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Die Zukunft der Dinge. Über Unfälle und Sicherheit, in

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Verlag Walter de Gruyter ISSN 1886-2447 DOI 10.1515/behemoth.2011.011<br />

nicht <strong>der</strong> Nachweis ihrer Harmlosigkeit aktiv erbracht werden kann. So muss nun nicht mehr die<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit künftiger Schäden, son<strong>der</strong>n gerade die friedvolle <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> <strong>D<strong>in</strong>ge</strong> bewiesen<br />

werden. Das Vorsorge-Pr<strong>in</strong>zip verschärft jene Logik des Misstrauens, die schon Vischers Tücke des<br />

Objekts nahelegt, wenn es for<strong>der</strong>t, „vor je<strong>der</strong> Entscheidung für bestimmte Unternehmungen <strong>und</strong><br />

Handlungen die Hypothese des Schlimmsten (nämlich jener ‚schweren <strong>und</strong> irreversiblen‘ Konsequenzen)<br />

<strong>in</strong> Erwägung zu ziehen. Es for<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e aktive E<strong>in</strong>übung des Zweifels <strong>in</strong> eben dem S<strong>in</strong>n,<br />

den Descartes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Meditationes kodifiziert hatte. Vor je<strong>der</strong> Handlung habe ich nicht alle<strong>in</strong><br />

über das, was ich wissen <strong>und</strong> meistern muss, son<strong>der</strong>n auch über das mit mir zu Rate gehen, was<br />

ich nicht wissen, son<strong>der</strong>n allenfalls fürchten o<strong>der</strong> vermuten kann. Ich muss mir, zur Vorbeugung,<br />

das denkbar Schlimmste ausmalen“ (Ewald 1998, 15). Das Vorsorge-Pr<strong>in</strong>zip beruht so auf <strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen<br />

Annahme, dass wir nicht alles wissen, was e<strong>in</strong>e Technologie, e<strong>in</strong> Material o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Handlungsweise an Nebenwirkungen <strong>und</strong> Spätfolgen zeitigen könnte. Aber es agiert – <strong>und</strong> dafür<br />

s<strong>in</strong>d die Erzählungen aus Late Lessons e<strong>in</strong> exzellentes Beispiel – gleichwohl auf <strong>der</strong> Basis e<strong>in</strong>es<br />

Narrativs, das eben doch weiß <strong>und</strong> das darum die <strong>Zukunft</strong> gleichsam von h<strong>in</strong>ten, im Modus des<br />

Futur II erzählt: Es werden Schäden e<strong>in</strong>getreten se<strong>in</strong>, es wird sichtbar werden, dass es e<strong>in</strong>e kausale<br />

Verknüpfung zwischen diesen Schäden <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Kontam<strong>in</strong>ation gibt. <strong>Die</strong> ethische Ratio des<br />

Vorsorge-Pr<strong>in</strong>zips ist, darauf hat Ulrich Bröckl<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>gewiesen (vgl. Bröckl<strong>in</strong>g 2010), jenes „Pr<strong>in</strong>zip<br />

Verantwortung“, das Hans Jonas als die „Notstandsethik <strong>der</strong> bedrohten <strong>Zukunft</strong>“ e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t<br />

hat: „Handle so, dass die Wirkungen de<strong>in</strong>er Handlungen nicht zerstörerisch s<strong>in</strong>d für die künftige<br />

Möglichkeit solchen Lebens“ o<strong>der</strong> – positiv ausgedrückt – „Handle so, dass die Wirkungen de<strong>in</strong>er<br />

Handlungen verträglich s<strong>in</strong>d mit <strong>der</strong> Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ (Jonas<br />

1992, 36). <strong>Zukunft</strong> <strong>und</strong> ihre Unversehrtheit wird hier zum eigentlichen ethischen Gegenüber, zum<br />

Standard, an dem sich das Handeln <strong>und</strong> Entscheiden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart zu messen hat. <strong>Die</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>D<strong>in</strong>ge</strong> wird darauf verpflichtet, den Menschen <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> nicht zu schädigen. Das aber heißt<br />

für Jonas, Angst zum erkenntnisstiftenden Pr<strong>in</strong>zip zu machen: Im Zustand <strong>der</strong> Ungewissheit über<br />

die künftigen Katastrophen <strong>und</strong> Schädigungen, die <strong>in</strong> den <strong>D<strong>in</strong>ge</strong>n latent verborgen s<strong>in</strong>d, braucht es<br />

e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>haltung <strong>der</strong> Angst <strong>und</strong> des Misstrauens, die uns davor bewahrt, den Tücken <strong>der</strong> <strong>D<strong>in</strong>ge</strong><br />

blauäugig <strong>in</strong>s Messer zu laufen.<br />

Dem Lebensgefühl e<strong>in</strong>er solchen „Heuristik <strong>der</strong> Angst“ (Jonas 1992, 63) hat Don DeLillo e<strong>in</strong>en<br />

ganzen Roman gewidmet, White Noise (DeLillo 1984). Der Roman illustriert nicht nur die affektive<br />

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BEHEMOTH A Journal on Civilisation<br />

2011 Volume 4 Issue No. 2

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