gesamt 12 - Evolutionsfehler.de
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te freie Gesellschaft ( ... ) kann nicht bestehen,<br />
wenn man alle Verantwortung <strong>de</strong>m Staat zuschiebt.<br />
(...) Es wäre freilich zynisch, individuelle Verantwortung<br />
einer armen Gesellschaft zu predigen.<br />
In einer relativ reichen Gesellschaft sollte<br />
sie sich von selber verstehen. Wir haben uns<br />
daran gewöhnt, dass <strong>de</strong>r Staat immer mehr<br />
zum Versorgungsstaat wird und darüber seine<br />
im strengen Sinne <strong>de</strong>s Wortes staatlichen Aufgaben<br />
vernachlässigt. ( ... )<br />
Ist es wirklich zuviel verlangt, dass mündige<br />
Menschen, die heute mehr verdienen als <strong>de</strong>r<br />
alte Mittelstand, auch Verantwortung für sich<br />
und ihre Angehörigen übernehmen und zum<br />
Beispiel Kin<strong>de</strong>rerziehung, Altersversorgung<br />
und Sicherung für <strong>de</strong>n Krankheitsfall weitestgehend<br />
in eigener Regie treiben? Es ist eine<br />
kaum zu leugnen<strong>de</strong> Tatsache, daß wir auf die<br />
Dauer das weniger zu würdigen wissen, was<br />
wir durch anonyme Apparate scheinbar gratis<br />
zugewiesen erhalten. Deshalb geht auch die<br />
Rechnung nicht auf, dass die Loyalität <strong>de</strong>r Bürger<br />
in <strong>de</strong>m gleichen Maße zunimmt, in <strong>de</strong>m sie<br />
versorgungsstaatlich betreut wer<strong>de</strong>n. Im Gegenteil:<br />
<strong>de</strong>r administrativ betreute Mensch verfällt<br />
gegenüber <strong>de</strong>m Staat immer mehr in eine<br />
passiv for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> "orale" Haltung, in jene "grenzenlose<br />
Pleonexie", die bereits Max Scheler<br />
(1874-1928) als einen beherrschen<strong>de</strong>n Zug<br />
unseres Jahrhun<strong>de</strong>rts bezeichnet hat. Das<br />
Wort Pleonexie be<strong>de</strong>utet Begehrlichkeit, Anmaßung,<br />
eine Grundhaltung infantilregressiven<br />
Glücksverlangens. ( ... )<br />
7. Der Mensch ist nicht nur ein gesellschaftliches,<br />
son<strong>de</strong>rn auch ein kosmisches Wesen.<br />
Zu <strong>de</strong>n Ordnungen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Mensch lebt<br />
und auf die er unaufhebbar angewiesen ist,<br />
gehört auch die Natur, die Ordnung <strong>de</strong>s Kosmos.<br />
Das Gebot <strong>de</strong>r Demut, das <strong>de</strong>n meisten<br />
Religionen eigentümlich ist, lässt sich im Hinblick<br />
auf diese Naturverhaftetheit <strong>de</strong>s Menschen,<br />
<strong>de</strong>r selber ein Teil <strong>de</strong>r Natur ist, auch<br />
ohne direkten Bezug auf religiöse Offenbarungen<br />
begrün<strong>de</strong>n.( ... )<br />
Heute wissen wir, dass die unseren eigenen<br />
Fortbestand als Gattung gefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Instabilität<br />
aller Lebensverhältnisse um so größer wird,<br />
je mehr wir als angeblich autonome, kein an<strong>de</strong>res<br />
Maß als das <strong>de</strong>r beliebigen Machbarkeit<br />
anerkennen<strong>de</strong> Herren in unsere Umwelt eingreifen.<br />
( ... ) Wenn wir uns in technischer,<br />
politischer und ökologischer Hinsicht nicht uneinsichtiger<br />
stellen wollen, als wir sind, dann<br />
ergibt sich angesichts <strong>de</strong>r Tatsache, dass heute<br />
zum erstenmal die menschliche Umwelt in<br />
28<br />
planetarischem Umfang zu einer abhängigen<br />
Variablen gewor<strong>de</strong>n ist, die unbedingte For<strong>de</strong>rung,<br />
dass je<strong>de</strong>r manipulative Eingriff in die<br />
Natur beweislastpflichtig ist. Die expansionistischen<br />
Neuerer haben die Beweislast dafür zu<br />
tragen, dass ihre Eingriffe die ökologischen<br />
Bedingungen nicht verschlechtern. Das ist eine<br />
erzkonservative For<strong>de</strong>rung, die sowohl für die<br />
kapitalistische als auch die sozialistische Organisation<br />
<strong>de</strong>r Wirtschaft in ihrer bisherigen<br />
Gestalt eine radikale Provokation be<strong>de</strong>utet.<br />
Denn bei<strong>de</strong>r Legitimationsi<strong>de</strong>ologie ist ein<br />
anthropozentrisches Menschenbild, das in<br />
seinen extremen Ausprägungen einen zur puren<br />
Wut gesteigerten Naturhass verrät. ( ... )<br />
In kosmischer Perspektive geht es keineswegs<br />
bloß um etwas mehr Umweltschutz, son<strong>de</strong>rn<br />
um das grundsätzlich neue Konzept einer Ordnung,<br />
die sich nicht selbst zerstört: einer ökologischen<br />
Frie<strong>de</strong>nsordnung, die die außermenschliche<br />
Natur nicht länger als bloßen<br />
Rohstoff o<strong>de</strong>r als Sklavin ansieht, son<strong>de</strong>rn als<br />
Partner mit eigenem Anspruch.<br />
Eine konservative Theorie, die diese Einsichten<br />
ernst nimmt, ist nicht romantisch, son<strong>de</strong>rn vernünftig<br />
und lebensgerecht. Sie steht vor <strong>de</strong>r<br />
paradoxen Aufgabe, ein Konzept revolutionärer<br />
Bewahrung zu entwickeln, <strong>de</strong>n Entwurf einer<br />
Ordnung, in <strong>de</strong>r Bewahren möglich und sinnvoll<br />
ist.<br />
(Gerd-Klaus Kaltenbrunner [Schriftsteller und Publizist;<br />
gilt als einer <strong>de</strong>r profiliertesten Vertreter <strong>de</strong>s<br />
zeitgenössischen <strong>de</strong>utschen Konservatismus], Sieben<br />
Thesen über <strong>de</strong>n Konservatismus; in: Konrad<br />
Bonkosch [Hrsg.], Kompendium <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />
christlich-freiheitlichen Konservatismus. Bonn 1978,<br />
S. 109-<strong>12</strong>3)<br />
Bestimmungsmerkmale <strong>de</strong>s<br />
Neokonservatismus<br />
Wie unterschei<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r "neue Konservatismus"<br />
von <strong>de</strong>n älteren Formen <strong>de</strong>s konservativen<br />
Selbstverständnisses? Diese Differenz<br />
kann am ehesten, wie ich meine, auf <strong>de</strong>r Folie<br />
<strong>de</strong>s sogenannten technokratischen Konservatismus<br />
ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r von Theoretikern<br />
wie Hans Freyer, Arnold Gehlen, Ernst<br />
Forsthoff und Helmut Schelsky entwickelt wor<strong>de</strong>n<br />
ist: Ohne Zweifel war er bis En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er<br />
bzw. Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre die fortgeschrittenste<br />
Variante <strong>de</strong>s Konservatismus in <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik. Worin bestehen seine zentralen<br />
Aussagen? Stark vereinfacht, möchte ich<br />
folgen<strong>de</strong> Aspekte hervorheben: