Zum Text von "Der Konservative" Weiterführung vom 08.07.05 Technokratischer Konservatismus (Neokonservatismus) Bruch mit <strong>de</strong>m alten Konservatismus ! Typisches Merkmal: Fortschrittsgläubigkeit: Glauben an neue technische Entwicklungen 213 Politik – Mitschrift – <strong>12</strong>.07.05
Theorie und I<strong>de</strong>ologie - Versuch einer Begriffsklärung Kaum ein Begriff <strong>de</strong>r Sozialwissenschaften ist mehr<strong>de</strong>utiger als <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologiebegriff Es ist daher gerechtfertigt, immer dann, wenn <strong>de</strong>r Begriff fällt, nach seiner aktuellen Be<strong>de</strong>utung zu fragen. Aus diesem Grun<strong>de</strong> ist es auch nicht möglich, eine immergültige und abschließen<strong>de</strong> Definition vorzulegen. Allen I<strong>de</strong>ologiebegriffen gemeinsam ist, dass sie sich aus zentral gedachten Werten und Überzeugungen (Freiheit, Gleichheit, Ordnung etc.) entwickeln. Zentrale Werte aber sind an gesellschaftliche Situationen gebun<strong>de</strong>n, die sie für diejenigen, die in gleicher Situation leben, einsichtig lind nachvollziehbar machen. Der Ruf nach Freiheit begeisterte die Bürger <strong>de</strong>s 18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts gegen die Vormacht <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls im absolutistischen Staat, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>n Wert „Ordnung“ <strong>de</strong>r zerstörerischen Gewalt <strong>de</strong>r Freiheit entgegenhielt. Gegen bei<strong>de</strong> richtete sich die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Arbeiterschaft nach Verwirklichung <strong>de</strong>r Freiheit in Gleichheit nach gleichen Lebenschancen. Die zentrale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Werte Freiheit, Ordnung o<strong>de</strong>r Gleichheit war <strong>de</strong>mnach gebun<strong>de</strong>n an die Lebenserfahrung ihrer Träger, an die gesellschaftliche Situation <strong>de</strong>s Bürgertums, <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls o<strong>de</strong>r- <strong>de</strong>r Arbeiterschaft. Diese Werte befähigten die Angehörigen <strong>de</strong>r jeweiligen gesellschaftlichen Schichten zum gemeinsamen politischen Han<strong>de</strong>ln, in<strong>de</strong>m sie unterschiedliche Berufsgruppen zusammenführten (z. B. Bauern, Handwerker, Klein-, Bildungs- und Großbürgertum im Liberalismus) und trennen<strong>de</strong> Interessen als unwichtig erscheinen ließen, also integrierten. Gleichzeitig trennte die Anerkennung gemeinsamer zentraler Werte bestimmte Schichten von an<strong>de</strong>ren, separierte also (z. B. A<strong>de</strong>l von Arbeiterschaft), und ließ schließlich die Wahl bestimmter Programme bzw. <strong>de</strong>r diese repräsentieren<strong>de</strong>n Personen sinnvoll erscheinen. I<strong>de</strong>ologien befähigen als Vermittler zentraler Werte zum politischen Han<strong>de</strong>ln, d. h. zur sinnorientierten politischen Tätigkeit, da sie Prioritäten (was ist wichtig) und die Richtung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns (wie soll gestaltet wer<strong>de</strong>n) vorgeben. I<strong>de</strong>ologien wer<strong>de</strong>n unter diesem Aspekt als Voraussetzung und Rechtfertigung politischen Han<strong>de</strong>lns in <strong>de</strong>r Regel positiv bewertet. Die Akzeptanz einer I<strong>de</strong>ologie ergibt sich aus <strong>de</strong>n Lebensverhältnissen ihrer Träger: Die Frage nach <strong>de</strong>m Träger ist daher auch immer die Frage nach <strong>de</strong>n Interessen, die mit <strong>de</strong>m vorherrschen<strong>de</strong>n zentralen Wert verbun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Diese Interessen sind in <strong>de</strong>r Regel 1 vielschichtig. Ohne Zweifel drängte das Bürgertum im 18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt auf die Anerkennung <strong>de</strong>r Menschenrechte, ihre Verwirklichung diente jedoch zugleich <strong>de</strong>m Schutz seines Eigentums gegenüber Staat und Arbeiterschaft, seinen Karrierewünschen und Machtansprüchen. An<strong>de</strong>rerseits war <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>l ohne Zweifel zutiefst beunruhigt durch die Gräuel im Gefolge <strong>de</strong>r Französischen Revolution, sicherte zugleich aber mit <strong>de</strong>m Ruf nach Ordnung seine gesellschaftliche Stellung. I<strong>de</strong>ologien ermöglichen daher nicht nur politisches Han<strong>de</strong>ln, sie verschleiern durch die Vorgabe zentraler Werte die eigentliche Interessenlage, ja vermitteln Teilen ihrer Anhänger ein „falsches Bewusstsein“ (Marx), in<strong>de</strong>m sie sie veranlassen, unter Berufung auf diesen Wert gegen ihre eigentlichen Interessen zu han<strong>de</strong>ln (z. B. Arbeiter, die unter Berufung auf die göttliche Ordnung Vorrechte <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls verteidigen). Haben wir uns erst einmal daran gewöhnt, unser politisches Han<strong>de</strong>ln rechtfertigen zu müssen, können I<strong>de</strong>ologien zur nachträglichen Rechtfertigung politischen Han<strong>de</strong>lns geraten, das aus ganz an<strong>de</strong>ren Motiven, u. U. aus reinen Sachgrün<strong>de</strong>n, geschieht. Schließlich kann eine I<strong>de</strong>ologie pervertieren, ohne dass dies ihren Anhängern direkt bewusst wird: Unter <strong>de</strong>m Ruf nach Freiheit gegen Bevormundung verwehrten liberale Politiker im Kulturkampf nach 1870/71 Katholiken die Meinungs- und Religionsfreiheit und griffen schließlich zum Mittel <strong>de</strong>s Polizeistaates; konservative Philosophen begrüßten als Ausdruck überzeitlicher Ordnung die Entstehung von Technokratien; Sozialisten ließen es zu, dass die Gleichheit über die Freiheit triumphierte, die Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats sich zur Diktatur über das Proletariat entwickelte. Die Ursachen dieser Pervertierung sehen Politikwissenschaftler in <strong>de</strong>m Absolutheitsanspruch <strong>de</strong>r jeweiligen Werte. Unter dieser Bedingung entarten I<strong>de</strong>ologien zur Rechtfertigung und Verschleierung von Interessen, zur Täuschung und selektiven Wahrnehmung, zum Verlust von Realitätssinn. Ihre Anhänger sind dann intolerant, da sie für bestimmte Werte absolute Geltung verlangen. I<strong>de</strong>ologisch argumentiert jemand, <strong>de</strong>r seine wahren Interessen nicht offen legt, son<strong>de</strong>rn sie hinter hohlem Pathos verbirgt, <strong>de</strong>r offenkundige Fakten nicht wahrnehmen will, son<strong>de</strong>rn unbelehrbar auf seiner Meinung beharrt. I<strong>de</strong>ologie in diesem Sinne wird negativ bewertet.