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Die Zukunft der Dinge. Über Unfälle und Sicherheit, in

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Verlag Walter de Gruyter ISSN 1886-2447 DOI 10.1515/behemoth.2011.011<br />

sche<strong>in</strong>lichen Unfall geführt haben. Unfall-Imag<strong>in</strong>ationen s<strong>in</strong>d Darstellungen von Undarstellbarem<br />

– <strong>und</strong> das ermöglicht nicht nur e<strong>in</strong>e Analytik des Unfalls, son<strong>der</strong>n vor allem auch se<strong>in</strong>e affektive<br />

Bearbeitung. Vom abstürzenden Flieger, aus dem etwa D’Annunzio den Heros e<strong>in</strong>er technischen<br />

Selbstüberbietung des Menschen macht [3], bis h<strong>in</strong> zu den endlosen Crashs <strong>und</strong> Explosionen des<br />

Action-K<strong>in</strong>os s<strong>in</strong>d die imag<strong>in</strong>ierten <strong>und</strong> <strong>in</strong>szenierten <strong>Unfälle</strong> immer „Schiffbrüche mit Zuschauer“,<br />

<strong>in</strong> Ruhe <strong>und</strong> Muße beobachtbare Katastrophen, an die sich jene Affekte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>sichten knüpfen<br />

können, die im eigentlichen Unfall-Geschehen auf traumatische Weise ausgesetzt s<strong>in</strong>d (Blumenberg<br />

1979). Evident ist, dass die imag<strong>in</strong>ierten <strong>Unfälle</strong> durchaus ke<strong>in</strong>e ‚realistischen‘ Unfall-Darstellungen<br />

s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> se<strong>in</strong> wollen. Vielmehr müssen sie verstanden <strong>und</strong> gelesen werden als Modellierungen,<br />

als heuristische Fiktionen, die sehr spezifische Aspekte von <strong>Unfälle</strong>n explorieren: Geht es um die<br />

<strong>in</strong>dividuelle Erlebbarkeit e<strong>in</strong>es als Erfahrung unverfügbaren Geschehens? Geht es um die Gefahren<br />

bestimmter Technologien? Geht es um die sozialen Rahmungen von <strong>Unfälle</strong>n, etwa im Versicherungswesen,<br />

im Katastrophenschutz o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Praktiken <strong>der</strong> Prävention? Geht es um e<strong>in</strong>e Reflexion<br />

auf Zufall, Kausalität <strong>und</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit? Geht es um die speziellen <strong>Sicherheit</strong>sregimes,<br />

die sich um bestimmte Unfall-Typen ansiedeln? – Es macht daher ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, von ‚dem Unfall‘<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er ‚Poetik‘ zu sprechen, wie es häufig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturwissenschaft geschehen ist, son<strong>der</strong>n es<br />

gilt, imag<strong>in</strong>ierte <strong>Unfälle</strong> auf das h<strong>in</strong> zu befragen, welche Typen von <strong>Unfälle</strong>n <strong>in</strong> ihnen entworfen <strong>und</strong><br />

welche Aspekte des Schiefgehens, <strong>der</strong> Prävention <strong>und</strong> des Vorhersehens <strong>in</strong> ihnen bearbeitet werden.<br />

Der wahrsche<strong>in</strong>liche Unfall: Crash<br />

Der Prototyp des Unfalls im Imag<strong>in</strong>ären <strong>der</strong> Hochmo<strong>der</strong>ne ist zweifellos <strong>der</strong> Autounfall. Das<br />

frühe zwanzigste Jahrhun<strong>der</strong>t kreist fasz<strong>in</strong>iert um den Autounfall als Desaster e<strong>in</strong>er zugleich glückhaften<br />

<strong>und</strong> fatalen Beschleunigung. Und noch heute ist <strong>der</strong> Crash, bevorzugt mit mehrfachem <strong>Über</strong>schlag<br />

<strong>und</strong> abschließen<strong>der</strong> Explosion des Fahrzeugs, <strong>der</strong> wohl verbreitetste Spezialeffekt des K<strong>in</strong>os<br />

überhaupt. Der Autounfall ist von Anfang an <strong>der</strong> neuen Mobilität e<strong>in</strong>geschrieben <strong>und</strong> zunächst e<strong>in</strong><br />

Gegenstand permanenter öffentlicher Erregung, e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> gegen das Autofahren schlechth<strong>in</strong>. Gerade<br />

durch se<strong>in</strong>e leichtere Wendigkeit <strong>und</strong> höhere Geschw<strong>in</strong>digkeit ist das Desaster immer schon Teil<br />

des Automobils: Fußgänger, K<strong>in</strong><strong>der</strong>, Tiere geraten buchstäblich ‚unter die Rä<strong>der</strong>‘, Automobile kollidieren<br />

zuerst mit H<strong>in</strong><strong>der</strong>nissen, später zunehmend mit an<strong>der</strong>en Automobilen. Mit <strong>der</strong> Eroberung<br />

32<br />

BEHEMOTH A Journal on Civilisation<br />

2011 Volume 4 Issue No. 2<br />

[3] <strong>Die</strong> Selbstüberbietung des Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Technik als<br />

e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>motiv des Futurismus verb<strong>in</strong>det diese von Anfang<br />

an mit dem Unfall – als heroisches Opfer dieser Selbstüberbietung<br />

(vgl. D’Annunzio 1910; Müller 1991).

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