mythischen Analogon« zur »deutschen Wirklichkeit«
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Gerhard Kaiser<br />
wird vor allem am Stil der Dichtung verfolgt. Die ganze Arbeit will im Blick auf die Art, wie<br />
Menschen Wirklichkeit erleben und wie sich ihnen aus diesem Erlebnis ihr Dasein formt,<br />
an der Klärung der Begriffe ›germanisch‹ und ›deutsch‹ mithelfen. 37<br />
Deutlicher noch heißt es bereits in einem Arbeitsbericht Lugowskis vom 2. 12.<br />
1933 (es geht hier um ein Forschungsstipendium <strong>zur</strong> »Stiltypik Simplicissimus«):<br />
[…] Die ganze deutsche Dichtung der Neuzeit ist ein Kampf um ihre eigene Wirklichkeit. Besondere<br />
Schärfe erreicht dieser Kampf im 19. Jahrhundert. Das romanische, deterministische<br />
Antimärchen wird fälschlich von deutschen Dichtern gegen das Märchen ausgespielt. Am Anfang<br />
des Jahrhunderts steht die tragische Figur Kleists. In seiner Dichtung bricht zum ersten<br />
Mal, wenn auch ohne letzten Sieg, echte schicksalhafte Wirklichkeit durch, wenn auch noch<br />
vermischt mit märchenhaften und antimärchenhaften Zügen. […] In diesen grossen historischen<br />
Zusammenhang ordnet sich nun auch der ›Simplicissimus‹ ein. Vielleicht ist er die einzige<br />
deutsche Prosadichtung des 17. Jahrhunderts, die jenen Kampf der deutschen Dichtung um<br />
ihre eigene Wirklichkeit spiegelt. […] In Verbindung mit der Tatsache, dass im ›Simplicissimus‹<br />
das ›magische‹, ›dynamische‹ Erzählen zumindest vorherrscht, deutet das spurenweise, wenn<br />
auch noch durch antimärchenhafte Züge entstellt, auf eine ursprünglich deutsche Auffassung.<br />
Dieser ›Rest‹, der einzige, der in der erzählenden Gattung eine für das 17. Jahrhundert ›moderne‹<br />
Deutschheit zeigt, macht den Umfang der romanischen Invasion deutlich, dem nicht nur die<br />
dichterische Lebensgestaltung, sondern auch das Leben der kulturtragenden Schichten selbst<br />
ausgesetzt war und in den folgenden Jahrhunderten ausgesetzt blieb. Dieser ›Rest‹, der zugleich<br />
eine weit in die Zukunft weisende Spur ist, gibt als einsames Zeichen Kunde von dem Strom<br />
alter deutscher Tradition, der durch Jahrhunderte hindurch dem geistigen Bewusstsein der lebendeutenden<br />
Dichtung unterirdisch bleibt. 38<br />
Auffälligerweise kommt ein Arbeitsbericht zum gleichen Projekt, der aber ein Jahr<br />
zuvor – also noch vor der politischen Zäsur – an die DFG geschickt wurde, noch<br />
vçllig ohne solche komparatistisch-nationalistischen Kontextualisierungsangebote<br />
aus. Zwar ist auch hier bereits von literaturtranszendierenden »Ganzheiten« die<br />
Rede, diese werden aber nur in ganz allgemeiner Hinsicht als »Weltanschauliches«<br />
(ebd.) 39 bezeichnet.<br />
Es bleibt indes noch die Frage zu beantworten, ob diese ›Kleistische Wende‹ Lugowskis<br />
<strong>zur</strong> <strong>»deutschen</strong> <strong>Wirklichkeit«</strong> einen Bruch innerhalb seiner Konzeption<br />
darstellt, oder ob jene »Sehnsucht nach den Ursprüngen«, von der in der Habilitationsschrift<br />
die Rede ist, bereits in seiner vor der politischen Zäsur erschienenen<br />
Dissertation angelegt ist. Während – ein wenig vereinfachend gesagt – vor allem<br />
37 Brief C. Lugowski an die DFG vom 1.10.1934, BAK, R 73/16450. In einem Empfehlungsbrief, den<br />
Friedrich Neumann am 25.2.1935 für seinen Habilitanden an den Teubner-Verlag schickt, wird<br />
dem Verlag die Publikation gerade mit Blick auf den komparatistisch-nationalistischen Aspekt<br />
schmackhaft gemacht: »Sein neues Buch wird einen neuen Blick für deutsche dichterische Formung<br />
geben. In diesem Buche wird die Schçpfung Kleists durch Betrachtung germanischer und franzçsischer<br />
Denk- und Erlebnisformen aufgehellt. So wird dies Buch nach vielen Seiten wirken kçnnen.<br />
Es verfestigt die Kenntnis des Germanischen. Es gibt von einem neuen deutschen Standort aus eine<br />
ausgezeichnete Beurteilung franzçsischer Erzählungskunst des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, wobei<br />
ich vor allem auf den Abschnitt über Balzac hinweise.« (BAK, R 73/16262).<br />
38 BAK, R 73/16450.<br />
39 Zum Umbau in Lugowskis Simplicissimus-Deutung vgl. auch Zelle 1996, v.a. 220 f.<br />
Bereitgestellt von | SUB Goettingen<br />
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Heruntergeladen am | 29.11.12 08:04