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Der Wiener 'Eneasroman' - Commonweb

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B Philologie als Archäologie literarischer Texte<br />

schwierig. Zwei indirekt erschließbare Textzeugen (Gr, Ho) scheinen auf eine Verbreitung des<br />

‘Eneasromans’ im niederdeutschen Sprachraum hinzuweisen. Möglicherweise lassen sich als Vorlagen<br />

der oberdeutschen Handschriften und Fragmente R, Me, M, B, P und Wo mitteldeutsche Fassungen<br />

erschließen, so daß sich der Überlieferungsweg des ‘Eneasromans’ aus dem mitteldeutschen Thüringen<br />

über andere mitteldeutsche Sprachlandschaften bis hinein in oberdeutsche, aber auch in niederdeutsche<br />

Gebiete verfolgen läßt.<br />

In die noch zum 12. Jahrhundert gehörende älteste Überlieferungsschicht reicht das<br />

Regensburger Fragment R, dessen Fundort mit der bairischen Sprachform übereinstimmt. Es ist nicht<br />

mehr feststellbar, wie viele Zwischenstufen zwischen dem thüringischen Archetypus und der Abschrift R<br />

liegen. Entscheidend ist jedoch, daß durch die Sprachformen noch eine mitteldeutsche Vorlage<br />

hindurchscheint 57 und daß auf diese Weise eine direkte Überlieferungsrichtung vom mitteldeutschen<br />

„Norden“ in den oberdeutschen Süden nachweisbar ist. Dort entstand möglicherweise auch die<br />

zweitälteste Abschrift des ‘Eneasromans’, von der das Fragment Wo überliefert ist. Auch in diesem Fall<br />

scheint es möglich, eine mitteldeutsche Vorlage noch hinter der Kopie zu erkennen, so daß auch in<br />

diesem Fall die Überlieferungsrichtung unmittelbar greifbar wird. Auf diese Weise wird also die früheste<br />

Verbreitung des ‘Eneasromans’ südlich der Entstehungslandschaft des Archetypus im oberdeutschen<br />

bairischen Sprachraum faßbar.<br />

Auch die Fragmente Me repräsentieren eine Abschrift, die höchstens eine Generation nach<br />

Vollendung des Originals zu Beginn des 13. Jahrhunderts ebenfalls nach einer noch erkennbaren<br />

mitteldeutschen Vorlage 58 im ostoberdeutschen Sprachraum entstand. Auch die in das erste Drittel des<br />

13. Jahrhunderts datierte älteste nahezu vollständig erhaltene Handschrift des Textes, der Codex B, läßt<br />

sich aufgrund des bairischen Dialektes in Verbindung mit dem Miniaturenzyklus relativ genau<br />

lokalisieren. Auch hier glaubt man, noch eine mitteldeutsche Vorlage 59 nachweisen zu können, so daß<br />

alle frühen Überlieferungszeugen auf Handschriften zurückzugehen scheinen, die im mitteldeutschen<br />

Dialekt der Landschaft geschrieben wurden, in der der ‘Eneasroman’ vollendet wurde. Die Bruchstücke<br />

P entstanden eine weitere Generation später nach einer mitteldeutschen Vorlage 60 ebenfalls im<br />

ostoberdeutschen Sprachraum, so daß ein weiteres Indiz die These von der unmittelbaren Verbreitung<br />

des ‘Eneasromans’ aus Mitteldeutschland in Richtung Süden stützt.<br />

Bis zu dem jüngsten Fund der Fragmente Ham schien sich die noch von KLEIN - zumindest für<br />

die mittelhochdeutsche Epik der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts - formulierte These von der<br />

dominanten Konstellation „Südosten-Nordosten-Mitteldeutschland“ 61 auch im Hinblick auf die<br />

Überlieferung des ‘Eneasromans’ zu bestätigen: „Selbst von der ‘Eneide’ sind nur späte und vereinzelte<br />

alemannische Abkömmlinge des mitteldeutschen und des bairischen Überlieferungszweiges erhalten.“ 62<br />

KLEIN glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, daß der ‘Eneasroman’ erst viel später „von Thüringen aus über<br />

Bayern in den Südwesten gelangt“ 63 sei. Denn bereits BEHAGHEL hatte darauf hingewiesen, daß Ulrich<br />

von Zazikoven den ‘Eneasroman’ in seiner bairischen Sprachform kennengelernt habe. 64 Erst durch den<br />

57<br />

KLEIN, wie Anm. 47, S. 142.<br />

58<br />

Ebd., S. 144.<br />

59<br />

Ebd., S. 138.<br />

60<br />

Ebd., S. 143.<br />

61<br />

Ebd., S. 120.<br />

62<br />

Ebd.<br />

63<br />

Ebd., Anm. 9.<br />

64<br />

OTTO BEHAGHEL: Heinrichs von Veldeke Eneide. - Heilbronn: Henninger, 1882, S. CCX.<br />

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