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Die Zukunft der Dinge. Über Unfälle und Sicherheit, in

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Verlag Walter de Gruyter ISSN 1886-2447 DOI 10.1515/behemoth.2011.011<br />

se, nicht alle <strong>Unfälle</strong> äußern sich <strong>in</strong> Explosionen o<strong>der</strong> Kollisionen, akuten Verletzungen, sichtbaren<br />

Zerstörungen. E<strong>in</strong>e <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> <strong>D<strong>in</strong>ge</strong> ist auch das, was als Ereignis gar nicht wahrnehmbar se<strong>in</strong><br />

muss: die Nebeneffekte, Spätfolgen o<strong>der</strong> Langzeitwirkungen von Materialien, Technologien o<strong>der</strong><br />

Handlungsweisen. Deren Spektrum ist unendlich weit. Es reicht von toxischen o<strong>der</strong> karz<strong>in</strong>ogenen<br />

Wirkungen bestimmter Stoffe (etwa Asbest o<strong>der</strong> Diox<strong>in</strong>) über E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> Ökosysteme (etwa durch<br />

Baumaßnahmen o<strong>der</strong> gentechnisch verän<strong>der</strong>te Lebewesen) bis h<strong>in</strong> zu Entsorgungsproblemen (etwa<br />

von radioaktivem Material, aber auch e<strong>in</strong>fachem Plastik). Nicht nur die Klassifizierung gefährlicher<br />

Materialien, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> ganze weite Bereich <strong>der</strong> so genannten ‚Technikfolgenabschätzung‘ widmet<br />

sich dieser Wissenschaft von e<strong>in</strong>er (<strong>in</strong> zweifacher H<strong>in</strong>sicht) fernen <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> <strong>D<strong>in</strong>ge</strong>. Fern ist sie,<br />

weil es hier um die mittel- <strong>und</strong> langfristigen Folgen e<strong>in</strong>es Handelns <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart geht, Folgen,<br />

die <strong>in</strong> Tests nicht antizipierbar <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Sicherheit</strong>smaßnahmen nicht abzufe<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d, weil die<br />

Zeit <strong>der</strong> entscheidende Faktor ihres Zustandekommens ist. Fern ist sie aber auch, weil hier Folgen<br />

nicht leicht auf ihre Ursachen zurückbezogen werden können. Der kausale Nexus zwischen e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Praxis (z.B. dem ungeschützten Sonnenbaden o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kontam<strong>in</strong>ation mit Asbest) <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> späteren Erkrankung an Krebs ist nur durch e<strong>in</strong>e langfristige <strong>und</strong> statistisch breite Untersuchung<br />

überhaupt herzustellen. Technikfolgenabschätzung leidet darum an e<strong>in</strong>em f<strong>und</strong>amentalen<br />

Dilemma: Erst wenn e<strong>in</strong>e Technologie seit e<strong>in</strong>er gewissen Zeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewissen Breite durchgesetzt<br />

ist, lassen sich ihre tatsächlichen Folgen verlässlich ermessen; das heißt auch: erst wenn ihre<br />

Nebenwirkungen <strong>und</strong> Schäden nicht nur Zeit hatten, sich zu manifestieren, son<strong>der</strong>n auch schon<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ausreichend großen Häufigkeit aufgetreten s<strong>in</strong>d, um überhaupt statistisch erfassbar zu<br />

werden. Wenn das Risikopotential e<strong>in</strong>er Technologie wirklich greifbar ist, dann ist es zumeist sehr<br />

schwer, noch politische <strong>und</strong> technische E<strong>in</strong>griffe durchzusetzen, <strong>und</strong> zu spät, e<strong>in</strong>e Technologie erst<br />

gar nicht zu implementieren [10].<br />

Weil das so ist, müssen auch hier immer wie<strong>der</strong> Geschichten erzählt werden. Es s<strong>in</strong>d Geschichten,<br />

die nicht selten als ‚Warnerzählungen‘ (cautionary tales) gedacht s<strong>in</strong>d. Sie erzählen von frühzeitigen<br />

H<strong>in</strong>weisen auf Gefahren, die nicht ernst genommen o<strong>der</strong> nicht richtig <strong>in</strong>terpretiert werden,<br />

von tragischen, aber unverstandenen Todesfällen. E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s anschauliche Sammlung solcher<br />

Warnerzählungen ist e<strong>in</strong> Bericht im Auftrag <strong>der</strong> European Environment Agency mit dem Titel Late<br />

Lessons from Early Warn<strong>in</strong>gs (European Environment Agency 2001). Er umfasst vierzehn Fallstudien<br />

über riskante Technologien, Materialien o<strong>der</strong> Epidemien, <strong>in</strong> denen jeweils rekonstruiert wird,<br />

47<br />

BEHEMOTH A Journal on Civilisation<br />

2011 Volume 4 Issue No. 2<br />

[10] <strong>Die</strong>ses Dilemma ist als so genanntes ‚Coll<strong>in</strong>gridge-<br />

Dilemma‘ bekannt geworden, nach David Coll<strong>in</strong>gridge (vgl.<br />

Coll<strong>in</strong>gridge 1980).

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