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mythischen Analogon« zur »deutschen Wirklichkeit«

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Gerhard Kaiser<br />

ablaufenden Kausalität dominieren diesen Romantyp und zeugen von einer tiefgehenden<br />

Zerrüttung der menschlichen Wirklichkeitsauffassung: »So sind die meisten<br />

oder alle Opfer in der ›comØdie humaine‹ Opfer der Gesellschaft, und von diesem<br />

gesellschaftsmäßig gefaßten Wirklichkeitsbegriff aus findet auch der Kriminal-<br />

und Unterweltsroman […] seine ordnungsgemäße Stelle im Weltbild Balzacs.«<br />

(ebd., 75)<br />

Währenddessen, oder besser: schon vorher, wächst jedoch in Deutschland das<br />

Rettende doch auch in Form jener Wirklichkeitsauffassung, die sich in den Dichtungen<br />

Kleists, als der »geformte Schmerz und Glanz einer lebendigen Seele« (ebd.,<br />

VII), kundgibt und die Lugowski als »nachdualistische Wiederherstellung einer<br />

Einheitsvorstellung der <strong>Wirklichkeit«</strong> (Jesinghausen 1996, 206) begreift. Diachron<br />

gesehen über die Zerrüttungen der Neuzeit hinweg, synchron gesehen jenseits<br />

der romanischen Perfektionierung eines entfremdeten Blicks auf die Welt, offenbare<br />

sich in der Dichtung Kleists, der zwar kein Germane mehr, dessen »Wirklichkeitsgefühl<br />

[…] dem der altgermanischen Dichtung [jedoch] eng verwandt«<br />

(Lugowski 1936, 188) sei, eine neue Einheit von Mensch und Wirklichkeit nach<br />

deren Entzweiung. Mit Kleist, so wird deutlich, deutet sich das Ende des<br />

»Weges um die Kugel« an: »Das Kleistische Grunderlebnis der Unmittelbarkeit<br />

führt sofort in die Welt der Saga hinein.« (ebd., 187)<br />

Was Lugowski in seiner Dissertation als das »Gehabtsein« (1932, 61 f.) von erzählten<br />

Figuren bezeichnet, den erzählanalytisch zu beobachtenden Umstand, dass<br />

eine Figur bzw. ihre Handlungen weniger realistisch, bzw. psychologisch motiviert<br />

ist, sondern vielmehr als Repräsentant eines Prinzips, einer Eigenschaft, eines<br />

Merkmals oder einer Norm fungiert, trifft zweifellos auch auf den Kleist – sowie<br />

die als ›Gegenfiguren‹ zu ihm inszenierten franzçsischen Autoren – seiner wissenschaftlichen<br />

Erzählung zu. Wird die Figur Kleists doch, von ihrem literaturwissenschaftlichen<br />

Erzähler gleichsam »von hinten motiviert« 35 , zum symbolischen Repräsentanten<br />

der invented tradition einer germanisch-deutschen Daseinsunmittelbarkeit<br />

und damit »thematisch überfremdet« (ebd., 24).<br />

Lugowski selbst macht aus dieser »Hinterweltlichkeit« (ebd., 66) seiner Erzählung,<br />

d. h. aus der Tatsache, dass hinter der manifesten Erzählkonstellation seiner<br />

Studie ein Weltmodell steht, das diese vorgängig bestimmt, auch keinerlei Hehl:<br />

Die dichterische Erscheinung Kleists ist uns mehr als ein einzelnes Schicksal: sie steht für viele<br />

andere Augenblicke deutscher Geschichte. Die deutsche Selbstgestaltung ist selten als ungestçrtes<br />

Wachstum sichtbar. Sie offenbart sich am überwältigendsten in der immer neu und immer<br />

leidenschaftlicher durchbrechenden Sehnsucht nach den Ursprüngen. Die Entwicklung des<br />

Wirklichkeitsgefühls, wie sie von der deutschen Dichtung nach Kleist gespiegelt wird, ist der<br />

zähe Kampf um die endgültige Wiedererringung eines alten, neu erwachenden Urverhältnisses<br />

35 »Im Falle der ›Motivation von hinten‹«, so erläutert Lugowski den Terminus an einer Stelle, »gibt es<br />

streng genommen nur ein Motivierendes, das Ergebnis, und der Selbstwert liegt nicht in der Fülle des<br />

Einzelnen ausgebreitet, sondern diese Fülle des Konkreten ist nichts als das Transparent, durch das<br />

hindurch der Selbstwert scheint.« (1932, 75).<br />

Bereitgestellt von | SUB Goettingen<br />

Angemeldet | 134.76.162.17<br />

Heruntergeladen am | 29.11.12 08:04

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