in <strong>de</strong>r Gesetzgebung
,,Wir wollen kein un<strong>de</strong>mokratisches Europa"<br />
Drei ehemalige Verfassungsrichter sehen einen „fatalen<br />
Verfassungskonflikt“ auf die Bun<strong>de</strong>srepublik zukommen, falls<br />
<strong>de</strong>mokratische Prinzipien wie Parlamentarismus und Wahlen Rechtsstaat<br />
und Sozialstaat, Fö<strong>de</strong>ralismus und Gewaltenteilung unter <strong>de</strong>r Vertiefung<br />
<strong>de</strong>r europäischen Integration litten.<br />
Die Verträge von Maastricht sind <strong>de</strong>r erste <strong>de</strong>utliche Schritt zu einem<br />
europäischen Bun<strong>de</strong>sstaat. Noch bevor die Dänen spektakulär nein zu<br />
ihnen sagten, regte sich auch bei uns Skepsis. Verfassungsjuristen wur<strong>de</strong><br />
bang bei <strong>de</strong>r Frage: Wieviel, o<strong>de</strong>r besser: Wie wenig Demokratie enthält <strong>de</strong>r<br />
Zukunftsentwurf von Europa? Wir fragten nach bei drei ehemaligen<br />
Verfassungsrichtern, Handwerkern unseres Grundgesetzes. Alle drei sind<br />
unverdächtig, Europa-Gegner zu sein; ja, sie sind überzeugte Europäer.<br />
Um so mehr überrascht die Schärfe, die Grundsätzlichkeit und <strong>de</strong>r<br />
Gleichklang ihrer Kritik. (...)<br />
Die fundamentalen <strong>de</strong>mokratischen Prinzipien sind in <strong>de</strong>r EG bisher<br />
vernachlässigt wor<strong>de</strong>n. Darüber führen alle drei Gesprächspartner Klage.<br />
Sie monieren das Wegsehen <strong>de</strong>r Politiker, <strong>de</strong>n Mangel an Diskussion, das<br />
fehlen<strong>de</strong> Problembewußtsein. Das EG-Recht wer<strong>de</strong> nicht von einem<br />
<strong>de</strong>mokratisch gewählten Parlament erlassen, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Kornmission<br />
und <strong>de</strong>m Ministerrat in Brüssel. Benda: ,,Das ist ein Übergang von <strong>de</strong>r<br />
Legislative auf die Exekutive. Damit gerät das Demokratieprinzip ins<br />
Rutschen, zumal das Europäische Parlament auch nach Maastricht beklagenswert<br />
schwach ist." Die Schwäche <strong>de</strong>s Straßburger Parlaments zeige<br />
sich am Fehlen <strong>de</strong>s Budgetrechts, <strong>de</strong>r Bestimmung über Haushalt und Geld<br />
- die vornehmste Kompetenz <strong>de</strong>s Parlaments.. Simon: ,,Das EG-Recht wird<br />
nicht durch parlamentarisch verantwortliche und vom Volk gewählte<br />
Gremien verabschie<strong>de</strong>t." Zu harscher Kritik, die von einer Rätediktatur in<br />
Brüssel spricht. sagt Simon knapp: “Das ist nicht ganz abwegig." Und<br />
weiter: „Ich hatte die Übertragung von Hoheitsrechten, welche die EG-<br />
Behör<strong>de</strong>n ermächtigt in Grundrechtsbereiche unserer Staatsbürger<br />
einzugreifen ohne parlamentarischen Unterbau -, für verfassungswidrig."<br />
Auf einen an<strong>de</strong>ren Gesichtspunkt weist Hesse hin, auf die parlamentarische<br />
Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung: ,,Was soll eigentlich die<br />
Regierung dort, wo sie an die Brüsseler Beschlüsse gebun<strong>de</strong>n ist,<br />
parlamentarisch verantworten können? Also auch die Kontrollrechte <strong>de</strong>s<br />
Bun<strong>de</strong>stages wer<strong>de</strong>n stark ausgehöhlt." (. ..)<br />
Alle drei ehemaligen Richter beanstan<strong>de</strong>n, daß hier lauter <strong>de</strong>mokratische<br />
Staaten aus bestem Willen einen un<strong>de</strong>mokratischen Überstaat schaffen.<br />
Simon.' ,,Man ist sich nicht ganz klar über <strong>de</strong>n staatsrechtlichen und völkerrechtlichen<br />
Charakter dieses neuen Europa. Das ist im Wirtschaftlichen<br />
gewachsen und politisch unterernährt geblieben ... Europa ist eben ein<br />
kompliziertes Gebil<strong>de</strong>."<br />
Benda: ,,Sollte sich die Gemeinschaft zu einem echten europäischen<br />
Bun<strong>de</strong>sstaat entwickeln, wie es Maastricht vorsieht, so ist die Position, das<br />
Schwergewicht für die Entscheidungen auf die Exekutive zu legen, nicht<br />
mehr zu halten. Wenn wir Europa wollen, und wir wollen es, dann müssen<br />
wir es auch als ein <strong>de</strong>mokratisches Gemeinwesen wollen. Ich je<strong>de</strong>nfalls<br />
wür<strong>de</strong> es nicht an<strong>de</strong>rs wollen!" Auch <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stag, ,,das zentrale<br />
Verfassungsorgan", verliere kräftig an Einfluß; er habe das nur noch nicht<br />
gemerkt. Konrad Hesse fragt: ,,Wie weit darf eigentlich die Bun<strong>de</strong>srepublik<br />
diese I<strong>de</strong>ntitätsän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Grundgesetzes mitmachen - im Hinblick<br />
darauf, daß ihre eigene <strong>de</strong>mokratische Ordnung o<strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>staatliche<br />
Ordnung im Kern nicht mehr gewahrt sind?" Und Simon: ,,Der europäische<br />
Bereich ist verfassungsrechtlich ganz schön durchsetzt mit Defiziten. Hier<br />
passieren auf schleichen<strong>de</strong> Weise außeror<strong>de</strong>ntlich tiefgreifen<strong>de</strong><br />
Verän<strong>de</strong>rungen, ohne daß unsere Staatsrechtslehre das beachtet und sagt,<br />
wie unmöglich das ist! Wenn wir Europa wollen, müssen wir mehr tun in<br />
Richtung auf das Europäische Parlament. Ich will kein Europa, wo ein paar<br />
Minister Entscheidungen treffen mit Folgewirkungen für unseren<br />
Grundrechtsbereich!“<br />
113 Politik-LK –Materialien – 26.11.04<br />
Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />
Hanno Kühnert: in: DIE ZEIT vom 26.6.1992<br />
Zit . nach Der Weg zur Europäischen Union,<br />
Reihe ‚Kontrovers‘ , hrsg. von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sz. f.<br />
Pol. Bildung Bonn 1995<br />
Aufgaben:<br />
1. Stellen Sie jeweils die wesentlichen Aussagen <strong>de</strong>r drei<br />
Verfassungsrichter zusammen.<br />
2. Beschreiben Sie die europäischen Institutionen und skizzieren Sie kurz<br />
<strong>de</strong>ren Funktionen.<br />
3. Erläutern Sie, worin die Verfassungsrichter die Gefahren <strong>de</strong>r<br />
europäischen politischen Ordnung sehen.<br />
4. Skizzieren und beurteilen Sie Möglichkeiten, <strong>de</strong>m europäischen<br />
politischen System zu größerer Akzeptanz in <strong>de</strong>r Bevölkerung zu verhelfen.<br />
Erwartungshorizont:<br />
Aufgabe 1:<br />
Benda: Legislative geht auf Exekutive über: un<strong>de</strong>mokratische Entwicklung<br />
Schwächen <strong>de</strong>s Parlaments: es hat kein Budgetrecht<br />
Zukunft <strong>de</strong>s europäischen Staates nur in <strong>de</strong>mokratischen Strukturen<br />
Simon: Keine Rechtsetzung durch <strong>de</strong>mokratisch Legitimierte<br />
Verfassungsrechtliche fragwürdige Rechtsetzung vor allem im<br />
Grundrechtsbereich<br />
Hesse: keine Regierungsverantwortlichkeit für EG-Recht<br />
kein Handlungsspielraum für nationale Parlamente<br />
Bun<strong>de</strong>stag wird ohne sein Wissen entmachtet;<br />
Aufgabe 2:<br />
Europäischer Rat<br />
Ministerrat<br />
Kommission<br />
Europäisches Parlament<br />
Beschreibung <strong>de</strong>r Institutionen und ihrer Funktionen<br />
Aufgabe 3:<br />
Vor allem Simon und Hesse sehen in <strong>de</strong>r politischen Entwicklung<br />
Gefahren:<br />
Das <strong>de</strong>mokratische Grundprinzip, wonach <strong>de</strong>mokratisch Legitimierte (=<br />
Parlamente) nur Recht setzen können, wird ausgehöhlt.<br />
Bun<strong>de</strong>stag stimmt seiner eigenen Entmachtung zu.<br />
Regierungen sind für ihre politischen Entscheidungen vor <strong>de</strong>m Parlament<br />
nicht mehr verantwortlich.<br />
Aufgabe 4:<br />
Möglichkeiten:<br />
Kommission müßte Vorlagen an EU-Parlament zur Entscheidung geben.<br />
Entscheidungen <strong>de</strong>s Ministerrates o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Europäischen Gipfels müßten<br />
vom EU-Parlament bestätigt wer<strong>de</strong>n.<br />
Europäisches Parlament müßte Rechtsetzungsfunktion haben.<br />
O<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Möglichkeiten<br />
bewertet wird die Argumentation.
Neue Weltwirtschaftsordnung<br />
Ungleiche Wirtschaftsbeziehungen - Erbe <strong>de</strong>s Kolonialismus<br />
Zwischen einzelnen Län<strong>de</strong>rn und Staatengruppen, insbeson<strong>de</strong>re aber zwischen <strong>de</strong>n Industrie- und <strong>de</strong>n<br />
Entwicklungslän<strong>de</strong>rn bestehen vielfältige wirtschaftliche Verflechtungen. Die Industrielän<strong>de</strong>r produzieren<br />
und han<strong>de</strong>ln mit industriellen Fertigprodukten, die hohe, ständig steigen<strong>de</strong> Preise auf <strong>de</strong>m Weltmarkt<br />
erzielen. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r sind Lieferanten von Rohstoffen und Halbfertigwaren, <strong>de</strong>ren<br />
Weltmarktpreis <strong>de</strong>utlich niedriger ist. Diese ungleichen Wirtschaftsbeziehungen bil<strong>de</strong>ten sich im Zeitalter<br />
<strong>de</strong>s Kolonialismus heraus und spiegeln die Abhängigkeit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn<br />
wi<strong>de</strong>r. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r sind abhängig von Gütern, Dienstleistungen, Geld, Informationen und<br />
an<strong>de</strong>ren Leistungen aus <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn, weil sie wirtschaftlich einseitig und gering entwickelt sind.<br />
Weltwirtschaftsordnung - was ist das?<br />
Die Wirtschaftsodnung zeigt ein großes<br />
Ungleichgewicht zu Ungunsten <strong>de</strong>r<br />
Entwicklungslän<strong>de</strong>r. Diese spielen in <strong>de</strong>r<br />
Weltwirtschaft nur eine untergeordnete Rolle,<br />
obwohl auf sie die Mehrheit <strong>de</strong>r Weltbevölkerung<br />
entfällt.<br />
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Die Weltwirtschaft umfasst die Gesamtheit <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Beziehungen und Verflechtungen <strong>de</strong>r<br />
Staaten miteinan<strong>de</strong>r. Dazu gehören die internationale Arbeitsteilung und die damit verbun<strong>de</strong>ne räumliche<br />
Differenzierung <strong>de</strong>r Güterproduktion, <strong>de</strong>r Welthan<strong>de</strong>l und <strong>de</strong>r internationale Zahlungsverkehr. Die<br />
Weltwirtschaftsordnung gibt die Struktur und die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen vor,<br />
nach <strong>de</strong>nen sich die weltweite Wirtschafts- und Han<strong>de</strong>lspolitik ausrichtet. Internationale Institutionen und<br />
Organisationen (z.B. Weltbank, Welthan<strong>de</strong>lsorganisation), Han<strong>de</strong>lsverträge, Zoll- und<br />
Währungsabkommen dienen <strong>de</strong>r Überwachung, Beeinflussung und Steuerung <strong>de</strong>r internationalen<br />
Wirtschaftsbeziehungen. Die Hauptakteure in <strong>de</strong>r Weltwirtschaft sind die Industrie- und die<br />
Entwicklungslän<strong>de</strong>r, zwischen <strong>de</strong>nen starke wirtschaftliche Beziehung bestehen.<br />
Die aktuelle Weltwirtschaftsordnung<br />
Die gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung beruht auf <strong>de</strong>n Wirtschaftsbeziehungen, die sich einst zwischen<br />
Kolonialmacht und Kolonie herausgebil<strong>de</strong>t haben. Alle wichtigen Akteure <strong>de</strong>r Weltwirtschaft wie<br />
Welthan<strong>de</strong>lsorganisationen, Weltbank und multinationale Konzerne beherrschen von <strong>de</strong>n<br />
Industrielän<strong>de</strong>rn aus die Weltwirtschaft. Die Programme von Weltbank und Internationalem<br />
Währungsfonds dienen großenteils <strong>de</strong>n wohlhaben<strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn zur Durchsetzung <strong>de</strong>r eigenen<br />
Interessen. Direktinvestitionen <strong>de</strong>r multinationalen Konzerne in <strong>de</strong>n Entwicklungslän<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n
vorwiegend zur Sicherung von Rohstoffquellen getätigt, zur Lohnkostenersparnis und Senkung von<br />
Nebenkosten (Umweltschutz, Transport, Zoll usw.) sowie zur Sicherung von Absatzmärkten.<br />
Kennzeichen <strong>de</strong>r gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung ist die starke wirtschaftliche<br />
Abhängigkeit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn.<br />
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Auf die Industrielän<strong>de</strong>r entfallen zwar nur 15% <strong>de</strong>r Weltbevölkerung, sie kontrollieren jedoch drei Viertel<br />
<strong>de</strong>s <strong>gesamt</strong>en Welthan<strong>de</strong>ls. Dagegen haben die ärmsten und am wenigsten entwickelten Län<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />
Weltexporten nur einen Anteil von knapp 1%. Viele Industrielän<strong>de</strong>r bemühen sich zu<strong>de</strong>m, ihre eigene<br />
Industrie durch Importbeschränkungen vor <strong>de</strong>r Konkurrenz billigerer Produkte aus Entwicklungslän<strong>de</strong>rn<br />
zu schützen. Vor allem aber lei<strong>de</strong>n die Entwicklungslän<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n relativ niedrigen Weltmarktpreisen<br />
für Rohstoffe und Agrarprodukte und <strong>de</strong>n dadurch bedingten ungleichen Tauschverhältnissen zwischen<br />
Export- und Importwaren. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r hängen vom Rohstoffbedarf ihrer Abnehmer, <strong>de</strong>r<br />
Industrielän<strong>de</strong>r, ab und Letztere bestimmen ihrer Marktmacht entsprechend die Preise und damit die<br />
Einnahmen <strong>de</strong>r Lieferlän<strong>de</strong>r.<br />
Die neue Weltwirtschaftsordnung<br />
Die Regierungen <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r for<strong>de</strong>rn zu Recht eine neue Weltwirtschaftsordnung, bei <strong>de</strong>r sie<br />
nicht von <strong>de</strong>n wirtschaftlich stärkeren Industrielän<strong>de</strong>rn ausgebeutet wer<strong>de</strong>n son<strong>de</strong>rn gleichberechtigter<br />
Partner sind. Eine neue, gerechtere Weltwirtschaftsordnung konnte aber wegen <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Industrielän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>s Einflusses <strong>de</strong>r multinationalen Konzerne bis heute nicht verwirklicht wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r for<strong>de</strong>rn eine neue Weltwirtschaftsordnung, die eine gerechte und<br />
ausgewogene Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungslän<strong>de</strong>rn garantieren<br />
soll.
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Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r verlangen die volle Verfügungsgewalt über ihre Ressourcen und das Recht auf<br />
Verstaatlichung ausländischen Besitzes nach nationalstaatlichen Regelungen, um die Ausbeutung ihrer<br />
Rohstoffe und Arbeitskräfte zu verhin<strong>de</strong>rn. Sie wollen stabile Rohstoffpreise, die an <strong>de</strong>n Preisen von<br />
Fertigwaren orientiert sind, die Abschaffung von Zollschranken und Han<strong>de</strong>lsbeschränkungen sowie eine<br />
gerechte Teilnahme am Know-how <strong>de</strong>r Industrielän<strong>de</strong>r. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>rn könnten dann auf relativ<br />
gesicherten Einnahmen basierend ihren wirtschaftlichen Aufbau planen und durchführen,<br />
Unterentwicklung überwin<strong>de</strong>n und die Lebensqualität <strong>de</strong>r Menschen verbessern. Die meisten<br />
Industrielän<strong>de</strong>r haben jedoch Angst vor <strong>de</strong>n Auswirkungen einer Verteuerung <strong>de</strong>r Rohstoffe und einer<br />
Verbilligung von Fertigprodukten auf die eigene Wirtschaft. Doch nur durch eine neue<br />
Weltwirtschaftsordnung kann auf lange Sicht eine Bevölkerungswan<strong>de</strong>rung von <strong>de</strong>n armen in die reichen<br />
Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Welt verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />
Teste <strong>de</strong>in Wissen!<br />
Fragen<br />
1) Worin besteht das Ungleichgewicht <strong>de</strong>r Weltwirtschaft! (siehe Abb. 1)<br />
2) Nenne Merkmale <strong>de</strong>r gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung! (siehe Abb. 2)<br />
3) Wie soll eine neue Weltwirtschaftsordnung aussehen? (siehe Abb. 3 )<br />
Antworten<br />
1) Die Mehrheit <strong>de</strong>r Weltbevölkerung lebt in <strong>de</strong>n Entwicklungslän<strong>de</strong>rn, trotz<strong>de</strong>m sind die Industrielän<strong>de</strong>r<br />
mit ihrem nur kleinen Anteil an <strong>de</strong>r Weltbevölkerung bestimmend in <strong>de</strong>r Weltwirtschaft. Die<br />
Entwicklungslän<strong>de</strong>r nehmen eine untergeordnete Position in <strong>de</strong>r Weltwirtschaftsordnung ein, spielen nur<br />
eine geringe Rolle im Welthan<strong>de</strong>l und sind hoch verschul<strong>de</strong>t.<br />
2) Kennzeichen <strong>de</strong>r gegenwärtigen ´Weltwirtschaftsordnung ist die hohe Abhängigkeit <strong>de</strong>r<br />
Entwicklungslän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn durch <strong>de</strong>n Export billiger Rohstoffe und Agrarprodukte in<br />
die Industrielän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>n Import teurer Fertigwaren aus <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn. Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
haben geringe Be<strong>de</strong>utung im Welthan<strong>de</strong>l, sind Schuldner und damit von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn, die die<br />
Weltwirtschaft über Multis und Banken steuern, abhängig.<br />
3) Wesentliche Elemente einer neuen Weltwirtschaftsordnung sind die Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
Entwicklungslän<strong>de</strong>r als gleichberechtigter Partner in die Weltwirtschaft, gleichberechtigter Han<strong>de</strong>l ohne<br />
Schranken, eigenständige Entwicklung und stärkere Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
untereinan<strong>de</strong>r, bessere Entwicklungszusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn, Kontrolle durch<br />
internationale Organisationen.
Län<strong>de</strong>r<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
Centrale Afrikanische Republik<br />
Schweiz<br />
Russland<br />
Italien<br />
Spanien<br />
Österreich<br />
Schwe<strong>de</strong>n<br />
Großbrittanien<br />
Kenia<br />
Ethiopien<br />
Cambodia<br />
Brasilien<br />
Bangla<strong>de</strong>sh<br />
Azerbaijan<br />
Armenien<br />
Algerien<br />
Albanien<br />
Brutto-Nationaleinkommen - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000<br />
US-$<br />
Brutto-Nationaleinkommen - Industrielän<strong>de</strong>r<br />
Brutto-Nationaleinkommen<br />
Brutto-Nationaleinkommen
Alter<br />
Alter<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
Großbrittanien<br />
USA<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
74<br />
0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000<br />
71<br />
74 72<br />
US-$<br />
Lebenserwartung - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
Albanien Algerien Armenien Azerbaijan Bangla<strong>de</strong>sh Brasilien Cambodia Centrale<br />
Afrikanische<br />
Republik<br />
77 79 77 77<br />
61<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
68<br />
54<br />
Lebenserwartung - Industrielän<strong>de</strong>r<br />
43 42<br />
80 79 78 79<br />
47<br />
Ethiopien Kenia<br />
65<br />
Brutto-Nationaleinkommen<br />
80<br />
Lebenserwartung<br />
Reihe2
Alte<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Deutschland Frankreich USA Großbrittanien Schwe<strong>de</strong>n Österreich Spanien Italien Russland Schweiz<br />
100<br />
Kin<strong>de</strong>r pro Tausend<br />
80<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
<strong>12</strong><br />
Kin<strong>de</strong>r pro Tausend 10<br />
180<br />
160<br />
140<br />
<strong>12</strong>0<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
39<br />
17<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
21<br />
Albanien Algerien Armenien Azerbaijan Bangla<strong>de</strong>sh Brasilien Cambodia Centrale<br />
Afrikanische<br />
Republik<br />
6 6<br />
9<br />
Sterblichkeitsrate bei Kin<strong>de</strong>rn unter 5 Jahren - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
7<br />
83<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
4<br />
14<br />
<strong>12</strong>0<br />
7<br />
152<br />
Sterblichkeitsrate bei Kin<strong>de</strong>rn unter 5 Jahren - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />
6<br />
179<br />
Ethiopien Kenia<br />
7<br />
<strong>12</strong>0<br />
19<br />
Reihe2<br />
6<br />
Sterblichkei
Analpahbetenquote in % ab 15 Jahren<br />
Kin<strong>de</strong>r pro Tausend 10<br />
Schweiz<br />
Russland<br />
Italien<br />
Spanien<br />
Österreich<br />
Schwe<strong>de</strong>n<br />
Großbrittanien<br />
USA<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Kenia<br />
Ethiopien<br />
Centrale Afrikanische Republik<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2<br />
2<br />
6 6<br />
4<br />
6 6<br />
Deutschland Frankreich USA Großbrittanien Schwe<strong>de</strong>n Österreich Spanien Italien Russland Schweiz<br />
18<br />
Analphabetenquote<br />
53<br />
61<br />
Län<strong>de</strong>r<br />
Analphabetenquote
Analp<br />
Centrale Afrikanische Republik<br />
Cambodia<br />
Brasilien<br />
Bangla<strong>de</strong>sh<br />
Azerbaijan<br />
Armenien<br />
Algerien<br />
Albanien<br />
2<br />
15<br />
32<br />
33<br />
53<br />
59<br />
0 10 20 30 40 50 60 70
Sterblichkeitsrate bei Kin<strong>de</strong>rn unter 5 Jahren<br />
Sterblichkeitsrate
Sterblichkeitsrate
Liberalismus<br />
Wurzeln:<br />
Abkehr vom mittelalterlichen Welt- und Menschenbild (Theozentrismus) [Menschliches<br />
Han<strong>de</strong>ln wird bestimmt durch Religion, Kirche und Gott]<br />
hin zu einem anthropozentrischen Weltbild in <strong>de</strong>r Renaissance und <strong>de</strong>m Humanismus<br />
(Mensch ist das Maß aller Dinge). [RATIONALISMUS]<br />
Folgen: Sinn und Legitimation <strong>de</strong>s Staates wird durch <strong>de</strong>n Menschen bestimmt und nicht<br />
durch Gott bzw. Kirche<br />
Historischer Rahmen:<br />
England: Versuche <strong>de</strong>s englischen Königs, in England <strong>de</strong>n Absolutismus nach<br />
französischem Vorbild einzuführen, rufen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>s englischen (kleinen)<br />
Landa<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>s städtischen Bürgertums hervor.<br />
Frankreich: Absolutistisches Regime <strong>de</strong>s Königs be<strong>de</strong>utet staatliche Willkür gegenüber <strong>de</strong>n<br />
Bürgern und Bauern; Merkantilismus för<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erfolg <strong>de</strong>s Bürgertums bei<br />
gleichzeitiger politischer Ohnmacht.<br />
"Genealogie" <strong>de</strong>s Liberalismus:<br />
angelsächsischer Lib.<br />
Arbeit schafft Eigentum.<br />
Eigentum be<strong>de</strong>utet Freiheit.<br />
Freiheit be<strong>de</strong>utet Unabhängigkeit.<br />
Aufgabe <strong>de</strong>s Staates ist es, die freie<br />
Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums zu<br />
ermöglichen.(Locke, Smith).<br />
Klassischer Liberalismus<br />
(mit wirtschaftlichem Schwerpunkt)<br />
französischer Lib.<br />
Staatliche Willkür bedroht Leben in<br />
Freiheit.<br />
Staatliche Macht muß beschränkt wer<strong>de</strong>n<br />
zum Schutz <strong>de</strong>r persönlichen (körper-<br />
lichen) Freiheit <strong>de</strong>s Individuums.<br />
Bindung <strong>de</strong>r Staatsgewalt an das Gesetz<br />
be<strong>de</strong>utet Freiheit <strong>de</strong>r Bürger<br />
(Verfassungsstaat / Rechtsstaat))<br />
(Montesquieu)<br />
Staat: Organisation <strong>de</strong>r Bürger zum Schutz <strong>de</strong>r freien Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums ("Liberaler<br />
Nachtwächterstaat", <strong>de</strong>r nur die Gesetze <strong>de</strong>s freien Marktes und <strong>de</strong>r freien Konkurrenz zum<br />
Wohle aller sichern soll.<br />
Freiheit: Unabhängigkeit zur Nutzung <strong>de</strong>r Produkte <strong>de</strong>r eigenen Arbeit<br />
Gleichheit: im Sinne <strong>de</strong>r Rechtsgleichheit für diejenigen, die die Rechte auch wahrnehmen<br />
können.<br />
Durchsetzung <strong>de</strong>r Gleichheit nicht für alle zum gleichen Zeitpunkt (z.B. Wahlrecht nicht für<br />
alle Menschen zur gleichen Zeit eingeführt; Verfügungsgewalt über Eigentum galt nicht von<br />
Anfang an für alle Menschen.)<br />
Folgen <strong>de</strong>s klassischen (Wirtschafts-)Liberalismus<br />
- Soziale Probleme im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
- Verelendung <strong>de</strong>r Nicht-Besitzen<strong>de</strong>n<br />
- Unternehmenskonzentration mit <strong>de</strong>r Ausschaltung <strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />
Reaktion <strong>de</strong>r Liberalen:<br />
Friedrich Naumann: Reparatur <strong>de</strong>r Fehlentwicklungen in <strong>de</strong>n Großbetrieben durch <strong>de</strong>n<br />
Großbetrieb "Staat"; For<strong>de</strong>rung nach einem Interventionsstaat.
"Es gibt nur dann eine Freiheit, wenn sie auch wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann.“ =<br />
Entstehung <strong>de</strong>s "sozialen Liberalismus".<br />
Historischer Hintergrund:<br />
Liberale und Nationale Bewegungen (Stu<strong>de</strong>ntenschaften) for<strong>de</strong>rn in Deutschland einen<br />
einheitlichen Nationalstaat, <strong>de</strong>r - im Sinne <strong>de</strong>s wirtschaftlich orientierten Bürgertums - auch<br />
ein einheitliches Wirtschafts- und Währungsgebiet sein soll.<br />
Daher schließt sich ein Teil <strong>de</strong>r Liberalen nach 1871 Bismarck und <strong>de</strong>r preußisch-<strong>de</strong>utschen<br />
Nationalbewegung an.<br />
= Entstehung <strong>de</strong>s "Nationalliberalismus" (<strong>de</strong>r immer auch wirtschaftlich orientiert ist.)<br />
Nach <strong>de</strong>m Scheitern sowohl <strong>de</strong>s "sozialen Liberalismus" (im Sinne Naumanns) als auch <strong>de</strong>s<br />
"Nationalliberalismus" (im Sinne <strong>de</strong>r Bismarckanhänger) am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weimarer Republik<br />
entstehen nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg neue Richtungen <strong>de</strong>s Liberalismus, die allgemein<br />
unter <strong>de</strong>m Begriff<br />
"Neoliberalismus" zusammengefasst wer<strong>de</strong>n.<br />
1. Ordoliberalismus:<br />
Starker Staat errichtet eine starke allgemeine Rechtsordnung, um die Instrumente <strong>de</strong>s<br />
Han<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r Wirtschaft zu garantieren (Wettbewerbsrecht, Kartellrecht etc.)<br />
(Eucken, Rüstow, Müller-Armack; Freiburger Schule)<br />
= Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft (Interventionsstaat zum Schutz <strong>de</strong>r<br />
wirtschaftlich Schwächeren und <strong>de</strong>r Rahmenordnung)<br />
2. Sozialliberalismus (geht über <strong>de</strong>n sozialen Liberalismus F. Naumanns<br />
hinaus).<br />
FREIHEIT ist nur dann Freiheit, wenn sie wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann (im Sinne<br />
Naumanns); darüber hinaus besteht<br />
FREIHEIT nur dann, wenn nicht-legitime Abhängigkeiten nicht nur im wirtschaftlichen,<br />
son<strong>de</strong>rn auch im <strong>gesamt</strong>gesellschaftlichen Rahmen abgebaut wer<strong>de</strong>n. ("Freiburger<br />
Thesen" von 1971)<br />
3. Wirtschaftsliberalismus (im Sinne <strong>de</strong>s klassischen Liberalismus):<br />
FREIHEIT bezeichnet vor allem die Freiheit <strong>de</strong>s Marktes und <strong>de</strong>r am wirtschaftlichen<br />
Austausch Beteiligten.<br />
FREIHEIT bezeichnet also auch und vor allem die Freiheit (=Abwesenheit) von staatlicher<br />
Reglementierung.<br />
Allen heutigen Liberalismen ist folgen<strong>de</strong>s Element gemeinsam:<br />
Bindung <strong>de</strong>r Gesellschaft an formales Recht = Rechtsstaats-Denken<br />
Allerdings wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Liberalismen im Konfliktfall unterschiedliche<br />
Prioritäten gesetzt.<br />
Heutige Gegenbewegung gegen <strong>de</strong>n Liberalismus: Kommunitarismus (aus USA stammend)
Zeittafel: S. 366 / 367 – Material 3<br />
Erste I<strong>de</strong>e eines vereinigten Europas:<br />
Winston Churchill (1945 ): „We must build a kind of United States of Europe“<br />
Entstehen einer europäischen Bewegung<br />
Entstehung <strong>de</strong>r christlich-<strong>de</strong>mokratischen Parteien<br />
Marshall-Plan:<br />
Kredite an Weststaaten => Wie<strong>de</strong>raufbau<br />
Siegerstaaten und Besiegte müssen sich über die Aufteilung <strong>de</strong>r Summe einigen<br />
Begründung <strong>de</strong>r europäischen Einigungsbewegung<br />
1968 – 1970: Zollunion: Abschaffung <strong>de</strong>r Zölle in <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rstaaten => Nachzahlung:<br />
nur Steuersumme ( Mehrwertsteuer) => Problematik <strong>de</strong>r Re-Importe (z.B. USA /<br />
Dänemark)<br />
OEEG (Organisation Economic European Development):<br />
Kohle und Stahlindustrie <strong>de</strong>r Einzelstaaten unterstellen sich <strong>de</strong>r europäischen Union für<br />
Kohle und Stahl<br />
EGKS: Vorgeschlagen von Robert Schumann<br />
Franzose<br />
Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vertrags<br />
EWG: europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />
+ Erweiterungen<br />
seit Maastricht EU ( Ausland finanziert <strong>de</strong>n Staatshaushalt<br />
c) => Wohlstand gesichert<br />
113 Politik-LK – 2. Kursarbeit – 26.11.04<br />
Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />
Innere Struktur <strong>de</strong>r EU:<br />
Verträge zwischen <strong>de</strong>n Staaten bezüglich <strong>de</strong>s gemeinsamen Rechts<br />
- Ministerrat beschließt Gesetze für die EU (bestehend aus <strong>de</strong>n jeweiligen<br />
Fachministern <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r)<br />
- Europäischer Rat: Rat <strong>de</strong>r Regierungschefs => Gesetze und Richtlinien<br />
<strong>de</strong>r EU<br />
- Kommission: ausführen<strong>de</strong>s Organ <strong>de</strong>r EU, Umsetzung <strong>de</strong>r europäischen<br />
Politik<br />
Instrumente:<br />
a) Verordnungen: bin<strong>de</strong>t nationales Recht an die Verordnungen<br />
b) Empfehlungen<br />
c) Richtlinie: für die EU-Staaten geltend<br />
d) Entscheidungen: spezifische Regelung für Betroffene<br />
Alle bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Recht für die EU-Staaten (S.372/373)<br />
D.h.: Souveränitätsverlust für die Einzelstaaten <strong>de</strong>r EU<br />
EU = Mischform zwischen Bun<strong>de</strong>sstaat und Staatenbund<br />
Funktionalistischer Bun<strong>de</strong>sstaat:<br />
a) Funktionsrelevante Gebiete: Bun<strong>de</strong>sstaat<br />
b) Keine Funktion: Staatenbund<br />
1. Judikative: Europäischer Rat, Ministerrat<br />
2. Exekutive: Kommission => Einbringung von Vorschlägen<br />
3. Legislative: Europäisches Parlament (Eingeschränkt)<br />
Demokratie<strong>de</strong>fizit<br />
Entscheidungsprozesse:<br />
Demokratie<strong>de</strong>fizit => Entscheidung <strong>de</strong>s Parlaments soll verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n<br />
Kommission macht einen Vorschlag für einen Rechtsakt gegenüber <strong>de</strong>m Rat:<br />
1. Keine Än<strong>de</strong>rung gewünscht durch das Parlament => Rechtsakt kann in<br />
Kraft treten<br />
2. Europäische Rat übernimmt die Wünsche <strong>de</strong>s Parlaments<br />
3. Europäische Rat nicht einverstan<strong>de</strong>n: Übermittlung eines<br />
„gemeinsamen“ Standpunktes durch <strong>de</strong>n Rat an das Parlament mit<br />
Begründung.<br />
Binnen 3 Monaten:<br />
a) Billigung o<strong>de</strong>r kein Beschluss <strong>de</strong>s Parlaments => Rechtsakt erlassen<br />
b) Ablehnung mit absoluter Mehrheit => nicht erlassen<br />
c) Bei Än<strong>de</strong>rungswünschen => Weiterleitung an Rat und Kommission<br />
(Stellungnahme möglich)<br />
Binnen weiteren 3 Monaten:<br />
a) qualifizierte Mehrheit: Billigung <strong>de</strong>s Rates => Rechtsakt in Kraft<br />
b) Einstimmige Abstimmung, sofern sich die Kommission ablehnend äußert<br />
c) Keine Billigung => Vermittlungsausschuss<br />
Fazit: Parlament hat eigentlich kaum die Möglichkeit Gesetze zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />
Europäischer Rat verkörpert sowohl Exekutive als auch Legislative =><br />
Demokratie<strong>de</strong>fizit<br />
Machtmittel <strong>de</strong>s Parlaments:<br />
1. Wi<strong>de</strong>rspruchsrecht gegenüber <strong>de</strong>r Kommission<br />
2. Bestimmung <strong>de</strong>s Haushaltsrechts / Haushaltes für die EU<br />
Folgerung: Auf europäischer Ebene ist das Prinzip <strong>de</strong>r Repräsentation eines Volkes<br />
durch Vertreter nicht vollständig realisiert.<br />
Entwicklung vom Maastrichter Vertrag zum Amsterdamer Vertrag:<br />
Schritt zum Bun<strong>de</strong>sstaat:<br />
- Übergang zum Bun<strong>de</strong>sstaat durch entsprechen<strong>de</strong> Souveränitätsrechte<br />
(z.B. Führerscheinregelung)<br />
- Gemeinsame europäische Staatsangehörigkeit (z.B. Reisepass)<br />
- Artikel 16a: politisches Asyl gilt EU-weit => Nationalstaaten entschei<strong>de</strong>n<br />
- EU ist eine Zollunion:<br />
keine Zölle innerhalb <strong>de</strong>r EU<br />
aber gegenüber Nichtmitglie<strong>de</strong>rn<br />
- EU-Recht geht grundsätzlich über Nationalrecht<br />
- 3 Säulen <strong>de</strong>r EU<br />
a) Gemeinsame Außen –und Sicherheitspolitik<br />
b) Europäische Gemeinschaften<br />
c) Zusammenarbeit in Innen –und Rechtspolitik selten gegeben => keine Ergebnisse (z.B. Irak)<br />
Mehrheitsentscheidung im Rat => Probleme bei zu vielen Mitglie<strong>de</strong>rn (Absolute<br />
Mehrheit)<br />
Nizza-Vertrag:<br />
Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Wahlmodus bzw. <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Artikel<br />
Stimmengewichtung für die Einzellän<strong>de</strong>r nach Bevölkerungszahl und politischem<br />
Gewicht => Demokratischeres System => Ermittlung einer Mehrheit<br />
Zusätzliche Bedingung (möglich): Deckung <strong>de</strong>r Entscheidung durch 2/3 <strong>de</strong>r EU-<br />
Bevölkerung<br />
Zum Parlament:<br />
- gesetzgeben<strong>de</strong> Gewalt hauptsächlich nur im Haushalt<br />
- Kommission muss <strong>de</strong>m Parlament vorgeschlagen wer<strong>de</strong>n<br />
- S. 373: Formen parlamentarischer Mitwirkung<br />
Mitwirkung <strong>de</strong>s Parlaments in bestimmten Bereichen zwingend:<br />
Zustimmungspflichtige Beschlüsse: siehe S.373 Punkt 2<br />
- relativ wenige Einflussmöglichkeiten <strong>de</strong>s Parlaments => Demokratie<strong>de</strong>fizit<br />
+ Kommission: Hüter <strong>de</strong>r europäischen Verfassung (Wächter)<br />
gewissermaßen Legislative<br />
Umsetzung <strong>de</strong>r Beschlüsse <strong>de</strong>s europäischen Rates (Empfehlungen o<strong>de</strong>r<br />
Verordnungen)<br />
- Empfehlungen bei lockeren Vereinbarungen<br />
- Verordnungen bei konkreten Beschlüssen <strong>de</strong>s Ministerrates (sichere<br />
Einflussbereiche mit Souveränitätsabtritten an die EU)<br />
Zusätzlich zu berücksichtigen für die Arbeit: Sammelblatt: „Westeuropäische Integration“
- Hauptfrage von Staatstheorien: Was ist ein Staat?<br />
John Locke:<br />
o 17. Jhrd.: Versuch in England <strong>de</strong>n Absolutismus einzuführen<br />
o Scheitert<br />
o Kampfschrift Lockes<br />
Neue Definition <strong>de</strong>s Staates<br />
Staat:<br />
Der Mensch ist Stifter <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>r das Eigentum <strong>de</strong>r Menschen<br />
sichern soll.<br />
Sicherung <strong>de</strong>s Eigentums an Leben und physischem Eigentum<br />
Besitz und Sicherung <strong>de</strong>s selbst geschaffenen Eigentums<br />
Staat = Schutzorganisation, soll das selbstgeschaffene Eigentum<br />
sichern<br />
I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Staatsvertrags:<br />
• Der Staat ergibt sich aus einem Vertrag <strong>de</strong>r Bürger<br />
• Gesetze sollen die Interessen <strong>de</strong>r Vertragschließen<strong>de</strong>n Parteien sichern<br />
Adam Smith: Natur und Wesen <strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s<br />
o Abhängigkeit <strong>de</strong>r Menschen von an<strong>de</strong>ren Personen<br />
Hilfe kommt nicht aus <strong>de</strong>m Wohlwollen<br />
<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren gegenüber allein<br />
o Bei einem Geschäft besteht die Annahme auf bei<strong>de</strong>n<br />
Seiten, dass es bei<strong>de</strong>n Seiten einen Vorteil bringt<br />
Tauschhan<strong>de</strong>l = I<strong>de</strong>albild<br />
• Gerechter Han<strong>de</strong>l ohne das<br />
dabei jemand einen Vorteil<br />
o<strong>de</strong>r Nachteil hat<br />
o Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen wer<strong>de</strong>n nicht aus<br />
Wohlwollen, son<strong>de</strong>rn aus Eigennutz <strong>de</strong>r Anbieter<br />
befriedigt<br />
Marktwirtschaftliches Prinzip<br />
• Egoistische Einstellung<br />
Der Markt reguliert sich selbst durch die verschie<strong>de</strong>nen<br />
egoistischen Interessen <strong>de</strong>r Individuen<br />
o Grundgedanke <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
Liberalismus:<br />
Kombination <strong>de</strong>r Theorien von Locke und Adam Smith ergeben die Grundtheorie <strong>de</strong>s<br />
Liberalismus<br />
Nach Montesquieu:<br />
• I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gewaltenteilung: 3 Gewalten, die nebeneinan<strong>de</strong>r existieren<br />
• Freiheitsbegriff bzw. Staatsvorstellung:<br />
Sicherheit vor staatlicher Willkür<br />
Sicherheit / Freiheit von Angst<br />
Rechtssicherheit vor staatlicher Willkür<br />
Ein Bürger braucht <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und brauch <strong>de</strong>n Staat nicht zu fürchten<br />
Rechtsstaat wird angestrebt<br />
Gegenüberstellung:<br />
• Französischer Liberalismus: Rechtsstaatsi<strong>de</strong>e<br />
• Englischer Liberalismus: Enthaltung <strong>de</strong>s Staates aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />
(weitestgehend)<br />
Unterschie<strong>de</strong>:<br />
• Locke: Freier Genuss <strong>de</strong>s Eigentums<br />
• Montesquieu: Schutz <strong>de</strong>s Individuums<br />
o Rechtsstaat<br />
Sozialer Liberalismus: nach Friedrich Normann<br />
- Grundsatz:<br />
Es existiert nur Freiheit, wenn sie auch wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Der Staat muss die Möglichkeiten zur Ausübung dieser Freiheiten<br />
schaffen<br />
Staat wird aktiv tätig<br />
Verschie<strong>de</strong>ne Strömungen <strong>de</strong>s Liberalismus<br />
• Altliberalismus<br />
Rückkehr zur klassischen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s frühen Liberalismus<br />
(Neoliberalismus)<br />
• Ordoliberalismus<br />
Prinzip <strong>de</strong>s Wettbewerbs soll aufrecht erhalten bleiben<br />
Stabilisierung <strong>de</strong>s Marktes durch staatliche Ordnung<br />
o Relativ starke Stellung <strong>de</strong>s Staates notwendig und<br />
gefor<strong>de</strong>rt<br />
• Sozialer Liberalismus<br />
siehe oben<br />
Kommunitarismus<br />
- Philosophische, politische Richtung: v.a. verbreitet in <strong>de</strong>n USA<br />
- lehnt <strong>de</strong>n Liberalismus ab<br />
- Das Individuum ist nicht wie im Liberalismus angenommen in <strong>de</strong>m<br />
beschriebenen Maße autonom<br />
Die liberale Gesellschaft verkennt, dass Individuen nicht autonome<br />
Wesen sind, son<strong>de</strong>rn immer auch Teile von Communities.<br />
• Individualismus: hat Sinnverlust zur Folge<br />
Menschenbild <strong>de</strong>s Kommunitarismus:<br />
- Mensch bewertet sein Han<strong>de</strong>ln immer nach bestimmten Kriterien<br />
- Menschliches Han<strong>de</strong>ln ist niemals wertneutral, son<strong>de</strong>rn steht in einem<br />
moralischen Raum<br />
213 Politik-LK – 2. Kursarbeit – 07.04.05<br />
Hauptthema: Liberalismus<br />
Problem: Keine Aussage wer diesen moralischen Raum vorzugeben hat.<br />
- Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Liberalismus: Staatsvertragsi<strong>de</strong>e wird verneint<br />
- Kommunitarier <strong>de</strong>finieren die Vernunft und Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen<br />
Menschen über die Gemeinschaft<br />
Gemeinschaft wird über <strong>de</strong>n Menschen gestellt<br />
- Menschen sind nur Menschen, wenn sie als Teil einer Gesellschaft<br />
leben<br />
Anzweiflung <strong>de</strong>r Menschenrechte<br />
Gefangene wer<strong>de</strong>n nicht als Menschen mit unveräußerlichen Rechten<br />
verstan<strong>de</strong>n<br />
Respekt vor <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist ausschlaggebend für die Einhaltung von<br />
Werten und Normen und nicht die Tat an sich ist für die Entscheidung<br />
wichtig<br />
Mensch han<strong>de</strong>lt aus Eigennutz, da er Teil <strong>de</strong>r<br />
Gesellschaft bleiben möchte<br />
Zusammenfassung von Herrn Krisam<br />
Liberalismus<br />
Wurzeln:<br />
Abkehr vom mittelalterlichen Welt- und Menschenbild (Theozentrismus) [Menschliches Han<strong>de</strong>ln wird<br />
bestimmt durch Religion, Kirche und Gott]<br />
hin zu einem anthropozentrischen Weltbild in <strong>de</strong>r Renaissance und <strong>de</strong>m Humanismus (Mensch ist das<br />
Maß aller Dinge). [RATIONALISMUS]<br />
Folgen: Sinn und Legitimation <strong>de</strong>s Staates wird durch <strong>de</strong>n Menschen bestimmt und nicht durch<br />
Gott bzw. Kirche<br />
Historischer Rahmen:<br />
England: Versuche <strong>de</strong>s englischen Königs, in England <strong>de</strong>n Absolutismus nach französischem Vorbild<br />
einzuführen, rufen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>s englischen (kleinen) Landa<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>s städtischen Bürgertums<br />
hervor.<br />
Frankreich: Absolutistisches Regime <strong>de</strong>s Königs be<strong>de</strong>utet staatliche Willkür gegenüber <strong>de</strong>n Bürgern und<br />
Bauern; Merkantilismus för<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erfolg <strong>de</strong>s Bürgertums bei gleichzeitiger politischer<br />
Ohnmacht.<br />
„Genealogie“<br />
angelsächsischer Lib.<br />
Arbeit schafft Eigentum.<br />
Eigentum be<strong>de</strong>utet Freiheit.<br />
Freiheit be<strong>de</strong>utet Unabhängigkeit.<br />
Aufgabe <strong>de</strong>s Staates ist es, die freie<br />
Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums zu<br />
ermöglichen.(Locke, Smith).<br />
französischer Lib.<br />
Staatliche Willkür bedroht Leben in Freiheit.<br />
Staatliche Macht muß beschränkt wer<strong>de</strong>n<br />
zum Schutz <strong>de</strong>r persönlichen (körper-<br />
lichen) Freiheit <strong>de</strong>s Individuums.<br />
Bindung <strong>de</strong>r Staatsgewalt an das Gesetz<br />
be<strong>de</strong>utet Freiheit <strong>de</strong>r Bürger<br />
(Verfassungsstaat / Rechtsstaat))<br />
(Montesquieu)<br />
Klassischer Liberalismus<br />
(mit wirtschaftlichem Schwerpunkt)<br />
Staat:<br />
Organisation <strong>de</strong>r Bürger zum Schutz <strong>de</strong>r freien Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums ("Liberaler<br />
Nachtwächterstaat", <strong>de</strong>r nur die Gesetze <strong>de</strong>s freien Marktes und <strong>de</strong>r freien Konkurrenz zum Wohle aller<br />
sichern soll.<br />
Freiheit: Unabhängigkeit zur Nutzung <strong>de</strong>r Produkte <strong>de</strong>r eigenen Arbeit<br />
Gleichheit: im Sinne <strong>de</strong>r Rechtsgleichheit für diejenigen, die die Rechte auch wahrnehmen können.<br />
Durchsetzung <strong>de</strong>r Gleichheit nicht für alle zum gleichen Zeitpunkt (z.B. Wahlrecht nicht für alle Menschen<br />
zur gleichen Zeit eingeführt; Verfügungsgewalt über Eigentum galt nicht von Anfang an für alle Menschen.)<br />
Folgen <strong>de</strong>s klassischen (Wirtschafts-)Liberalismus:<br />
- Soziale Probleme im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
- Verelendung <strong>de</strong>r Nicht-Besitzen<strong>de</strong>n<br />
- Unternehmenskonzentration mit <strong>de</strong>r Ausschaltung <strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />
Reaktion <strong>de</strong>r Liberalen:<br />
Friedrich Naumann: Reparatur <strong>de</strong>r Fehlentwicklungen in <strong>de</strong>n Großbetrieben durch <strong>de</strong>n Großbetrieb<br />
"Staat"; For<strong>de</strong>rung nach einem Interventionsstaat.<br />
"Es gibt nur dann eine Freiheit, wenn sie auch wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann.“ = Entstehung <strong>de</strong>s<br />
"sozialen Liberalismus".<br />
Historischer Hintergrund:<br />
Liberale und Nationale Bewegungen (Stu<strong>de</strong>ntenschaften) for<strong>de</strong>rn in Deutschland einen einheitlichen<br />
Nationalstaat, <strong>de</strong>r - im Sinne <strong>de</strong>s wirtschaftlich orientierten Bürgertums - auch ein einheitliches<br />
Wirtschafts- und Währungsgebiet sein soll.<br />
Daher schließt sich ein Teil <strong>de</strong>r Liberalen nach 1871 Bismarck und <strong>de</strong>r preußisch-<strong>de</strong>utschen<br />
Nationalbewegung an.<br />
= Entstehung <strong>de</strong>s "Nationalliberalismus" (<strong>de</strong>r immer auch wirtschaftlich orientiert ist.)<br />
Nach <strong>de</strong>m Scheitern sowohl <strong>de</strong>s "sozialen Liberalismus" (im Sinne Naumanns) als auch <strong>de</strong>s<br />
"Nationalliberalismus" (im Sinne <strong>de</strong>r Bismarckanhänger) am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weimarer Republik entstehen nach<br />
<strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg neue Richtungen <strong>de</strong>s Liberalismus, die allgemein unter <strong>de</strong>m Begriff<br />
"Neoliberalismus" zusammengefasst wer<strong>de</strong>n.<br />
1. Ordoliberalismus:<br />
Starker Staat errichtet eine starke allgemeine Rechtsordnung, um die Instrumente <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r<br />
Wirtschaft zu garantieren (Wettbewerbsrecht, Kartellrecht etc.)<br />
(Eucken, Rüstow, Müller-Armack; Freiburger Schule)<br />
= Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft (Interventionsstaat zum Schutz <strong>de</strong>r<br />
wirtschaftlich Schwächeren und <strong>de</strong>r Rahmenordnung)<br />
2. Sozialliberalismus (geht über <strong>de</strong>n sozialen Liberalismus F. Naumanns<br />
hinaus).<br />
FREIHEIT ist nur dann Freiheit, wenn sie wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann (im Sinne<br />
Naumanns); darüber hinaus besteht<br />
FREIHEIT nur dann, wenn nicht-legitime Abhängigkeiten nicht nur im wirtschaftlichen,<br />
son<strong>de</strong>rn auch im <strong>gesamt</strong>gesellschaftlichen Rahmen abgebaut wer<strong>de</strong>n. ("Freiburger Thesen" von<br />
1971)<br />
3. Wirtschaftsliberalismus (im Sinne <strong>de</strong>s klassischen Liberalismus):<br />
FREIHEIT bezeichnet vor allem die Freiheit <strong>de</strong>s Marktes und <strong>de</strong>r am wirtschaftlichen<br />
Austausch Beteiligten.<br />
FREIHEIT bezeichnet also auch und vor allem die Freiheit (=Abwesenheit) von staatlicher<br />
Reglementierung.<br />
Allen heutigen Liberalismen ist folgen<strong>de</strong>s Element gemeinsam:<br />
Bindung <strong>de</strong>r Gesellschaft an formales Recht = Rechtsstaats-Denken<br />
Allerdings wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Liberalismen im Konfliktfall unterschiedliche Prioritäten<br />
gesetzt.<br />
Heutige Gegenbewegung gegen <strong>de</strong>n Liberalismus: Kommunitarismus (aus USA stammend)
Ursprung bzw. Entstehung <strong>de</strong>s Sozialismus allgemein<br />
• Hegel: Schöpfungsgedanke<br />
- absoluter Weltgeist wird angenommen<br />
versucht seine Gedanken umzusetzen<br />
o Ausrichtung an einer Schöpfungsi<strong>de</strong>e<br />
o Entstehung <strong>de</strong>r Realität dieser I<strong>de</strong>e Dialektik<br />
o Realität bringt neue I<strong>de</strong>e hervor<br />
Ziel <strong>de</strong>r Geschichte ist die Realisierung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s absoluten<br />
Weltgeistes<br />
These – Antithese – Synthese - These<br />
o = eine Erklärung <strong>de</strong>r Geschichtsphilosophie<br />
Übersicht über die Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach Karl Marx<br />
• verwirft Hegels Weltbild<br />
• Standpunkt: am Anfang stand die Materie<br />
Geschichte entwickelt sich zum Sinn <strong>de</strong>r Geschichte / En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Geschichte hin<br />
o Materielle Beziehungen innerhalb <strong>de</strong>r Geschichte regeln<br />
ihren Lauf<br />
Dialektischer Materialismus<br />
• Umkehrung <strong>de</strong>s Hegel´schen<br />
Weltbil<strong>de</strong>s<br />
Erläuterungen zur Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach Karl Marx<br />
1. Schritt<br />
o Vorhaben <strong>de</strong>s Menschen: Besitz erwerben und sichern<br />
(Existenzsicherung)<br />
o Planvolles Han<strong>de</strong>ln: zukünftige Existenzsicherung und<br />
Bearbeitung <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns (Ackerbau)<br />
Menschen wer<strong>de</strong>n sesshaft<br />
Arbeitsteilung: Trennung in Jäger und<br />
Ackerbaubetreiben<strong>de</strong><br />
o notwendige Hilfsmittel wer<strong>de</strong>n geschaffen<br />
Prozesse wer<strong>de</strong>n spezialisiert und effizienter<br />
gemacht<br />
• Handwerkertum<br />
Trennung von Produktionsmittelbesitz und<br />
Produktionsmittelbenutzung<br />
2. Schritt<br />
o Sklavenhaltergesellschaft in <strong>de</strong>r Antike<br />
o Grundlage: Landarbeit <strong>de</strong>r Sklaven und Grundherrschaft<br />
weniger<br />
o Mittelalter: Grundherrschaft weniger (Fürsten, Könige,<br />
Kaiser, u.s.w.), auf <strong>de</strong>ren Land Untergebene / Leibeigene<br />
arbeiten (Lehnswesen)<br />
o Lehnsstruktur<br />
Abgaben an je<strong>de</strong> einzelne Schicht<br />
o frühe Neuzeit: Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Schwarzpulvers<br />
Rittertum been<strong>de</strong>t<br />
Neuer Berufsstand in <strong>de</strong>n Städten<br />
(Handwerker, Händler)<br />
• Entstehung <strong>de</strong>s Frühbürgertums<br />
• „Stadtluft macht frei“<br />
o 17. + 18. Jhrd.: Enormer Geldbedarf <strong>de</strong>r Fürsten, wegen<br />
stehen<strong>de</strong>r Armeen<br />
französischer Merkantilismus<br />
Interesse <strong>de</strong>s Staates: hohe Einnahmen aus<br />
Steuern, Zölle<br />
Einfuhr von Fertigwaren wird blockiert<br />
Einfuhr von Rohstoffen för<strong>de</strong>rn<br />
Ausfuhr von Rohstoffen hemmen<br />
För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ausfuhr von Fertigwaren<br />
o Zur Produktion / Umsetzung notwendig: Manufakturen<br />
Massenproduktion aufgrund von Handarbeit in<br />
einzelnen Arbeitsschritten<br />
• Trennung <strong>de</strong>r<br />
Produktionsmittelbesitzer von<br />
<strong>de</strong>n Benutzern<br />
3. Schritt<br />
o Industrialisierung: Ersatz <strong>de</strong>r Arbeiter durch Maschinen,<br />
Produktionssteigerung<br />
Überangebot an Arbeitskräften<br />
o Billiglöhne<br />
Entstehung <strong>de</strong>s Proletariats<br />
Trennung in Kapitalisten und Proletarier<br />
o Kapitalisten (Produktionsmittelbesitzen<strong>de</strong>):<br />
Proletarier (mit Produktionsmittel Arbeiten<strong>de</strong>):<br />
o Entfremdung <strong>de</strong>r Arbeiter vom Produkt (aufgrund<br />
mangeln<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation)<br />
Nur geringe Teilhabe am Produkt<br />
• Geistige Verelendung<br />
(Langeweile, geistige<br />
Beschränkung, e.t.c.)<br />
Ausbeutung <strong>de</strong>r Arbeiter: Entstehung <strong>de</strong>s Kapitalismus (privatrechtliche<br />
Verfügung über Produktionsmittel)<br />
Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Aufwertung <strong>de</strong>s Kapitals (Produktionsmittel:<br />
Maschinen, Gerätschaften, e.t.c.)<br />
Konkurrenz zwecks Profitorientierung und Aufhebung <strong>de</strong>r Konkurrenz<br />
(Ausschaltung von Marktgegnern)<br />
o Monopolbildung<br />
Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals in wenigen<br />
Hän<strong>de</strong>n<br />
213 Politik-LK – 4. Kursarbeit – 03.06.05<br />
Hauptthema: <strong>de</strong>mokratischer Sozialismus<br />
Konkurrenz um Arbeitsplätze führt zu niedrigeren Löhnen<br />
- Unzufrie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Arbeiter<br />
revolutionäres Bewusstsein<br />
- Überproduktion aufgrund immer effektiveren Maschinen<br />
Absatzkrise<br />
Langfristig: Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
- Gefährdung <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse im eigenen Land durch<br />
revolutionäres Bewusstsein<br />
Unterdrückung <strong>de</strong>s Proletariats<br />
Starker Staat<br />
Wi<strong>de</strong>rstand wird nicht gedul<strong>de</strong>t<br />
Nie<strong>de</strong>rschlagung<br />
- Kapitalisten formulieren das Recht<br />
Produktionsmittelsituation soll gewährleistet bleiben<br />
Staat ist ein Mittel <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>r jeweils herrschen<strong>de</strong>n Klasse<br />
Revolution: Umkehrung <strong>de</strong>r Produktionsmittelverhältnisse (gewaltfrei) <br />
Engels<br />
Dreifacher Zustand in <strong>de</strong>r sowjetischen I<strong>de</strong>ologie: Kapitalist = Imperialist =<br />
Faschist<br />
- Defizite in Marxs Theorie:<br />
o Verän<strong>de</strong>rungsfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus in seiner Struktur<br />
wird nicht berücksichtigt<br />
o Än<strong>de</strong>rung von Staatsverhältnissen ebenso nicht<br />
berücksichtigt<br />
o Staat wird als Unterdrückungsmittel <strong>de</strong>r jeweils mächtigen /<br />
reichen Schicht verstan<strong>de</strong>n<br />
Weitere Ausführungen zu Karl Marx<br />
Produktion von Mehrwert durch Lohnarbeit<br />
- Arbeiter verkauft <strong>de</strong>m Kapitalist seine Arbeitskraft<br />
- Arbeiter erwirtschaftet seinen eigenen Bedarf innerhalb einer kürzeren Zeit<br />
(z.B. 6 Stun<strong>de</strong>n)<br />
Kapitalist verpflichtet ihn aber zu <strong>de</strong>r doppelten Zeit<br />
Erwirtschaftung <strong>de</strong>s Mehrwertes für <strong>de</strong>n Kapitalisten<br />
Arbeiter erwirtschaften <strong>de</strong>n Wohlstand <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Profitmaximierung<br />
- Arbeitstag wird über das notwendige Maß hinausgezogen<br />
- Arbeitszeit muss immer noch bei 10 Stun<strong>de</strong>n bleiben<br />
Rationalisierung: schnelleres Arbeiten<br />
Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit wird verkürzt<br />
o Profitmaximierung <strong>de</strong>s Kapitalisten durch größeren<br />
Mehrwert<br />
Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung<br />
- geistige und körperliche Fixierung auf die monotone Arbeit<br />
- Maschine beraubt <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>s Inhaltes seines bearbeiteten<br />
Produkts (Entfremdung vom Produkt)<br />
- Arbeitsbedingung schafft / gestaltet <strong>de</strong>n Arbeiter (z.B. Geschwindigkeit<br />
<strong>de</strong>r Arbeit / Art <strong>de</strong>r Arbeit bleibt gleich, <strong>de</strong>r Arbeiter muss sich anpassen =><br />
z.B. Hüttenbetrieb / Kraftwerke / e.t.c.)<br />
Einschränkung <strong>de</strong>r Lebensqualität<br />
- Maschine ersetzt letztendlich <strong>de</strong>n Arbeiter<br />
Überangebot an Arbeitern durch langfristige Ersetzung <strong>de</strong>r Angestellten<br />
(z.B. Bankautomaten, Fahrkartenautomaten, e.t.c.)<br />
Sinken <strong>de</strong>r Löhne<br />
Chronisches Elend in <strong>de</strong>r Arbeiterschicht<br />
Entfremdung im Kapitalismus<br />
- keine I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>m Endprodukt, da<br />
• nur noch Teilprozesse durchgeführt wer<strong>de</strong>n<br />
• das Endprodukt nicht verstan<strong>de</strong>n wird<br />
geistige Beschränkung und Stagnation in <strong>de</strong>r geistigen Entwicklung <strong>de</strong>s<br />
Arbeiters<br />
- Das System Kapitalismus ist für Marx nicht das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s menschlichen<br />
Zusammenlebens<br />
Adam SmithsTheorie trifft nicht zu<br />
Die Freiheit <strong>de</strong>s Menschen wur<strong>de</strong> durch die Wirtschaft eingeschränkt und<br />
<strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>generiert / stumpft ab durch o.g. Entwicklung<br />
Verelendung bei wachsen<strong>de</strong>m Reichtum<br />
- Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Investition in neue Maschinen zur<br />
Produktionssteigerung und Profitmaximierung<br />
Entlassung von Arbeitern<br />
o Verschlechterung <strong>de</strong>r Lebenssituation<br />
Verelendung Reichtum<br />
- Arbeitsqual: Monotonie / Dauerbelastung / Speditionsbetriebe [Fahrtzeiten]<br />
- Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation<br />
steigen<strong>de</strong> Arbeitslosenzahlen<br />
sinken<strong>de</strong> Löhne<br />
Arbeiter abhängig und verelen<strong>de</strong>n materiell<br />
Zentralisation <strong>de</strong>r Kapitale im Konkurrenzkampf<br />
- Verwandlung vieler kleiner Kapitale in wenige große Kapitale weniger<br />
- Zentralisation von Kapitalen<br />
- Konkurrenzkampf: Verbilligung <strong>de</strong>r Preise durch bessere / effektivere<br />
Produktsmittel<br />
Ausschalten kleiner Anbieter, die preislich nicht konkurrieren können<br />
Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation und Zentralisierung von Kapital
Exkurs<br />
„Es ist nicht das ökonomische Sein das vom Bewusstsein gebil<strong>de</strong>t wird, son<strong>de</strong>rn<br />
umgekehrt das ökonomische Sein bil<strong>de</strong>t das Bewusstsein.“<br />
Produktionsbedingungen bestimmen das Bewusstsein (Kultur /<br />
Wissenschaft / e.t.c.)<br />
Bernstein zum <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Bernstein Text (S.13)<br />
1. Abschnitt<br />
• Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus ist nicht in näherer Zeit zu erwarten<br />
• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen Taktik nicht nötig<br />
Kritik an Engels Revolutionsbestrebungen (gewalttätiger Umsturz <br />
Umsturz allgemein; nicht zwangsläufig m.H. von Gewalt)<br />
2. Abschnitt<br />
• Prognose <strong>de</strong>s „kommunistischen Manifests“ ist in ihrer Ten<strong>de</strong>nz richtig<br />
• Zeitlicher Aspekt und spezielle For<strong>de</strong>rungen wur<strong>de</strong>n aber falsch<br />
eingeschätzt<br />
3. Abschnitt<br />
• gesellschaftliche Probleme und Zuspitzungen sind nicht so verlaufen wie<br />
Marx es beschrieben hat (Arbeitszeit, Lebensumstän<strong>de</strong>, e.t.c.)<br />
• Zahl <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n ist angestiegen, nicht gesunken<br />
Kapitalismus hat sich geän<strong>de</strong>rt<br />
Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
• Mittelschichten sind immer größer gewor<strong>de</strong>n<br />
Unterschicht ist weitgehend verschwun<strong>de</strong>n<br />
o Verbleiben<strong>de</strong> Unterschicht wird gesellschaftlich und finanziell<br />
stark belastet<br />
4. Abschnitt<br />
• technologischer Fortschritt wird immer schneller, entgegen Bernstein<br />
Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals vollzieht sich entgegen Bernstein zunehmend<br />
schneller<br />
5. Abschnitt<br />
• Staat schränkt <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Kapitalisten ein<br />
entgegen Marx<br />
• zunehmen<strong>de</strong> Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Arbeiter haben großen Einfluss auf die Unternehmen durch <strong>de</strong>mokratische<br />
Institutionen<br />
o Gewerkschaften<br />
• Staat hat sich verän<strong>de</strong>rt:<br />
o Früher: Unterdrückungsinstrument <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Klasse<br />
(Kapilisten)<br />
o Heute: Staat <strong>de</strong>s Volkes, <strong>de</strong>r die Arbeiter vor Missbrauch und<br />
Machtausübung <strong>de</strong>s Staates schützt<br />
• Gesetze schützen die Arbeiter: Arbeiterschutzgesetze, Fabrikgesetze<br />
(Arbeitszeiten, Sicherheitsbestimmungen, e.t.c.)<br />
Freiheit <strong>de</strong>r Gewerkschaften und Machteinfluss wird als<br />
Fortschrittszeichen von Bernstein angesehen<br />
6. Abschnitt<br />
• Je mehr Demokratie zum tragen kommt, <strong>de</strong>sto weniger ist eine politische<br />
Katastrophe zu befürchten (Revolution)<br />
Streitpunkt: Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus (Marx: ja, Bernstein: Nein)<br />
o Da <strong>de</strong>r Staat sein Verständnis geän<strong>de</strong>rt hat<br />
o Kapitalismus hat sich als reformfähig erwiesen<br />
Kapitalismus wird in absehbarer Zeit nicht<br />
zusammenbrechen<br />
Teilung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />
Revolutionärer Sozialismus:<br />
Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse durch eine Revolution ist zwangsläufig (Marx)<br />
1. bewusste Revolution (Engels / Lenin) – soll herbeigeführt wer<strong>de</strong>n.<br />
Ablauf: nach Marx<br />
- Kapitalismuszusammenbruch<br />
Revolution <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />
Absterben <strong>de</strong>s Staates nach Erreichung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft<br />
Ablauf.: nach Engels<br />
- Anzetteln einer militärischen, Gewaltorientierten Revolution zur<br />
Umwälzung <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />
Folge: Leninsche Interpretation / Abwandlung <strong>de</strong>r Marxistischen Theorie<br />
- Revolution ohne Proletariat durch Umsturz in einem agrarischen Staat<br />
Theorie <strong>de</strong>r Klassenbündnisse (Arbeiter und Bauern)<br />
Theorie <strong>de</strong>r Neuen Partei<br />
o Grundlage <strong>de</strong>r Revolution (Berufsrevolutionäre, die die<br />
Bevölkerung zu einem revolutionären<br />
Bewusstsein bringen wollen)<br />
Folge: Stalin<br />
- Revolution als Sozialismus in einem Land (Russland)<br />
Demokratischer Sozialismus:<br />
Ablehnung <strong>de</strong>r Revolution, statt<strong>de</strong>ssen Evolution<br />
Staat hat sein Selbstverständnis / Rollenverständnis geän<strong>de</strong>rt (Herrschaftsinstrument =><br />
Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft)<br />
Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
Bernstein verän<strong>de</strong>rt die Marxschen Theorien:<br />
• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Staates<br />
Volksstaat<br />
• Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
• Neuer Mittelstand statt Verelendung <strong>de</strong>s Proletariats<br />
Teilung:<br />
1. Demokratisierung <strong>de</strong>s Staates<br />
2. Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Analyse <strong>de</strong>s 2. Bernstein - Textes<br />
Abschnitt 1:<br />
- Völliger Zusammenbruch <strong>de</strong>s gegenwärtigen Produktionssystems ist bei <strong>de</strong>r<br />
gegenwärtigen Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft unwahrscheinlich<br />
För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Anpassungsfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />
- Wi<strong>de</strong>rspruch zu Marx: Revolution för<strong>de</strong>rt diese Entwicklung nicht positiv<br />
- Umstülpung <strong>de</strong>r bürgerlichen Schicht hätte heutzutage Auswirkungen auf die ganze<br />
Gesellschaft, im Gegensatz zur feudalen Gesellschaft (A<strong>de</strong>l gegen König => Bauern sind<br />
nicht betroffen)<br />
Auswirkungen auf das <strong>gesamt</strong>e Proletariat, das in <strong>de</strong>r Industrie arbeitet (bsp.<br />
Französische Revolution; bürgerliche Schicht gegen A<strong>de</strong>l und König)<br />
Sollte das Proletariat gegen die an<strong>de</strong>ren Schichten vorgehen, wäre die Zahl <strong>de</strong>r<br />
betroffenen Menschen wesentlich höher<br />
- Enteignung und Zerteilung von Firmen ist heutzutage kaum mehr möglich, da die<br />
Produktion bei einer Erhebung schwer zu erhalten wäre<br />
Gegensatz zur feudalen Politik (Enteignung von Bauern, Grundbesitz, e.t.c.)<br />
Eine Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse ist aus diesen Grün<strong>de</strong>n nicht<br />
erwünschenswert<br />
Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus aus Eigeninteresse<br />
Abschnitt 2:<br />
- Frage: Verwirklichung <strong>de</strong>s Sozialismus nie zu erwarten? (Herstellung <strong>de</strong>r klassenlosen<br />
Gesellschaft)<br />
- Die strenge Umsetzung <strong>de</strong>s Sozialismus (nach Marx) liegt in weiter Ferne<br />
- Reformweise Umsetzung sozialistischer Elemente wird angestrebt<br />
z.B. Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip [n. –snur Sg.; Pol., Soziol.] Ordnungsprinzip in Staat und<br />
Gesellschaft, das besagt, dass <strong>de</strong>r Staat im Verhältnis zur Gesellschaft Hilfe zur<br />
Selbsthilfe als Ergänzung <strong>de</strong>r Eigenverantwortung anbieten soll (1961 im<br />
Bun<strong>de</strong>ssozialhilfegesetz verankert)<br />
- Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Kontrollmöglichkeiten <strong>de</strong>r Gesellschaft / Staates über die Wirtschaft<br />
Gegensatz zum Liberalismus: nicht mehr nur Ermöglichung <strong>de</strong>s freien Spiels <strong>de</strong>r<br />
Kräfte, son<strong>de</strong>rn Eingriff <strong>de</strong>s Staates / <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Staat soll die Wirtschaft so leiten, das die von Marx beschriebene Ausbeutung <strong>de</strong>r<br />
Proletarier nicht zu Stan<strong>de</strong> kommt (= Auswüchse <strong>de</strong>s Sozialismus nach Marx) (= Ziel <strong>de</strong>s<br />
<strong>de</strong>mokratischen Sozialismus nach Bernstein)<br />
Das Endziel <strong>de</strong>s Sozialismus rückt in <strong>de</strong>n Hintergrund – Der Weg hin zum Endziel <strong>de</strong>s<br />
Sozialismus steht im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
Bewegung steht im Vor<strong>de</strong>rgrund, nicht das Endziel (= Utopie) („Das Ziel ist nichts,<br />
<strong>de</strong>r Weg ist Alles.“)<br />
Abkehr von <strong>de</strong>m Revolutionsgedanken Marx´s<br />
Weg zu einer reformartigen Umsetzung sozialistischen Gedankenguts<br />
Resumee: Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Freiheit<br />
Definition <strong>de</strong>r Freiheit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Freiheit verlangt Freisein von entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten, von Not und Furcht,<br />
aber auch die Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten und in Gesellschaft und<br />
Politik verantwortlich mitzuwirken.<br />
Menschliche Freiheit ist nicht gegeben, wenn man in einer entwürdigen<strong>de</strong>n<br />
Abhängigkeit ist.<br />
• Chance zur Entfaltung <strong>de</strong>r Freiheit ist eine Leistung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
Freiheit existiert nur innerhalb einer Gesellschaft<br />
Die Gesellschaft schafft die Rahmenbedingungen in <strong>de</strong>r Menschen<br />
frei sein können<br />
Gesellschaft muss die Abhängigkeiten <strong>de</strong>r Menschen beseitigen<br />
o Wahrnehmung <strong>de</strong>r Freiheit erst dann möglich<br />
Gerechtigkeit<br />
Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
Gerechtigkeit in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen:<br />
Solidarität<br />
• gleiche Wür<strong>de</strong> aller Menschen<br />
• gleiche Freiheit,<br />
• Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetz,<br />
• gleiche Chancen <strong>de</strong>r politischen und sozialen Teilhabe und <strong>de</strong>r sozialen<br />
Sicherung.<br />
• gesellschaftliche Gleichheit von Mann und Frau<br />
• Verteilung von Einkommen<br />
• Eigentum<br />
• Macht<br />
• Zugang zu Bildung<br />
• Ausbildung und Kultur.<br />
Chancengleichheit statt Chancengerechtigkeit !<br />
Umverteilung von Einkommen durch Steuern (hohe Steuern für<br />
Hochverdienen<strong>de</strong> / niedrige Steuern für Niedrigverdiener<br />
nicht Gleichförmigkeit, son<strong>de</strong>rn Entfaltungsraum für alle<br />
Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />
• Bereitschaft füreinan<strong>de</strong>r Einzustehen und zu helfen, über das<br />
lebenserhalten<strong>de</strong> Niveau hinaus<br />
• Subsidiarität: Unterstützung <strong>de</strong>r niedrigeren Schicht, sofern sie sich selbst<br />
nicht mehr helfen kann<br />
Solidarität: Hilfe in je<strong>de</strong>m Fall, nicht nur im Notfall<br />
• Chancengleichheit für alle Menschen (vor allem für Menschen in <strong>de</strong>r<br />
Dritten Welt)<br />
Grundbedürfnisstrategie<br />
• Sicherung für kommen<strong>de</strong> Generationen<br />
Prinzip <strong>de</strong>r Nachhaltigkeit<br />
• Nur gemeinsames Agieren sichert das Wohl aller<br />
Abkehr vom Individualismus