Prävention im echten Leben - Asklepios
Prävention im echten Leben - Asklepios
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Reportage<br />
Warum Fünftklässler<br />
auf Zigaretten schießen<br />
Die „Rasselbande“ kommt aus der Gesamtschule<br />
Mümmelmannsberg. Zwei<br />
Dutzend Fünftklässler <strong>im</strong> Alter von<br />
zehn bis zwölf Jahren, begleitet von<br />
zwei Lehrern und einem Sozialpädagogen.<br />
Heute sind die Kinder in der<br />
<strong>Asklepios</strong> Klinik St. Georg zu Gast bei<br />
Priv.-Doz. Dr. Martin Merkel, Oberarzt<br />
der I. Medizinischen Abteilung. Auf<br />
dem Programm steht <strong>Prävention</strong>sunterricht,<br />
genauer: das Thema Rauchen.<br />
Jetzt sitzen die Kinder <strong>im</strong> alten medizinischen<br />
Hörsaal der Klinik und sind<br />
zappelig. Auf der großen Leinwand<br />
fl iegen virtuelle Zigaretten von links<br />
nach rechts. Mit einer funkgesteuerten<br />
Computermaus können die Kinder<br />
die Zigaretten abschießen. Das macht<br />
sichtlich Freude – und st<strong>im</strong>mt schon<br />
mal aufs Thema ein. Dr. Merkel fragt<br />
die Kinder: „Was ist denn in den Zigaretten<br />
drin?“ Und gibt gleich die Antwort:<br />
mehr als 4500 Inhaltsstoffe, darunter<br />
Blausäure, Arsen und Cadmium.<br />
Zucker und Aromen sorgen dafür, dass<br />
die Zigarette besser schmeckt. Ammoniak<br />
erhöht die Suchtgefahr.<br />
Dann geht es rüber in die Zentrale<br />
Notaufnahme, ein Blick in die Unter-<br />
suchungsräume. Im Haupthaus geht es<br />
dann zu Fuß bis in den 8. Stock. Jedes<br />
Kind bekommt einen Strohhalm. „Ab<br />
jetzt nur noch dadurch atmen, Nase<br />
zuhalten, dann wisst Ihr, wie ein Lungenkranker<br />
sich für den Rest seines<br />
<strong>Leben</strong>s fühlt“, sagt Dr. Merkel – und<br />
stürmt die Treppen hinauf. Die Kinder<br />
kommen kaum hinterher, manche<br />
wollen schummeln und den Fahrstuhl<br />
nehmen.<br />
Auf der Leinwand fl iegen virtuelle Zigaretten von<br />
links nach rechts. Mit einer Computermaus können<br />
die Kinder die Zigaretten abschießen.<br />
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Nach der Fitnessübung geht es zu Fuß<br />
ins Parterre in die Endoskopie, vorbei<br />
an Patienten, die auf ihre Behandlung<br />
warten. Da werden die Kinder ganz<br />
still. Schließlich sind Patienten darunter,<br />
die echte Atemprobleme haben<br />
und deren Bronchien in der Endoskopie<br />
mit dem Bronchoskop „gespiegelt“<br />
werden. Die Kinder haben Respekt vor<br />
dem Gerät: „Hoffentlich muss bei mir<br />
keiner mit dem dicken Schlauch in den<br />
Hals und in die Lunge schauen“, sagt<br />
ein Mädchen. „Wenn du gar nicht erst<br />
anfängst zu rauchen, dann kommt es<br />
auch nicht so weit“, sagt Dr. Merkel.<br />
Für die Kinder waren die zwei Stunden<br />
voller Erlebnisse. „Zumindest die Sensibleren<br />
unter ihnen machen sich jetzt<br />
Gedanken, ob es wirklich so cool ist zu<br />
rauchen“, sagt Dr. Merkel.<br />
(ME)<br />
Warum engagieren Sie sich für das<br />
Thema <strong>Prävention</strong>?<br />
Dr. Merkel: Im Zusammenhang mit<br />
meinem Spezialgebiet – Diabetes und<br />
Fettstoffwechselstörungen – bin ich<br />
mit den Folgen von falscher Ernährung<br />
und Bewegungsmangel konfrontiert.<br />
Bald wird fast jeder zehnte Mensch in<br />
Deutschland an Diabetes mellitus Typ<br />
2, dem früheren sogenannten „Altersdiabetes“,<br />
erkrankt sein. Schon heute<br />
ist ein Viertel unserer Patienten zuckerkrank,<br />
mit allen schweren Folgen:<br />
Herzinfarkt, Sehstörungen bis zur<br />
Erblindung, Amputation, Nierenversagen<br />
und Dialyse. Die Menschen mit<br />
Zuckerkrankheit werden <strong>im</strong>mer jünger:<br />
Kürzlich lernte ich ein neunjähriges<br />
Kind kennen, das einen Diabetes<br />
durch Fettsucht und Bewegungsmangel<br />
hat. Durch <strong>Prävention</strong> mit gesunder<br />
Ernährung und Sport ließen sich solche<br />
Krankheiten verhindern! Wenn das keine<br />
Motivation ist …<br />
Welche Rolle spielt der Klinikalltag<br />
für Ihr Engagement?<br />
Dr. Merkel: Auch bei unseren Patienten<br />
sehe ich die Folgen der fehlenden<br />
<strong>Prävention</strong>: Kein Tag, an dem nicht ein<br />
Patient mit Leberzirrhose stationär aufgenommen<br />
werden muss, das ist fast<br />
<strong>im</strong>mer eine Folge von Alkoholmissbrauch.<br />
Raucher kommen zu uns mit<br />
chronischer Bronchitis und schwerer<br />
Luftnot nahe am Ersticken; über Lungenkrebs<br />
muss ich an dieser Stelle wohl<br />
nichts sagen. So wenig, wie ich diese<br />
verhinderbaren Krankheiten unseren<br />
Patienten wünsche, so wenig wünsche<br />
ich sie einem meiner Kinder, sie sind<br />
fünf, zehn und zwölf Jahre alt.<br />
Wie gestalten Sie Ihren <strong>Prävention</strong>sunterricht?<br />
Was sollen die Kinder mit<br />
nach Hause nehmen, also lernen?<br />
Dr. Merkel:. Um die Aufmerksamkeit<br />
der Kinder zu gewinnen, versuche<br />
ich, sie in ihrem Alltag abzuholen, zum<br />
„Kürzlich lernte ich ein neunjähriges Kind<br />
kennen, das einen Diabetes durch Fettsucht<br />
und Bewegungsmangel hat. Das ließe sich<br />
verhindern!“<br />
Interview<br />
Beispiel, indem ich mit<br />
ihnen ein Computerspiel<br />
spiele, oder wir machen<br />
ein Quiz. Danach zeige ich<br />
Fotos, zum Beispiel Abbildungen<br />
von einer Raucherlunge. Im<br />
Alltag der Kinder ist ungesundes Verhalten<br />
ja „cool“. Also versuche ich zu<br />
vermitteln, dass gesunde <strong>Leben</strong>sweise<br />
„cool“ ist – und dass es nichts „uncooleres“<br />
gibt, als durch eigenes Fehlverhalten<br />
krank zu werden.<br />
Wo bestehen die größten Wissenslücken<br />
bei den Kindern? Was hat Sie am<br />
meisten irritiert?<br />
Dr. Merkel: Reine Wissensvermittlung<br />
oder gar reine Abschreckung helfen<br />
nicht weiter. In der Schule werden<br />
den Kindern ja erfreulicherweise auch<br />
viele erlebnisorientierte Lerninhalte<br />
zur <strong>Prävention</strong> angeboten. Wichtig ist<br />
die emotionale Bewertung; es muss ein<br />
Umschalten von „ungesund ist cool“<br />
auf „gesund ist cool“ erfolgen.<br />
„Die Wirkung von Nikotin“: Rauchen vermindert nachweislich die<br />
Durchblutung der Gefäße. Sie werden kälter, wie die Wärmebilder zeigen.<br />
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