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pdfMI05S34D 01.08.2006 11:55 Uhr Seite 34<br />

Die Gesellschaft hat ein<br />

neues Lieblingsthema<br />

entdeckt: den Glauben.<br />

In Gesprächsrunden,<br />

Interviews und Büchern<br />

bekennen sich Prominente<br />

neuerdings gerne<br />

öffentlich zu ihrer Religion.<br />

IM SUPER-<br />

MARKT<br />

DER<br />

RELIGIONEN<br />

>> Er wäre ein anderer, wenn er<br />

nicht in einem unverkrampft religiösen<br />

Elternhaus aufgewachsen<br />

wäre. Wenn er nicht die Ferien bei<br />

seinem Onkel im Pfarrhaus oder bei<br />

einer Tante im Kloster verbracht<br />

hätte. Die Religion biete ihm Sicherheit<br />

und Grundvertrauen: Einer<br />

wird’s schon richten. Der Moderator<br />

Thomas Gottschalk spricht bei<br />

einer Diskussion über „Medien und<br />

Werte“ im Bistum Münster offen<br />

über seine katholische Erziehung<br />

und seinen Glauben.<br />

Über die eigene Überzeugung<br />

zu plaudern ist für viele Prominente<br />

kein Tabu mehr. „Es gab eine Zeit,<br />

da meinten viele, dass die Religion<br />

3<br />

Fotos: dpa<br />

1<br />

2<br />

und mit ihnen die Kirchen aus dem<br />

öffentlichen Leben verschwinden<br />

würden. Eine gottfreie Welt, die<br />

dem Menschen als oberstem Wesen<br />

allein anvertraut ist, war der humanistische<br />

Traum,“ sagt der österreichische<br />

Theologe Paul Zulehner.<br />

„Diese Zeit geht nun zu Ende. Die<br />

dem Menschen allein überlassene<br />

Welt scheint nicht so bekömmlich<br />

zu sein, wie viele hofften.“ Und er<br />

scheint damit recht zu haben. Ob<br />

der brasilianische Nationalspieler<br />

Lucio nach einem Tor sein T-Shirt<br />

mit der Aufschrift „Gott ist meine<br />

Kraft“ hochreißt oder in einer<br />

Talkshow der Plausch Richtung<br />

Religion abwandert: Man bekennt<br />

sich wieder. Gerne auch öffentlich.<br />

Die spirituellen Aufbrüche überraschen<br />

dennoch. In den Siebzigerjahren<br />

war es eine sichere Prognose,<br />

dass Religion aus der Gesellschaft<br />

verschwinden würde. Doch die<br />

bestätigte sich nicht. Die Säkularisierung<br />

schreitet zwar fort, aber<br />

parallel dazu findet ein weltweiter<br />

Aufschwung von Religiosität und<br />

Spiritualität statt. Für den Münchner<br />

Soziologen und Theologen Thomas<br />

Bohrmann ist diese Entwick-<br />

4<br />

lung nicht ungewöhnlich. „In unserer<br />

zunehmend technischen und<br />

anonymen Gesellschaft fehlen die<br />

Werte. Und die Religion setzt all<br />

diesem Leistungsdenken entgegen:<br />

Jeder Mensch ist etwas wert, jeder<br />

ist einzigartig.“ So begibt sich die<br />

Gesellschaft wieder auf die Suche<br />

nach Werten. Und wie in einem<br />

Supermarkt greift man sich das heraus,<br />

was einem gut tut.<br />

Christ oder Buddhist?<br />

Auch Statistiken untermauern<br />

den Trend: Die Erzdiözese München-Freising<br />

meldet, dass 2004<br />

die Kirchenaustritte in Bayern um<br />

etwa 25 Prozent zurückgegangen<br />

sind. Und eine Umfrage der Katholischen<br />

Nachrichtenagentur (KNA)<br />

hat ergeben, dass Erwachsenentaufen,<br />

Wiedereintritte und Konversionen<br />

mittlerweile deutlich zunehmen.<br />

Viel Aufmerksamkeit brachte<br />

auch der Medienrummel um den<br />

verstorbenen Papst Johannes Paul II.<br />

und die Neuwahl von Papst Benedikt<br />

XVI. „Bei den Berichten über<br />

Johannes Paul II. haben sich viele<br />

gesagt: ,Ja, ich denke genauso, ich<br />

fühle genauso, und will das nach<br />

außen tragen‘“, erklärt Bohrmann.<br />

Die Menschen hätten im verstorbenen<br />

Papst erkannt, dass materielle<br />

Werte allein nicht glücklich machen.<br />

In der Kirche sähen sie eine<br />

Gegenbewegung zur modernen Gesellschaft.<br />

Dort suchten und fänden<br />

sie Kontinuität und Zusammengehörigkeitsgefühl.<br />

Auch wenn der Trend der Religionssuche<br />

insgesamt erfreulich ist:<br />

Längst nicht alle suchen den Sinn<br />

ihres Daseins in der christlichen<br />

Lehre. Die asiatischen Religionen<br />

werden im Westen immer beliebter.<br />

Vor allem der Buddhismus<br />

scheint in der Gesellschaft Fuß zu<br />

fassen. Er unterscheidet sich in einigen<br />

Dingen grundlegend von dem<br />

westlichen Verständnis von Religion.<br />

Die Lehre kennt keinen allmächtigen<br />

Gott, zu dem der Gläubige<br />

eine persönliche Beziehung<br />

hat. Und auch die christliche Vorstellung<br />

vom Leben nach dem Tod<br />

gibt es nicht. Der Buddhismus<br />

beruht auf dem Prinzip: Übe, und<br />

mache selbst die Erfahrung.<br />

Nach diesem Grundsatz lehrt<br />

auch der Benediktinermönch und<br />

Zen-Meister Pater Willigis Jäger.<br />

„Die meisten Menschen suchen<br />

nicht den Buddhismus als Konfession,<br />

sondern sie suchen einen spirituellen<br />

Weg“, so Pater Willigis.<br />

Durch Ruhe und Konzentration sollen<br />

die wesentlichen Aspekte des<br />

Lebens wieder verstärkt ins Bewusstsein<br />

treten. Der mystische<br />

Weg der Christen wurde bis ins hohe<br />

Mittelalter hinein als Gebetsform<br />

gelehrt, aber später vernachlässigt.<br />

Um die Attraktivität der<br />

buddhistischen Lehre zu steigern,<br />

hilft aber auch die Prominenz nach.<br />

Der Hollywood-Schauspieler Richard<br />

Gere bekennt sich seit über<br />

20 Jahren zum Buddhismus.<br />

Trend aus Hollywood<br />

Auch andere Berühmtheiten<br />

propagieren den tieferen Sinn. So<br />

wirbt die US-amerikanische Sängerin<br />

Madonna, aus einem streng katholischen<br />

Elternhaus stammend,<br />

für die jüdische Lehre Kabbala. Die<br />

mystische Geheimlehre verspricht<br />

inneren Frieden, Stärke und Selbstbewusstsein.<br />

Dinge, die man mit<br />

Geld nicht kaufen kann. Oder<br />

doch? Schließlich zahlen die Kabbalisten<br />

einen Teil des Einkommens<br />

als Grundgebühr und besuchen<br />

teure Kurse, um die nächste<br />

Erkenntnisstufe zu erreichen. Daher<br />

ist die Sängerin bei jüdischen<br />

Würdenträgern in die Kritik geraten.<br />

Sie trage zur Verflachung und<br />

Verfälschung bei. Trotzdem gilt<br />

Kabbala – die Gemeinschaft wird<br />

als Gemisch aus Religion, Sekte<br />

und jüdisch-esoterischer Zahlenmystik<br />

gesehen – derzeit zu den wohl<br />

angesagtesten spirituellen Trends in<br />

Hollywood. In Deutschland stößt er<br />

allerdings auf wenig Interesse.<br />

Umstrittene Sinnsucher<br />

Die Suche nach dem Sinn nimmt<br />

oft fragwürdige Auswüchse an. Das<br />

bekannteste Beispiel ist die Organisation<br />

Scientology. 1954 von einem<br />

Romanautor gegründet, ist sie in<br />

Deutschland sehr umstritten. Die<br />

Lehre ist einfach: Der Mensch hat<br />

geistig-psychische Defizite. Um diese<br />

zu beheben, braucht er Hilfe. Mit<br />

teuren Kursen, die Glück und Erfolg<br />

versprechen, zieht die „Kirche“,<br />

wie sie sich selbst nennt, ihre<br />

Kunden an. Bekanntestes Aushängeschild<br />

ist der amerikanische<br />

Schauspieler Tom Cruise. Bei keinem<br />

seiner Interviews vergisst er,<br />

auf die positiven Seiten des „Wirtschaftsunternehmens“<br />

hinzuweisen.<br />

Auch wenn es einige schwarze<br />

Schafe im „Supermarkt der Religionen“<br />

gibt. Insgesamt wird das neu<br />

geweckte Interesse an der Religion<br />

positiv gesehen. Die Frage ist nur,<br />

ob die christlichen Kirchen für diese<br />

neue Offenheit der Gesellschaft<br />

gerüstet sind.

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