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Der Wiener 'Eneasroman' - Commonweb

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B Philologie als Archäologie literarischer Texte<br />

Erscheinungsbild besaß die ein halbes Jahrhundert jüngere Handschrift, zu der die PFEIFFERschen<br />

Fragmente gehören. Wie in den Meranern und PFEIFFERschen Bruchstücken ist auch in der Berliner<br />

Handschrift Veldekes ‘Eneasroman’ in ganz neuer Weise materialisiert worden: In ihr besitzen wir die<br />

erste dreispaltig geschriebene Epenhandschrift Deutschlands, die darüber hinaus mit einem einzigartigen<br />

Miniaturenzyklus ausgestattet wurde. 78 Die Dreispaltigkeit erlangte im 13. Jahrhundert eine weitere<br />

Verbreitung, wie in der Geschichte des ‘Eneasromans’ beispielsweise das Fragment Scha I belegt. Die<br />

aus späterer Zeit stammenden Überlieferungszeugen sind hingegen sicherlich nicht so sehr unter dem<br />

Eindruck etwas stofflich und sprachlich Neuartigen entstanden, sondern dürften wohl eher durch andere<br />

Motivationen, wie gesellschaftliche Gebrauchssituationen oder literarische Kanonbildung, erklärt<br />

werden.<br />

Von diesem Gesamtcorpus sind drei der sieben vollständigen Handschriften mit Illustrationen<br />

ausgestattet: der Berliner, der Heidelberger und der <strong>Wiener</strong> Codex. Die Datierung dieser drei<br />

Bildhandschriften in die Jahre um 1220/1230, 1419 und 1474 zeigt, daß - nach der so bedeutenden frühen<br />

Berliner Handschrift - noch am Ende des mittelalterlichen Überlieferungszeitraumes Zeugen auf die<br />

Tradition einer Illustration des ‘Eneasromans’ Heinrichs von Veldeke verweisen. Dazwischen liegt eine<br />

Überlieferungslücke von zwei Jahrhunderten, in der sehr wahrscheinlich die Tradition der Bebilderung<br />

des Textes keineswegs abgebrochen ist, durch die Ungunst der Überlieferung allerdings keine Zeugnisse<br />

aus diesem Zeitraum erhalten sind.<br />

2. BEHAGHELS Stemma<br />

Ausgangspunkt der im folgenden vorgeführten Betrachtung der illustrierten Handschriften ist das<br />

Ergebnis der Analyse BEHAGHELS, der in seiner 1882 erschienenen Edition, die auf der Kenntnis und<br />

Berücksichtigung aller damals bekannten Handschriften und Fragmente beruht, ein Stemma entwarf, das<br />

bis heute anerkannt ist. Dieses ist Grundlage für den Versuch, die tatsächliche und hypothetische<br />

Überlieferung von textgebundenen Bildzyklen an die Ergebnisse der rein textkritisch ausgerichteten<br />

Forschung zurückzubinden.<br />

BEHAGHEL stellte fest, daß die erhaltenen Handschriften und Fragmente nicht auf das Original<br />

zurückgehen können. Daher ist auch nicht zu entscheiden, wie weit die gemeinsame Überlieferung von<br />

Text und Bild, die uns in den drei Zeugnissen unterschiedlicher Zeitstellung (1220/30, 1419 und 1474)<br />

greifbar ist, zurückreicht.<br />

BEHAGHEL unterschied in seiner textlichen Analyse aller ihm bekannten Handschriften zwei<br />

große Gruppen, X und Y. Innerhalb jeder dieser Gruppen identifizierte er eine Handschrift als besonders<br />

hochrangig im Sinne der Textkritik: G und h, beide dem 15. Jahrhundert angehörend. Die textkritisch<br />

wertvolle Handschrift h ist darüber hinaus mit einem Bildzyklus ausgestattet. Die beiden anderen<br />

illuminierten Codices, B und w, dagegen gehören zwar derselben Großgruppe (X) an wie G, lassen sich<br />

aber einer von dieser zu unterscheidenden Untergruppe (X2) zuordnen. Es ist auffallend, daß w und B,<br />

textlich eng miteinander verwandt, auch charakteristische Parallelen in ihren Bildzyklen aufweisen.<br />

BEHAGHEL hatte in seiner Beweisführung für die Zuordnung beider Handschriften zu einer Gruppe<br />

allerdings ausschließlich philologisch, auf den Text bezogen, argumentiert, ohne die Ähnlichkeiten in<br />

78 Ebd., S. 79.<br />

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