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Die Zukunft der Dinge. Über Unfälle und Sicherheit, in

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Verlag Walter de Gruyter ISSN 1886-2447 DOI 10.1515/behemoth.2011.011<br />

chen Verläufe <strong>und</strong> Komb<strong>in</strong>ationen vorwegnehmen <strong>und</strong> darstellen können – um sie zu unterbrechen<br />

o<strong>der</strong> zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Das heißt auch: Es müssen Geschichten erzählt werden. <strong>Die</strong> <strong>Sicherheit</strong>stechnik<br />

dieses Unfalltyps folgt nicht mehr e<strong>in</strong>er Epistemologie <strong>der</strong> Statistik, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>er des Narrativs.<br />

Nicht zufällig erzählen <strong>Sicherheit</strong>swissenschaftler o<strong>der</strong> Katastrophensoziologen gern Geschichten:<br />

kurze Narrative von sche<strong>in</strong>bar banalen, aber durch das Zusammentreffen vieler, sehr heterogener<br />

Faktoren hochkomplexen Abläufen. Charles Perrows berühmte Studie zur Hochrisiko-Technologie,<br />

Normal Accidents (1984), beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>em Frühstück voller sich ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong> reihen<strong>der</strong> Missgeschicke,<br />

die am Ende dazu führen, dass jemand e<strong>in</strong>en ersehnten Job nicht bekommt (Perrow 1989).<br />

Was dann folgt, s<strong>in</strong>d im Gr<strong>und</strong>e ähnlich strukturierte Erzählungen, nur diesmal führen sie zu Großfeuern<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er petrochemischen Anlage, zum Unfall <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schnellen Brüter, zur Explosion auf<br />

e<strong>in</strong>em Frachtschiff o<strong>der</strong> zur Kollision zweier Schiffe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kanal. Solche Erzählungen bebil<strong>der</strong>n<br />

nicht nur jene Verlaufslogik des Verkettungs-Unfalls, son<strong>der</strong>n sie s<strong>in</strong>d so konstitutive Gr<strong>und</strong>lage<br />

e<strong>in</strong>er systematischen Analyse von <strong>Unfälle</strong>n <strong>in</strong> ihrer Komplexität <strong>und</strong> ihrer Dynamik; sie zirkulieren<br />

darum etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>schlägigen Fachpublikationen wie Nuclear Safety o<strong>der</strong> gehen <strong>in</strong> Unfall-Datenbanken<br />

e<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>e Art Archiv des Pannen-Wissens zu generieren [9]. Aus den so festgehaltenen<br />

Schritten, die zu e<strong>in</strong>em komplexen Unfall geführt haben, lassen sich nun die Faktoren ableiten, die<br />

beim Zustandekommen dieses katastrophischen Ablaufs e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben. Solche Erzählungen<br />

lassen sich nicht nur retrospektiv entrollen, son<strong>der</strong>n auch prognostisch: Man erstellt so<br />

genannte „Störfallablaufanalysen“, die die Folgen des Ausfalls von e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> mehrerer Komponenten<br />

ausloten, macht „Ausfalleffektanalysen“ für den Ausfall e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Komponente o<strong>der</strong> gibt<br />

umgekehrt e<strong>in</strong>en Typ von Unfall vor <strong>und</strong> untersucht <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Fehlerbaumanalyse“, welche Faktoren<br />

zu diesem Ergebnis führen würden (vgl. Kuhlmann 1981).<br />

<strong>Die</strong>se ‚narrative‘ Struktur ermöglicht es, e<strong>in</strong>zelne Ereignisse als Sequenzen anzuordnen <strong>und</strong> damit<br />

kausale Verknüpfungen darzustellen. Genau dies macht Erzählungen zur idealen Analyseform von<br />

komplexen, sich aus vielfältigen Faktoren zusammensetzenden Ereignissen <strong>und</strong> so zum Instrument<br />

e<strong>in</strong>es Dispositivs <strong>der</strong> technischen <strong>Sicherheit</strong>. Was diese narrativen Analyseformen <strong>der</strong> <strong>Sicherheit</strong>swissenschaft<br />

freilegen, s<strong>in</strong>d Kopplungen zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Elementen e<strong>in</strong>es Systems – o<strong>der</strong><br />

genauer: Kopplungen zwischen <strong>der</strong> Dysfunktion e<strong>in</strong>es Elements <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dysfunktion e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en.<br />

Perrow unterscheidet „enge“ <strong>und</strong> „lose“ Kopplungen <strong>und</strong> damit entsprechend „eng“ o<strong>der</strong> „lose<br />

gekoppelte“ Systeme. Enge Kopplung „bedeutet, dass es zwischen zwei mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>enen<br />

43<br />

BEHEMOTH A Journal on Civilisation<br />

2011 Volume 4 Issue No. 2<br />

[9] Zu Nuclear Safety vgl. Perrow (1989, 76ff.), <strong>der</strong> zu Recht<br />

anmerkt, dass <strong>der</strong> Austausch von Pannen-Wissen offenbar<br />

nicht dazu führt, dass sich die Störungen nicht wie<strong>der</strong>holen.<br />

Zur For<strong>der</strong>ung nach Datenbanken für technische <strong>Sicherheit</strong><br />

vgl. Kuhlmann (1990, 37).

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