Aufroller im Bogenoffset - Fachhefte grafische Industrie
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Glosse<br />
Haben Sie Post für mich?<br />
Kurt Mürset, Basel<br />
Es ist schon eine Weile her, da erhielt ich<br />
eine umfangreiche Postsendung: ein persönlicher<br />
Brief auf edlem Papier mit Goldprägedruck,<br />
eine mehrseitige bunte Broschüre<br />
in handlichem Format, ein Set mit<br />
Hochglanzpostkarten, nicht zu vergessen<br />
eine Antwortkarte und ein bereits frankiertes<br />
Kuvert. Nachdem sich meine erste Ehrfurchtsstarre,<br />
verursacht durch diese druckund<br />
ausrüstungstechnische Grossoffensive,<br />
etwas gelöst hatte, versuchte ich herauszufinden,<br />
worum es bei dieser Direktwerbung<br />
– und als solche muss man diese Wundertüte<br />
wohl bezeichnen – eigentlich ging. Und<br />
siehe da: ein noch zu bauender Hotel- und<br />
Appartementkomplex in einem wunderschönen<br />
alten Park, an atemberaubender<br />
Lage mit Blick auf See und Berge an einer<br />
der begehrtesten Feriendestinationen des<br />
Tessins warb da um meine Aufmerksamkeit.<br />
Ich schaute dann nochmals genauer hin,<br />
las da einiges über die verfügbaren Serviceleistungen,<br />
vom Sternerestaurant bis zur<br />
Wäscherei, von Fit- und Wellnessangeboten<br />
bis zu hausärztlichen und therapeutischen<br />
Leistungen, von punktueller Unterstützung<br />
<strong>im</strong> Alltag bis hin zu intensiver Pflege rund<br />
um die Uhr . . . ja, wie was jetzt?<br />
Das war mitnichten ein Ferienangebot<br />
unter Palmen in den luxuriösen eigenen vier<br />
Wänden. Da ging es ganz klar um ein Altershe<strong>im</strong>.<br />
Nicht von der Sprachebene, aber von<br />
der Sache her schon. Im Prospekt wurden<br />
denn auch eher Begriffe wie Wohnsitz und<br />
Residenz verwendet. Wie auch <strong>im</strong>mer – es<br />
ist natürlich legit<strong>im</strong>, solche Seniorenpaläste<br />
zu bauen und zu verkaufen, es gibt sicher<br />
ein Publikum, das bereits den Spätnachmittag<br />
seines Lebens hier verbringen möchte,<br />
mit der Gewissheit, auch die Dämmerung<br />
und den Abend hier geniessen zu dürfen.<br />
Meine Wenigkeit war aber zum Zeitpunkt<br />
des Erhalts dieser Botschaft knappe 48½<br />
Jahre alt. Eine Frühpensionierung stand<br />
nicht ins Haus, der Lottogewinn liess auf<br />
sich warten. Also, ich passte da nicht. Weder<br />
zielgruppen- noch kaufkraftklassenmässig<br />
und vom «gefühlten» Alter her sowieso<br />
nicht.<br />
Ich habe es dann aber doch als Fingerzeig<br />
des Schicksals genommen und schon mal<br />
über ein Alterszielsparen nachgedacht.<br />
Schliesslich sparen in diesem unserem Land<br />
erwiesenermassen schon Jugendliche nicht<br />
nur für Ferien oder ein Smartphone, sondern<br />
auch mit siebzehn, achtzehn Jahren<br />
schon fürs eigene He<strong>im</strong>, wie die Marktfor-<br />
Ich bin weder ein Kiosk, noch eine Bank. Aber ein Briefkasten bin ich allemal. Ein<br />
realer und ein virtueller. Wobei der zweite den Vorteil hat, dass er schneller geleert<br />
ist. Der erste hingegen gibt öfters mal Anlass zum Kopfschütteln.<br />
schung weiss. So gesehen wäre es ja höchste<br />
Eisenbahn gewesen, mich um ein adäquates<br />
(Alters-)He<strong>im</strong> zu kümmern. Nach einer<br />
ersten Überschlagsrechnung habe ich dann<br />
diesen Gedanken schleunigst wieder verworfen<br />
und auch die Prospekte aus dem<br />
Tessin dem Alt-Papier (sic) überantwortet.<br />
Sicher fragen Sie sich, warum ich Ihnen<br />
diese alte Geschichte auftische, <strong>im</strong>merhin<br />
sind seither ein paar Jahre vergangen und<br />
ich bin feste dabei, sozusagen in die Zielgruppe<br />
hineinzuwachsen. – Also damals<br />
habe ich mich geärgert, weil ich mir sagen<br />
musste, dass da die Mediaspezialisten ihre<br />
Hausaufgaben schlecht gemacht hatten. Was<br />
nützen die Konsumentenstudien, die da<br />
gewälzt, die Affinitäten, die untersucht,<br />
die Zielgruppen, die haarklein definiert<br />
werden, wenn sich die teuer eingekaufte<br />
Adresse dann schlicht als Blindgänger entpuppt?<br />
Das ist mir seither <strong>im</strong>mer wieder mal<br />
passiert. Ich spreche hier ja nicht von den<br />
armen Angestellten in den Call Centers, die<br />
froh und dankbar sind, wenn überhaupt<br />
jemand den Hörer abhebt, bei denen ist<br />
das gang und gäbe, nein, ich meine die<br />
adressierte Direktwerbung. Ich erhalte <strong>im</strong>mer<br />
wieder Mitteilungen von Automobilfirmen<br />
und Garagen, obwohl ich noch nie<br />
selber am Steuer eines wie auch <strong>im</strong>mer gearteten<br />
Motorfahrzeugs gesessen habe und<br />
auch gar nicht dazu berechtigt wäre. Was<br />
leicht herauszufinden ist. Man macht mich<br />
auf Gartenmöbel-Angebote aufmerksam,<br />
die vielleicht für einen Gastro-Grossbetrieb<br />
mit Riesenbiergarten geeignet wären, die<br />
Möblierungsmöglichkeiten meines kleinen<br />
Balkons aber bei weitem übersteigen. Auch<br />
das ist schnell recherchiert. Ich müsste schon<br />
längst einen Schuldendienst wie Griechenland<br />
haben, wenn ich alle Konsumkredit-<br />
Angebote der letzten Jahre genutzt hätte.<br />
Und – was mich <strong>im</strong>mer wieder erheitert –<br />
man ruft mich an, fragt nach der Einkaufsabteilung<br />
(worauf ich mich mit mir selbst<br />
verbinde) und bietet mir zu einem unschlagbaren<br />
Preis 2 Paletten Kopierpapier und<br />
1 Karton mit 500 Druckerpatronen an. Ich<br />
muss das Angebot dann leider dankend ablehnen.<br />
Ich tue das nicht ohne den Hinweis<br />
auf meine beschränkten Lagerkapazitäten,<br />
meine Einkaufsstrategie, die sich am Just-int<strong>im</strong>e-Prinzip<br />
orientiert, und die Bemerkung,<br />
dass sich meine Einmannbude wohl kaum<br />
für die Ewigkeit eindecken könne.<br />
Die Liste liesse sich fortsetzen, und ich<br />
komme nicht umhin festzustellen, dass die<br />
Zukunft noch nicht begonnen hat. Da hört<br />
man doch <strong>im</strong>mer wieder, dass wir Kon-<br />
sumenten so gläsern seien wie noch nie.<br />
Datenschützer tun ihre Bedenken kund.<br />
Marketingmenschen pochen auf ihr gutes<br />
Recht für die Verwendung ihrer gesammelten<br />
Daten. Junge Menschen sagen wieder<br />
mal: legal, illegal, scheissegal. Und ich sage<br />
mir, dass es mit der Transparenz noch gar<br />
nicht so weit her sein kann, wie <strong>im</strong>mer angenommen<br />
wird. Anders kann ich mir<br />
die vielen gezielten Direktwerbesendungen<br />
nicht erklären, die so glorios danebengehen.<br />
So zwei, drei Verknüpfungen meiner Daten<br />
würde ich all diesen Machern gerne zugestehen,<br />
wenn sich damit ein paar Fehlattacken<br />
auf meinen Briefkasten vermeiden liessen.<br />
So oder so. Wir freuen uns auf die Zukunft.<br />
Schalten Sie sich deshalb bitte auch<br />
das nächste Mal wieder ein, wenn es heisst:<br />
«Face oder Book, das ist hier die Plage!»<br />
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