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Hauptfrage von Staatstheorien:<br />

Was ist ein Staat?<br />

113 Politik – Mitschrift – 22.02.05<br />

Unter Karl <strong>de</strong>m Großen: Staat soll ein christlich bestimmtes Reich sein.<br />

christliches Weltreich<br />

In <strong>de</strong>r Renaissance: Humanismus<br />

Mensch als Maß aller Dinge<br />

Neue Staatsi<strong>de</strong>e<br />

John Locke: Staatsi<strong>de</strong>e<br />

- 17.Jhrd.: Versuch in England <strong>de</strong>n Absolutismus einzuführen<br />

Bill of Right / Magna Carta: Scheitern <strong>de</strong>s Versuchs<br />

Locke formuliert Kampfschrift<br />

- Definition <strong>de</strong>s Staates: Der Mensch ist <strong>de</strong>r Stifter <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>r das Eigentum <strong>de</strong>r<br />

Menschen sichern soll<br />

Sicherung <strong>de</strong>s Eigentums an Leben und physischem Eigentum (Land, erarbeitete<br />

Güter, e.t.c.)<br />

Besitz und Sicherung <strong>de</strong>s selbst geschaffenen Eigentums wird angestrebt<br />

Staat ist sozusagen eine Selbstschutzorganisation, die <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>s selbst<br />

geschaffenen Eigentums sichern soll<br />

I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Staatsertrags / Gesellschaftsvertrag geschlossen durch das Volk<br />

Der Staat ergibt sich aus einem Vertrag <strong>de</strong>r Bürger<br />

Gesetze sollen die Interessen <strong>de</strong>r Vertragschließen<strong>de</strong>n Parteien zu sichern (= Mittel<br />

zum Zweck)<br />

Unterscheidung: 2 Gewalten<br />

1.) Legislative<br />

– Gesetzgeben<strong>de</strong> Körperschaft ist durch das Volk gewählt und soll ihm dienen<br />

– oberste Gewalt und liegt in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Volkes und ihrer Repräsentanten<br />

nicht <strong>de</strong>r König ist die höchste Gewalt, son<strong>de</strong>rn das Volk<br />

Schutz <strong>de</strong>r Bürger und ihres Eigentums<br />

Zentrale For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Parlamentarismus: Steuerrecht / Finanzrecht<br />

Billigung durch das Parlament<br />

Grundlegen<strong>de</strong>s Recht Eigentum zu erwerben<br />

Das Eigentum darf <strong>de</strong>n Menschen ohne ihre Zustimmung nicht weggenommen<br />

wer<strong>de</strong>n<br />

Das Denken <strong>de</strong>r Menschen än<strong>de</strong>rt sich vom Theozentrischen Weltbild zur Ansicht <strong>de</strong>s<br />

Humanismus <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund stellt<br />

Zentrale Begriffe innerhalb <strong>de</strong>s Textes: Eigentum, Volk, Legislative, Grundrechte<br />

(Menschenrechte)<br />

Begrenzung <strong>de</strong>r exekutiven Macht gegenüber <strong>de</strong>r Legislativen Gewalt wird somit<br />

gerechtfertigt<br />

H.A. 22.02.05: Montesquieu recherchieren<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 113 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 1


113 Politik – Mitschrift – 24.02.05<br />

Adam Smith (1776): Natur und Wesen <strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s<br />

- Der Mensch ist von an<strong>de</strong>ren Menschen abhängig<br />

vom Wohlwollen allein wird er diese Hilfe nicht bekommen<br />

- Je<strong>de</strong>r soll davon überzeugt sein das es ihm einen Vorteil verschafft, wenn er so<br />

han<strong>de</strong>lt wie ich es will<br />

- Bei einem Geschäft meinen bei<strong>de</strong> sie hätten einen Vorteil<br />

Tauschhan<strong>de</strong>l: „Gib mir was ich brauche und ich gebe dir was du brauchst.“<br />

gerechter Han<strong>de</strong>l ohne das jemand dabei Gewinn / Vorteil hat<br />

- Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen wer<strong>de</strong>n nicht aus Wohlwollen befriedigt, son<strong>de</strong>rn aus<br />

Eigennutz <strong>de</strong>r Anbieter<br />

- Man spricht von ihren Vorteilen und an ihr Selbstinteresse<br />

Marktwirtschaftliches Prinzip<br />

Egoistische Einstellung<br />

- Der Markt reguliert sich selbst durch die verschie<strong>de</strong>nen egoistischen Interessen <strong>de</strong>r<br />

Individuen<br />

Grundgedanke <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

- Locke: Staat nur Beschützer <strong>de</strong>r Bürger, sodass sie ihr Eigentum genießen können<br />

Kombination <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Theorien (Locke + Adam Smith) ergibt die Grundtheorie <strong>de</strong>s<br />

Liberalismus<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 113 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 1


113 Politik – Mitschrift – 01.03.05<br />

- Unterschiedliche Freiheitsbegriffe innerhalb <strong>de</strong>r Parteien vorhan<strong>de</strong>n<br />

unterschiedliche Auslegung<br />

prinzipiell hat <strong>de</strong>r Mensch das Recht auf die Wahrung <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong><br />

- Bestimmte Aspekte <strong>de</strong>r Freiheit:<br />

• Freizügigkeit<br />

• Wahlrecht<br />

• E.t.c.<br />

- Unterschied zwischen Locke und Montesquieu:<br />

• Locke: Freier Genuss <strong>de</strong>s Eigentums => bei vielen im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />

• Montesquieu: Schutz <strong>de</strong>s Individuums<br />

Rechtsstaat<br />

- Problematik: Schutz <strong>de</strong>s Eigentums o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Individuums?<br />

- Text: Der Liberale Rechtsstaat<br />

Durchsetzung dieser Fundamentalen Prinzipien zu unterschiedlichen Zeiten<br />

Unterschiedliche Betonung <strong>de</strong>r o.g. Punkte (Eigentum Rechtssicherheit)<br />

Betonung <strong>de</strong>s Eigentums in <strong>de</strong>r BRD<br />

Staatliches Han<strong>de</strong>ln wird an Recht und Gesetz gebun<strong>de</strong>n<br />

• nur Staatliche Organe<br />

Rechtsstaat bzw. Organe <strong>de</strong>s Rechtsstaats wer<strong>de</strong>n eingeschränkt<br />

Priorität im Rechtsstaat für Rechtssicherheit und nicht für soziale Sicherheit /<br />

Gerechtigkeit<br />

• nur ein Paragraph bezieht sich auf soziale Gerechtigkeit: 17<br />

Naturrecht: vorstaatliches, angeborenes Recht das je<strong>de</strong>m Menschen eigen ist<br />

• Steht nicht zur Disposition <strong>de</strong>s Staates<br />

H.A. 01.03.05<br />

Seite 1+2 <strong>de</strong>s Textes<br />

Von Robert Leicht<br />

durchlesen<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 113 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 1


Angelsächsischer Liberalismus:<br />

(freie Nutzung <strong>de</strong>r eingenen Arbeit<br />

Arbeit bil<strong>de</strong>t Eigentum<br />

Freiheit)<br />

Französischer Liberalismus:<br />

(Begrenzung staatlicher Macht, Zugunsten<br />

<strong>de</strong>r individuellen Freiheit)<br />

Freiheit als Schutz vor staatlicher<br />

Willkür<br />

Nationalliberale<br />

(zur Unterstützung<br />

Bismarcks)<br />

For<strong>de</strong>rungen:<br />

Sozialer Liberalismus:<br />

- Rechtsordnung<br />

Von Friedrich Normann:<br />

- Wirtschaftliche<br />

Es existiert nur Freiheit, wenn sie<br />

Auch wahrgenommen wird.<br />

Orientierung<br />

Die Möglichkeit zur Ausübung muss gegeben<br />

Sein<br />

Der Staat muss die Möglichkeiten zur<br />

Verfügung stellen, um die Freiheit wahr<br />

Zunehmen<br />

Staat wird aktiv tätig<br />

2<br />

Klassischer Liberalismus<br />

Des 19. Jhrds.<br />

(liberalischer<br />

Nachtwächterstaat)<br />

113 Politik – Mitschrift – 10.03.05<br />

Sozialer Liberalismus<br />

(Normann)<br />

1<br />

Wirtschaftsorientierung<br />

Rechtsstaatsorientierung<br />

Neoliberalismus<br />

Sozialliberalismus<br />

(Freiburger Thesen<br />

1871)<br />

Rückkehr zur<br />

klassischen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s<br />

frühen Liberalismus<br />

(Neoliberalismus)<br />

Altliberalismus<br />

Ordolberalismus<br />

(Prinzip <strong>de</strong>s<br />

Wettbewerbs soll<br />

aufrecht erhalten<br />

bleiben) =><br />

Stabilisierung <strong>de</strong>s<br />

Marktes durch<br />

staatliche Ordnung


Text von Robert Leicht:<br />

213 Politik – Mitschrift – 15.03.05<br />

- Kommunitarismus: (v.a. in <strong>de</strong>n USA)<br />

Bürger sind dazu angehalten, ihr Eigentum zu erhalten und zu beschützen<br />

Bzw. das Eigentum an<strong>de</strong>rer zu sichern<br />

I<strong>de</strong>e außerhalb <strong>de</strong>r staatlichen Organisation sich selbst zu verwalten und zu beschützen<br />

Unter Umstän<strong>de</strong>n faschistoi<strong>de</strong> Einstellung bzw. Auswüchse<br />

An<strong>de</strong>res Gesellschaftsverständnis<br />

Abschottung von <strong>de</strong>r Außenwelt, innerhalb <strong>de</strong>s Staates bleiben die Bürger größtenteils<br />

selbstverantwortlich<br />

Gegenbewegung zum Liberalismus (nicht in BRD etabliert)<br />

- Abschnitt (1):<br />

• Freiburger Thesen: Regeln <strong>de</strong>s sozialen Liberalismus sind darin nie<strong>de</strong>rgeschrieben<br />

Abschnitt (2):<br />

Abschnitt (3):<br />

• Was ist eigentlich noch liberal?<br />

• Ten<strong>de</strong>nz: Der Staat tritt autoritärer auf und kontrolliert die Bürger zunehmend<br />

• Liberale Gesellschaften sind nicht dazu in <strong>de</strong>r Lage ihre Existenz zu sichern, bauen kontinuierlich<br />

ab (= Gegensatz zum Liberalismus)<br />

Abschnitt (4):<br />

• Liberalismus for<strong>de</strong>rt einen informierten, selbstbewussten Menschen<br />

Realität: Zunehmen<strong>de</strong> Entmündigung <strong>de</strong>s Menschen und Desinformation<br />

Abschnitt (6):<br />

• Alle Richtungen sind am Gemeinwohl orientiert: Frage steht im Raum in welcher Weise dies<br />

bewerkstelligt wer<strong>de</strong>n soll<br />

Abschnitt (7):<br />

• Rechtsstaat und Grundrechte sind (zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r westlichen Hemisphäre) Allgemeingut<br />

Inhalte dieser Grundrechte sind allerdings in <strong>de</strong>r Diskussion und nicht vollkommen<br />

Allgemeingut (bis heute)<br />

Abschnitt (8): vgl. 3+4<br />

Abschntt (9):<br />

• In Krisen sind die Menschen schnell dazu bereit gesetzliche Min<strong>de</strong>stgarantien aufzugeben<br />

Duldung <strong>de</strong>s Staates<br />

Abschnitt (10):<br />

• Liberalismus ist hochaktuell, da je<strong>de</strong>r sich für liberal hält, aber liberales Gedankengut gleichzeitig<br />

bekämpfen<br />

Abschnitt (11)<br />

• Geht auf Montesquieu, Locke, u.s.w. ein<br />

H.A.: 15.03.05<br />

Historischer Überblick lesen<br />

S.7: „Um es einmal gotisch auszudrücken.“<br />

Lesen.<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 113 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 1


Einzufügen: Zeichnung (auf Mitschrift 24.02.05)<br />

113 Politik – Mitschrift – 25.02.05<br />

- Bun<strong>de</strong>skanzler bleibt Abgeordneter<br />

- Wird durch die Mehrheit gewählt<br />

bestimmt sein Kabinett<br />

Exekutive bleibt Teil <strong>de</strong>r Legislative<br />

Wenn überhaupt funktionelle Gewaltenteilung<br />

Keine institutionelle Gewaltenteilung<br />

Keine Gewaltenteilung, son<strong>de</strong>rn Gewaltenverschränkung bzw. Gewaltenverschmelzung<br />

Element <strong>de</strong>r sog. Parlamentarischen Demokratie<br />

- erstmals untersucht durch Sir Walter Bagehot<br />

- parlamentarische Mehrheit will die Regierung im Amt halten<br />

bei Wi<strong>de</strong>rstand: Vertrauensfrage<br />

Kontrolle <strong>de</strong>r Regierung nur in <strong>de</strong>r präsidialen Demokratie, nicht in <strong>de</strong>r parlamentarischen Demokratie<br />

- Die Mehrheit <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stages bestimmt über <strong>de</strong>n Ausgang <strong>de</strong>r Untersuchungskommissionen<br />

Affären und Vorfälle gehen gemäß <strong>de</strong>r Mehrheitsverteilungen im Bun<strong>de</strong>stag aus<br />

Montesquieu:<br />

- in England im Exil aufgrund:<br />

Kritik am französischen System<br />

Siehe Rousseau (war in die Schweiz ausgewan<strong>de</strong>rt)<br />

- Ungleichheit durch Besitz<br />

- Zivilisation hat die Kultur verdorben<br />

Rückbezug auf natürliche Lebensbedingungen<br />

In <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>s Barock (Absolutismus)<br />

Entmachtung <strong>de</strong>r Adligen durch Ludwig 14. durch Einführung und Zwang <strong>de</strong>s sog. Höfischen Lebens<br />

Libertinage: Das Leben genießen, aber nur im oberflächigen Bereich<br />

- alle Kritiker wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Land verbannt<br />

- politisches System <strong>de</strong>s Absolutismus: Terror und Unterdrückung, Entmachtung und Kontrolle <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls<br />

- in England: Parlament beharrt auf Gewaltenteilung<br />

kein Absolutismus<br />

I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gewaltenteilung von 3 Gewalten, die nebeneinan<strong>de</strong>r existieren (nicht übereinan<strong>de</strong>r wie in<br />

England)<br />

http://www.case-gallery.<strong>de</strong>/<br />

Modding-Station.net - The German Modding Source<br />

- bei Montesquieu: Freiheitheitsbegriff bzw. Staatsvorstellung:<br />

Sicherheit vor staatlicher Willkür<br />

Sicherheit / Freiheit von Angst<br />

Rechtssicherheit die ihn vor staatlicher Willkür schützt<br />

Ein Bürger braucht <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und braucht <strong>de</strong>n Staat nicht zu führen<br />

Rechtsstaat soll angestrebt wer<strong>de</strong>n<br />

- Legislative und Judikaive in einer Hand: Einschränkung <strong>de</strong>r Freheit<br />

- Bzw. Legislative und Exekutive<br />

siehe Ermächtigungsgesetz (NS)<br />

- kommen alle 3 Gewalten zusammen<br />

keine Freiheit (siehe NS-Zeit)<br />

Französischer Liberalismus: Rechtsstaatsi<strong>de</strong>e<br />

Englischer Liberalismus: Weitgehen<strong>de</strong> Enthaltung <strong>de</strong>s Staates aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

FDP: Dualismus aus diesen bei<strong>de</strong>n Strömungen ergibt <strong>de</strong>n politischen Kurs<br />

Hausaufgabe 25.02.05<br />

Abschnitt: Der liberale Rechtsstaat durchlesen<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 113 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 1


Thema: Kommunitarismus<br />

Anhang:<br />

213 Politik – Mitschrift – 17.03.05<br />

- Philosophische, politische Richtung: v.a. verbreitet in <strong>de</strong>n USA<br />

- lehnt <strong>de</strong>n Liberalismus ab<br />

- Das Individuum ist nicht wie im Liberalismus angenommen in <strong>de</strong>m beschriebenen Maße autonom<br />

Die liberale Gesellschaft verkennt, dass Individuen nicht autonome Wesen sind, son<strong>de</strong>rn immer<br />

auch Teile von Communities.<br />

• Individualismus: hat Sinnverlust zur Folge<br />

Menschenbild <strong>de</strong>s Kommunitarismus:<br />

- Mensch bewertet sein Han<strong>de</strong>ln immer nach bestimmten Kriterien<br />

- Menschliches Han<strong>de</strong>ln ist niemals wertneutral, son<strong>de</strong>rn steht in einem moralischen Raum<br />

Problem: Keine Aussage wer diesen moralischen Raum vorzugeben hat.<br />

- Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Liberalismus: Staatsvertragsi<strong>de</strong>e wird verneint<br />

- Kommunitarier <strong>de</strong>finieren die Vernunft und Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen Menschen über die Gemeinschaft<br />

Gemeinschaft wird über <strong>de</strong>n Menschen gestellt<br />

- Menschen sind nur Menschen, wenn sie als Teil einer Gesellschaft leben<br />

Anzweiflung <strong>de</strong>r Menschenrechte<br />

Gefangene wer<strong>de</strong>n nicht als Menschen mit unveräußerlichen Rechten verstan<strong>de</strong>n<br />

Respekt vor <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist ausschlaggebend für die Einhaltung von Werten und Normen und nicht<br />

die Tat an sich ist für die Entscheidung wichtig<br />

Mensch han<strong>de</strong>lt aus Eigennutz, da er Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft bleiben möchte<br />

Kommunitarismus<br />

[von englisch community, "Gemeinschaft", "Gemeinwesen"]<br />

eine in <strong>de</strong>n USA entstan<strong>de</strong>ne Denkströmung innerhalb <strong>de</strong>r Sozialwissenschaften und <strong>de</strong>r Philosophie, die <strong>de</strong>m<br />

Gemeinschafts<strong>de</strong>nken angesichts globaler Herausfor<strong>de</strong>rungen und fortschreiten<strong>de</strong>r Inividualisierung beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung<br />

zuschreibt. Führen<strong>de</strong> Repräsentanten dieser Strömung sind u. a. A. Etzioni und M. Walzer. Der Kommunitarismus kritisiert<br />

<strong>de</strong>n Liberalismus als unzureichend und will ihn durch gemeinschaftsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Elemente ergänzen. Anhänger <strong>de</strong>s<br />

Kommunitarismus verurteilen die Verfolgung individueller Interessen ohne Berücksichtigung gemeinsamer ethischer Prinzipien<br />

und ohne soziale Orientierung. Auf politischer Ebene sollen dabei kommunitaristische Prinzipen das herkömmliche<br />

Institutionengeflecht erneuern.<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 213 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 2


Donnerstag 07.04.05<br />

3. Kursarbeit<br />

Politik - LK<br />

5. + 6. Stun<strong>de</strong><br />

Freitag 08.04.05<br />

Treffen mit Ottmar Schreiner<br />

Aufenthaltsraum: Neues Gebäu<strong>de</strong><br />

Wichtig für die Arbeit:<br />

213 Politik – Mitschrift – 05.04.05<br />

- Unterschiedliche Gewichtung <strong>de</strong>r Liberalismen<br />

- Verschie<strong>de</strong>ne Staatsi<strong>de</strong>en<br />

- Locke Montesquieu<br />

- Wirtschaftsliberalismus Rechtsstaats<strong>de</strong>nken<br />

- Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r einzelnen Liberalismus-Strömungen unterschei<strong>de</strong>n und innerhalb eines Textes erkennen<br />

können<br />

Strömungen: (Wirtschaftsliberalismus Rechtsstaats<strong>de</strong>nken) innerhalb z.B. <strong>de</strong>r FDP vertreten<br />

- Text:<br />

• welches Staatsverständnis liegt <strong>de</strong>m Text zu Grun<strong>de</strong>?<br />

• Welches Gesellschaftsbild liegt <strong>de</strong>m Text zu Grun<strong>de</strong> bzw. welches Gesellschaftsbild soll herbeigeführt<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

• Was ist Freiheit nach <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Verständnis? (z.B.: (Naumann): Freiheit liegt nur vor, wenn<br />

sie je<strong>de</strong>rmann wahrnehmen kann.)<br />

Rechtsstaatsi<strong>de</strong>e:<br />

- Bindung <strong>de</strong>s Staates an Recht und Gesetz (gemäß Montesquieu)<br />

Referent: Michael Couck<br />

Bezugskurs: 213 Politik<br />

Tutor: Herr Krisam<br />

Halbjahr: <strong>12</strong> / 2


213 Politik – Mitschrift – 15.04.05<br />

Friedrich List:<br />

Gründung <strong>de</strong>s allgemeinen <strong>de</strong>utschen Zollvereins in Verbindung mit radikaler Industrialisierung und Ausbau <strong>de</strong>s Verkehrsystems,<br />

z.B. Versuchsstrecke für experimentelle Dampfmaschinen (Lokomobil)<br />

Anlage<br />

- Rolle <strong>de</strong>s Staates differiert in allen Richtungen<br />

- Ordoliberalismus: Starke Rolle <strong>de</strong>s Staates, um die Wirtschaft zu lenken und zu ordnen<br />

Erhaltung <strong>de</strong>s Marktes (z.B. Kartellrecht / Gesetze – gegen Monopolstellung)<br />

- Verständnis <strong>de</strong>r Freiheit ist ebenso unterschiedlich<br />

Faschismus<br />

[italienisch fascio, "Bund, Bün<strong>de</strong>l", von lateinisch fascis, Fasces]<br />

die von B. Mussolini 1919 gegrün<strong>de</strong>te politische Bewegung, die zunächst aus Kampfverbän<strong>de</strong>n (fasci di combattimento) bestand, sich<br />

1921 als Partei formierte und 1922-1945 Italien beherrschte. Der Name Faschismus wird schon seit <strong>de</strong>n 1920er Jahren als<br />

Gattungsbezeichnung für ähnliche politische Bewegungen und Herrschaftssysteme außerhalb Italiens gebraucht, die sich selbst in <strong>de</strong>r<br />

Regel nicht "faschistisch" nannten o<strong>de</strong>r nennen. Die Frage, welche Merkmale für <strong>de</strong>n Faschismus wesentlich sind, wird unterschiedlich<br />

beantwortet. Es gibt enger und weiter gefasste Begriffsbestimmungen, aber auch die Auffassung, dass die Bezeichnung Faschismus auf<br />

das historische italienische System beschränkt wer<strong>de</strong>n sollte.<br />

Im weiteren Sinne kann <strong>de</strong>r Faschismus <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n als ein politisches System, das gekennzeichnet ist durch antiparlamentarische,<br />

oft antisemitische, totalitäre Führerstaatsten<strong>de</strong>nzen und sich vielfach einer sozialrevolutionären Ausdrucksweise bedient. Der an die<br />

Macht gelangte Faschismus lässt die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaftsordnung grundsätzlich unangetastet. Von Militärdiktaturen und an<strong>de</strong>ren<br />

autoritären Regimes unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Faschismus durch eine breitere Machtbasis, die durch zentral gesteuerte<br />

Massenorganisationen angestrebt wird. Diese Massenanhängerschaft kommt vor allen aus <strong>de</strong>m kleinen Mittelstand, <strong>de</strong>r sich zwischen <strong>de</strong>n<br />

Machtblöcken <strong>de</strong>s Großkapitals und <strong>de</strong>r Arbeiterbewegung bedroht fühlt. Der herrschen<strong>de</strong> Faschismus strebt jedoch <strong>de</strong>n Ausgleich mit<br />

<strong>de</strong>m Großkapital an, während er <strong>de</strong>mokratisch-unabhängige Arbeiterorganisationen zerstört. Charakteristisch für <strong>de</strong>n Faschismus ist die<br />

erbitterte Gegnerschaft gegen Demokratie, Liberalismus und Sozialismus.<br />

Neben <strong>de</strong>m italienischen Faschismus gab es in <strong>de</strong>n 1920er und 1930er Jahren in Europa mehrere Bewegungen und Parteien, die man im<br />

weiteren Sinne als faschistisch bezeichnen kann, z. B. <strong>de</strong>n Nationalsozialismus in Deutschland, <strong>de</strong>n Falangismus in Spanien, die<br />

Heimwehr in Österreich, die Pfeilkreuzler in Ungarn und die Eiserne Gar<strong>de</strong> in Rumänien. Nach <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg traten verschie<strong>de</strong>ne<br />

Spielarten von Neofaschismus auf.


Thema: <strong>de</strong>mokratischer Sozialismus<br />

213 Politik – Mitschrift – 19.04.05<br />

Hegel: Schöpfungsgedanke<br />

absoluter Weltgeist<br />

versucht seine Gedanken umzusetzen<br />

o Ausrichtung an einer I<strong>de</strong>e (Schöpfungsi<strong>de</strong>e)<br />

o Entstehung <strong>de</strong>r Realität dieser I<strong>de</strong>e Dialektik<br />

o Realität bringt neue I<strong>de</strong>en hervor<br />

Ziel <strong>de</strong>r Geschichte ist die Realisierung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s absoluten Weltgeistes<br />

o These – Antithese – Synthese – These<br />

eine Erklärung <strong>de</strong>r Geschichtsphilosophie<br />

Scheitern am 3. Reich, da dieses m.H. <strong>de</strong>r Dialektik nicht erklärt wer<strong>de</strong>n kann („Betriebsunfall“ <strong>de</strong>r Geschichte)<br />

• Menschen, Staaten und Institutionen sind Instrumente <strong>de</strong>s absoluten Weltgeists<br />

Staat ist ein mächtigeres Instrument <strong>de</strong>s absoluten Weltgeists<br />

o Der Mensch hat sich <strong>de</strong>m Staat unterzuordnen<br />

preußisches Gedankengut<br />

Übersicht über die Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach Karl Marx<br />

- verwirft Hegels Weltbild<br />

- Schüler an einer Jesuitenschule<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r Religion<br />

Atheist<br />

- Standpunkt: am Anfang stand die Materie<br />

Entwicklung zum Sinn <strong>de</strong>r Geschichte / En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geschichte<br />

o Materielle Beziehungen innerhalb <strong>de</strong>r Geschichte regeln <strong>de</strong>n Verlauf<br />

Dialektischer Materialismus<br />

• Umkehrung <strong>de</strong>s Hegel´schen Weltbil<strong>de</strong>s<br />

Geschichte wird als vorhersehbar und wissenschaftlich planbar angesehen<br />

o Führungsanspruch <strong>de</strong>r kommunistischen Parteien wird hierdurch begrün<strong>de</strong>t<br />

Zur Übersicht:<br />

1. Schritt<br />

o Vorhaben <strong>de</strong>s Menschen: Besitz erwerben und sichern (Existenzsicherung)<br />

o Planvolles Han<strong>de</strong>ln: zukünftige Existenzsicherung und Bearbeitung <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns (Ackerbau)<br />

Menschen wer<strong>de</strong>n sesshaft<br />

Arbeitsteilung: Trennung in Jäger und Ackerbaubetreiben<strong>de</strong><br />

o notwendige Hilfsmittel wer<strong>de</strong>n geschaffen<br />

• Prozesse wer<strong>de</strong>n spezialisiert und effizienter gemacht<br />

o Handwerkertum<br />

Trennung von Produktionsmittelbesitz und Produktionsmittelbenutzung<br />

2. Schritt<br />

o Sklavenhaltergesellschaft in <strong>de</strong>r Antike<br />

• Grundlage: Landarbeit <strong>de</strong>r Sklaven und Grundherrschaft weniger<br />

Mittelalter: Grundherrschaft weniger (Fürsten, Könige, Kaiser, u.s.w.), auf <strong>de</strong>ren Land Untergebene / Leibeigene arbeiten<br />

(Lehnswesen)<br />

• Lehnsstruktur<br />

o Abgaben an je<strong>de</strong> einzelne Schicht<br />

frühe Neuzeit: Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Schwarzpulvers<br />

• Rittertum been<strong>de</strong>t<br />

• Neuer Berufsstand in <strong>de</strong>n Städten (Handwerker, Händler)<br />

o Entstehung <strong>de</strong>s Frühbürgertums<br />

o „Stadtluft macht frei“<br />

17. + 18. Jhrd.: Enormer Geldbedarf <strong>de</strong>r Fürsten, wegen stehen<strong>de</strong>r Armeen<br />

• französischer Merkantilismus<br />

• Interesse <strong>de</strong>s Staates: hohe Einnahmen aus Steuern, Zölle<br />

o Einfuhr von Fertigwaren wird blockiert<br />

o Einfuhr von Rohstoffen för<strong>de</strong>rn<br />

o Ausfuhr von Rohstoffen hemmen<br />

o För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ausfuhr von Fertigwaren<br />

• Zur Produktion / Umsetzung notwendig: Manufakturen<br />

o Massenproduktion aufgrund von Handarbeit in einzelnen Arbeitsschritten<br />

Trennung <strong>de</strong>r Produktionsmittelbesitzer von <strong>de</strong>n Benutzern<br />

3. Schritt<br />

o Industrialisierung: Ersatz <strong>de</strong>r Arbeiter durch Maschinen, Produktionssteigerung<br />

Überangebot an Arbeitskräften<br />

• Billiglöhne<br />

o Entstehung <strong>de</strong>s Proletariats<br />

Trennung in Kapitalisten und Proletarier<br />

• Kapitalisten (Produktionsmittelbesitzen<strong>de</strong>):<br />

o<br />

• Proletarier (mit Produktionsmittel Arbeiten<strong>de</strong>):<br />

o Entfremdung <strong>de</strong>r Arbeiter vom Produkt (aufgrund mangeln<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation)<br />

Nur geringe Teilhabe am Produkt<br />

• Geistige Verelendung (Langeweile, geistige Beschränkung, e.t.c.)<br />

o<br />

Ausbeutung <strong>de</strong>r Arbeiter: Entstehung <strong>de</strong>s Kapitalismus (privatrechtliche Verfügung über Produktionsmittel)<br />

• Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Aufwertung <strong>de</strong>s Kapitals (Produktionsmittel: Maschinen, Gerätschaften, e.t.c.)<br />

• Konkurrenz zwecks Profitorientierung und Aufhebung <strong>de</strong>r Konkurrenz (Ausschaltung von Marktgegnern)<br />

o Monopolbildung<br />

Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals in wenigen Hän<strong>de</strong>n<br />

Nachschlagen: Akkumulation, Konkurrenz, Verelendung (HA. 19.04.05)<br />

Ab Seite 11: Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung lesen


Seite 11<br />

213 Politik – Mitschrift – 26.04.05 + 28.04.05 + 29.04.05<br />

Produktion von Mehrwert durch Lohnarbeit<br />

- Arbeiter verkauft <strong>de</strong>m Kapitalist seine Arbeitskraft<br />

- Arbeiter erwirtschaftet seinen eigenen Bedarf innerhalb einer kürzeren Zeit (z.B. 6 Stun<strong>de</strong>n)<br />

Kapitalist verpflichtet ihn aber zu <strong>de</strong>r doppelten Zeit<br />

Erwirtschaftung <strong>de</strong>s Mehrwertes für <strong>de</strong>n Kapitalisten<br />

Arbeiter erwirtschaften <strong>de</strong>n Wohlstand <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Profitmaximierung<br />

- Arbeitstag wird über das notwendige Maß hinausgezogen<br />

- Arbeitszeit muss immer noch bei 10 Stun<strong>de</strong>n bleiben<br />

Rationalisierung: schnelleres Arbeiten<br />

Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit wird verkürzt<br />

o Profitmaximierung <strong>de</strong>s Kapitalisten durch größeren Mehrwert<br />

Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung<br />

- geistige und körperliche Fixierung auf die monotone Arbeit<br />

- Maschine beraubt <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>s Inhaltes seines bearbeiteten Produkts (Entfremdung vom Produkt)<br />

- Arbeitsbedingung schafft / gestaltet <strong>de</strong>n Arbeiter (z.B. Geschwindigkeit <strong>de</strong>r Arbeit / Art <strong>de</strong>r Arbeit bleibt gleich, <strong>de</strong>r Arbeiter<br />

muss sich anpassen => z.B. Hüttenbetrieb / Kraftwerke / e.t.c.)<br />

Einschränkung <strong>de</strong>r Lebensqualität<br />

- Maschine ersetzt letztendlich <strong>de</strong>n Arbeiter<br />

Überangebot an Arbeitern durch langfristige Ersetzung <strong>de</strong>r Angestellten (z.B. Bankautomaten, Fahrkartenautomaten, e.t.c.)<br />

Sinken <strong>de</strong>r Löhne<br />

Chronisches Elend in <strong>de</strong>r Arbeiterschicht<br />

Entfremdung im Kapitalismus<br />

- keine I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>m Endprodukt, da<br />

• nur noch Teilprozesse durchgeführt wer<strong>de</strong>n<br />

• das Endprodukt nicht verstan<strong>de</strong>n wird<br />

geistige Beschränkung und Stagnation in <strong>de</strong>r geistigen Entwicklung <strong>de</strong>s Arbeiters<br />

- Das System Kapitalismus ist für Marx nicht das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s menschlichen Zusammenlebens<br />

Adam SmithsTheorie trifft nicht zu<br />

Die Freiheit <strong>de</strong>s Menschen wur<strong>de</strong> durch die Wirtschaft eingeschränkt und <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>generiert / stumpft ab durch o.g.<br />

Entwicklung<br />

Verelendung bei wachsen<strong>de</strong>m Reichtum<br />

- Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Investition in neue Maschinen zur Produktionssteigerung und Profitmaximierung<br />

Entlassung von Arbeitern<br />

o Verschlechterung <strong>de</strong>r Lebenssituation<br />

Verelendung Reichtum<br />

- Arbeitsqual: Monotonie / Dauerbelastung / Speditionsbetriebe [Fahrtzeiten]<br />

- Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation<br />

steigen<strong>de</strong> Arbeitslosenzahlen<br />

sinken<strong>de</strong> Löhne<br />

Arbeiter abhängig und verelen<strong>de</strong>n materiell<br />

Zentralisation <strong>de</strong>r Kapitale im Konkurrenzkampf<br />

Exkurs<br />

- Verwandlung vieler kleiner Kapitale in wenige große Kapitale weniger<br />

- Zentralisation von Kapitalen<br />

- Konkurrenzkampf: Verbilligung <strong>de</strong>r Preise durch bessere / effektivere Produktsmittel<br />

Ausschalten kleiner Anbieter, die preislich nicht konkurrieren können<br />

Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation und Zentralisierung von Kapital<br />

„Es ist nicht das ökonomische Sein das vom Bewusstsein gebil<strong>de</strong>t wird, son<strong>de</strong>rn umgekehrt das ökonomische Sein bil<strong>de</strong>t das<br />

Bewusstsein.“<br />

Produktionsbedingungen bestimmen das Bewusstsein (Kultur / Wissenschaft / e.t.c.)


Spiegel: lesen, Kapitalismuskritik<br />

Bernstein Text (S.13)<br />

1. Abschnitt<br />

213 Politik – Mitschrift – 03.05.05 + 10.05.05<br />

• Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus ist nicht in näherer Zeit zu erwarten<br />

• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen Taktik nicht nötig<br />

Kritik an Engels Revolutionsbestrebungen (gewalttätiger Umsturz Umsturz allgemein; nicht zwangsläufig m.H. von Gewalt)<br />

2. Abschnitt<br />

• Prognose <strong>de</strong>s „kommunistischen Manifests“ ist in ihrer Ten<strong>de</strong>nz richtig<br />

• Zeitlicher Aspekt und spezielle For<strong>de</strong>rungen wur<strong>de</strong>n aber falsch eingeschätzt<br />

3. Abschnitt<br />

• gesellschaftliche Probleme und Zuspitzungen sind nicht so verlaufen wie Marx es beschrieben hat (Arbeitszeit, Lebensumstän<strong>de</strong>, e.t.c.)<br />

• Zahl <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n ist angestiegen, nicht gesunken<br />

Kapitalismus hat sich geän<strong>de</strong>rt<br />

Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

• Mittelschichten sind immer größer gewor<strong>de</strong>n<br />

Unterschicht ist weitgehend verschwun<strong>de</strong>n<br />

o Verbleiben<strong>de</strong> Unterschicht wird gesellschaftlich und finanziell stark belastet<br />

4. Abschnitt<br />

• technologischer Fortschritt wird immer schneller, entgegen Bernstein<br />

Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals vollzieht sich entgegen Bernstein zunehmend schneller<br />

5. Abschnitt<br />

• Staat schränkt <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Kapitalisten ein<br />

entgegen Marx<br />

• zunehmen<strong>de</strong> Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Arbeiter haben großen Einfluss auf die Unternehmen durch <strong>de</strong>mokratische Institutionen<br />

o Gewerkschaften<br />

• Staat hat sich verän<strong>de</strong>rt:<br />

o Früher: Unterdrückungsinstrument <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Klasse (Kapilisten)<br />

o Heute: Staat <strong>de</strong>s Volkes, <strong>de</strong>r die Arbeiter vor Missbrauch und Machtausübung <strong>de</strong>s Staates schützt<br />

• Gesetze schützen die Arbeiter: Arbeiterschutzgesetze, Fabrikgesetze (Arbeitszeiten, Sicherheitsbestimmungen, e.t.c.)<br />

Freiheit <strong>de</strong>r Gewerkschaften und Machteinfluss wird als Fortschrittszeichen von Bernstein angesehen<br />

6. Abschnitt<br />

• Je mehr Demokratie zum tragen kommt, <strong>de</strong>sto weniger ist eine politische Katastrophe zu befürchten (Revolution)<br />

Streitpunkt: Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus (Marx: ja, Bernstein: Nein)<br />

o Da <strong>de</strong>r Staat sein Verständnis geän<strong>de</strong>rt hat<br />

o Kapitalismus hat sich als reformfähig erwiesen<br />

Kapitalismus wird in absehbarer Zeit nicht zusammenbrechen<br />

Revolutionärer Sozialismus:<br />

1. Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse durch eine Revolution ist zwangsläufig (Marx)<br />

2. bewusste Revolution (Engels / Lenin) – soll herbeigeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ablauf: nach Marx<br />

- Kapitalismuszusammenbruch<br />

Revolution <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />

Absterben <strong>de</strong>s Staates nach Erreichung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft<br />

Ablauf.: nach Engels<br />

- Anzetteln einer militärischen, Gewaltorientierten Revolution zur Umwälzung <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />

Folge: Leninsche Interpretation / Abwandlung <strong>de</strong>r Marxistischen Theorie<br />

- Revolution ohne Proletariat durch Umsturz in einem agrarischen Staat<br />

Theorie <strong>de</strong>r Klassenbündnisse (Arbeiter und Bauern)<br />

Theorie <strong>de</strong>r Neuen Partei<br />

o Grundlage <strong>de</strong>r Revolution (Berufsrevolutionäre, die die Bevölkerung zu einem revolutionären<br />

Bewusstsein bringen wollen)<br />

Folge: Stalin<br />

- Revolution als Sozialismus in einem Land (Russland)<br />

Demokratischer Sozialismus:<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r Revolution, statt<strong>de</strong>ssen Evolution<br />

Staat hat sein Selbstverständnis / Rollenverständnis geän<strong>de</strong>rt (Herrschaftsinstrument => Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft)<br />

Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

Bernstein verän<strong>de</strong>rt die Marxschen Theorien:<br />

• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Staates<br />

Volksstaat<br />

• Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

• Neuer Mittelstand statt Verelendung <strong>de</strong>s Proletariats<br />

Teilung:<br />

1. Demokratisierung <strong>de</strong>s Staates<br />

2. Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Abgrenzung verschie<strong>de</strong>ner Strömungen <strong>de</strong>s Sozialismus: USPD, MSPD<br />

Revisionismusstreit zwischen 2 Lagern:<br />

revolutionärer Sozialismus <strong>de</strong>mokratischer<br />

Sozialismus<br />

Kommentar:<br />

Teilung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

Nummer 1<br />

Kommentar:<br />

Teilung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

Nummer 2<br />

Kommentar: HA. 10.05.05:<br />

Text: Der Weg <strong>de</strong>s<br />

Kommunismus<br />

zusammenfassen (Qualität:<br />

Kursarbeit)


Themen <strong>de</strong>r Arbeit : 03.06.05<br />

Konservativismus<br />

Der Weg zum Sozialismus (2. Bernstein – Text)<br />

Abschnitt 1:<br />

213 Politik – Mitschrift – 13.05.05<br />

- Völliger Zusammenbruch <strong>de</strong>s gegenwärtigen Produktionssystems ist bei <strong>de</strong>r gegenwärtigen Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

unwahrscheinlich<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Anpassungsfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

- Wi<strong>de</strong>rspruch zu Marx: Revolution för<strong>de</strong>rt diese Entwicklung nicht positiv<br />

- Umstülpung <strong>de</strong>r bürgerlichen Schicht hätte heutzutage Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft, im Gegensatz zur feudalen<br />

Gesellschaft (A<strong>de</strong>l gegen König => Bauern sind nicht betroffen)<br />

Auswirkungen auf das <strong>gesamt</strong>e Proletariat, das in <strong>de</strong>r Industrie arbeitet (bsp. Französische Revolution; bürgerliche Schicht<br />

gegen A<strong>de</strong>l und König)<br />

Sollte das Proletariat gegen die an<strong>de</strong>ren Schichten vorgehen, wäre die Zahl <strong>de</strong>r betroffenen Menschen wesentlich höher<br />

- Enteignung und Zerteilung von Firmen ist heutzutage kaum mehr möglich, da die Produktion bei einer Erhebung schwer zu<br />

erhalten wäre<br />

Gegensatz zur feudalen Politik (Enteignung von Bauern, Grundbesitz, e.t.c.)<br />

Eine Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse ist aus diesen Grün<strong>de</strong>n nicht erwünschenswert<br />

Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus aus Eigeninteresse<br />

Abschnitt 2:<br />

- Frage: Verwirklichung <strong>de</strong>s Sozialismus nie zu erwarten? (Herstellung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft)<br />

- Die strenge Umsetzung <strong>de</strong>s Sozialismus (nach Marx) liegt in weiter Ferne<br />

- Reformweise Umsetzung sozialistischer Elemente wird angestrebt<br />

z.B. Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip [n. –snur Sg.; Pol., Soziol.] Ordnungsprinzip in Staat und Gesellschaft, das besagt, dass <strong>de</strong>r<br />

Staat im Verhältnis zur Gesellschaft Hilfe zur Selbsthilfe als Ergänzung <strong>de</strong>r Eigenverantwortung anbieten soll (1961 im<br />

Bun<strong>de</strong>ssozialhilfegesetz verankert)<br />

- Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Kontrollmöglichkeiten <strong>de</strong>r Gesellschaft / Staates über die Wirtschaft<br />

Gegensatz zum Liberalismus: nicht mehr nur Ermöglichung <strong>de</strong>s freien Spiels <strong>de</strong>r Kräfte, son<strong>de</strong>rn Eingriff <strong>de</strong>s Staates / <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft<br />

Staat soll die Wirtschaft so leiten, das die von Marx beschriebene Ausbeutung <strong>de</strong>r Proletarier nicht zu Stan<strong>de</strong> kommt (=<br />

Auswüchse <strong>de</strong>s Sozialismus nach Marx) (= Ziel <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus nach Bernstein)<br />

Das Endziel <strong>de</strong>s Sozialismus rückt in <strong>de</strong>n Hintergrund – Der Weg hin zum Endziel <strong>de</strong>s Sozialismus steht im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />

Bewegung steht im Vor<strong>de</strong>rgrund, nicht das Endziel (= Utopie) („Das Ziel ist nichts, <strong>de</strong>r Weg ist Alles.“)<br />

Abkehr von <strong>de</strong>m Revolutionsgedanken Marx´s<br />

Weg zu einer reformartigen Umsetzung sozialistischen Gedankenguts<br />

Abgleich mit aktueller Politik <strong>de</strong>r SPD<br />

Grundwerte (allgemein):<br />

1. Freiheit<br />

2. Rechtsgleichheit Grundwerte <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

3. Recht auf Eigentum<br />

H.A. 13.05.05<br />

Text durchlesen


Politik – Arbeit: 3. Juni<br />

Text: Zielvorstellungen <strong>de</strong>r SPD (S. 14 / 15)<br />

Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Abgleich mit aktueller Politik <strong>de</strong>r SPD<br />

213 Politik – Mitschrift – 16.05.05<br />

Demokratischer Sozialismus grenzt sich sowohl vom Liberalismus, als auch vom Marxismus ab.<br />

Grundwerte (allgemein):<br />

1. Freiheit<br />

2. Rechtsgleichheit Grundwerte <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

3. Recht auf Eigentum<br />

Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Freiheit<br />

1. Freiheit<br />

2. Gerechtigkeit Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

3. Solidarität<br />

Definition <strong>de</strong>r Freiheit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Freiheit verlangt Freisein von entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten, von Not und Furcht,<br />

aber auch die Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten und in Gesellschaft und<br />

Politik verantwortlich mitzuwirken.<br />

Menschliche Freiheit ist nicht gegeben, wenn man in einer entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeit ist.<br />

• Chance zur Entfaltung <strong>de</strong>r Freiheit ist eine Leistung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Freiheit existiert nur innerhalb einer Gesellschaft<br />

Die Gesellschaft schafft die Rahmenbedingungen in <strong>de</strong>r Menschen frei sein können<br />

Gesellschaft muss die Abhängigkeiten <strong>de</strong>r Menschen beseitigen<br />

o Wahrnehmung <strong>de</strong>r Freiheit erst dann möglich<br />

Gerechtigkeit<br />

Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Gerechtigkeit in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen:<br />

• gleichen Wür<strong>de</strong> aller Menschen<br />

• gleiche Freiheit,<br />

• Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetz,<br />

• gleiche Chancen <strong>de</strong>r politischen<br />

und sozialen Teilhabe und <strong>de</strong>r<br />

sozialen Sicherung.<br />

• gesellschaftliche Gleichheit von<br />

Mann und Frau<br />

Solidarität<br />

Chancengleichheit statt Chancengerechtigkeit !<br />

Umverteilung von Einkommen durch Steuern<br />

(hohe Steuern für Hochverdienen<strong>de</strong> / niedrige<br />

Steuern für Niedrigverdiener<br />

nicht Gleichförmigkeit, son<strong>de</strong>rn<br />

Entfaltungsraum für alle<br />

Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

• Verteilung von Einkommen<br />

• Eigentum<br />

• Macht<br />

• Zugang zu Bildung<br />

• Ausbildung und Kultur.<br />

• Bereitschaft füreinan<strong>de</strong>r Einzustehen und zu helfen, über das lebenserhalten<strong>de</strong> Niveau hinaus<br />

• Subsidiarität: Unterstützung <strong>de</strong>r niedrigeren Schicht, sofern sie sich selbst nicht mehr helfen kann<br />

Solidarität: Hilfe in je<strong>de</strong>m Fall, nicht nur im Notfall<br />

• Chancengleichheit für alle Menschen (vor allem für Menschen in <strong>de</strong>r Dritten Welt)<br />

Grundbedürfnisstrategie<br />

• Sicherung für kommen<strong>de</strong> Generationen<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Nachhaltigkeit<br />

• Nur gemeinsames Agieren sichert das Wohl aller<br />

Abkehr vom Individualismus<br />

H.A. 16.05.05 – Parteiprogramme raussuchen – auf 3 Begriffe reduzieren (pro Partei > Be<strong>de</strong>utung je nach Partei)


Parteiprogramm <strong>de</strong>r CDU<br />

Freiheit<br />

213 Politik – Mitschrift – 19.05.05<br />

Freie Entfaltung in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

freie Entfaltung <strong>de</strong>r Person ein.<br />

<strong>de</strong>n notwendigen Freiheitsraum zu sichern.<br />

Freiheit umfaßt Rechte und Pflichten. Wer Freiheit für sich for<strong>de</strong>rt, muß die Freiheit seines Mitmenschen anerkennen.<br />

Recht sichert Freiheit<br />

sichert Freiheit. Es regelt das geordnete und friedliche Zusammenleben <strong>de</strong>r Menschen in Freiheit.<br />

Die Verwirklichung <strong>de</strong>r Freiheit bedarf <strong>de</strong>r sozialen Gerechtigkeit.<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r Politik ist es daher, <strong>de</strong>r Not zu wehren, unzumutbare Abhängigkeiten zu beseitigen und die materiellen Bedingungen <strong>de</strong>r<br />

Freiheit zu sichern.<br />

Persönliches Eigentum erweitert <strong>de</strong>n Freiheitsraum <strong>de</strong>s einzelnen für seine persönliche Lebensgestaltung.<br />

Subsidiarität<br />

Gleichberechtigung von Mann und Frau<br />

Leistung<br />

Die eigene Leistung gehört zur freien Entfaltung <strong>de</strong>r Person.<br />

Unsere Gesellschaft ist auf die Leistungsbereitschaft ihrer Mitglie<strong>de</strong>r angewiesen. Sie ist eine <strong>de</strong>r wesentlichen Grundlagen für<br />

Wohlstand und sozialen Frie<strong>de</strong>n.<br />

Gerechtigkeit<br />

Gleichheit<br />

Gleichheit aller Menschen in ihrer von Gott gegebenen Wür<strong>de</strong> und Freiheit.<br />

Gerechtigkeit be<strong>de</strong>utet gleiches Recht für alle. Recht schützt vor Willkür und Machtmißbrauch.<br />

Es sichert Freiheit auch für <strong>de</strong>n Schwächeren und schützt ihn.<br />

Chancengerechtigkeit<br />

Gerechtigkeit for<strong>de</strong>rt die Anerkennung <strong>de</strong>r persönlichen Leistung und Anstrengung ebenso wie <strong>de</strong>n sozialen Ausgleich.<br />

Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Ausgleichen<strong>de</strong> Gerechtigkeit<br />

Chancengerechtigkeit wächst auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n möglichst gerecht verteilter Lebenschancen Streben nach Gerechtigkeit<br />

28. Absolute Gerechtigkeit ist nicht erreichbar. Auch politisches Han<strong>de</strong>ln stößt wegen <strong>de</strong>r Unzulänglichkeit <strong>de</strong>s Menschen an Grenzen.<br />

Aber wir setzen uns mit äußerster Anstrengung für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und eine gerechtere Welt ein.<br />

Soziale Gerechtigkeit<br />

Gerechtigkeit schließt die Übernahme von Pflichten entsprechend <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit <strong>de</strong>s einzelnen zum Wohle <strong>de</strong>s<br />

Ganzen ein.<br />

Einsatz für weltweite Gerechtigkeit<br />

Solidarität<br />

Soziale Natur <strong>de</strong>s Menschen<br />

Solidarität heißt füreinan<strong>de</strong>r da sein, weil <strong>de</strong>r einzelne und die Gemeinschaft darauf angewiesen sind. Solidarität ist Ausdruck <strong>de</strong>r<br />

sozialen Natur <strong>de</strong>s Menschen und folgt aus <strong>de</strong>m Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe. Wechselseitige Verantwortung <strong>de</strong>s einzelnen und <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft<br />

Solidarität und Subsidiarität<br />

Solidarität und Mitverantwortung<br />

Solidarische Gemeinschaft im wie<strong>de</strong>rvereinigten Deutschland<br />

Solidarität mit <strong>de</strong>n künftigen Generationen<br />

Hausaufgaben<br />

Parteiprogramm <strong>de</strong>r Grünen analysieren


Schrö<strong>de</strong>r - Blair – Papier<br />

213 Politik – Mitschrift – 24.05.05<br />

Aufgaben:<br />

- Rolle <strong>de</strong>s Staates im wirtschaftlichen und sozialen System herausarbeiten<br />

- Zukunft <strong>de</strong>s Sozialsystems<br />

- Verhältnis Individuum – Gesellschaft<br />

Jospin - Papier<br />

Aufgaben:<br />

- Überprüfung <strong>de</strong>r Werte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus (HA. 24.05.05)


Zum Text von Edmund Burke<br />

213 Politik – Mitschrift – 10.06.05<br />

- Konservativismus: Entstan<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Gegenbewegung zur Aufklärung<br />

- Heilige Allianz: Bündnis von Kaisern gegen die Revolution<br />

- keine geschlossene Theorie, son<strong>de</strong>rn eine Geisteshaltung gegen liberale und sozial<strong>de</strong>mokratische Emanzipation<br />

• keine Bindung an die Meinung <strong>de</strong>r Wähler, son<strong>de</strong>rn Eigenverantwortlichkeit <strong>de</strong>s Parlamentariers<br />

Absprache <strong>de</strong>r Mündigkeit <strong>de</strong>s Bürgers<br />

Herrschaft <strong>de</strong>r Klugen<br />

Absprache <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s Volkes, allenfalls Legitimierung <strong>de</strong>r Herrschaft durch das Volk<br />

Zum Text von Gerd-Klaus Kaltenbrunner<br />

Kennzeichen <strong>de</strong>s Konservativismus:<br />

• nicht die Emanzipation <strong>de</strong>s Menschen führt zum Glück, son<strong>de</strong>rn die Bewahrung <strong>de</strong>r Rohstoffbestän<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r alten<br />

Tugen<strong>de</strong>n<br />

Ablehnung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus und <strong>de</strong>s Gedankengutes <strong>de</strong>r Aufklärung<br />

H.A. 10.06.05<br />

1. Menschenbild<br />

2. Bedürfnisse <strong>de</strong>s Menschen zur Anleitung<br />

3. Rolle <strong>de</strong>r Institutionen<br />

Menschenbild <strong>de</strong>s Konservatismus herausarbeiten<br />

Anhang<br />

Konservatismus<br />

(Weitergeleitet von Konservativismus)<br />

Konservatismus o<strong>de</strong>r auch Konservativismus (lat. conservare: erhalten, bewahren) ist ein Sammelbegriff für politische,<br />

gesellschaftliche o<strong>de</strong>r religiöse Bewegungen, <strong>de</strong>ren Hauptziel es ist, die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaftsordnung zu bewahren o<strong>de</strong>r<br />

Verän<strong>de</strong>rungen so zu gestalten, dass Revolutionen unnötig wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Begriff Konservatismus geht auf die 1818 von François-René <strong>de</strong> Chateaubriand in Paris herausgegebene Zeitschrift "Le<br />

Conservateur" zurück. Als Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r konservativen I<strong>de</strong>ologie gilt <strong>de</strong>r Englän<strong>de</strong>r Edmund Burke.<br />

Konservatismus ist keine philosophisch <strong>de</strong>finierte politische Haltung mit abstrakten Werten, son<strong>de</strong>rn jeweils auf die historische Situation<br />

bezogen - <strong>de</strong>r Konservatismus <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts hatte an<strong>de</strong>re I<strong>de</strong>ale als <strong>de</strong>r Konservatismus <strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts, <strong>de</strong>r<br />

Konservatismus in Amerika vertritt an<strong>de</strong>re Werte als <strong>de</strong>r Konservatismus in <strong>de</strong>r Schweiz.<br />

In <strong>de</strong>r Schweiz wie auch in an<strong>de</strong>ren europäischen Län<strong>de</strong>rn, insbeson<strong>de</strong>re im Alten Europa, dort insbeson<strong>de</strong>re in Frankreich, tritt <strong>de</strong>r<br />

Konservatismus heutzutage primär entwe<strong>de</strong>r in Form eines nationalistisch-ländlich-randregional geprägten Rechtskonservatismus o<strong>de</strong>r<br />

aber in Form eines etatistisch-gewerkschaftlichen (und oft ebenfalls ländlich-randregional geprägten) Linkskonservatismus auf; bei<strong>de</strong><br />

Strömungen sind gegen eine vertiefte Integration ihrer jeweiligen Staaten in die Europäische Union.<br />

Die genaue Definition <strong>de</strong>s Begriffes ist relativ schwierig, u.a. auch durch die Unterscheidung von liberalkonservativem,<br />

nationalkonservativem als auch christlichkonservativem Gedankengut. Oftmals wird auch in die zwei Hauptrichtungen<br />

Wertkonservatismus und Strukturkonservatismus eingeteilt.<br />

Der Konservatismus stützt sich jedoch zumeist auf Tradition, Religiosität und Autorität.<br />

Nicht nur in <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten wird zunehmend <strong>de</strong>r Begriff eines Neokonservativismus benutzt.<br />

Auch in Europa ist <strong>de</strong>rzeit ein Trend zur Rückkehr zu alten Werten wie Fleiß, Gehorsam und Patriotismus in öffentlichen Diskussionen,<br />

Kultur und Politik bemerkbar.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>r "Konservativen Revolution" schufen Intellektuelle in <strong>de</strong>r Weimarer Republik eine Verbindung zwischen<br />

nationalkonservativem und nationalsozialistischem Gedankengut.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Geistige Vertreter<br />

2 Siehe auch:<br />

1 Literatur<br />

2 Weblinks<br />

Geistige Vertreter<br />

Bereits Platons I<strong>de</strong>en über <strong>de</strong>n Staat können als "urkonservativ" verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Als einer <strong>de</strong>r wichtigsten Denker <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

Konservatismus gilt <strong>de</strong>r englische Philosoph Edmund Burke. Einigen gilt er als "Vater <strong>de</strong>s Konservatismus".<br />

Konservatismus (conservare lat. bewahren) Restauration <strong>de</strong>r Stän<strong>de</strong>gesellschaft; Restauration <strong>de</strong>s Fürstenstaates. Ordnung, Tradition,<br />

Autorität als oberste Werte. Kritik <strong>de</strong>r Staatsvertragstheorien, Kritik <strong>de</strong>r Volkssouveranität, Kritik <strong>de</strong>r Französischen Revolution (Burke)<br />

organische Staatstheorie, Staat als natürliche, gewachsene, gottgewollte Ordnung (v. Stahl)<br />

Siehe auch:<br />

Patriotismus, Nation, Volk, Werte, Die Deutschen Konservativen, Neokonservatismus<br />

Konservativismus<br />

[lateinisch]<br />

Konservatismus<br />

eine sich am geschichtlich Gewor<strong>de</strong>nen orientieren<strong>de</strong> Einstellung. Die konservative Haltung darf nicht mit <strong>de</strong>r reaktionären verwechselt<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn bei<strong>de</strong> auch häufig ineinan<strong>de</strong>r übergehen. Der Konservativismus begreift Geschichte als fortwirken<strong>de</strong> Vergangenheit und<br />

ist bemüht, ihren Kräften auch in mo<strong>de</strong>rner Form zur Wirksamkeit zu verhelfen. - Die konservative, historisch-organische<br />

Staatsauffassung entwickelte sich zu Beginn <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts durch Edmund Burke, <strong>de</strong>r im Staat eine Institution sah, die auf <strong>de</strong>r<br />

Verbindung von Tradition und <strong>de</strong>r Wirksamkeit <strong>de</strong>r gegenwärtig Leben<strong>de</strong>n in Verantwortung gegenüber <strong>de</strong>n zukünftigen Generationen<br />

beruhe; er stellte die zeitgemäße, reformerische Weiterentwicklung überkommener Einrichtungen <strong>de</strong>r (Französischen) Revolution<br />

entgegen. Als Vertreter <strong>de</strong>utscher konservativer Gedankengänge im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt bemühte sich F. J. Stahl um die Kontinuität<br />

sittlicher Werte auf <strong>de</strong>r Grundlage von Gewaltenteilung und Verfassung gegen die Willkür von Seiten <strong>de</strong>r Fürsten wie auch seitens <strong>de</strong>s


souveränen Volks. Diese gegen überspitzten Nationalismus und revolutionären Umsturz gerichtete Haltung bestimmt auch die Politik <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen konservativen Parteien. Reaktion, Restauration.<br />

Burke<br />

Edmund, englischer politischer Schriftsteller und Parlamentarier, * <strong>12</strong>. 1. 1729 Dublin, † 9. 7. 1797 Beaconsfield, Buckinghamshire; bis<br />

1790 Whig in <strong>de</strong>r Gruppe um Lord Rockingham (* 1730, † 1782); trat für die Freiheit <strong>de</strong>r nordamerikanischen Kolonien ein. Burke<br />

wandte sich scharf gegen die Französische Revolution, <strong>de</strong>ren Gräuel er voraussah. In seinen "Reflections on the Revolution in France"<br />

1790 trat er für <strong>de</strong>n organisch gewachsenen Staat im Gegensatz zum künstlich geschaffenen ein und wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

konservativen Staatsauffassung in <strong>de</strong>r Neuzeit.<br />

Heilige Allianz<br />

auf Veranlassung <strong>de</strong>s Zaren Alexan<strong>de</strong>r I. zwischen Russland, Österreich und Preußen am 26. 9. 1815 in Paris geschlossenes Bündnis,<br />

um die Staaten nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>s Christentums, <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, <strong>de</strong>r Liebe und <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns zu leiten. Alle europäischen<br />

Herrscher außer England und <strong>de</strong>m Papst traten <strong>de</strong>r Heiligen Allianz bei. Sie wur<strong>de</strong> unter Führung Metternichs zum Werkzeug <strong>de</strong>r<br />

reaktionären Mächte gegen die nationalen und liberalen Strömungen <strong>de</strong>r Völker.<br />

Die Arbeit von Professor Hengsbach<br />

Der gläubige Katholik Friedhelm Hengsbach ist ein erklärter Gegner <strong>de</strong>r zur Zeit laufen<strong>de</strong>n Sozialreformen. In einem Interview mit <strong>de</strong>m<br />

Stern-Magazin sprach er <strong>de</strong>utliche Worte über die Fehlentwicklung <strong>de</strong>r momentanen Reformeuphorie <strong>de</strong>r politischen Kräfte. Der<br />

Professor, für <strong>de</strong>n Solidarität und soziales Verhalten christliche Werte und gleichzeitig gesellschaftliche Notwendigkeit sind, artikuliert<br />

seine Ablehnung <strong>de</strong>r Einschnitte in das Sozialgefüge sehr <strong>de</strong>utlich.<br />

Interview mit <strong>de</strong>m Stern<br />

Es folgen weitere Schriften, die kurz kommentiert wer<strong>de</strong>n und dann als Link auf die Original-Beiträge eingefügt wur<strong>de</strong>n. Alle Links auf<br />

die Original-Beiträge verweisen auf PDF-Files.<br />

Kritik <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Fundamentalismus<br />

Im März 2003 publizierte er eine seine scharfe Kritik über, wie er es nannte, marktradikale Bekenntnisse und wirtschaftlichen<br />

Fundamentalismus.<br />

Er bezieht sich dabei auf auf Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme und auf Friedrich A. Hayeks Konzept spontaner Ordnung als<br />

Deutungsmuster <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft und setzt sich mit <strong>de</strong>n Theorien <strong>de</strong>r ökonomischen Funktionsregeln von Angebot und<br />

Nachfrage auseinan<strong>de</strong>r.<br />

Er verweist in seiner Analyse darauf, dass einseitige Betrachtungsweisen o<strong>de</strong>r die Ausblendung bestimmter Sichtweisen zwangsläufig<br />

zu Fehldiagnosen führt und zieht als Beispiel die Arbeitslosigkeit und die politische Reaktion darauf heran.<br />

Er kritisiert, dass betriebswirtschaftliches Denken mehr und mehr die volkswirtschaftliche Betrachtung verdrängt mit <strong>de</strong>r Folge, dass<br />

Unternehmen, <strong>de</strong>ren Blick zwangsläufig mehr auf betriebs- als auf volkswirtschaftliche Interessen gerichtet ist, stagnative Ten<strong>de</strong>nzen<br />

nicht <strong>de</strong>n marktpolitischen Anfor<strong>de</strong>rungen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n arbeitspolitischen Rahmenbedingungen zuordnen.<br />

Weiterhin kritisiert er die Fehleinschätzungen bezüglich <strong>de</strong>s Generationenkonflikts, beleuchtet die Fiskalpolitik <strong>de</strong>r EU mit <strong>de</strong>n<br />

unterschiedlichen Inflationswerten <strong>de</strong>r Kern- und <strong>de</strong>r Randlän<strong>de</strong>r und wirft einen Blick auf die Gefahren <strong>de</strong>r unterschiedlichen<br />

Marktsichtweisen <strong>de</strong>r USA und Europas.<br />

Die marktradikalen Bekenntnisse sind bo<strong>de</strong>nlos - Kritik <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Fundamentalismus<br />

Wird Solidarität fahrlässig <strong>de</strong>montiert?<br />

In einem im Mai 2003 publiziertem Beitrag reflektiert Professor Hengsbach die Betrachtung solidarischen Han<strong>de</strong>lns, real und politisch<br />

gesehen. So verweist er die modische Betrachtung, dass die Risikobereitschaft, Kreativität und Innovationskraft <strong>de</strong>r 20-30jährigen mehr<br />

Wachstum und Beschäftigung hervorbringen als die Erfahrung, das Urteilsvermögen und die Weisheit <strong>de</strong>r 50-60jährigen, in das Reich<br />

<strong>de</strong>r Fabel. Er sieht <strong>de</strong>n Generationenkonflikt nicht als Konflikt <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Generationen (Kind, Eltern, Großeltern) son<strong>de</strong>rn als<br />

Verteilungskonflikt einer Gereration (Erwerbstätige) an.<br />

Er verneint <strong>de</strong>n Zusammenhang zwischen Globalisierung und Arbeitslosigkeit und geißelt die politische Demontage <strong>de</strong>r sozialen Werte.<br />

In diesem Zusammenhang geht er auch auf die politischen Fehlentscheidungen <strong>de</strong>r Gesundheitsreform ein.<br />

Solidarität schmilzt nicht von selbst - Wird sie fahrlässig <strong>de</strong>montiert?<br />

Verantwortung <strong>de</strong>r Unternehmer<br />

In diesem Beitrag (Oktober 2003) setzt sich Prof. Hngsbach mit <strong>de</strong>r Verantwortung von Untenehmen auseinan<strong>de</strong>r und sinniert über die<br />

von von Max Weber vor 100 Jahren <strong>de</strong>finierten Begriffe einer Gesinnungsethik, die sich auf Handlungsabsichten und einer<br />

Verantwortungsethik, die sich auf Handlungsfolgen bezieht. Er verweist auf die Unterschie<strong>de</strong> individueller und gesellschaftlicher<br />

Verantwortung. Er verweist darauf, wie aus fürsorglicher Verantwortung <strong>de</strong>r Unternehmer kleinerer und mittlerer Betriebe zu ihren<br />

Arbeitern und Angestellten eine partnerschaftliche Verantwortung für hochqualifizierte und kompetente Angestellte gewor<strong>de</strong>n ist, die<br />

sorgsam gepflegt wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Er verweist auf die Divergenzen bei freiwilliger Verantwortungsbereitschaft gegenüber einer aufoktruierten Verantwortungspflicht und<br />

beleuchtet die Dimension <strong>de</strong>r Verantwortung im Verhältnis einer starr auf unternehmerische Gewinnmaximierung im Gegensatz zu einer<br />

offenen Auslegung mit optimalem Verhältnis <strong>de</strong>r genutzten Ressourcen und <strong>de</strong>s angestebten Gewinns.<br />

Die zivilgesellschaftliche und <strong>gesamt</strong>wirtschaftliche Verantwortung <strong>de</strong>r Unternehmer<br />

Gerechtigkeit zwischen <strong>de</strong>n Generationen?<br />

In diesem Beitrag (Oktober 2003) reflektiert er die Generationen<strong>de</strong>batte. Er klärt zunächst über <strong>de</strong>n Begriff Generationen auf. Er<br />

verweist auf die sozialen Regelungen, die gesellschaftliche Gruppen einan<strong>de</strong>r beanspuchen und schul<strong>de</strong>n und verweist die<br />

Kampfparolen <strong>de</strong>r Politik in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Populismus. In vier Schritten überprüft er die Kampfparolen und weist anschließend Wege<br />

zur Bewältigung. Dabei zerpflückt er zuerst die Behauptung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische Faktor und die geringe Geburtenrate belasteten die<br />

Generation von morgen. Im zweiten Schritt beleuchtet er das Verhältnis <strong>de</strong>r Staatsverschuldung zur nächsten Generation. Im dritten<br />

Schritt geht er auf die Umlagenfinanzierung ein und mo<strong>de</strong>riert <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Generationen-Bilanzierung. Danach folgen seine Thesen<br />

für <strong>de</strong>n Ausweg aus <strong>de</strong>r Krise.<br />

Gerechtigkeit zwischen <strong>de</strong>n Generationen? - Gerechtigkeit innerhalb <strong>de</strong>rselben Generation!<br />

Ein Menschenbild hinter <strong>de</strong>r Agenda 2010?<br />

In diesem Beitrag wer<strong>de</strong>n die markigen Thesen bezgl. <strong>de</strong>r Agenda und die dagegen diffus und <strong>de</strong>solat wirken<strong>de</strong>n ökonomischen und<br />

gesellschaftlichen Analysen <strong>de</strong>r Agenda gebrandmarkt.<br />

Anschließend wird das Menschbild beschrieben, <strong>de</strong>r Adressat <strong>de</strong>r Agenda o<strong>de</strong>r gelin<strong>de</strong> gesagt die Vorstellung <strong>de</strong>r Politiker von <strong>de</strong>n<br />

Menschen, die man mit <strong>de</strong>r Agenda in eine glorreiche Zukunft führen will.<br />

Ein Menschenbild hinter <strong>de</strong>r Agenda 2010?


Soziale Gerechtigkeit - mutwillig beschädigt<br />

Der Titel spricht für sich. Hier ein kurzer Auszug aus <strong>de</strong>m Beitrag:<br />

Tatsächlich wollte Bun<strong>de</strong>skanzler Schrö<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Erfolg seiner Politik daran messen lassen, dass sie zu mehr Wachstum und<br />

Beschäftigung führt. Aber die Verän<strong>de</strong>rungen, die jetzt <strong>de</strong>n Bürgerinnen und Bürgern mit geringem Einkommen zugemutet wer<strong>de</strong>n, sind<br />

wohl das Gegenteil versprochener Reformen.<br />

Sie sind ein reines Reform-Spektakel. Die Politiker kündigen Jahrhun<strong>de</strong>rtwerke an, etwa die größte Steuerreform seit Bestehen <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik o<strong>de</strong>r die größte Gesundheitsreform in <strong>de</strong>r jüngeren Sozialgeschichte o<strong>de</strong>r die größte Sparoperation, die es je gegeben<br />

hat. Aber sehr schnell verkümmert <strong>de</strong>r inszenierte Bühnenzauber zur Mini-Reparatur in einer Hinterhofwerkstatt. Dann wer<strong>de</strong>n nur noch<br />

Sozialleistungen eingespart, gekürzt, gestrichen.<br />

Soziale Gerechtigkeit - mutwillig beschädigt<br />

Gerechtigkeitsfieber<br />

Hier prangert Professor Hengsbach die von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Politikern geprägten Definitionen <strong>de</strong>r Gerechtigkeit an.<br />

Gerechtigkeitsfieber<br />

Die neuen Verformer<br />

Für Professor Hengsbach sind die Maßnahmen <strong>de</strong>r Agenda keine Reformen, son<strong>de</strong>rn Verformungen und ihre Initiatoren Verformer. Mit<br />

scharfen Worten greift er <strong>de</strong>n volkswirtschaftlichen Unsinn <strong>de</strong>r Maßnahmen an.<br />

Die neuen Verformer<br />

Clement durchgeknallt?<br />

Mit <strong>de</strong>r Fronleichnams-I<strong>de</strong>e von Clement, Feiertage abzuschaffen und unbezahlte Mehrarbeit zu verlangen und <strong>de</strong>n Hurra-Schreien<br />

etlicher Wirtschafts-Bosse und Parteifunktionäre hat man <strong>de</strong>n Professor wohl verärgert. Mit klaren Worten prangert er <strong>de</strong>n Unsinn<br />

solcher For<strong>de</strong>rungen an.<br />

Clement durchgeknallt?<br />

Viel Deformation, wenig Reform<br />

Dieser Beitrag befasst sich mit <strong>de</strong>r Gesundheitsreform und kritisiert unverhohlen die reißerischen Ankündigungen einer qualitativen<br />

Verbesserung <strong>de</strong>s Gesundheitswesens bei gleichzeitiger Demontage <strong>de</strong>s Solidargedankens. Auch hier verweist <strong>de</strong>r Professor auf die<br />

realen Marktmechanismen, die nach seinem Empfin<strong>de</strong>n keine Relevanz zu <strong>de</strong>n politisch <strong>de</strong>finierten Wettbewerbsmechanismen haben.<br />

Viel Deformation, wenig Reform<br />

Her<strong>de</strong>ntiere im Reformfieber<br />

Nach Ansicht von Professor Hengsbach füttert die Koalition die Öffentlichkeit mit Legen<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Abbau <strong>de</strong>r Sozialstruktur zu<br />

rechtfertigen. Die Opposition verliert sich nach seiner Auffassung in einem Überbietungswettbewerb, von <strong>de</strong>m letztendlich nichts als<br />

reine Sparkosmetik übrig bleibt. Er verweist darauf, dass sich im Solidargedanken die Beiträge nach <strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit und die<br />

Hilfeleistungen nach <strong>de</strong>r Notlage richten.<br />

Hengsbach geißelt die CDU als Trittbrettfahrer <strong>de</strong>r SPD-Beschlüsse, die nach seiner Ansicht die gesellschaftliche Spaltung verfestigen<br />

statt sie zu entschärfen.<br />

Her<strong>de</strong>ntiere im Reformfieber<br />

Sozialreformen sollen wirken und gerecht sein<br />

Prof. Hengsbach dokumentiert in diesem Beitrag die Defizite <strong>de</strong>r öffentlichen Debatten, die von Jahrhun<strong>de</strong>rtwerken und größten<br />

Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Sozialgeschichte sprechen und als stümperisches Flickwerk en<strong>de</strong>n. Er verweist auf die Tatsache, das bei <strong>de</strong>r<br />

Rasenmähermetho<strong>de</strong> von vorneherein die Stellen ausgegrenzt wur<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>r Rasenmäher nicht erfassen soll, dass die<br />

Entscheidungsträger und die einberufenen Kommissionäre selbst keinerlei Erfahrung mit sozialer Ausgrenzung und Armut haben und<br />

somit die Denkweisen von abgesicherten Beamten und Unternehmensmanagern vertreten. Er klagt an, dass bei <strong>de</strong>n Reformen die<br />

Opfer zu Tätern, Verweigerern und Schmarotzern stilisiert wer<strong>de</strong>n. Er verweist auf die brüchig gewor<strong>de</strong>nen Familienbil<strong>de</strong>r, die von<br />

einem arbeiten<strong>de</strong>n Ehemann, einer im Haushalt beschäftigten Partnerin und 2 bzw. mehr Kin<strong>de</strong>rn ausgehen. Er for<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n offenen<br />

Dialog über Gerechtigkeit, getragen von gegenseitigem Respekt.<br />

Sozialreformen sollen wirken und gerecht sein<br />

Fetisch Demographie<br />

In diesem Beitrag räumt <strong>de</strong>r Professor mit <strong>de</strong>r spekulativen Verwendung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mographischen Faktors auf und verweist auf die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Vergangenheit, in welcher <strong>de</strong>r gleiche Faktor je<strong>de</strong>rzeit erkennbar war und durch die wirtschaftliche<br />

Produktivitätssteigerung mehr als neutralisiert wur<strong>de</strong>. Er verweist auf die Diskrepanz einer gefor<strong>de</strong>rten, höheren Lebensarbeitszeit und<br />

<strong>de</strong>r gleichzeitig ausgeübten Praxis <strong>de</strong>r Wirtschaft, <strong>de</strong>n Arbeitnehmerbestand ständig zu verjüngen. Dieser Trend <strong>de</strong>r Wirtschaft habe<br />

sich vor allem in <strong>de</strong>n 90-ger Jahren herauskristallisiert, als dynamische Jungmanager <strong>de</strong>n neuen Markt grün<strong>de</strong>ten, <strong>de</strong>r sich letztendlich<br />

als Blase entpuppte und immenses Volksvermögen vernichtete. Nach seinem Urteil braucht die Wirtschaft sowohl die Kreativität und<br />

Risikobereitschaft <strong>de</strong>r Jugend, als auch die Weisheit und Erfahrung <strong>de</strong>s Alters, wenn sie fortbestehen und konkurrenzfähig bleiben will.


Zum Text von "Der Konservative"<br />

1. These<br />

213 Politik – Mitschrift – 14.06.05<br />

- Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Konservatismus: Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />

Der Mensch muss regiert und kontrolliert wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Mensch wird erst durch Erziehung und Disziplinierung zu einem guten Menschen<br />

- Ausgangspunkt: Hegel:<br />

1. Ungleichheit <strong>de</strong>r Menschen aufgrund unterschiedlicher Intelligenz<br />

2. Endlichkeit <strong>de</strong>s Menschen<br />

3. Kein Verständnis <strong>de</strong>r Weltzusammenhänge<br />

Fehlen <strong>de</strong>r letzten Erkenntnis<br />

4. Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />

Gerechtigkeit und Freiheit ist nur dann möglich, wenn die Bürger in einer Ordnung <strong>de</strong>s Zwangs, <strong>de</strong>r Disziplin und<br />

<strong>de</strong>r Repression leben<br />

Ordnungssystem<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft nach Marx<br />

Ordnung wird <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und Freiheit vorgezogen<br />

2. These<br />

- Einsichten und Orientierungen zu o.g. Ordnung gewinnt <strong>de</strong>r Mensch nicht aus <strong>de</strong>m Verstand (rational) o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Instinkt<br />

Einsichten und Orientierungen wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Tradition bzw. Geschichte entnommen<br />

- „Der Konservative verteidigt das Menschenrecht auf Vergangenheit“:<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität durch die Geschichte / Geschichtsunterricht


Zum Text von "Der Konservative"<br />

1. These<br />

213 Politik – Mitschrift – 08.07.05<br />

- Ausgangspunkt <strong>de</strong>s Konservatismus: Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />

Der Mensch muss regiert und kontrolliert wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Mensch wird erst durch Erziehung und Disziplinierung zu einem guten Menschen<br />

- Ausgangspunkt: Hegel:<br />

1. Ungleichheit <strong>de</strong>r Menschen aufgrund unterschiedlicher Intelligenz<br />

2. Endlichkeit <strong>de</strong>s Menschen<br />

3. Kein Verständnis <strong>de</strong>r Weltzusammenhänge<br />

Fehlen <strong>de</strong>r letzten Erkenntnis<br />

4. Der Mensch ist von Geburt an schlecht<br />

Gerechtigkeit und Freiheit ist nur dann möglich, wenn die Bürger in einer Ordnung <strong>de</strong>s Zwangs, <strong>de</strong>r Disziplin und<br />

<strong>de</strong>r Repression leben<br />

Ordnungssystem<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft nach Marx<br />

Ordnung wird <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und Freiheit vorgezogen<br />

2. These<br />

- Einsichten und Orientierungen zu o.g. Ordnung gewinnt <strong>de</strong>r Mensch nicht aus <strong>de</strong>m Verstand (rational) o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Instinkt<br />

Einsichten und Orientierungen wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Tradition bzw. Geschichte entnommen<br />

- „Der Konservative verteidigt das Menschenrecht auf Vergangenheit“:<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität durch die Geschichte / Geschichtsunterricht<br />

Einbindung <strong>de</strong>s Menschen in ein System, das ihm von außen auferlegt wird<br />

Staat vermittelt mittels Traditionen die notwendige Orientierung<br />

3. These<br />

- Mensch ist in Institutionen organisiert<br />

Einbindung <strong>de</strong>s Menschen<br />

Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Institutionen intakt sind (z.B. Familie)<br />

o Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen<br />

4. These<br />

- Ordnung passt sich zwar <strong>de</strong>n Gegebenheiten an, hat aber Vorrang vor an<strong>de</strong>ren Prinzipien<br />

- Individuum muss sich unterordnen<br />

5. These<br />

- Problem <strong>de</strong>r heutigen Zeit: Herstellung von Regierbaren Ordnungen und Menschen<br />

Vorrang vor <strong>de</strong>r Emanzipation <strong>de</strong>s Individuums<br />

o Vorrang vor <strong>de</strong>m Abbau von Herrschaft<br />

Abhängigkeit<br />

starker Staat notwendig<br />

Regierbarkeit hat höheren Stellenwert als die Emanzipation <strong>de</strong>s Menschen<br />

- Gesellschaft hat nur partikulare Interessen<br />

Staat gewährleistet die Wahrnehmung <strong>de</strong>s Gesamtinteresses<br />

Staatsverständnis: starker, kontrollieren<strong>de</strong>r Staat<br />

Gefährdung durch Einzelinteressen <strong>de</strong>r Individuen und Gruppen<br />

Zusammenfassung:<br />

Konservativ sein heißt, ein pessimistisches Menschenbild haben.<br />

Der Mensch wird nur zum Guten geführt durch eine Ordnung, die ihn einbin<strong>de</strong>t, die aber nicht selbst geschaffen ist.<br />

Muss also vom Staat geschaffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Autorität muss akzeptiert wer<strong>de</strong>n<br />

Stützpfeiler:<br />

• Autorität<br />

• Regierbarkeit<br />

• Kontrolle


Zum Text von "Der Konservative"<br />

Weiterführung vom 08.07.05<br />

Technokratischer Konservatismus<br />

(Neokonservatismus)<br />

Bruch mit <strong>de</strong>m alten Konservatismus !<br />

Typisches Merkmal:<br />

Fortschrittsgläubigkeit: Glauben an neue technische Entwicklungen<br />

213 Politik – Mitschrift – <strong>12</strong>.07.05


Theorie und I<strong>de</strong>ologie - Versuch einer Begriffsklärung<br />

Kaum ein Begriff <strong>de</strong>r Sozialwissenschaften ist<br />

mehr<strong>de</strong>utiger als <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologiebegriff Es ist<br />

daher gerechtfertigt, immer dann, wenn <strong>de</strong>r<br />

Begriff fällt, nach seiner aktuellen Be<strong>de</strong>utung<br />

zu fragen. Aus diesem Grun<strong>de</strong> ist es auch<br />

nicht möglich, eine immergültige und abschließen<strong>de</strong><br />

Definition vorzulegen.<br />

Allen I<strong>de</strong>ologiebegriffen gemeinsam ist, dass<br />

sie sich aus zentral gedachten Werten und<br />

Überzeugungen (Freiheit, Gleichheit, Ordnung<br />

etc.) entwickeln. Zentrale Werte aber sind an<br />

gesellschaftliche Situationen gebun<strong>de</strong>n, die sie<br />

für diejenigen, die in gleicher Situation leben,<br />

einsichtig lind nachvollziehbar machen. Der<br />

Ruf nach Freiheit begeisterte die Bürger <strong>de</strong>s<br />

18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts gegen die Vormacht<br />

<strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls im absolutistischen Staat, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum<br />

<strong>de</strong>n Wert „Ordnung“ <strong>de</strong>r zerstörerischen<br />

Gewalt <strong>de</strong>r Freiheit entgegenhielt. Gegen bei<strong>de</strong><br />

richtete sich die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Arbeiterschaft<br />

nach Verwirklichung <strong>de</strong>r Freiheit in<br />

Gleichheit nach gleichen Lebenschancen. Die<br />

zentrale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Werte Freiheit, Ordnung<br />

o<strong>de</strong>r Gleichheit war <strong>de</strong>mnach gebun<strong>de</strong>n<br />

an die Lebenserfahrung ihrer Träger, an die<br />

gesellschaftliche Situation <strong>de</strong>s Bürgertums,<br />

<strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls o<strong>de</strong>r- <strong>de</strong>r Arbeiterschaft. Diese Werte<br />

befähigten die Angehörigen <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

gesellschaftlichen Schichten zum gemeinsamen<br />

politischen Han<strong>de</strong>ln, in<strong>de</strong>m sie unterschiedliche<br />

Berufsgruppen zusammenführten<br />

(z. B. Bauern, Handwerker, Klein-, Bildungs-<br />

und Großbürgertum im Liberalismus) und trennen<strong>de</strong><br />

Interessen als unwichtig erscheinen<br />

ließen, also integrierten. Gleichzeitig trennte<br />

die Anerkennung gemeinsamer zentraler Werte<br />

bestimmte Schichten von an<strong>de</strong>ren, separierte<br />

also (z. B. A<strong>de</strong>l von Arbeiterschaft), und ließ<br />

schließlich die Wahl bestimmter Programme<br />

bzw. <strong>de</strong>r diese repräsentieren<strong>de</strong>n Personen<br />

sinnvoll erscheinen. I<strong>de</strong>ologien befähigen als<br />

Vermittler zentraler Werte zum politischen<br />

Han<strong>de</strong>ln, d. h. zur sinnorientierten politischen<br />

Tätigkeit, da sie Prioritäten (was ist wichtig)<br />

und die Richtung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns (wie soll gestaltet<br />

wer<strong>de</strong>n) vorgeben. I<strong>de</strong>ologien wer<strong>de</strong>n<br />

unter diesem Aspekt als Voraussetzung und<br />

Rechtfertigung politischen Han<strong>de</strong>lns in <strong>de</strong>r<br />

Regel positiv bewertet.<br />

Die Akzeptanz einer I<strong>de</strong>ologie ergibt sich aus<br />

<strong>de</strong>n Lebensverhältnissen ihrer Träger: Die<br />

Frage nach <strong>de</strong>m Träger ist daher auch immer<br />

die Frage nach <strong>de</strong>n Interessen, die mit <strong>de</strong>m<br />

vorherrschen<strong>de</strong>n zentralen Wert verbun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n. Diese Interessen sind in <strong>de</strong>r Regel<br />

1<br />

vielschichtig. Ohne Zweifel drängte das Bürgertum<br />

im 18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt auf die<br />

Anerkennung <strong>de</strong>r Menschenrechte, ihre Verwirklichung<br />

diente jedoch zugleich <strong>de</strong>m Schutz<br />

seines Eigentums gegenüber Staat und Arbeiterschaft,<br />

seinen Karrierewünschen und<br />

Machtansprüchen. An<strong>de</strong>rerseits war <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>l<br />

ohne Zweifel zutiefst beunruhigt durch die<br />

Gräuel im Gefolge <strong>de</strong>r Französischen Revolution,<br />

sicherte zugleich aber mit <strong>de</strong>m Ruf nach<br />

Ordnung seine gesellschaftliche Stellung. I<strong>de</strong>ologien<br />

ermöglichen daher nicht nur politisches<br />

Han<strong>de</strong>ln, sie verschleiern durch die Vorgabe<br />

zentraler Werte die eigentliche Interessenlage,<br />

ja vermitteln Teilen ihrer Anhänger ein „falsches<br />

Bewusstsein“ (Marx), in<strong>de</strong>m sie sie veranlassen,<br />

unter Berufung auf diesen Wert gegen<br />

ihre eigentlichen Interessen zu han<strong>de</strong>ln (z.<br />

B. Arbeiter, die unter Berufung auf die göttliche<br />

Ordnung Vorrechte <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls verteidigen).<br />

Haben wir uns erst einmal daran gewöhnt,<br />

unser politisches Han<strong>de</strong>ln rechtfertigen zu<br />

müssen, können I<strong>de</strong>ologien zur nachträglichen<br />

Rechtfertigung politischen Han<strong>de</strong>lns geraten,<br />

das aus ganz an<strong>de</strong>ren Motiven, u. U. aus reinen<br />

Sachgrün<strong>de</strong>n, geschieht.<br />

Schließlich kann eine I<strong>de</strong>ologie pervertieren,<br />

ohne dass dies ihren Anhängern direkt bewusst<br />

wird: Unter <strong>de</strong>m Ruf nach Freiheit gegen<br />

Bevormundung verwehrten liberale Politiker im<br />

Kulturkampf nach 1870/71 Katholiken die Meinungs-<br />

und Religionsfreiheit und griffen<br />

schließlich zum Mittel <strong>de</strong>s Polizeistaates; konservative<br />

Philosophen begrüßten als Ausdruck<br />

überzeitlicher Ordnung die Entstehung von<br />

Technokratien; Sozialisten ließen es zu, dass<br />

die Gleichheit über die Freiheit triumphierte,<br />

die Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats sich zur Diktatur<br />

über das Proletariat entwickelte. Die Ursachen<br />

dieser Pervertierung sehen Politikwissenschaftler<br />

in <strong>de</strong>m Absolutheitsanspruch <strong>de</strong>r<br />

jeweiligen Werte.<br />

Unter dieser Bedingung entarten I<strong>de</strong>ologien<br />

zur Rechtfertigung und Verschleierung von<br />

Interessen, zur Täuschung und selektiven<br />

Wahrnehmung, zum Verlust von Realitätssinn.<br />

Ihre Anhänger sind dann intolerant, da sie für<br />

bestimmte Werte absolute Geltung verlangen.<br />

I<strong>de</strong>ologisch argumentiert jemand, <strong>de</strong>r seine<br />

wahren Interessen nicht offen legt, son<strong>de</strong>rn sie<br />

hinter hohlem Pathos verbirgt, <strong>de</strong>r offenkundige<br />

Fakten nicht wahrnehmen will, son<strong>de</strong>rn unbelehrbar<br />

auf seiner Meinung beharrt. I<strong>de</strong>ologie<br />

in diesem Sinne wird negativ bewertet.


In diesem negativen Sinn i<strong>de</strong>ologisch argumentieren<br />

immer nur die an<strong>de</strong>ren, da wir selbst<br />

nicht nur unsere wahren Interessen regelmäßig<br />

zu erkennen geben, son<strong>de</strong>rn auch die Wirklichkeit<br />

objektiv wahrnehmen können, uns nicht<br />

durch vorgegebene Werte täuschen lassen<br />

und tolerant je<strong>de</strong>n nach seinen Werten leben<br />

lassen: So je<strong>de</strong>nfalls die geläufige Argumentation.<br />

Dies bestreitet Karl Mannheim. Sein totaler.<br />

I<strong>de</strong>ologiebegriff stellt die Möglichkeit eines<br />

Ausstiegs aus <strong>de</strong>m Wertebezug in Frage: Da<br />

wir alle von Werten bestimmt wer<strong>de</strong>n, die uns<br />

zentral und wichtig sind, unterliegen wir alle<br />

<strong>de</strong>m I<strong>de</strong>ologieverdacht.<br />

Die klassische Frage <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologiekritik: „cui<br />

bono“ — „wem nützt es“ führt noch tiefer in <strong>de</strong>n<br />

ambivalenten Sachverhalt. Der Liberalismus<br />

nutzte vor allem <strong>de</strong>n wirtschaftlichen und politi-<br />

Thesen zum I<strong>de</strong>ologiebegriff<br />

1<br />

Im englischen Sprachgebrauch verwen<strong>de</strong>t man<br />

„i<strong>de</strong>ology“ oft wertfrei im Sinne von „Weltanschauung“<br />

o<strong>de</strong>r „Überzeugung“. Auch im Deutschen<br />

wird dieser Sprachgebrauch üblich. Die<br />

letztgenannte Kennzeichnung <strong>de</strong>s Begriffes<br />

„I<strong>de</strong>ologie“ bil<strong>de</strong>t die Grundlage für die Verwendung<br />

<strong>de</strong>s I<strong>de</strong>ologiebegriffes in dieser Ausgabe<br />

(vgl. Quellenangabe — d. Red.). Es geht<br />

darum, Grundüberzeugungen darzustellen, die<br />

im politischen Bereich wirksam waren und sind<br />

und im 19. und 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt Deutschland<br />

mitgeprägt haben. (Manfred Bormann, Politische<br />

I<strong>de</strong>ologien. Informationen zur politischen<br />

Bildung, Heft 2<strong>12</strong>, Bonn 1986, S. 1)<br />

2<br />

Also 1. I<strong>de</strong>ologie ist (in näher bestimmter Weise)<br />

falsches Denken. „Richtige I<strong>de</strong>ologie“ ist<br />

ein Wi<strong>de</strong>rspruch in sich, „falsche I<strong>de</strong>ologie“ ein<br />

hölzernes Holz. 2. Die Falschheit, das I<strong>de</strong>ologische,<br />

liegt in <strong>de</strong>r Nicht-Übereinstimmung mit<br />

<strong>de</strong>r objektiv-rationalen o<strong>de</strong>r Erkenntniswirklichkeit.<br />

(Theodor Geiger, Kritische Bemerkungen<br />

zum Begriffe <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie; in:<br />

Gottfried Eisermann, Gegenwartsprobleme <strong>de</strong>r<br />

Soziologie, Potsdam 1949, 5. 142)<br />

3<br />

I<strong>de</strong>ologie, das sind immer die an<strong>de</strong>ren, und wir<br />

entlarven sie. Je<strong>de</strong> I<strong>de</strong>ologie setzt sich in dieser<br />

Weise absolut — als <strong>de</strong>n einzigen Rechtgläubigen<br />

unter lauter Ungläubigen und Irrgläubigen.<br />

Überdies ist es ein Kennzeichen<br />

gutgebauter I<strong>de</strong>ologien, dass sie die Einwän-<br />

<strong>de</strong>, die mit Sicherheit zu erwarten sind, vor-<br />

2<br />

schen Interessen <strong>de</strong>s Großbürgertums, schuf<br />

aber die Grundlagen für <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen<br />

Rechts- und Verfassungsstaat; die For<strong>de</strong>rung<br />

nach Respektierung <strong>de</strong>r alten Ordnung nutzte<br />

<strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls, bereitete aber <strong>de</strong>r<br />

Sozialgesetzgebung <strong>de</strong>n Weg und stellt uns<br />

heute vor die Frage nach <strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>r<br />

Steuerbarkeit sozialer Prozesse; das sozialistische<br />

Programm diente <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>r<br />

Industriearbeiter und legte damit <strong>de</strong>n Grund für<br />

einen umfassen<strong>de</strong>n Sozialstaat. I<strong>de</strong>ologie in<br />

diesem Sinne kann als wertneutral bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Wissenschaft wird <strong>de</strong>r Begriff in allen<br />

drei Bewertungen gebraucht. Dabei konzentriert<br />

sich das Interesse auf einzelne Aspekte<br />

<strong>de</strong>s Begriffs: Integration, Rechtfertigung politischen<br />

Han<strong>de</strong>lns, Versehleierung von Interessen,<br />

selektive Wahrnehmung, Intoleranz; je<br />

nach Aspekt wer<strong>de</strong>n I<strong>de</strong>ologien positiv, negativ<br />

o<strong>de</strong>r als wertneutral beurteilt.<br />

wegnehmen, und zwar nicht so, dass sie sich<br />

dagegen verteidigen, son<strong>de</strong>rn so, dass sie sie<br />

gegen diejenigen erheben, von <strong>de</strong>nen sie zu<br />

erwarten sind. Alle guten I<strong>de</strong>ologien kämpfen<br />

präventiv. (Hans Freyer, Theorie <strong>de</strong>s gegenwärtigen<br />

Zeitalters, Stuttgart 1955, 5. 119)<br />

4<br />

I<strong>de</strong>ologie sei hier verstan<strong>de</strong>n als Verzerrung<br />

<strong>de</strong>r Realität im Dienste <strong>de</strong>r Rechtfertigung von<br />

Institutionen o<strong>de</strong>r sozialem Han<strong>de</strong>ln. (...) Auch<br />

wenn I<strong>de</strong>ologien im Gewan<strong>de</strong> von Tatsachenbehauptungen<br />

auftreten, wollen sie ja bei ihren<br />

Adressaten nicht so sehr <strong>de</strong>n Wissensstand<br />

heben, son<strong>de</strong>rn Einstellungen beeinflussen,<br />

und diese ihre Absicht lässt sich nicht einfach<br />

durch Wi<strong>de</strong>rlegung <strong>de</strong>r Tatsachenbehauptungen<br />

beseitigen. (Heiner Flohr, Über <strong>de</strong>n möglichen<br />

Beitrag <strong>de</strong>r Wissenschaft zur Rationalität<br />

<strong>de</strong>r Politik; in: Maier, Ritter, Matz [Hg.], Politik<br />

und Wissenschaft. Münchener Studien zur<br />

Politik, Bd. 17, München 1971, 5. 163)<br />

5<br />

Die I<strong>de</strong>ologie ist ein Prozess, <strong>de</strong>r zwar mit<br />

Bewusstsein vom sogenannten Denker vollzogen<br />

wird, aber mit <strong>de</strong>m falschen Bewusstsein.<br />

Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen,<br />

bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben<br />

kein i<strong>de</strong>ologischer Prozess. Er imaginiert sich<br />

also falsche resp. scheinbare Triebkräfte.<br />

(Friedrich Engels, An Franz Mehring, Brief vom<br />

14. 7. 1893; in: Marx/Engels, Werke, Bd. 39,<br />

[Ost-]Berlin 1968, S. 97)


Liberalismus<br />

„Der Liberalismus hat es schwer mit seinen<br />

Gegnern. Noch schwerer hat er es mit seinen<br />

(scheinbaren) Freun<strong>de</strong>n.“<br />

Was Karl Hermann Flach hier schreibt, gilt im<br />

Prinzip für je<strong>de</strong> politische I<strong>de</strong>ologie, jedoch in<br />

beson<strong>de</strong>rem Maße für <strong>de</strong>n Liberalismus. Je<br />

viel<strong>de</strong>utiger ein Begriff ist, um so mehr lässt er<br />

sich semantisch missbrauchen.<br />

Die hier ausgewählten Texte sollen dazu beitragen,<br />

die notwendige Klarheit zu schaffen<br />

und <strong>de</strong>n verbreiteten Missbrauch <strong>de</strong>s Begriffs<br />

Liberalismus einzuschränken. Aus <strong>de</strong>n Texten<br />

ergibt sich ein historischer Abriss <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s Liberalismus - bis hin zum Neoliberalismus<br />

und <strong>de</strong>r aktuellen Diskussion. Auf<br />

Grund <strong>de</strong>r historischen Kenntnis können künftige<br />

Weiterentwicklungen <strong>de</strong>r liberalen Theorie,<br />

ihre jeweils aktuelle Ausprägung anhand zu er-<br />

gänzen<strong>de</strong>r Materialien beurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />

John Locke<br />

Die Reichweite <strong>de</strong>r Staatsgewalt<br />

Das große Ziel, das Menschen, die in eine<br />

Gesellschaft eintreten, vor Augen haben, liegt<br />

im friedlichen und sicheren Genuss ihres Eigentums,<br />

und das große Werkzeug und Mittel<br />

dazu sind die Gesetze, die in ihrer Gesellschaft<br />

erlassen wor<strong>de</strong>n sind. So ist das erste und<br />

grundlegen<strong>de</strong> positive Gesetz aller Staaten die<br />

Begründung <strong>de</strong>r legislativen Gewalt, so wie<br />

das erste und grundlegen<strong>de</strong> natürliche Gesetz,<br />

das sogar über <strong>de</strong>r legislativen Gewalt gelten<br />

muss, die Erhaltung <strong>de</strong>r Gesellschaft und (soweit<br />

es mit <strong>de</strong>m öffentlichen Wohl vereinbar ist)<br />

je<strong>de</strong>r einzelnen Person in ihr ist. Diese Legislative<br />

ist nicht nur die höchste Gewalt <strong>de</strong>s Staates,<br />

son<strong>de</strong>rn sie liegt auch geheiligt und unabän<strong>de</strong>rlich<br />

in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n, in welche die Gemeinschaft<br />

sie einmal gelegt hat. Keine Vorschrift<br />

irgen<strong>de</strong>ines an<strong>de</strong>ren Menschen, in welcher<br />

Form sie. auch verfasst, von welcher<br />

Macht sie auch gestützt sein mag, kann die<br />

verpflichten<strong>de</strong> Kraft eines Gesetzes haben,<br />

wenn sie nicht ihre Sanktionen von <strong>de</strong>rjenigen<br />

Legislative erhält, die das Volk gewählt und<br />

ernannt hat. Denn ohne sie könnte das Gesetz<br />

nicht haben, was absolut notwendig ist, um es<br />

zu einem Gesetz zu machen, nämlich die Zustimmung<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft. (...)<br />

We<strong>de</strong>r absolute und willkürliche Gewalt noch<br />

eine Regierung ohne feste, stehen<strong>de</strong> Gesetze<br />

lassen sich mit <strong>de</strong>n Zielen von Gesellschaft<br />

und Regierung vereinbaren, und die Menschen<br />

wür<strong>de</strong>n nicht auf die Freiheit <strong>de</strong>s Naturzustan<strong>de</strong>s<br />

verzichten und sich selbst Fes-<br />

3<br />

Die zentralen Begriffe <strong>de</strong>s Liberalismus:<br />

Menschenrechte, Eigentum, Freiheit <strong>de</strong>s<br />

Marktes und Gewaltenteilung wer<strong>de</strong>n in<br />

ihrer historisch emanzipatorischen wie<br />

i<strong>de</strong>ologischen Funktion vorgestellt. Dabei<br />

wird einer <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsprüche <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

beson<strong>de</strong>rs hervor gehoben, <strong>de</strong>r<br />

nämlich zwischen Freiheit und Gleichheit,<br />

<strong>de</strong>n die Theorie <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft<br />

aufzulösen sucht.<br />

Der Liberalismus hat im Verlauf <strong>de</strong>r historischen<br />

Entwicklung die Grundlagen <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

Rechts- und Verfassungsstaates geschaffen.<br />

Damit wird das Grundgesetz zu einem<br />

wichtigen Medium <strong>de</strong>s Unterrichts; nicht zuletzt<br />

folgt daraus als Arbeitsauftrag, das Grundgesetz<br />

daraufhin zu überprüfen, in welchem Maße<br />

die Verfassungsnorm in <strong>de</strong>r politischen<br />

Realität jeweils verwirklicht wird.<br />

seln anlegen, wenn es nicht darum ginge, ihr<br />

Leben, ihre Freiheiten und ihr Vermögen zu<br />

erhalten und auf Grund fester Regeln für Recht<br />

und Eigentum ihren Frie<strong>de</strong>n und ihre Ruhe zu<br />

sichern. (...)<br />

Die höchste Gewalt (kann) keinem Menschen<br />

einen Teil seines Eigentums ohne seine eigene<br />

Zustimmung wegnehmen. Denn da die Erhaltung<br />

<strong>de</strong>s Eigentums <strong>de</strong>r Zweck <strong>de</strong>r Regierung<br />

und das Ziel ist, weshalb Menschen in die Gesellschaft<br />

eintreten, so muss auch notwendigerweise<br />

vorausgesetzt und verlangt wer<strong>de</strong>n,<br />

dass sie Eigentum haben sollen. An<strong>de</strong>rnfalls<br />

müsste man annehmen, dass sie bei ihrem<br />

Eintritt in die Gesellschaft gera<strong>de</strong> das verlieren<br />

wür<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>r Zweck war, weshalb die Menschen<br />

in die Gesellschaft eingetreten sind. Und<br />

das wäre doch wohl zu absurd, als dass es<br />

irgend jemand zugestehen könnte. Da also die<br />

Menschen in <strong>de</strong>r Gesellschaft Eigentum haben,<br />

haben sie auf diese Güter, die nach <strong>de</strong>n<br />

Gesetzen <strong>de</strong>r Gemeinschaft ihnen gehören,<br />

<strong>de</strong>shalb auch ein solches Recht, dass niemand<br />

ihnen ohne ihre eigene Zustimmung rechtmäßig<br />

alles o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>inen Teil davon wegnehmen<br />

darf Ohne dieses Recht hätten sie<br />

überhaupt kein Eigentum.<br />

(John Locke, Two Treatises on civil government, London<br />

1690; <strong>de</strong>utsch: Zwei Abhandlungen über die Regierung,<br />

Frankfurt/M. / Wien 1967. Zit. nach: Lothar Gall / Rainer<br />

Koch [Hrsg.l, Der europäische Liberalismus im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />

Texte zu seiner Entwicklung, Bd. 1, Frankfurt/M. /<br />

Berlin / Wien 1981, S. 239—243)


Adam Smith<br />

Natur und Wesen <strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s<br />

Bei fast allen Lebewesen ist je<strong>de</strong>s Einzelwesen,<br />

wenn es herangewachsen ist, vollkommen<br />

selbständig und hat im Naturzustand <strong>de</strong>n<br />

Beistand keines an<strong>de</strong>ren leben<strong>de</strong>n Wesens<br />

mehr nötig, <strong>de</strong>r Mensch dagegen braucht fortwährend<br />

die Hilfe seiner Mitmenschen, und<br />

vergeblich erwartet er diese von ihrem Wohlwollen<br />

allem. Er wird viel eher seine Ziele erreichen,<br />

wenn er ihr Selbstinteresse zu seinen<br />

Gunsten lenken und ihnen zeigen kann, dass<br />

sie auch ihren eigenen Vorteil verfolgen, wenn<br />

sie für ihn tun, was er von ihnen haben will.<br />

Wer einem an<strong>de</strong>ren ein Geschäft irgendwelcher<br />

Art anträgt, verfährt in diesem<br />

Sinne. Gib, was ich brauche, und du sollst<br />

haben, was du brauchst, das ist <strong>de</strong>r Sinn eines<br />

je<strong>de</strong>n solchen Anerbietens, und auf diese<br />

Weise erhalten wir voneinan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n bei weitem<br />

größten Teil all <strong>de</strong>r Dienste, auf die wir<br />

gegenseitig angewiesen sind. Nicht von <strong>de</strong>m<br />

Wohlwollen <strong>de</strong>s Fleischers, Brauers o<strong>de</strong>r Bäckers<br />

erwarten wir das, was wir zum Essen<br />

brauchen, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Rücksichtnahme<br />

auf ihr eigenes Interesse. Wir wen<strong>de</strong>n uns (...)<br />

an ihr Selbstinteresse und sprechen zu ihnen<br />

nie von unserem Bedarf, son<strong>de</strong>rn von ihren<br />

Vorteilen. Stets sind alle Menschen darauf<br />

bedacht, die für sie vorteilhafteste Anlage ihrer<br />

Kapitalien ausfindig zu machen. In <strong>de</strong>r Tat hat<br />

je<strong>de</strong>r dabei nur seinen eigenen Vorteil, nicht<br />

aber das Wohl <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Volkswirtschaft<br />

im Auge. Aber dieses Erpichtsein auf seinen<br />

eigenen Vorteil führt ihn ganz von selbst —<br />

o<strong>de</strong>r besser gesagt — notwendigerweise dazu,<br />

<strong>de</strong>rjenigen Kapitalanlage <strong>de</strong>n Vorzug zu<br />

geben, die zu gleicher Zeit für die Volkswirtschaft<br />

als Ganzes am vorteilhaftesten ist. Verfolgt<br />

er nämlich sein eigenes Interesse, so<br />

för<strong>de</strong>rt er damit indirekt das Gesamtwohl viel<br />

nachhaltiger, als wenn die Verfolgung <strong>de</strong>s<br />

Gesamtinteresses unmittelbar sein Ziel gewesen<br />

wäre. Ich habe nie viel Gutes von <strong>de</strong>nen<br />

gehalten, die angeblich für das allgemeine<br />

Beste tätig waren. Der Jahresertrag einer<br />

Volkswirtschaft ist höher, wenn sie sich auf die<br />

Erzeugung <strong>de</strong>rjenigen Waren beschränkt, in<br />

<strong>de</strong>nen sie vor an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn Kostenvorteile<br />

voraus hat, und die ihrerseits von an<strong>de</strong>ren<br />

Län<strong>de</strong>rn diejenigen Waren kauft, die dort billiger<br />

sind. Die Regelung dieser Austauschverhältnisse<br />

aber muss <strong>de</strong>m freien Spiel <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />

Kräfte überlassen bleiben. Kapitalbildung<br />

und Industrieentfaltung müssen in<br />

einem Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>m natürlichen Gang <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

überlassen bleiben. Je<strong>de</strong> künstliche<br />

wirtschaftspolitische Maßnahme lenkt die pro-<br />

4<br />

duktiven Kräfte <strong>de</strong>r Arbeit und auch die Kapitalien<br />

in falsche Richtung.<br />

(Adam Smith, Eine Untersuchung über Natur und Wesen<br />

<strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s [1776]; zit. nach: Mickel/Wiegand,<br />

Geschichte, Politik und Gesellschaft. Bd. 1, Frankfurt/M.<br />

1987, S. 178—179)<br />

Charles <strong>de</strong> Montesquieu<br />

Gewaltenteilung<br />

In je<strong>de</strong>m Staat gibt es drei Arten von Gewalt:<br />

die gesetzgeben<strong>de</strong> Gewalt, die vollziehen<strong>de</strong><br />

Gewalt in Ansehung <strong>de</strong>r Angelegenheiten, die<br />

vorn Völkerrecht abhängen, und die vollziehen<strong>de</strong><br />

Gewalt hinsichtlich <strong>de</strong>r Angelegenheiten,<br />

die vorn bürgerlichen Recht abhängen.<br />

Vermöge <strong>de</strong>r ersten gibt <strong>de</strong>r Fürst o<strong>de</strong>r Magistrat<br />

Gesetze auf Zeit o<strong>de</strong>r für immer, verbessert<br />

er die bestehen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r hebt sie auf.<br />

Vermöge <strong>de</strong>r zweiten schließt er Frie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

führt er Krieg, schickt o<strong>de</strong>r empfängt Gesandtschaften,<br />

befestigt die Sicherheit, kommt Invasionen<br />

zuvor. Vermöge <strong>de</strong>r dritten straft er<br />

Verbrechen o<strong>de</strong>r spricht das Urteil in Streitigkeiten<br />

<strong>de</strong>r Privatpersonen. Ich wer<strong>de</strong> diese<br />

letzte die richterliche Gewalt und die an<strong>de</strong>re<br />

schlechthin die vollziehen<strong>de</strong> Gewalt <strong>de</strong>s Staates<br />

nennen.<br />

Die politische Freiheit <strong>de</strong>s Bürgers ist jene<br />

Ruhe <strong>de</strong>s Gemüts, die aus <strong>de</strong>m Vertrauen<br />

erwächst, das ein je<strong>de</strong>r zu seiner Sicherheit<br />

hat. Damit man diese Freiheit hat, muss die<br />

Regierung so eingerichtet sein, dass ein Bürger<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren nicht zu fürchten braucht.<br />

Wenn in <strong>de</strong>rselben Person o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gleichen<br />

obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgeben<strong>de</strong><br />

Gewalt mit <strong>de</strong>r vollziehen<strong>de</strong>n vereinigt ist,<br />

gibt es keine Freiheit; <strong>de</strong>nn es steht zu befürchten,<br />

dass <strong>de</strong>rselbe Monarch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rselbe<br />

Senat tyrannische Gesetze macht, um sie<br />

tyrannisch zu vollziehen.<br />

Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche<br />

Gewalt nicht von <strong>de</strong>r gesetzgeben<strong>de</strong>n<br />

und vollziehen<strong>de</strong>n getrennt ist. Ist sie mit <strong>de</strong>r<br />

gesetzgeben<strong>de</strong>n Gewalt verbun<strong>de</strong>n, so wäre<br />

die Macht über Leben und Freiheit <strong>de</strong>r Bürger<br />

willkürlich, weil <strong>de</strong>r Richter Gesetzgeber wäre.<br />

Wäre sie mit <strong>de</strong>r vollziehen<strong>de</strong>n Gewalt verknüpft,<br />

so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Richter die Macht eines<br />

Unterdrückers haben.<br />

Alles wäre verloren, wenn <strong>de</strong>rselbe Mensch<br />

o<strong>de</strong>r die gleiche Körperschaft <strong>de</strong>r Großen, <strong>de</strong>s<br />

A<strong>de</strong>ls o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Volkes diese drei Gewalten<br />

ausüben wür<strong>de</strong>: die Macht, Gesetze zu geben,<br />

die öffentlichen Beschlüsse zu vollstrecken


und die Verbrechen o<strong>de</strong>r die Streitsachen <strong>de</strong>r<br />

einzelnen zu richten.<br />

(Charles <strong>de</strong> Montesquieu, De l‘esprit <strong>de</strong>s lois [1748],<br />

<strong>de</strong>utsch: Vom Geist <strong>de</strong>r Gesetze, Tübingen 1951; zit.<br />

nach: Lothar Gall, Rainer Koch [Hrsg.], Der europäische<br />

Liberalismus im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt, s. a. 0., S. 259—260)<br />

Der liberale Rechtsstaat<br />

Der große Fortschritt <strong>de</strong>s liberalen Rechtsstaates<br />

war die Garantie <strong>de</strong>r Rechtssicherheit.<br />

Sie be<strong>de</strong>utete, dass Recht und Gesetz<br />

alles staatliche Han<strong>de</strong>ln bin<strong>de</strong>n sollten, privates<br />

Han<strong>de</strong>ln jedoch nur dort, wo es das Gesetz<br />

ausdrücklich vorsah o<strong>de</strong>r die Rechte an<strong>de</strong>rer<br />

verletzt wur<strong>de</strong>n. Eine geschriebene Verfassung,<br />

das Grundgesetz <strong>de</strong>s Staates, steckte<br />

die Grenzen und Befugnisse <strong>de</strong>s Staates<br />

ab.<br />

Der liberale Rechtsstaat konnte nur Verfassungsstaat<br />

sein. Der Kampf zwischen <strong>de</strong>n<br />

alten staatlichen Mächten und <strong>de</strong>m Bürgertum<br />

äußerte sich vor allem als Kampf um die geschriebene<br />

Verfassung. Hierbei war nicht einmal<br />

entschei<strong>de</strong>nd, ob die Verfassung aus einem<br />

Kompromiss zwischen <strong>de</strong>m fürstlichen<br />

Souverän und einer Volksvertretung entstan<strong>de</strong>n<br />

war o<strong>de</strong>r vom Volk auf revolutionärem<br />

Wege gebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Verfassungs- und<br />

Rechtsstaat sollten mehr bewirken als eine<br />

Abwehr staatlicher Willkür, die freilich zunächst<br />

als Hauptmotiv <strong>de</strong>n Verfassungskampf<br />

gegen <strong>de</strong>n Absolutismus bestimmt hatte. Nicht<br />

nur <strong>de</strong>r fürstliche Souverän, auch die von einer<br />

Volksvertretung kontrollierte bürgerliche Regierung<br />

stand grundsätzlich unter und nicht<br />

über <strong>de</strong>m Gesetz. Das gleiche galt für die<br />

Verwaltung und die Rechtsprechung, die Eingriffe<br />

in Freiheit und Eigentum nur aufgrund<br />

von Gesetze vornehmen durften. Nicht Menschen<br />

sollen im liberalen Rechtsstaat herrschen,<br />

son<strong>de</strong>rn das Gesetz. (...)<br />

Zweck <strong>de</strong>r Gesetze im liberalen Rechtsstaat<br />

ist die Berechenbarkeit, nicht aber die soziale<br />

Gerechtigkeit. Sozial tätig sollten <strong>de</strong>r Staat<br />

und seine Gesetzgebung nicht wer<strong>de</strong>n. Vielmehr<br />

sei „die Sorgfalt <strong>de</strong>s Staates für, das<br />

positive Wohl <strong>de</strong>r Bürger schädlich“ (so <strong>de</strong>r<br />

preußische Reformer Wilhelm von Humboldt).<br />

Entsteht doch nach liberaler Auffassung in einem<br />

marktwirtschaftlichen System mit freien<br />

vertraglichen Beziehungen zwangsläufig soziale<br />

Gerechtigkeit.<br />

Der Schritt <strong>de</strong>s Liberalismus vom Naturrecht*<br />

zum mo<strong>de</strong>rnen Rechtsverständnis, nach <strong>de</strong>m<br />

Gesetze allgemein sein müssen und keine<br />

rückwirken<strong>de</strong> Kraft haben dürften, diente und<br />

5<br />

dient <strong>de</strong>m Bedürfnis <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Gesellschaft<br />

nach Rechtssicherheit. Er lag gleichwohl<br />

im kapitalistischen Interesse nach Berechenbarkeit<br />

und Zuverlässigkeit <strong>de</strong>s Rechtssystems<br />

und <strong>de</strong>r Verwaltung. Bestand doch<br />

die Aufgabe <strong>de</strong>s liberalen Staates in <strong>de</strong>r<br />

Schaffung einer Rechtsordnung, die die Erfüllung<br />

von Verträgen sichert. „Die Erwartung,<br />

dass Verträge erfüllt wer<strong>de</strong>n, muss stets berechenbar<br />

sein. Diese Berechenbarkeit kann<br />

aber, wenn die Wettbewerber annähernd<br />

gleich sind, nur durch allgemeine Gesetze<br />

hergestellt wer<strong>de</strong>n“ (F. L. Neumann). Beson<strong>de</strong>re<br />

Gesetze o<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re staatliche Maßnahmen<br />

verletzen <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>r<br />

Wettbewerber.<br />

(Lothar Döbn, Liberalismus; im Franz Neumann [Hrsg.],<br />

Politische Theorien und I<strong>de</strong>ologien, a.a.O., S. 34—35)<br />

* Naturrecht heißt jenes Recht, das <strong>de</strong>m Menschen<br />

kraft seiner Vernunftbegabung eigen ist. Er<br />

besitzt es unabhängig von seiner sozialen und<br />

historischen Position. Seine Beson<strong>de</strong>rheit besteht<br />

vor allem darin, dass es unabän<strong>de</strong>rlich ist und damit<br />

nicht zur Disposition (etwa eines Gesetzgebers)<br />

steht. Im Gegensatz dazu steht das positive, vom<br />

Menschen geschaffene, „gesetzte“ Recht, das <strong>de</strong>m<br />

sozialen Wan<strong>de</strong>l unterworfen ist.<br />

Das Problem von Freiheit und Gleichheit<br />

Theoretisch äußerte sich dieser soziale Gegensatz<br />

in <strong>de</strong>m Streit über das Verhältnis zwischen<br />

Freiheit und Gleichheit, die - zusammen<br />

mit <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rlichkeit - die Kampfparole <strong>de</strong>r<br />

Französischen Revolution gebil<strong>de</strong>t hatten. Für<br />

die unteren Klassen nämlich war Freiheit mein<br />

mehr als eine schöne Formel, solange sie arm<br />

und ökonomisch abhängig blieben. und gezwungen<br />

waren, die Arbeitsbedingungen <strong>de</strong>r<br />

Unternehmer zu akzeptierein. Für sie war<br />

soziale Gleichheit die elementare Voraussetzung<br />

für die reale Möglichkeit persönlicher<br />

Freiheit. Das besitzen<strong>de</strong> Bürgertum dagegen<br />

musste in <strong>de</strong>r Gleichheit die größte Gefahr für<br />

seine sozialen Privilegien erblicken. Die liberalen<br />

Theoretiker verkün<strong>de</strong>ten alsbald, dass<br />

Freiheit und Gleichheit unüberbrückbare Gegensätze<br />

darstellten, dass soziale Gleichheit<br />

die wahre Freiheit beseitige, dass man also<br />

zwischen bei<strong>de</strong>n zu wählen habe und dass<br />

Freiheit <strong>de</strong>r höhere Wert sei.<br />

(Reinhard Kühn, Formen bürgerlicher Herrschaft, Liberalismus<br />

- Faschismus., Reinbek 1977 S. 36,41ff)


Robert Leicht<br />

Was heißt heute noch liberal?<br />

Wozu brauchen wir noch die Liberalen? Die FDP ist<br />

seit geraumer Zeit personell und programmatisch im<br />

Nie<strong>de</strong>rgang. Wo wäre heutzutage ein Karl-Hermann<br />

Flach zu fin<strong>de</strong>n, einer, <strong>de</strong>r ein Dokument vom Range<br />

<strong>de</strong>r „Freiburger Thesen“ aus <strong>de</strong>m Jahr 1971<br />

formulieren könnte - o<strong>de</strong>r auch nur wollte? Zur gleichen<br />

Zeit allerdings heißt es, im Grun<strong>de</strong> seien inzwischen<br />

alle Parteien irgendwie liberal. Der Liberalismus<br />

- alles o<strong>de</strong>r nichts?<br />

Welches Paradox! Da en<strong>de</strong>t das 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

mit einem Sieg <strong>de</strong>r Demokratie - und zugleich im<br />

Katzenjammer. Europa befreite sich zum glücklichen<br />

Abschluss <strong>de</strong>s Säkulums auch von <strong>de</strong>r zweiten <strong>de</strong>r<br />

Geißeln, die so grässliches Leid über seine Völker<br />

gebracht hatte. im Jahr 1989 brachen nach <strong>de</strong>n<br />

rechten Diktaturen - von Hitler über Mussolini, von<br />

Salazar über Franco und die griechischen Obristen -<br />

endlich auch die kommunistischen Regime im Osten<br />

Europas zusammen. Nicht die nach innen machtgepanzerte,<br />

son<strong>de</strong>rn die offene Gesellschaft überlebte<br />

<strong>de</strong>n Kalten Krieg. Aber wozu so viele mör<strong>de</strong>rische<br />

Umwege zur Einsicht, die schon am Anfang hätte<br />

stehen können: dass nur in einer pluralistischen, in<br />

einer liberalen Gesellschaft die Probleme <strong>de</strong>r Neuzeit<br />

friedlich zum Ausgleich zu bringen sind?<br />

Und ausgerechnet in dieser Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

weiß niemand mehr, will niemand mehr wissen,<br />

was das eigentlich ist: liberal? Joachim Fest<br />

notiert in seinem Buch „Die schwierige Freiheit“<br />

sarkastisch: „Jetzt bringt <strong>de</strong>r ohne eigenes Zutun<br />

errungene Erfolg <strong>de</strong>r freien Ordnung <strong>de</strong>ren innere<br />

Schwächen und Gefährdungen zurück.“ Und er<br />

zitiert <strong>de</strong>n konservativ-sozial<strong>de</strong>mokratischen Verfassungsrichter<br />

Ernst-Wolfgang Böckenför<strong>de</strong>: Die freien<br />

Gesellschaften seien außerstan<strong>de</strong>, die Voraussetzungen<br />

ihrer Existenz zu gewährleisten; sie bauten<br />

unablässig ab.<br />

Die Kritik an seiner angeblichen Leere hat <strong>de</strong>n<br />

Liberalismus freilich seit jeher begleitet – von rechts<br />

wie von links, als gäbe es ein unausrottbares Bedürfnis<br />

vieler Menschen, lieber am Leitseil zu gehen.<br />

Dazu mag ihnen eine traditionalistische Autorität,<br />

eine fraglose Konvention o<strong>de</strong>r eine ins Hier und<br />

Jetzt eingeholte Utopie dienen. Bereits im Symboljahr<br />

1968 erschien aus linker Perspektive das Buch<br />

„The Poverty of Liberalism“ <strong>de</strong>s Amerikaners Robert<br />

Paul Wolff: Das Elend <strong>de</strong>s Liberalismus: es bot eine<br />

fulminante Polemik gegen <strong>de</strong>n „psychologischen<br />

Hedonismus“ <strong>de</strong>r liberalen Tradition, <strong>de</strong>r nur noch<br />

private Werte kenne, <strong>de</strong>m man mit „kollektiven Überlegungen“<br />

entgegentreten müsse. in Wolffs Kritik<br />

kündigte sich bereits mancher jener Gedanken an,<br />

die heute im amerikanischen Kommunitarismus eine<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle spielen.<br />

Wenn aber Axel Honneth in seiner für die <strong>de</strong>utsche<br />

Diskussion bestimmten Präsentation <strong>de</strong>s Kommunitarismus<br />

hervorhebt, „dass ohne die Einbindung in<br />

Wertgemeinschaften auch heute die Freiheit von<br />

menschlichen Subjekten nicht sinnvoll zu <strong>de</strong>nken<br />

ist“, so liegt darin noch lange keine zutreffen<strong>de</strong> Kritik<br />

<strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Liberalismus. Auch seine These,<br />

„dass die staatliche Integration eines Gemeinwesens<br />

selbst nur in <strong>de</strong>r Ausrichtung an bestimmten,<br />

6<br />

ethischen Werten gelingen kann“, richtet sich in<br />

Wirklichkeit nicht gegen <strong>de</strong>n Liberalismus.<br />

Konservativismus, Sozialismus o<strong>de</strong>r Liberalismus<br />

unterschei<strong>de</strong>n sieh nicht etwa im Grad ihrer Orientierung<br />

am Gemeinwohl, sehr wohl aber in <strong>de</strong>r<br />

Frage, auf welche Weise das Gemeinwohl angestrebt<br />

wer<strong>de</strong>n soll: durch autoritäre o<strong>de</strong>r traditionalistische<br />

Vorgabe, durch utopisch behauptete und<br />

machtvoll oktroyierte Egalität – o<strong>de</strong>r eben durch<br />

freie und einsichtige Konsoziation <strong>de</strong>r Bürger. Der<br />

Unterschied liegt also nicht im Prinzip, son<strong>de</strong>rn im<br />

Modus <strong>de</strong>r Gesellschaftsbildung. Im übrigen: Wenn<br />

<strong>de</strong>r Liberale das Wort „Ausrichtung“ an Gemeinschaftswerten<br />

liest, fährt er doch, dunklen historischen<br />

und militärischen Ange<strong>de</strong>nkens, erschrocken<br />

zusammen...<br />

In einem historischen Sinne trifft es zu, dass<br />

Rechtsstaat und Grundrechte, Freiheit und Demokratie<br />

zum Allgemeingut gewor<strong>de</strong>n sind. Aber die<br />

aktuellen Herausfor<strong>de</strong>rungen liberaler I<strong>de</strong>en und<br />

Politik bleiben durchaus brisant. Nichts spricht dafür,<br />

dass <strong>de</strong>m Liberalismus und <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft<br />

<strong>de</strong>r Gegner und folglich <strong>de</strong>r Sinn abhan<strong>de</strong>n gekommen<br />

ist.<br />

Nationalismus in Osteuropa, nationalistische Anwandlungen<br />

selbst in Westeuropa, auch im wie<strong>de</strong>rvereinigten<br />

Deutschland — ein klarer Gegner für<br />

Liberale. Bürokratische Bevormundung, korporatistische<br />

Ten<strong>de</strong>nzen, Wucherungen im staatlichen<br />

Transferwesen, Subventionsdschungel und Überregulierung,<br />

die Vorherrschaft <strong>de</strong>r Parteienpatronage<br />

— dies alles sind gesellschaftliche und politische<br />

Versteinerungen, die je<strong>de</strong>n Liberalen auf <strong>de</strong>n Plan<br />

rufen müssen. Dasselbe gilt für die immer wie<strong>de</strong>r<br />

gegenwärtige Bereitschaft, rechts-staatliche Garantien<br />

entwe<strong>de</strong>r zur Disposition zu stellen o<strong>de</strong>r gar<br />

nicht erst zur Geltung zu bringen.<br />

In je<strong>de</strong>r sozialen o<strong>de</strong>r ökonomischen Krise regen<br />

sich eben als erstes illiberale Ten<strong>de</strong>nzen. Offenheit<br />

und Toleranz, Aufklärung und Pluralität, Rationalität<br />

und Effizienz - wer wollte im Ernst behaupten, in<br />

einer Zeit <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>nfeindlichkeit, <strong>de</strong>r Ausgrenzung<br />

und <strong>de</strong>s Fundamentalismus, <strong>de</strong>s erstarrten<br />

Denkens in Besitzstän<strong>de</strong>n sei die liberale Sache<br />

überholt, ja im Hegelschen Sinne längst aufgehoben?<br />

Was aber heißt dann liberal? Damit dies in <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Unübersichtlichkeit wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich wird,<br />

lohnt sich ein Rückgriff auf die ursprünglichen historischen<br />

Fragestellungen. Dabei ist eines vorwegzuschicken:<br />

Menschliche Gesellschaften sind viel zu<br />

komplex, als dass sie einer perfekten Konstruktion<br />

folgen könnten; folglich kann es schlechterdings<br />

auch keine perfekte Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft geben.<br />

Gesellschaften lassen sich außer<strong>de</strong>m nicht als abgeschlossene<br />

Systeme darstellen; folglich kann es<br />

keine systematische Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft geben.<br />

Gesellschaften stecken schließlich voller Wi<strong>de</strong>rsprüche;<br />

folglich muss eine angemessene Gesellschaftstheorie<br />

auch wi<strong>de</strong>rspruchsfreundlich sein<br />

und die Konkurrenz <strong>de</strong>r Deutungsmuster nach <strong>de</strong>m<br />

Gebot <strong>de</strong>r Toleranz in ihren eigenen Entwurf einbeziehen.


Der Liberalismus erweist seinen Vorzug schon<br />

darin, dass er diese Wi<strong>de</strong>rsprüche und Konflikte<br />

nicht nur zum Thema hat, son<strong>de</strong>rn regelrecht zu<br />

seinem Prinzip <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft wählt. Er<br />

setzt sich also nicht in einen fatalen Gegensatz zu<br />

seinem Gegenstand, we<strong>de</strong>r autoritär noch utopisch,<br />

noch - was bei<strong>de</strong> Irrwege kennzeichnet - bürokratisch.<br />

Wie aber kommt nun eine Gesellschaft zustan<strong>de</strong>?<br />

Diese Frage versuchten die Denker seit <strong>de</strong>m 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt mit verschie<strong>de</strong>nen Mo<strong>de</strong>llen <strong>de</strong>s „Gesellschaftsvertrags“<br />

zu beantworten. Zur Rechtfertigung<br />

ihres eigenen Staats- und Gesellschaftsbil<strong>de</strong>s<br />

zeichneten sie nach, wie die Menschen sich aus<br />

<strong>de</strong>m rohen Naturzustand in <strong>de</strong>n geordneten Gesellschaftszustand<br />

fortbewegt haben. Eben in<strong>de</strong>m sie<br />

untereinan<strong>de</strong>r einen Vertrag schlossen. In <strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong>n<br />

zwischen <strong>de</strong>n Vertragstypen wer<strong>de</strong>n die<br />

politischen Fronten und I<strong>de</strong>en vorgeprägt, die auch<br />

heute noch bezeichnend sind. Beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich<br />

wird dies an <strong>de</strong>n Beispielen von Thomas Hobbes,<br />

John Locke und Jean-Jacques Rousseau.<br />

Im Gesellschaftsvertrag nach Thomas Hobbes<br />

treten die Menschen ihre Rechte ein für allemal an<br />

einen absoluten Souverän ab, <strong>de</strong>r sie vor <strong>de</strong>m Krieg<br />

aller gegen alle bewahren soll. Der Souverän kann<br />

und darf auf Macht nicht verzichten, ja nicht einmal<br />

sich auf eine Gewaltenteilung einlassen. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich also im strengen Sinne gar nicht um einen<br />

Gesellschaftsvertrag, son<strong>de</strong>rn um ein unwi<strong>de</strong>rrufliches<br />

Auslieferungsabkommen. Die abgrundtief<br />

pessimistische Behauptung, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m<br />

Menschen ein Wolf sei, bringt Hobbes dazu, die<br />

Gesamtheit <strong>de</strong>r Bürger durch einen einzigen Wolf,<br />

<strong>de</strong>n Souverän, in Schach halten zu wollen.<br />

Über diesen anthropologischen Pessimismus hat<br />

Horst Ehmke einmal geschrieben, seine Problematik<br />

liege nicht im Pessimismus, son<strong>de</strong>rn vielmehr darin,<br />

„dass er so ausschließlich auf die Regierten angewandt<br />

wird — obwohl er doch in Anwendung auf die<br />

Regieren<strong>de</strong>n viel schönere Früchte tragen sollte, da<br />

diese <strong>de</strong>n Versuchungen, <strong>de</strong>nen die menschliche<br />

Natur erliegen könnte, in viel stärkerem Maße ausgesetzt<br />

sind“.<br />

Hobbes‘ Gesellschaftsvertrag steht am Anfang<br />

eines konservativen bis autoritären Denkens, das<br />

<strong>de</strong>n Staat <strong>de</strong>r Neuzeit von oben her konstruiert, zur<br />

Aufsicht und allein zur Herrschaft über die misstrauisch<br />

betrachteten Bürger.<br />

Ganz an<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Entwurf von John Locke, <strong>de</strong>r<br />

ungefähr dreißig Jahre später mit seinem „Second<br />

Treatise of Government“ auf Hobbes‘ „Leviathan“<br />

(1651) antwortet: Das wäre ja so, als „ob die Menschen<br />

- während sie aus <strong>de</strong>m Naturzustand in die<br />

Gesellschaft eintreten —übereinkämen, dass alle<br />

außer einem in <strong>de</strong>n Schranken <strong>de</strong>s Gesetzes stehen<br />

sollten, aber dieser eine alle Freiheiten <strong>de</strong>s Naturzustan<strong>de</strong>s<br />

behalten soll - vermehrt um die Macht und<br />

durch Straffreiheit zügellos“.<br />

Bei Locke, <strong>de</strong>m Stammvater <strong>de</strong>s heutigen liberalen<br />

Denkens, errichten die Menschen eine vertraglich<br />

etablierte Autorität, die dann verbindlich<br />

herrscht, solange sie <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Grundrechte<br />

dient. Während bei Hobbes <strong>de</strong>r König über <strong>de</strong>m<br />

Recht steht, steht bei Locke das Recht über <strong>de</strong>m<br />

König. Sobald <strong>de</strong>r Souverän seine Pflichten aus<br />

<strong>de</strong>m ursprünglichen Gesellschaftsvertrag vergisst<br />

7<br />

und aus <strong>de</strong>r Zweckbindung an die Grundfreiheiten<br />

ausbricht, fällt die Macht an die Bürger zurück, die<br />

einen neuen Gesellschaftsvertrag schließen:<br />

Dies ist also die Verankerung eines Wi<strong>de</strong>rstandsrechts,<br />

ja eines Rechts zur Revolution. (Man <strong>de</strong>nkt<br />

gera<strong>de</strong>zu zwangsläufig an <strong>de</strong>n Artikel 20 Absatz 4<br />

<strong>de</strong>s Grundgesetzes, <strong>de</strong>r ein Wi<strong>de</strong>rstandsrecht normiert.)<br />

Dabei ist bei Locke <strong>de</strong>r Staat keineswegs bloß<br />

eine Selbsthilfeagentur vieler interessierter einzelner,<br />

son<strong>de</strong>rn durchaus eine selbständige Autorität,<br />

freilich eine an <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Freiheitsrechte aller<br />

gebun<strong>de</strong>ne Autorität: im Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r liberale Staat.<br />

Jean-Jacques Rousseau hingegen problematisiert<br />

das bei Locke regulieren<strong>de</strong> Mehrheitsprinzip auf<br />

zwiespältige Art und Weise:: Rousseau konfrontiert<br />

<strong>de</strong>n Gemeinwillen (die volonté générale) mit <strong>de</strong>m<br />

Gesamtwillen (<strong>de</strong>r volonté <strong>de</strong> tous). Und er spielt<br />

<strong>de</strong>n höherrangigen Gemeinwillen, <strong>de</strong>r eigentlich nur<br />

in <strong>de</strong>r isolierten direkten Abstimmung aller über alle<br />

Gesetze zum Ausdruck kommen könnte, gegen <strong>de</strong>n<br />

nie<strong>de</strong>rrangigen, ja nie<strong>de</strong>rträchtigen Gesamtwillen<br />

aus, <strong>de</strong>r in politisch organisierten Verbän<strong>de</strong>n und<br />

Mehrheiten manifest wird. In diesem Typ <strong>de</strong>s contrat<br />

social bil<strong>de</strong>t sich schon früh eine antiliberale, antipluralistische,<br />

antirepräsentative Vorstellung von einer<br />

Massen<strong>de</strong>mokratie ab - ohne all jene mäßigen<strong>de</strong>n<br />

forces intermédiaires, ohne jegliche ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

Zwischengewalten, die eine mo<strong>de</strong>rne repräsentative<br />

Demokratie ausmachen.<br />

So wie bei Hobbes <strong>de</strong>r absolute Souverän<br />

schrankenlos regiert, soll bei Rousseau die direkte<br />

Mehrheit diktatorisch herrschen. (Die Diktaturen <strong>de</strong>s<br />

20. Jahrhun<strong>de</strong>rts haben Hobbes und Rousseau<br />

gekreuzt, in<strong>de</strong>m sie sich zu ihrer absoluten Herrschaft<br />

von oben auf ein massenhaftes Mandat von<br />

unten beriefen - im Falle <strong>de</strong>s NS-Regimes auch<br />

noch, je<strong>de</strong>nfalls eine ganze Zeitlang, zu Recht.)<br />

Während Hobbes aus tiefem Pessimismus gegen<br />

die Menschen argumentiert, verherrlicht Rousseau<br />

in seinem Optimismus die Mehrheit. Bei<strong>de</strong>n gemeinsam<br />

ist aber die Ablehnung <strong>de</strong>s Pluralismus <strong>de</strong>r<br />

wirklichen Gesellschaft. Für Hobbes kann <strong>de</strong>r Pluralismus<br />

nur im Bürgerkrieg en<strong>de</strong>n, für Rousseau nur<br />

Bei<strong>de</strong> - Hobbes wie Rousseau - setzen, darin genuin<br />

antiliberal, auf die ungebremste Macht, sei es <strong>de</strong>r<br />

auctoritas, sei es <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mos — seien die Machthaber<br />

(mo<strong>de</strong>rn gesprochen) in ihrem gewaltsamen<br />

Homogenitätswunsch und Einheitswahn nun nationalistisch<br />

orientiert o<strong>de</strong>r volksrepublikanisch, rechtspopulistisch<br />

o<strong>de</strong>r links-sozialistisch.<br />

Der Liberale hält sich mit John Locke von all diesen<br />

übersteigern<strong>de</strong>n Verzerrungen frei. Er verfällt,<br />

was die Menschen angeht, we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m absoluten<br />

Pessimismus noch <strong>de</strong>m blin<strong>de</strong>n Optimismus. Er wird<br />

auch die Macht we<strong>de</strong>r diktatorisch verherrlichen<br />

noch anarchisch verteufeln. Er macht sich, wie Ralf<br />

Dahrendorf bemerkt hat, we<strong>de</strong>r Illusionen über die<br />

Macht noch über die Möglichkeit, sie abzuschaffen.<br />

Er kann sich keinen absoluten Staat ohne pluralistische<br />

Gesellschaft vorstellen — aber eben auch<br />

keine zufällige Gesellschaft ohne <strong>de</strong>n ordnen<strong>de</strong>n<br />

Staat. Der Liberale plädiert für aufgeklärte, dann<br />

aber auch verbindliche Gesetze.<br />

Um es anekdotisch auszudrücken: Als es in <strong>de</strong>n<br />

Justizreformen <strong>de</strong>r sechziger und siebziger Jahre


darum ging, vernünftige Gesetze auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r<br />

Zeit zu formulieren, an die man sich dann auch<br />

halten konnte und <strong>de</strong>shalb halten musste, waren die<br />

Liberalen ganz hei <strong>de</strong>r Sache. Als es wenig später<br />

für „liberal“ galt, sich je nach Gusto an Gesetze nicht<br />

mehr zu halten, war <strong>de</strong>r wahre Liberale als erster<br />

entsetzt.<br />

Für <strong>de</strong>n Liberalen gibt es eben nicht nur Rechte,<br />

schon gar nicht nur Rechte, die als „ungesellige“ Ansprüche<br />

gedacht wären. Er kennt durchaus auch<br />

Pflichten. Aber diese Pflichten sind nicht gegen die<br />

Rechte auszuspielen, ihnen auch nicht vor- o<strong>de</strong>r<br />

überzuordnen; son<strong>de</strong>rn die Freiheitsrechte selber,<br />

und nur sie, sind - liberal verstan<strong>de</strong>n - die Wurzeln<br />

<strong>de</strong>r Pflichten.<br />

Diese Differenzen zwischen <strong>de</strong>n politischen Theorien<br />

die <strong>de</strong>r historische Rückblick offen legt, sind<br />

beileibe nicht überholt. Sie kehren im Grun<strong>de</strong> in<br />

allen aktuellen politischen Debatten wie<strong>de</strong>r. Es mag<br />

ja sein, dass im heutigen <strong>de</strong>mokratischen Diskurs<br />

auf <strong>de</strong>n ersten Blick alle Katzen grau - und insofern<br />

auch: liberal - wirken. Doch in Wirklichkeit lässt sich<br />

noch immer ziemlich genau bestimmen, was liberal<br />

ist, auch wenn man viele Liberale außerhalb <strong>de</strong>r<br />

liberalen Partei fin<strong>de</strong>t - und die FDP längst nicht<br />

immer auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>s Liberalismus.<br />

Was also erwi<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Liberale auf <strong>de</strong>n Vorwurf,<br />

in Wirklichkeit sei <strong>de</strong>r Liberalismus schuld an <strong>de</strong>n<br />

akuten Problemen unserer Gesellschaft: grenzenloser<br />

Individualismus, rein materielle Bereicherungssucht<br />

in einer „Raffgesellschaft‘, Verlust <strong>de</strong>r Gemeinschaftswerte<br />

bis hin zum Vandalismus?<br />

Es ist schon merkwürdig, was <strong>de</strong>rzeit alles als<br />

negative Folge <strong>de</strong>s Jahres 1968 abgebucht wird -<br />

als ob die Mör<strong>de</strong>r von Mölln bis Lübeck von Altachtundsechzigern<br />

erzogen wor<strong>de</strong>n wären, während sie<br />

in Wirklichkeit ganz überwiegend aus Elternhäusern<br />

stammen, in <strong>de</strong>nen man noch nie tolerant und liberal,<br />

son<strong>de</strong>rn allenfalls autoritär gedacht hatte. Die<br />

Pointe freilich: 1968 war am En<strong>de</strong> bei weitem eher<br />

ein linkes als ein liberales Datum. Die Spannungen<br />

zwischen liberalen Radikal<strong>de</strong>mokraten und linken<br />

I<strong>de</strong>ologen waren immer manifest gewesen — siehe<br />

das Schimpfwort: „Scheißliberale“.<br />

Wohl kann eine Gesellschaft sowenig aufgrund<br />

<strong>de</strong>s nackten Egoismus <strong>de</strong>r isolierten einzelnen ge<strong>de</strong>ihen<br />

wie unter <strong>de</strong>m obrigkeitlichen Druck <strong>de</strong>r<br />

kalten Macht. Wenn jetzt immer mehr Autoren die<br />

Rückbesinnung auf die Gemeinschaftswerte einklagen,<br />

kann <strong>de</strong>r Liberale sie nur fröhlich an <strong>de</strong>r Eingangstür<br />

begrüßen:<br />

Welcome to the Club!“ — Herzlich willkommen! Das<br />

eben war ja die authentische Pointe <strong>de</strong>s liberalen<br />

Gesellschaftsbil<strong>de</strong>s: die gemeinsame Errichtung <strong>de</strong>s<br />

Gesellschaftsvertrages, allerdings eines Vertrages<br />

<strong>de</strong>r Einsichtigen, die mit <strong>de</strong>m Abschluss <strong>de</strong>s Vertrages,<br />

mo<strong>de</strong>rn gesprochen: die mit <strong>de</strong>r Verfassung<br />

ihre Mündigkeit nicht etwa aufgeben, son<strong>de</strong>rn darin<br />

wahren - als einzige Garantie dafür, dass dieser<br />

Vertrag zur Gestaltung <strong>de</strong>r gemeinsamen Freiheitsrechte<br />

überhaupt Geltung erlangen und behalten<br />

kann.<br />

Auf eines allerdings wird <strong>de</strong>r Liberale nie verzichten:<br />

darauf, dass über die Inhalte <strong>de</strong>r Gemeinschaftswerte<br />

offen diskutiert und auch gemeinsam<br />

beschlossen wird. Die Flucht in autoritativ o<strong>de</strong>r kollektiv<br />

vorgegebene „Werte“, die eben gar keine<br />

8<br />

gemeinschaftlich gelebten Orientierungen, son<strong>de</strong>rn<br />

irgendwo getroffene Anordnungen über die „Gemeinschaft“<br />

sind, lehnt er ab. Übrigens ebenso die<br />

merkwürdig mystische Bevorzugung <strong>de</strong>r „Gemeinschaft“<br />

gegenüber <strong>de</strong>r „Gesellschaft“. Glaubt jemand<br />

im Ernst, es sei möglich, <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>altypisch<br />

verstan<strong>de</strong>nen Zusammenschluss <strong>de</strong>r Mündigen und<br />

Einsichtigen zu ersetzen durch <strong>de</strong>n Rückgriff auf<br />

eine vorgesellschaftliche, vorpolitische, vorrationale<br />

Gemeinschaft? Gewiss, die Gesellschaft <strong>de</strong>r Mündigen<br />

ist oft genug vom Scheitern bedroht, weil ihre<br />

Subjekte sich oft genug nicht als mündig erweisen<br />

und weil <strong>de</strong>r Bürger nie seinem eigenen I<strong>de</strong>albild<br />

entspricht. Aber <strong>de</strong>shalb von Anfang an auf eine<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>r Unmündigen setzen?<br />

Nein, <strong>de</strong>r Liberale wird auch weiterhin die Sache<br />

<strong>de</strong>r Emanzipation aller Bürgerinnen und Bürger<br />

verfechten. Er versteht darunter nicht die Absage an<br />

jegliche Normen und Institutionen <strong>de</strong>s Zusammenlebens,<br />

wohl aber die Kritik an falschen Autoritäten<br />

und Lehren. Was dann aber als falsch zu betrachten<br />

ist, hat sich im freien und öffentlichen Diskurs herauszustellen,<br />

nicht im autoritären o<strong>de</strong>r utopischen<br />

Dunst <strong>de</strong>r geistigen Hinterzimmer. Und natürlich<br />

verlangt auch <strong>de</strong>r Gesellschaftsvertrag seit Locke,<br />

dass sich die Bürger an die zum Schutz <strong>de</strong>r Freiheitsrechte<br />

beschlossenen Regeln halten; die wehrhafte<br />

Demokratie, auch die kämpferisch liberale<br />

Gesellschaft sind eine pure Selbstverständlichkeit.<br />

Deshalb ist <strong>de</strong>r Liberale stets auch „Verfassungspatriot“<br />

— womit bei<strong>de</strong>s gemeint ist: die weltoffene<br />

Verfassung und ihr konkreter politischer Ort; die<br />

Patria ist ihm nicht nur normatives, menschenleeres<br />

Gefüge. Aber <strong>de</strong>r Liberale kann sich auch kein Vaterland<br />

vorstellen, das sich jenseits, über o<strong>de</strong>r unter<br />

<strong>de</strong>n weltoffenen Normen <strong>de</strong>r freiheitlichen <strong>de</strong>mokratischen<br />

Verfassung, sozusagen verfassungstranszen<strong>de</strong>nt<br />

o<strong>de</strong>r ganz unverfasst darstellt. Er <strong>de</strong>nkt<br />

eben im Gesellschaftsvertrag und nicht in ungeformten<br />

Gemeinschaften. Und <strong>de</strong>swegen kann er sich<br />

we<strong>de</strong>r ein ethnisch eingeschränktes noch ein weltweit<br />

entgrenztes Staatsbürgerschaftsrecht vorstellen.<br />

Übrigens wird <strong>de</strong>r Liberale - bei aller Weltoffenheit<br />

und bei aller Bereitschaft zur europäischen Integration<br />

- für die Gegenwart begrifflich genau vom<br />

„Nationalstaat“ sprechen, allerdings nicht mythologisch<br />

raunend vom „Volk“. Denn wer vom Nationalstaat<br />

re<strong>de</strong>t, kann nicht an<strong>de</strong>rs, als immer<br />

zugleich konkret vom Staat und folglich von <strong>de</strong>r<br />

republikanischen, freiheitlichen und <strong>de</strong>mokratischen<br />

Verfassung zu sprechen. Für Liberale gibt es keine<br />

vorpolitisch wabern<strong>de</strong> Nation (auch keine Gemeinschaft)<br />

außerhalb ihrer <strong>de</strong>finierten Verfassung als<br />

Gesellschaft und Staat. Allerdings auch keine ortlos<br />

schweben<strong>de</strong> Freiheit ohne einen verfassungsmäßig<br />

errichteten und gesicherten Staat. Und <strong>de</strong>swegen<br />

wer<strong>de</strong>n Liberale ihren Nationalstaat gerne aufgeben<br />

- aber erst dann, wenn dieser in einem ebenso freiheitlichen<br />

und <strong>de</strong>mokratischen Verfassungsstaat<br />

„Europa“ aufgehoben wird.<br />

Doch wie wird es mit <strong>de</strong>n Grundfreiheiten aussehen<br />

in einem neuen Europa - o<strong>de</strong>r im alten Nationalstaat?<br />

Allerorten ist doch die Neigung zu spüren,<br />

die Grundfreiheiten zu relativieren, ob aus Grün<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r politischen Popularität, <strong>de</strong>r ökonomischen Rationalität<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s sozialen Fortschritts. Der Liberale


kann aber keine fragwürdigen Tauschgeschäfte<br />

abschließen, son<strong>de</strong>rn beruft sich auf <strong>de</strong>n amerikanischen<br />

Liberalen John Rawls: „Grundfreiheiten dürfen<br />

nur um ihrer selbst willen reguliert, nicht aber<br />

beschränkt wer<strong>de</strong>n aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ökonomischen<br />

Effizienz o<strong>de</strong>r sozialer Zweckmäßigkeiten: und zwar<br />

auch nicht im Interesse <strong>de</strong>rer, die die Beschränkungen<br />

hinnehmen sollen.“<br />

Man muss nur die aktuellen Debatten Revue<br />

passieren lassen, um zu verstehen, worum es dabei<br />

geht: <strong>de</strong>r Lauschangriff (natürlich „nur‘ gegen Drogenhändler<br />

und Waffenschieber gemeint), die angestrebte<br />

Verknüpfung von Polizei und Geheimdiensten<br />

(<strong>de</strong>ren Schleppnetzfahndung die alten „Hauptverwaltungen“<br />

<strong>de</strong>r DDR wie ein Museum erscheinen<br />

lassen muss), das ernstlich betriebene Abschleifen<br />

<strong>de</strong>r Strafprozessordnung (<strong>de</strong>r „Magna Charta“ <strong>de</strong>s<br />

Strafrechts) - von <strong>de</strong>m verrückten La<strong>de</strong>nschlussgesetz<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m skurrilen Rabattgesetz gar nicht erst<br />

zu sprechen. O<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Regelmäßigkeit, mit <strong>de</strong>r<br />

die angeblich allein in <strong>de</strong>r Tarifautonomie ausgehan<strong>de</strong>lten<br />

Tarifverträge hernach vom fürsorglichen<br />

Staat mit Gesetzeskraft für allgemeinverbindlich<br />

erklärt wer<strong>de</strong>n, auch für die, die gar nicht Tarifpartner<br />

sein wollen - und dies von einem Staat, <strong>de</strong>ssen<br />

Regierung diese Tarifverträge zuvor als nicht in die<br />

Landschaft passend bezeichnet hat.<br />

Am fragwürdigsten freilich erscheint <strong>de</strong>r Liberalismus<br />

seinen Verächtern auf <strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ökonomie<br />

- als ob die Liberalen mit ihrer Vorstellung von<br />

<strong>de</strong>r Marktwirtschaft die letzten Befürworter <strong>de</strong>s<br />

schlechthin ungezügelten Kapitalismus wären. Dabei<br />

liegt die Pointe <strong>de</strong>r wettbewerbsorientierten<br />

Marktwirtschaft gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Zügelung ökonomischer<br />

(und damit auch politischer) Macht. Im voll<br />

funktionieren<strong>de</strong>n Wettbewerb kann niemand eine<br />

Rente auf Macht erzielen: daher das Kartellgesetz,<br />

die Fusionskontrolle, das Wettbewerbsgesetz.<br />

Wirtschaftlich vermittelte und politisch wirksame<br />

Macht entsteht nur dort, wo <strong>de</strong>r Markt zuvor aus<br />

politischen Motiven entmachtet wur<strong>de</strong>. Wer weiß,<br />

wie groß die Kuhhaut sein müsste, auf die all die<br />

Fälle zu schreiben wären, in <strong>de</strong>nen aus kaum transparent<br />

gemachten politischen Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Markt mit<br />

großen gemeinwohlschädlichen Wirkungen suspendiert<br />

wur<strong>de</strong> - ob es sich nun um <strong>de</strong>n EU-Agrar-<br />

,,Markt“ o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Subventionsorgien han<strong>de</strong>ln<br />

mag. Hinterher spricht man dann am liebsten vom<br />

Marktversagen.<br />

Für <strong>de</strong>n Liberalen ist <strong>de</strong>r Markt aber nicht eine<br />

bloß ökonomische Instanz, son<strong>de</strong>rn ein durchaus<br />

politisches Prinzip <strong>de</strong>r Machtkontrolle. Als Instanz<br />

ökonomischer Ethik fungiert <strong>de</strong>r Markt zu<strong>de</strong>m als<br />

Instrument <strong>de</strong>r treuhän<strong>de</strong>rischen Sparsamkeit im<br />

Umgang mit Ressourcen - im Interesse sowohl <strong>de</strong>r<br />

Zeitgenossen wie <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Generationen.<br />

Das gegenwärtig so beliebte antiökonomische Denken,<br />

das ethisches Empfin<strong>de</strong>n fundamentalistisch<br />

gegen wirtschaftliches Han<strong>de</strong>ln stellt, setzt <strong>de</strong>n<br />

Markt fälschlich gleich mit raffgierigem Egoismus -<br />

wo doch gera<strong>de</strong> im i<strong>de</strong>altypisch funktionieren<strong>de</strong>n<br />

Markt die Selbstbändigung <strong>de</strong>r Marktteilnehmer<br />

stattfin<strong>de</strong>t, übrigens auch gegenüber Zukunftsinteressen.<br />

Deshalb ist für <strong>de</strong>n Liberalen wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>r Markt<br />

das gebotene Mittel, <strong>de</strong>r jüngsten politischen Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

gerecht zu wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Ökologie.<br />

9<br />

Niemand darf sich <strong>de</strong>n konkreten Kosten seines<br />

Han<strong>de</strong>lns durch politisch erworbene o<strong>de</strong>r korrumpierte<br />

Macht entziehen. Deshalb ist es ein genuin<br />

liberaler politischer Imperativ, je<strong>de</strong>m Marktteilnehmer,<br />

<strong>de</strong>m Hersteller wie <strong>de</strong>m Verbraucher, die ökologischen<br />

Folgekosten seines Han<strong>de</strong>lns produkt-<br />

und verhaltensadäquat zuzurechnen. Da darf es<br />

dann keine „Externalisierung“ o<strong>de</strong>r „Sozialisierung“<br />

ökologischer Schä<strong>de</strong>n zu Lasten künftiger Generationen<br />

geben — übrigens auf Dauer auch keine sozial<br />

motivierten Kilometergeldpauschalen.<br />

Die Beispiele ließen sich fortsetzen — vom Hölzchen<br />

aufs Stöckchen. Sie wür<strong>de</strong>n je<strong>de</strong>s Mal nur das<br />

eine <strong>de</strong>monstrieren: die Vorzüge <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft.<br />

In diesem Begriff kommt bei<strong>de</strong>s zur Geltung:<br />

das Element <strong>de</strong>r Offenheit wie das soziale<br />

Band <strong>de</strong>r Gesellschaft, die Freiheit wie die Bindungen<br />

— o<strong>de</strong>r, wie Ralf Dahrendorf dies ausgedrückt<br />

hat, die Optionen und die Ligaturen.<br />

Von einem aber bleibt <strong>de</strong>r Liberale überzeugt:<br />

dass Bindungen nur dort wirklich verpflichtend wirken<br />

können, wo sie in Freiheit eingegangen wor<strong>de</strong>n<br />

sind. Und wo sie in ebenso großer Freiheit immer<br />

wie<strong>de</strong>r überprüft wer<strong>de</strong>n können.<br />

Je<strong>de</strong>r Epoche stellen sich neue Probleme: die<br />

Zukunft <strong>de</strong>r Arbeit, die Bevölkerungsexplosion, die<br />

Klimakatastrophe. . . Aber immer wie<strong>de</strong>r stellt sich<br />

auch neu die Frage: Wie wollen wir versuchen,<br />

diese Probleme zu lösen — auf freiheitliche Weise<br />

o<strong>de</strong>r mit Zwangsmitteln? Wollen wir uns in die falsche<br />

Alternative zwischen Freiheit o<strong>de</strong>r Gleichheit<br />

treiben lassen? O<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n wir Wege, auf <strong>de</strong>nen<br />

sich, wie Alexis <strong>de</strong> Tocqueville es einmal erträumt<br />

hat, Freiheit und Gleichheit i<strong>de</strong>aliter verbin<strong>de</strong>n‘?<br />

Die Sache <strong>de</strong>s Liberalismus ist bei weitem noch<br />

nicht erledigt. Im Gegenteil, es ist schon so, wie<br />

Ulrich Beck jüngst schrieb: Eine <strong>de</strong>r wichtigsten<br />

Konfliktlinien läuft gera<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r Zeitenwen<strong>de</strong><br />

von‘ 1989 „zwischen <strong>de</strong>n Protagonisten <strong>de</strong>r offenen<br />

und <strong>de</strong>r geschlossenen Zukunftsgesellschaft“. Und<br />

damit stehen wir zum Ausgang <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

wie<strong>de</strong>r am Anfang.<br />

(Robert Leicht: Was heißt heute noch liberal? In: ZEIT-<br />

PUNKTE 1/1995, S. 91 –95)<br />

Das Jahrhun<strong>de</strong>rt en<strong>de</strong>t mit <strong>de</strong>m Sieg <strong>de</strong>r<br />

Demokratie – und im Katzenjammer.<br />

Doch die Zukunftsprobleme lassen sich<br />

nur in einer offenen Gesellschaft lösen.<br />

In je<strong>de</strong>r sozialen o<strong>de</strong>r ökonomischen<br />

Krise regen sich illiberale Ten<strong>de</strong>nzen.<br />

Wirtschaftliche Macht herrscht dort, wo<br />

zuvor <strong>de</strong>r Markt politisch entmachtet<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Der Liberale kennt keine Illusionen –<br />

we<strong>de</strong>r über die Macht noch über ihre Abschaffung


Neoliberalismus<br />

Als „Neoliberalisrnus“ wird die von Rüstow, Röpke,<br />

Böhm, Müller-Armack, Eucken u. a. in <strong>de</strong>n 30er und<br />

40er Jahren entwickelte Wirtschaftstheorie bezeichnet,<br />

die zur Grundlage <strong>de</strong>r Wirtschaftsverfassung<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik, <strong>de</strong>r „sozialen Marktwirtschaft“,<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Die Zielrichtung:<br />

Sozialliberalismus<br />

Es wäre naiv, etwa schließen zu wollen, dass eine<br />

Rückkehr zu <strong>de</strong>n wirtschaftspolitischen Grundsätzen<br />

<strong>de</strong>r 60er und 70er Jahre <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts das<br />

Heil bringen müsste, selbst wenn sie möglich wäre.<br />

Der durch die spätere krasse Entwicklung geschärfte<br />

Blick erkennt vielmehr auch schon hier und von<br />

Anfang an jene grundlegen<strong>de</strong>n Schwächen und<br />

Blindheiten <strong>de</strong>s historischen Wirtschaftsliberalismus,<br />

aus <strong>de</strong>nen auch die späteren schweren Degenerationen<br />

hervorgegangen sind. Notwendig ist vielmehr<br />

eine Erneuerung <strong>de</strong>s Liberalismus von Grund auf,<br />

eine Erneuerung, die insbeson<strong>de</strong>re auch allen berechtigten<br />

Einwän<strong>de</strong>n und For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

voll Rechnung trägt. Man könnte unter diesem<br />

Gesichtspunkt das, was uns vorschwebt, auch<br />

Sozialliberalismus nennen. (...)<br />

Wir wissen heute, dass die die Marktwirtschaft <strong>de</strong>r<br />

vollständigen Konkurrenz auszeichnen<strong>de</strong> selbsttätige<br />

Gleichschaltung von Eigennutz und Gemeinnutz<br />

nur unter ganz bestimmten Bedingungen und innerhalb<br />

eines scharf abgegrenzten Bereichs <strong>de</strong>s Wirtschaftsfel<strong>de</strong>s<br />

Platz greift. Infolge<strong>de</strong>ssen wür<strong>de</strong> sich<br />

als nächstes die dringen<strong>de</strong> Aufgabe ergeben, die<br />

Funktionsbedingungen <strong>de</strong>r Konkurrenzwirtschaft, die<br />

allein ihren Erfolg verbürgen, mit aller Klarheit und<br />

allem Nachdruck in <strong>de</strong>r Theorie wie in <strong>de</strong>r Praxis<br />

sicherzustellen. Ich habe schon 1932 ausgerührt,<br />

dass nur ein starker und unabhängiger Staat die<br />

wirklich freie Wirtschaft sichern kann, und dass anstelle<br />

<strong>de</strong>s manchesterlichen laissez-faire ein „liberaler<br />

Interventionismus“ zu treten hätte, d. h. ein Interventionismus,<br />

<strong>de</strong>r nicht eis Hemmungsintervention<br />

quer zu <strong>de</strong>n Marktgesetzen, son<strong>de</strong>rn als konforme<br />

Anpassungsintervention in <strong>de</strong>r Wirkungsrichtung <strong>de</strong>r<br />

Marktgesetze. zur Sicherung ihres möglichst reibungslosen<br />

Ablaufs, eingreift. (...)<br />

Der Staat macht bestimmte Eingriffe in <strong>de</strong>r Absicht,<br />

sich auf sie zu beschränken. Aber diese Eingriffe<br />

führen zu unvorhergesehenen Folgen, die ihrerseits<br />

neue, ursprünglich nicht beabsichtigte .Eingriffe<br />

nötig machen. Wenn die Grenze <strong>de</strong>r Staatseingriffe<br />

nicht auf eine einsichtige und haltbare Weise von<br />

vornherein min<strong>de</strong>stens im Prinzip festliegt, wenn die<br />

.privaten Wirtschaftler irgen<strong>de</strong>ines bisher noch freigelassenen<br />

Wirtschaftssektors mit <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

rechnen müssen, dass <strong>de</strong>r Staat über kurz o<strong>de</strong>r lang<br />

auch in ihre Sphäre in nicht vorausberechenbarer<br />

Weise eingreift, so hört je<strong>de</strong> Möglichkeit langfristiger<br />

Kalkulation und soli<strong>de</strong>r Geschäftsführung auf.<br />

(Alexan<strong>de</strong>r Rüstow, Zwischen Kapitalismus und Kommunismus.<br />

Go<strong>de</strong>sberg 1949, S. 34—36) Rüstow (1932)<br />

10<br />

Man hat <strong>de</strong>m alten Liberalismus vorgeworfen und<br />

wirft ihm noch heute vor, wenn man ihn als Manchestertum<br />

beschimpft, er habe einen schwachen<br />

Staat, einen Nachtwächterstaat, gefor<strong>de</strong>rt. Die historische<br />

Situation war die, dass <strong>de</strong>r alte Liberalismus<br />

einem außeror<strong>de</strong>ntlich starken Staat gegenüberstand<br />

und daß er von diesem Staat nicht<br />

Schwäche verlangte, son<strong>de</strong>rn Freigabe <strong>de</strong>s Entfaltungsraumes<br />

für sich selber unter <strong>de</strong>m Schutz<br />

dieses gegebenen starken Staates, eine For<strong>de</strong>rung,<br />

die historisch war und die auch er-<br />

füllt wor<strong>de</strong>n ist. Der neue Liberalismus je<strong>de</strong>nfalls,<br />

<strong>de</strong>r heute vertretbar ist und <strong>de</strong>n ich mit meinen<br />

Freun<strong>de</strong>n vertrete, for<strong>de</strong>rt einen starken Staat, einen<br />

Staat oberhalb <strong>de</strong>r Wirtschaft, oberhalb <strong>de</strong>r Interessenten,<br />

da, wo er hingehört.<br />

(Aus: Alexan<strong>de</strong>r Rüstow, Re<strong>de</strong> und Antwort. Ludwigsburg<br />

1963, S. 258)<br />

Friedrich Naumann:<br />

Wan<strong>de</strong>l liberaler Prinzipien<br />

Der Sozialismus ist die <strong>de</strong>nkbar weiteste Aus<strong>de</strong>hnung<br />

<strong>de</strong>r liberalen Metho<strong>de</strong> auf alle mo<strong>de</strong>rnen Herrschafts-<br />

und Abhängigkeitsverhältnisse. Die gegenwärtige<br />

Frage <strong>de</strong>s Liberalismus aber hat <strong>de</strong>shalb<br />

folgen<strong>de</strong>n Inhalt: Ist es richtig, dass wir uns nur<br />

darauf beschränken, Gegenwirkung gegen staatlichen<br />

Despotismus zu sein? Die Frage ist <strong>de</strong>shalb so<br />

schwer, weil <strong>de</strong>r Kampf gegen die Nachteile <strong>de</strong>r<br />

neuen Großbetriebe offenbar nur mit Hilfe <strong>de</strong>s alten<br />

Großbetriebes Staat geführt wer<strong>de</strong>n kann. Der<br />

Staat, <strong>de</strong>n man in seiner Wirksamkeit einengen<br />

wollte, muss mit neuen Aufgaben betraut und also<br />

direkt gestärkt wer<strong>de</strong>n, wenn er helfen soll, die Menschenrechte<br />

im gewerblichen Großbetrieb zu schützen.<br />

An dieser Stelle setzte <strong>de</strong>r alte und erste Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

<strong>de</strong>r strengen Manchesterleute gegen <strong>de</strong>n<br />

Sozialismus ein. Man musste die liberale Lehre vom<br />

freien Spiel <strong>de</strong>r Kräfte im Wirtschaftsleben einschränken,<br />

wenn man staatliche Zwangsversicherung<br />

gen und Arbeiterschutzgesetze gutheißen<br />

wollte. Das hat man nun trotz<strong>de</strong>m fast im ganzen<br />

Liberalismus tatsächlich nicht vermei<strong>de</strong>n können,<br />

aber es ist das Gefühl einer Schwächung <strong>de</strong>s Prinzips<br />

übriggeblieben. Gewöhnlich legte man sich die<br />

Sache so zurecht, dass man sagte: erst durch diese<br />

Staatseingriffe entsteht die Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen,<br />

die wir anstreben! Das ist sachlich unbestreitbar<br />

richtig, überwin<strong>de</strong>t aber <strong>de</strong>n Umstand doch nicht<br />

ganz, dass <strong>de</strong>r Liberalismus staatssozialistische<br />

Elemente aufnehmen musste, die ihm von Haus<br />

aus fern lagen. Ein gutes Gewissen beim weiteren<br />

Beschreiten dieses Weges wird .<strong>de</strong>r Liberalismus<br />

gegenüber seinen eigenen Prinzipien erst dann<br />

bekommen, wenn er das ganze Gewicht <strong>de</strong>r Neuerung<br />

begreift, die darin liegt, dass es nicht <strong>de</strong>r staatliche<br />

Großbetrieb allein ist, son<strong>de</strong>rn aller Großbetrieb,<br />

<strong>de</strong>n er als gefährlich für die Persönlichkeit zu<br />

begrenzen und auf parlamentarische Basis zu stellen<br />

sucht. Erst von da aus ist es unbe<strong>de</strong>nklich, die


Kräfte <strong>de</strong>s am meisten liberalisierten Großbetriebes<br />

zur Liberalisierung <strong>de</strong>r noch rein absolutistischen<br />

Formen zu verwen<strong>de</strong>n.<br />

(Friedrich Naumann, Liberalismus als Prinzip; in: Süd<strong>de</strong>utsche<br />

Monatshefte 1 Jg. 1904; zit. Nach Helga Schuchardt/<br />

Günther Verheugen: Das liberale Gewissen. Reinbeck<br />

1982, S. 168f)<br />

Demokratischer Sozialismus<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n die Theorien von Karl<br />

Marx und Friedrich Engels nur insoweit an<br />

Textbeispielen vorgestellt, als sie die theoretische<br />

Grundlage <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

be<strong>de</strong>uten. Da <strong>de</strong>r Demokratische Sozialismus<br />

die Gestaltung <strong>de</strong>s politisch-sozialen<br />

Systems <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland<br />

maßgeblich beeinflusst hat, steht diese Theorie<br />

im Zentrum <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r „Sozialismen“.<br />

Falls im Pflichtbereich II <strong>de</strong>r Marxismus als<br />

antipluralistische Theorie behan<strong>de</strong>lt wird, müssen<br />

weitere Quellen von Marx und Engels,<br />

insbeson<strong>de</strong>re zur Klassentheorie, Revolutionstheorie<br />

und zur Imperialismustheorie herangezogen<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Hier wer<strong>de</strong>n lediglich die ökonomischen Grundi<strong>de</strong>en<br />

an Beispielen erläutert.<br />

Produktion von Mehrwert durch Lohnarbeit<br />

Der Wert <strong>de</strong>r Arbeitskraft ist be1 stimmt durch<br />

das zu ihrer Erhaltung o<strong>de</strong>r Reproduktion notwendige<br />

Arbeitsquantum, aber die Nutzung<br />

dieser Arbeitskraft ist nur begrenzt durch die<br />

aktiven Energien und die Körperkraft <strong>de</strong>s Arbeiters.<br />

(..) Nehmen wir das Beispiel unseres<br />

Spinners. Wir haben gesehn, dass er, um seine<br />

Arbeitskraft täglich zu reproduzieren, täglich<br />

einen Wert von 3 sh. reproduzieren muss, was<br />

er dadurch tut, dass er täglich 6 Stun<strong>de</strong>n arbeitet.<br />

Dies hin<strong>de</strong>rt ihn jedoch nicht, 10 o<strong>de</strong>r <strong>12</strong><br />

o<strong>de</strong>r mehr Stun<strong>de</strong>n am Tag arbeiten zu können.<br />

Durch die Bezahlung <strong>de</strong>s Tages- o<strong>de</strong>r<br />

Wochenwerts <strong>de</strong>r Arbeitskraft <strong>de</strong>s Spinners hat<br />

nun aber <strong>de</strong>r Kapitalist das Recht erworben,<br />

diese Arbeitskraft während <strong>de</strong>s ganzen Tags<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r ganzen Woche zu nutzen. Er wird ihn<br />

daher zwingen, sage <strong>12</strong> Stun<strong>de</strong>n täglich zu<br />

arbeiten. Über die zum Ersatz seines Arbeitslohns<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Werts seiner Arbeitskraft erheischten<br />

6 Stun<strong>de</strong>n hinaus wird er daher noch<br />

6 Stun<strong>de</strong>n zu arbeiten haben, die ich Stun<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Mehrarbeit nennen will, welche Mehrarbeit<br />

11<br />

sich vergegenständlichen wird in einem Mehrwert<br />

und einem Mehrprodukt. (...) Da er seine<br />

Arbeitskraft <strong>de</strong>m Kapitalisten verkauft hat, so<br />

gehört <strong>de</strong>r ganze von ihm geschaffene Wert<br />

o<strong>de</strong>r sein ganzes Produkt <strong>de</strong>m Kapitalisten,<br />

<strong>de</strong>m zeitweiligen Eigentümer seiner Arbeitskraft.<br />

(Karl Marx, Lohn, Preis, Profit. In: Karl Marx/Friedrich<br />

Engels, Studienausgabe in 4 Bän<strong>de</strong>n, hrsg. von Iring Fetscher,<br />

Bd. 2:<br />

Politische Ökonomie, Frankfurt am Main 1966, S. 196)<br />

Profitmaximierung<br />

Die Verlängerung <strong>de</strong>s Arbeitstags über <strong>de</strong>n<br />

Punkt hinaus, wo <strong>de</strong>r Arbeiter nur ein Äquivalent<br />

für <strong>de</strong>n Wert seiner Arbeitskraft produziert<br />

hätte, und die Aneignung dieser Mehrarbeit<br />

durch das Kapital - das ist die Produktion <strong>de</strong>s<br />

absoluten Mehrwerts. Sie bil<strong>de</strong>t die allgemeine<br />

Grundlage <strong>de</strong>s kapitalistischen Systems und<br />

<strong>de</strong>n Ausgangspunkt <strong>de</strong>r Produktion <strong>de</strong>s relativen<br />

Mehrwerts. Bei dieser ist <strong>de</strong>r Arbeitstag<br />

von vornherein in zwei Stücke geteilt:<br />

notwendige Arbeit und Mehrarbeit. Um die<br />

Mehrarbeit zu verlängern, wird die notwendige<br />

Arbeit verkürzt durch Metho<strong>de</strong>n, vermittelst<br />

<strong>de</strong>ren das Äquivalent <strong>de</strong>s Arbeitslohns in weniger<br />

Zeit produziert wird. Die Produktion <strong>de</strong>s<br />

absoluten Mehrwerts dreht sich nur um die<br />

Länge <strong>de</strong>s Arbeitstags; die Produktion <strong>de</strong>s<br />

relativen Mehrwerts revolutioniert durch und<br />

durch die technischen Prozesse <strong>de</strong>r Arbeit und<br />

die gesellschaftlichen Gruppierungen.<br />

(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1. In: MEW [ = Karl<br />

Marx/Friedrich Engels, Werke], Bd. 23, Berlin ~Ost] 1962,<br />

S. 532—533)<br />

Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung<br />

Während die Maschinenarbeit das Nervensystem<br />

aufs Äußerste angreift, unterdrückt sie das<br />

vielseitige Spiel <strong>de</strong>r Muskeln und konfisziert<br />

alle freie körperliche und geistige Tätigkeit.<br />

Selbst die Erleichterung <strong>de</strong>r Arbeit wird Mittel<br />

<strong>de</strong>r Tortur, in<strong>de</strong>m die Maschine nicht <strong>de</strong>n Arbeiter<br />

von <strong>de</strong>r Arbeit befreit, son<strong>de</strong>rn seine Arbeit<br />

vom Inhalt. Aller kapitalistischen Produktion,<br />

soweit sie nicht nur Arbeitsprozess, son<strong>de</strong>rn<br />

zugleich Verwertungsprozess <strong>de</strong>s Kapitals,<br />

ist es gemeinsam, dass nicht <strong>de</strong>r Arbeiter<br />

die Arbeitsbedingung, son<strong>de</strong>rn umgekehrt die<br />

Arbeitsbedingung <strong>de</strong>n Arbeiter anwen<strong>de</strong>t, aber<br />

erst mit <strong>de</strong>r Maschinerie erhält diese Verkehrung<br />

technisch handgreifliche Wirklichkeit.<br />

Durch seine Verwandlung in einen Automaten<br />

tritt das Arbeitsmittel während <strong>de</strong>s Arbeitsprozesses<br />

selbst <strong>de</strong>m Arbeiter als Kapital ge-


genüber, als tote Arbeit, welche die lebendige<br />

Arbeitskraft beherrscht und aussaugt.<br />

(Karl Marx, Das Kapital, Bd., 1 a. a. 0., 5.446)<br />

Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum<br />

Konkurrenten <strong>de</strong>s Arbeiters selbst. Die Selbstverwertung<br />

<strong>de</strong>s Kapitals durch die Maschine<br />

steht in direktem Verhältnis zur Arbeiter-<br />

zahl, <strong>de</strong>ren Existenzbedingungen sie vernichtet.<br />

Das ganze System <strong>de</strong>r kapitalistischen<br />

Produktion beruht darauf, dass <strong>de</strong>r Arbeiter<br />

seine Arbeitskraft als Ware verkauft. Die Teilung<br />

<strong>de</strong>r Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft<br />

zum ganz partikularisierten Geschick, ein Teilwerkzeug<br />

zu führen. Sobald die Führung <strong>de</strong>s<br />

Werkzeugs <strong>de</strong>r Maschine anheimfällt, erlischt<br />

mit <strong>de</strong>m Gebrauchswert <strong>de</strong>r Tauschwert <strong>de</strong>r<br />

Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich,<br />

wie außer Kurs gesetztes Papiergeld. Der Teil<br />

<strong>de</strong>r Arbeiterklasse, <strong>de</strong>n die Maschinerie so in<br />

überflüssige, d. h. nicht länger zur Selbstverwertung<br />

<strong>de</strong>s Kapitals unmittelbar notwendige<br />

Bevölkerung verwan<strong>de</strong>lt, geht einerseits unter<br />

in <strong>de</strong>m im-. gleichen Kampf <strong>de</strong>s alten handwerksmäßigen<br />

und manufakturmäßigen Betriebs<br />

wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n maschinenmäßigen, überflutet<br />

an<strong>de</strong>rerseits alle leichter zugänglichen Industriezweige,<br />

überfüllt <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt und senkt<br />

daher <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Arbeitskraft unter ihren<br />

Wert (...). Wo die Maschine allmählich ein Produktionsfeld<br />

ergreift, produziert sie chronisches<br />

Elend in <strong>de</strong>r mit ihr konkurrieren<strong>de</strong>n Arbeiterschicht.<br />

(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a. a. 0., S. 454)<br />

Entfremdung im Kapitalismus<br />

Ziel <strong>de</strong>r Marxschen Kritik ist das Privateigentum<br />

- insbeson<strong>de</strong>re in seiner kapitalistischen<br />

Ausprägung-, da es die Entfremdung<br />

<strong>de</strong>s Menschen auf die Spitze getrieben hat.<br />

Der Kapitalismus macht <strong>de</strong>n Menschen zur<br />

Ware, die <strong>de</strong>n anonymen Gesetzen <strong>de</strong>s Marktes<br />

gehorcht. Arbeitsteilige Spezialisierung<br />

beschränkt <strong>de</strong>n Menschen und erlaubt es ihm<br />

nicht, sein Produkt als Ganzes zu konzipieren<br />

und zu verstehen. Das Produkt hört auf, Ausdruck<br />

seiner schöpferischen Kraft zu sein und<br />

wird, im Gegenteil, Bestandteil jenes Systems,<br />

das ihn unterdrückt; die Mitglie<strong>de</strong>r einer Konkurrenzgesellschaft<br />

wer<strong>de</strong>n zu Instrumenten<br />

<strong>de</strong>r Bedürfnisbefriedigung o<strong>de</strong>r Ausbeutung,<br />

anstatt ineinan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mitmenschen zu erkennen.<br />

Der „homo oeconomicus“, <strong>de</strong>r Profit maximieren<strong>de</strong>,<br />

kalkulieren<strong>de</strong> anthropologische<br />

Grundpfeiler <strong>de</strong>r von Adam Smith abgeleiteten<br />

Wirtschaftslehre ist für Marx nicht das Mo<strong>de</strong>ll<br />

<strong>de</strong>s Menschen, wie er ist, son<strong>de</strong>rn Beschreibung<br />

<strong>de</strong>r Deformation, die durch ein auf Pri-<br />

<strong>12</strong><br />

vatbesitz und Tauschprinzip aufgebautes Wirtschaftssystem<br />

hervorgebracht wird.<br />

(Kurt L. Shell, Marxismus; in: Axel Görlitz [Hrsg.], Handlexikon<br />

zur Politikwissenschaft, Reinbeck 1973, S. 240)<br />

Verelendung bei wachsen<strong>de</strong>m Reichtum<br />

Alle Metho<strong>de</strong>n zur Produktion <strong>de</strong>s Mehrwerts<br />

sind zugleich Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Akkumulation (<strong>de</strong>s<br />

Kapitals), und je<strong>de</strong> Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Akkumulation<br />

wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung<br />

jener Metho<strong>de</strong>n. Es folgt daher, dass im Maße<br />

wie Kapital akkumuliert, die Lage <strong>de</strong>s Arbeiters,<br />

welches immer seine Zahlung, hoch o<strong>de</strong>r<br />

niedrig, sich verschlechtern muss. Das Gesetz<br />

(...)‚ welches die relative Übervölkerung o<strong>de</strong>r<br />

industrielle Reservearmee stets mit Umfang<br />

und Energie <strong>de</strong>r Akkumulation in Gleichgewicht<br />

hält, schmie<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Arbeiter fester an das Kapital<br />

als <strong>de</strong>n Prometheus die Kelle <strong>de</strong>s<br />

Hephästos an <strong>de</strong>n Felsen. Es bedingt eine <strong>de</strong>r<br />

Akkumulation von Kapital entsprechen<strong>de</strong> Akkumulation<br />

von Elend. Die Akkumulation von<br />

Reichtum auf <strong>de</strong>m einen Pol ist also zugleich<br />

Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei,<br />

Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer<br />

Degradation auf <strong>de</strong>m Gegenpol, d. h. auf<br />

Seite <strong>de</strong>r Klasse, die ihr eigenes Produkt als<br />

Kapital produziert.<br />

(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a. a. 0., 1 S. 675)<br />

Zentralisation <strong>de</strong>r Kapitale im Konkurrenzkampf<br />

Der Zersplitterung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Gesamtkapitals<br />

in viele individuelle Kapitale o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Repulsion seiner Bruchteile voneinan<strong>de</strong>r<br />

wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dies nicht<br />

mehr einfache, mit <strong>de</strong>r Akkumulation (<strong>de</strong>s Kapitals)<br />

i<strong>de</strong>ntische Konzentration von Produktionsmitteln<br />

und Kommando über Arbeit. Es ist<br />

Konzentration bereits gebil<strong>de</strong>ter Kapitale, Aufhebung<br />

ihrer individuellen Selbständigkeit,<br />

Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist,<br />

Verwandlung vieler kleineren in weniger größere<br />

Kapitale.(...) Das Kapital schwillt hier in einer<br />

Hand zu großen Massen, weil es dort in vielen<br />

Hän<strong>de</strong>n verloren geht. Es ist die eigentliche<br />

Zentralisation im Unterschied zur Akkumulation<br />

und Konzentration. (...) Der Konkurrenzkampf<br />

wird durch Verwohlfeilerung <strong>de</strong>r Waren geführt.<br />

Die Wohlfeilheit <strong>de</strong>r Waren hängt, ... von <strong>de</strong>r<br />

Produktivität <strong>de</strong>r Arbeit, diese aber von <strong>de</strong>r<br />

Stufenleiter <strong>de</strong>r Produktion ab. Die größeren<br />

Kapitale schlagen daher die kleineren.<br />

(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1, a. a. 0., S. 654)


Die Theorie Bernsteins Rechtfertigung<br />

sozial<strong>de</strong>mokratischer Reformpolitik<br />

Ich bin <strong>de</strong>r Anschauung entgegengetreten,<br />

dass wir vor einem in Bäl<strong>de</strong> zu erwarten<strong>de</strong>n<br />

Zusammenbruch <strong>de</strong>r bürgerlichen Gesellschaft<br />

stehen und dass die Sozial<strong>de</strong>mokratie ihre<br />

Taktik durch die Aussicht auf eine solche bevorstehen<strong>de</strong><br />

große soziale Katastrophe<br />

bestimmen beziehungsweise von ihr abhängig<br />

machen soll. Das halte ich in vollem Umfang<br />

auf recht. (...)<br />

Die Prognose, welche das „Kommunistische<br />

Manifest“ (Marx/Engels 1848) <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Gesellschaft stellt, war richtig,<br />

soweit sie die allgemeinen Ten<strong>de</strong>nzen dieser<br />

Entwicklung kennzeichnete. Sie irrte aber in<br />

verschie<strong>de</strong>nen speziellen Folgerungen, vor<br />

allem in <strong>de</strong>r Abschätzung <strong>de</strong>r Zeit, welche die<br />

Entwicklung in Anspruch nehmen wür<strong>de</strong>. ...<br />

Die Zuspitzung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

hat sich nicht in <strong>de</strong>r Weise vollzogen, wie<br />

sie das „Manifest“ schil<strong>de</strong>rt. Es ist nicht nur<br />

nutzlos, es ist auch die größte Torheit, sich<br />

dies zu verheimlichen. Die Zahl <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n<br />

ist nicht kleiner, son<strong>de</strong>rn größer gewor<strong>de</strong>n.<br />

Ihre enorme Vermehrung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />

Reichtums wird nicht von einer<br />

zusammenschrumpfen<strong>de</strong>n Zahl von Kapitalmagnaten,<br />

son<strong>de</strong>rn von einer wachsen<strong>de</strong>n<br />

Zahl von Kapitalisten aller Gra<strong>de</strong> begleitet. Die<br />

Mittelschichten än<strong>de</strong>rn ihren Charakter, aber<br />

sie verschwin<strong>de</strong>n nicht aus <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Stufenleiter.<br />

Die Konzentrierung <strong>de</strong>r Produktion vollzieht<br />

sich in <strong>de</strong>r Industrie auch heute noch nicht<br />

durchgängig mit gleicher Kraft und Geschwindigkeit.<br />

In einer großen Anzahl Produktionszweige<br />

rechtfertigt sie zwar alle Vorhersagungen<br />

<strong>de</strong>r sozialistischen Kritik, in an<strong>de</strong>ren Zweigen<br />

bleibt sie jedoch noch heute hinter ihnen<br />

zurück.<br />

Politisch sehen wir das Privilegium <strong>de</strong>r kapitalistischen<br />

Bourgeoisie in allen vorgeschrittenen<br />

Län<strong>de</strong>rn Schritt für Schritt <strong>de</strong>mokratischen<br />

Einrichtungen weichen. Unter <strong>de</strong>m Einfluss<br />

dieser und getrieben von <strong>de</strong>r sich immer kräftiger<br />

regen<strong>de</strong>n Arbeiterbewegung hat eine gesellschaftliche<br />

Gegenaktion gegen die ausbeuterischen<br />

Ten<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>s Kapitals eingesetzt,<br />

die zwar heute noch sehr zaghaft und tastend<br />

vorgeht, aber doch da ist und immer mehr Gebiete<br />

<strong>de</strong>s Wirtschaftslebens ihrem Einfluss unterzieht.<br />

Fabrikgesetzgebung, die Demokrati-<br />

13<br />

sierung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>verwaltungen und die<br />

Erweiterung ihres Arbeitsgebiets, die Befreiung<br />

<strong>de</strong>s Gewerkschafts- und Genossenschaftswesens<br />

von allen gesetzlichen Hemmungen,<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r Arbeiterorganisationen<br />

bei allen von öffentlichen Behör<strong>de</strong>n zu<br />

vergeben<strong>de</strong>n Arbeiten kennzeichnen diese<br />

Stufe <strong>de</strong>r Entwicklung. Dass in Deutschland<br />

man noch daran <strong>de</strong>nken kann, die Gewerkschaften<br />

zu knebeln, kennzeichnet nicht <strong>de</strong>n<br />

Höhegrad, son<strong>de</strong>rn die Rückständigkeit einer<br />

politischen Entwicklung.<br />

Je mehr aber die politischen Einrichtungen <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Nationen <strong>de</strong>mokratisiert wer<strong>de</strong>n, um<br />

so mehr verringern sich die Notwendigkeiten<br />

fund Gelegenheiten großer politischer Katastrophen.<br />

Wer an <strong>de</strong>r Theorie <strong>de</strong>r Katastrophen<br />

festhält, muss die hier gezeichnete Entwicklung<br />

nach Möglichkeit bekämpfen und zu hemmen<br />

suchen, wie das die konsequenten Verfechter<br />

dieser Theorie übrigens früher auch getan haben.<br />

(...)<br />

Kein Mensch hat die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Erkämpfung<br />

<strong>de</strong>r Demokratie für die Arbeiterklasse<br />

in Frage gestellt. Worüber gestritten wur<strong>de</strong>,<br />

ist die Zusammenbruchstheorie und die Frage,<br />

ob bei <strong>de</strong>r gegebenen wirtschaftlichen Entwicklung<br />

Deutschlands und <strong>de</strong>m Reisegrad seiner<br />

Arbeiterklasse in Stadt und Land <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie<br />

an einer plötzlichen Katastrophe<br />

gelegen sein kann. Ich habe die Frage verneint<br />

und verneine sie noch, weil meines Erachtens<br />

im stetigen Vormarsch eine größere Gewähr<br />

für dauern<strong>de</strong>n Erfolg liegt wie in <strong>de</strong>n Möglichkeiten,<br />

die eine Katastrophe bietet.<br />

(Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

und die Aufgaben <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie [1899]. Bonn-Bad<br />

Go<strong>de</strong>sberg 1973, S. 6-7, 9)<br />

Der Weg zum Sozialismus<br />

Ein annähernd gleichzeitiger völlige Zusammenbruch<br />

<strong>de</strong>s gegenwärtigen Productionssystems<br />

wird mit <strong>de</strong>r fortschreiten<strong>de</strong>n Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft nicht wahrscheinlicher,<br />

son<strong>de</strong>rn unwahrscheinlicher, weil dieselbe auf<br />

<strong>de</strong>r einen Seite die Anpassungsfähigkeit, auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren bzw. zugleich damit - die Differenzierung<br />

<strong>de</strong>r Industrie steigert. Es hilft auch<br />

nichts, sich darauf zu berufen, dass die mit<br />

einem solchen Zusammenbruch eintreten<strong>de</strong><br />

Volkserhebung voraussichtlich die Dinge mit


Treibhausgeschwindigkeit zur höchsten Entwicklung<br />

bringen wer<strong>de</strong>. Diese, aus <strong>de</strong>r Geschichte<br />

<strong>de</strong>r großen französischen Revolution<br />

abgeleitete Annahme beruht auf totaler Verkennung<br />

<strong>de</strong>s großen Unterschieds zwischen<br />

feudalen und liberalen Einrichtungen, zwischen<br />

feudalistisch bewirtschaftetem Grundbesitz und<br />

mo<strong>de</strong>rner Industrie. Mit <strong>de</strong>n meisten feudalistischen<br />

Rechten konnte man aufräumen, ohne<br />

mehr als einem verhältnismäßig kleinen Bruchteil<br />

<strong>de</strong>r Bevölkerung Scha<strong>de</strong>n zuzufügen, radikale<br />

Eingriffe ins bürgerliche Eigentumsrecht<br />

berühren einen unendlich weiteren Kreis von<br />

Interessen, die man nicht alle zur Emigration<br />

veranlassen kann. Feudale Landgüter konnte<br />

man zerschlagen und parcellenweise veräußern,<br />

mno<strong>de</strong>rnen Fabriken gegenüber geht das<br />

nicht; je mehr davon (...) expropriiet wür<strong>de</strong>n,<br />

um so größer die Schwierigkeit, sie während<br />

einer Erhebung in Betrieb zu halten. (...)<br />

Man wird nun die Frage aufwerfen, ob mit dieser<br />

Darlegung die Verwirklichung <strong>de</strong>s Socialismus<br />

nicht auf <strong>de</strong>n St. Nimmerleinstag (...)<br />

verlegt o<strong>de</strong>r auf viele, viele Generationen hinaus<br />

vertagt wird. Wenn man unter Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>s Socialismus die Errichtung einer in<br />

allen Puncten streng communistisch geregelten<br />

Gesellschaft versteht, so trage ich allerdings<br />

keine Be<strong>de</strong>nken zu erklären, dass mir dieselbe<br />

noch in ziemlich weiter Ferne zu liegen scheint.<br />

Dagegen ist es meine feste Überzeugung,<br />

dass schon die gegenwärtige Gesellschaft<br />

noch die Verwirklichung von sehr viel Socialismus<br />

erleben wird, wenn nicht in <strong>de</strong>r patentierten<br />

Form, so doch in <strong>de</strong>r Sache. Die stetige<br />

Erweiterung <strong>de</strong>s Umkreises <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Pflichten, d.h. <strong>de</strong>r Pflichten und correspondieren<strong>de</strong>n<br />

Rechte <strong>de</strong>r Einzelnen gegen<br />

die Gesellschaft, und <strong>de</strong>r Verpflichtung <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft gegen die Einzelnen, die Aus<strong>de</strong>hnung<br />

<strong>de</strong>s Aufsichtsrechts <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Nation<br />

o<strong>de</strong>r im Staat organisierten Gesellschaft über<br />

das Wirtschaftsleben, die Ausbildung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen<br />

Selbstverwaltung in Gemein<strong>de</strong>,<br />

Kreis und Provinz und die Erweiterung <strong>de</strong>r<br />

Aufgaben dieser Verbän<strong>de</strong> - alles das heißt für<br />

mich Entwicklung zum Socialismus o<strong>de</strong>r, wenn<br />

man will, stückweise vollzogene Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>s Socialismus (...) In einem guten Fabrikgesetz<br />

kann mehr Socialismus stecken, als in <strong>de</strong>r<br />

Verstaatlichung einer ganzen Gruppe von Fabriken.<br />

Ich gestehe es offen, ich habe für das, was<br />

man gemeinhin unter „Endziel <strong>de</strong>s Socialismus“<br />

versteht, außeror<strong>de</strong>ntlich wenig Sinn und<br />

Interesse. Dieses Ziel, was immer es sei, ist<br />

mir gar nichts, die Bewegung alles. Und unter<br />

Bewegung verstehe ich sowohl die allgemeine<br />

Bewegung <strong>de</strong>r Gesellschaft, d.h. <strong>de</strong>n socialen<br />

14<br />

Fortschritt, wie die politische und wirtschaftliche<br />

Agitation und Organisation zur Bewirkung<br />

<strong>de</strong>s Fortschritts.<br />

(Eduard Bernstein: Zusammenbruchstheorie und<br />

Colonialpolitik; in <strong>de</strong>rs., Zur Theorie und Geschichte<br />

<strong>de</strong>s Socialismus [1901], Teil II: Berlin 1904, S. 993 –<br />

95)<br />

Zielvorstellungen <strong>de</strong>r SPD<br />

Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen<br />

Sozialismus<br />

Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die<br />

Grundwerte <strong>de</strong>s Demokratischen Sozialismus.<br />

Sie sind unser Kriterium für die Beurteilung <strong>de</strong>r<br />

politischen Wirklichkeit, Maßstab für eine neue<br />

und bessere Ordnung <strong>de</strong>r Gesellschaft und<br />

zugleich Orientierung für das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>s<br />

einzelnen Sozial<strong>de</strong>mokraten.<br />

Die Sozial<strong>de</strong>mokratie erstrebt eine Gesellschaft,<br />

in <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>r Mensch seine Persönlichkeit<br />

in Freiheit entfalten und verantwortlich am<br />

politischen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />

Leben mitwirken kann.<br />

Der Mensch ist als Einzelwesen zur Freiheit<br />

befähigt. Die Chance zur Entfaltung seiner<br />

Freiheit ist aber stets eine Leistung <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />

Freiheit ist für uns die Freiheit eines<br />

je<strong>de</strong>n, auch und gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rs Denken<strong>de</strong>n.<br />

Freiheit für wenige wäre Privileg.<br />

Die Freiheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren ist Grenze und Bedingung<br />

<strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen. Freiheit<br />

verlangt Freisein von entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten,<br />

von Not und Furcht, aber auch die<br />

Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten<br />

und in Gesellschaft und Politik verantwortlich<br />

mitzuwirken. Nur wer sich sozial ausreichend<br />

gesichert weiß, kann seine Chance zur Freiheit<br />

nutzen. Auch um <strong>de</strong>r Freiheit willen wollen wir<br />

gleiche Lebenschancen und umfassen<strong>de</strong> soziale<br />

Sicherung.<br />

Gerechtigkeit grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r gleichen Wür<strong>de</strong><br />

aller Menschen. Sie verlangt gleiche Freiheit,<br />

Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetz, gleiche Chancen<br />

<strong>de</strong>r politischen und sozialen Teilhabe und <strong>de</strong>r<br />

sozialen Sicherung. Sie verlangt die gesellschaftliche<br />

Gleichheit von Mann und Frau.<br />

Gerechtigkeit erfor<strong>de</strong>rt mehr Gleichheit in <strong>de</strong>r<br />

Verteilung von Einkommen, Eigentum und<br />

Macht, aber auch im Zugang zu Bildung, Ausbildung<br />

und Kultur.


Gleiche Lebenschancen be<strong>de</strong>uten nicht Gleichförmigkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn Entfaltungsraum für individuelle<br />

Neigungen und Fähigkeiten aller.<br />

Gerechtigkeit, das Recht auf gleiche Lebenschancen,<br />

muss mit <strong>de</strong>n Mitteln staatlicher<br />

Macht angestrebt wer<strong>de</strong>n. Solidarität, die Bereitschaft,<br />

über Rechtsverpflichtungen hinaus<br />

füreinan<strong>de</strong>r einzustehen, lässt sich nicht erzwingen.<br />

Solidarität hat die Arbeiterbewegung im Kampf<br />

für Freiheit und Gleichheit geprägt und ermutigt.<br />

Ohne Solidarität gibt es keine menschliche<br />

Gesellschaft.<br />

Solidarität ist zugleich Waffe <strong>de</strong>r Schwachen<br />

im Kampf um ihr Recht und Konsequenz aus<br />

<strong>de</strong>r Einsicht, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Mitmenschen<br />

bedarf. Wir können als Freie und Gleiche<br />

nur dann menschlich miteinari<strong>de</strong>r leben,<br />

wenn wir füreinan<strong>de</strong>r einstehen und die Freiheit<br />

<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren wollen. Wer in Not gerät,<br />

muss sich auf die Solidarität <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

verlassen können.<br />

Solidarität gebietet auch, dass die Menschen in<br />

<strong>de</strong>r Dritten Welt die Chance für ein menschenwürdiges<br />

Leben erhalten. Kommen<strong>de</strong> Generationen,<br />

über <strong>de</strong>ren Lebenschancen wir heute<br />

entschei<strong>de</strong>n, haben Anspruch auf unsere Solidarität.<br />

Solidarität ist auch nötig, um individuelle Entfaltungschancen<br />

zu erweitern. Nur gemeinsames<br />

Han<strong>de</strong>ln, nicht egoistischer Individualismus<br />

schafft und sichert die Voraussetzungen individueller<br />

Selbstbestimmung. Unsere Grundwerte<br />

bedingen und stützen einan<strong>de</strong>r. Sie entfalten<br />

ihren Sinn nur, wenn sie als gleichrangig, einan<strong>de</strong>r<br />

erläuternd, ergänzend und begrenzend<br />

angesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Grundwerte zu verwirklichen und die<br />

Demokratie zu vollen<strong>de</strong>n, ist die dauern<strong>de</strong><br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Demokratischen Sozialismus.<br />

(Vorstand <strong>de</strong>r SPD [Hrsg.], Das neue Grundsatzprogramm<br />

<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratischen Partei Deutschlands.<br />

Entwurf, März 1989. Bonn 1989, 5. <strong>12</strong> - 13)<br />

Auszüge aus <strong>de</strong>m Schrö<strong>de</strong>r/Blair-<br />

Papier „Der Weg nach vorn für Europas<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten“<br />

I. Aus Erfahrung lernen<br />

Obgleich Sozial<strong>de</strong>mokraten und Labour Party<br />

eindrucksvoll historische Errungenschaften<br />

15<br />

vorweisen können, müssen wir heute realitätstaugliche<br />

Antworten auf neue Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

in Gesellschaft und Ökonomie entwickeln.<br />

Dies erfor<strong>de</strong>rt Treue zu unseren Werten, aber<br />

Bereitschaft zum Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r alten Mittel und<br />

traditionellen Instrumente.<br />

In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong> die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

sozialen Gerechtigkeit manchmal mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung<br />

nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt.<br />

Letztlich wur<strong>de</strong> damit die Be<strong>de</strong>utung von<br />

eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert<br />

und nicht belohnt und die soziale Demokratie<br />

mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbun<strong>de</strong>n<br />

statt mit Kreativität, Diversität und herausragen<strong>de</strong>r<br />

Leistung. Einseitig wur<strong>de</strong> die Arbeit<br />

immer höher mit Kosten belastet.<br />

— Der Weg zur sozialen Gerechtigkeit<br />

war mit immer höheren öffentlichen Ausgaben<br />

gepflastert, ohne Rücksicht auf Ergebnisse<br />

o<strong>de</strong>r die Wirkung <strong>de</strong>r hohen Steuerlast auf<br />

Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung o<strong>de</strong>r<br />

private Ausgaben. Qualitätsvolle soziale<br />

Dienstleistungen sind ein zentrales Anliegen<br />

<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokraten, aber soziale Gerechtigkeit<br />

lässt sich nicht an <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Ausgaben messen. Der wirkliche Test für<br />

die Gesellschaft ist, wie effizient diese Ausgaben<br />

genutzt wer<strong>de</strong>n und inwieweit sie die Menschen<br />

in die Lage versetzen, sich selbst zu<br />

helfen.<br />

— Die Ansicht, dass <strong>de</strong>r Staat schädliches<br />

Marktversagen korrigieren müsse, führte<br />

allzu oft zur überproportionalen Ausweitung<br />

von Verwaltung und Bürokratie, im Rahmen<br />

sozial<strong>de</strong>mokratischer Politik. Wir haben Werte,<br />

die <strong>de</strong>n Bürgern wichtig sind - wie persönliche<br />

Leistung und Erfolg, Unternehmergeist, Eigenverantwortung<br />

und Gemeinsinn - zu häufig zurückgestellt<br />

hinter universelles Sicherungsstreben.<br />

— Allzu oft wur<strong>de</strong>n Rechte höher bewertet<br />

als Pflichten. Aber die Verantwortung <strong>de</strong>s<br />

einzelnen in Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft<br />

kann nicht an <strong>de</strong>n Staat <strong>de</strong>legiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Geht <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r gegenseitigen<br />

Verantwortung verloren, so führt dies zum Verfall<br />

<strong>de</strong>s Gemeinsinns, zu mangeln<strong>de</strong>r Verantwortung<br />

gegenüber Nachbarn, zu steigen<strong>de</strong>r<br />

Kriminalität und Vandalismus und einer Überlastung<br />

<strong>de</strong>s Rechtssystems.<br />

— Die Fähigkeit <strong>de</strong>r nationalen Politik zur<br />

Feinsteuerung <strong>de</strong>r Wirtschaft hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen<br />

wur<strong>de</strong> über-, die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s einzelnen und<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft bei <strong>de</strong>r Schaffung von<br />

Wohlstand unterschätzt. Die Schwächen <strong>de</strong>r<br />

Märkte wur<strong>de</strong>n über-, ihre Stärken unterschätzt.<br />

II. Neue Konzepte für verän<strong>de</strong>rte Realitäten


Das Verständnis <strong>de</strong>ssen, was „links“ ist, darf<br />

nicht i<strong>de</strong>ologisch einengen.<br />

— Die Politik <strong>de</strong>r neuen Mitte und <strong>de</strong>s dritten<br />

Weges richtet sich an <strong>de</strong>n Problemen <strong>de</strong>r<br />

Menschen aus, die mit <strong>de</strong>m raschen Wan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaften leben und zurechtkommen<br />

müssen. In dieser neu entstehen<strong>de</strong>n Welt wollen<br />

die Menschen Politiker, die Fragen ohne<br />

i<strong>de</strong>ologische Vorbedingungen angehen und<br />

unter Anwendung ihrer Werte und Prinzipien<br />

nach praktischen Lösungen für ihre Probleme<br />

suchen, mit Hilfe aufrichtiger, wohl konstruierter<br />

und pragmatischer Politik. Wähler, die in<br />

ihrem täglichen Leben Initiative und Anpassungsfähigkeit<br />

im Hinblick auf die wirtschaftlichen<br />

und sozialen Verän<strong>de</strong>rungen beweisen<br />

müssen, erwarten das gleiche von ihren Regierungen<br />

und ihren Politikern.<br />

— In einer Welt immer rascherer Globalisierung<br />

und wissenschaftlicher Verän<strong>de</strong>rungen<br />

müssen wir Bedingungen schaffen, in <strong>de</strong>nen<br />

bestehen<strong>de</strong> Unternehmen prosperieren und<br />

sich entwickeln und neue Unternehmen entstehen<br />

und wachsen können.<br />

— Neue Technologien ziehen radikale Verän<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r Arbeit sowie eine Internationalisierung<br />

<strong>de</strong>r Produktion nach sich. Einerseits<br />

führen sie dazu, dass Fertigkeiten verloren<br />

gehen und einige Wirtschaftszweige schrumpfen,<br />

an<strong>de</strong>rerseits för<strong>de</strong>rn sie die Entstehung<br />

neuer Unternehmen und Tätigkeiten. Daher<br />

besteht die wichtigste Aufgabe <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnisierung<br />

darin, in Humankapital zu investieren, um<br />

sowohl <strong>de</strong>n einzelnen als auch die Unternehmen<br />

auf die wissensgestützte Wirtschaft <strong>de</strong>r<br />

Zukunft vorzubereiten.<br />

— Ein einziger Arbeitsplatz fürs ganze Leben<br />

ist Vergangenheit. Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen<br />

<strong>de</strong>n wachsen<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an die Flexibilität<br />

gerecht wer<strong>de</strong>n und gleichzeitig soziale<br />

Min<strong>de</strong>stnormen aufrechterhalten, Familien bei<br />

<strong>de</strong>r Bewältigung <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls helfen und<br />

Chancen für die eröffnen, die nicht Schritt halten<br />

können.<br />

— Wir stehen zunehmend vor <strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rung,<br />

umweltpolitische Verantwortung<br />

gegenüber künftigen Generationen mit materiellem<br />

Fortschritt für die Breite <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

zu vereinbaren. Wir müssen Verantwortung<br />

für die Umwelt nur einem mo<strong>de</strong>rnen,<br />

marktwirtschaftlichen Ansatz verbin<strong>de</strong>t, Was<br />

<strong>de</strong>n Umweltschutz anbelangt, so verbrauchen<br />

die neuesten Technologen weniger Ressourcen,<br />

eröffnen neue Märkte und schaffen<br />

Arbeitsplätze.<br />

— Die Höhe <strong>de</strong>r Staatsausgaben hat trotz<br />

einiger Unterschie<strong>de</strong> mehr o<strong>de</strong>r weniger die<br />

Grenzen <strong>de</strong>r Akzeptanz erreicht. Die notwendige<br />

Kürzung <strong>de</strong>r staatlichen Ausgaben erfor<strong>de</strong>rt<br />

eine radikale Mo<strong>de</strong>rnisierung <strong>de</strong>s öffentlichen<br />

16<br />

Sektors und eine Leistungssteigerung und<br />

Strukturreform <strong>de</strong>r öffentlichen Verwaltung. Der<br />

öffentliche Dienst muss <strong>de</strong>n Bürgern tatsächlich<br />

dienen: Wir wer<strong>de</strong>n daher nicht zögern,<br />

Effizienz-, Wettbewerbs- und Leistungs<strong>de</strong>nken<br />

einzuführen.<br />

— Die sozialen Sicherungssysteme müssen<br />

sich <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Lebenserwartung,<br />

<strong>de</strong>r Familienstruktur und <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>r<br />

Frauen anpassen. Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen<br />

Wege fin<strong>de</strong>n, die immer drängen<strong>de</strong>ren Probleme<br />

von Kriminalität, sozialem Zerfall und<br />

Drogenmissbrauch zu bekämpfen. Wir müssen<br />

uns an die Spitze stellen, wenn es darum geht,<br />

eine Gesellschaft mit gleichen Rechten und<br />

Chancen für Frauen und Männer zu schaffen.<br />

— Armut, insbeson<strong>de</strong>re unter Familien mit<br />

Kin<strong>de</strong>rn, bleibt ein zentrales Problem. Wir<br />

brauchen gezielte Maßnahmen für die, die am<br />

meisten von Marginalisierung und sozialer<br />

Ausgrenzung bedroht sind.<br />

— Die Kriminalität ist ein zentrales politisches<br />

Thema für die mo<strong>de</strong>rnen Sozial<strong>de</strong>mokraten: So<br />

verstehen wir Sicherheit auf <strong>de</strong>n Straßen als<br />

ein Bürgerrecht.<br />

— Und: Eine Politik für lebenswerte Städte<br />

for<strong>de</strong>rt Gemeinsinn, schafft Arbeit und macht<br />

die Wohnviertel sicherer. [...]<br />

Unsere Staaten haben unterschiedliche Traditionen<br />

im Umgang zwischen Staat, Industrie,<br />

Gewerkschaften und gesellschaftlichen Gruppen,<br />

aber wir alle teilen die Überzeugung, dass<br />

die traditionellen Konflikte am Arbeitsplatz überwun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Dazu gehört vor allem, die Bereitschaft und die<br />

Fähigkeit <strong>de</strong>r Gesellschaft zum Dialog und zum<br />

Konsens wie<strong>de</strong>r neu zu gewinnen und zu stärken.<br />

Wir wollen allen Gruppen ein Angebot<br />

unterbreiten, sich in die gemeinsame Verantwortung<br />

für das Gemeinwohl einzubringen. [...]<br />

— Wir möchten wirkliche Partnerschaft bei <strong>de</strong>r<br />

Arbeit, in<strong>de</strong>m die Beschäftigten die Chance<br />

erhalten, die Früchte <strong>de</strong>s Erfolgs mit <strong>de</strong>n Unternehmern<br />

zu teilen.<br />

— Wir wollen, dass die Gewerkschaften in <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Welt verankert bleiben. Wir wollen,<br />

dass sie <strong>de</strong>n einzelnen gegen Willkür schützen<br />

und in Kooperation mit <strong>de</strong>n Arbeitgebern <strong>de</strong>n<br />

Wan<strong>de</strong>l gestalten und dauerhaften Wohlstand<br />

schaffen helfen.<br />

—. In Europa streben wir - unter <strong>de</strong>m Dach<br />

eines Europäischen Beschäftigungspaktes -<br />

einen fortlaufen<strong>de</strong>n Dialog mit <strong>de</strong>n Sozialpartnern<br />

an. Das beför<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n notwendigen ökonomischen<br />

Wan<strong>de</strong>l.<br />

-<br />

III. Eine neue, angebotsorientierte Agenda für<br />

die Linke


Europa sieht sich <strong>de</strong>r Aufgabe gegenüber, <strong>de</strong>n<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Weltwirtschaft zu begegnen<br />

und gleichzeitig <strong>de</strong>n sozialen Zusammenhalt<br />

angesichts tatsächlicher o<strong>de</strong>r subjektiv<br />

empfun<strong>de</strong>ner Ungewissheit zu. wahren. Eine<br />

Zunahme <strong>de</strong>r Beschäftigung und <strong>de</strong>r Beschäftigungschancen<br />

ist die beste Garantie für eine in<br />

sich gefestigte Gesellschaft.<br />

Die bei<strong>de</strong>n vergangenen Jahrzehnte <strong>de</strong>s neoliberalen<br />

Laisser-faire sind vorüber. An ihre Stelle<br />

darf jedoch keine Renaissance <strong>de</strong>s „<strong>de</strong>ficit<br />

spending“ und massiver staatlicher Intervention<br />

im Stile <strong>de</strong>r siebziger Jahre treten. Eine solche<br />

Politik führt heute in die falsche Richtung.<br />

Unsere Volkswirtschaften und die globalen<br />

Wirtschaftsbeziehungen haben einen radikalen<br />

Wan<strong>de</strong>l erfahren. Neue Bedingungen und neue<br />

Realitäten erfor<strong>de</strong>rn eine Neubewertung alter<br />

Vorstellungen und die Entwicklung neuer Konzepte.<br />

In einem großen Teil Europas ist die Arbeitslosigkeit<br />

viel zu hoch, und ein großer Teil<br />

dieser Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt.<br />

Um dieser Herausfor<strong>de</strong>rung begegnen zu können,<br />

müssen die europäischen Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />

gemeinsam eine neue, angebotsorientierte<br />

Agenda für die Linke formulieren und umsetzen.<br />

Wir wollen <strong>de</strong>n Sozialstaat mo<strong>de</strong>rnisieren, nicht<br />

abschaffen. Wir wollen neue Wege <strong>de</strong>r Solidarität<br />

und <strong>de</strong>r Verantwortung für an<strong>de</strong>re beschreiten,<br />

ohne die Motive für wirtschaftliche<br />

Aktivitäten auf puren Eigennutz zu grün<strong>de</strong>n.<br />

Die wichtigsten Elemente dieses Ansatzes sind<br />

die folgen<strong>de</strong>n:<br />

Ein robuster und wettbewerbsfähiger marktwirtschaftlicher<br />

Rahmen . [...]<br />

Eine auf die För<strong>de</strong>rung nachhaltigen Wachstums<br />

ausgerichtete Steuerpolitik[...]<br />

Ein aktiver Staat in einer neuverstan<strong>de</strong>nen<br />

Rolle hat einen zentralen Beitrag zur wirtschaftlichen<br />

Entwicklung zu leisten<br />

Mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten sind ‚keine Laisser-faire-Neoliberalen.<br />

Flexible Märkte müssen<br />

mit einer neu <strong>de</strong>finierten Rolle für einen aktiven<br />

Staat kombiniert wer<strong>de</strong>n. Erste Priorität muss<br />

die Investition in menschliches und soziales<br />

Kapital sein.<br />

Wenn auf Dauer ein hoher Beschäftigungsstand<br />

erreicht wer<strong>de</strong>n soll, müssen Arbeitnehmer<br />

auf sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen reagieren.<br />

Unsere Volkswirtschaften lei<strong>de</strong>n an<br />

einer erheblichen Diskrepanz zwischen offenen<br />

Stellen, die nicht besetzt wer<strong>de</strong>n können (z. B.<br />

im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie)<br />

und (<strong>de</strong>m Mangel an) angemessen<br />

qualifizierten Bewerbern. Dies be<strong>de</strong>utet,<br />

dass Bildung keine „einmalige“ Chance sein<br />

darf: Zugang und Nutzung zu Bildungsmöglichkeiten<br />

und lebenslanges Lernen stel-<br />

17<br />

len die wichtigste Form <strong>de</strong>r Sicherheit in <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Welt dar. Die Regierungen sind<br />

dafür verantwortlich, einen Rahmen zu schaffen,<br />

<strong>de</strong>r es <strong>de</strong>n einzelnen ermöglicht, ihre<br />

Qualifikationen zu steigern und ihre Fähigkeiten<br />

auszuschöpfen. Dies muss heute für Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />

höchste Priorität haben. [...]<br />

Mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen die Anwälte<br />

<strong>de</strong>s Mittelstands sein<br />

Der Aufbau eines prosperieren<strong>de</strong>n Mittelstands<br />

muss eine wichtige Priorität für mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten.<br />

sein. Hier Liegt das größte Potential<br />

für neues Wachstum und neue Arbeitsplätze<br />

in <strong>de</strong>r wissensgestützten Gesellschaft<br />

<strong>de</strong>r Zukunft.<br />

— Menschen unterschiedlichster Herkunft wollen<br />

sich selbständig machen:<br />

Seit langem etablierte und neue Unternehmer,<br />

Anwälte, Computerexperten, Ärzte, Handwerker,<br />

Unternehmensberater, Kulturschaffen<strong>de</strong><br />

und Sportler. Ihnen muss man <strong>de</strong>n Spielraum<br />

lassen, wirtschaftliche Initiative zu entwickeln<br />

und neue Geschäftsi<strong>de</strong>en zu kreieren. Sie<br />

müssen zur Risikobereitschaft ermutigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Gleichzeitig muss man ihre Belastungen<br />

verringern. Ihre Märkte und ihr Ehrgeiz dürfen<br />

nicht durch Grenzen behin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

.<br />

Gesun<strong>de</strong> öffentliche Finanzen sollten zum Gegenstand<br />

<strong>de</strong>s Stolzes für Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />

wer<strong>de</strong>n<br />

In <strong>de</strong>r Vergangenheit wur<strong>de</strong> sozial<strong>de</strong>mokratische<br />

Politik allzu oft assoziiert mit <strong>de</strong>r<br />

Einstellung, dass <strong>de</strong>r beste Weg zur För<strong>de</strong>rung<br />

von Beschäftigung und Wachstum die Aus<strong>de</strong>hnung<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Verschuldung zum<br />

Zweck höherer öffentlicher Ausgaben sei. Für<br />

uns ist öffentliche Verschuldung nicht abzulehnen<br />

— während eines zyklischen Abschwungs<br />

kann es Sinn machen, die automatischen Stabilisatoren<br />

arbeiten zu lassen. Und Verschuldung<br />

mit <strong>de</strong>m Ziel höherer öffentlicher Investitionen,<br />

in strikter Beachtung <strong>de</strong>r „gol<strong>de</strong>nen<br />

Regel“, kann eine wichtige Rolle in <strong>de</strong>r Stärkung<br />

<strong>de</strong>r Angebotsseite <strong>de</strong>r Ökonomie spielen.<br />

Aber „Defizit spending“ kann nicht genutzt wer<strong>de</strong>n,<br />

um strukturelle Schwächen in <strong>de</strong>r Ökonomie<br />

zu beseitigen, die schnelleres Wachstum<br />

und höhere Beschäftigung verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten dürfen <strong>de</strong>shalb exzessive<br />

Staatsverschuldung nicht tolerieren. (...)<br />

IV. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke<br />

Der Staat muss die Beschäftigung aktiv for<strong>de</strong>rn<br />

und nicht nur passiver Versorger <strong>de</strong>r Opfer<br />

wirtschaftlichen Versagens sein.<br />

Menschen, die nie gearbeitet haben o<strong>de</strong>r<br />

schon lange arbeitslos sind, verlieren die Fer-


tigkeiten, die sie brauchen, um auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt<br />

konkurrieren zu können. Langzeitarbeitslosigkeit<br />

beeinträchtigt die persönlichen<br />

Lebenschancen auch in an<strong>de</strong>rer Weise und<br />

macht die uneingeschränkte gesellschaftliche<br />

Teilhabe schwieriger.<br />

Ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit,<br />

Arbeit zu fin<strong>de</strong>n, behin<strong>de</strong>rt, muss reformiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Mo<strong>de</strong>rne Sozial<strong>de</strong>mokraten wollen<br />

das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein<br />

Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwan<strong>de</strong>ln.<br />

Für unsere Gesellschaften besteht <strong>de</strong>r Imperativ<br />

<strong>de</strong>r sozialen Gerechtigkeit aus mehr als <strong>de</strong>r<br />

Verteilung von Geld. Unser Ziel ist eine Ausweitung<br />

<strong>de</strong>r Chancengleichheit, unabhängig<br />

von Geschlecht, Rasse, Alter o<strong>de</strong>r Behin<strong>de</strong>rung<br />

— um sozialen Ausschluss zu bekämpfen<br />

und die Gleichheit zwischen Mann und Frau sicherzustellen.<br />

Die Menschen verlangen zu Recht nach hochwertigen<br />

Dienstleistungen und Solidarität für<br />

alle, die Hilfe brauchen — aber auch nach<br />

Fairness gegenüber <strong>de</strong>nen, die das bezahlen.<br />

Alle sozialpolitischen Instrumente müssen Lebenschancen<br />

verbessern, Selbsthilfe anregen,<br />

Eigenverantwortung för<strong>de</strong>rn. [...]<br />

Zeiten <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit müssen in einer<br />

Wirtschaft, in <strong>de</strong>r es <strong>de</strong>n lebenslangen Arbeitsplatz<br />

nicht mehr gibt, eine Chance für Qualifizierung<br />

und persönliche Weiterbildung sein.<br />

Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser<br />

als gar keine Arbeit, <strong>de</strong>nn sie erleichtern<br />

<strong>de</strong>n Übergang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung.<br />

Eine neue Politik mit <strong>de</strong>m Ziel, arbeitslosen<br />

Menschen Arbeitsplätze und Ausbildung anzubieten,<br />

ist eine sozial<strong>de</strong>mokratische Priorität -<br />

wir erwarten aber auch, dass je<strong>de</strong>r die ihm<br />

gebotenen Chancen annimmt. (...)<br />

V. „Politisches Benchmarking“ in Europa<br />

Die Herausfor<strong>de</strong>rung besteht in <strong>de</strong>r Formulierung<br />

und Umsetzung einer neuen sozial<strong>de</strong>mokratischen<br />

Politik in Europa. Wir re<strong>de</strong>n nicht<br />

einem einheitlichen europäischen Mo<strong>de</strong>ll das<br />

Wort, geschweige <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Umwandlung <strong>de</strong>r<br />

Europäischen Union in einen „Superstaat“,. Wir<br />

sind für Europa und für Reformen in Europa.<br />

(...)<br />

(zitiert nach <strong>de</strong>r FR vom 10 Juni 1999 S. 18)<br />

Die gebändigte Mo<strong>de</strong>rnität <strong>de</strong>s Lionel<br />

Jospin<br />

Eine Antwort auf das Schrö<strong>de</strong>r/Blair-Papier<br />

Vom 8. bis 10. November tagt in Paris <strong>de</strong>r 21. Kongress<br />

<strong>de</strong>r Sozialistischen Internationale. Das Präsi-<br />

18<br />

dium <strong>de</strong>r gastgeben<strong>de</strong>n französischen PS hat aus<br />

diesem Anlass ein Papier beschlossen, das als eine<br />

Art Antwort auf das "Schrö<strong>de</strong>r/Blair-Papier" (siehe<br />

FR vom 10. Juni) verstan<strong>de</strong>n und daher als Jospin-Papier"<br />

etikettiert wur<strong>de</strong>. Wir dokumentieren <strong>de</strong>n<br />

ersten Teil dieses Papiers im Wortlaut. Der Text ist<br />

vollständig in Heft 11 <strong>de</strong>r Blätter für <strong>de</strong>utsche und<br />

internationale Politik nachzulesen, das am 2. November<br />

ausgeliefert wird<br />

Einer Tradition treu zu sein, heißt, <strong>de</strong>r Flamme<br />

treu zu sein und nicht <strong>de</strong>r Asche. (Jean Jaures)<br />

In einer Zeit tief greifen<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>ls stellen<br />

sich die Sozialisten natürlich Fragen hinsichtlich<br />

ihrer I<strong>de</strong>ntität. Nicht zum ersten Mal. Im<br />

Laufe ihrer Geschichte sind sie immer wie<strong>de</strong>r<br />

veranlasst gewesen, neue politische, wirtschaftliche,<br />

soziale und kulturelle Rahmenbedingungen<br />

zu berücksichtigen. Sie haben sich<br />

<strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen angepasst, ohne ihren<br />

Willen zur Gerechtigkeit aufzugeben.<br />

Überall haben sich unsere Parteien mit <strong>de</strong>r<br />

Sache <strong>de</strong>r Demokratie und <strong>de</strong>s sozialen Fortschritts<br />

i<strong>de</strong>ntifiziert. Sie haben <strong>de</strong>n Kapitalismus<br />

bekämpft und durch politische und soziale<br />

Erfolge dazu beigetragen, die Marktwirtschaft<br />

zu organisieren und zu zivilisieren und ihr so<br />

ermöglicht, ihre Rolle voll auszufüllen, und<br />

gleichzeitig eine Wohlstandsgesellschaft geschaffen,<br />

die Ungleichheiten je<strong>de</strong>r Art vermin<strong>de</strong>rt.<br />

Sie haben <strong>de</strong>n Kommunismus in seiner<br />

totalitären Form entschlossen angeprangert,<br />

<strong>de</strong>ssen irregeleitete Logik <strong>de</strong>m humanistischen<br />

Anspruch wi<strong>de</strong>rsprach, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m sozialistischen<br />

I<strong>de</strong>al zu Grun<strong>de</strong> liegt. Im Laufe <strong>de</strong>r bewegten<br />

Geschichte <strong>de</strong>r Arbeiterbewegungen gegrün<strong>de</strong>t,<br />

sind sie zu "Parteien <strong>de</strong>s ganzen Volks"<br />

gewor<strong>de</strong>n, zu Verteidigern <strong>de</strong>s allgemeinen<br />

Interesses. In ihren nationalen Realitäten verankert,<br />

haben sich die sozialistischen Parteien<br />

stets ihre internationalistische Perspektive bewahrt.<br />

Nach <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Weltkriegen und <strong>de</strong>r<br />

großen Dekolonisierungsbewegung haben sie<br />

<strong>de</strong>r Schaffung internationaler Normen und Institutionen<br />

zunehmen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung beigemessen,<br />

um Konflikten vorzubeugen und Entwicklung<br />

zu för<strong>de</strong>rn.<br />

Das sind die Errungenschaften unserer Internationale,<br />

die in <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn geboren<br />

wur<strong>de</strong>, doch heute weltweit vertreten ist. Sie<br />

vereint Parteien, Bewegungen und Organisationen,<br />

die für ihre Völker die Hoffnung auf eine<br />

bessere Zukunft verkörpern. Sie müssen sich<br />

dieser Hoffnung würdig erweisen.<br />

Unsere Zukunft meistem<br />

Unsere Werte bestätigen


Die Dynamik, die uns eint, grün<strong>de</strong>t sich vor<br />

allem auf die Werte, die wir verteidigen. Die<br />

drei Grundsätze <strong>de</strong>r Französischen Revolution,<br />

"Freiheit, Gleichheit, Brü<strong>de</strong>rlichkeit", die vom<br />

Stockholmer Kongress von 1989 in die Erklärung<br />

<strong>de</strong>r Sozialistischen Internationale aufgenommen<br />

wur<strong>de</strong>n, liegen weiterhin unserem<br />

Engagement zu Grun<strong>de</strong>. Freiheit: Ohne sie<br />

kann es we<strong>de</strong>r Demokratie noch eine vollkommene<br />

Selbstverwirklichung <strong>de</strong>s Einzelnen geben.<br />

Gleichheit: Sie verbietet es, sich mit einer<br />

ungerechten Gesellschaft abzufin<strong>de</strong>n. Brü<strong>de</strong>rlichkeit:<br />

Sie ist es - bzw. in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterbewegung die Solidarität und Zusammenarbeit<br />

-, die aus <strong>de</strong>r Gesellschaft mehr als<br />

eine Ansammlung von Einzelnen macht.<br />

.<br />

Sie bringt die Rechte <strong>de</strong>s Menschen und seine<br />

Pflichten in ein Gleichgewicht. Wir wissen,<br />

dass diese Werte zueinan<strong>de</strong>r in einem Spannungsverhältnis.<br />

stehen können. Unsere Politik<br />

gewinnt ihre Legitimität aus <strong>de</strong>r Fähigkeit, zwischen<br />

ihnen zu vermitteln und Prioritäten zu<br />

setzen, aber auch aus <strong>de</strong>r Notwendigkeit, neue<br />

Ziele zu berücksichtigen: <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Umwelt,<br />

die Gleichberechtigung von Mann und<br />

Frau, <strong>de</strong>n kulturellen Pluralismus.<br />

Über all dies herrscht unter Sozialisten Einvernehmen.<br />

Doch die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage bleibt,<br />

heute wie gestern, wie sich unsere grundsätzlichen<br />

Werte und die Mittel, die es erlauben<br />

wer<strong>de</strong>n, sie in <strong>de</strong>r Wirklichkeit umzusetzen,<br />

darstellen. Zwischen <strong>de</strong>n Grundsätzen und <strong>de</strong>n<br />

Notwendigkeiten <strong>de</strong>s politischen Alltags müssen<br />

wir <strong>de</strong>utlich machen, was wir tun wollen,<br />

um eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft<br />

zu schaffen, müssen wir die Verbindung<br />

zwischen <strong>de</strong>n Zielen und <strong>de</strong>n Mitteln aufzeigen.<br />

Hierfür müssen wir uns erneut über unser<br />

Verhältnis zum Kapitalismus klar wer<strong>de</strong>n.<br />

Wir sind <strong>de</strong>r Meinung, dass wir ein kritisches<br />

Verhältnis zum Kapitalismus aufrechterhalten<br />

müssen. Denn die Sozialisten wissen, dass die<br />

Marktwirtschaft, auch wenn ihre Stärke darin<br />

besteht, eine unvergleichliche Produzentin von<br />

Reichtümern zu sein, auch ungerecht und häufig<br />

irrational ist. Eine Kraft, die marschiert, ohne<br />

jedoch zu wissen, wohin sie marschiert." Eine<br />

<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten Entwicklungen <strong>de</strong>r letzten<br />

20 Jahre ist die Zunahme <strong>de</strong>r Ungleichheiten<br />

zwischen <strong>de</strong>n ebenso wie innerhalb <strong>de</strong>r Nationen.<br />

Die Krisen dauern an, mit hohen menschlichen<br />

Kosten, die in <strong>de</strong>r Arbeitslosigkeit und<br />

Ausgrenzung ihren schmerzhaften Ausdruck<br />

fin<strong>de</strong>n. Wir haben diese schwierigen Momente<br />

in Europa erlebt und erleben sie noch immer,<br />

19<br />

wir haben ihre Auswirkungen kürzlich in Südostasien,<br />

in Lateinamerika und Russland erfahren<br />

müssen.<br />

Ein Erbe, auf das wir stolz sind<br />

Die Sozialisten haben die Sackgasse <strong>de</strong>r<br />

Planwirtschaft erkannt und angeprangert, lange<br />

bevor das Scheitern <strong>de</strong>s Kommunismus offiziell<br />

festgestellt wur<strong>de</strong>. Sie waren <strong>de</strong>r Meinung und<br />

haben bewiesen, dass es notwendig und möglich<br />

ist, <strong>de</strong>n Kapitalismus zu regulieren, u. a.<br />

durch die Umsetzung einer antizyklischen Politik,<br />

die Entwicklung von Sozialsystemen, <strong>de</strong>n<br />

Vorrang von Bildung und Ausbildung, die<br />

Durchsetzung einer Einkommenspolitik etc.<br />

Wir müssen die Karikatur zurückweisen, die<br />

manche gelegentlich vom Erbe <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie<br />

<strong>de</strong>r 50er und 60er Jahre zeichnen. Es<br />

stimmt nicht, dass sie sich nur auf die Aktivitäten<br />

<strong>de</strong>s Staates verließ und systematisch die<br />

Staatsausgaben begünstigte. Ihr Erfolg bestand<br />

vielmehr darin, durch Gesetze und Verhandlungen,<br />

in <strong>de</strong>ren Rahmen sie <strong>de</strong>m öffentlichen<br />

Sektor eine mehr o<strong>de</strong>r weniger große<br />

Rolle einräumte, die Aktivitäten <strong>de</strong>r wichtigsten<br />

Akteure einer Gesellschaft zu koordinieren,<br />

<strong>de</strong>ren Solidarität sie anstrebte: Regierung,<br />

Unternehmerschaft, Gewerkschaften. Sie hat<br />

auf diese Weise, durch die Versöhnung <strong>de</strong>s<br />

Privateigentums an <strong>de</strong>n Unternehmen mit einer<br />

<strong>de</strong>mokratischen Regulierung <strong>de</strong>r Wirtschaft zu<br />

Gunsten <strong>de</strong>r Mehrheit, Vollbeschäftigung, ein<br />

starkes Wirtschaftswachstum sowie spektakuläre<br />

soziale Fortschritte ermöglicht- Vergessen<br />

wir das nicht.<br />

Eine Mo<strong>de</strong>rnität für alle<br />

Heute sind wir - wie -in unserer ganzen Geschichte<br />

- <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnität zugewandt, jedoch<br />

nicht irgen<strong>de</strong>iner Mo<strong>de</strong>rnität. Für uns ist Mo<strong>de</strong>rnität<br />

untrennbar mit Authentizität verbun<strong>de</strong>n,<br />

d. h. <strong>de</strong>r Treue gegenüber unseren Werten.<br />

Für uns muss Mo<strong>de</strong>rnität Trägerin von<br />

Fortschritt bleiben. In <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

Menschheit muss sie Fortschritte bringen, nicht<br />

Rückschritte rechtfertigen. Darum wollen wir<br />

eine gebändigte Mo<strong>de</strong>rnität.<br />

Mo<strong>de</strong>rnität be<strong>de</strong>utet nicht, sich angeblich naturgesetzlichen<br />

Wirtschaftskräften auszuliefern,<br />

sie ist eine gemeinschaftliche Konstruktion. Sie<br />

ist das Produkt einer auf <strong>de</strong>mokratische Weise<br />

zum Ausdruck gebrachten Souveränität. Um<br />

diese Mo<strong>de</strong>rnität zu konstruieren, benötigt die<br />

Welt unserer Meinung nach Regeln, eine an<br />

die heutigen Bedingungen angepasste Steuerung.<br />

Und wir wollen eine vollständige Mo<strong>de</strong>rnität.<br />

Mo<strong>de</strong>rnität beschränkt sich nicht auf <strong>de</strong>n


wirtschaftlichen Bereich: Sie beinhaltet auch<br />

politische, soziale, kulturelle Aspekte. Schließlich<br />

und vor allen Dingen wollen wir eine gemeinschaftliche<br />

Mo<strong>de</strong>rnität. Mo<strong>de</strong>rnität sollte<br />

Gemeingut aller sein, nicht das Privileg einiger<br />

weniger.<br />

Um mo<strong>de</strong>rn zu sein, müssen wir zunächst die<br />

Welt, so wie sie ist, genau analysieren, um sie<br />

zu begreifen und zu beherrschen.<br />

Das neue Zeitalter <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

Der Kontext, in <strong>de</strong>n sich unsere Handlungen<br />

einordnen, ist in <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r Kommission<br />

"Globaler Fortschritt", die von Felipe Gonzalez<br />

angeregt wur<strong>de</strong>, ausgezeichnet analysiert. Er<br />

lässt sich nicht auf ein einziges Konzept beschränken<br />

auch wenn <strong>de</strong>r Begriff "Globalisierung"<br />

in angemessener Weise <strong>de</strong>n eingetretenen<br />

Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Maßstäbe beschreibt. Tatsächlich<br />

haben mehrere be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Phänomene<br />

unterschiedlicher Art dazu beigetragen,<br />

die Welt unter <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>s Marktes zu<br />

einen und <strong>de</strong>n Kapitalismus in ein neues Zeitalter<br />

treten zu lassen: Nennen wir als die wesentlichen<br />

die technischen Umwälzungen,<br />

ganz beson<strong>de</strong>rs im Informations- und Kommunikationsbereich,<br />

die Zunahme <strong>de</strong>s internationalen<br />

Han<strong>de</strong>ls, die Entwicklung <strong>de</strong>r Finanzverbün<strong>de</strong><br />

und internationalen Kapitalbewegungen,<br />

<strong>de</strong>n Durchbruch aufstreben<strong>de</strong>r kapitalistischer<br />

Staaten, <strong>de</strong>n Eintritt <strong>de</strong>r kontinentalen Massen<br />

(u.a. China, Indien, Brasilien und Russland) in<br />

<strong>de</strong>n wirtschaftlichen Austausch, <strong>de</strong>n Zusammenbruch<br />

und Zerfall <strong>de</strong>r Sowjetunion und die<br />

Diskreditierung revolutionärer I<strong>de</strong>ologien, die<br />

Hegemonie <strong>de</strong>r USA.<br />

Dieser tief greifen<strong>de</strong> Wan<strong>de</strong>l führt uns in eine<br />

zugleich globalisierte und fragmentierte Welt.<br />

Er bringt neue Produktions- und Beschäftigungsstrukturen<br />

hervor, die alte Solidaritäten<br />

zersetzen. Er begünstigt die Entwicklung <strong>de</strong>s<br />

Individualismus in unseren Gesellschaften. Er<br />

begrenzt die Autonomie <strong>de</strong>r Staaten und beschränkt<br />

ihre Optionen. Auf diese Weise verringert<br />

er zugleich die Hoffnungen, die in politisches<br />

Han<strong>de</strong>ln gesetzt wer<strong>de</strong>n können.<br />

Wir müssen also die Formen <strong>de</strong>r Regulierung<br />

bestimmen, die das neue Zeitalter. <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

erfor<strong>de</strong>rt. Das setzt die Festlegung <strong>de</strong>r<br />

jeweiligen Anteile, die <strong>de</strong>m Markt und die <strong>de</strong>m<br />

Staat zukommen sollen, <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Einzelnen<br />

und <strong>de</strong>r Gesellschaft, <strong>de</strong>s Wirkungsfelds<br />

<strong>de</strong>r Nationalstaaten, <strong>de</strong>r regionalen Gruppierungen<br />

und <strong>de</strong>r internationalen Organisationen<br />

voraus. Wir müssen dieselbe Anstrengung <strong>de</strong>s<br />

Willens und <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s leisten, die die<br />

20<br />

vorangegangenen sozialistischen Generationen<br />

in einer an<strong>de</strong>ren, aber durchaus nicht einfacheren<br />

Welt geleistet haben.<br />

Werte und Praxis sind also untrennbar. Der<br />

Kapitalismus impliziert ständig erneuerte Risiken.<br />

Sie lassen sich nur ertragen, wenn <strong>de</strong>r<br />

Einzelne die Garantie <strong>de</strong>r vollen Bürgerrechte<br />

(Anm. <strong>de</strong>r Red.: im Original citoyenneté besitzt.<br />

Die Sozial<strong>de</strong>mokratie <strong>de</strong>finiert sich weiterhin<br />

durch ein Gerechtigkeitsi<strong>de</strong>al. Es ist ihre Aufgabe,<br />

ein kohärentes Programm zu formulieren,<br />

um die Ausübung individueller Fähigkeiten<br />

und Initiativen so stark wie möglich zu för<strong>de</strong>rn;<br />

um <strong>de</strong>n Unzulänglichkeiten <strong>de</strong>s Marktes zu<br />

begegnen und Ungleichheiten zu korrigieren;<br />

um die Rechte und Pflichten, die sämtliche<br />

Bevölkerungsschichten - die Reichen und<br />

Mächtigen ebenso wie die Armen und Schwachen<br />

- betreffen, zu <strong>de</strong>finieren. Der <strong>de</strong>mokratische<br />

Sozialismus, <strong>de</strong>r darin besteht, je<strong>de</strong>n so<br />

weit wie möglich zu befähigen, am Leben <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft teilzuhaben, seine Rechte und<br />

seine Verantwortung voll auszuüben, beruht<br />

auf einem Verständnis <strong>de</strong>r Bürgerrechte, das<br />

alle Bereiche <strong>de</strong>r Wirklichkeit umfasst. Es ist<br />

dieser Anspruch auf bürgerschaftliche Teilhabe,<br />

an <strong>de</strong>m wir uns bei <strong>de</strong>r Bestimmung unserer<br />

konkreten Antworten auf die drängen<strong>de</strong>n<br />

Fragen <strong>de</strong>r Zeit weiterhin orientieren müssen.<br />

Ein Anspruch auf bürgerschaftliche Teilhabe<br />

(citoyenneté)<br />

Wenn wir die jeweiligen Rollen <strong>de</strong>s Staates<br />

und <strong>de</strong>s Marktes ver<strong>de</strong>utlichen wollen, müssen<br />

wir auf das Wesentliche zurückkommen: <strong>de</strong>r<br />

Sozialismus ist grundsätzlich ein I<strong>de</strong>al gemeinschaftlicher<br />

Souveränität, das darauf abzielt,<br />

die Entwicklung <strong>de</strong>s Einzelnen zu ermöglichen.<br />

Der mo<strong>de</strong>rne Sozialismus muss ausdrücklich<br />

eine Theorie <strong>de</strong>r bürgerschaftlichen Teilhabe<br />

sein. Die Staatsbürger müssen, wenn sie gemeinsam<br />

han<strong>de</strong>ln, in <strong>de</strong>r Lage sein, die wesentlichen<br />

Entwicklungen <strong>de</strong>r Gesellschaft zu<br />

meistern und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n unerwünschten<br />

Auswirkungen <strong>de</strong>r Handlungen Einzelner<br />

entgegenzutreten. Je<strong>de</strong>r Einzelne ist zugleich<br />

Staatsbürger und ein Akteur auf <strong>de</strong>m Markt.<br />

Der Staat und <strong>de</strong>r Markt stellen zwei legitime<br />

Institutionen dar, die jedoch unterschiedlicher<br />

Art das Primat <strong>de</strong>r Demokratie bekräftigen. Sie<br />

ist es, die <strong>de</strong>n Staatsbürgern durch politisches<br />

Han<strong>de</strong>ln die Möglichkeit gibt, in allen Bereichen<br />

über das, was sie betrifft, zu entschei<strong>de</strong>n. Das<br />

setzt Gleichheit beim Zugang zum Entscheidungsprozess<br />

voraus.<br />

Daher rührt die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />

Bildung, <strong>de</strong>r Ausbildung, <strong>de</strong>r bürgerschaftlichen<br />

Teilhabe, <strong>de</strong>s geregelten Funktionierens <strong>de</strong>r


Institutionen. Daher rührt auch die Notwendigkeit<br />

sozialer Bürgerrechte citoyenneté die Lebenssicherheit<br />

und Chancengleichheit verbin<strong>de</strong>t,<br />

um allen zu ermöglichen, tatsächlich und<br />

umfassend an <strong>de</strong>r. politischen Gemeinschaft<br />

teilzuhaben. Ein Han<strong>de</strong>ln, das unseren Werten<br />

entspricht und das Politische, Wirtschaftliche<br />

und Soziale nicht voneinan<strong>de</strong>r trennt, kann sich<br />

an diesen Kriterien orientieren. Ohne sie bleibt<br />

unklar, welchen Sinn das sozialistische I<strong>de</strong>al in<br />

<strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Völker weiter haben sollte.<br />

Eine menschlichere Gesellschaft<br />

"Ja zur Marktwirtschaft, nein zur Marktgesellschaft":<br />

Diese Formulierung von Lionel Jospin<br />

ist häufig aufgegriffen wor<strong>de</strong>n. Sie unterstreicht,<br />

dass sich, auch wenn <strong>de</strong>r Markt eine<br />

eigene Realität dar_ stellt, die Lebenswirklichkeit<br />

nicht auf <strong>de</strong>n Markt beschränkt. Die Teilhabe<br />

an <strong>de</strong>r Gesellschaft hat nicht nur ihre<br />

ökonomische Seite. Zu ihr gehört auch <strong>de</strong>r<br />

Zugang zu Gesundheit, Bildung, Kultur, Umwelt.<br />

Alles Güter, die im Wesentlichen nicht<br />

von einer Verteilung durch <strong>de</strong>n Markt abhängen<br />

und auch nicht abhängen dürfen. Eine<br />

menschliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft,<br />

<strong>de</strong>ren Werte nicht ausschließlich <strong>de</strong>m Profit<strong>de</strong>nken<br />

unterworfen sind. Eine menschliche<br />

Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in <strong>de</strong>r nicht<br />

alle Waren mit Gütern gleichgesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>n. Eine menschliche Gesellschaft ist eine<br />

Gesellschaft, die sich die Reduzierung <strong>de</strong>r<br />

Ungleichheiten je<strong>de</strong>r Art zum Ziel gesetzt hat.<br />

Den Markt eindämmen<br />

Die Arbeit <strong>de</strong>s Menschen und die Schöpfungen<br />

seines Geistes können nicht auf einfache Waren<br />

reduziert wer<strong>de</strong>n. Der menschliche Körper<br />

ist keine Ware und darum müssen die Sozialisten<br />

die beunruhigen<strong>de</strong>n Fragen aufgreifen, die<br />

die Bioethik stellt. Die Gesundheit <strong>de</strong>r Menschen<br />

ist keine Ware. Wenn die Begrenzung<br />

<strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben unabdingbar ist"<br />

dann <strong>de</strong>shalb, um <strong>de</strong>n Fortbestand <strong>de</strong>r sozialen<br />

Sicherungssysteme gegen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand<br />

<strong>de</strong>rjenigen zu sichern, die sie privatisieren<br />

möchten, um aus <strong>de</strong>r Gesundheit ein Geschäft<br />

zu machen. Ebenso wenig darf die Gesundheitsfürsorge<br />

durch <strong>de</strong>n Freihan<strong>de</strong>l gefähr<strong>de</strong>t<br />

wer<strong>de</strong>n, und es ist legitim, das Recht aller Völker<br />

auf eine sichere und gesun<strong>de</strong> Ernährung<br />

zu verteidigen. Unsere Umwelt ist genauso<br />

wenig eine Ware, ein simples Vorratslager an<br />

Rohstoffen, aus <strong>de</strong>m man schöpfen könnte,<br />

ohne sich um die zukünftigen Generationen zu<br />

sorgen. Nur nachhaltige Entwicklung ist echte<br />

Entwicklung. Wir verwechseln die Produktion<br />

von (gesellschaftlichen) Reichtümern nicht mit<br />

21<br />

<strong>de</strong>m Produktivismus. Überall müssen Produktivkräfte,<br />

ländliche Entwicklung und Bewahrung<br />

<strong>de</strong>r Umwelt miteinan<strong>de</strong>r in Einklang gebracht<br />

wer<strong>de</strong>n. Eine menschlichere Gesellschaft ist<br />

auch eine Gesellschaft, in <strong>de</strong>r die öffentlichen<br />

Dienste <strong>de</strong>nZugang aller zu <strong>de</strong>n wesentlichen<br />

Dienstleistungen sichern, ebenso wie die soziale<br />

und territoriale Einheit ö<strong>de</strong>r die Entwicklung<br />

von Aktivitäten, die langfristige Investitionen<br />

verlangen. Auch wenn die Form <strong>de</strong>r Leistungserbringung<br />

von einem Sektor zum an<strong>de</strong>ren<br />

unterschiedlich sein kann, von Staatsbesitz<br />

bis hin zur Delegierung an die Privatwirtschaft,<br />

müssen die Aufgaben <strong>de</strong>s öffentlichen Dienstes<br />

aufrechterhalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Vollbeschäftigung wie<strong>de</strong>rerlangen<br />

Eine menschlichere Gesellschaft ist vor allen<br />

Dingen eine Gesellschaft, die die Rückkehr -<br />

bzw. <strong>de</strong>n Zugang - zur Vollbeschäftigung organisiert.<br />

Die sozial<strong>de</strong>mokratische Politik muss<br />

sich mit <strong>de</strong>m Streben nach Vollbeschäftigung<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren. Arbeitslosigkeit bleibt die größte<br />

Quelle von Armut. Die soziale Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

besteht jetzt darin, Vollbeschäftigung für Männer<br />

und Frauen zu erreichen bzw. wie<strong>de</strong>rzuerlangen<br />

und die wachsen<strong>de</strong> Kluft. zwischen<br />

qualifizierter und nicht-qualifizierter Arbeit zu<br />

schließen, die durch die technologischen Umwälzungen<br />

entstan<strong>de</strong>n ist. Um uns dieser Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

zu stellen, dürfen wir uns nicht<br />

innerhalb <strong>de</strong>r falschen Alternativen bewegen,<br />

die die wirtschaftsliberalen Konservativen vorgeben.<br />

Stellen wir nicht mikroökonomische Politik gegen<br />

makroökonomische Politik; tun wir nicht<br />

so, als ob die Hinnahme erheblicher sozialer<br />

Ungleichheiten die Beschäftigung för<strong>de</strong>rn<br />

könnte.<br />

Wir sind nicht bar je<strong>de</strong>r Handlungsmöglichkeiten<br />

und können u.a. durch eine makroökonomische<br />

Politik, durch die Verschiebung <strong>de</strong>r<br />

Abgabenlast zwischen <strong>de</strong>n Produktionsfaktoren,<br />

durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik,<br />

durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch<br />

Ausbildung, durch die Reduzierung <strong>de</strong>r Arbeitszeit,<br />

durch eine gezielte Politik zur wirtschaftlichen<br />

Entwicklung von benachteiligten<br />

Gebieten tätig wer<strong>de</strong>n. Die Auswahl kann von<br />

Land zu Land unterschiedlich sein. Doch muss<br />

sich die Sozial<strong>de</strong>mokratie überall die Umsetzung<br />

einer Beschäftigungspolitik zum Ziel setzen,<br />

die das Recht auf Arbeit respektiert und<br />

die Unsicherheit (précarité) nicht begünstigt.<br />

In diesem Sinne ist es offensichtlich grundlegend,<br />

ein starkes und stabiles Wachstum zu


sichern. Der Staat muss, insbeson<strong>de</strong>re durch<br />

seine Steuerpolitik, dazu beitragen, eine günstiges<br />

Umfeld für die Unternehmen zu för<strong>de</strong>rn.<br />

Doch er spielt auch - vergessen wir das nicht<br />

eine wesentliche Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit<br />

einer Volkswirtschaft, in<strong>de</strong>m er. u.a. die<br />

Qualität <strong>de</strong>s öffentlichen Diensts, das Bildungs-<br />

und Ausbildungsniveau <strong>de</strong>r Bevölkerung, das<br />

Forschungspotenzial, die Angemessenheit <strong>de</strong>r<br />

Infrastruktur sichert.<br />

Das Wachstum muss beschäftigungsintensiv<br />

sein. Wir müssen die nicht-qualifizierte Arbeit<br />

för<strong>de</strong>rn, sei es direkt, in<strong>de</strong>m wir personenbezogene<br />

Dienstleistungsarbeitsplätze (emplois<br />

<strong>de</strong> proximité) schaffen, sei es indirekt, in<strong>de</strong>m<br />

wir die Dynamik eines privaten Dienstleistungssektors<br />

unterstützen. Eine beson<strong>de</strong>re<br />

Anstrengung muss unternommen wer<strong>de</strong>n, um<br />

die dauerhafte Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>rjenigen<br />

Bevölkerungsschichten in <strong>de</strong>n Arbeitsmarkt zu<br />

ermöglichen, die sich <strong>de</strong>n größten Schwierigkeiten<br />

gegenübersehen - ganz beson<strong>de</strong>rs Jugendliche<br />

ohne Qualifikation und Langzeitarbeitslose<br />

-, in<strong>de</strong>m wir insbeson<strong>de</strong>re unsere<br />

Umverteilungssysteme anpassen. Die Reduzierung<br />

<strong>de</strong>r Arbeitszeit ist eine Entwicklung, die<br />

es zu unterstützen gilt, sie verstärkt die Auswirkungen<br />

<strong>de</strong>s Wachstums, sie gibt <strong>de</strong>n Arbeitnehmern<br />

zusätzliche Freizeit, um sich besser<br />

weiterzubil<strong>de</strong>n, sich ihren Familien o<strong>de</strong>r<br />

ihrer persönlichen Entwicklung zu widmen. Die<br />

Art und Weise <strong>de</strong>r Umsetzung <strong>de</strong>r Arbeitszeitverkürzung<br />

hängt selbstverständlich von <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen nationalen Realitäten, vom Arbeitsmarkt<br />

und vom System <strong>de</strong>r Arbeitsbeziehungen<br />

ab. Bei <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>r<br />

35-Stun<strong>de</strong>n-Woche, die wir gegenwärtig umsetzen,<br />

stellen wir das Gesetz in <strong>de</strong>n Dienst<br />

<strong>de</strong>r Sozialverhandlungen (négociation sociale).<br />

Die Verän<strong>de</strong>rungen, die mit <strong>de</strong>m technologischen<br />

Fortschritt und <strong>de</strong>r Härte <strong>de</strong>s wirtschaftlichen<br />

Wettbewerbs einhergehen, zwingen die<br />

Unternehmen zur Anpassung an sich ständig<br />

än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Bedingungen. Dieses Bemühen ist<br />

legitim, doch muss man es einzuordnen wissen.<br />

Wir können keine Flexibilität" akzeptieren,<br />

die zu einer allgemeinen Unsicherheit führt.<br />

Arbeiten be<strong>de</strong>utet zunächst, eine Form von<br />

Sicherheit angesichts <strong>de</strong>r Unwägbarkeiten <strong>de</strong>s<br />

Lebens zu erlangen. Es be<strong>de</strong>utet nicht, sich<br />

zusätzlichen Unwägbarkeiten auszusetzen. Die<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen die Errungenschaft<br />

geregelter Tarifverträge verteidigen. Sie ermöglichen<br />

in <strong>de</strong>n meisten Fällen eine wirksame<br />

Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung -<br />

<strong>de</strong>nn Zusammenarbeit und ausgewogene<br />

Kompromisse sind Quellen von Fortschritt -und<br />

22<br />

die Bewahrung <strong>de</strong>r Rechte und Lebensbedingungen<br />

<strong>de</strong>r Arbeitnehmer.<br />

Beson<strong>de</strong>re und anhalten<strong>de</strong> Aufmerksamkeit<br />

muss <strong>de</strong>r Frauenarbeit gewidmet wer<strong>de</strong>n. In<br />

manchen Weltregionen wird sie als Ergänzung<br />

<strong>de</strong>s Familieneinkommens betrachtet, die keine<br />

angemessene Entlohnung beanspruchen kann;<br />

an<strong>de</strong>rswo wird ihre strukturieren<strong>de</strong> Dimension<br />

innerhalb <strong>de</strong>r nationalen Volkswirtschaften<br />

nicht anerkannt. Und in <strong>de</strong>n entwickelten Län<strong>de</strong>rn<br />

muss festgehalten wer<strong>de</strong>n, dass es weiter<br />

nennenswerte Einkommensunterschie<strong>de</strong> bei<br />

gleicher Qualifikation und Kompetenz gibt. Die<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten müssen sich entschlossen<br />

dafür einsetzen, die Chancengleichheit von<br />

Mann und Frau im Bildungs- und Ausbildungsbereich<br />

sowie die Gleichberechtigung hinsichtlich<br />

Rechtsstatus und Entlohnung voranzutreiben.<br />

Die soziale Sicherung garantieren<br />

Gleichgültig welchen Namen man ihr gibt<br />

-"Vorsorgestaat", "Wohlfahrtsgesellschaft" -,<br />

die soziale Sicherung steht im Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Debatte,. Ihre Schwierigkeiten sind bekannt,<br />

die Überalterung <strong>de</strong>r Bevölkerungen, die Last<br />

<strong>de</strong>r Massenarbeitslosigkeit von zwei Jahrzehnten,<br />

die soziale Ausgrenzung, die zunehmen<strong>de</strong><br />

Komplexität <strong>de</strong>r medizinischen Pflege: Das<br />

for<strong>de</strong>rt in Volkswirtschaften, die im internationalen<br />

Wettbewerb stehen, seinen Preis. Doch<br />

das Projekt einer solidarischen Gesellschaft,<br />

für das die soziale Sicherung steht, bleibt aktuell.<br />

Der Vorsorgestaat muss heute die traditionellen<br />

Risiken ab<strong>de</strong>cken, Krankheit, Rente, die<br />

frühe Kindheit, Arbeitslosigkeit, doch er muss<br />

sich auch neuen sozialen Bedürfnissen stellen,<br />

um die Verän<strong>de</strong>rungen zu berücksichtigen, die<br />

in <strong>de</strong>r Familie, im Arbeitsprozess und in unseren<br />

Lebenszyklen stattfin<strong>de</strong>n. Die soziale Sicherung<br />

kann und muss an diese neuen Vorgaben<br />

angepasst wer<strong>de</strong>n; nicht in Frage stellen<br />

darf man ihre Grundsätze. Zu Recht wird die<br />

Be<strong>de</strong>utung "sozialer Investitionen", insbeson<strong>de</strong>re<br />

in Bildung und Ausbildung, betont, die <strong>de</strong>n<br />

Einzelnen dazu befähigen sollen, unter bestmöglichen<br />

Bedingungen auf <strong>de</strong>m Markt zu<br />

konkurrieren. Doch wir sind nicht <strong>de</strong>r Meinung,<br />

dass man soziale Investitionen" und Sozialausgaben"<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r ausspielen sollte.<br />

Denn zahlreiche Politikansätze lassen sich<br />

nicht einfach <strong>de</strong>r einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kategorie<br />

zuordnen: Wenig qualifizierte Arbeit. zu för<strong>de</strong>rn<br />

ist beispielsweise zugleich eine wirtschaftliche<br />

Investition und eine Form von Umverteilung.<br />

Der Gedanke, dass soziale Investitionen


zahlreiche traditionelle Aufgaben <strong>de</strong>s Vorsorgestaates<br />

ersetzen könnten, ist unrealistisch,<br />

und sei es. nur - beispielsweise -weil unsere<br />

Gesellschaften einen <strong>de</strong>mographischen Alterungsprozess<br />

durchlaufen, <strong>de</strong>ssen Folgen sie<br />

wer<strong>de</strong>n tragen müssen Wir dürfen nicht - und<br />

können im Übrigen auch nicht - bei <strong>de</strong>r Umverteilungspolitik<br />

sparen.<br />

Wir dürfen auch nicht Universalität und Selektivität<br />

von Sozialleistungen gegeneinan<strong>de</strong>r ausspielen.<br />

Selektivität kann notwendig sein, und<br />

die Erfahrung hat gezeigt, dass bestimmte<br />

Leistungen ressourcenabhängig erbracht wer<strong>de</strong>n<br />

können. Doch die wirksamsten Sicherungen<br />

sind jene, die <strong>de</strong>n größten Teil <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

in Bezug auf wesentliche Güter, wie<br />

z.B. Gesundheit und Renten, ab<strong>de</strong>cken. Das<br />

Konzept eines Vertrags, <strong>de</strong>r die Rechte und<br />

Pflichten <strong>de</strong>r Begünstigten, aber auch aller<br />

an<strong>de</strong>ren Akteure <strong>de</strong>r sozialen Sicherung festschreibt,<br />

ermöglicht es, die Gefahr von Passivität,<br />

die allen an<strong>de</strong>ren Beistandsformen eigen<br />

ist, zu überwin<strong>de</strong>n, ohne die sozialen Risiken in<br />

Kauf zu nehmen, die mit einer Selektivität von<br />

Leistungen verbun<strong>de</strong>n sind.<br />

Die Universalität begrün<strong>de</strong>t die Legitimität <strong>de</strong>r<br />

Sozialpolitik und ermöglicht es, „Armutsfallen"<br />

zu bekämpfen, die ganze Schichten ausgrenzen.<br />

Es muss ein gerechtes Gleichgewicht<br />

zwischen Hilfe, Anreiz und Verpflichtung hergestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. Glauben wir doch nicht, dass<br />

"workfare" die Allzwecklösung sein kann, wenn<br />

die Ausgrenzungen eine erhebliche geographische<br />

Dimension haben, in Gegen<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>r Mangel an Sicherheit, Ausbildung, Hilfen,<br />

Arbeitsplätzen vor allen Dingen nach einer<br />

breiten öffentlichen und privaten Mobilisierung<br />

verlangt.<br />

Ein neues Bündnis schmie<strong>de</strong>n<br />

Die "Wohlfahrtsgesellschaft" ist ein politisches<br />

Projekt. Sie muss als solches dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Unsere Gesellschaften bleiben in ein<strong>de</strong>utige<br />

soziale Gruppen unterteilt. Die Mittelschichten<br />

bil<strong>de</strong>n heute das Herzstück unserer<br />

Gesellschaften. Sie spielen eine beson<strong>de</strong>re<br />

Rolle bei <strong>de</strong>r Expansion unserer Volkswirtschaften.<br />

Doch zwei Jahrzehnte Massenarbeitslosigkeit<br />

hab haben Gruppen von "Ausgegrenzten"<br />

hervorgebracht. Und wenn die unteren<br />

Schichten sich auch gewan<strong>de</strong>lt haben, so<br />

sind sie doch nicht verschwun<strong>de</strong>n. Die Sozial<strong>de</strong>mokraten<br />

müssen also gleichzeitig die Interessen<br />

und Bestrebungen <strong>de</strong>r Ausgegrenzten,<br />

<strong>de</strong>r unteren Schichten und <strong>de</strong>r Mittelschichten<br />

berücksichtigen. Ungeachtet ihrer Unterschie<strong>de</strong><br />

haben diese Gruppen gemeinsame Anlie-<br />

23<br />

gen: die Entwicklung <strong>de</strong>r Arbeit, <strong>de</strong>n Rückgang<br />

<strong>de</strong>r ungesicherten Arbeitsplätze (précarité) die<br />

Verbesserung <strong>de</strong>s Bildungssystems, die Konsolidierung<br />

<strong>de</strong>r sozialen Sicherung. Für die<br />

Ausgegrenzten und die unteren Schichten bil<strong>de</strong>n<br />

die Mittelschichten das Mo<strong>de</strong>ll einer gelungenen<br />

sozialen Integration. Die Sozialisten<br />

müssen also die Anliegen <strong>de</strong>r Mittelschichten<br />

beachten. Doch dürfen sie nicht <strong>de</strong>n Anspruch<br />

aufgeben, sie links zu verankern, in<strong>de</strong>m sie<br />

daran arbeiten, ihnen unsere Werte zu vermitteln.<br />

Daraus folgt, dass es darum geht eine<br />

Mehrheit für eine Umverteilungspolitik zu<br />

schaffen, die als gerecht empfun<strong>de</strong>n wird. Im<br />

Rahmen ihres politischen Projekts sind die<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten die Einzigen, die ein solches<br />

"neues Bündnis" verkörpern und umsetzen<br />

können.<br />

Einen mo<strong>de</strong>rnen Staat för<strong>de</strong>rn<br />

Um mit dieser Politik Erfolg zu haben, muss<br />

<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Staat zur Schaffung von<br />

Wohlstand (création <strong>de</strong> richesses) ermutigen,<br />

eine aktive Politik zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Risikobereitschaft<br />

führen sowie dabei behilflich sein,<br />

Verän<strong>de</strong>rungen zu .antizipieren. Der Staat,<br />

Garant <strong>de</strong>r gemeinsamen Regeln, muss weiterhin<br />

eine Steuerungsfunktion wahrnehmen.<br />

Ein mo<strong>de</strong>rner Staat ist ein vorausschauen<strong>de</strong>r<br />

Staat, <strong>de</strong>r seine Mittel in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Antizipation<br />

stellt, <strong>de</strong>r dabei behilflich ist, die Zukunft<br />

zu meistern. Er ist ein Staat, <strong>de</strong>r die notwendigen<br />

Impulse gibt, ohne dabei an die Stelle <strong>de</strong>r<br />

gesellschaftlichen Akteure -Bürger, Vereinigungen,<br />

Gewerkschaften Unternehmen, Gebietskörperschaften<br />

- zu treten, <strong>de</strong>r ihre Bemühungen<br />

jedoch unterstützt, in<strong>de</strong>m er sie in die<br />

Lage versetzt, selbstständig zu han<strong>de</strong>ln. Er ist<br />

ein Staat, <strong>de</strong>r seine unersetzliche Verantwortung<br />

für das Funktionieren einer Marktwirtschaft<br />

übernimmt, in<strong>de</strong>m er je<strong>de</strong>m seinen Platz<br />

in <strong>de</strong>r Gesellschaft garantiert. ( ... )


Konservatismus<br />

Im Gegensatz zum Liberalismus und erst recht<br />

zum Marxismus ist es <strong>de</strong>m Konservatismus nie<br />

gelungen, eine geschlossene Gesellschaftstheorie<br />

zu entwickeln, in <strong>de</strong>r sich alle Konservativen<br />

wie<strong>de</strong>rerkennen könnten. Konservative,<br />

die die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaft in ihren Strukturen<br />

o<strong>de</strong>r Werten erhalten wollten, haben<br />

immer auf die Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rer<br />

(Liberale, Sozialisten, Reaktionäre, Faschisten)<br />

reagieren müssen; da sie selbst Gesellschaft<br />

nicht verän<strong>de</strong>rn wollen, fehlt ihnen <strong>de</strong>r Zukunftsbezug,<br />

die große Utopie, auf die hin Gesellschaft<br />

gestaltet wer<strong>de</strong>n soll. Je<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />

Verän<strong>de</strong>rung, wenn sie <strong>de</strong>nn stattgefun<strong>de</strong>n<br />

und sich bewährt hat, gilt als bewahrens-<br />

und erhaltenswert. So verteidigt <strong>de</strong>r Konservative<br />

von heute gesellschaftliche Strukturen,<br />

die er gestern noch bekämpfte. Liberale<br />

Positionen, im 19. und frühen 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

von Konservativen noch erbittert abgelehnt,<br />

sind heute von ihnen ebenso entschie<strong>de</strong>n besetzt.<br />

Es gibt daher keine konservative Tradition<br />

o<strong>de</strong>r Schule. Es ist nicht einmal klar, wer<br />

konservativ ist: <strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokrat, <strong>de</strong>r konservative<br />

Werte verteidigt, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Grüne, <strong>de</strong>r<br />

Unkrautvernichtungsmittel ablehnt, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Philosoph, <strong>de</strong>r die Technokratie verherrlicht?<br />

Es wur<strong>de</strong> daher auch darauf verzichtet, konservative<br />

Texte aus <strong>de</strong>r Geschichte (mit Ausnahme<br />

<strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> von Burke [S. 2411, die eine<br />

Tradition darstellt) in die Textsammlung aufzunehmen,<br />

da uns heute die damals zu bewahren<strong>de</strong>n<br />

gesellschaftlichen Strukturen fremd<br />

sind. Der interessierte Schüler sei auf Hegel,<br />

Stahl, Görres u. a. verwiesen.<br />

Trotz fehlen<strong>de</strong>r Tradition und Theorie gibt es<br />

jedoch Grundpositionen, die – über Abneigung<br />

gegen Neuerungen und Hängen am Alten hinaus<br />

<strong>de</strong>n meisten Konservativen gemeinsam<br />

sind. - ein Menschenbild und ein Geschichtsverständnis,<br />

die sich von <strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>rer I<strong>de</strong>ologien<br />

unterschei<strong>de</strong>n und von <strong>de</strong>nen sich Abwehrstrategien<br />

gegen Neuerungen, so unterschiedlich<br />

sie auch sein mögen, ableiten lassen<br />

(vgl. dazu die Thesen von Kaltenbrunner,<br />

S. 241 ff).<br />

(Walter Kappmeier)<br />

Begriffsbestimmungen<br />

Was heißt heute konservativ?<br />

24<br />

Konservativ ist es, <strong>de</strong>m Gewachsenen und<br />

Gewor<strong>de</strong>nen zu vertrauen, seine ihm innewohnen<strong>de</strong><br />

Vernunft höher zu schätzen als die Logik<br />

<strong>de</strong>s Machbaren und Planbaren. Konservativ<br />

ist die Überzeugung, dass die Institutionalisierbarkeit<br />

<strong>de</strong>s menschlichen Glücks eine Illusion<br />

ist, dass es eine vollkommene, gerechte Gesellschaft<br />

nicht geben kann, dass wir äußeren<br />

Zufällen und <strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r individuellen<br />

Verfassung nicht entgehen können, dass<br />

unser Glück vor <strong>de</strong>m unauslöschbaren Hintergrund<br />

von Unglück und Tod steht. Konservativ<br />

ist die Überzeugung, dass die Menschen durch<br />

Verwöhnung moralisch korrumpiert und infantilisiert<br />

wer<strong>de</strong>n, dass Arbeit und das Ertragen<br />

von Unlust und Verzicht Bedingungen unserer<br />

Existenz sind. ( ... )<br />

Konservativ ist aber auch <strong>de</strong>r kritiklose Glaube<br />

an Autoritäten und eine gewisse Härte und<br />

Achtlosigkeit gegenüber menschlichen Lei<strong>de</strong>n<br />

und Bedürftigkeiten. Konservativ sein kann<br />

heißen, normativ statt sachlich und situationsbezogen<br />

zu <strong>de</strong>nken, neue Entwicklungen und<br />

Möglichkeiten grundsätzlich abzulehnen und<br />

sich <strong>de</strong>fensiv auf Reservate verklärter Vergangenheit<br />

und die eigenen Privilegien zurückzuziehen.<br />

Heute, da wir mit <strong>de</strong>n katastrophalen Folgen<br />

<strong>de</strong>s industriellen Wachstums und <strong>de</strong>r Fortschrittsi<strong>de</strong>ologen<br />

konfrontiert sind, stecken im<br />

konservativen Denken Potenzen für eine notwendige<br />

Neuorientierung unseres Lebens. Soll<br />

das nicht rein nostalgisch o<strong>de</strong>r reaktionär ausfallen<br />

und in sentimentaler Ohnmacht en<strong>de</strong>n,<br />

muss sich die konservative Kulturkritik in praktisches<br />

Denken verwan<strong>de</strong>ln, das ausgeht von<br />

<strong>de</strong>n gegenwärtigen Bedingungen und Möglichkeiten<br />

und das in die kritische Wertediskussion<br />

die eigenen ungeprüften Axiome einbezieht.<br />

(Dieter Wellershoff [Schriftsteller] in: Die Zeit Nr. 43<br />

v. 16.10.1981, S. 42)<br />

Nicht die Erstarrung, son<strong>de</strong>rn die Instabilität.<br />

unserer Lebensverhältnis se ist es, die uns<br />

heute zu schaffen macht. Nicht verkrustete<br />

Traditionen drücken uns, vielmehr das ungelöste<br />

Problem, wie sich in einer dynamischen<br />

Zivilisation Traditionen, das heißt orientierungspraktische<br />

kulturelle Selbstverständlichkeiten<br />

überhaupt bil<strong>de</strong>n lassen. Die Menge <strong>de</strong>r<br />

Reformen, die sich als Realisierung gen "konkreter<br />

Utopien" feiern ließen, nimmt ständig ab.<br />

Dafür nimmt <strong>de</strong>r Anteil solcher "Reformen" zu,<br />

die ihrer Struktur nach nichts an<strong>de</strong>res als nötige<br />

Kompensationen von Schädlichkeitsnebenfolgen<br />

eines Fortschritts sind, <strong>de</strong>r nicht erst frei


gekämpft wer<strong>de</strong>n muss, vielmehr ohnehin<br />

längst im Gang ist.<br />

Was Günter Grass veranlasst hat, die Schnecke<br />

zum Symbol zeitgenössischer gesellschaftlicher<br />

Bewegungsformen zu erheben, weiß ich<br />

nicht. Selbst für die unmittelbar vom Willen<br />

unserer gewählten Politiker abhängige Rotationsgeschwindigkeit<br />

unserer Gesetzgebungsmaschinerie,<br />

zum Beispiel, gilt doch, daß sie<br />

nicht stockt, son<strong>de</strong>rn weit über sinnvolle administrative<br />

Verarbeitungskapazitäten hinaus<br />

überhöht ist. (...) . .) Die Nötigkeit sogenannter<br />

konservativer Verhaltensweisen nimmt in dieser<br />

Lage zu. Kulturrevolutionäre Abräumwut<br />

verschlimmert sie, und Avantgardismus wird<br />

zur Merkwürdigkeit <strong>de</strong>r Genugtuung darüber,<br />

jeweils übermorgen bereits selber von vorgestern<br />

zu sein. Bis in die Politik hinein gewinnt<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Handlungsgrundsatz an Geltung:<br />

So viel zusätzliche Verän<strong>de</strong>rung wie nötig;<br />

so viel Erhaltung zukunftsfähiger Herkunftsbestän<strong>de</strong><br />

wie möglich.<br />

Eigentlich ist das ein Grundsatz schlichter<br />

praktischer Vernunft. Dass man das, was insoweit<br />

vernünftig ist, heute als "konservativ"<br />

i<strong>de</strong>ntifiziert, ist ein verbaler Reflex jener traditionalistischen<br />

Progressphilosophie, die, was in<br />

Wahrheit belasten<strong>de</strong> Nebenfolgen längst stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Fortschritts sind, als Folgen anhalten<strong>de</strong>r<br />

Fortschrittsverzögerung interpretiert.<br />

(Hermann Lübbe [Politologe und Philosoph] in: Die<br />

Zeit Nr. 43 v. 16.10.1981, S. 41- 42)<br />

Edmund Burke<br />

Konservative Weltsicht<br />

Re<strong>de</strong> an die Wähler von Bristol<br />

Gewiss, meine Herren, es sollte das Glück und<br />

<strong>de</strong>r Ruhm eines Volksvertreters sein, in engster<br />

Verbindung, völliger Übereinstimmung und<br />

rückhaltlosem Gedankenaustausch mit seinen<br />

Wählern zu leben. Ihre Wünsche sollten für ihn<br />

großes Gewicht besitzen, ihre Meinung seine<br />

hohe Achtung, ihre Interessen seine unablässige<br />

Aufmerksamkeit. ( ... ) Doch seine unvoreingenommene<br />

Meinung, sein ausgereiftes<br />

Urteil, sein erleuchtetes Gewissen sollte er<br />

we<strong>de</strong>r euch noch irgen<strong>de</strong>inem Menschen o<strong>de</strong>r<br />

irgen<strong>de</strong>iner Gruppe aufopfern; <strong>de</strong>nn er leitet sie<br />

nicht von eurer Gunst her, noch aus <strong>de</strong>m Recht<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verfassung. Sie sind ein von <strong>de</strong>r Vorsehung<br />

anvertrautes Gut, für <strong>de</strong>ssen Missbrauch<br />

er voll verantwortlich ist. Euer Abgeord-<br />

25<br />

neter schul<strong>de</strong>t euch nicht nur seinen ganzen<br />

Fleiß, son<strong>de</strong>rn auch einen eigenen Standpunkt;<br />

und er verrät euch, anstatt euch zu dienen,<br />

wenn er ihn zugunsten eurer Meinung aufopfert.<br />

Mein ehrenwerter Kollege sagt, sein Wille sollte<br />

sich <strong>de</strong>m euren fügen. Ist das alles, so ist die<br />

Sache harmlos. Wenn das Regieren nur eine<br />

Frage <strong>de</strong>s Willens auf irgen<strong>de</strong>iner Seite wäre,<br />

so müsste euer Wille ohne Zweifel <strong>de</strong>r höhere<br />

sein. Doch das Regieren und die Gesetzgebung<br />

sind Fragen <strong>de</strong>r Vernunft und <strong>de</strong>s Urteils<br />

und nicht <strong>de</strong>r (persönlichen) Neigung; und was<br />

ist das für eine Vernunft, bei <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Beschluss<br />

<strong>de</strong>r Diskussion vor-. angeht, bei <strong>de</strong>r eine Gruppe<br />

von Menschen berät und eine an<strong>de</strong>re beschließt;<br />

und wo diejenigen, die <strong>de</strong>n Beschluss<br />

fassen, vielleicht dreihun<strong>de</strong>rt Meilen von <strong>de</strong>nen<br />

entfernt sind, die die Argumente für und wi<strong>de</strong>r<br />

hören?<br />

Eine Meinung zu äußern ist das Recht aller<br />

Menschen; diejenige <strong>de</strong>r Wähler ist eine gewichtige<br />

und achtenswerte Meinung, die zu<br />

hören ein Volksvertreter sich stets freuen sollte<br />

und die er immer auf das ernsthafteste erwägen<br />

müsste. Doch autoritative Instruktionen,<br />

erteilte Mandate, die das Parlamentsmitglied<br />

blindlings und ausdrücklich befolgen muss, für<br />

die es seine Stimme abgeben und für die es<br />

eintreten soll, obgleich diese Instruktionen im<br />

Gegensatz zur klarsten Überzeugung seines<br />

Urteils und Gewissens stehen mögen, sind<br />

Dinge, die <strong>de</strong>n Gesetzen unseres Lan<strong>de</strong>s völlig<br />

unbekannt sind und die aus einem fundamentalen<br />

Missverständnis <strong>de</strong>r <strong>gesamt</strong>en Ordnung<br />

und <strong>de</strong>s Inhaltes unserer Verfassung entspringen.<br />

Das Parlament ist kein Kongress von Botschaftern<br />

im Dienste verschie<strong>de</strong>ner und feindlicher<br />

Interessen, die je<strong>de</strong>r als Vertreter und Befürworter<br />

gegen an<strong>de</strong>re Vertreter und Befürworter<br />

verfechten müsste, son<strong>de</strong>rn das Parlament ist<br />

die beraten<strong>de</strong> Versammlung einer Nation, mit<br />

einem Interesse, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Ganzen, wo nicht<br />

lokale Zwecke, nicht lokale Vorurteile bestimmend<br />

sein sollten son<strong>de</strong>rn das allgemeine<br />

Wohl, das aus <strong>de</strong>r allgemeinen Vernunft hervorgeht.<br />

Wohl wählt ihr allein einen Abgeordneten,<br />

aber wenn ihr ihn gewählt habt, dann ist er<br />

nicht mehr Vertreter von Bristol, son<strong>de</strong>rn ein<br />

Mitglied <strong>de</strong>s Parlamentes. Falls <strong>de</strong>r lokale Auftraggeber<br />

ein Interesse verfolgen o<strong>de</strong>r sich<br />

eine voreilige Meinung gebil<strong>de</strong>t haben sollte,<br />

die ganz offensichtlich im Wi<strong>de</strong>rspruch zum<br />

wahren Wohl <strong>de</strong>r - restlichen Gemeinschaft<br />

stehen, dann sollte <strong>de</strong>r Abgeordnete dieses<br />

Wahlkreises, so gut wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, davon


Abstand, nehmen, diese Son<strong>de</strong>rinteressen<br />

durchzusetzen.<br />

(Edmund Burke [1729-1797, britischer Politiker<br />

und Publizist]; entnommen aus: 0. H. von <strong>de</strong>r<br />

Gablentz, Politische Theorien. Teil III: Die politischen<br />

Theorien seit <strong>de</strong>r Französischen Revolution,<br />

Köln/Opla<strong>de</strong>n 1957, S. 49-50)<br />

"Der Konservative"<br />

Selbstdarstellung in Thesen<br />

Wenn angesichts <strong>de</strong>r Gefahr einer Ökokatastrophe<br />

und <strong>de</strong>r Lehren von zwei Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />

Revolution nicht mehr die progressive Entfesselung<br />

<strong>de</strong>r industriellen Produktivkräfte, die<br />

stetige Steigerung <strong>de</strong>s Lebensstandards und<br />

die Verwirklichung eines sozialen Utopia zeitgemäß<br />

sind, son<strong>de</strong>rn die Verhütung <strong>de</strong>s Weltuntergangs,<br />

die Bewahrung <strong>de</strong>r Natur und die<br />

umsichtige Verwaltung <strong>de</strong>r immer knapper<br />

wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong>, dann ist schwer einzusehen,<br />

wie diese von <strong>de</strong>n "Grenzen <strong>de</strong>s<br />

Wachstums" uns auferlegten Notwendigkeiten<br />

durch eine progressistisch-emanzipatorische<br />

Theorie und Praxis bewältigt wer<strong>de</strong>n könnten.<br />

Dazu bedarf es vielmehr einer Ehrenrettung<br />

und Erneuerung von Grundsätzen, Einsichten<br />

und Tugen<strong>de</strong>n, die man in einem sehr bestimmten<br />

Sinn für konservativ erklären kann.<br />

Die seit <strong>de</strong>m Zeitalter <strong>de</strong>r Aufklärung entstan<strong>de</strong>nen<br />

linken I<strong>de</strong>ologien vom klassischen Liberalismus<br />

bis zum Marxismus - waren durchwegs<br />

davon ausgegangen, dass sich durch<br />

zunehmen<strong>de</strong> Gütererzeugung unweigerlich<br />

auch die Lebensqualität verbessere und dass<br />

das Ziel <strong>de</strong>r Menschheit in ununterbrochen<br />

fortschreiten<strong>de</strong>r Industrialisierung, Technisierung,<br />

Urbanisierung, Homogenisierung und<br />

Ausbeutung <strong>de</strong>r Natur bestehe. Wer das bezweifelt<br />

( ... ), <strong>de</strong>r kann sich in einem geistespolitischen<br />

Sinne schwerlich als "links" o<strong>de</strong>r<br />

"progressiv" einordnen. Denn er stellt mit diesem<br />

Zweifel die <strong>gesamt</strong>e progressistische Philosophie<br />

<strong>de</strong>r letzten zwei Jahrhun<strong>de</strong>rte in Frage,<br />

um sich, wenngleich bisweilen unbewusst,<br />

Prinzipien und I<strong>de</strong>en zu nähern, <strong>de</strong>nen von<br />

jeher konservative Kritiker sowohl <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

als auch <strong>de</strong>s Sozialismus gehuldigt<br />

haben. (...)<br />

1. Menschen sind begrenzte, ungleiche, endliche<br />

und <strong>de</strong>shalb auf Disziplin und Bindung<br />

angewiesene Wesen.<br />

Der Konservative ist - aus welchen Grün<strong>de</strong>n<br />

auch immer, aus angeborener Skepsis, aus<br />

Erfahrung o<strong>de</strong>r aus schmerzlicher Ernüchte-<br />

26<br />

rung - nicht davon überzeugt, dass <strong>de</strong>r Mensch<br />

ein v on Natur aus gutes, nur durch außer ihm<br />

liegen<strong>de</strong> Umstän<strong>de</strong> verdorbenes Wesen ist. Er<br />

glaubt, dass <strong>de</strong>r Mensch nicht ohne äußere<br />

Ordnungen, die stets auch ein gewisses Ausmaß<br />

an Zwang und Repression mit sich bringen,<br />

jene Gerechtigkeit und Freiheit erreichen<br />

und bewahren kann, die die Linke als gesellschaftlichen<br />

Endzustand verkün<strong>de</strong>t. (...)<br />

2. Menschen sind <strong>de</strong>shalb angewiesen auf<br />

Einsichten und Orientierungen, die sie we<strong>de</strong>r<br />

aus <strong>de</strong>m angeborenen Instinktvorrat noch<br />

durch rationales Kalkül und subjektive Erfahrung<br />

gewinnen können. Das Arsenal dieser<br />

Einsichten und Orientierungen ist die Überlieferung,<br />

die durch die Geschichte sich hindurch<br />

halten<strong>de</strong> Tradition.<br />

Der Konservative verteidigt das Menschenrecht<br />

auf Vergangenheit. ( ... ) Der Mensch (...) bedarf<br />

<strong>de</strong>r Überlieferung. Seine I<strong>de</strong>ntität und Integrität<br />

fin<strong>de</strong>t er durch die Einwurzelung in<br />

geschichtlich tradierte Bestän<strong>de</strong>, durch die<br />

Annahme einer "Geschichte", <strong>de</strong>r er seine<br />

Loyalität entgegenbringt. ( ... ) Tradition aber (<br />

... ) ist nur institutionell zu garantieren. Nur<br />

Institutionen vermögen das Kapital an Einsichten,<br />

Erfahrungen und Lebensregeln zu repräsentieren,<br />

das je<strong>de</strong>s Zeitalter für das nachkommen<strong>de</strong><br />

treuhän<strong>de</strong>risch verwalten muss.<br />

( ... )<br />

3. Erst in <strong>de</strong>n großen Institutionen fin<strong>de</strong>n<br />

die Menschen vor sich selbst Schutz; nur in<br />

ihnen gewinnen sie überhaupt erst Gestalt,<br />

Standort und Handlungsspielraum.<br />

Der Konservative ist Institutionalist ( ... ). Institutionen<br />

sind jene stabilisieren<strong>de</strong>n Stützen und<br />

Formen, mittels <strong>de</strong>rer ein seiner Natur nach<br />

riskiertes, extrem korrumpierbares, zum Verfall<br />

bereites, unstabiles, affektüberlastetes und an<br />

instinktiven Regulierungsmechanismen armes<br />

Wesen sich gleichsam von außen her versteift,<br />

hochhält und hochschwingt, um sich selbst und<br />

seinesgleichen überhaupt erst erträglich, zu<br />

einem kultivierten Wesen zu machen. In <strong>de</strong>n<br />

Institutionen (...) bändigt <strong>de</strong>r Mensch seine<br />

erste "wil<strong>de</strong>" Natur. Die Institutionen - Recht,<br />

Eigentum, Familie, Kult, Staat und so weiter -<br />

sind die Gehäuse <strong>de</strong>s Menschen. In ihnen<br />

fin<strong>de</strong>t er Schutz und Geborgenheit, seinen Ort<br />

und Status in <strong>de</strong>r Gesellschaft. Sie verkörpern<br />

ihm gegenüber jedoch auch das Realitätsprinzip;<br />

sie be<strong>de</strong>uten Grenze, Verpflichtung<br />

und Zwang. ( ... )<br />

Ist <strong>de</strong>r Konservative, <strong>de</strong>r als Institutionalist ein<br />

gewisses Ausmaß an Entfremdung sowie <strong>de</strong>n<br />

Primat <strong>de</strong>r großen sozialen und politischen<br />

Formen vor <strong>de</strong>m Bedürfnis nach Emanzipation<br />

bejaht, <strong>de</strong>shalb ein bornierter Reaktionär, <strong>de</strong>r


sich gegen je<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l mit Ingrimm sträubt<br />

und <strong>de</strong>n jeweiligen Status quo unverän<strong>de</strong>rt<br />

erhalten will? Ist er notwendig ein Apologet <strong>de</strong>r<br />

Oberklasse? ( ... ) Ein weiteres konservatives<br />

Prinzip (lautet):<br />

4. Die Welt, soweit wir sie kennen, befin<strong>de</strong>t<br />

sich in ständigem Wan<strong>de</strong>l, und Ordnung ist<br />

in einem solchen evolutiven Universum nur<br />

möglich als Prozess, als flukturieren<strong>de</strong> Ordnung.<br />

Der Konservative ist sich, an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r Reaktionär,<br />

<strong>de</strong>r Tatsache bewusst, dass Tradition<br />

nicht einfach erhalten wer<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn<br />

vertieft und vermehrt wer<strong>de</strong>n muss. Der Konservative<br />

weiß, ( ... ) dass Fortschritt vor allem<br />

in <strong>de</strong>r schöpferisch verjüngen<strong>de</strong>n Übernahme<br />

<strong>de</strong>r Vergangenheit besteht. Der Konservative<br />

weiß aber auch, dass die für <strong>de</strong>n Menschen<br />

lebensnotwendige Stabilität nicht gleichbe<strong>de</strong>utend<br />

mit Wan<strong>de</strong>llosigkeit ist. Stabilität ist die<br />

Bedingung nichtkatastrophischen Wan<strong>de</strong>ls:<br />

künftiger Entwicklung ebenso wie künftiger<br />

Bewahrung. Instabil hingegen ist ein Zustand,<br />

in <strong>de</strong>m die Art und das Tempo <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls<br />

die Schaffung von Ordnung unmöglich macht;<br />

o<strong>de</strong>r ein Zustand, in <strong>de</strong>m eine scheinbar stabile<br />

Ordnung, die in Wirklichkeit verkalkt und hohl<br />

ist, ihren eigenen Untergang herbeiruft; o<strong>de</strong>r<br />

eine Ordnung, die vielleicht auf <strong>de</strong>n ersten<br />

Blick schöpferisch und progressiv scheint, tatsächlich<br />

aber<br />

sich nur um <strong>de</strong>n Preis einer ökologischen, kulturellen<br />

und wirtschaftlichen Hinterlassenschaft<br />

zu verwirklichen vermag, die kommen<strong>de</strong> Generationen<br />

aller Wahrscheinlichkeit nach verfluchen<br />

wer<strong>de</strong>n. ( ... )<br />

5. Der Mensch muss regiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Das vorrangige Problem unserer Zeit liegt nicht<br />

darin, dass wir uns von allen Autoritäten emanzipieren<br />

(wie uns die sogenannten Progressiven<br />

einre<strong>de</strong>n wollen), son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Gewinnung<br />

von regierbaren Ordnungen mit regierbaren<br />

Menschen. ( ... ) Angesichts <strong>de</strong>r ökologischen<br />

Krise, <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n Mangels an<br />

Rohstoffen, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Kernspaltung und <strong>de</strong>r<br />

Möglichkeit genetischer Manipulation zusammenhängen<strong>de</strong>n<br />

Probleme stehen ( ... ) Interessen<br />

auf <strong>de</strong>m Spiel, die keinen Anwalt unter <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen gesellschaftlichen Gruppen<br />

haben. Diese Interessen können nicht auf das<br />

interne Kräftespiel <strong>de</strong>r partikularen Kollektive<br />

<strong>de</strong>r Industriegesellschaft verwiesen wer<strong>de</strong>n;<br />

auch ein unter <strong>de</strong>m missverständlichen Begriff<br />

Demokratisierung forciertes Wachstum an<br />

Selbstverwaltung <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n wirtschaftlichen,<br />

kulturellen und sonstigen Organisationen Tätigen<br />

bietet keine Gewähr dafür, dass Interes-<br />

27<br />

sen, die faktisch alle teilen, auch mit Nachdruck<br />

wahrgenommen wer<strong>de</strong>n. Dieser allgemeinen<br />

Interessen kann sich nur <strong>de</strong>r Staat<br />

annehmen - und zwar in <strong>de</strong>m Maße, in <strong>de</strong>m er<br />

fähig und willens ist, auch <strong>de</strong>n Erpressungen<br />

organisierter partikularer Interessen zu wi<strong>de</strong>rstehen.<br />

( ... ).Arbeitgeber, Gewerkschaften,<br />

Industrie, Han<strong>de</strong>l, Landwirtschaft, Massenmedien<br />

stellen überaus wirksame Organisationen<br />

je bestimmter Gruppeninteressen dar; aber sie<br />

sind nicht imstan<strong>de</strong>, jene Interessen konkret-allgemeiner<br />

Art, die allen partikularen Interessen<br />

vorausliegen, zu ihrer eigenen Sache<br />

zu machen. ( ... )<br />

Es mag sein, dass diese For<strong>de</strong>rung nach einem<br />

starken Staat angesichts <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n<br />

Unregierbarkeit <strong>de</strong>r westlichen Län<strong>de</strong>r und<br />

<strong>de</strong>s verbreiteten Ressentiments gegen Herrschaft<br />

überhaupt utopisch wirkt. Für diese Utopie<br />

<strong>de</strong>r Konservativen spricht freilich, daß die<br />

entgegengesetzte Utopie eines Absterbens von<br />

Staat und politischer Herrschaft keine mögliche<br />

Alternative darstellt, da sie zu einem Totalitarismus<br />

<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Mächte<br />

wür<strong>de</strong>. ( ... )führen wür<strong>de</strong>. (...)<br />

6: Obwohl Teil <strong>de</strong>r Natur, biogenetisch in<br />

tiefsten Vergangenheiten verwurzelt und<br />

gesellschaftlich geprägt, wird <strong>de</strong>r Mensch<br />

unter seinem ihm möglichen Niveau begriffen,<br />

wenn er nicht als ein von Natur zur<br />

Freiheit berufenes Wesen geehrt wird.<br />

Freiheit wird vom Konservativen in ihrer dialektischen<br />

Spannung zur Bindung gesehen. ( ... )<br />

Im konservativen Freiheitsbegriff ist allemal<br />

auch das Moment <strong>de</strong>s Gehorsams gegenüber<br />

Bindungen enthalten, <strong>de</strong>ren Urheber nicht die<br />

partikulare Subjektivität ist, ohne dass er <strong>de</strong>shalb<br />

(...) Freiheit auf bloße Unterwerfung unter<br />

das Gesetz <strong>de</strong>r Institutionen zurückführen wür<strong>de</strong>.<br />

Vielmehr verhält es sich so, daß die Institutionen<br />

ihrerseits auf Leistungen angewiesen<br />

sind, die nur <strong>de</strong>r einzelne als freies Wesen<br />

vollbringen kann. Gegenüber je<strong>de</strong>m sozialen<br />

Monismus o<strong>de</strong>r Kollektivismus, <strong>de</strong>r das Heil<br />

von <strong>de</strong>r Gesellschaft erwartet, wird damit auf<br />

konservativer Seite die alte Lehre hochgehalten,<br />

dass das menschliche Individuum<br />

Selbstand hat, dass es, obwohl verflochten in<br />

mannigfaltige Abhängigkeiten und sich in diesen<br />

verwirklichend, doch auch "Zweck seiner<br />

selbst` ist. ( ... )<br />

Eine solche Lehre hat durchaus auch praktische<br />

Konsequenzen in politischer Hinsicht.<br />

Der für einen starken, über <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />

Gruppen stehen<strong>de</strong>n Staat eintreten<strong>de</strong><br />

Konservative ist keineswegs <strong>de</strong>r Meinung,<br />

dass die Regierung das Recht o<strong>de</strong>r die<br />

Pflicht habe, sich in alles und je<strong>de</strong>s ein zu mischen.<br />

Eine von einem starken Staat geschütz-


te freie Gesellschaft ( ... ) kann nicht bestehen,<br />

wenn man alle Verantwortung <strong>de</strong>m Staat zuschiebt.<br />

(...) Es wäre freilich zynisch, individuelle Verantwortung<br />

einer armen Gesellschaft zu predigen.<br />

In einer relativ reichen Gesellschaft sollte<br />

sie sich von selber verstehen. Wir haben uns<br />

daran gewöhnt, dass <strong>de</strong>r Staat immer mehr<br />

zum Versorgungsstaat wird und darüber seine<br />

im strengen Sinne <strong>de</strong>s Wortes staatlichen Aufgaben<br />

vernachlässigt. ( ... )<br />

Ist es wirklich zuviel verlangt, dass mündige<br />

Menschen, die heute mehr verdienen als <strong>de</strong>r<br />

alte Mittelstand, auch Verantwortung für sich<br />

und ihre Angehörigen übernehmen und zum<br />

Beispiel Kin<strong>de</strong>rerziehung, Altersversorgung<br />

und Sicherung für <strong>de</strong>n Krankheitsfall weitestgehend<br />

in eigener Regie treiben? Es ist eine<br />

kaum zu leugnen<strong>de</strong> Tatsache, daß wir auf die<br />

Dauer das weniger zu würdigen wissen, was<br />

wir durch anonyme Apparate scheinbar gratis<br />

zugewiesen erhalten. Deshalb geht auch die<br />

Rechnung nicht auf, dass die Loyalität <strong>de</strong>r Bürger<br />

in <strong>de</strong>m gleichen Maße zunimmt, in <strong>de</strong>m sie<br />

versorgungsstaatlich betreut wer<strong>de</strong>n. Im Gegenteil:<br />

<strong>de</strong>r administrativ betreute Mensch verfällt<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Staat immer mehr in eine<br />

passiv for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> "orale" Haltung, in jene "grenzenlose<br />

Pleonexie", die bereits Max Scheler<br />

(1874-1928) als einen beherrschen<strong>de</strong>n Zug<br />

unseres Jahrhun<strong>de</strong>rts bezeichnet hat. Das<br />

Wort Pleonexie be<strong>de</strong>utet Begehrlichkeit, Anmaßung,<br />

eine Grundhaltung infantilregressiven<br />

Glücksverlangens. ( ... )<br />

7. Der Mensch ist nicht nur ein gesellschaftliches,<br />

son<strong>de</strong>rn auch ein kosmisches Wesen.<br />

Zu <strong>de</strong>n Ordnungen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Mensch lebt<br />

und auf die er unaufhebbar angewiesen ist,<br />

gehört auch die Natur, die Ordnung <strong>de</strong>s Kosmos.<br />

Das Gebot <strong>de</strong>r Demut, das <strong>de</strong>n meisten<br />

Religionen eigentümlich ist, lässt sich im Hinblick<br />

auf diese Naturverhaftetheit <strong>de</strong>s Menschen,<br />

<strong>de</strong>r selber ein Teil <strong>de</strong>r Natur ist, auch<br />

ohne direkten Bezug auf religiöse Offenbarungen<br />

begrün<strong>de</strong>n.( ... )<br />

Heute wissen wir, dass die unseren eigenen<br />

Fortbestand als Gattung gefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Instabilität<br />

aller Lebensverhältnisse um so größer wird,<br />

je mehr wir als angeblich autonome, kein an<strong>de</strong>res<br />

Maß als das <strong>de</strong>r beliebigen Machbarkeit<br />

anerkennen<strong>de</strong> Herren in unsere Umwelt eingreifen.<br />

( ... ) Wenn wir uns in technischer,<br />

politischer und ökologischer Hinsicht nicht uneinsichtiger<br />

stellen wollen, als wir sind, dann<br />

ergibt sich angesichts <strong>de</strong>r Tatsache, dass heute<br />

zum erstenmal die menschliche Umwelt in<br />

28<br />

planetarischem Umfang zu einer abhängigen<br />

Variablen gewor<strong>de</strong>n ist, die unbedingte For<strong>de</strong>rung,<br />

dass je<strong>de</strong>r manipulative Eingriff in die<br />

Natur beweislastpflichtig ist. Die expansionistischen<br />

Neuerer haben die Beweislast dafür zu<br />

tragen, dass ihre Eingriffe die ökologischen<br />

Bedingungen nicht verschlechtern. Das ist eine<br />

erzkonservative For<strong>de</strong>rung, die sowohl für die<br />

kapitalistische als auch die sozialistische Organisation<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft in ihrer bisherigen<br />

Gestalt eine radikale Provokation be<strong>de</strong>utet.<br />

Denn bei<strong>de</strong>r Legitimationsi<strong>de</strong>ologie ist ein<br />

anthropozentrisches Menschenbild, das in<br />

seinen extremen Ausprägungen einen zur puren<br />

Wut gesteigerten Naturhass verrät. ( ... )<br />

In kosmischer Perspektive geht es keineswegs<br />

bloß um etwas mehr Umweltschutz, son<strong>de</strong>rn<br />

um das grundsätzlich neue Konzept einer Ordnung,<br />

die sich nicht selbst zerstört: einer ökologischen<br />

Frie<strong>de</strong>nsordnung, die die außermenschliche<br />

Natur nicht länger als bloßen<br />

Rohstoff o<strong>de</strong>r als Sklavin ansieht, son<strong>de</strong>rn als<br />

Partner mit eigenem Anspruch.<br />

Eine konservative Theorie, die diese Einsichten<br />

ernst nimmt, ist nicht romantisch, son<strong>de</strong>rn vernünftig<br />

und lebensgerecht. Sie steht vor <strong>de</strong>r<br />

paradoxen Aufgabe, ein Konzept revolutionärer<br />

Bewahrung zu entwickeln, <strong>de</strong>n Entwurf einer<br />

Ordnung, in <strong>de</strong>r Bewahren möglich und sinnvoll<br />

ist.<br />

(Gerd-Klaus Kaltenbrunner [Schriftsteller und Publizist;<br />

gilt als einer <strong>de</strong>r profiliertesten Vertreter <strong>de</strong>s<br />

zeitgenössischen <strong>de</strong>utschen Konservatismus], Sieben<br />

Thesen über <strong>de</strong>n Konservatismus; in: Konrad<br />

Bonkosch [Hrsg.], Kompendium <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

christlich-freiheitlichen Konservatismus. Bonn 1978,<br />

S. 109-<strong>12</strong>3)<br />

Bestimmungsmerkmale <strong>de</strong>s<br />

Neokonservatismus<br />

Wie unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r "neue Konservatismus"<br />

von <strong>de</strong>n älteren Formen <strong>de</strong>s konservativen<br />

Selbstverständnisses? Diese Differenz<br />

kann am ehesten, wie ich meine, auf <strong>de</strong>r Folie<br />

<strong>de</strong>s sogenannten technokratischen Konservatismus<br />

ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r von Theoretikern<br />

wie Hans Freyer, Arnold Gehlen, Ernst<br />

Forsthoff und Helmut Schelsky entwickelt wor<strong>de</strong>n<br />

ist: Ohne Zweifel war er bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er<br />

bzw. Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre die fortgeschrittenste<br />

Variante <strong>de</strong>s Konservatismus in <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik. Worin bestehen seine zentralen<br />

Aussagen? Stark vereinfacht, möchte ich<br />

folgen<strong>de</strong> Aspekte hervorheben:


Der technokratische Konservatismus vollzog<br />

insofern einen Bruch mit er konservativen Tradition<br />

<strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, als er sich von<br />

vorindustriellen Leitbil<strong>de</strong>rn verabschie<strong>de</strong>te und<br />

<strong>de</strong>n wissenschaftlich-technischen Fortschritt<br />

sowie das kapitalistische Wirtschaftssystem<br />

uneingeschränkt begrüßte. Diese Umorientierung<br />

brachte Franz Josef Strauß 1968 auf eine<br />

prägnante Formel, als er auf einem<br />

CSU-Parteitag verkün<strong>de</strong>te: "Konservativ sein<br />

heißt, an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s (technischen) Fortschritts<br />

marschieren."<br />

2. Der technokratische Konservatismus war<br />

von <strong>de</strong>m optimistischen Glauben an die selbststabilisieren<strong>de</strong><br />

Wirkung <strong>de</strong>r "wissenschaftlich-technischen<br />

Zivilisation", durchdrungen.<br />

Die bürgerliche Klassengesellschaft und ihre<br />

Antagonismen gehörten <strong>de</strong>r Vergangenheit an.<br />

Die Industriegesellschaft, <strong>de</strong>ren Stichworte<br />

"Vollbeschäftigung" und "Steigerung <strong>de</strong>s Sozialprodukts"<br />

seien, bin<strong>de</strong> die einzelnen und<br />

organisierten Interessen in einen unentrinnbaren<br />

Funktionszusammenhang, <strong>de</strong>ssen disziplinieren<strong>de</strong><br />

und integrieren<strong>de</strong> "Sachzwänge" die<br />

Klassengegensätze gegenstandslos erscheinen<br />

lasse.<br />

3. Auch die "Sinnfrage" für <strong>de</strong>n einzelnen in<br />

seinem konkreten Lebenszusammenhang wur<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>r Sicht technokratischer Konservativer<br />

vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt<br />

gelöst: Er erzwinge nämlich genau die Tugen<strong>de</strong>n<br />

und Motivationen, die er zu seiner Weiterentwicklung<br />

benötige, also Anpassungsbereitschaft,<br />

Loyalität, Selbstdisziplin und das freiwillige<br />

Mitmachen eines je<strong>de</strong>n einzelnen.<br />

4. Schließlich ging <strong>de</strong>r technische Konservatismus<br />

von <strong>de</strong>r Prämisse aus, dass Politik im<br />

traditionellen Sinne zunehmend durch die sogenannten<br />

."Sachzwänge" ersetzt wer<strong>de</strong>. Formen<br />

<strong>de</strong>mokratischer Teilhabe, so Schelsky,<br />

blieben als leere Hülsen zurück. Die Demokratie<br />

schaffe sich gleichsam selbst ab, weil es in<br />

<strong>de</strong>r Industriegesellschaft nur eine Legitimation<br />

von Handlungsbefugnissen gebe: für das jeweils<br />

anstehen<strong>de</strong> technische bzw. sozialtechnische<br />

Problem die jeweils beste technische<br />

Lösung zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Es ist klar, dass die Herrschaft <strong>de</strong>r sogenannten<br />

"Sachzwänge" einen zutiefst konservativen<br />

Kern hat. Sie löst die Herrschaft von Menschen<br />

über Menschen nicht auf, wie Schelsky in Anlehnung<br />

an Marx und Engels behauptet hat.<br />

Denn <strong>de</strong>r kleinen Elite von Experten steht abhängig<br />

die große Masse <strong>de</strong>r Bevölkerung gegenüber,<br />

die über das Herrschaftswissen <strong>de</strong>r<br />

Experten nicht verfügt. O<strong>de</strong>r - an<strong>de</strong>rs ausge-<br />

29<br />

drückt: Die wissenschaftlich-technische Zivilisation<br />

bil<strong>de</strong>t Kompetenzhierarchien heraus, die<br />

in ihrer Herrschaftsstruktur härter sind als die<br />

<strong>de</strong>r Feudal- und Stän<strong>de</strong>gesellschaft, auf die<br />

sich <strong>de</strong>r ältere Konservatismus bezogen hat.<br />

Meine These ist nun, dass die Geburt <strong>de</strong>s<br />

Neokonservatismus begann, als dieser technokratische<br />

Konservatismus Anfang <strong>de</strong>r70er Jahre<br />

in eine Krise geriet. Ich möchte ( ... ) auf die<br />

Umstän<strong>de</strong> hinweisen, die sie bewirkt haben.<br />

1. Die Studien <strong>de</strong>s Club of Rome machten<br />

einer breiten Öffentlichkeit die Grenzen <strong>de</strong>s<br />

Wachstums angesichts schrumpfen<strong>de</strong>r und<br />

nicht beliebig vermehrbarer Ressourcen bewusst.<br />

Gleichzeitig geriet mit <strong>de</strong>m konjunkturellen<br />

Einbruch von 1973 in <strong>de</strong>n meisten westlichen<br />

Industriegesellschaften die bisherige<br />

Kombination von industrieller Wachstumsgesellschaft<br />

und Wohlfahrtsstaat in Schwierigkeiten.<br />

Damit war die wirtschaftliche Grundlage<br />

<strong>de</strong>r technischen "Selbstintegration" <strong>de</strong>r Industriegesellschaft<br />

fraglich gewor<strong>de</strong>n.<br />

,2. Die Ökologieproblematik begann zunehmend<br />

ins Bewusstsein <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu<br />

treten. Die Wissenschaft und Technik mussten<br />

in <strong>de</strong>m Maße beträchtliche Autoritätseinbußen<br />

hinnehmen, wie sie sich außerstan<strong>de</strong> zeigten,<br />

auf die katastrophalen Nebenfolgen <strong>de</strong>s wissenschaftlich-technischen<br />

Fortschritts ein<strong>de</strong>utige<br />

Antworten zu geben. Diese Verunsicherung<br />

breiter Bevölkerungsschichten schaffte nun<br />

ihrerseits Bedingungen, unter <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik die neuen sozialen Bewegungen<br />

massenwirksamen Protest gegen die sogenannten<br />

Sachzwänge erheben konnten.<br />

3. Ein sogenannter "postmaterieller Wertewan<strong>de</strong>l"<br />

machte sich in Teilen <strong>de</strong>r Jugend bemerkbar.<br />

In einer im "Spiegel" veröffentlichten Untersuchung<br />

motivationaler Einstellungen Frankfurter<br />

Stu<strong>de</strong>nten, die Peter Glotz und Wolfgang<br />

Malanowski durchführten, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich, dass<br />

35 Prozent <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>n Begriff "Konsum"<br />

negativ besetzten, "und je<strong>de</strong>r dritte <strong>de</strong>r<br />

Befragten steht <strong>de</strong>m Begriff Pflicht ablehnend<br />

gegenüber; nur wenige, drei Prozent, äußern<br />

sich positiv. Aber auch <strong>de</strong>r Begriff „Fortschritt“<br />

wird nur von wenigen (elf Prozent) ein<strong>de</strong>utig<br />

positiv gewertet; mehr äußern Ablehnung (22<br />

Prozent) und Neutralität (25 Prozent); fast je<strong>de</strong>r<br />

zweite (40 Prozent) assoziiert im Begriff Fortschritt<br />

Vor- und Nachteile gleichzeitig". Die<br />

systemerhalten<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Leistung und<br />

<strong>de</strong>r Pflicht, auf die <strong>de</strong>r technokratische Konservatismus<br />

setzte, schien also bei einem relevanten<br />

Teil <strong>de</strong>r Jugendlichen in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

in Misskredit geraten zu sein.


Soweit ich sehen kann, reagierte <strong>de</strong>r Neokonservatismus<br />

auf diese Umbruchsituation vor<br />

allem auf vier Ebenen, die ich im folgen<strong>de</strong>n<br />

etwas näher charakterisieren möchte.<br />

a) Die Ebene <strong>de</strong>r Erziehungssituationen, auf<br />

<strong>de</strong>r versucht wird, die <strong>de</strong>stabilisieren<strong>de</strong>n Auswirkungen<br />

<strong>de</strong>s wissenschaftlich-technischen<br />

Fortschritts durch die Einübung sekundärer<br />

Tugen<strong>de</strong>n aufzufangen. (... )<br />

b) Die Ebene <strong>de</strong>s Politikverständnisses, auf <strong>de</strong>r<br />

sich immer stärker ein Freund-Feind-Denken<br />

Bahn bricht, das einen ein<strong>de</strong>utigen Primat <strong>de</strong>r<br />

Politik gegenüber <strong>de</strong>n organisierten gesellschaftlichen<br />

Interessen wie<strong>de</strong>rherzustellen<br />

sucht. ( ... ) Das neokonservative Selbstverständnis<br />

(<strong>de</strong>finiert) Politik vom Ausnahmezustand<br />

her: Sie wird gleichgesetzt mit <strong>de</strong>r autoritären<br />

Dezision <strong>de</strong>s starken Staates, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

inneren und äußeren Feind bestimmt und neutralisiert.<br />

Ohne Zweifel stellt das Aufleben <strong>de</strong>s<br />

Freund-Feind-Denkens innerhalb <strong>de</strong>s neokonservativen<br />

Lagers die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Brücke<br />

zum Rechtsradikalismus dar, auch wenn es<br />

analytisch und politisch dringend geboten erscheint,<br />

zwischen bei<strong>de</strong>n Strömungen zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

( ... )<br />

c) Die Ebene <strong>de</strong>s Sozialstaates, auf <strong>de</strong>r unter<br />

<strong>de</strong>m Stichwort "Unregierbarkeit" <strong>de</strong>r Angriff auf<br />

die sozialpolitischen Errungenschaften <strong>de</strong>r<br />

Arbeiterbewegung erfolgt. Als Indiz für<br />

,Unregierbarkeit" gelten wachsen<strong>de</strong> Kriminalität,<br />

wil<strong>de</strong> Streiks, Jugendunruhen, Vandalismus,<br />

aber auch Kriegsdienstverweigerung,<br />

Bürgerinitiativen, Alkoholismus, Drogenkonsum<br />

sowie die Aufmüpfigkeit <strong>de</strong>r Bürger gegen <strong>de</strong>n<br />

Staat, <strong>de</strong>r zunehmend für individuelle Lebensumstän<strong>de</strong><br />

verantwortlich gemacht wer<strong>de</strong>. ( ... )<br />

Doch die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Ursache für das "Elend<br />

<strong>de</strong>r Unregierbarkeit" sei <strong>de</strong>r Sozialstaat:<br />

Er trage entschei<strong>de</strong>nd dazu bei, dass die Erwartungshaltung<br />

<strong>de</strong>r Massen steigt. Da aber<br />

<strong>de</strong>ren "Begehrlichkeit" angesichts schrumpfen<strong>de</strong>r<br />

Zuwachsraten nur teilweise befriedigt wer<strong>de</strong>n<br />

könne, breche sich eine kollektive Enttäuschung<br />

und Unzufrie<strong>de</strong>nheit Bahn, die vorn<br />

Zerfall <strong>de</strong>s Lebensprinzips begleitet wer<strong>de</strong>.<br />

Dieser Zustand allgemeiner Frustration <strong>de</strong>ute<br />

seinerseits auf eine vorrevolutionäre Situation<br />

hin, <strong>de</strong>ren eigentliche politische Träger die<br />

Sozial<strong>de</strong>mokraten und die Gewerkschaften<br />

seien. ( ... )<br />

d) Die Ebene <strong>de</strong>s Geschichtsbil<strong>de</strong>s, auf <strong>de</strong>r die<br />

"Entsorgung" (Haberrnas) <strong>de</strong>r nationalsozialistischen<br />

Vergangenheit angestrebt wird. ( ... )<br />

30<br />

Wie konnte es zu dieser neokonservativen<br />

Ten<strong>de</strong>nzwen<strong>de</strong> kommen? Wie war es möglich,<br />

dass das neokonservative Ordnungs<strong>de</strong>nken<br />

nicht auf einen kleinen Kreis rechtslastiger<br />

Intellektueller beschränkt blieb, son<strong>de</strong>rn für<br />

zentrale Politikfel<strong>de</strong>r im Begriff ist, Formeln zu<br />

liefern, mit <strong>de</strong>nen sich Massen i<strong>de</strong>ntifizieren?<br />

Ohne Zweifel ist seine Massenwirksamkeit<br />

entschei<strong>de</strong>nd durch <strong>de</strong>n Konjunktureinbruch<br />

seit 1973 geför<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n: Insbeson<strong>de</strong>re mittelständische<br />

Schichten sahen ihre und ihrer<br />

Kin<strong>de</strong>r Privilegien bedroht und suchten nach<br />

Auswegen, die sie in frühkapitalistischen Verhaltensweisen<br />

fin<strong>de</strong>n zu können glaubten.<br />

(Richard Saage, Die neokonservative Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik / Mittelständische<br />

Schichten sahen ihre Privilegien bedroht. Auszug<br />

aus einem 1985 vor <strong>de</strong>m Arbeitskreis Forum kritischer<br />

Wissenschaft" an <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Universität<br />

gehaltenen Vortrag; zit. nach: Frankfurter Rundschau<br />

v. 25. 7. 1985, S. <strong>12</strong>)<br />

Strukturkonservatismus –<br />

- Wertkonservatismus<br />

Es gibt in unserer Gesellschaft vieles, was<br />

einer Anstrengung <strong>de</strong>s Bewahrens wert ist. Die<br />

Frage ist nur: Was kann und soll bewahrt wer<strong>de</strong>n,<br />

und wie kann dies geschehen?<br />

Schon auf die Frage, was zu konservieren sei,<br />

erhalten wir zwei sehr verschie<strong>de</strong>ne Antworten,<br />

die bei<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>mselben Begriff als konservativ<br />

bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Die eine zielt auf Strukturen:<br />

Zu bewahren sei unter allen Umstän<strong>de</strong>n<br />

und ohne Abstriche das ökonomische System<br />

mit seinen Machtstrukturen, zu erhalten seien<br />

die Einkommenshierarchien, auch wo sie auf<br />

skurrile Weise verzerrt sind, die Eigentumsordnung,<br />

auch wo sie <strong>de</strong>m Gemeinwohl im Wege<br />

steht, zu bewahren seien Normen <strong>de</strong>s Strafrechts,<br />

auch wo sie ihren Zweck verfehlen,<br />

Formen <strong>de</strong>s Welthan<strong>de</strong>ls, auch wo sie das<br />

nackte Leben ganzer Völker gefähr<strong>de</strong>n, nationale<br />

Ansprüche, auch wo die Geschichte<br />

längst darüber hinweggegangen ist, institutionelle<br />

Autorität, auch wo sie sich längst selbst<br />

verschlissen hat.<br />

Hier geht es offenkundig um die Konservierung<br />

von Machtpositionen, von Privilegien, von<br />

Herrschaft. Im Folgen<strong>de</strong>n wird daher von<br />

Strukturkonservatismus die Re<strong>de</strong> sein.<br />

Meist besteht <strong>de</strong>r geistige Fundus dieser Strukturkonservativen<br />

aus <strong>de</strong>m letzten Aufguss <strong>de</strong>s<br />

Liberalismus <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rtwen<strong>de</strong>. Sie geben


sich optimistisch, setzen nach wie vor Wachstum<br />

mit Fortschritt gleich, glauben an die<br />

menschliche Erfindungskraft, die schließlich -<br />

technokratisch - alles wie<strong>de</strong>r ins Lot bringe,<br />

verwechseln Erfolg mit Leistung, neigen zum<br />

Sozialdarwinismus, halten Gerechtigkeit für<br />

eine romantische Vokabel und sich selbst für<br />

Pragmatiker, weil sie es als Zeitverschwendung<br />

ansehen, über ihre eigenen Werturteile<br />

zu reflektieren.<br />

Dieser Strukturkonservatismus ist I<strong>de</strong>ologie im<br />

strengen Sinne <strong>de</strong>r Marxschen Definition:<br />

Überbau zum Schutz und zur Rechtfertigung<br />

von Herrschaft. Da die Machtstrukturen von<br />

heute am besten mit <strong>de</strong>n progressiven I<strong>de</strong>ologien<br />

von vorgestern abgesichert wer<strong>de</strong>n können,<br />

sind sogar die letzten Reste eines naiven<br />

Fortschrittsglaubens ins Lager <strong>de</strong>r Strukturkonservativen<br />

ausgewan<strong>de</strong>rt: Keine Angst, es wird<br />

sich alles wie<strong>de</strong>r einspielen, man muss uns nur<br />

machen lassen. (...)<br />

Dieser Strukturkonservatismus ist fast in allen<br />

Stücken <strong>de</strong>m entgegengesetzt, was die europäische<br />

Geschichte an christlich-konservativer<br />

Tradition hervorgebracht hat und was heute<br />

auch in Bereiche hinein ausstrahlt, die sich<br />

nicht auf diese Tradition berufen. Der Strukturkonservatismus<br />

gerät in Konflikt mit einem<br />

Konservatismus, <strong>de</strong>m es weniger um Strukturen<br />

als um Werte geht, <strong>de</strong>r beharrt auf <strong>de</strong>m<br />

unaufhebbaren Wert <strong>de</strong>s einzelnen Menschen,<br />

was immer er leiste, <strong>de</strong>r Freiheit versteht als<br />

Chance und Aufruf zu solidarischer Verantwortung,<br />

<strong>de</strong>r nach Gerechtigkeit sucht, wohlwissend,<br />

dass sie nie zu erreichen ist, <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>n<br />

riskiert, auch wo er Opfer kostet. In dieser Tradition<br />

haben Werte wie Dienst o<strong>de</strong>r Treue,<br />

Tugen<strong>de</strong>n wie Sparsamkeit o<strong>de</strong>r die Fähigkeit<br />

zum Verzicht noch keinen zynischen Beigeschmack.<br />

Dieser Konservatismus verficht die<br />

Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n und for<strong>de</strong>rt die Wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Sterbens zurück. Vor allem aber geht es<br />

ihm heute um die Bewahrung unserer natürlichen<br />

Lebensgrundlagen. Im Folgen<strong>de</strong>n sei<br />

daher von Wertkonservatismus die Re<strong>de</strong>.<br />

Dieser Konservatismus <strong>de</strong>r Werte war immer<br />

misstrauisch, wenn von Fortschritt, zumal vom<br />

technischen, die Re<strong>de</strong> war, er neigt heute gelegentlich<br />

dazu, sich durch die Ereignisse mehr<br />

bestätigt als herausgefor<strong>de</strong>rt zu fühlen. Er hat<br />

nie geglaubt, aus <strong>de</strong>m freien Spiel <strong>de</strong>r Kräfte<br />

müsse notwendig Gutes erwachsen. Auf die<br />

Frage angesprochen, wie dieses Gute zustan<strong>de</strong><br />

komme, hat er oft moralische Kräfte über-<br />

und Machtverhältnisse unterschätzt.<br />

Wertkonservatismus ist oft an Stellen lebendig,<br />

wo man ihn nicht vermutet: er war auch eine<br />

31<br />

<strong>de</strong>r Antriebskräfte <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntenrevolte. Viele<br />

Stu<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r späteren sechziger Jahre rebellierten,<br />

weil sie die Werte, von <strong>de</strong>nen man ihnen<br />

allzu viel gere<strong>de</strong>t hatte, von Machtstrukturen<br />

überrollt sahen, die ihnen fremd und feindlich<br />

gegenübertraten. Sie sahen, wie die Natur<br />

überfor<strong>de</strong>rt, die Umwelt vergiftet, solidarische<br />

Gemeinschaft verhin<strong>de</strong>rt, Menschenwür<strong>de</strong> - bei<br />

uns und noch mehr in <strong>de</strong>r Dritten Welt - mit<br />

Füßen getreten, <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r Gerechtigkeit<br />

verhöhnt, ihre Zukunft verspielt wur<strong>de</strong>.<br />

Die meisten Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen in <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik sind heute solche zwischen<br />

Strukturkonservativen und Wertkonservativen.<br />

Wenn eine Autobahn über <strong>de</strong>n Hochschwarzwald<br />

gebaut wer<strong>de</strong>n soll, verbün<strong>de</strong>n sich Jungsozialisten<br />

mit Bergbauern gegen Christ<strong>de</strong>mokraten<br />

und Industrieverbän<strong>de</strong>. Den einen<br />

geht es darum, <strong>de</strong>n Wert einer unvergleichlichen<br />

Landschaft zu bewahren, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren,<br />

das wirtschaftliche Wachstum zu sichern, ohne<br />

das sie die ökonomischen Machtstrukturen<br />

gefähr<strong>de</strong>t sehen. (...)<br />

Wenn <strong>de</strong>r Konkurrenzdruck in unserem Erziehungswesen<br />

zunehmend Psychosen, Neurosen<br />

und psychogene Erkrankungen hervorbringt,<br />

stellt sich die Frage, ob die Gesundheit<br />

unserer Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r ihre frühzeitige Einpassung<br />

in die Strukturen unserer Erfolgsgesellschaft<br />

Vorrang hat.<br />

Wenn Preisschwankungen auf <strong>de</strong>m Weltmarkt<br />

Millionen zum Tod verurteilen, haben wir zu<br />

wählen zwischen <strong>de</strong>m Wert von Menschenleben<br />

und einer Struktur <strong>de</strong>s Welthan<strong>de</strong>ls, bei<br />

<strong>de</strong>r wir bisher - zugegeben - nicht schlecht<br />

gefahren sind.<br />

Wenn gesicherter Frie<strong>de</strong> in Europa nur zu haben<br />

ist, wenn Grenzen nicht mehr in Frage<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n, müssen wir entschei<strong>de</strong>n, ob<br />

<strong>de</strong>r Wert <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns uns wichtiger ist als die<br />

verbale Aufrechterhaltung eines - wenn auch<br />

fiktiven - Nationalstaats von <strong>de</strong>r Maas bis an<br />

die Memel.<br />

Wenn, wie E. F. Schumacher sarkastisch fest-<br />

stellt, im entwickeltsten Land, in <strong>de</strong>n USA,<br />

"nicht die Mondfahrt, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Weg nach<br />

Hause, wenn es dunkel wird", das eigentliche<br />

Wagnis ist, rufen die Strukturkonservativen<br />

nach immer mehr Polizei, während Wertkonservative<br />

fragen, ob diese Welle <strong>de</strong>r Kriminalität<br />

nicht doch etwas mit <strong>de</strong>n Machtstrukturen<br />

einer Gesellschaft zu tun hat, die <strong>de</strong>n materiellen<br />

Erfolg zum Maßstab menschlichen Wertes<br />

erhebt und täglich die physische Gewalt in<br />

Wort und Bild glorifiziert. (...)<br />

Auch wenn wir zwischen <strong>de</strong>m Maßstab <strong>de</strong>s<br />

Lebensstandards und <strong>de</strong>r Lebensqualität zu<br />

wählen haben, geht es letztlich darum, ob wir


Werte o<strong>de</strong>r Strukturen bewahren wollen. Wer<br />

davon überzeugt ist, dass unser ökonomisches<br />

System die kommen<strong>de</strong>n Jahre nur dann ohne<br />

Korrekturen übersteht, wenn das wirtschaftliche<br />

Wachstum wie<strong>de</strong>r voll in Gang kommt,<br />

wird Wachstum zum obersten Ziel <strong>de</strong>r Politik<br />

erheben. Wer fragt, was für die Menschen welchen<br />

Wert habe, wird versuchen, daraus soziale<br />

Indikatoren abzuleiten und daran die Nützlichkeit<br />

wirtschaftlichen Wachstums zu messen.<br />

(Erhard Eppler, En<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong>. Von <strong>de</strong>r Machbarkeit<br />

<strong>de</strong>s Notwendigen. Stuttgart 1975, S. 28 – 31)<br />

"Die Technik hat die politische Unschuld<br />

schon lange verloren"<br />

Eberhard von Kuenheim zur Verantwortung <strong>de</strong>r<br />

Unternehmen und <strong>de</strong>n Umgang mit neuen<br />

Technologien: Konstruktive Mitwirkung<br />

Die Technik war über Jahrhun<strong>de</strong>rte mehr Segen<br />

als Fluch. Zwar wur<strong>de</strong>n durch neue Techniken<br />

oft schmerzliche Verän<strong>de</strong>rungen im Leben<br />

<strong>de</strong>r Menschen hervorgerufen: Kriege konnten<br />

durch neue Waffentechniken entschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n; soziale Krisen entstan<strong>de</strong>n durch neue<br />

Produktionstechniken. Denken Sie nur an <strong>de</strong>n<br />

Verfall <strong>de</strong>r Handwerkszünfte nach <strong>de</strong>r Einführung<br />

industrieller Metho<strong>de</strong>n im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />

Maschinen wur<strong>de</strong>n damals gestürmt. ,<br />

Aber solche Erschütterungen entstan<strong>de</strong>n ad<br />

<strong>de</strong>n Bruchstellen zwischen Alt und Neu. Hatte<br />

sich die Menschheit auf die technischen Neuerungen<br />

eingelassen, so erwiesen sie sich als<br />

vorteilhaft für alle, als Fortschritt und Segen. Zu<br />

friedlichen Zeiten mehrten sie <strong>de</strong>n Wohlstand<br />

<strong>de</strong>r Völker und führten sie auf nie erwartete<br />

Höhen. Lassen Sie mich das verkürzt auf die<br />

Formel bringen, die ich gerne an dieser Stelle<br />

verwen<strong>de</strong>: Das elektromagnetische Prinzip von<br />

Siemens und die Verbrennungsmotoren von<br />

Otto und Diesel haben die Welt mehr verän<strong>de</strong>rt<br />

als die Theorien von Marx und Lenin.<br />

Heute wird über Technik an<strong>de</strong>rs gedacht, differenzierter,<br />

auch verängstigter. "Die Verheißung<br />

<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Technik ist in Drohung umgeschlagen",<br />

schreibt Hans Jonas und fährt fort:<br />

"Was <strong>de</strong>r Mensch heute tun kann und dann, in<br />

<strong>de</strong>r unwi<strong>de</strong>rstehlichen Ausübung dieses Könnens,<br />

weiterhin zu tun gezwungen ist, hat nicht<br />

seinesgleichen in vergangener Erfahrung.“<br />

32<br />

Lassen Sie mich das, was Hans Jonas und<br />

vielen an<strong>de</strong>ren als bedrohlich erscheint, in drei<br />

Phänomenen zusammenfassen. Ich wer<strong>de</strong> an<br />

ihnen die Chancen <strong>de</strong>r Technik erläutern, die<br />

das mir vorgegebene Thema sind, aber auch<br />

die Gefahren; und mit ihnen möchte ich bewusst<br />

beginnen. -<br />

Die neuartigen Probleme entstehen<br />

1. durch die massenhafte Verbreitung <strong>de</strong>r<br />

technischen Zivilisation über <strong>de</strong>n ganzen<br />

Globus;<br />

2. durch die ungenügen<strong>de</strong> Entsorgung<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Resten technischen,<br />

Konsums und<br />

3. durch die riskante Anwendung wissenschaftlichen<br />

Wissens und technischer<br />

Geräte.<br />

Wohlstand für alle?<br />

Ich nannte als erstes Problem die massenhafte<br />

Verbreitung <strong>de</strong>r technischen Zivilisation. Gera<strong>de</strong><br />

sie ist <strong>de</strong>r genuine Auftrag <strong>de</strong>r Menschheit<br />

an Wirtschaft und Industrie. Skeptiker mögen<br />

das bezweifeln und darauf verweisen, dass es<br />

je<strong>de</strong>m einzelnen von uns zuför<strong>de</strong>rst um die<br />

Mehrung von Vermögenswerten geht, Aber wir<br />

alle zusammen besorgen die Ausstattung <strong>de</strong>r<br />

Menschen mit Gütern für <strong>de</strong>n Lebensunterhalt<br />

und zu Steigerung <strong>de</strong>r Daseinsmöglichkeiten.<br />

Wir schaffen <strong>de</strong>n „Wohlstand für alle", <strong>de</strong>r einmal<br />

von Ludwig Erhard, <strong>de</strong>m großen bayerischen<br />

Politiker, programmiert wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Was aber geschieht, wenn wirklich alle Menschen,<br />

das heißt jetzt fünf, in einem Jahrzehnt<br />

rund sechs Milliar<strong>de</strong>n Menschen diesen technischen<br />

Wohlstand reklamieren? Viele Völker<br />

mögen heute nicht einmal auf <strong>de</strong>m Zivilisationstand<br />

!eben, <strong>de</strong>r in Deutschland vor rund<br />

100 Jahren vorherrschte. Unser Wasserverbrauch<br />

hat sich seither mehr als verdreifacht:-<br />

pro Kopf von 50 auf 150 Liter täglich.<br />

Unser Verbrauch an Primärenergie stieg um<br />

das Zwanzigfache. Allein in <strong>de</strong>n letzten drei<br />

Jahrzehnten hat er sich mehr als verdoppelt.<br />

Was geschieht, wenn 6 Milliar<strong>de</strong>n Menschen<br />

soviel verbrauchen wollen? Man stelle sich<br />

allein die Motorisierung <strong>de</strong>r Bevölkerungen<br />

Sowjetrusslands und Chinas in nordamerikanischem<br />

Ausmaße vor!<br />

Mit unseren <strong>de</strong>rzeitigen Techniken wären dann<br />

die abschätzbaren fossilen Energievorräte<br />

dieses Planeten bald erschöpft. Aber die Lösung<br />

dieses Problems besteht nicht, wie die<br />

alternativen Bewegungen for<strong>de</strong>rn, in einer<br />

Verdrängung <strong>de</strong>s Automobils, generell in einem<br />

Ausstieg aus <strong>de</strong>r Technik. Unsere Chance<br />

besteht in <strong>de</strong>r Entwicklung neuer, auch alterna-


tiver Techniken. Das tat Technik übrigens<br />

schon immer und sie verwirklichte damit schon<br />

immer ein Stück Utopie: Buna war eine Alternative<br />

zum natürlichen Rohstoff Kautschuk,<br />

Indigo eine Alternative zum Purpur und die<br />

Kernkraft eine Alternative zur Kohle (ein Rohstoff,<br />

<strong>de</strong>r übrigens viel zu scha<strong>de</strong> ist, um verbrannt<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Mit Uran kann man nichts<br />

an<strong>de</strong>res anfangen).<br />

So scheint es auch jetzt noch utopisch, auf<br />

sogenannte regenerative Energien zu setzen,<br />

wie es manche Gruppen beson<strong>de</strong>rs wortreich<br />

tun. Zwar sind diese Energien bekannt, auch<br />

belasten. sie die Umwelt nicht wie die heute<br />

genutzten und gehen nie zu En<strong>de</strong>. Aber we<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Transport noch die Lagerung von Wasserstoffgas<br />

sind für Großserienanwendungen<br />

technisch bereits beherrscht. Auch ist es Utopie<br />

zu glauben, Solarenergie könnte nennenswerte<br />

Be<strong>de</strong>utung erlangen, solange noch die<br />

Kilowattstun<strong>de</strong> Energie aus fossilen Brennstoffen<br />

bei uns rund fünfzehn Pfennige, in Län<strong>de</strong>rn<br />

mit Kohle zu Weltmarktpreisen sogar nur acht<br />

bis neun Pfennige kostet; während die Energie<br />

aus Sonne und Wasserstoff das rund Zwanzigfache<br />

an Aufwand erfor<strong>de</strong>rt.<br />

In die acht bis fünfzehn Pfennige sind allerdings<br />

die enormen Kosten für die Entwicklung<br />

einer neuen Technologie nicht einkalkuliert, die<br />

die CO2-Belastung <strong>de</strong>r Atmosphäre durch die<br />

Emissionen aus Kohlekraftwerken, Haushaltsheizungen<br />

und Kraftverkehr vermei<strong>de</strong>t. Solarenergie<br />

und Wasserstoff nutzbar zu machen,<br />

ist daher eine Herausfor<strong>de</strong>rung an unsere Ingenieure,<br />

es ist ein technisches Zukunfts- und<br />

<strong>de</strong>nnoch schon Gegenwartsprogramm. Vielleicht<br />

darf ich hier ein Beispiel aus meinem<br />

Haus anführen.<br />

BMW-Forschungsautomobile mit Wasserstoffantrieb<br />

laufen seit vielen Jahren im Probebetrieb.<br />

Eines Tages - aber das mag noch<br />

jahrzehnteweit weit weg sein -, wer<strong>de</strong>n sie<br />

allen zur Verfügung stehen<br />

.Dieser Sachverhalt lässt sich verallgemeinern.<br />

Wir haben die Chance ohne Plün<strong>de</strong>rung unseres<br />

Planeten <strong>de</strong>r ganzen Erdbevölkerung<br />

jenes Maß an Mobilität, an Hygiene, an Informationsstand<br />

und Lebensgütern zu verschaffen,<br />

das für uns Mitteleuropäer „Wohlstand"<br />

be<strong>de</strong>utet. Aber wir sind aufgerufen, dazu neue,<br />

teilweise revolutionär neue, alternative. Technologien<br />

aufzuspüren, zu erproben und anzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Dazu bedarf es Zeit und daher Geduld. Um<br />

einer gesicherten Zukunft willen müssen wir die<br />

Chancen nutzen, die uns die Investitionen in<br />

33<br />

solche Forschungen eröffnen, auch wenn wir<br />

nicht wissen, ob und wann wir welche Lösungen<br />

schaffen.<br />

Umweltbelastungen<br />

Können wir uns angesichts <strong>de</strong>r mit diesen Aufgaben<br />

vermutlich verbun<strong>de</strong>nen Geschäfte<br />

nunmehr beruhigt zurücklehnen? Ich fürchte:<br />

nein. In früheren Zeiten mochte es für das.<br />

Unternehmertum genügt haben, wenn es für<br />

die Versorgung <strong>de</strong>r Menschen mit Lebensgütern<br />

tätig war. Heute sind wir aufgerufen, auch<br />

<strong>de</strong>r Entsorgung unser Augenmerk zuzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Durch die massenhafte Verwendung technischer<br />

Güter wer<strong>de</strong>n Müll und Son<strong>de</strong>rmüll zu<br />

einem wachsen<strong>de</strong>n Problem. Die Zahl <strong>de</strong>r nicht<br />

recyclebaren Giftstoffe nimmt eher zu als ab,<br />

und selbst Spurenelemente in nur einem Gegenstand<br />

können bei massenhafter Anwendung<br />

Umweltschä<strong>de</strong>n auslösen. (Dabei ist es<br />

nur mo<strong>de</strong>rnsten Messtechniken zuzuschreiben,<br />

dass solche Spuren heutzutage wahrgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n!)<br />

Recycling-Technologien sind daher gefragt.<br />

Das ist eine Chance für viele Unternehmen und<br />

für alle Anwen<strong>de</strong>r eine Pflicht. Es ist aber auch<br />

ein politisches Problem. Nicht je<strong>de</strong> Entsorgung<br />

ist unangefochten. Mit Müllverbrennungs- und<br />

Wie<strong>de</strong>raufarbeitungsanlagen stößt die Technik<br />

in politisch sensible Zonen vor. Weil es um die<br />

Zukunft <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s geht, müssen hierzu politische.<br />

Entscheidungen getroffen wer<strong>de</strong>n. Nur<br />

sind die Politiker dabei auf die Expertisen <strong>de</strong>r<br />

Ingenieure angewiesen. Auf jene fällt daher die<br />

eigentliche Verantwortung, und ein Herausre<strong>de</strong>n<br />

gibt es nicht. Die Technik hat die<br />

politische Unschuld lange schon verloren.<br />

Soll man solche Entscheidungen <strong>de</strong>r ganzen<br />

Bevölkerung überantworten!. Mit <strong>de</strong>m Stichwort<br />

Zwentendorf, <strong>de</strong>m betriebsfertigen, aber nach<br />

gegenteiligem österreichischem Volksentscheid<br />

nicht in Betrieb genommenen Kernkraftwerk<br />

ist eine Facette dieses Handlungsmusters<br />

umrissen. Sie wer<strong>de</strong>n sich erinnern,<br />

dass jener Volksentscheid mit <strong>de</strong>m knappestmöglichen<br />

Ergebnis en<strong>de</strong>te. In <strong>de</strong>r Balance von<br />

Hoffnung und Sorgen hatten letztere das marginal<br />

größere Gewicht.<br />

Nicht mit <strong>de</strong>m kühlen Kopf allein, son<strong>de</strong>rn auch<br />

mit <strong>de</strong>m heißen Herzen wur<strong>de</strong> hier entschie<strong>de</strong>n.<br />

Dies beklage ich nicht. Aber ich plädiere<br />

für Entscheidungsprozesse unter Verantwortlichen.<br />

Dazu sind in unserer Kultur die Wissenschaft,<br />

die Technik, die Politik und die Verwaltung,<br />

aufgerufen, nicht aber die politische<br />

Großkundgebung.<br />

Politik und Technik sind in vielfältiger Weise<br />

aufeinan<strong>de</strong>r angewiesen. Ich verkenne nicht


<strong>de</strong>n Rechtfertigungszwang <strong>de</strong>s Politikers gegenüber<br />

seinen Wählern. Auch herrscht im<br />

Wählerpotential häufig erheblicher Sachverstand<br />

vor. Der Informationsstand ist - nicht zuletzt<br />

durch das Berichtswesen <strong>de</strong>r Industrie -<br />

sehr hoch. Dennoch dominieren in Versammlungen<br />

bei <strong>de</strong>r Erörterung technischer Probleme<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft, Rhetorik und - eingestan<strong>de</strong>nermaßen<br />

– Angst.<br />

Ich halte nichts von <strong>de</strong>r vorbehaltlosen Übertragung<br />

naturwissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse auf die<br />

Welt sozialer und politischer Gestaltung. Zwar<br />

dürfen wir das Schicksal <strong>de</strong>r Welt nicht <strong>de</strong>n<br />

Weltverbesserern anvertrauen. Aber wir dürfen<br />

uns auch nicht an <strong>de</strong>ren Stelle setzen. Behutsamkeit<br />

ist angebracht.<br />

Der Technikskepsis unserer Tage liegt eine<br />

verständliche Vertrauenskrise zugrun<strong>de</strong>, die<br />

auf <strong>de</strong>r Undurchschaubarkeit technischer Zusammenhänge<br />

beruht. Frühere Generationen<br />

erlebten Gefahren direkt, sozusagen hautnahe.<br />

Die heutigen Gefahren hingegen sind mit<br />

Schlagwörtern beschrieben, die sehr abstrakt<br />

und unverständlich klingen. Die fast ausweglosen<br />

Diskussionen über <strong>de</strong>n Umfang und die<br />

Auswirkungen <strong>de</strong>s Fallout nach <strong>de</strong>m Reaktorunglück<br />

in Tschernobyl zeigten es. Die Technik<br />

steht seither vermehrt im Kreuzfeuer von Kritik<br />

und Verhör bei Millionen Menschen.<br />

Gegen einen solchen Gang <strong>de</strong>r Dinge hilft nur<br />

<strong>de</strong>r Aufbau von Vertrauen; so schwer dies ist.<br />

Politiker stehen dabei oft allein. Vielleicht sollten<br />

wir uns häufiger‘ in die Bresche schlagen<br />

und mit <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s Sachkenners unsere<br />

eigenen Projekte selbst verteidigen.<br />

Haben wir keine Berührungsängste, auch nicht<br />

gegenüber <strong>de</strong>n Grünen! Trotz aller Utopie, die<br />

uns aus ihren Handlungsempfehlungen entgegendringt,<br />

wissen wir, dass sie etwas bewirken.<br />

Sie manövrieren und experimentieren in unbekannten<br />

Gewässern. Viele, ja die meisten dieser<br />

grünen Boote laufen - wenn ich weiter in<br />

<strong>de</strong>m gewählten Bild sprechen darf - auf Sand.<br />

Manche mögen allerdings neue Kanäle ausstechen.<br />

Schiffbar erscheinen sie anfangs<br />

meist nur kleinen Gruppen in schwanken<strong>de</strong>n<br />

Booten.<br />

Zunächst abweichen<strong>de</strong> Maßstäbe wer<strong>de</strong>n in<strong>de</strong>ssen<br />

manchmal später gelten<strong>de</strong> Regel. Die<br />

Grünen organisieren Randgruppen und integrieren<br />

sie in <strong>de</strong>n gesellschaftlichen und politischen<br />

Dialog. Wir müssen das, was sie zu<br />

sagen haben, nicht immer richtig fin<strong>de</strong>n; wir<br />

können es in Anbetracht unseres konkreten<br />

Wissens in vielen Fällen auch nicht billigen. Es<br />

wäre trotz<strong>de</strong>m gut, wenn auch hier <strong>de</strong>r Dialog<br />

funktionierte.<br />

34<br />

Riskante Anwendungen<br />

Bei solchen Dialogen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Ingenieuren<br />

immer wie<strong>de</strong>r die augenfälligen Beispiele<br />

menschlichen Fehlverhaltens vor Augen gehalten.<br />

Ich komme damit - zum dritten großen<br />

Problemkreis meiner Erörterungen und nenne<br />

die Schlussfolgerung gleich vorab: Technik<br />

kann nur dann unsere Chance sein, wenn wir<br />

mit ihr verantwortungsbewusst umgehen. Die<br />

Politiker, ja alle Menschen schlügen sie uns<br />

sonst aus <strong>de</strong>r Hand.<br />

Dass diese Verantwortung eine ganz neue,<br />

bisher nicht gefor<strong>de</strong>rte Dimension hat, ist uns<br />

bewusst. Die neuen Zeit- und Raumhorizonte<br />

unseres Han<strong>de</strong>lns übersteigen das gewohnte<br />

Maß eines Augenblicks und eines Ortes. Hans<br />

Jonas spricht vom „quasi eschatologischen",<br />

also <strong>de</strong>m gera<strong>de</strong>zu endzeitlichen Potenzial<br />

unserer technischen Prozesse.<br />

Die gängigen Stichworte dazu sind Gentechnologie<br />

und Kernkraft. Aber dass es auch Spraydosen<br />

sein können, wird uns immer eindringlicher<br />

vorgehalten. Die möglichen Folgen verfolgen<br />

uns.<br />

Unsere Verantwortung macht dabei an <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Grenze nicht halt. Wir mögen stolz<br />

darauf sein, dass unser Know-how international<br />

gefragt ist. Aber wir haben die Aufgabe,<br />

auch hierbei einen ungerechtfertigten Umgang<br />

mit unseren "Blaupausen" in Rechnung zu<br />

stellen. Dazu ist politische Sensibilität vonnöten.<br />

Unser diesbezügliches Wissen muss <strong>de</strong>m<br />

hohen technischen Wissen entsprechen, über<br />

das wir verfügen. Die Welt rückt viel zu sehr<br />

zusammen, als dass wir uns aus diesem Teil<br />

<strong>de</strong>r Verantwortung für die Gestaltung <strong>de</strong>r Zukunft<br />

verabschie<strong>de</strong>n dürften.<br />

Technische Verfahren, die bei sorgfältigem<br />

Umgang <strong>de</strong>r Menschheit Nutzen stiften, können<br />

in unbefugten Hän<strong>de</strong>n zum Fluch wer<strong>de</strong>n.<br />

Muss aber die Möglichkeit eines verantwortungslosen<br />

Einsatzes <strong>de</strong>r Technik gleich die<br />

ganze Technik unverantwortbar machen? . Ich<br />

meine nicht; <strong>de</strong>nn selbst die. einfachsten<br />

Techniken sind gegen Missbrauch nicht gefeit.<br />

Der: Verantwortung für einen rechten<br />

Gebrauch unserer Waren und unseren<br />

Know-hows können wir uns nicht mehr entziehen:<br />

Das gilt auch noch in einer weiteren Hinsicht<br />

Wer die öffentliche Diskussion beobachtet,<br />

gewinnt <strong>de</strong>n Eindruck, dass wir uns in <strong>de</strong>r<br />

Großtechnik keine Fehler mehr leisten dürfen.<br />

Aber Menschen machen Fehler. Alle Menschen?<br />

Lange Zeit glaubten wir, dabei könne<br />

es sich bloß um Menschen in fernen Län<strong>de</strong>rn<br />

han<strong>de</strong>ln, auch wenn ihr Fehlverhalten auf uns


abstrahlte. Vor kurzem wur<strong>de</strong>n wir, eines an<strong>de</strong>ren<br />

belehrt.<br />

Wir brauchen technische Systeme, die Fehler<br />

tolerieren. Neue Technologien mit geringer<br />

Fehlertoleranz überfor<strong>de</strong>rn ihre Anwen<strong>de</strong>r und<br />

wer<strong>de</strong>n daher wohl zu Recht von <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

abgelehnt. Die Qualität technischer Problemlösungen<br />

wird sich in <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Jahren<br />

daher erstens darin erweisen, dass sie<br />

dauerhaft sind, zweitens aber auch daran, daß<br />

sie sich gutmütig im Gebrauch verhalten. In <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung solcher Lösungen liegen unsere<br />

Chancen.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch bleibt ein Rest Unbehagen. Was<br />

nützt das fehlertolerante System, über das <strong>de</strong>r<br />

Airbus verfügt, wenn ein Pilot, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Trick kennt, es einfach abschalten<br />

kann? Sie erinnern sich <strong>de</strong>s Absturzes im vergangenen<br />

Jahr bei Mühlhausen. Technik zu<br />

erzeugen und Technik zu nutzen muss be<strong>de</strong>uten,<br />

moralisch zu han<strong>de</strong>ln. Ethik und Technik<br />

sind kein Gegensatz. Sie bedingen heute einan<strong>de</strong>r.<br />

Es ist kein Scha<strong>de</strong>n, dass es dahin kommt.<br />

Wenn wir die Folgen neuer Technologien abschätzen,<br />

ist auch Ethik gefragt. Philosophie<br />

und Technik - und die Sozialwissenschaften -<br />

müssen sich dazu häufiger begegnen. Sie sollten<br />

eine gemeinsame, Sprache fin<strong>de</strong>n. Vielleicht<br />

kommen sie darin auch zu gemeinsamen<br />

Analysen und Vorschlägen.<br />

Technologiefolgen-Abschätzung<br />

Die drei Problemkreise bedürfen zur Bewältigung<br />

vieler technischer Innovationen. Dazu ist<br />

nach allen Erfahrungen nur die Privatwirtschaft<br />

in <strong>de</strong>r Lage - trotz o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> wegen <strong>de</strong>s uns<br />

nachgesagten dominieren<strong>de</strong>n Gewinnstrebens.<br />

Wenn wir die staatlich gelenkten, i<strong>de</strong>ologisch<br />

ausgerichteten Volkswirtschaften dieses Erdballs<br />

mit unseren Verhältnissen vergleichen so<br />

fehlen bei jenen nicht nur das innovative Potential<br />

und die Anstöße aus eigenverantwortlicher<br />

Initiative. Es fehlt vielfach überhaupt ein<br />

Problembewusstsein. Es fehlt eine freie Presse,<br />

die solche, Bewusstseinsrückstän<strong>de</strong> auf<strong>de</strong>ckt<br />

und – äußerst lästig für das jeweilige<br />

Establishment - heftig kritisiert.<br />

Aber we<strong>de</strong>r die Presse noch, <strong>de</strong>r Markt leisten<br />

jene Auskünfte, die wir auf unsere Vorstöße in<br />

technisches Neuland erwarten: Wie umweltverträglich<br />

unsere Erfindungen sind, wie sozial<br />

verträglich unsere Vorhaben. Wir stehen als<br />

private, Unternehmer sehr häufig vor einer<br />

großen Mauer unbekannter Risiken. Und trotz<strong>de</strong>m<br />

müssen wir die Verantwortung zur Tat<br />

übernehmen, <strong>de</strong>nn "die Angst vor <strong>de</strong>m Risiko<br />

ist selbst ein Risiko". Das hat unser bayerischer<br />

Wissenschaftsminister Wolfgang Wild in<br />

35<br />

einem Vortrag über eine neue Ethik <strong>de</strong>r Technik<br />

kürzlich sehr treffend festgestellt.<br />

Für unser Han<strong>de</strong>ln brauchen wir daher <strong>de</strong>n<br />

Dialog mit <strong>de</strong>r Wissenschaft. Diese formiert<br />

sich dazu neu. Technologiefolgen-Abschätzung<br />

ist die da und dort aufkeimen<strong>de</strong> neue Disziplin.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r vielfältigen Rückkoppelungen,<br />

um die, es geht, sind <strong>de</strong>ren Spezialisten um die<br />

Schwierigkeit ihrer Aufgabe nicht zu benei<strong>de</strong>n.<br />

Wir Unternehmer aber sind auf-, gerufen, Erkenntnisse<br />

dieser neuen wissenschaftlichen<br />

Fel<strong>de</strong>r so ernst zu nehmen wie nur irgend einen<br />

an<strong>de</strong>ren Handlungsrahmen sonst- Bezeichnen<br />

wir auch dies als eine Chance! Gelingt<br />

uns die Zusammenarbeit hier, nehmen wir<br />

damit die große Chance wahr, dass Technik<br />

wie<strong>de</strong>r zu einem vertrauteren Gegenstand<br />

wird.<br />

Das gilt nicht nur für unser Verhältnis zur Außenwelt.<br />

Es gilt genauso für unsere eigenen<br />

Werke und Büros. Allein zur Aufrechterhaltung<br />

unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit<br />

ist eine hohe Produktivität erfor<strong>de</strong>rlich. Das soll<br />

hier weniger mein Thema sein als <strong>de</strong>r Einzug<br />

neuer Techniken in die Unternehmen und das<br />

sich dadurch wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Verhältnis <strong>de</strong>r Menschen<br />

zueinan<strong>de</strong>r.<br />

Der Kontakt mit <strong>de</strong>n Wissenschaften wird auch<br />

hier neue Chancen erschließen. Die Verwissenschaftlichung<br />

<strong>de</strong>r Industrie drückt sich bereits<br />

in <strong>de</strong>n computergestützten Design- und<br />

Produktionssystemen aus. Ein En<strong>de</strong> dieser<br />

Prozesse ist nicht absehbar. Das technische<br />

Grun<strong>de</strong>lement "Information" vermag <strong>de</strong>n Einsatz<br />

von Energien und Materie, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

technischen Grun<strong>de</strong>lementen, zu reduzieren-<br />

Auch die Schadstofferrussionen verringern<br />

sich. Professor Wild hat in <strong>de</strong>m von mir erwähnten<br />

Vortrag daher die Überzeugung ausgesprochen,<br />

daß wir zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>n hochentwickelten<br />

Industrielän<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Höhepunkt<br />

<strong>de</strong>r Umweltbelastung erreicht und vermutlich<br />

sogar überschritten haben. Seine Schlussfolgerung:<br />

"Wenn wir <strong>de</strong>r Umweltzerstörung wirksam<br />

begegnen wollen, dann ist die beste Strategie,<br />

<strong>de</strong>n technischen Fortschritt voranzutreiben,<br />

damit umweltbelasten<strong>de</strong> alte Technologien<br />

möglichst rasch durch eine umweltfreundliche<br />

mo<strong>de</strong>rne Technik abgelöst wer<strong>de</strong>n."<br />

Lassen Sie mich hinzufügen dass diese mo<strong>de</strong>rne<br />

Technik auch menschenfreundlicher ist.<br />

Durch sie entstehen neue Arbeitsverhältnisse,<br />

die einen organisatorischen Wandlungsprozess<br />

hervorrufen. Das linear-hierarchische Element<br />

nimmt ab; vernetzte Strukturen, die neue Kompetenzen<br />

erfor<strong>de</strong>rn, nehmen zu. Die menschliche<br />

Arbeit koppelt sich von <strong>de</strong>r Maschine ab.<br />

Sie wird in ihren Bewegungsabläufen selbständig.<br />

Gleichzeitig koppelt sie sich auch von <strong>de</strong>r<br />

Betriebslaufzeit <strong>de</strong>r Maschine ab und eröffnet


damit kapitalintensiven, fortschrittlichen technischen<br />

Lösungen neue Wege. Halten wir selbst<br />

damit Schritt?<br />

Die Taten' einzelner Ingenieure eilen oft <strong>de</strong>m<br />

Verständnis <strong>de</strong>r vielen voraus. Daher besteht<br />

unsere Aufgabe darin, uns möglichst umfassend<br />

auf die Zukunft vorzubereiten. Das gilt in<br />

<strong>de</strong>r Schule, noch mehr aber im Leben selbst<br />

Wir haben bisher die Möglichkeit gehabt, das<br />

Verständnis <strong>de</strong>r Menschen relativ rasch auf.<br />

die Höhe <strong>de</strong>r ihnen verfügbaren Technik anzuheben.<br />

Jetzt müssen sie erstmals mit einem<br />

Lernprozess beginnen, <strong>de</strong>r nicht mehr aufhört.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n lebenslang lernen müssen<br />

Rolle <strong>de</strong>s Unternehmers<br />

Was wir von unseren Mitarbeitern erwarten,<br />

müssen wir aber auch selbst leisten. Auch wir<br />

müssen lebenslang lernen. Wir müssen aufgeschlossen<br />

sein, selbst die Gefahren erkennen<br />

und die Konsequenzen unseres Tuns be<strong>de</strong>nken.<br />

Dies braucht nicht hinter <strong>de</strong>r vorgehaltenen<br />

Hand zu geschehen. Unser Wirken ist<br />

öffentlich, ja es vollzieht sich unter <strong>de</strong>n Augen<br />

einer kritischen Öffentlichkeit.<br />

Der unternehmerische Mensch ist gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r,<br />

<strong>de</strong>r auch öffentlich vor großen Problemen nicht<br />

zurückschreckt Da <strong>de</strong>ren Tragweite heute,<br />

unmittelbar je<strong>de</strong>m spürbar wird; erhalten Unternehmer,<br />

die sich hierin in Einklang mit <strong>de</strong>n<br />

Sorgen <strong>de</strong>r Menschheit befin<strong>de</strong>n, erstmals die<br />

Chance, <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s Unternehmertums<br />

selbst in unserer Gesellschaft zum Allgemeingut<br />

wer<strong>de</strong>n zu lassen.<br />

An<strong>de</strong>re - in <strong>de</strong>n USA und in England, - sind uns<br />

auf diesem Weg schon ein Stück vorausgegangen.<br />

Sie haben. Josef Schumpeter wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckt,<br />

<strong>de</strong>n, großen Ökonom, von <strong>de</strong>m<br />

man sagt, dass sein Name die nächsten 25<br />

Jahre prägen wird. Seine Vision von unserer<br />

Rolle in <strong>de</strong>r Gesellschaft wird wie<strong>de</strong>r geschätzt<br />

Der Pionierunternehmer, <strong>de</strong>n er beschrieb,<br />

erlebt weltweit eine Renaissance. Dieser Unternehmer<br />

verhilft im dynamischen Wettbewerb<br />

überlegenen Lösungen zum Durchbruch. Er<br />

treibt <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r "schöpferischen Zerstörung<br />

<strong>de</strong>s Überkommenen" voran. Er ist <strong>de</strong>r<br />

"Motor" für <strong>de</strong>n wirtschaftlichen, technischen<br />

und damit nicht zuletzt für <strong>de</strong>n gesellschaftlichen<br />

Fortschritt. Erweisen wir uns dieser Erwartungen<br />

würdig! ( ... )<br />

(Frankfurter Rundschau Nr. 93, 21.04.1989, S.10)<br />

36


Blockierer unter Druck<br />

VON MARTIN WINTER<br />

Die europäische Verfassung ist an <strong>de</strong>r Verfassung Europas<br />

gescheitert. Die Hoffnung auf einen gemeinsamen Willen hat sich<br />

als verfrüht erwiesen. Die große Perspektive einer starken,<br />

handlungsfähigen und weltzugewandten Europäischen Union ist<br />

über kleinliche Machtfragen ins Stolpern geraten. Das Debakel<br />

von Brüssel gibt <strong>de</strong>n Blick schonungslos frei auf <strong>de</strong>n Zustand<br />

Europas: Es ist noch nicht so weit. Tiefe Risse durchziehen die<br />

EU. Hier Integrationisten, <strong>de</strong>nen das Zusammenwachsen Europas<br />

auch <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>r Aufgabe nationaler Macht wert ist. Dort<br />

Utilitaristen, die die EU vor allem als einen Topf begreifen, aus<br />

<strong>de</strong>m man sich bedient. Dazwischen die Indifferenten. Dass am<br />

En<strong>de</strong> einer langen Debatte über das gemeinsame<br />

Selbstverständnis über diese Gräben keine belastbaren Brücken<br />

gebaut wer<strong>de</strong>n konnten, das ist die eigentliche Nie<strong>de</strong>rlage.<br />

Die Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r EU nach Osten trägt daran eine Mitschuld.<br />

Es war ein schwerer Fehler, die Erweiterung zu beschließen, ohne<br />

die Vertiefung gesichert zu haben. Dabei war von Anbeginn klar,<br />

dass die Aufnahmen nur dann nicht zur Lähmung <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft führen, wenn die sich handlungsorientierte innere<br />

Strukturen gibt, die ausreichend blocka<strong>de</strong>resistent sind. Der vom<br />

Reformkonvent vorgelegte Verfassungsvertrag leistet genau<br />

dieses. Für die Protagonisten <strong>de</strong>r Erweiterung muss es bitter sein,<br />

dass ihr Versprechen von Erweiterung und Vertiefung zugleich,<br />

nicht allein, aber doch wesentlich, an Polen gescheitert ist. [...]<br />

Um Europa auf <strong>de</strong>m Weg zu einer dynamischen Union <strong>de</strong>r<br />

Staaten zu führen, die nicht nur nach innen schaut, son<strong>de</strong>rn auch<br />

jener weltpolitischen Verantwortung gerecht wird, die ihr aus ihrer<br />

ökonomischen, militärischen und politischen Größe erwächst,<br />

müssen jetzt die europäischen Grün<strong>de</strong>rstaaten Frankreich, Italien,<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>, Belgien, Luxemburg und Deutschland die Initiative<br />

ergreifen. Als Mütter und Väter <strong>de</strong>s großen Vorhabens Europa<br />

stehen sie stärker als an<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Pflicht, es voranzutreiben.<br />

Das muss unter ausdrücklicher Einladung an alle geschehen, die<br />

integrationswillig sind. Es muss aber auch klare Grenzen ziehen<br />

zu jenen, die Europa Fesseln anlegen wollen. Denn es wäre das<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Europäischen Union, wenn sie sich ihre Richtung und<br />

ihre Geschwindigkeit von <strong>de</strong>n Langsamen und <strong>de</strong>n Unwilligen<br />

aufzwingen ließe.<br />

113 Politik-LK –Materialien – 26.11.04<br />

Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />

(FR 15. <strong>12</strong>. 2003, S. 3)<br />

Aufgaben:<br />

1. Legen Sie <strong>de</strong>n Gedankengang <strong>de</strong>s Autors dar.<br />

2. Worin sieht <strong>de</strong>r Autor die wesentlichen Grün<strong>de</strong> für das Scheitern<br />

<strong>de</strong>r EU-Verfassung?<br />

3. Prüfen Sie, ob durch das Scheitern <strong>de</strong>r EU-Verfassung die<br />

„Blockierer“ ihre Ziele erreicht haben. Gehen Sie dabei auf<br />

frühere Verträge ein.<br />

4. Inwieweit war die EU-Verfassung geeignet, das<br />

Demokratie<strong>de</strong>fizit <strong>de</strong>r EU abzubauen?<br />

Erwartungshorizont:<br />

Aufgabe 1(Gedankengang <strong>de</strong>s Autors) [4 Punkte]:<br />

Verfassung ist an <strong>de</strong>r Struktur Europas gescheitert. 1 Punkt<br />

Struktur ist gekennzeichnet durch kleinliche, nationale Machtfragen.1 Punkt<br />

Osterweiterung war zu früh. 1 Punkt<br />

Grün<strong>de</strong>rstaaten müssen die Zukunftsinitiative ergreifen, ohne Rücksicht auf<br />

die Unwilligen. 1 Punkt<br />

Aufgabe 2 (Grün<strong>de</strong> für das Scheitern) [11 Punkte]:<br />

Probleme <strong>de</strong>r EU zwischen Integration und Unterstützungssystem nicht<br />

geklärt.<br />

Integrationisten: Befürworter <strong>de</strong>s Zusammenwachsens, Akzeptanz <strong>de</strong>s<br />

Souveränitätsverlusts<br />

Utilitaristen: Sie wollen nur <strong>de</strong>n wirtschaftlichen und finanziellen Nutzen aus<br />

<strong>de</strong>r EU schöpfen. 6 Punkte<br />

Die Struktur <strong>de</strong>r EU ist zur Zeit noch geprägt von <strong>de</strong>r Blocka<strong>de</strong>möglichkeit<br />

einzelner Staaten o<strong>de</strong>r Staatengruppen. Ursächlich ist also die<br />

Abstimmungsregelung dafür verantwortlich, dass es keine Verfassung gibt.<br />

2 Punkte<br />

Schlussfolgerung:<br />

Die Verfassung ist daran gescheitert, dass zu viele integrationsunwillige<br />

Staaten beteiligt sind. 3 Punkte<br />

Aufgabe 3 (Erfolg <strong>de</strong>r Blockierer?) [14 Punkte]:<br />

Abstimmungsmodalitäten und Anzahl <strong>de</strong>r Kommissare sind bereits in<br />

früheren Verträgen festgelegt wor<strong>de</strong>n. 2 Punkte<br />

Abstimmungsmodalitäten zuletzt in <strong>de</strong>n Verträgen von Maastricht (1995),<br />

Amsterdam (1997) und Nizza (2001), früher bereits in <strong>de</strong>r Einheitlichen<br />

Europäischen Akte (1987): Einführung <strong>de</strong>r „qualifizierten Mehrheit“.<br />

3 Punkte<br />

Durch unterschiedliche Stimmengewichtung <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r auch<br />

Benachteiligung <strong>de</strong>r kleineren Län<strong>de</strong>r. 2 Punkte<br />

Das frühere Einstimmigkeitsgebot (das auf Frankreich zurückging) ist<br />

bereits seit Maastricht überwun<strong>de</strong>n. 2 Punkte<br />

Schlussfolgerung: Die Befürchtung kleinerer Län<strong>de</strong>r, überstimmt zu wer<strong>de</strong>n,<br />

ist nicht erst durch die EU-Verfassung ermöglicht wor<strong>de</strong>n; die Grün<strong>de</strong> für<br />

die Ablehnung sind vielmehr im agrarpolitischen Bereich (Spanien) bzw. im<br />

finanzpolitischen Bereich (Polen) o<strong>de</strong>r im strukturellen Aufbau <strong>de</strong>r EU zu<br />

suchen. 5 Punkte<br />

Aufgabe 4 (Demokratie<strong>de</strong>fizit) [11 Punkte]:<br />

Aspekte <strong>de</strong>s Demokratie<strong>de</strong>fizits <strong>de</strong>r EU:<br />

Parlament relativ inkompetent im Bereich <strong>de</strong>r Legislativen (trotz <strong>de</strong>s<br />

Gemeinsamen Standpunktes)<br />

Legislative durch die Angehörigen <strong>de</strong>r nationalen Exekutiven<br />

Europäische Exekutive (Kommission) wird durch die nationale Exekutive<br />

(=europäische Legislative) legitimiert. 5 Punkte<br />

Prinzipielle Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zuständigkeiten waren in <strong>de</strong>r EU-Verfassung<br />

nicht vorgesehen.<br />

Grün<strong>de</strong>: Die eigentliche Machtausübung erfolgt in <strong>de</strong>n Nationalstaaten<br />

durch die nationalen Exekutiven, die dort auch von Wählern wie<strong>de</strong>rgewählt<br />

wer<strong>de</strong>n wollen. 6 Punkte


Keine Verfassung – aber doch mehr als ein Stück Papier<br />

Mit <strong>de</strong>r Erklärung von Nizza ist <strong>de</strong>r Weg <strong>de</strong>r EU-Grundrechte-<br />

Charta längst nicht zu En<strong>de</strong><br />

Eigentlich hatte die <strong>de</strong>utsche Regierung, die die I<strong>de</strong>e einer<br />

Grundrechte-Charta im Juni 1999 während ihrer EU-Ratspräsi<strong>de</strong>ntschaft<br />

auf <strong>de</strong>m Gipfel in Köln auf <strong>de</strong>n Tisch <strong>de</strong>r Union<br />

gelegt hatte, an eine Aufnahme <strong>de</strong>s Rechtekatalogs in die europäischen<br />

Verträge gedacht. Doch <strong>de</strong>m stan<strong>de</strong>n massive<br />

Be<strong>de</strong>nken, vor allem aus Großbritannien aber auch aus einigen<br />

nordischen Staaten entgegen. Die lehnen je<strong>de</strong> Art von<br />

europäischer Verfassung aus <strong>de</strong>r Furcht ab, dass man sich damit<br />

auf <strong>de</strong>n Weg zu einem europäischen Bun<strong>de</strong>sstaat begeben<br />

könnte. So blieb <strong>de</strong>m EU-Gipfel in Nizza jetzt nur <strong>de</strong>r Weg einer<br />

„Erklärung“. Damit ist die von einem Konvent unter Vorsitz <strong>de</strong>s<br />

ehemaligen Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nten Roman Herzog in neun Monaten<br />

erarbeitete und in Form einer Verfassung geschriebene Charta für<br />

<strong>de</strong>n europäischen Bürger nicht direkt nutzbar. Er kann mit ihr nicht<br />

zu Gericht gehen und klagen.<br />

Aber das heißt nicht, dass die Charta nutzlos wäre bei <strong>de</strong>r<br />

Sicherung <strong>de</strong>r Grundrechte in <strong>de</strong>r EU. Als „Erklärung« drückt sie<br />

<strong>de</strong>n politischen Willen <strong>de</strong>r Mitgliedsstaaten aus und damit können<br />

<strong>de</strong>r Europäischen Gerichtshof, aber auch Gerichte in <strong>de</strong>n<br />

einzelnen Län<strong>de</strong>rn bei <strong>de</strong>r Auslegung europäischen Rechtes<br />

darauf zurückgreifen. In <strong>de</strong>r Praxis vor allem <strong>de</strong>s Gerichtshofes in<br />

Luxemburg kann das von großer Be<strong>de</strong>utung sein. Schon heute<br />

bedient man sich dort bei <strong>de</strong>r Interpretation <strong>de</strong>s EU-Rechtes auch<br />

an<strong>de</strong>rer als rein rechtlicher Quellen.<br />

So könnte, wenn auch durch die Hintertür erreicht wer<strong>de</strong>n, was<br />

<strong>de</strong>r eigentliche Sinn <strong>de</strong>r Charta ist: <strong>de</strong>m europäischen Bürger<br />

erstmals in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r EU ein Instrument an die Hand zu<br />

geben, seine Rechte individuell gegen die Union durchzusetzen.<br />

Die in mehr als 50 Artikel unterteilte Charta reicht von <strong>de</strong>n klassischen<br />

Freiheitsrechten <strong>de</strong>r Bürger bis zu sozialen und<br />

wirtschaftlichen Rechten.<br />

Verfassungsrechtliches Neuland betritt die Charta mit <strong>de</strong>m Verbot<br />

<strong>de</strong>s „reproduktiven Klonens von Menschen“.<br />

Mit <strong>de</strong>r Erklärung von Nizza ist <strong>de</strong>r Weg <strong>de</strong>r Grundrechte-Charta<br />

allerdings noch nicht zu En<strong>de</strong>, Auch wenn die Chancen noch recht<br />

gering sind, sie eines Tages als Bestandteil einer europäischen<br />

Verfassung zu verabschie<strong>de</strong>n, wird über ihren Rang weiter<br />

politisch verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Denn in Nizza wer<strong>de</strong>n sich die<br />

Staats- und Regierungschefs auf beson<strong>de</strong>res Drängen <strong>de</strong>r<br />

Deutschen wohl an diesem Wochenen<strong>de</strong> darauf einigen, von zirka<br />

2004 an eine weitere Reformanstrengung zu beginnen. Dann soll<br />

über eine klarere Kompetenzverteilung zwischen Europäischer<br />

Union und Mitgliedslän<strong>de</strong>rn verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n - ein beson<strong>de</strong>rer<br />

Wunsch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r.<br />

Das wildwuchsähnliche europäische Vertragssystem soll<br />

übersichtlicher und damit bürgerfreundlicher neugeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Und es soll <strong>de</strong>r Einstieg in eine europäische<br />

Verfassungsdiskussion gesucht wer<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>ren Kern die<br />

Grundrechte-Charta notwendig gehören müsste.<br />

Martin Winter (Nizza), in: Frankfurter Rundschau vom 8. <strong>12</strong>. 2000<br />

S. 7<br />

113 Politik-LK –Materialien – 26.11.04<br />

Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />

Aufgaben:<br />

1. Beschreiben Sie, was im Text unter <strong>de</strong>m Begriff „Grundrechte-<br />

Charta“ verstan<strong>de</strong>n wird.<br />

2. Begrün<strong>de</strong>n Sie anhand von Beispielen, warum die Grundrechte-<br />

Charta“ nicht unmittelbar Bestandteil <strong>de</strong>r Vertragstexte wur<strong>de</strong>.<br />

Gehen Sie dabei auf die <strong>de</strong>nnoch positive Beurteilung <strong>de</strong>r<br />

Charta durch <strong>de</strong>n Autor <strong>de</strong>s Textes ein.<br />

3. In Nizza wer<strong>de</strong>n auch weitere Vorschläge zur Reformierung <strong>de</strong>r<br />

EU zur Diskussion stehen. Beurteilen Sie die Erfolgsausssichten<br />

zur Realisierung einer europäischen Verfassung einerseits und<br />

<strong>de</strong>r übrigen Vorschlägen zur Demokratisierung <strong>de</strong>r EU<br />

an<strong>de</strong>rerseits.<br />

4. Überprüfen Sie die Behauptung, dass die EU an einem<br />

Demokratie<strong>de</strong>fizit lei<strong>de</strong>.<br />

Erwartungshorizont:<br />

Aufgabe 1:<br />

Grundrechte-Charta = gemeinsame Erklärung, die keinen<br />

rechtsverbindlichen Charakter hat<br />

Reine Absichtserklärung<br />

Sie hat für EU-Bürger keine Konsequenzen, da ihre Einhaltung vor keinem<br />

Gericht eingeklagt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Sie ist für EU-Gerichte lediglich erklären<strong>de</strong>r Text bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r<br />

übrigen Rechtsvorschrifte<br />

Sie beinhaltet<br />

- bürgerlich-liberale Grundrechte (Freiheitsrechte)<br />

- soziale Rechte<br />

- wirtschaftliche Rechte<br />

- Verbot <strong>de</strong>s reproduktiven Klonens (neues Recht)<br />

Aufgabe 2:<br />

Verschie<strong>de</strong>ne Staaten haben grundsätzlich Vorbehalte vor einer<br />

Ausweitung <strong>de</strong>s Rechtscharakters <strong>de</strong>r EU.<br />

Sie lehnen die Ausweitung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sstaates und damit die Reduzierung<br />

ihrer Souveränität ab.<br />

Zu diesen Län<strong>de</strong>rn gehören insbeson<strong>de</strong>re Frankreich und Großbritannien.<br />

Aufgabe 3:<br />

Grundsätzliche Be<strong>de</strong>nken bleiben erhalten, da nationale Politiker in<br />

nationalen Wahlen wie<strong>de</strong>rgewählt wer<strong>de</strong>n wollen; kein Verzicht auf<br />

nationale Machtausübung zu erwarten ist.<br />

Ausweitung <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>s europäischen Parlaments nicht zu erwarten,<br />

da die nationalen Politiker auf <strong>de</strong>r europäischen Ebene die Macht nicht aus<br />

<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n geben wollen.<br />

Die Anzahl <strong>de</strong>r Kommissionsmitglie<strong>de</strong>r wird nicht reduziert wer<strong>de</strong>n, da<br />

dies ein Einflussverlust <strong>de</strong>s jeweiligen betroffenen Nationalstaates be<strong>de</strong>utet.<br />

Das Einstimmigkeitsprinzip wird nur modifiziert, nicht aber zugunsten <strong>de</strong>s<br />

Mehrheitsprinzips abgeschafft wer<strong>de</strong>n.<br />

Urteil und Argumente<br />

Aufgabe 4:<br />

Demokratie<strong>de</strong>fizit = Europäische Legislative ist Ministerrat/Europa-<br />

Gipfel; die Minister sind aber nur nationalstaatlich <strong>de</strong>mokratisch legitimiert.<br />

Europa Parlament hat keine echte Gesetzgebungskompetenz; auch <strong>de</strong>r<br />

Gemeinsame Standpunkt wird durch die Kommission und <strong>de</strong>n Minister-<br />

Rat dominiert.<br />

Ins<strong>gesamt</strong> fehlt die <strong>de</strong>mokratische Legitimation als<br />

Repräsentationsorgan in <strong>de</strong>r Gesetzgebung


,,Wir wollen kein un<strong>de</strong>mokratisches Europa"<br />

Drei ehemalige Verfassungsrichter sehen einen „fatalen<br />

Verfassungskonflikt“ auf die Bun<strong>de</strong>srepublik zukommen, falls<br />

<strong>de</strong>mokratische Prinzipien wie Parlamentarismus und Wahlen Rechtsstaat<br />

und Sozialstaat, Fö<strong>de</strong>ralismus und Gewaltenteilung unter <strong>de</strong>r Vertiefung<br />

<strong>de</strong>r europäischen Integration litten.<br />

Die Verträge von Maastricht sind <strong>de</strong>r erste <strong>de</strong>utliche Schritt zu einem<br />

europäischen Bun<strong>de</strong>sstaat. Noch bevor die Dänen spektakulär nein zu<br />

ihnen sagten, regte sich auch bei uns Skepsis. Verfassungsjuristen wur<strong>de</strong><br />

bang bei <strong>de</strong>r Frage: Wieviel, o<strong>de</strong>r besser: Wie wenig Demokratie enthält <strong>de</strong>r<br />

Zukunftsentwurf von Europa? Wir fragten nach bei drei ehemaligen<br />

Verfassungsrichtern, Handwerkern unseres Grundgesetzes. Alle drei sind<br />

unverdächtig, Europa-Gegner zu sein; ja, sie sind überzeugte Europäer.<br />

Um so mehr überrascht die Schärfe, die Grundsätzlichkeit und <strong>de</strong>r<br />

Gleichklang ihrer Kritik. (...)<br />

Die fundamentalen <strong>de</strong>mokratischen Prinzipien sind in <strong>de</strong>r EG bisher<br />

vernachlässigt wor<strong>de</strong>n. Darüber führen alle drei Gesprächspartner Klage.<br />

Sie monieren das Wegsehen <strong>de</strong>r Politiker, <strong>de</strong>n Mangel an Diskussion, das<br />

fehlen<strong>de</strong> Problembewußtsein. Das EG-Recht wer<strong>de</strong> nicht von einem<br />

<strong>de</strong>mokratisch gewählten Parlament erlassen, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Kornmission<br />

und <strong>de</strong>m Ministerrat in Brüssel. Benda: ,,Das ist ein Übergang von <strong>de</strong>r<br />

Legislative auf die Exekutive. Damit gerät das Demokratieprinzip ins<br />

Rutschen, zumal das Europäische Parlament auch nach Maastricht beklagenswert<br />

schwach ist." Die Schwäche <strong>de</strong>s Straßburger Parlaments zeige<br />

sich am Fehlen <strong>de</strong>s Budgetrechts, <strong>de</strong>r Bestimmung über Haushalt und Geld<br />

- die vornehmste Kompetenz <strong>de</strong>s Parlaments.. Simon: ,,Das EG-Recht wird<br />

nicht durch parlamentarisch verantwortliche und vom Volk gewählte<br />

Gremien verabschie<strong>de</strong>t." Zu harscher Kritik, die von einer Rätediktatur in<br />

Brüssel spricht. sagt Simon knapp: “Das ist nicht ganz abwegig." Und<br />

weiter: „Ich hatte die Übertragung von Hoheitsrechten, welche die EG-<br />

Behör<strong>de</strong>n ermächtigt in Grundrechtsbereiche unserer Staatsbürger<br />

einzugreifen ohne parlamentarischen Unterbau -, für verfassungswidrig."<br />

Auf einen an<strong>de</strong>ren Gesichtspunkt weist Hesse hin, auf die parlamentarische<br />

Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung: ,,Was soll eigentlich die<br />

Regierung dort, wo sie an die Brüsseler Beschlüsse gebun<strong>de</strong>n ist,<br />

parlamentarisch verantworten können? Also auch die Kontrollrechte <strong>de</strong>s<br />

Bun<strong>de</strong>stages wer<strong>de</strong>n stark ausgehöhlt." (. ..)<br />

Alle drei ehemaligen Richter beanstan<strong>de</strong>n, daß hier lauter <strong>de</strong>mokratische<br />

Staaten aus bestem Willen einen un<strong>de</strong>mokratischen Überstaat schaffen.<br />

Simon.' ,,Man ist sich nicht ganz klar über <strong>de</strong>n staatsrechtlichen und völkerrechtlichen<br />

Charakter dieses neuen Europa. Das ist im Wirtschaftlichen<br />

gewachsen und politisch unterernährt geblieben ... Europa ist eben ein<br />

kompliziertes Gebil<strong>de</strong>."<br />

Benda: ,,Sollte sich die Gemeinschaft zu einem echten europäischen<br />

Bun<strong>de</strong>sstaat entwickeln, wie es Maastricht vorsieht, so ist die Position, das<br />

Schwergewicht für die Entscheidungen auf die Exekutive zu legen, nicht<br />

mehr zu halten. Wenn wir Europa wollen, und wir wollen es, dann müssen<br />

wir es auch als ein <strong>de</strong>mokratisches Gemeinwesen wollen. Ich je<strong>de</strong>nfalls<br />

wür<strong>de</strong> es nicht an<strong>de</strong>rs wollen!" Auch <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stag, ,,das zentrale<br />

Verfassungsorgan", verliere kräftig an Einfluß; er habe das nur noch nicht<br />

gemerkt. Konrad Hesse fragt: ,,Wie weit darf eigentlich die Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

diese I<strong>de</strong>ntitätsän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Grundgesetzes mitmachen - im Hinblick<br />

darauf, daß ihre eigene <strong>de</strong>mokratische Ordnung o<strong>de</strong>r bun<strong>de</strong>staatliche<br />

Ordnung im Kern nicht mehr gewahrt sind?" Und Simon: ,,Der europäische<br />

Bereich ist verfassungsrechtlich ganz schön durchsetzt mit Defiziten. Hier<br />

passieren auf schleichen<strong>de</strong> Weise außeror<strong>de</strong>ntlich tiefgreifen<strong>de</strong><br />

Verän<strong>de</strong>rungen, ohne daß unsere Staatsrechtslehre das beachtet und sagt,<br />

wie unmöglich das ist! Wenn wir Europa wollen, müssen wir mehr tun in<br />

Richtung auf das Europäische Parlament. Ich will kein Europa, wo ein paar<br />

Minister Entscheidungen treffen mit Folgewirkungen für unseren<br />

Grundrechtsbereich!“<br />

113 Politik-LK –Materialien – 26.11.04<br />

Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />

Hanno Kühnert: in: DIE ZEIT vom 26.6.1992<br />

Zit . nach Der Weg zur Europäischen Union,<br />

Reihe ‚Kontrovers‘ , hrsg. von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sz. f.<br />

Pol. Bildung Bonn 1995<br />

Aufgaben:<br />

1. Stellen Sie jeweils die wesentlichen Aussagen <strong>de</strong>r drei<br />

Verfassungsrichter zusammen.<br />

2. Beschreiben Sie die europäischen Institutionen und skizzieren Sie kurz<br />

<strong>de</strong>ren Funktionen.<br />

3. Erläutern Sie, worin die Verfassungsrichter die Gefahren <strong>de</strong>r<br />

europäischen politischen Ordnung sehen.<br />

4. Skizzieren und beurteilen Sie Möglichkeiten, <strong>de</strong>m europäischen<br />

politischen System zu größerer Akzeptanz in <strong>de</strong>r Bevölkerung zu verhelfen.<br />

Erwartungshorizont:<br />

Aufgabe 1:<br />

Benda: Legislative geht auf Exekutive über: un<strong>de</strong>mokratische Entwicklung<br />

Schwächen <strong>de</strong>s Parlaments: es hat kein Budgetrecht<br />

Zukunft <strong>de</strong>s europäischen Staates nur in <strong>de</strong>mokratischen Strukturen<br />

Simon: Keine Rechtsetzung durch <strong>de</strong>mokratisch Legitimierte<br />

Verfassungsrechtliche fragwürdige Rechtsetzung vor allem im<br />

Grundrechtsbereich<br />

Hesse: keine Regierungsverantwortlichkeit für EG-Recht<br />

kein Handlungsspielraum für nationale Parlamente<br />

Bun<strong>de</strong>stag wird ohne sein Wissen entmachtet;<br />

Aufgabe 2:<br />

Europäischer Rat<br />

Ministerrat<br />

Kommission<br />

Europäisches Parlament<br />

Beschreibung <strong>de</strong>r Institutionen und ihrer Funktionen<br />

Aufgabe 3:<br />

Vor allem Simon und Hesse sehen in <strong>de</strong>r politischen Entwicklung<br />

Gefahren:<br />

Das <strong>de</strong>mokratische Grundprinzip, wonach <strong>de</strong>mokratisch Legitimierte (=<br />

Parlamente) nur Recht setzen können, wird ausgehöhlt.<br />

Bun<strong>de</strong>stag stimmt seiner eigenen Entmachtung zu.<br />

Regierungen sind für ihre politischen Entscheidungen vor <strong>de</strong>m Parlament<br />

nicht mehr verantwortlich.<br />

Aufgabe 4:<br />

Möglichkeiten:<br />

Kommission müßte Vorlagen an EU-Parlament zur Entscheidung geben.<br />

Entscheidungen <strong>de</strong>s Ministerrates o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Europäischen Gipfels müßten<br />

vom EU-Parlament bestätigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Europäisches Parlament müßte Rechtsetzungsfunktion haben.<br />

O<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Möglichkeiten<br />

bewertet wird die Argumentation.


Neue Weltwirtschaftsordnung<br />

Ungleiche Wirtschaftsbeziehungen - Erbe <strong>de</strong>s Kolonialismus<br />

Zwischen einzelnen Län<strong>de</strong>rn und Staatengruppen, insbeson<strong>de</strong>re aber zwischen <strong>de</strong>n Industrie- und <strong>de</strong>n<br />

Entwicklungslän<strong>de</strong>rn bestehen vielfältige wirtschaftliche Verflechtungen. Die Industrielän<strong>de</strong>r produzieren<br />

und han<strong>de</strong>ln mit industriellen Fertigprodukten, die hohe, ständig steigen<strong>de</strong> Preise auf <strong>de</strong>m Weltmarkt<br />

erzielen. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r sind Lieferanten von Rohstoffen und Halbfertigwaren, <strong>de</strong>ren<br />

Weltmarktpreis <strong>de</strong>utlich niedriger ist. Diese ungleichen Wirtschaftsbeziehungen bil<strong>de</strong>ten sich im Zeitalter<br />

<strong>de</strong>s Kolonialismus heraus und spiegeln die Abhängigkeit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn<br />

wi<strong>de</strong>r. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r sind abhängig von Gütern, Dienstleistungen, Geld, Informationen und<br />

an<strong>de</strong>ren Leistungen aus <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn, weil sie wirtschaftlich einseitig und gering entwickelt sind.<br />

Weltwirtschaftsordnung - was ist das?<br />

Die Wirtschaftsodnung zeigt ein großes<br />

Ungleichgewicht zu Ungunsten <strong>de</strong>r<br />

Entwicklungslän<strong>de</strong>r. Diese spielen in <strong>de</strong>r<br />

Weltwirtschaft nur eine untergeordnete Rolle,<br />

obwohl auf sie die Mehrheit <strong>de</strong>r Weltbevölkerung<br />

entfällt.<br />

© wissen media Verlag GmbH, Gütersloh<br />

Die Weltwirtschaft umfasst die Gesamtheit <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Beziehungen und Verflechtungen <strong>de</strong>r<br />

Staaten miteinan<strong>de</strong>r. Dazu gehören die internationale Arbeitsteilung und die damit verbun<strong>de</strong>ne räumliche<br />

Differenzierung <strong>de</strong>r Güterproduktion, <strong>de</strong>r Welthan<strong>de</strong>l und <strong>de</strong>r internationale Zahlungsverkehr. Die<br />

Weltwirtschaftsordnung gibt die Struktur und die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen vor,<br />

nach <strong>de</strong>nen sich die weltweite Wirtschafts- und Han<strong>de</strong>lspolitik ausrichtet. Internationale Institutionen und<br />

Organisationen (z.B. Weltbank, Welthan<strong>de</strong>lsorganisation), Han<strong>de</strong>lsverträge, Zoll- und<br />

Währungsabkommen dienen <strong>de</strong>r Überwachung, Beeinflussung und Steuerung <strong>de</strong>r internationalen<br />

Wirtschaftsbeziehungen. Die Hauptakteure in <strong>de</strong>r Weltwirtschaft sind die Industrie- und die<br />

Entwicklungslän<strong>de</strong>r, zwischen <strong>de</strong>nen starke wirtschaftliche Beziehung bestehen.<br />

Die aktuelle Weltwirtschaftsordnung<br />

Die gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung beruht auf <strong>de</strong>n Wirtschaftsbeziehungen, die sich einst zwischen<br />

Kolonialmacht und Kolonie herausgebil<strong>de</strong>t haben. Alle wichtigen Akteure <strong>de</strong>r Weltwirtschaft wie<br />

Welthan<strong>de</strong>lsorganisationen, Weltbank und multinationale Konzerne beherrschen von <strong>de</strong>n<br />

Industrielän<strong>de</strong>rn aus die Weltwirtschaft. Die Programme von Weltbank und Internationalem<br />

Währungsfonds dienen großenteils <strong>de</strong>n wohlhaben<strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn zur Durchsetzung <strong>de</strong>r eigenen<br />

Interessen. Direktinvestitionen <strong>de</strong>r multinationalen Konzerne in <strong>de</strong>n Entwicklungslän<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n


vorwiegend zur Sicherung von Rohstoffquellen getätigt, zur Lohnkostenersparnis und Senkung von<br />

Nebenkosten (Umweltschutz, Transport, Zoll usw.) sowie zur Sicherung von Absatzmärkten.<br />

Kennzeichen <strong>de</strong>r gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung ist die starke wirtschaftliche<br />

Abhängigkeit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn.<br />

© wissen media Verlag GmbH, Gütersloh<br />

Auf die Industrielän<strong>de</strong>r entfallen zwar nur 15% <strong>de</strong>r Weltbevölkerung, sie kontrollieren jedoch drei Viertel<br />

<strong>de</strong>s <strong>gesamt</strong>en Welthan<strong>de</strong>ls. Dagegen haben die ärmsten und am wenigsten entwickelten Län<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />

Weltexporten nur einen Anteil von knapp 1%. Viele Industrielän<strong>de</strong>r bemühen sich zu<strong>de</strong>m, ihre eigene<br />

Industrie durch Importbeschränkungen vor <strong>de</strong>r Konkurrenz billigerer Produkte aus Entwicklungslän<strong>de</strong>rn<br />

zu schützen. Vor allem aber lei<strong>de</strong>n die Entwicklungslän<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n relativ niedrigen Weltmarktpreisen<br />

für Rohstoffe und Agrarprodukte und <strong>de</strong>n dadurch bedingten ungleichen Tauschverhältnissen zwischen<br />

Export- und Importwaren. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r hängen vom Rohstoffbedarf ihrer Abnehmer, <strong>de</strong>r<br />

Industrielän<strong>de</strong>r, ab und Letztere bestimmen ihrer Marktmacht entsprechend die Preise und damit die<br />

Einnahmen <strong>de</strong>r Lieferlän<strong>de</strong>r.<br />

Die neue Weltwirtschaftsordnung<br />

Die Regierungen <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r for<strong>de</strong>rn zu Recht eine neue Weltwirtschaftsordnung, bei <strong>de</strong>r sie<br />

nicht von <strong>de</strong>n wirtschaftlich stärkeren Industrielän<strong>de</strong>rn ausgebeutet wer<strong>de</strong>n son<strong>de</strong>rn gleichberechtigter<br />

Partner sind. Eine neue, gerechtere Weltwirtschaftsordnung konnte aber wegen <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Industrielän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>s Einflusses <strong>de</strong>r multinationalen Konzerne bis heute nicht verwirklicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r for<strong>de</strong>rn eine neue Weltwirtschaftsordnung, die eine gerechte und<br />

ausgewogene Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungslän<strong>de</strong>rn garantieren<br />

soll.


© wissen media Verlag GmbH, Gütersloh<br />

Die Entwicklungslän<strong>de</strong>r verlangen die volle Verfügungsgewalt über ihre Ressourcen und das Recht auf<br />

Verstaatlichung ausländischen Besitzes nach nationalstaatlichen Regelungen, um die Ausbeutung ihrer<br />

Rohstoffe und Arbeitskräfte zu verhin<strong>de</strong>rn. Sie wollen stabile Rohstoffpreise, die an <strong>de</strong>n Preisen von<br />

Fertigwaren orientiert sind, die Abschaffung von Zollschranken und Han<strong>de</strong>lsbeschränkungen sowie eine<br />

gerechte Teilnahme am Know-how <strong>de</strong>r Industrielän<strong>de</strong>r. Die Entwicklungslän<strong>de</strong>rn könnten dann auf relativ<br />

gesicherten Einnahmen basierend ihren wirtschaftlichen Aufbau planen und durchführen,<br />

Unterentwicklung überwin<strong>de</strong>n und die Lebensqualität <strong>de</strong>r Menschen verbessern. Die meisten<br />

Industrielän<strong>de</strong>r haben jedoch Angst vor <strong>de</strong>n Auswirkungen einer Verteuerung <strong>de</strong>r Rohstoffe und einer<br />

Verbilligung von Fertigprodukten auf die eigene Wirtschaft. Doch nur durch eine neue<br />

Weltwirtschaftsordnung kann auf lange Sicht eine Bevölkerungswan<strong>de</strong>rung von <strong>de</strong>n armen in die reichen<br />

Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Welt verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Teste <strong>de</strong>in Wissen!<br />

Fragen<br />

1) Worin besteht das Ungleichgewicht <strong>de</strong>r Weltwirtschaft! (siehe Abb. 1)<br />

2) Nenne Merkmale <strong>de</strong>r gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung! (siehe Abb. 2)<br />

3) Wie soll eine neue Weltwirtschaftsordnung aussehen? (siehe Abb. 3 )<br />

Antworten<br />

1) Die Mehrheit <strong>de</strong>r Weltbevölkerung lebt in <strong>de</strong>n Entwicklungslän<strong>de</strong>rn, trotz<strong>de</strong>m sind die Industrielän<strong>de</strong>r<br />

mit ihrem nur kleinen Anteil an <strong>de</strong>r Weltbevölkerung bestimmend in <strong>de</strong>r Weltwirtschaft. Die<br />

Entwicklungslän<strong>de</strong>r nehmen eine untergeordnete Position in <strong>de</strong>r Weltwirtschaftsordnung ein, spielen nur<br />

eine geringe Rolle im Welthan<strong>de</strong>l und sind hoch verschul<strong>de</strong>t.<br />

2) Kennzeichen <strong>de</strong>r gegenwärtigen ´Weltwirtschaftsordnung ist die hohe Abhängigkeit <strong>de</strong>r<br />

Entwicklungslän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn durch <strong>de</strong>n Export billiger Rohstoffe und Agrarprodukte in<br />

die Industrielän<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>n Import teurer Fertigwaren aus <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn. Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />

haben geringe Be<strong>de</strong>utung im Welthan<strong>de</strong>l, sind Schuldner und damit von <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn, die die<br />

Weltwirtschaft über Multis und Banken steuern, abhängig.<br />

3) Wesentliche Elemente einer neuen Weltwirtschaftsordnung sind die Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Entwicklungslän<strong>de</strong>r als gleichberechtigter Partner in die Weltwirtschaft, gleichberechtigter Han<strong>de</strong>l ohne<br />

Schranken, eigenständige Entwicklung und stärkere Zusammenarbeit <strong>de</strong>r Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />

untereinan<strong>de</strong>r, bessere Entwicklungszusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Industrielän<strong>de</strong>rn, Kontrolle durch<br />

internationale Organisationen.


Län<strong>de</strong>r<br />

Län<strong>de</strong>r<br />

Centrale Afrikanische Republik<br />

Schweiz<br />

Russland<br />

Italien<br />

Spanien<br />

Österreich<br />

Schwe<strong>de</strong>n<br />

Großbrittanien<br />

Kenia<br />

Ethiopien<br />

Cambodia<br />

Brasilien<br />

Bangla<strong>de</strong>sh<br />

Azerbaijan<br />

Armenien<br />

Algerien<br />

Albanien<br />

Brutto-Nationaleinkommen - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />

0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000<br />

US-$<br />

Brutto-Nationaleinkommen - Industrielän<strong>de</strong>r<br />

Brutto-Nationaleinkommen<br />

Brutto-Nationaleinkommen


Alter<br />

Alter<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

Großbrittanien<br />

USA<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

74<br />

0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000<br />

71<br />

74 72<br />

US-$<br />

Lebenserwartung - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />

Albanien Algerien Armenien Azerbaijan Bangla<strong>de</strong>sh Brasilien Cambodia Centrale<br />

Afrikanische<br />

Republik<br />

77 79 77 77<br />

61<br />

Län<strong>de</strong>r<br />

68<br />

54<br />

Lebenserwartung - Industrielän<strong>de</strong>r<br />

43 42<br />

80 79 78 79<br />

47<br />

Ethiopien Kenia<br />

65<br />

Brutto-Nationaleinkommen<br />

80<br />

Lebenserwartung<br />

Reihe2


Alte<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Deutschland Frankreich USA Großbrittanien Schwe<strong>de</strong>n Österreich Spanien Italien Russland Schweiz<br />

100<br />

Kin<strong>de</strong>r pro Tausend<br />

80<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

<strong>12</strong><br />

Kin<strong>de</strong>r pro Tausend 10<br />

180<br />

160<br />

140<br />

<strong>12</strong>0<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

39<br />

17<br />

Län<strong>de</strong>r<br />

21<br />

Albanien Algerien Armenien Azerbaijan Bangla<strong>de</strong>sh Brasilien Cambodia Centrale<br />

Afrikanische<br />

Republik<br />

6 6<br />

9<br />

Sterblichkeitsrate bei Kin<strong>de</strong>rn unter 5 Jahren - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />

7<br />

83<br />

Län<strong>de</strong>r<br />

4<br />

14<br />

<strong>12</strong>0<br />

7<br />

152<br />

Sterblichkeitsrate bei Kin<strong>de</strong>rn unter 5 Jahren - Entwicklungslän<strong>de</strong>r<br />

6<br />

179<br />

Ethiopien Kenia<br />

7<br />

<strong>12</strong>0<br />

19<br />

Reihe2<br />

6<br />

Sterblichkei


Analpahbetenquote in % ab 15 Jahren<br />

Kin<strong>de</strong>r pro Tausend 10<br />

Schweiz<br />

Russland<br />

Italien<br />

Spanien<br />

Österreich<br />

Schwe<strong>de</strong>n<br />

Großbrittanien<br />

USA<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

Kenia<br />

Ethiopien<br />

Centrale Afrikanische Republik<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

2<br />

2<br />

6 6<br />

4<br />

6 6<br />

Deutschland Frankreich USA Großbrittanien Schwe<strong>de</strong>n Österreich Spanien Italien Russland Schweiz<br />

18<br />

Analphabetenquote<br />

53<br />

61<br />

Län<strong>de</strong>r<br />

Analphabetenquote


Analp<br />

Centrale Afrikanische Republik<br />

Cambodia<br />

Brasilien<br />

Bangla<strong>de</strong>sh<br />

Azerbaijan<br />

Armenien<br />

Algerien<br />

Albanien<br />

2<br />

15<br />

32<br />

33<br />

53<br />

59<br />

0 10 20 30 40 50 60 70


Sterblichkeitsrate bei Kin<strong>de</strong>rn unter 5 Jahren<br />

Sterblichkeitsrate


Sterblichkeitsrate


Liberalismus<br />

Wurzeln:<br />

Abkehr vom mittelalterlichen Welt- und Menschenbild (Theozentrismus) [Menschliches<br />

Han<strong>de</strong>ln wird bestimmt durch Religion, Kirche und Gott]<br />

hin zu einem anthropozentrischen Weltbild in <strong>de</strong>r Renaissance und <strong>de</strong>m Humanismus<br />

(Mensch ist das Maß aller Dinge). [RATIONALISMUS]<br />

Folgen: Sinn und Legitimation <strong>de</strong>s Staates wird durch <strong>de</strong>n Menschen bestimmt und nicht<br />

durch Gott bzw. Kirche<br />

Historischer Rahmen:<br />

England: Versuche <strong>de</strong>s englischen Königs, in England <strong>de</strong>n Absolutismus nach<br />

französischem Vorbild einzuführen, rufen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>s englischen (kleinen)<br />

Landa<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>s städtischen Bürgertums hervor.<br />

Frankreich: Absolutistisches Regime <strong>de</strong>s Königs be<strong>de</strong>utet staatliche Willkür gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Bürgern und Bauern; Merkantilismus för<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erfolg <strong>de</strong>s Bürgertums bei<br />

gleichzeitiger politischer Ohnmacht.<br />

"Genealogie" <strong>de</strong>s Liberalismus:<br />

angelsächsischer Lib.<br />

Arbeit schafft Eigentum.<br />

Eigentum be<strong>de</strong>utet Freiheit.<br />

Freiheit be<strong>de</strong>utet Unabhängigkeit.<br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Staates ist es, die freie<br />

Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums zu<br />

ermöglichen.(Locke, Smith).<br />

Klassischer Liberalismus<br />

(mit wirtschaftlichem Schwerpunkt)<br />

französischer Lib.<br />

Staatliche Willkür bedroht Leben in<br />

Freiheit.<br />

Staatliche Macht muß beschränkt wer<strong>de</strong>n<br />

zum Schutz <strong>de</strong>r persönlichen (körper-<br />

lichen) Freiheit <strong>de</strong>s Individuums.<br />

Bindung <strong>de</strong>r Staatsgewalt an das Gesetz<br />

be<strong>de</strong>utet Freiheit <strong>de</strong>r Bürger<br />

(Verfassungsstaat / Rechtsstaat))<br />

(Montesquieu)<br />

Staat: Organisation <strong>de</strong>r Bürger zum Schutz <strong>de</strong>r freien Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums ("Liberaler<br />

Nachtwächterstaat", <strong>de</strong>r nur die Gesetze <strong>de</strong>s freien Marktes und <strong>de</strong>r freien Konkurrenz zum<br />

Wohle aller sichern soll.<br />

Freiheit: Unabhängigkeit zur Nutzung <strong>de</strong>r Produkte <strong>de</strong>r eigenen Arbeit<br />

Gleichheit: im Sinne <strong>de</strong>r Rechtsgleichheit für diejenigen, die die Rechte auch wahrnehmen<br />

können.<br />

Durchsetzung <strong>de</strong>r Gleichheit nicht für alle zum gleichen Zeitpunkt (z.B. Wahlrecht nicht für<br />

alle Menschen zur gleichen Zeit eingeführt; Verfügungsgewalt über Eigentum galt nicht von<br />

Anfang an für alle Menschen.)<br />

Folgen <strong>de</strong>s klassischen (Wirtschafts-)Liberalismus<br />

- Soziale Probleme im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

- Verelendung <strong>de</strong>r Nicht-Besitzen<strong>de</strong>n<br />

- Unternehmenskonzentration mit <strong>de</strong>r Ausschaltung <strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />

Reaktion <strong>de</strong>r Liberalen:<br />

Friedrich Naumann: Reparatur <strong>de</strong>r Fehlentwicklungen in <strong>de</strong>n Großbetrieben durch <strong>de</strong>n<br />

Großbetrieb "Staat"; For<strong>de</strong>rung nach einem Interventionsstaat.


"Es gibt nur dann eine Freiheit, wenn sie auch wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann.“ =<br />

Entstehung <strong>de</strong>s "sozialen Liberalismus".<br />

Historischer Hintergrund:<br />

Liberale und Nationale Bewegungen (Stu<strong>de</strong>ntenschaften) for<strong>de</strong>rn in Deutschland einen<br />

einheitlichen Nationalstaat, <strong>de</strong>r - im Sinne <strong>de</strong>s wirtschaftlich orientierten Bürgertums - auch<br />

ein einheitliches Wirtschafts- und Währungsgebiet sein soll.<br />

Daher schließt sich ein Teil <strong>de</strong>r Liberalen nach 1871 Bismarck und <strong>de</strong>r preußisch-<strong>de</strong>utschen<br />

Nationalbewegung an.<br />

= Entstehung <strong>de</strong>s "Nationalliberalismus" (<strong>de</strong>r immer auch wirtschaftlich orientiert ist.)<br />

Nach <strong>de</strong>m Scheitern sowohl <strong>de</strong>s "sozialen Liberalismus" (im Sinne Naumanns) als auch <strong>de</strong>s<br />

"Nationalliberalismus" (im Sinne <strong>de</strong>r Bismarckanhänger) am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weimarer Republik<br />

entstehen nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg neue Richtungen <strong>de</strong>s Liberalismus, die allgemein<br />

unter <strong>de</strong>m Begriff<br />

"Neoliberalismus" zusammengefasst wer<strong>de</strong>n.<br />

1. Ordoliberalismus:<br />

Starker Staat errichtet eine starke allgemeine Rechtsordnung, um die Instrumente <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r Wirtschaft zu garantieren (Wettbewerbsrecht, Kartellrecht etc.)<br />

(Eucken, Rüstow, Müller-Armack; Freiburger Schule)<br />

= Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft (Interventionsstaat zum Schutz <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlich Schwächeren und <strong>de</strong>r Rahmenordnung)<br />

2. Sozialliberalismus (geht über <strong>de</strong>n sozialen Liberalismus F. Naumanns<br />

hinaus).<br />

FREIHEIT ist nur dann Freiheit, wenn sie wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann (im Sinne<br />

Naumanns); darüber hinaus besteht<br />

FREIHEIT nur dann, wenn nicht-legitime Abhängigkeiten nicht nur im wirtschaftlichen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch im <strong>gesamt</strong>gesellschaftlichen Rahmen abgebaut wer<strong>de</strong>n. ("Freiburger<br />

Thesen" von 1971)<br />

3. Wirtschaftsliberalismus (im Sinne <strong>de</strong>s klassischen Liberalismus):<br />

FREIHEIT bezeichnet vor allem die Freiheit <strong>de</strong>s Marktes und <strong>de</strong>r am wirtschaftlichen<br />

Austausch Beteiligten.<br />

FREIHEIT bezeichnet also auch und vor allem die Freiheit (=Abwesenheit) von staatlicher<br />

Reglementierung.<br />

Allen heutigen Liberalismen ist folgen<strong>de</strong>s Element gemeinsam:<br />

Bindung <strong>de</strong>r Gesellschaft an formales Recht = Rechtsstaats-Denken<br />

Allerdings wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Liberalismen im Konfliktfall unterschiedliche<br />

Prioritäten gesetzt.<br />

Heutige Gegenbewegung gegen <strong>de</strong>n Liberalismus: Kommunitarismus (aus USA stammend)


Zeittafel: S. 366 / 367 – Material 3<br />

Erste I<strong>de</strong>e eines vereinigten Europas:<br />

Winston Churchill (1945 ): „We must build a kind of United States of Europe“<br />

Entstehen einer europäischen Bewegung<br />

Entstehung <strong>de</strong>r christlich-<strong>de</strong>mokratischen Parteien<br />

Marshall-Plan:<br />

Kredite an Weststaaten => Wie<strong>de</strong>raufbau<br />

Siegerstaaten und Besiegte müssen sich über die Aufteilung <strong>de</strong>r Summe einigen<br />

Begründung <strong>de</strong>r europäischen Einigungsbewegung<br />

1968 – 1970: Zollunion: Abschaffung <strong>de</strong>r Zölle in <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rstaaten => Nachzahlung:<br />

nur Steuersumme ( Mehrwertsteuer) => Problematik <strong>de</strong>r Re-Importe (z.B. USA /<br />

Dänemark)<br />

OEEG (Organisation Economic European Development):<br />

Kohle und Stahlindustrie <strong>de</strong>r Einzelstaaten unterstellen sich <strong>de</strong>r europäischen Union für<br />

Kohle und Stahl<br />

EGKS: Vorgeschlagen von Robert Schumann<br />

Franzose<br />

Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vertrags<br />

EWG: europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />

+ Erweiterungen<br />

seit Maastricht EU ( Ausland finanziert <strong>de</strong>n Staatshaushalt<br />

c) => Wohlstand gesichert<br />

113 Politik-LK – 2. Kursarbeit – 26.11.04<br />

Hauptthema: Westeuropäische Integration / EU<br />

Innere Struktur <strong>de</strong>r EU:<br />

Verträge zwischen <strong>de</strong>n Staaten bezüglich <strong>de</strong>s gemeinsamen Rechts<br />

- Ministerrat beschließt Gesetze für die EU (bestehend aus <strong>de</strong>n jeweiligen<br />

Fachministern <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r)<br />

- Europäischer Rat: Rat <strong>de</strong>r Regierungschefs => Gesetze und Richtlinien<br />

<strong>de</strong>r EU<br />

- Kommission: ausführen<strong>de</strong>s Organ <strong>de</strong>r EU, Umsetzung <strong>de</strong>r europäischen<br />

Politik<br />

Instrumente:<br />

a) Verordnungen: bin<strong>de</strong>t nationales Recht an die Verordnungen<br />

b) Empfehlungen<br />

c) Richtlinie: für die EU-Staaten geltend<br />

d) Entscheidungen: spezifische Regelung für Betroffene<br />

Alle bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Recht für die EU-Staaten (S.372/373)<br />

D.h.: Souveränitätsverlust für die Einzelstaaten <strong>de</strong>r EU<br />

EU = Mischform zwischen Bun<strong>de</strong>sstaat und Staatenbund<br />

Funktionalistischer Bun<strong>de</strong>sstaat:<br />

a) Funktionsrelevante Gebiete: Bun<strong>de</strong>sstaat<br />

b) Keine Funktion: Staatenbund<br />

1. Judikative: Europäischer Rat, Ministerrat<br />

2. Exekutive: Kommission => Einbringung von Vorschlägen<br />

3. Legislative: Europäisches Parlament (Eingeschränkt)<br />

Demokratie<strong>de</strong>fizit<br />

Entscheidungsprozesse:<br />

Demokratie<strong>de</strong>fizit => Entscheidung <strong>de</strong>s Parlaments soll verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n<br />

Kommission macht einen Vorschlag für einen Rechtsakt gegenüber <strong>de</strong>m Rat:<br />

1. Keine Än<strong>de</strong>rung gewünscht durch das Parlament => Rechtsakt kann in<br />

Kraft treten<br />

2. Europäische Rat übernimmt die Wünsche <strong>de</strong>s Parlaments<br />

3. Europäische Rat nicht einverstan<strong>de</strong>n: Übermittlung eines<br />

„gemeinsamen“ Standpunktes durch <strong>de</strong>n Rat an das Parlament mit<br />

Begründung.<br />

Binnen 3 Monaten:<br />

a) Billigung o<strong>de</strong>r kein Beschluss <strong>de</strong>s Parlaments => Rechtsakt erlassen<br />

b) Ablehnung mit absoluter Mehrheit => nicht erlassen<br />

c) Bei Än<strong>de</strong>rungswünschen => Weiterleitung an Rat und Kommission<br />

(Stellungnahme möglich)<br />

Binnen weiteren 3 Monaten:<br />

a) qualifizierte Mehrheit: Billigung <strong>de</strong>s Rates => Rechtsakt in Kraft<br />

b) Einstimmige Abstimmung, sofern sich die Kommission ablehnend äußert<br />

c) Keine Billigung => Vermittlungsausschuss<br />

Fazit: Parlament hat eigentlich kaum die Möglichkeit Gesetze zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Europäischer Rat verkörpert sowohl Exekutive als auch Legislative =><br />

Demokratie<strong>de</strong>fizit<br />

Machtmittel <strong>de</strong>s Parlaments:<br />

1. Wi<strong>de</strong>rspruchsrecht gegenüber <strong>de</strong>r Kommission<br />

2. Bestimmung <strong>de</strong>s Haushaltsrechts / Haushaltes für die EU<br />

Folgerung: Auf europäischer Ebene ist das Prinzip <strong>de</strong>r Repräsentation eines Volkes<br />

durch Vertreter nicht vollständig realisiert.<br />

Entwicklung vom Maastrichter Vertrag zum Amsterdamer Vertrag:<br />

Schritt zum Bun<strong>de</strong>sstaat:<br />

- Übergang zum Bun<strong>de</strong>sstaat durch entsprechen<strong>de</strong> Souveränitätsrechte<br />

(z.B. Führerscheinregelung)<br />

- Gemeinsame europäische Staatsangehörigkeit (z.B. Reisepass)<br />

- Artikel 16a: politisches Asyl gilt EU-weit => Nationalstaaten entschei<strong>de</strong>n<br />

- EU ist eine Zollunion:<br />

keine Zölle innerhalb <strong>de</strong>r EU<br />

aber gegenüber Nichtmitglie<strong>de</strong>rn<br />

- EU-Recht geht grundsätzlich über Nationalrecht<br />

- 3 Säulen <strong>de</strong>r EU<br />

a) Gemeinsame Außen –und Sicherheitspolitik<br />

b) Europäische Gemeinschaften<br />

c) Zusammenarbeit in Innen –und Rechtspolitik selten gegeben => keine Ergebnisse (z.B. Irak)<br />

Mehrheitsentscheidung im Rat => Probleme bei zu vielen Mitglie<strong>de</strong>rn (Absolute<br />

Mehrheit)<br />

Nizza-Vertrag:<br />

Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Wahlmodus bzw. <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Artikel<br />

Stimmengewichtung für die Einzellän<strong>de</strong>r nach Bevölkerungszahl und politischem<br />

Gewicht => Demokratischeres System => Ermittlung einer Mehrheit<br />

Zusätzliche Bedingung (möglich): Deckung <strong>de</strong>r Entscheidung durch 2/3 <strong>de</strong>r EU-<br />

Bevölkerung<br />

Zum Parlament:<br />

- gesetzgeben<strong>de</strong> Gewalt hauptsächlich nur im Haushalt<br />

- Kommission muss <strong>de</strong>m Parlament vorgeschlagen wer<strong>de</strong>n<br />

- S. 373: Formen parlamentarischer Mitwirkung<br />

Mitwirkung <strong>de</strong>s Parlaments in bestimmten Bereichen zwingend:<br />

Zustimmungspflichtige Beschlüsse: siehe S.373 Punkt 2<br />

- relativ wenige Einflussmöglichkeiten <strong>de</strong>s Parlaments => Demokratie<strong>de</strong>fizit<br />

+ Kommission: Hüter <strong>de</strong>r europäischen Verfassung (Wächter)<br />

gewissermaßen Legislative<br />

Umsetzung <strong>de</strong>r Beschlüsse <strong>de</strong>s europäischen Rates (Empfehlungen o<strong>de</strong>r<br />

Verordnungen)<br />

- Empfehlungen bei lockeren Vereinbarungen<br />

- Verordnungen bei konkreten Beschlüssen <strong>de</strong>s Ministerrates (sichere<br />

Einflussbereiche mit Souveränitätsabtritten an die EU)<br />

Zusätzlich zu berücksichtigen für die Arbeit: Sammelblatt: „Westeuropäische Integration“


- Hauptfrage von Staatstheorien: Was ist ein Staat?<br />

John Locke:<br />

o 17. Jhrd.: Versuch in England <strong>de</strong>n Absolutismus einzuführen<br />

o Scheitert<br />

o Kampfschrift Lockes<br />

Neue Definition <strong>de</strong>s Staates<br />

Staat:<br />

Der Mensch ist Stifter <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>r das Eigentum <strong>de</strong>r Menschen<br />

sichern soll.<br />

Sicherung <strong>de</strong>s Eigentums an Leben und physischem Eigentum<br />

Besitz und Sicherung <strong>de</strong>s selbst geschaffenen Eigentums<br />

Staat = Schutzorganisation, soll das selbstgeschaffene Eigentum<br />

sichern<br />

I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Staatsvertrags:<br />

• Der Staat ergibt sich aus einem Vertrag <strong>de</strong>r Bürger<br />

• Gesetze sollen die Interessen <strong>de</strong>r Vertragschließen<strong>de</strong>n Parteien sichern<br />

Adam Smith: Natur und Wesen <strong>de</strong>s Volkswohlstan<strong>de</strong>s<br />

o Abhängigkeit <strong>de</strong>r Menschen von an<strong>de</strong>ren Personen<br />

Hilfe kommt nicht aus <strong>de</strong>m Wohlwollen<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren gegenüber allein<br />

o Bei einem Geschäft besteht die Annahme auf bei<strong>de</strong>n<br />

Seiten, dass es bei<strong>de</strong>n Seiten einen Vorteil bringt<br />

Tauschhan<strong>de</strong>l = I<strong>de</strong>albild<br />

• Gerechter Han<strong>de</strong>l ohne das<br />

dabei jemand einen Vorteil<br />

o<strong>de</strong>r Nachteil hat<br />

o Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen wer<strong>de</strong>n nicht aus<br />

Wohlwollen, son<strong>de</strong>rn aus Eigennutz <strong>de</strong>r Anbieter<br />

befriedigt<br />

Marktwirtschaftliches Prinzip<br />

• Egoistische Einstellung<br />

Der Markt reguliert sich selbst durch die verschie<strong>de</strong>nen<br />

egoistischen Interessen <strong>de</strong>r Individuen<br />

o Grundgedanke <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

Liberalismus:<br />

Kombination <strong>de</strong>r Theorien von Locke und Adam Smith ergeben die Grundtheorie <strong>de</strong>s<br />

Liberalismus<br />

Nach Montesquieu:<br />

• I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gewaltenteilung: 3 Gewalten, die nebeneinan<strong>de</strong>r existieren<br />

• Freiheitsbegriff bzw. Staatsvorstellung:<br />

Sicherheit vor staatlicher Willkür<br />

Sicherheit / Freiheit von Angst<br />

Rechtssicherheit vor staatlicher Willkür<br />

Ein Bürger braucht <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und brauch <strong>de</strong>n Staat nicht zu fürchten<br />

Rechtsstaat wird angestrebt<br />

Gegenüberstellung:<br />

• Französischer Liberalismus: Rechtsstaatsi<strong>de</strong>e<br />

• Englischer Liberalismus: Enthaltung <strong>de</strong>s Staates aus <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

(weitestgehend)<br />

Unterschie<strong>de</strong>:<br />

• Locke: Freier Genuss <strong>de</strong>s Eigentums<br />

• Montesquieu: Schutz <strong>de</strong>s Individuums<br />

o Rechtsstaat<br />

Sozialer Liberalismus: nach Friedrich Normann<br />

- Grundsatz:<br />

Es existiert nur Freiheit, wenn sie auch wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Der Staat muss die Möglichkeiten zur Ausübung dieser Freiheiten<br />

schaffen<br />

Staat wird aktiv tätig<br />

Verschie<strong>de</strong>ne Strömungen <strong>de</strong>s Liberalismus<br />

• Altliberalismus<br />

Rückkehr zur klassischen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s frühen Liberalismus<br />

(Neoliberalismus)<br />

• Ordoliberalismus<br />

Prinzip <strong>de</strong>s Wettbewerbs soll aufrecht erhalten bleiben<br />

Stabilisierung <strong>de</strong>s Marktes durch staatliche Ordnung<br />

o Relativ starke Stellung <strong>de</strong>s Staates notwendig und<br />

gefor<strong>de</strong>rt<br />

• Sozialer Liberalismus<br />

siehe oben<br />

Kommunitarismus<br />

- Philosophische, politische Richtung: v.a. verbreitet in <strong>de</strong>n USA<br />

- lehnt <strong>de</strong>n Liberalismus ab<br />

- Das Individuum ist nicht wie im Liberalismus angenommen in <strong>de</strong>m<br />

beschriebenen Maße autonom<br />

Die liberale Gesellschaft verkennt, dass Individuen nicht autonome<br />

Wesen sind, son<strong>de</strong>rn immer auch Teile von Communities.<br />

• Individualismus: hat Sinnverlust zur Folge<br />

Menschenbild <strong>de</strong>s Kommunitarismus:<br />

- Mensch bewertet sein Han<strong>de</strong>ln immer nach bestimmten Kriterien<br />

- Menschliches Han<strong>de</strong>ln ist niemals wertneutral, son<strong>de</strong>rn steht in einem<br />

moralischen Raum<br />

213 Politik-LK – 2. Kursarbeit – 07.04.05<br />

Hauptthema: Liberalismus<br />

Problem: Keine Aussage wer diesen moralischen Raum vorzugeben hat.<br />

- Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Liberalismus: Staatsvertragsi<strong>de</strong>e wird verneint<br />

- Kommunitarier <strong>de</strong>finieren die Vernunft und Freiheit <strong>de</strong>s einzelnen<br />

Menschen über die Gemeinschaft<br />

Gemeinschaft wird über <strong>de</strong>n Menschen gestellt<br />

- Menschen sind nur Menschen, wenn sie als Teil einer Gesellschaft<br />

leben<br />

Anzweiflung <strong>de</strong>r Menschenrechte<br />

Gefangene wer<strong>de</strong>n nicht als Menschen mit unveräußerlichen Rechten<br />

verstan<strong>de</strong>n<br />

Respekt vor <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist ausschlaggebend für die Einhaltung von<br />

Werten und Normen und nicht die Tat an sich ist für die Entscheidung<br />

wichtig<br />

Mensch han<strong>de</strong>lt aus Eigennutz, da er Teil <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft bleiben möchte<br />

Zusammenfassung von Herrn Krisam<br />

Liberalismus<br />

Wurzeln:<br />

Abkehr vom mittelalterlichen Welt- und Menschenbild (Theozentrismus) [Menschliches Han<strong>de</strong>ln wird<br />

bestimmt durch Religion, Kirche und Gott]<br />

hin zu einem anthropozentrischen Weltbild in <strong>de</strong>r Renaissance und <strong>de</strong>m Humanismus (Mensch ist das<br />

Maß aller Dinge). [RATIONALISMUS]<br />

Folgen: Sinn und Legitimation <strong>de</strong>s Staates wird durch <strong>de</strong>n Menschen bestimmt und nicht durch<br />

Gott bzw. Kirche<br />

Historischer Rahmen:<br />

England: Versuche <strong>de</strong>s englischen Königs, in England <strong>de</strong>n Absolutismus nach französischem Vorbild<br />

einzuführen, rufen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>s englischen (kleinen) Landa<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>s städtischen Bürgertums<br />

hervor.<br />

Frankreich: Absolutistisches Regime <strong>de</strong>s Königs be<strong>de</strong>utet staatliche Willkür gegenüber <strong>de</strong>n Bürgern und<br />

Bauern; Merkantilismus för<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Erfolg <strong>de</strong>s Bürgertums bei gleichzeitiger politischer<br />

Ohnmacht.<br />

„Genealogie“<br />

angelsächsischer Lib.<br />

Arbeit schafft Eigentum.<br />

Eigentum be<strong>de</strong>utet Freiheit.<br />

Freiheit be<strong>de</strong>utet Unabhängigkeit.<br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Staates ist es, die freie<br />

Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums zu<br />

ermöglichen.(Locke, Smith).<br />

französischer Lib.<br />

Staatliche Willkür bedroht Leben in Freiheit.<br />

Staatliche Macht muß beschränkt wer<strong>de</strong>n<br />

zum Schutz <strong>de</strong>r persönlichen (körper-<br />

lichen) Freiheit <strong>de</strong>s Individuums.<br />

Bindung <strong>de</strong>r Staatsgewalt an das Gesetz<br />

be<strong>de</strong>utet Freiheit <strong>de</strong>r Bürger<br />

(Verfassungsstaat / Rechtsstaat))<br />

(Montesquieu)<br />

Klassischer Liberalismus<br />

(mit wirtschaftlichem Schwerpunkt)<br />

Staat:<br />

Organisation <strong>de</strong>r Bürger zum Schutz <strong>de</strong>r freien Nutzung <strong>de</strong>s Eigentums ("Liberaler<br />

Nachtwächterstaat", <strong>de</strong>r nur die Gesetze <strong>de</strong>s freien Marktes und <strong>de</strong>r freien Konkurrenz zum Wohle aller<br />

sichern soll.<br />

Freiheit: Unabhängigkeit zur Nutzung <strong>de</strong>r Produkte <strong>de</strong>r eigenen Arbeit<br />

Gleichheit: im Sinne <strong>de</strong>r Rechtsgleichheit für diejenigen, die die Rechte auch wahrnehmen können.<br />

Durchsetzung <strong>de</strong>r Gleichheit nicht für alle zum gleichen Zeitpunkt (z.B. Wahlrecht nicht für alle Menschen<br />

zur gleichen Zeit eingeführt; Verfügungsgewalt über Eigentum galt nicht von Anfang an für alle Menschen.)<br />

Folgen <strong>de</strong>s klassischen (Wirtschafts-)Liberalismus:<br />

- Soziale Probleme im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

- Verelendung <strong>de</strong>r Nicht-Besitzen<strong>de</strong>n<br />

- Unternehmenskonzentration mit <strong>de</strong>r Ausschaltung <strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />

Reaktion <strong>de</strong>r Liberalen:<br />

Friedrich Naumann: Reparatur <strong>de</strong>r Fehlentwicklungen in <strong>de</strong>n Großbetrieben durch <strong>de</strong>n Großbetrieb<br />

"Staat"; For<strong>de</strong>rung nach einem Interventionsstaat.<br />

"Es gibt nur dann eine Freiheit, wenn sie auch wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann.“ = Entstehung <strong>de</strong>s<br />

"sozialen Liberalismus".<br />

Historischer Hintergrund:<br />

Liberale und Nationale Bewegungen (Stu<strong>de</strong>ntenschaften) for<strong>de</strong>rn in Deutschland einen einheitlichen<br />

Nationalstaat, <strong>de</strong>r - im Sinne <strong>de</strong>s wirtschaftlich orientierten Bürgertums - auch ein einheitliches<br />

Wirtschafts- und Währungsgebiet sein soll.<br />

Daher schließt sich ein Teil <strong>de</strong>r Liberalen nach 1871 Bismarck und <strong>de</strong>r preußisch-<strong>de</strong>utschen<br />

Nationalbewegung an.<br />

= Entstehung <strong>de</strong>s "Nationalliberalismus" (<strong>de</strong>r immer auch wirtschaftlich orientiert ist.)<br />

Nach <strong>de</strong>m Scheitern sowohl <strong>de</strong>s "sozialen Liberalismus" (im Sinne Naumanns) als auch <strong>de</strong>s<br />

"Nationalliberalismus" (im Sinne <strong>de</strong>r Bismarckanhänger) am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weimarer Republik entstehen nach<br />

<strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg neue Richtungen <strong>de</strong>s Liberalismus, die allgemein unter <strong>de</strong>m Begriff<br />

"Neoliberalismus" zusammengefasst wer<strong>de</strong>n.<br />

1. Ordoliberalismus:<br />

Starker Staat errichtet eine starke allgemeine Rechtsordnung, um die Instrumente <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaft zu garantieren (Wettbewerbsrecht, Kartellrecht etc.)<br />

(Eucken, Rüstow, Müller-Armack; Freiburger Schule)<br />

= Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft (Interventionsstaat zum Schutz <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlich Schwächeren und <strong>de</strong>r Rahmenordnung)<br />

2. Sozialliberalismus (geht über <strong>de</strong>n sozialen Liberalismus F. Naumanns<br />

hinaus).<br />

FREIHEIT ist nur dann Freiheit, wenn sie wahrgenommen wer<strong>de</strong>n kann (im Sinne<br />

Naumanns); darüber hinaus besteht<br />

FREIHEIT nur dann, wenn nicht-legitime Abhängigkeiten nicht nur im wirtschaftlichen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch im <strong>gesamt</strong>gesellschaftlichen Rahmen abgebaut wer<strong>de</strong>n. ("Freiburger Thesen" von<br />

1971)<br />

3. Wirtschaftsliberalismus (im Sinne <strong>de</strong>s klassischen Liberalismus):<br />

FREIHEIT bezeichnet vor allem die Freiheit <strong>de</strong>s Marktes und <strong>de</strong>r am wirtschaftlichen<br />

Austausch Beteiligten.<br />

FREIHEIT bezeichnet also auch und vor allem die Freiheit (=Abwesenheit) von staatlicher<br />

Reglementierung.<br />

Allen heutigen Liberalismen ist folgen<strong>de</strong>s Element gemeinsam:<br />

Bindung <strong>de</strong>r Gesellschaft an formales Recht = Rechtsstaats-Denken<br />

Allerdings wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Liberalismen im Konfliktfall unterschiedliche Prioritäten<br />

gesetzt.<br />

Heutige Gegenbewegung gegen <strong>de</strong>n Liberalismus: Kommunitarismus (aus USA stammend)


Ursprung bzw. Entstehung <strong>de</strong>s Sozialismus allgemein<br />

• Hegel: Schöpfungsgedanke<br />

- absoluter Weltgeist wird angenommen<br />

versucht seine Gedanken umzusetzen<br />

o Ausrichtung an einer Schöpfungsi<strong>de</strong>e<br />

o Entstehung <strong>de</strong>r Realität dieser I<strong>de</strong>e Dialektik<br />

o Realität bringt neue I<strong>de</strong>e hervor<br />

Ziel <strong>de</strong>r Geschichte ist die Realisierung <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s absoluten<br />

Weltgeistes<br />

These – Antithese – Synthese - These<br />

o = eine Erklärung <strong>de</strong>r Geschichtsphilosophie<br />

Übersicht über die Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach Karl Marx<br />

• verwirft Hegels Weltbild<br />

• Standpunkt: am Anfang stand die Materie<br />

Geschichte entwickelt sich zum Sinn <strong>de</strong>r Geschichte / En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Geschichte hin<br />

o Materielle Beziehungen innerhalb <strong>de</strong>r Geschichte regeln<br />

ihren Lauf<br />

Dialektischer Materialismus<br />

• Umkehrung <strong>de</strong>s Hegel´schen<br />

Weltbil<strong>de</strong>s<br />

Erläuterungen zur Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft nach Karl Marx<br />

1. Schritt<br />

o Vorhaben <strong>de</strong>s Menschen: Besitz erwerben und sichern<br />

(Existenzsicherung)<br />

o Planvolles Han<strong>de</strong>ln: zukünftige Existenzsicherung und<br />

Bearbeitung <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns (Ackerbau)<br />

Menschen wer<strong>de</strong>n sesshaft<br />

Arbeitsteilung: Trennung in Jäger und<br />

Ackerbaubetreiben<strong>de</strong><br />

o notwendige Hilfsmittel wer<strong>de</strong>n geschaffen<br />

Prozesse wer<strong>de</strong>n spezialisiert und effizienter<br />

gemacht<br />

• Handwerkertum<br />

Trennung von Produktionsmittelbesitz und<br />

Produktionsmittelbenutzung<br />

2. Schritt<br />

o Sklavenhaltergesellschaft in <strong>de</strong>r Antike<br />

o Grundlage: Landarbeit <strong>de</strong>r Sklaven und Grundherrschaft<br />

weniger<br />

o Mittelalter: Grundherrschaft weniger (Fürsten, Könige,<br />

Kaiser, u.s.w.), auf <strong>de</strong>ren Land Untergebene / Leibeigene<br />

arbeiten (Lehnswesen)<br />

o Lehnsstruktur<br />

Abgaben an je<strong>de</strong> einzelne Schicht<br />

o frühe Neuzeit: Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Schwarzpulvers<br />

Rittertum been<strong>de</strong>t<br />

Neuer Berufsstand in <strong>de</strong>n Städten<br />

(Handwerker, Händler)<br />

• Entstehung <strong>de</strong>s Frühbürgertums<br />

• „Stadtluft macht frei“<br />

o 17. + 18. Jhrd.: Enormer Geldbedarf <strong>de</strong>r Fürsten, wegen<br />

stehen<strong>de</strong>r Armeen<br />

französischer Merkantilismus<br />

Interesse <strong>de</strong>s Staates: hohe Einnahmen aus<br />

Steuern, Zölle<br />

Einfuhr von Fertigwaren wird blockiert<br />

Einfuhr von Rohstoffen för<strong>de</strong>rn<br />

Ausfuhr von Rohstoffen hemmen<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ausfuhr von Fertigwaren<br />

o Zur Produktion / Umsetzung notwendig: Manufakturen<br />

Massenproduktion aufgrund von Handarbeit in<br />

einzelnen Arbeitsschritten<br />

• Trennung <strong>de</strong>r<br />

Produktionsmittelbesitzer von<br />

<strong>de</strong>n Benutzern<br />

3. Schritt<br />

o Industrialisierung: Ersatz <strong>de</strong>r Arbeiter durch Maschinen,<br />

Produktionssteigerung<br />

Überangebot an Arbeitskräften<br />

o Billiglöhne<br />

Entstehung <strong>de</strong>s Proletariats<br />

Trennung in Kapitalisten und Proletarier<br />

o Kapitalisten (Produktionsmittelbesitzen<strong>de</strong>):<br />

Proletarier (mit Produktionsmittel Arbeiten<strong>de</strong>):<br />

o Entfremdung <strong>de</strong>r Arbeiter vom Produkt (aufgrund<br />

mangeln<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation)<br />

Nur geringe Teilhabe am Produkt<br />

• Geistige Verelendung<br />

(Langeweile, geistige<br />

Beschränkung, e.t.c.)<br />

Ausbeutung <strong>de</strong>r Arbeiter: Entstehung <strong>de</strong>s Kapitalismus (privatrechtliche<br />

Verfügung über Produktionsmittel)<br />

Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Aufwertung <strong>de</strong>s Kapitals (Produktionsmittel:<br />

Maschinen, Gerätschaften, e.t.c.)<br />

Konkurrenz zwecks Profitorientierung und Aufhebung <strong>de</strong>r Konkurrenz<br />

(Ausschaltung von Marktgegnern)<br />

o Monopolbildung<br />

Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals in wenigen<br />

Hän<strong>de</strong>n<br />

213 Politik-LK – 4. Kursarbeit – 03.06.05<br />

Hauptthema: <strong>de</strong>mokratischer Sozialismus<br />

Konkurrenz um Arbeitsplätze führt zu niedrigeren Löhnen<br />

- Unzufrie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Arbeiter<br />

revolutionäres Bewusstsein<br />

- Überproduktion aufgrund immer effektiveren Maschinen<br />

Absatzkrise<br />

Langfristig: Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

- Gefährdung <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse im eigenen Land durch<br />

revolutionäres Bewusstsein<br />

Unterdrückung <strong>de</strong>s Proletariats<br />

Starker Staat<br />

Wi<strong>de</strong>rstand wird nicht gedul<strong>de</strong>t<br />

Nie<strong>de</strong>rschlagung<br />

- Kapitalisten formulieren das Recht<br />

Produktionsmittelsituation soll gewährleistet bleiben<br />

Staat ist ein Mittel <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>r jeweils herrschen<strong>de</strong>n Klasse<br />

Revolution: Umkehrung <strong>de</strong>r Produktionsmittelverhältnisse (gewaltfrei) <br />

Engels<br />

Dreifacher Zustand in <strong>de</strong>r sowjetischen I<strong>de</strong>ologie: Kapitalist = Imperialist =<br />

Faschist<br />

- Defizite in Marxs Theorie:<br />

o Verän<strong>de</strong>rungsfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus in seiner Struktur<br />

wird nicht berücksichtigt<br />

o Än<strong>de</strong>rung von Staatsverhältnissen ebenso nicht<br />

berücksichtigt<br />

o Staat wird als Unterdrückungsmittel <strong>de</strong>r jeweils mächtigen /<br />

reichen Schicht verstan<strong>de</strong>n<br />

Weitere Ausführungen zu Karl Marx<br />

Produktion von Mehrwert durch Lohnarbeit<br />

- Arbeiter verkauft <strong>de</strong>m Kapitalist seine Arbeitskraft<br />

- Arbeiter erwirtschaftet seinen eigenen Bedarf innerhalb einer kürzeren Zeit<br />

(z.B. 6 Stun<strong>de</strong>n)<br />

Kapitalist verpflichtet ihn aber zu <strong>de</strong>r doppelten Zeit<br />

Erwirtschaftung <strong>de</strong>s Mehrwertes für <strong>de</strong>n Kapitalisten<br />

Arbeiter erwirtschaften <strong>de</strong>n Wohlstand <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Profitmaximierung<br />

- Arbeitstag wird über das notwendige Maß hinausgezogen<br />

- Arbeitszeit muss immer noch bei 10 Stun<strong>de</strong>n bleiben<br />

Rationalisierung: schnelleres Arbeiten<br />

Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit wird verkürzt<br />

o Profitmaximierung <strong>de</strong>s Kapitalisten durch größeren<br />

Mehrwert<br />

Folgen <strong>de</strong>r Mechanisierung<br />

- geistige und körperliche Fixierung auf die monotone Arbeit<br />

- Maschine beraubt <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>s Inhaltes seines bearbeiteten<br />

Produkts (Entfremdung vom Produkt)<br />

- Arbeitsbedingung schafft / gestaltet <strong>de</strong>n Arbeiter (z.B. Geschwindigkeit<br />

<strong>de</strong>r Arbeit / Art <strong>de</strong>r Arbeit bleibt gleich, <strong>de</strong>r Arbeiter muss sich anpassen =><br />

z.B. Hüttenbetrieb / Kraftwerke / e.t.c.)<br />

Einschränkung <strong>de</strong>r Lebensqualität<br />

- Maschine ersetzt letztendlich <strong>de</strong>n Arbeiter<br />

Überangebot an Arbeitern durch langfristige Ersetzung <strong>de</strong>r Angestellten<br />

(z.B. Bankautomaten, Fahrkartenautomaten, e.t.c.)<br />

Sinken <strong>de</strong>r Löhne<br />

Chronisches Elend in <strong>de</strong>r Arbeiterschicht<br />

Entfremdung im Kapitalismus<br />

- keine I<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>m Endprodukt, da<br />

• nur noch Teilprozesse durchgeführt wer<strong>de</strong>n<br />

• das Endprodukt nicht verstan<strong>de</strong>n wird<br />

geistige Beschränkung und Stagnation in <strong>de</strong>r geistigen Entwicklung <strong>de</strong>s<br />

Arbeiters<br />

- Das System Kapitalismus ist für Marx nicht das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Zusammenlebens<br />

Adam SmithsTheorie trifft nicht zu<br />

Die Freiheit <strong>de</strong>s Menschen wur<strong>de</strong> durch die Wirtschaft eingeschränkt und<br />

<strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>generiert / stumpft ab durch o.g. Entwicklung<br />

Verelendung bei wachsen<strong>de</strong>m Reichtum<br />

- Akkumulation <strong>de</strong>s Kapitals: Investition in neue Maschinen zur<br />

Produktionssteigerung und Profitmaximierung<br />

Entlassung von Arbeitern<br />

o Verschlechterung <strong>de</strong>r Lebenssituation<br />

Verelendung Reichtum<br />

- Arbeitsqual: Monotonie / Dauerbelastung / Speditionsbetriebe [Fahrtzeiten]<br />

- Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation<br />

steigen<strong>de</strong> Arbeitslosenzahlen<br />

sinken<strong>de</strong> Löhne<br />

Arbeiter abhängig und verelen<strong>de</strong>n materiell<br />

Zentralisation <strong>de</strong>r Kapitale im Konkurrenzkampf<br />

- Verwandlung vieler kleiner Kapitale in wenige große Kapitale weniger<br />

- Zentralisation von Kapitalen<br />

- Konkurrenzkampf: Verbilligung <strong>de</strong>r Preise durch bessere / effektivere<br />

Produktsmittel<br />

Ausschalten kleiner Anbieter, die preislich nicht konkurrieren können<br />

Ansteigen<strong>de</strong> Akkumulation und Zentralisierung von Kapital


Exkurs<br />

„Es ist nicht das ökonomische Sein das vom Bewusstsein gebil<strong>de</strong>t wird, son<strong>de</strong>rn<br />

umgekehrt das ökonomische Sein bil<strong>de</strong>t das Bewusstsein.“<br />

Produktionsbedingungen bestimmen das Bewusstsein (Kultur /<br />

Wissenschaft / e.t.c.)<br />

Bernstein zum <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Bernstein Text (S.13)<br />

1. Abschnitt<br />

• Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus ist nicht in näherer Zeit zu erwarten<br />

• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r sozial<strong>de</strong>mokratischen Taktik nicht nötig<br />

Kritik an Engels Revolutionsbestrebungen (gewalttätiger Umsturz <br />

Umsturz allgemein; nicht zwangsläufig m.H. von Gewalt)<br />

2. Abschnitt<br />

• Prognose <strong>de</strong>s „kommunistischen Manifests“ ist in ihrer Ten<strong>de</strong>nz richtig<br />

• Zeitlicher Aspekt und spezielle For<strong>de</strong>rungen wur<strong>de</strong>n aber falsch<br />

eingeschätzt<br />

3. Abschnitt<br />

• gesellschaftliche Probleme und Zuspitzungen sind nicht so verlaufen wie<br />

Marx es beschrieben hat (Arbeitszeit, Lebensumstän<strong>de</strong>, e.t.c.)<br />

• Zahl <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n ist angestiegen, nicht gesunken<br />

Kapitalismus hat sich geän<strong>de</strong>rt<br />

Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

• Mittelschichten sind immer größer gewor<strong>de</strong>n<br />

Unterschicht ist weitgehend verschwun<strong>de</strong>n<br />

o Verbleiben<strong>de</strong> Unterschicht wird gesellschaftlich und finanziell<br />

stark belastet<br />

4. Abschnitt<br />

• technologischer Fortschritt wird immer schneller, entgegen Bernstein<br />

Konzentration <strong>de</strong>s Kapitals vollzieht sich entgegen Bernstein zunehmend<br />

schneller<br />

5. Abschnitt<br />

• Staat schränkt <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r Kapitalisten ein<br />

entgegen Marx<br />

• zunehmen<strong>de</strong> Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Arbeiter haben großen Einfluss auf die Unternehmen durch <strong>de</strong>mokratische<br />

Institutionen<br />

o Gewerkschaften<br />

• Staat hat sich verän<strong>de</strong>rt:<br />

o Früher: Unterdrückungsinstrument <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Klasse<br />

(Kapilisten)<br />

o Heute: Staat <strong>de</strong>s Volkes, <strong>de</strong>r die Arbeiter vor Missbrauch und<br />

Machtausübung <strong>de</strong>s Staates schützt<br />

• Gesetze schützen die Arbeiter: Arbeiterschutzgesetze, Fabrikgesetze<br />

(Arbeitszeiten, Sicherheitsbestimmungen, e.t.c.)<br />

Freiheit <strong>de</strong>r Gewerkschaften und Machteinfluss wird als<br />

Fortschrittszeichen von Bernstein angesehen<br />

6. Abschnitt<br />

• Je mehr Demokratie zum tragen kommt, <strong>de</strong>sto weniger ist eine politische<br />

Katastrophe zu befürchten (Revolution)<br />

Streitpunkt: Zusammenbruch <strong>de</strong>s Kapitalismus (Marx: ja, Bernstein: Nein)<br />

o Da <strong>de</strong>r Staat sein Verständnis geän<strong>de</strong>rt hat<br />

o Kapitalismus hat sich als reformfähig erwiesen<br />

Kapitalismus wird in absehbarer Zeit nicht<br />

zusammenbrechen<br />

Teilung <strong>de</strong>s Sozialismus<br />

Revolutionärer Sozialismus:<br />

Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse durch eine Revolution ist zwangsläufig (Marx)<br />

1. bewusste Revolution (Engels / Lenin) – soll herbeigeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ablauf: nach Marx<br />

- Kapitalismuszusammenbruch<br />

Revolution <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />

Absterben <strong>de</strong>s Staates nach Erreichung <strong>de</strong>r klassenlosen Gesellschaft<br />

Ablauf.: nach Engels<br />

- Anzetteln einer militärischen, Gewaltorientierten Revolution zur<br />

Umwälzung <strong>de</strong>r Besitzverhältnisse<br />

Folge: Leninsche Interpretation / Abwandlung <strong>de</strong>r Marxistischen Theorie<br />

- Revolution ohne Proletariat durch Umsturz in einem agrarischen Staat<br />

Theorie <strong>de</strong>r Klassenbündnisse (Arbeiter und Bauern)<br />

Theorie <strong>de</strong>r Neuen Partei<br />

o Grundlage <strong>de</strong>r Revolution (Berufsrevolutionäre, die die<br />

Bevölkerung zu einem revolutionären<br />

Bewusstsein bringen wollen)<br />

Folge: Stalin<br />

- Revolution als Sozialismus in einem Land (Russland)<br />

Demokratischer Sozialismus:<br />

Ablehnung <strong>de</strong>r Revolution, statt<strong>de</strong>ssen Evolution<br />

Staat hat sein Selbstverständnis / Rollenverständnis geän<strong>de</strong>rt (Herrschaftsinstrument =><br />

Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft)<br />

Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

Bernstein verän<strong>de</strong>rt die Marxschen Theorien:<br />

• Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Rolle <strong>de</strong>s Staates<br />

Volksstaat<br />

• Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

• Neuer Mittelstand statt Verelendung <strong>de</strong>s Proletariats<br />

Teilung:<br />

1. Demokratisierung <strong>de</strong>s Staates<br />

2. Demokratisierung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Analyse <strong>de</strong>s 2. Bernstein - Textes<br />

Abschnitt 1:<br />

- Völliger Zusammenbruch <strong>de</strong>s gegenwärtigen Produktionssystems ist bei <strong>de</strong>r<br />

gegenwärtigen Entwicklung <strong>de</strong>r Gesellschaft unwahrscheinlich<br />

För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Anpassungsfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus<br />

- Wi<strong>de</strong>rspruch zu Marx: Revolution för<strong>de</strong>rt diese Entwicklung nicht positiv<br />

- Umstülpung <strong>de</strong>r bürgerlichen Schicht hätte heutzutage Auswirkungen auf die ganze<br />

Gesellschaft, im Gegensatz zur feudalen Gesellschaft (A<strong>de</strong>l gegen König => Bauern sind<br />

nicht betroffen)<br />

Auswirkungen auf das <strong>gesamt</strong>e Proletariat, das in <strong>de</strong>r Industrie arbeitet (bsp.<br />

Französische Revolution; bürgerliche Schicht gegen A<strong>de</strong>l und König)<br />

Sollte das Proletariat gegen die an<strong>de</strong>ren Schichten vorgehen, wäre die Zahl <strong>de</strong>r<br />

betroffenen Menschen wesentlich höher<br />

- Enteignung und Zerteilung von Firmen ist heutzutage kaum mehr möglich, da die<br />

Produktion bei einer Erhebung schwer zu erhalten wäre<br />

Gegensatz zur feudalen Politik (Enteignung von Bauern, Grundbesitz, e.t.c.)<br />

Eine Umwälzung <strong>de</strong>r Produktionsverhältnisse ist aus diesen Grün<strong>de</strong>n nicht<br />

erwünschenswert<br />

Reformfähigkeit <strong>de</strong>s Kapitalismus aus Eigeninteresse<br />

Abschnitt 2:<br />

- Frage: Verwirklichung <strong>de</strong>s Sozialismus nie zu erwarten? (Herstellung <strong>de</strong>r klassenlosen<br />

Gesellschaft)<br />

- Die strenge Umsetzung <strong>de</strong>s Sozialismus (nach Marx) liegt in weiter Ferne<br />

- Reformweise Umsetzung sozialistischer Elemente wird angestrebt<br />

z.B. Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip [n. –snur Sg.; Pol., Soziol.] Ordnungsprinzip in Staat und<br />

Gesellschaft, das besagt, dass <strong>de</strong>r Staat im Verhältnis zur Gesellschaft Hilfe zur<br />

Selbsthilfe als Ergänzung <strong>de</strong>r Eigenverantwortung anbieten soll (1961 im<br />

Bun<strong>de</strong>ssozialhilfegesetz verankert)<br />

- Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Kontrollmöglichkeiten <strong>de</strong>r Gesellschaft / Staates über die Wirtschaft<br />

Gegensatz zum Liberalismus: nicht mehr nur Ermöglichung <strong>de</strong>s freien Spiels <strong>de</strong>r<br />

Kräfte, son<strong>de</strong>rn Eingriff <strong>de</strong>s Staates / <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Staat soll die Wirtschaft so leiten, das die von Marx beschriebene Ausbeutung <strong>de</strong>r<br />

Proletarier nicht zu Stan<strong>de</strong> kommt (= Auswüchse <strong>de</strong>s Sozialismus nach Marx) (= Ziel <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>mokratischen Sozialismus nach Bernstein)<br />

Das Endziel <strong>de</strong>s Sozialismus rückt in <strong>de</strong>n Hintergrund – Der Weg hin zum Endziel <strong>de</strong>s<br />

Sozialismus steht im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />

Bewegung steht im Vor<strong>de</strong>rgrund, nicht das Endziel (= Utopie) („Das Ziel ist nichts,<br />

<strong>de</strong>r Weg ist Alles.“)<br />

Abkehr von <strong>de</strong>m Revolutionsgedanken Marx´s<br />

Weg zu einer reformartigen Umsetzung sozialistischen Gedankenguts<br />

Resumee: Grundwerte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Freiheit<br />

Definition <strong>de</strong>r Freiheit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Freiheit verlangt Freisein von entwürdigen<strong>de</strong>n Abhängigkeiten, von Not und Furcht,<br />

aber auch die Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten und in Gesellschaft und<br />

Politik verantwortlich mitzuwirken.<br />

Menschliche Freiheit ist nicht gegeben, wenn man in einer entwürdigen<strong>de</strong>n<br />

Abhängigkeit ist.<br />

• Chance zur Entfaltung <strong>de</strong>r Freiheit ist eine Leistung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

Freiheit existiert nur innerhalb einer Gesellschaft<br />

Die Gesellschaft schafft die Rahmenbedingungen in <strong>de</strong>r Menschen<br />

frei sein können<br />

Gesellschaft muss die Abhängigkeiten <strong>de</strong>r Menschen beseitigen<br />

o Wahrnehmung <strong>de</strong>r Freiheit erst dann möglich<br />

Gerechtigkeit<br />

Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

Gerechtigkeit in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen:<br />

Solidarität<br />

• gleiche Wür<strong>de</strong> aller Menschen<br />

• gleiche Freiheit,<br />

• Gleichheit vor <strong>de</strong>m Gesetz,<br />

• gleiche Chancen <strong>de</strong>r politischen und sozialen Teilhabe und <strong>de</strong>r sozialen<br />

Sicherung.<br />

• gesellschaftliche Gleichheit von Mann und Frau<br />

• Verteilung von Einkommen<br />

• Eigentum<br />

• Macht<br />

• Zugang zu Bildung<br />

• Ausbildung und Kultur.<br />

Chancengleichheit statt Chancengerechtigkeit !<br />

Umverteilung von Einkommen durch Steuern (hohe Steuern für<br />

Hochverdienen<strong>de</strong> / niedrige Steuern für Niedrigverdiener<br />

nicht Gleichförmigkeit, son<strong>de</strong>rn Entfaltungsraum für alle<br />

Definition <strong>de</strong>r Gerechtigkeit nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mokratischen Sozialismus<br />

• Bereitschaft füreinan<strong>de</strong>r Einzustehen und zu helfen, über das<br />

lebenserhalten<strong>de</strong> Niveau hinaus<br />

• Subsidiarität: Unterstützung <strong>de</strong>r niedrigeren Schicht, sofern sie sich selbst<br />

nicht mehr helfen kann<br />

Solidarität: Hilfe in je<strong>de</strong>m Fall, nicht nur im Notfall<br />

• Chancengleichheit für alle Menschen (vor allem für Menschen in <strong>de</strong>r<br />

Dritten Welt)<br />

Grundbedürfnisstrategie<br />

• Sicherung für kommen<strong>de</strong> Generationen<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Nachhaltigkeit<br />

• Nur gemeinsames Agieren sichert das Wohl aller<br />

Abkehr vom Individualismus

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