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Die Zukunft der Dinge. Über Unfälle und Sicherheit, in

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Verlag Walter de Gruyter ISSN 1886-2447 DOI 10.1515/behemoth.2011.011<br />

offensichtlich angefahrener Fußgänger. <strong>Die</strong> zwei zufällig vorbeikommenden Zeugen, so erzählt <strong>der</strong><br />

Text dann weiter, beg<strong>in</strong>nen nun sofort, sich über diesen zu verständigen. Der Herr verweist auf den<br />

„zu langen Bremsweg“ <strong>und</strong> zitiert (völlig übertriebene) amerikanische Unfallstatistiken: „Nach den<br />

amerikanischen Statistiken [...] werden dort jährlich durch Autos 190.000 Personen getötet <strong>und</strong><br />

450.000 verletzt“ (Musil 1994, 10). Das Beson<strong>der</strong>e, das die Dame glaubt erlebt zu haben, ist demnach<br />

durchaus nichts Beson<strong>der</strong>es. Das Individuelle des Verkehrsunfalls ist nichts als e<strong>in</strong> Geschehen<br />

mit e<strong>in</strong>em bestimmten Grad an Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit. So wird <strong>der</strong> Autounfall schon früh zum Prototyp<br />

e<strong>in</strong>es Ereignisses, das gerade nicht unter dem Aspekt se<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>gularität, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

dem se<strong>in</strong>er statistischen Häufigkeit gesehen wird. Wo Verkehr herrscht, da geschehen mit e<strong>in</strong>er<br />

angebbaren Häufigkeit Kollisionen. Gerade <strong>der</strong> erfassende <strong>Über</strong>blick, den Musils Romananfang auf<br />

die Großstadt wirft, zielt auf e<strong>in</strong>e solche statistische Erhebung, die die Häufigkeit <strong>der</strong> <strong>Unfälle</strong> auf die<br />

Gesamtzahl aller sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt bewegenden Fahrzeuge zurückrechnet. E<strong>in</strong> gewisser Prozentsatz<br />

davon „verunfallt“ mit erwartbarer Regelmäßigkeit. „Mit <strong>der</strong> Ausbreitung <strong>der</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsrechnung<br />

[...] verb<strong>in</strong>det sich deshalb e<strong>in</strong> Ereignistyp, <strong>der</strong> die Dichotomie von Fiktiv <strong>und</strong> Real h<strong>in</strong>ter<br />

sich lässt <strong>und</strong> Geschehnisse <strong>in</strong> verschiedene Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsgrade auflöst. [...] Tatsache wird<br />

damit auch, was nicht <strong>der</strong> Fall ist“ (Schäffner 2000, 110). Und diese Tatsache bezieht sich nicht nur<br />

auf e<strong>in</strong>e Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart, son<strong>der</strong>n erhält ihren eigentlichen Wert im H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Zukunft</strong>.<br />

Um den Autounfall ranken sich darum Praktiken <strong>der</strong> <strong>Sicherheit</strong>, die e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>sam haben: Sie<br />

versuchen zwar, die Schwere <strong>und</strong> Häufigkeit von <strong>Unfälle</strong>n zu m<strong>in</strong><strong>der</strong>n, akzeptieren aber gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

<strong>der</strong>en Möglichkeit <strong>und</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit. <strong>Die</strong> Praxis des Autofahrens an sich aber wird nicht<br />

<strong>in</strong> Frage gestellt. Stattdessen werden <strong>Unfälle</strong> zu allererst versichert. Das verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t ke<strong>in</strong>e <strong>Unfälle</strong>,<br />

kompensiert aber die f<strong>in</strong>anzielle Belastung durch den Unfall. Daneben gibt es Praktiken <strong>und</strong><br />

Regelungen <strong>der</strong> Prävention, die die Schwere <strong>und</strong> Häufigkeit von <strong>Unfälle</strong>n m<strong>in</strong><strong>der</strong>n sollen, wie etwa<br />

die Straßenverkehrsordnung o<strong>der</strong> die ständigen Verbesserungen <strong>der</strong> Fahrzeugsicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung<br />

neuer Fahrzeugtypen. <strong>Die</strong>se verwerten E<strong>in</strong>sichten aus vergangenen <strong>Unfälle</strong>n <strong>und</strong> Unfallstatistiken<br />

(etwa bei E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Gurtpflicht o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Höchstgeschw<strong>in</strong>digkeit von 130 km/h <strong>in</strong><br />

den meisten Län<strong>der</strong>n) o<strong>der</strong> simulieren <strong>Unfälle</strong> <strong>in</strong> Crash-Tests <strong>und</strong> ziehen daraus Konsequenzen für<br />

zukünftige <strong>Unfälle</strong>, die idealiter vermieden, zweitbestens glimpflicher ablaufen sollen. Klar ist aber,<br />

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BEHEMOTH A Journal on Civilisation<br />

2011 Volume 4 Issue No. 2

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