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Werth, BVerfG zur Rückwirkung im Steuerrecht DStZ 2010 Nr. 19 715<br />
gend einem Zeitpunkt zu mehr als 25 % beteiligt war.<br />
Durch das am 31. 3. 1999 verkündete Steuerentlastungsgesetz<br />
1999/2000/2002 wurde die Beteiligungsgrenze<br />
auf 10 % gesenkt (§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG).<br />
Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG galt die Neuregelung ab<br />
dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber – rückwirkend<br />
– auch Beteiligungsverhältnisse ein, die bereits<br />
vor ihrer Verkündung begründet worden waren.<br />
b) Entscheidung des BVerfG<br />
Das BVerfG ist entgegen dem BFH 8) der Auffassung,<br />
dass § 17 Abs. 1 Satz 4 i. V.m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG<br />
in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/<br />
2000/2002 wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen<br />
Grundsätze des Vertrauensschutzes verfassungswidrig<br />
und nichtig ist, soweit in einem Veräußerungsgewinn<br />
Wertsteigerungen steuerlich erfasst<br />
werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes<br />
1999/2000/ 2002 am 31. 3. 1999 entstanden<br />
sind und die entweder – bei einer Veräußerung<br />
bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden<br />
Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei<br />
einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes –<br />
sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum<br />
Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden<br />
Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.<br />
Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche<br />
wurde vom BVerfG dagegen verfassungsrechtlich<br />
nicht beanstandet. Die maßgeblichen letztinstanzlichen<br />
Entscheidungen sind aufgehoben und die Verfahren<br />
zur erneuten Entscheidung an den Bundesfinanzhof<br />
zurückverwiesen worden.<br />
c) Begründung<br />
aa) Entscheidungsmaßstab<br />
Das BVerfG wendet bei der Prüfung der Frage, ob die<br />
Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung<br />
privater Veräußerungen von Kapitalanteilen verfassungsgemäß<br />
ist, den fortentwickelten Maßstab hinsichtlich<br />
der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung<br />
an (s. oben unter Punkt I. 1. c) bb)), da sich die Regelung<br />
tatbestandlich auf Beteiligungsverhältnisse beziehe,<br />
die bereits vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes<br />
1999/2000/2002 am 31. 3. 1999<br />
bestanden haben. Es verneint das Vorliegen einer echten<br />
Rückwirkung, da die Neuregelung nach der Übergangsvorschrift<br />
des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG im Hinblick<br />
auf das Entstehen der Steuerschuld erstmalig für<br />
den bei Verkündung noch laufenden Veranlagungszeitraum<br />
Wirkung entfalte.<br />
bb) Vertrauenstatbestand<br />
Das BVerfG hält auch bei der Absenkung der Beteiligungsquote<br />
daran fest, dass die bloße Möglichkeit, Gewinne<br />
später steuerfrei vereinnahmen zu können,<br />
keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position begründe.<br />
Die Absenkung der Beteiligungsgrenze verstoße<br />
aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze<br />
des Vertrauensschutzes und sei nichtig, soweit in<br />
einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich<br />
erfasst würden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes<br />
1999/2000/2002 am 31. 3. 1999<br />
entstanden seien und die entweder – bei einer Veräußerung<br />
bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor gelten-<br />
den Rechtslage steuerfrei realisiert worden seien oder –<br />
bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes<br />
– sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch<br />
zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden<br />
Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.<br />
Mit dem Entstehen zwischenzeitlicher Wertzuwächse<br />
von Beteiligungen, die die 25 %-Grenze nicht<br />
überschritten, erfüllten sich ursprünglich beim Erwerb<br />
der Beteiligung vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte<br />
Erwartungen in Gestalt eines konkret vorhandenen<br />
Vermögensbestands im grundrechtlich geschützten<br />
Verfügungsbereich, der nach altem Recht<br />
– soweit auch die Voraussetzungen eines Spekulationsgeschäfts<br />
nicht vorgelegen hätten – nicht der Einkommensteuer<br />
unterlegen habe. Daraus ergebe sich ein erhöhter<br />
Rechtfertigungsbedarf, soweit die rückwirkende<br />
Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze eine solche konkret<br />
verfestigte Vermögensposition nachträglich entwerte.<br />
Dabei komme es allein darauf an, ob diese schon<br />
vor dem Wirksamwerden des Steuerentlastungsgesetzes<br />
1999/2000/2002 mit seiner Verkündung am<br />
31. 3. 1999 objektiv entstanden sei. Allerdings könne<br />
sich der Steuerpflichtige im Hinblick auf die zwischenzeitlichen<br />
Wertsteigerungen dann nicht auf Bestandsschutz<br />
berufen, wenn sein Anteil durch den Hinzuerwerb<br />
von neuen Anteilen im Zeitpunkt der<br />
Veräußerung nach Maßgabe des alten Rechts in die Wesentlichkeit<br />
„hineingewachsen“ sei, da in diesem Fall<br />
die Wertsteigerung auch nach altem Recht zu versteuern<br />
und die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze für<br />
die Steuerbarkeit nicht ursächlich gewesen wäre. Das<br />
BVerfG sieht in der Regelung zudem eine rechtfertigungsbedürftige<br />
Ungleichbehandlung nach Art. 3<br />
Abs. 1 GG, da die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze<br />
nur – nach altem Recht steuerfreie –<br />
Wertsteigerungen erfasse, wenn der Veräußerungsgewinn<br />
ab dem Jahr 1999 realisiert worden sei. Habe der<br />
Steuerpflichtige seine Beteiligung hingegen bereits bis<br />
Ende des Jahres 1998 veräußert, blieben die erzielten<br />
Wertsteigerungen steuerfrei.<br />
cc) Rechtfertigungsgründe<br />
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Das BVerfG sieht wiederum weder das Ziel der<br />
Vermehrung staatlicher Einkünfte, noch eine Umverteilung<br />
der Steuerbelastung, noch den in der Gesetzesbegründung<br />
genannten Aspekt der Missbrauchsbekämpfung<br />
als hinreichende gewichtige Gründe an,<br />
die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerliche<br />
Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener<br />
Wertzuwächse zu rechtfertigen. Zwar bestehe<br />
ein berechtigtes Interesse daran, etwaige<br />
Besteuerungslücken zu schließen, die sich aus der<br />
mangelnden Kongruenz der steuerlichen Behandlung<br />
von Gewinnausschüttungen einerseits und Anteilsveräußerungen<br />
andererseits ergäben. Hieraus ergebe sich<br />
aber nur ein generelles und kein spezifisch die Rückwirkung<br />
legitimierendes Änderungsinteresse. Andere<br />
Rechtfertigungsgründe, wie etwa einen Finanzierungsbedarf<br />
möglicherweise begleitende ordnungspolitische<br />
Sachziele oder die Notwendigkeit rascher Korrektur<br />
offensichtlicher Fehlsubventionierungen, die<br />
auf Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekten beruhten,<br />
8) BFH v. 1. 3. 2005, VIII R 25/02, BFHE 209, 275, BStBl II 2005,<br />
436; v. 1. 3. 2005, VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl II 2005,<br />
398; v. 10. 8. 2005, VIII R 22/05, BFH/NV 2005, 2188.