Frauenfragen - GEW Landesverband Bayern
Frauenfragen - GEW Landesverband Bayern
Frauenfragen - GEW Landesverband Bayern
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Gruppe der einheimischen Mädchen 5 . Finanzielle Gründe,<br />
Angst vor einer kulturellen Entfremdung vom Herkunftsmilieu,<br />
fehlende Anerkennung und Wertschätzung sowie<br />
Mangel an tatsächlicher und emotionaler Unterstützung<br />
durch Eltern und Lehrkräfte stehen häufig der Aufnahme<br />
eines Studiums oder der Wahl eines geschlechtsuntypischen<br />
Berufsfeldes entgegen.<br />
Ist Geschlechtergerechtigkeit<br />
in der Schule realisierbar?<br />
Die durch Schule bedingten Ursachen der geschlechtsspezifischen<br />
Benachteiligung von Mädchen bei der Wahl von<br />
Beruf und relevanten Studienrichtungen sind von der feministischen<br />
Schulforschung seit Mitte der 1980er Jahre untersucht<br />
worden. Im Zentrum stand und steht die Koedukationsdebatte6<br />
und damit die Frage nach der Wirksamkeit einer<br />
geschlechtergetrennten oder einer gemeinsamen Erziehung<br />
von Mädchen und Jungen für die Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit.<br />
Aus dieser Diskussion hervorgegangene<br />
Studien belegen, dass es keineswegs eindeutige Effekte<br />
aus Koedukation oder Geschlechtertrennung<br />
gibt7 bzw. jeweils differenzierte<br />
Vor- und Nachteile beschrieben<br />
werden können8 . Eindeutig<br />
zeigte sich ferner, dass getrennter<br />
Unterricht ohne Veränderungen<br />
im Curriculum und in<br />
der Schulkultur nicht zielführend<br />
ist9 .<br />
In unserem Bildungssystem<br />
gilt die gemeinsame Erziehung<br />
als die optimale Form der Gleichberechtigung;<br />
kaum eine staatliche<br />
Erziehungs- und Bildungsinstitution<br />
in Deutschland weicht<br />
von dieser Form ab. Zahlreiche<br />
Untersuchungen zeigen, dass in<br />
unserem koedukativen Schulsys-<br />
Foto: Nico Schmidt<br />
tem Jungen weitaus mehr Proble-<br />
5<br />
Vgl. Granato, M. (2003): Jugendliche mit Migrationshintergrund – auch in<br />
der beruflichen Bildung geringere Chancen? In: Auernheimer, G. (Hrsg.):<br />
Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder.<br />
Opladen, S. 113-138.<br />
6<br />
Vgl. Horstkemper, M./Kraul, M., (Hrsg.) (1999): Koedukation. Erbe und<br />
Chancen. Weinheim.<br />
7<br />
Vgl. Metz-Göckel, S. (1999): Koedukation – nicht um jeden Preis. Eine Kritik<br />
aus internationaler Perspektive. In: Behm, B./Heinrichs, G./Tiedemann, H.<br />
(Hrsg.) (1999): Das Geschlecht der Bildung – Die Bildung der Geschlechter.<br />
Opladen, S. 131-148. Faulstich-Wieland, H./Weber, M./Willems, K. (2004):<br />
Doing Gender im heutigen Schulalltag. Empirische Studie zur sozialen Konstruktion<br />
von Geschlecht in schulischen Interaktionen. Weinheim.<br />
8<br />
Breitenbach, E. (2002): Geschlecht im schulischen Kontext. Theoretische<br />
und empirische Fragen an die Koedukation. In: Breitenbach, E./Bürmann,<br />
I./Liebsch, K./Mansfeld, C./Micus-Loos, C. (Hrsg.): Geschlechterforschung<br />
als Kritik. Bielefeld, S. 149-164.<br />
9 Faulstich-Wieland, H./Nyssen, E. (1998): Geschlechterverhältnisse im Bildungssystem<br />
– Eine Zwischenbilanz. In: Rolff, H.-G./Bauer, K.-O./Klemm,<br />
K./Pfeiffer, H. (Hrsg.): Jahrbuch der Schulentwicklung. Weinheim, S. 163-<br />
199.<br />
15 DDS März 2008<br />
me als Mädchen machen und haben. Als Ursachen hierfür<br />
werden u. a. genannt<br />
Selbstüberschätzung der eigenen schulischen Leistungen,<br />
Negativbewertungen wegen sozialer Auffälligkeit,<br />
Fehlende männliche Vorbilder im Erziehungs- und Schulgeschehen<br />
sowie<br />
Probleme mit der männlichen Sozialisation insgesamt.<br />
Es scheint, als spielten die spezifischen Leistungsdefizite<br />
der Jungen für den Übergang Schule/Studium und Arbeitsmarkt<br />
(noch) kaum eine Rolle. Doch es mehren sich<br />
die Belege, dass ihre fachübergreifenden Bildungs- und Berufskarrieren<br />
in Zukunft ungünstiger verlaufen und die der<br />
Mädchen trotz ihrer guten Bildungserfolge weiterhin fachlich<br />
eingeschränkt bleiben. Um so dringender ist es, Leistungen<br />
und Kompetenzen sowie deren Erwerb und Vermittlung<br />
stärker in Zusammenhang mit Prozessen geschlechtlicher<br />
Bildung und Selbstvergewisserung von Jungen<br />
und Mädchen, Lehrerinnen und Lehrern zu erforschen.<br />
Dabei kann es sich nicht nur um das Einnehmen der Geschlechterperspektive<br />
handeln. Bedeutsamer wird die Frage<br />
nach der Ausgestaltung von Bildungs- und Lernprozessen<br />
generell sein. Damit rücken auch Fragen der Didaktik, der<br />
Schulentwicklung und Qualität, der Herstellung von Geschlecht<br />
in Bildungssituationen und deren Verknüpfung mit<br />
ethnischer und sozialer Herkunft in den Vordergrund.<br />
von Dr. Manuela Westphal<br />
Juniorprofessorin für Allgemeine Pädagogik und<br />
Frauenforschung und Mitglied im IMIS (Institut für<br />
Migrationsforschung und Interkulturelle Studien) an<br />
der Universität Osnabrück.<br />
Kontakt: manuela.westphal@uni-osnabrueck.de<br />
Der Beitrag ist die stark gekürzte Fassung eines Artikels, der unter dem<br />
Titel »Geschlechtergerechtigkeit als Problem der Bildung und des Bildungssystems«<br />
in der Vierteljahresschrift für Wissenschaftliche Pädagogik, 1/2005,<br />
S. 21-37 erschienen ist.