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Messung der Separiertheit akustischer Ströme - CES

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Universität Karlsruhe (TH)<br />

Institut für Technische Informatik<br />

Lehrstuhl für Eingebettete Systeme<br />

Hochschule für Musik Karlsruhe<br />

Institut für Musikwissenschaft/Musikinformatik<br />

Medienkunst: Sound<br />

Ringseminar ” Hören - The Art of Auditory Streaming“<br />

Wintersemester 2006/2007<br />

<strong>Messung</strong> <strong>der</strong> <strong>Separiertheit</strong> <strong>akustischer</strong> <strong>Ströme</strong><br />

Julian Kurz<br />

Betreuer: Fridtjof Feldbusch<br />

4. Februar 2007<br />

Zusammenfassung<br />

Ausgehend von [Bre99] stellt diese Arbeit zunächst wesentliche Merkmale vor,<br />

die die Aufteilung <strong>der</strong> akustischen Umgebung durch den Menschen in mehrere unabhängige<br />

<strong>Ströme</strong> bestimmen. Es wird analysiert, inwieweit sich diese Merkmale<br />

wie<strong>der</strong>holbar durch physikalische Größen beschreiben lassen und wo die Grenzen <strong>der</strong><br />

Messbarkeit liegen. Insbeson<strong>der</strong>e wird die Messbarkeit dabei auch von Faktoren beschränkt,<br />

die sich auf die Wahrnehmung einer Versuchsperson auswirken.


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Einführung und Motivation 1<br />

2 Merkmale, die zur Separierung beitragen 2<br />

2.1 Sequentielle Separierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

2.1.1 Frequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

2.1.2 Klangfarbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

2.1.3 Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

2.2 Simultane Separierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

2.2.1 Überlappende Einzeltöne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

2.2.2 Komplexe Töne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

2.2.3 Gemeinsames Schicksal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

2.2.4 Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

3 Experimentelle <strong>Messung</strong> <strong>der</strong> <strong>Separiertheit</strong> 10<br />

3.1 Abhängigkeit von den Versuchspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

3.2 Messverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

3.3 Zuordnung von Wirkungen zu Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

4 Zusammenfassung und Ausblick 16<br />

Literatur 17


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 1<br />

Abbildung 1: Verschiedene Frequenzen regen unterschiedliche Bereiche <strong>der</strong> Basilarmembran<br />

an.<br />

1 Einführung und Motivation<br />

In einer natürlichen Umgebung ist ein Mensch vielen akustischen Signalen unterschiedlicher<br />

Quellen gleichzeitig und nacheinan<strong>der</strong> ausgesetzt. Um mit diesen Signalen etwas anfangen<br />

zu können und die akustische Wahrnehmung sinnvoll einzusetzen, muss <strong>der</strong> Mensch in <strong>der</strong><br />

Lage sein, diese Signale, die als ein Gemisch bei ihm ankommen, in einzelne Objekte –<br />

die akustischen <strong>Ströme</strong> – zu trennen. Auf diese Weise kann er in seiner Wahrnehmung ein<br />

Bild seiner Umgebung konstruieren, das dieser möglichst genau entspricht. Festzustellen<br />

sind dabei insbeson<strong>der</strong>e, ob aufeinan<strong>der</strong> folgende bzw. welche von mehreren aufeinan<strong>der</strong><br />

folgenden Tönen zusammengehören, also einen akustischen Strom bilden (sequentielle Separierung),<br />

sowie die Frage, aus welchen einzelnen <strong>Ströme</strong>n gleichzeitig wahrgenommene<br />

Töne bestehen (simultane Separierung).<br />

Bregman [Bre99] stellt dabei starke Analogien zur visuellen Wahrnehmung fest, die<br />

ebenfalls in <strong>der</strong> Lage dazu ist, aus <strong>der</strong> Matrix von zeitlich verän<strong>der</strong>lichen Bildpunkten, die<br />

von <strong>der</strong> Netzhaut im Auge wahrgenommen wird, einzelne Objekte zu bilden, die eindeutig<br />

voneinan<strong>der</strong> zu trennen sind. Bei <strong>der</strong> visuellen wie auch <strong>der</strong> akustischen Wahrnehmung<br />

spielt dabei das Prinzip <strong>der</strong> exklusiven Zuordnung (exclusive allocation) eine große Rolle:<br />

Ein visuelles bzw. akustisches Signal kann zu einem Zeitpunkt immer nur zu einem<br />

wahrgenommenen Objekt gehören, nie zu mehreren gleichzeitig.<br />

Wichtig zum Verständnis <strong>der</strong> Separierung in akustische <strong>Ströme</strong> ist dabei die Kenntnis<br />

darüber, wie das menschliche Ohr Töne wahrnimmt. Das Trommelfell nimmt lediglich die<br />

überlagerten Luftschwingungen auf, die verschiedene Schallquellen erzeugen. Aus diesen<br />

scheinbar ungeordneten Variationen direkt Merkmale zu extrahieren scheint unmöglich.<br />

Entscheidend ist die Funktion <strong>der</strong> Gehörschnecke und <strong>der</strong> Basilarmembran. Schwingungen<br />

unterschiedlicher Frequenzen dringen unterschiedlich weit in die Gehörschnecke ein und<br />

regen unterschiedliche Regionen <strong>der</strong> Basilarmembran an (siehe Abbildung 1). Anstatt also<br />

zu jedem Zeitpunkt nur die momentane Amplitude <strong>der</strong> Schwingungen zu messen, führt das<br />

Ohr eine Frequenzanalyse des ankommenden Schalls durch. [Lit65]<br />

Es ergibt sich nun die Fragestellung, wie das Gehirn aus dem Ergebnis <strong>der</strong> Frequenzanalyse<br />

<strong>der</strong> Ohren einzelne akustische <strong>Ströme</strong> bildet; welche Merkmale dazu in welchem<br />

Maße beitragen, wie dies qualitativ und quantitativ zu messen ist, wo dabei die Grenzen<br />

liegen und inwieweit sie von an<strong>der</strong>en Effekten beeinflusst o<strong>der</strong> verfälscht werden können.


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 2<br />

2 Merkmale, die zur Separierung beitragen<br />

Bregman unterscheidet bei <strong>der</strong> Separierung grundlegend zwischen primitiver Separierung<br />

und schema-basierter Separierung von <strong>Ströme</strong>n. Primitive Separierung bezeichnet dabei<br />

die Trennung von <strong>Ströme</strong>n anhand physikalisch und mathematisch beschreibbarer Eigenschaften<br />

<strong>der</strong> akustischen Signale, auf die in den folgenden Abschnitten näher eingegangen<br />

wird. Viele dieser Eigenschaften lassen sich nicht nur qualitativ son<strong>der</strong>n auch quantitativ<br />

leicht beschreiben, messen und parametrisiert künstlich erzeugen um geeignete Testszenarien<br />

für Experimente zu bilden. Primitive Separierung lässt sich dabei weiter unterteilen<br />

in die Separierung von aufeinan<strong>der</strong> folgenden Tönen, die also zeitlich disjunkt liegen, und<br />

von ganz o<strong>der</strong> teilweise gleichzeitig gehörten Tönen.<br />

Schema-basierte Separierung hingegen findet nicht anhand einfacher physikalischer Eigenschaften<br />

statt, son<strong>der</strong>n beruht auf erlernten Regelmäßigkeiten in dem Hörer bekannten<br />

Signalen, z.B. Wörtern. Sie basiert also auf dem Wissen, das ein Hörer hat und ist somit<br />

kaum allgemeingültig zu messen, da sie stark von <strong>der</strong> jeweiligen Person abhängt. Primitive<br />

Separation hingegen muss nicht erlernt werden, son<strong>der</strong>n ist dem Menschen angeboren, wie<br />

ein Versuch mit Neugeborenen (S. 41 1 ) nahe legt.<br />

2.1 Sequentielle Separierung<br />

Werden verschiedene Töne nacheinan<strong>der</strong> abgespielt, können zwei verschiedene Dinge auftreten:<br />

1. Eine Versuchsperson hört die Töne als eine Sequenz aufeinan<strong>der</strong> folgen<strong>der</strong> Töne,<br />

o<strong>der</strong> 2. die Folge erscheint nicht als eine Sequenz son<strong>der</strong>n teilt sich auf in zwei o<strong>der</strong> mehr<br />

einzelne Sequenzen, die jeweils einen Teil <strong>der</strong> Töne <strong>der</strong> gesamten Folge beinhalten – teilt<br />

sich also in mehrere akustische <strong>Ströme</strong> auf. Dabei kann je<strong>der</strong> einzelne Ton immer nur zu<br />

genau einem Strom gehören und nie zu mehreren <strong>Ströme</strong>n gleichzeitig.<br />

Die Töne werden also nicht ausschließlich nach zeitlicher Nähe, son<strong>der</strong>n nach Ähnlichkeit<br />

gruppiert und zu jeweils einem Strom zusammengefasst. Wann zwei Töne einan<strong>der</strong> ähnlich<br />

sind und wie dies zu messen ist, sollen die folgenden Unterabschnitte genauer beleuchten.<br />

2.1.1 Frequenz<br />

Eine wesentliche physikalische Eigenschaft <strong>akustischer</strong> Signale ist die Frequenz. Während<br />

die meisten natürlichen Töne aus vielen verschiedenen Frequenzen bestehen, beschränkt<br />

Bregman sich zunächst auf reine Sinustöne, die nur einer einzige Frequenzkomponente<br />

beinhalten (S. 49). Dies hat zum einen den Vorteil, dass man bei Experimenten sicher sein<br />

kann, dass beobachtete Effekte wirklich nur auf dem Frequenzunterschied beruhen und<br />

nicht noch an<strong>der</strong>e Eigenschaften <strong>der</strong> Töne eine Rolle spielen. Außerdem lassen sich reine<br />

Sinustöne sehr einfach und exakt physikalisch beschreiben – und zwar durch ihre Frequenz<br />

(Tonhöhe) und ihre Amplitude (Lautstärke).<br />

1 Seitenangaben sind immer auf [Bre99] bezogen, Angaben von Abschnitten wie 3.1.4 immer auf den<br />

vorliegenden Text.


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 3<br />

Frequenzdifferenz (Hz)<br />

1000<br />

100<br />

10<br />

0.1 1 10<br />

Frequenz (kHz)<br />

Abbildung 2: Miller und Heise: Grenzfrequenz für die Trennung in Abhängigkeit <strong>der</strong> Grundfrequenz<br />

Ein erstes systematisches Experiment, das die Separierung anhand <strong>der</strong> Frequenz untersucht,<br />

wurde 1950 von Miller und Heise durchgeführt (S. 51). Dabei wurden zwei reine<br />

Sinustöne gleicher Lautstärke aber unterschiedlicher Frequenz in einer schnellen Folge<br />

abwechselnd abgespielt. Die Rate, in <strong>der</strong> die Töne erzeugt wurden, war dabei fest so eingestellt,<br />

dass die Zeit zwischen dem Anfang eines Tones bis zum Anfang des nächsten<br />

stets 100ms betrug. Sie stellten dabei fest, dass bei niedrigen Frequenzunterschieden zwischen<br />

den beiden Tönen die Folge als ein Strom wahrgenommen wurde, <strong>der</strong> zwischen zwei<br />

Frequenzen wechselte, ab einer bestimmten Differenz sich die Folge aber in zwei <strong>Ströme</strong><br />

aufteilte, die jeweils nur Töne einer <strong>der</strong> Frequenzen beinhaltete.<br />

Bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung dieser Experimente mit verschiedenen Basisfrequenzen stellte sich<br />

heraus, dass sich die Trennung in zwei separate <strong>Ströme</strong> ab einem Frequenzunterschied von<br />

ungefähr 15% einstellte. Es gibt also keine feste Frequenzdifferenz, son<strong>der</strong>n das Verhältnis<br />

<strong>der</strong> beiden Frequenzen zueinan<strong>der</strong> muss einen bestimmten Wert überschreiten, damit es<br />

zur Separierung kommt. Bei höheren Frequenzen wird dieser Wert allerdings etwas kleiner.<br />

Diagramm 2 zeigt den benötigten Frequenzabstand bei verschiedenen Basisfrequenzen in<br />

logarithmischem Maßstab.<br />

Im Gegensatz zum Experiment von Miller und Heise betrachtet die Veröffentlichung von<br />

Paolo Bozzi und Giovanni Vicario auch die Auswirkung verschiedener Raten (S. 52). Es<br />

stellte sich dabei heraus, dass auch bei größerer Frequenzunterschieden, die nach Miller und<br />

Heise zur Separierung hätten führen müssen, Töne dem gleichen Strom zugeordnet wurden,<br />

wenn sie zeitlich näher aneinan<strong>der</strong> lagen, als sie zu an<strong>der</strong>en Tönen lagen. Relevant war dabei<br />

nicht nur die zeitliche Nähe <strong>der</strong> Töne zueinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ihre Nähe relativ zu an<strong>der</strong>en<br />

Tönen. Analoges beobachteten sie auch für die Frequenzunterschiede: Ob zwei Töne zum


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 4<br />

selben Strom gehören wird nicht nur durch den Abstand ihrer beiden Frequenzen bestimmt<br />

son<strong>der</strong>n ist auch davon abhängig, wie groß dieser Abstand in Relation zur Frequenzdifferenz<br />

zu an<strong>der</strong>en Tönen ist.<br />

2.1.2 Klangfarbe<br />

Bisher wurden nur einfache Sinustöne betrachtet, die aus genau einer Frequenzkomponente<br />

bestanden. Natürliche Schallereignisse sind allerdings neben <strong>der</strong> Frequenz und <strong>der</strong><br />

Lautstärke auch durch ihre Klangfarbe charakterisiert. Allerdings gibt es nach Bregman<br />

keine einheitliche, physikalisch greifbare Definition für die Klangfarbe (S. 92). Diverse Experimente<br />

arbeiteten dazu mit natürlichen Klängen wie Musikinstrumenten (Tonleiterillusion,<br />

S. 94) o<strong>der</strong> Geräuschen (Warren, Obusek, Farmer and Warren, S. 94). In beiden Fällen<br />

zeigte sich, dass <strong>der</strong> unterschiedliche Klang zu einer Separierung in einzelne <strong>Ströme</strong> führte.<br />

Allerdings lassen sich diese unterschiedlichen Klänge nur schwer auf einzelne physikalische<br />

Eigenschaften zurückführen.<br />

Ein komplexer Klang ist aus verschiedenen Frequenzen zusammengesetzt. Er ist harmonisch,<br />

wenn alle Teiltöne Vielfache <strong>der</strong> selben Grundfrequenz sind. Die Klangfarbe lässt<br />

sich unter an<strong>der</strong>em – orthogonal zur Lautstärke und Grundfrequenz – durch die Verteilung<br />

dieses Spektrums charakterisieren. Eine Rolle spielt dabei, wie viele harmonische Teiltöne<br />

enthalten sind, wie die Intensität zwischen diesen Tönen verteilt ist sowie einzelne Intensitätsspitzen<br />

im Spektrum des Klangs. Die subjektive Tonhöhe, die <strong>der</strong> Grundfrequenz des<br />

Klangs entspricht, wird dabei auch gehört, wenn sie nicht enthalten ist, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Klang<br />

nur aus mehreren Harmonischen besteht (“missing fundamental”). Wie ein Versuch von<br />

van Noorden (S. 84) zeigt, ist die Separierung aber nicht von <strong>der</strong> (gehörten aber nicht<br />

vorhandenen) Grundfrequenz abhängig, son<strong>der</strong>n nur von den tatsächlich vorhandenen Frequenzkomponenten.<br />

In einem Experiment von Bregman und Levitan (S. 86) wurde betrachtet, ob die Grundfrequenz<br />

o<strong>der</strong> die Formantenfrequenz, also das Maximum im Spektrum <strong>der</strong> harmonischen<br />

Teiltöne eine stärkere Separierung erzeugen. Dazu verwendeten sie eine Sequenz von 4<br />

Tönen, von denen jeweils zwei in <strong>der</strong> Fundamentalfrequenz nahe beieinan<strong>der</strong> lagen aber<br />

unterschiedliche Formanten hatten, während jeweils zwei Töne mit weiter entfernten Fundamentalfrequenzen<br />

ähnliche Formanten besaßen. Es stellte sich heraus, dass bei Variation<br />

bei<strong>der</strong> Parameter in einigen Fällen die Töne mit ähnlichen Fundamentalfrequenzen zu je<br />

einem Strom gruppiert wurden und in an<strong>der</strong>en Fällen die Töne mit ähnlichen Formanten.<br />

Es zeigte sich aber, dass die Gruppierung <strong>der</strong> <strong>Ströme</strong> anhand <strong>der</strong> Formantenfrequenz<br />

stärker war als anhand <strong>der</strong> Fundamentalfrequenz. Insbeson<strong>der</strong>e zeigte sich dies, wenn die<br />

Abstände <strong>der</strong> Frequenzen jeweils gleich groß gewählt wurden (siehe Abbildung 3).<br />

Die Klangfarbe eines Tons ist nicht nur durch sein Spektrum, son<strong>der</strong>n auch durch zeitliche<br />

Verän<strong>der</strong>ungen – periodisch o<strong>der</strong> nicht – in seinem Spektrum gekennzeichnet. Viele in<br />

<strong>der</strong> Natur vorkommende Klänge unterliegen starken zeitlichen Än<strong>der</strong>ungen. Eine wesentliche<br />

Eigenschaft dieser Verän<strong>der</strong>ung ist ihre “Granularität”, die allerdings schwer analytisch<br />

zu fassen ist. Vergleichbar ist sie etwa mit <strong>der</strong> Textur in <strong>der</strong> visuellen Wahrnehmung. Ein<br />

einfacher Versuch mit einem reinen Sinuston und einem gefilterten weißen Rauschen, des-


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 5<br />

Abbildung 3: Versuch von Bregman und Levitan. Kreise bedeuten stärkere Trennung nach<br />

Grundfrequenz; Sterne stärkere Trennung nach Formantenfrequenz. Die Größe gibt die<br />

Stärke <strong>der</strong> festgestellten Trennung an. Frequenzdifferenzen sind in Oktaven angegeben.<br />

sen Spektrum eine starke Spitze an <strong>der</strong> Frequenz des Sinustons aufweist, (S. 105) führt zu<br />

einer sehr starken Aufteilung in <strong>Ströme</strong>. Weitere analytische Experimente nennt Bregman<br />

aber nicht.<br />

2.1.3 Ort<br />

Durch die Auswertung verschiedener Eigenschaften des wahrgenommenen Schalls, kann <strong>der</strong><br />

Mensch ihm eine Richtung und Entfernung zuweisen, ihn also räumlich lokalisieren. Es wäre<br />

nahe liegend, dass akustische Signale, die von verschiedenen Orten kommen, auf jeden Fall<br />

von verschiedenen Quellen stammen und daher auch von <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung<br />

verschiedenen <strong>Ströme</strong>n zugeordnet werden. Man könnte sogar annehmen, die örtliche Zuordnung<br />

von Schallereignissen alleine würde vollkommen ausreichen um ihn verschiedenen<br />

<strong>Ströme</strong>n zuzuordnen. Die letzten und die folgenden Abschnitte haben bereits gezeigt, dass<br />

dies nicht so ist und noch viele an<strong>der</strong>en Merkmale eine Rolle spielen. Dass auch die erstgenannte<br />

Annahme nicht stimmt, son<strong>der</strong>n es durchaus Ausnahmen geben kann in denen<br />

Töne verschiedenen örtlichen Ursprungs dem selben akustischen Strom zugeordnet werden,<br />

zeigten einige Experimente, die im Folgenden vorgestellt werden.<br />

Bei einem ersten Experiment von Donald Norman (S. 75) wurden zwei Töne unterschiedlicher<br />

Höhe abwechselnd abgespielt. Der Frequenzabstand war dabei allerdings relativ<br />

klein, so dass die Töne zunächst als Auf und Ab wahrgenommen wurden, also als<br />

einziger Strom. Wurden die beiden Töne dagegen auf beiden Ohren alterniert, so konnten<br />

zwei separate <strong>Ströme</strong> wahrgenommen werden. In diesem Fall kam es also zur Separierung<br />

durch unterschiedliche Richtungen. Weitere Experimente von Normal van Noorden (S. 75),<br />

Cherry und Taylor (S. 79) und an<strong>der</strong>en brachten zunächst ähnliche Ergebnisse.<br />

Fest steht also, dass unterschiedliche räumliche Ursprünge sich zumindestens auf die


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 6<br />

Wahrscheinlichkeit einer Separierung auswirken. Dabei wurde nur <strong>der</strong> Extremfall betrachtet,<br />

dass die Töne durch verschiedene Ohren wahrgenommen werden. Bei beliebiger räumlicher<br />

Verteilung hingegen würden die wahrgenommenen Töne – je nach Richtung – auf<br />

beiden Ohren unterschiedlich laut und/o<strong>der</strong> unterschiedlich verzögert und/o<strong>der</strong> frequenzgefiltert<br />

ankommen. [Wik] Broadbent kam zu <strong>der</strong> Theorie, dass die beiden Ohren daher als<br />

einzelne “Informationskanäle” zu betrachten sind, die unabhängig voneinan<strong>der</strong> den Schall<br />

verarbeiten und ihn <strong>der</strong> bewussten Wahrnehmung weiterleiten (S. 79).<br />

Die Tonleiterillusion von Diana Deutsch (S. 76) zeigte hingegen, dass <strong>der</strong> räumliche<br />

Ursprung nicht hinreichend für die Separierung ist, son<strong>der</strong>n dass an<strong>der</strong>e Merkmale – in<br />

diesem Fall die Frequenz – stärker sein können und somit zu einer an<strong>der</strong>en Separierung<br />

führen. Die Experimente von Cherry und Taylor (S. 79) und von Schubert und Taylor (S.<br />

80) wi<strong>der</strong>legten die Theorie <strong>der</strong> “Informationskanäle” vollkommen. Bei beiden Versuchen<br />

wurde dem Hörer Sprache vorgespielt, die zwischen beiden Ohren wechselte. Diese teilte sich<br />

ab einer bestimmten Rate in zwei Kanäle, so dass es schwer wurde, die Worte zu verstehen.<br />

Wurde allerdings statt Stille auf dem jeweils an<strong>der</strong>en Ohr ein Rauschen abgespielt, dessen<br />

Intensität gleich <strong>der</strong> Sprache war, wurde die Sprache wesentlich besser verständlich – die<br />

Sprachsignale von beiden Ohren wurden also dem selben Strom zugeordnet. Dies lässt sich<br />

nicht mit <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Trennung nach physischen Kanälen vereinen.<br />

2.2 Simultane Separierung<br />

Im Gegensatz zur sequentiellen Separierung, bei <strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong> folgende Töne o<strong>der</strong> Klänge<br />

einzelnen <strong>Ströme</strong>n zugeordnet werden, bezeichnet die simultane Separierung die Aufteilung<br />

gleichzeitig wahrgenommener Schallereignisse in verschiedene akustische <strong>Ströme</strong>. Dazu<br />

muss das Ohr zunächst in <strong>der</strong> Lage sein, die Schallwellen verschiedener Quellen, die<br />

aufsummiert am Trommelfell auftreffen, wie<strong>der</strong> aufzuteilen. Dazu dient unter an<strong>der</strong>em die<br />

in Abschnitt 1 beschriebene Frequenzanalyse. Die weitere Verarbeitung geht aber natürlich<br />

weit über die einfache Frequenzanalyse hinaus, wie die folgenden Unterabschnitte zeigen.<br />

2.2.1 Überlappende Einzeltöne<br />

Ein erster einfacher Versuch von Bregman und Rudnicky (S. 213) war dem von Miller<br />

und Heise (Abschnitt 2.1.1) sehr ähnlich. Allerdings lagen die Töne nun nicht mehr zeitlich<br />

disjunkt, son<strong>der</strong>n überlappten sich in einem variierbaren Zeitrahmen. Während bei<br />

Überlappungen von 25 und 50 Prozent <strong>der</strong> 250ms langen Töne noch ähnlich wie bei Miller<br />

und Heise zwei <strong>Ströme</strong> mit reinen Sinustönen festgestellt wurden, vereinten sie sich ab 88<br />

Prozent Überlappung zu einem Strom mit komplexen Klängen. Analog zu Miller und Heise<br />

war die Separierung größer, wenn die Frequenzdifferenz <strong>der</strong> beiden Töne größer wurde.<br />

In einem leicht modifizierten Versuch (S. 214) wurden die Raten <strong>der</strong> beiden Töne unterschiedlich<br />

gewählt: Während ein Ton 4-mal pro Sekunde gespielt wurde, wurde <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

5-mal gespielt. In diesem Fall wurden ebenfalls zwei <strong>Ströme</strong> zu hören, aber mit einer Beson<strong>der</strong>heit:<br />

Fielen die Anfänge <strong>der</strong> beiden Töne auf den gleichen Zeitpunkt, was einmal


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 7<br />

Frequenz f<br />

A<br />

Zeit t<br />

Abbildung 4: Tonfolge beim Versuch von Bregman und Pinker mit Fängerton (A) und zu<br />

fangendem Ton (B)<br />

pro Sekunde <strong>der</strong> Fall ist, so wurde im tiefen Strom ein komplexer und lauterer Ton gehört.<br />

Der Ton im hohen Strom fehlte o<strong>der</strong> war schwächer zu hören.<br />

Wurde noch ein dritter Ton hinzugenommen, bildeten sich bei asynchroner Rate nun<br />

drei <strong>Ströme</strong>, wobei die Separierung allerdings etwas schwächer wahrgenommen wurde. Im<br />

Gegensatz zum Experiment mit zwei Tönen zeigte sich aber ein wesentlicher Unterschied,<br />

wenn alle drei Tonanfänge auf den gleichen Zeitpunkt fielen. Anstatt den Ton eines <strong>der</strong><br />

drei <strong>Ströme</strong> komplexer erscheinen zu lassen, wurde <strong>der</strong> zusammengesetzte Ton als vollkommen<br />

unabhängiger Klang wahrgenommen, <strong>der</strong> keinem <strong>der</strong> drei <strong>Ströme</strong> zugeordnet werden<br />

konnte.<br />

2.2.2 Komplexe Töne<br />

Ein wesentliches Experiment für die Untersuchung von komplexen Tönen ist das von Bregman<br />

und Pinker (S. 216), das in verschiedenen Varianten für zahlreiche Beobachtungen<br />

verwendet wurden. Dabei wurde mit Hilfe von so genannten Fängertönen festgestellt, dass<br />

die akustische Wahrnehmung dazu neigt, einen vorher bereits gehörten Ton (Fängerton)<br />

aus einem darauf folgenden Tongemisch herauszufiltern. Dieser Ton wird dann im Gemisch<br />

als einzelner Ton wahrgenommen, während er ohne den Fängerton als Teil eines komplexen<br />

Tons wahrgenommen worden wäre. Die genaue Anordnung <strong>der</strong> Töne in <strong>der</strong> Sequenz ist in<br />

Abbildung 4 zu sehen.<br />

Diesen Effekt bezeichnet Bregman als die Alt-Plus-Neu-Heuristik (S. 222). Sie besagt:<br />

“Wenn ein Teil einer momentanen Gruppe von akustischen Komponenten plausibel als<br />

Fortführung eines zuvor gehörten Tons interpretiert werden kann, dann soll dies getan<br />

werden und nur <strong>der</strong> verbleibende Teil <strong>der</strong> Komponenten weiter analysiert werden.”<br />

Neben dem Heraushören eines Teiltones, das auch von Helmholtz (S. 223) und van Noorden<br />

(S. 224) beobachtet wurde, hat die Alt-Plus-Neu-Heuristik noch eine weitere wichtige<br />

Implikation: Vom Spektrum des “neuen” zusammengesetzten Ton wird nur soviel subtra-<br />

B<br />

C


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 8<br />

hiert, wie <strong>der</strong> “alte” Ton an Intensität besaß. Dies wurde durch ein Experiment von Richard<br />

Warren (S. 225) bestätigt: Verwendetet wurde dazu ein gefiltertes weißes Rauschen mit einer<br />

Oktave Bandbreite. Dieses wurde abwechselnd mit zwei verschiedenen Intensitäten<br />

abgespielt. Wahrgenommen wurde diese Sequenz allerdings so, dass das leise Rauschen<br />

permanent vorhanden war, während in den lauteren Abschnitten ein weiteres Rauschen<br />

hinzukam. Die Alt-Plus-Neu-Heuristik ordnete also einen Teil <strong>der</strong> Intensität des lauten<br />

Rauschens dem gleichen Strom wie dem leisen zu, die verbleibende Differenz bildete einen<br />

neuen Strom. War das lautere Rauschen weniger als doppelt so laut wie das leise (< 3dB<br />

Differenz), wurde es das als zusätzlich wahrgenommene Rauschen konsequenterweise als<br />

leiser empfunden.<br />

2.2.3 Gemeinsames Schicksal<br />

Wie bei <strong>der</strong> sequentiellen Separierung spielt auch bei <strong>der</strong> simultanen Separierung die zeitliche<br />

Verän<strong>der</strong>ung innerhalb von Tönen eine große Rolle – sogar eine wesentlich größere<br />

Rolle. Dabei werden Frequenzkomponenten zu jeweils einem Strom zusammengefasst, die<br />

einen ähnlichen Verlauf von Amplitude und Frequenz haben (“Gesetz des gemeinsamen<br />

Schicksals”).<br />

Eine simple Form eines zeitlich verän<strong>der</strong>ten Tons ist ein reiner Sinuston, dessen Frequenz<br />

zeitlich linear steigt o<strong>der</strong> sinkt. In einem Experiment von Steiger und Bregman (S.<br />

220) wurde ähnlich wie bei Bregman und Pinker (Abschnitt 2.2.2) versucht, eine Komponente<br />

aus einem Sinuston zu “fangen”. Er handelte sich dabei allerdings diesmal nicht um<br />

konstante Sinustöne son<strong>der</strong>n um linear fallend o<strong>der</strong> steigende Töne. Es stellte sich dabei<br />

heraus, dass das Fangen am besten dann möglich war, wenn <strong>der</strong> Fängerton nicht nur die<br />

gleichen Frequenzen son<strong>der</strong>n auch die gleiche zeitliche Verän<strong>der</strong>ung aufwies wie <strong>der</strong> zu fangende<br />

Ton. Ein konstanter Sinuston mit <strong>der</strong> Durchschnitts-, Start- o<strong>der</strong> Endfrequenz des<br />

Frequenzverlaufes war zum Fangen wesentlich schlechter geeignet.<br />

Wesentlich kürzere, periodische Verän<strong>der</strong>ungen in Frequenz o<strong>der</strong> Lautstärke, werden als<br />

Frequenzmodulation (FM) bzw. Amplitudenmodulation (AM) bezeichnet. In einem Versuch<br />

stellte Brian Moore (S. 270) fest, dass sowohl gemeinsame AM als auch gemeinsame FM<br />

geeignet sind, um eine Gruppe von Tönen aus einem Gemisch von vielen zufällig verteilten<br />

Frequenzen zu separieren und als einzelnen Strom hörbar zu machen.<br />

Ähnliche Versuche von Bregman, Abramson, Doehring und Darwin (S. 273) mit Amplitudenmodulierten<br />

Tönen, die wie<strong>der</strong> dem Bregman-Pinker-Schema folgten, zeigten vergleichbare<br />

Ergebnisse. Nebeneffekte, die durch die Amplitudenmodulation entstehen, konnten<br />

dabei als Ursache ausgeschlossen werden, wie in Abschnitt 3.3 genauer erläutert ist.<br />

Analog zur Alt-Plus-Neu-Heuristik lässt sich nun auch für das gemeinsame Schicksal<br />

eine einfache Regel aufstellen: “Wenn es eine Korrespondenz zwischen einer Än<strong>der</strong>ung<br />

einer akustischen Komponente mit etwas an<strong>der</strong>em (einer an<strong>der</strong>en akustischen Komponente<br />

o<strong>der</strong> auch sonstigen Ereignissen 2 ) gibt, ist dies wahrscheinlich kein Zufall und die beiden<br />

Komponenten sollten <strong>der</strong> gleichen wahrgenommenen Quelle zugeordnet werden.” (S. 292)<br />

2 Zum Beispiel visuelle Eindrücke können sich auf die akustische Wahrnehmung auswirken. (S. 290)


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 9<br />

2.2.4 Ort<br />

Schallwellen, die gleichzeitig von verschiedenen Orten kommen, sollten eigentlich eine sehr<br />

starke Trennung aufweisen, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von <strong>der</strong> gleichen<br />

Quelle stammen. Es zeigte sich allerdings, dass zwei Töne, die sich nur durch den Ort<br />

unterscheiden und ansonsten identisch sind, sich meist zu einem wahrgenommenen Ton<br />

vereinen, <strong>der</strong> von einer Position zwischen den tatsächlichen Ursprüngen zu stammen scheint<br />

(S. 294). Zwei unterschiedliche Frequenzen hingegen, die auf beiden Ohren gleichzeitig<br />

gehört werden, werden klar getrennt (als unterschiedliche <strong>Ströme</strong>) wahrgenommen, wenn<br />

sich die Frequenzen um einen bestimmte Faktor unterscheiden. Im Frequenzbereich von<br />

250 Hz bis 4000 Hz lag dieser Faktor je nach Frequenz bei maximal 7%.<br />

Bei einer Demonstration am IRCAM, einer Forschungseinrichtung für Akustik und Musik<br />

in Paris, wurde <strong>der</strong> Klang einer Oboe zerlegt und auf zwei Lautsprecher aufgeteilt (S.<br />

296). Ein Lautsprecher gab dabei nur die geraden, ein an<strong>der</strong>er nur die ungeraden harmonischen<br />

Teiltöne wie<strong>der</strong>. Die Signale bei<strong>der</strong> Lautsprecher wurden dabei frequenzmoduliert.<br />

War die Frequenzmodulation synchron, so erschien <strong>der</strong> gesamte Klang so, als käme er von<br />

einer räumlichen Quelle zwischen den beiden Lautsprechern. Wurde die Frequenzmodulation<br />

zwischen den beiden Lautsprechern geän<strong>der</strong>t, während die einzelnen Teiltöne eines<br />

Lautsprechers synchron blieben, teilte sich <strong>der</strong> Klang auf in zwei einzelne <strong>Ströme</strong>, die von<br />

unterschiedlichen räumlichen Quellen – den beiden Lautsprechern – wahrgenommen wurden.<br />

Dabei konnten den beiden <strong>Ströme</strong>n unabhängig voneinan<strong>der</strong> subjektive Merkmale<br />

<strong>der</strong> Klangfarbe zugeordnet werden. Es ist also möglich, gleichzeitig Schallwellen unterschiedlicher<br />

Orte getrennt voneinan<strong>der</strong> wahrzunehmen und auch getrennt voneinan<strong>der</strong> zu<br />

lokalisieren.


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 10<br />

3 Experimentelle <strong>Messung</strong> <strong>der</strong> <strong>Separiertheit</strong><br />

Um festzustellen, ob und wie stark zwei akustische <strong>Ströme</strong> von <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung<br />

getrennt werden, wurden viele Experimente mit Versuchspersonen durchgeführt,<br />

<strong>der</strong>en Ergebnisse teilweise im vorherigen Abschnitt genannt wurden. Dieser Abschnitt soll<br />

sich nun mit verschiedenen Methodiken <strong>der</strong> Experimente befassen und auf <strong>der</strong>en Grenzen<br />

und Schwachstellen eingehen, sowie erläutern, inwieweit die Experimente wirklich eine objektive<br />

<strong>Messung</strong> erlauben o<strong>der</strong> ob sie noch von an<strong>der</strong>en, möglicherweise weniger messbaren,<br />

Eigenschaften abhängen.<br />

3.1 Abhängigkeit von den Versuchspersonen<br />

Bisher wurde bei <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> verschiedenen Merkmale lediglich genannt, dass<br />

bestimmte Effekte bei bestimmter Wahl <strong>der</strong> Parameter eines Versuchs “gehört wurden”<br />

o<strong>der</strong> nicht. Dabei stellt sich die Frage, von wem sie gehört wurden und welchen Einfluss<br />

das auf die Ergebnisse hat. Zum einen kann eine Versuchsperson inhärente Eigenschaften<br />

haben, die ihre Perzeption beeinflussen. So kann beispielsweise ein professioneller Musiker<br />

o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen akustisch versierter Mensch viele Eigenschaften wesentlich<br />

genauer feststellen als ein durchschnittlicher Mensch. Doch auch ein musikalischer Laie<br />

hat durch die tägliche Erfahrung mit akustischen Ereignissen, insbeson<strong>der</strong>e auch Sprache,<br />

möglicherweise an<strong>der</strong>e Voraussetzungen als ein Neugeborener.<br />

So wurde beispielsweise <strong>der</strong> Versuch von Bregman und Rudnicky (Abschnitt 2.2.1)<br />

mit geübten Hörern durchgeführt, die in <strong>der</strong> Lage waren, die gehörten Ereignisse in einer<br />

Weise zu erfahren und beschreiben, die für eine brauchbare Auswertung nötig war. Um<br />

einen vergleichbaren Versuch auch mit “normalen” Hörern durchführen zu können, wurde<br />

das Experiment von Bregman und Pinker erdacht (Abschnitt 2.2.2).<br />

Laurent Demany führte einen Versuch mit 1 1 1 bis 3 Monate alten Neugeborenen durch,<br />

2 2<br />

<strong>der</strong> ermitteln sollte, ob auch die primitive Separierung erst erlernt werden muss. Es zeigten<br />

sich aber auch bei den Neugeborenen Effekte, die einen deutlichen Hinweis auf sequentielle<br />

Separierung von Sinustönen verschiedener Frequenzen hindeuten. Eine direkte Befragung<br />

war natürlich nicht möglich, es wurden aber weitere Versuche durchgeführt, die an<strong>der</strong>e<br />

Ursachen für die beobachteten Effekte ausschließen konnten.<br />

Neben den inhärenten, längerfristigen Eigenschaften <strong>der</strong> Versuchspersonen, die sich auf<br />

die Perzeption auswirken, spielen auch kurzfristige Erscheinungen eine Rolle. Bei einem<br />

Versuch von Broadbent und Ladefoged (S. 149) sollten Hörer die Reihenfolge von zwei verschiedenen<br />

Geräuschen bestimmen, die kurz nacheinan<strong>der</strong> abgespielt wurden. Während dies<br />

anfangs kaum möglich war, wurde dies mit zunehmen<strong>der</strong> Übung immer leichter. Die Hörer<br />

verbesserten dabei allerdings nicht ihre Fähigkeit, die Reihenfolge einzelner Geräusche direkt<br />

zu bestimmen. Vielmehr prägten sie sich qualitative Merkmale <strong>der</strong> gesamten Folge <strong>der</strong><br />

einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Reihenfolge ein, die sie mit dem Gehörten vergleichen können.<br />

Bei einem Versuch von Leo van Noorden (S. 58) zeigte sich noch eine weitere Abhängigkeit<br />

von den Hörern. Es sollte dabei bewertet werden, ob eine Folge von zeitlich nicht überlagerten<br />

hohen und tiefen Tönen als ein gemeinsamer Strom erscheint o<strong>der</strong> sich in zwei


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 11<br />

Frequenzdifferenz (Halbtoene)<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

TCB<br />

FB<br />

0 50 100 150 200<br />

Wie<strong>der</strong>holungszeit (msec)<br />

Abbildung 5: “Temporal coherence boundary” (TCB) und “Fission boundary” (FB) beim<br />

Versuch von van Noorden<br />

<strong>Ströme</strong> aufteilt, wenn die Frequenzdifferenz geän<strong>der</strong>t wurde. Statt einer scharfen Grenzfrequenz<br />

ergab sich ein breiter Grenzbereich: War die Differenz größer als eine bestimmte<br />

Grenze, die so genannte “temporale Kohärenzgrenze” (“temporal coherence boundary”,<br />

TCB), wurden die Töne auf jeden Fall zwei verschiedenen <strong>Ströme</strong>n zugeteilt. Unterhalb<br />

einer niedrigeren Grenze, <strong>der</strong> “Aufteilungsgrenze” (“fission boundary”, FB), wurden die<br />

Töne dagegen immer als ein einziger Strom gehört.<br />

Interessant ist nun <strong>der</strong> Bereich zwischen <strong>der</strong> TCB und FB: In diesem Bereich hing es<br />

von <strong>der</strong> Intention des Hörers ab, ob er die beiden Töne dem gleichen Strom zuordnete o<strong>der</strong><br />

zwei separate <strong>Ströme</strong> wahrnahm, die jeweils nur die hohen bzw. tiefen Töne beinhalteten.<br />

Es zeigte sich also, dass nicht nur unbewusste Vorbedingungen sich auf die Separation<br />

auswirken, son<strong>der</strong>n dass diese auch – in bestimmten Grenzen – bewusst von einem Hörer<br />

gesteuert werden kann. Die obere Grenze (TCB) des Übergangsbereiches, in dem willkürlich<br />

auf die Separierung Einfluss genommen werden kann, hing dabei stark von <strong>der</strong> Rate ab, in<br />

<strong>der</strong> die Töne abgespielt wurden. Die untere Grenze (FB) hingehen blieb bei Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Rate nahezu konstant (siehe Abbildung 5).<br />

3.2 Messverfahren<br />

Die Beobachtungen des Versuchs von Leo van Noorden lassen sich auch wie folgt interpretieren:<br />

Lag die Frequenzdifferenz im Übergangsbereich, also zwischen FB und TCP, hing es<br />

von <strong>der</strong> Aufgabenstellung an den Hörer ab, ob er eine Separierung o<strong>der</strong> Fusion <strong>der</strong> beiden<br />

Töne feststellte. Sollte er beurteilen, ob es möglich ist, die Töne als einen Strom zu hören,<br />

so konnte er dies bestätigen. War die Frage aber, ob es möglich ist, die Töne in einzelne<br />

<strong>Ströme</strong> zu trennen, so bejahte er dies ebenfalls. Allgemeiner kann man also sagen, dass auch


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 12<br />

Trennungswahrscheinlichkeit<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

B<br />

A<br />

Frequenzunterschied<br />

Abbildung 6: Veranschaulichung <strong>der</strong> Hysterese: Wird die Frequenzdifferenz erhöht, folgt<br />

die Trennungswahrscheinlichkeit Graph A. Wird sie anschließend wie<strong>der</strong> verringert, folgt<br />

sie Graph B.<br />

die Fragestellung und <strong>der</strong> Versuchsaufbau selbst Einfluss auf die Ergebnisse haben kann.<br />

Im Folgenden seien daher einige Methoden vorgestellt, die in verschiedenen Experimenten<br />

verwendet wurden (S. 55).<br />

Methode <strong>der</strong> Justierung (“Method of Adjustment”). Bei diesem Verfahren wird <strong>der</strong> Versuchsperson<br />

eine Sequenz mit Parametern vorgespielt, die sie selbst direkt verän<strong>der</strong>n kann<br />

– etwa die Differenz <strong>der</strong> Frequenzen hoher und tiefer Töne. Die Aufgabe besteht nun darin,<br />

diesen Parameter jeweils so einzustellen, dass sich eine Separierung bzw. Fusion einstellt.<br />

Ein großes Problem dabei ist <strong>der</strong> Effekt <strong>der</strong> Hysterese. Fallen die Töne anfangs in einen<br />

Strom und wird versucht sie zu trennen, so gelingt dies ab einem bestimmten Grenzwert.<br />

Wenn man daraufhin aber die Steuergröße wie<strong>der</strong> in die an<strong>der</strong>e Richtung än<strong>der</strong>t, muss<br />

sie weit über den zuvor festgestellten Grenzwert hinaus gestellt werden, damit die beiden<br />

<strong>Ströme</strong> wie<strong>der</strong> fusionieren (siehe Abbildung 6). Die Wahrnehmung “versucht” also, den<br />

momentanen Zustand so lange wie möglich zu erhalten. Teilweise führt dies dazu, dass die<br />

beiden Grenzwerte recht unterschiedlich ausfallen und die Ergebnisse daher sehr instabil<br />

sind.<br />

Methode <strong>der</strong> Grenzen (“Method of Limits”). Im Gegensatz zur gerade vorgestellten<br />

Methode än<strong>der</strong>t sich hierbei <strong>der</strong> Parameter selbständig kontinuierlich, ohne dass die Versuchsperson<br />

Einfluss darauf nehmen kann. Die Aufgabe besteht lediglich darin zu signalisieren,<br />

ab welchem Wert es zur Separierung bzw. Fusion kommt. Der Durchschnitt zwischen<br />

den Grenzwerten für die Übergänge Separierung-Fusion und Fusion-Separierung wird als<br />

Ergebnis verwendet. Diese Methode leidet ebenfalls unter dem Effekt <strong>der</strong> Hysterese.


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 13<br />

Verhältnis zwischen integrierter und separierter Zeiten (“Proportion of Time Integrated<br />

and Segregated”). Die Aufgabe besteht darin, einen Knopf gedrückt zu halten, während die<br />

Töne zu einem Strom fusionieren, und einen an<strong>der</strong>en Knopf, während die Töne getrennt<br />

sind. Als Messergebnis dient dabei das Verhältnis zwischen den Zeiträumen, in denen die<br />

beiden Knöpfe gedrückt wurden. Dieses Verfahren ist insbeson<strong>der</strong>e dann geeignet, wenn<br />

die Tendenz zwei separate <strong>Ströme</strong> wahrzunehmen relativ schwach zu beobachten ist und<br />

die Wahrnehmung dazu neigt, zwischen beiden Zuständen hin und her zu wechseln.<br />

Bewertungsskala (“Rating Scale for Fixed Presentations”). Anstatt nur zwischen “separiert”<br />

und nicht “separiert” zu unterscheiden, wird hierbei eine Skala, z.B. von 1 bis 5<br />

verwendet, über die festgestellt werden soll, wie stark <strong>der</strong> Effekt <strong>der</strong> Separierung ist. Dazu<br />

werden Sequenzen mit unterschiedlichen Bedingungen in zufälliger Reihenfolge vorgespielt<br />

und werden anschließend anhand <strong>der</strong> Skala bewertet. Da die Versuchspersonen aber dazu<br />

neigen, die Skala an die Variation des jeweiligen Experimentes anzupassen, sind die<br />

Ergebnisse kaum dazu geeignet sie mit an<strong>der</strong>en Experimenten zu vergleichen.<br />

Merkmale innerhalb und zwischen <strong>Ströme</strong>n. Die Aufmerksamkeit kann sich immer nur<br />

einem Strom gleichzeitig zuwenden und nimmt währenddessen Qualitäten eines an<strong>der</strong>en<br />

Stromes kaum wahr. Insbeson<strong>der</strong>e ist es daher schwierig, Zusammenhänge zwischen verschiedenen<br />

<strong>Ströme</strong>n festzustellen. Zahlreiche Experimente benutzen dies um festzustellen,<br />

ob o<strong>der</strong> auch welche akustischen Signale dem gleichen Strom zugeordnet wurden und welche<br />

getrennt waren. So geht beispielsweise ein gemeinsamer Rhythmus verloren, wenn sich<br />

die beteiligten Töne durch verän<strong>der</strong>te Parameter in verschiedene <strong>Ströme</strong> aufteilen. Auch<br />

die Reihenfolge von Elementen einer Sequenz ist wesentlich schwieriger feststellbar, wenn<br />

sie sich in verschiedene <strong>Ströme</strong> aufteilen.<br />

Weitere Merkmale, die innerhalb eines Stroms festgestellt werden können, sind die<br />

subjektive Tonhöhe, die Klangfarbe sowie Konsonanz bzw. Dissonanz (S. 328). Bei <strong>der</strong><br />

Oboen-Demonstration am IRCAM (Abschnitt 2.2.4) beispielsweise war zunächst die typische<br />

Klangfarbe einer Oboe zu hören, solange die Schallwellen <strong>der</strong> beiden Lautsprecher<br />

zu einem Strom fusionierten. Teilten sie sich durch asynchrone Mikromodulation auf, so<br />

hatten beide nun zu hörenden Klänge jeweils unterschiedliche Klangfarben, die sich beide<br />

nicht mehr nach einer Oboe anhörten.<br />

Experimente, die diese Effekte ausnutzen, bestehen also aus einer Sequenz mit den oben<br />

genannten Merkmalen, die sich nur innerhalb eines Stroms feststellen lassen. Indem <strong>der</strong><br />

Hörer anschließend diese Merkmale beurteilt, lässt sich also feststellen, ob er die Sequenz<br />

als einen Strom o<strong>der</strong> als zwei getrennte <strong>Ströme</strong> gehört hat. Falsche Ergebnisse etwa bei <strong>der</strong><br />

Bestimmung <strong>der</strong> Reihenfolge o<strong>der</strong> beim zählen von einzelnen Tönen können allerdings nicht<br />

immer eindeutig darauf zurückgeführt werden, dass die Sequenz sich in mehrere <strong>Ströme</strong><br />

aufgeteilt hat. Es können durchaus auch an<strong>der</strong>e Faktoren eine Rolle spielen und zu falscher<br />

Beurteilung führen.<br />

3.3 Zuordnung von Wirkungen zu Ursachen<br />

Je komplexer die verwendeten Sequenzen sind, um so schwieriger wird es, die beobachteten<br />

Effekte eindeutig einer bestimmten Ursache zuzuordnen. So sind verschiedene Parame-


0<br />

Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 14<br />

0 0.002 0.004 0.006<br />

Zeit (sec)<br />

0<br />

0 0.002 0.004 0.006<br />

Zeit (sec)<br />

0<br />

❡ ✉<br />

0 0.002 0.004 0.006<br />

Zeit (sec)<br />

❡ ✉<br />

-1500 -1000 -500 0 500 1000 1500<br />

Frequenz (Hz)<br />

-1500 -1000 -500 0 500 1000 1500<br />

Frequenz (Hz)<br />

Multiplikation −→ ←− Faltung<br />

❡ ✉<br />

-1500 -1000 -500 0 500 1000 1500<br />

Frequenz (Hz)<br />

Abbildung 7: Entstehung von Seitenfrequenzen bei <strong>der</strong> Amplitudenmodulation<br />

ter oft abhängig voneinan<strong>der</strong> und eine Verän<strong>der</strong>ung erzeugt Nebeneffekte, die ebenso gut<br />

für die wahrgenommene Verän<strong>der</strong>ung (z.B. Aufteilung in zwei <strong>Ströme</strong> bzw. Fusion von<br />

<strong>Ströme</strong>n) verantwortlich sein können. In vielen Fällen wurde dies durch anschließende Folgeexperimente<br />

gegengeprüft, so dass an<strong>der</strong>e Ursachen ausgeschlossen werden konnten.<br />

Ein Beispiel hierfür ist <strong>der</strong> in Abschnitt 2 erwähnte Versuch mit Neugeborenen von<br />

Laurent Demany. Es wurde dazu die im letzten Abschnitt genannte Methode <strong>der</strong> Reihenfolgenbestimmung<br />

genutzt. Um auszuschließen, dass die Kin<strong>der</strong> nicht generell unfähig<br />

waren, die Reihenfolge von Tonsequenzen zu bestimmen, wurden weitere Versuche gemacht,<br />

bei denen auch nach einer Separierung die Reihenfolge aus Sicht eines erwachsenen Hörers<br />

bestimmbar blieb. Die Kin<strong>der</strong> schienen in diesem Fall ebenfalls die Reihenfolge <strong>der</strong> Töne<br />

feststellen zu können, alle Indizien sprechen also für die Separierung.<br />

Bei Experimenten mit Amplitudenmodulation wurde diese nach dem Gesetz des gemeinsamen<br />

Schicksals als Ursache für Separierung interpretiert (Abschnitt 2.2.3). Physikalisch<br />

betrachtet entsteht durch Modulation eines Sinustons allerdings ein verän<strong>der</strong>tes<br />

Spektrum. Die hier verwendete Multiplikation eines Tons mit einem angehobenen Cosinus<br />

führt dazu, dass zwei Seitenbän<strong>der</strong>, also zwei weitere Frequenzbereiche, im Spektrum<br />

auftreten, wie sich durch den Faltungssatzes unmittelbar sehen lässt (Abbildung 7).<br />

Durch unterschiedliche Variationen aller relevanten Parameter wurden viele Messergebnisse<br />

erzeugt, die diese Effekte genauer untersuchen sollten. Es stellte sich dabei insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Frage, ob die Harmonie <strong>der</strong> entstehenden Seitenfrequenzen und die entstehende<br />

subjektive Tonhöhe Einfluss auf das Ergebnis hatte. Durch verschiedene harmonische und<br />

inharmonische Konstellationen stellte sich heraus, dass die beobachteten Effekte tatsächlich<br />

nur mit <strong>der</strong> Frequenzdifferenz und <strong>der</strong> gemeinsamen Modulation zusammenhingen.<br />

Auch die Schwierigkeit, bestimmte Sachverhalte zu beschreiben und die Geschwindig-


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 15<br />

keit <strong>der</strong> bewussten Verarbeitung können Experimente verfälschen und zu falschen Schlüssen<br />

führen. Ein Beispiel hierfür ist das Experiment von Gillian Rhodes (S. 74). Es sollte zeigen,<br />

dass <strong>der</strong> Raum als Kontinuum wahrgenommen wird, die Aufmerksamkeit sich daher<br />

nur mit endlicher Geschwindigkeit zwischen unterschiedlichen Orten bewegen kann. Hierzu<br />

wurde eine Person in einen Raum mit neun durchnummerierten Lautsprechern gesetzt und<br />

sollte sagen, aus welchem Lautsprecher jeweils ein Ton kam. Es zeigte sich dabei, dass die<br />

Dauer, die die Person brauchte um den Lautsprecher zu bestimmen proportional zum Abstand<br />

zu dem Lautsprecher war, aus dem <strong>der</strong> letzte Ton kam. Bregman vermutet, dass dies<br />

die ganz banale Ursache haben könnte, dass <strong>der</strong> Hörer zunächst die dazwischen liegenden<br />

Lautsprecher durchzählen musste.<br />

Die zuvor genannten Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Reihenfolge von Sequenzen<br />

scheinen ebenfalls anfällig für solche Nebeneffekte zu sein. So stellte sich heraus, dass<br />

es den Versuchspersonen leichter fiel, die Reihenfolge durch das Legen von Karten zu bestimmen<br />

als sie verbal zu beschreiben (S. 153). Auf diese Weise konnten sie die Aufgabe<br />

intuitiver durchführen und in einzelne Teilaufgaben herunterbrechen, die jeweils einfacher<br />

zu bewältigen waren: Das Bestimmen nur des jeweils nächsten Tons in <strong>der</strong> gehörten Sequenz<br />

in jedem Durchgang. Offensichtlich waren die hier festgestellten Unterschiede zwischen <strong>der</strong><br />

Fähigkeit zur verbalen Beschreibung und zur Beschreibung durch Karten keineswegs auf<br />

auditive Phänomene zurückzuführen son<strong>der</strong>n hatten an<strong>der</strong>e Ursachen.


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 16<br />

4 Zusammenfassung und Ausblick<br />

Insgesamt kann gesagt werden, dass viele einzelne Merkmale dazu beitragen, dass bestimmte<br />

Schallereignisse zu <strong>Ströme</strong>n zusammengefasst und von an<strong>der</strong>en getrennt werden. Diese<br />

Merkmale und die Art, wie sie sich auswirken, sind dabei nach in <strong>der</strong> natürlichen Umgebung<br />

sinnvollen Kriterien gewählt. Ein wesentlicher Grundsatz zeigt sich zum Beispiel in<br />

<strong>der</strong> Alt-Plus-Neu-Heuristik (Abschnitt 2.2.2) und dem Gesetz des gemeinsamen Schicksals<br />

(Abschnitt 2.2.3): Ähnlichkeiten, die sehr nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit zufällig<br />

entstehen können, führen dazu, dass Ereignisse dem gleichen Strom zugewiesen werden.<br />

Es zeigte sich aber auch, dass diese Merkmale nicht alle einfach quantitativ zu fassen<br />

sind: Zum einen gibt es Merkmale wie die “Granularität” (Abschnitt 2.1.2), die zwar eine<br />

Rolle zu spielen scheinen, aber kaum physikalisch zu beschreiben sind. Doch auch für<br />

physikalisch einfach zu beschreibende Eigenschaften gibt es Schwierigkeiten wirklich feste<br />

Grenzwerte anzugeben, da diese je nach Versuchsdurchführung und Versuchssubjekten variieren.<br />

Immerhin lassen sich aber für bestimmte Situationen, wie sie in den Versuchen<br />

auftraten, relativ präzise Grenzen angeben.<br />

Eine wirklich allumfassende Theorie für die auditive Szenenanalyse ist also noch lange<br />

nicht in Sicht. Bregman stellt zwar sehr viele Theorien und Ergebnisse verschiedener<br />

Wissenschaftler zusammen, stößt dabei aber auch auf einige wi<strong>der</strong>sprüchliche Annahmen<br />

und teilweise auch Versuchsergebnisse, die sich zu wi<strong>der</strong>sprechen scheinen und nur schwer<br />

zu erklären sind. Oft ist es auch schwer zu beurteilen, ob ein Experiment wirklich das beobachtet<br />

hat, was es beobachten wollte o<strong>der</strong> durch einen ganz an<strong>der</strong>en Effekt beeinflusst<br />

wurde.<br />

Relativ unbekannt ist auch, wie genau die Verarbeitung <strong>der</strong> akustischen Signale im<br />

Nervensystem des Menschen funktioniert. Insbeson<strong>der</strong>e ist dabei auch interessant, auf welcher<br />

Ebene bestimmte Vorverarbeitungen ablaufen. Manche Effekte scheinen auf wesentlich<br />

niedrigerer Ebene zu arbeiten als an<strong>der</strong>e. Es gibt sogar scheinbare Verklemmungssituationen,<br />

bei denen zwei Vorgänge die Ergebnisse des jeweils an<strong>der</strong>en einbeziehen (S. 257).


Julian Kurz — <strong>Separiertheit</strong> von <strong>Ströme</strong>n 17<br />

Literatur<br />

[Bre99] Albert S. Bregman. Auditory Scene Analysis. MIT Press, paperback edition, 1999.<br />

[Lit65] Thomas S. Littler. The physics of the ear. Pergamon Press, 1. ed. edition, 1965.<br />

[Wik] Wikipedia. Lokalisation (akustik). http://de.wikipedia.org/w/index.php?<br />

oldid=26752440. Zugriff: 27.1.2007, 22:24.

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