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pdfMI05S40D 01.08.2006 13:27 Uhr Seite 40<br />
reportage thailand<br />
Pater Bernard<br />
Arputhasamy<br />
„Die Menschen<br />
kommen aus<br />
Myanmar, weil ihr<br />
Leben dort in<br />
Gefahr war. Jetzt<br />
sind sie hier und<br />
leben wieder in<br />
ständiger Angst.”<br />
Maung Maung (vorne<br />
links) bringt den<br />
Männern bei, sich auf<br />
Thai und Englisch<br />
richtig auszudrücken.<br />
Sein Unterricht ist ihre<br />
einzige Chance auf<br />
Bildung.<br />
40 41<br />
arbeiten. Aber auch der Flüchtlingsdienst<br />
der Jesuiten (JRS) unterstützt<br />
die Organisation bei ihrer<br />
Arbeit: „Solche Selbsthilfegruppen<br />
sind für viele Flüchtlinge die erste<br />
Anlaufstelle, weil sie den Menschen<br />
dort vertrauen. Aber nicht immer<br />
kann man ihnen dort auch bei<br />
rechtlichen Fragen und im Umgang<br />
mit den Behörden helfen. Darum<br />
kümmern wir uns dann, damit<br />
sie die Chance haben, legal in Thailand<br />
zu bleiben oder in ein sicheres<br />
Drittland ausreisen zu können“, erklärt<br />
P. Bernard Arputhasamy, 38,<br />
vom JRS. Auf eine solche Zukunft<br />
werden die Flüchtlinge auch durch<br />
Sprachkurse vorbereitet: Jeden Samstag<br />
und Sonntag findet in der Baracke<br />
der Arakan Oversea Organisation<br />
Unterricht in Thai und Englisch<br />
statt. Rund 20 Männer wiederholen<br />
dann im Chor die Wörter,<br />
auf die ihr „Lehrer“ Maung Maung<br />
vorne an der Tafel zeigt.<br />
Auch Maung Maung kommt<br />
aus Myanmar. Der 24-Jährige studiert<br />
in Bangkok Wirtschaftslehre.<br />
Ganz legal, von Montag bis Freitag.<br />
Am Wochenende jedoch fährt<br />
er mit dem Bus hinaus an den<br />
Stadtrand von Bangkok, um seine<br />
Landsleute zu unterrichten. „Ich<br />
weiß, dass das nicht ganz ungefährlich<br />
ist, denn nach meinem Studium<br />
werde ich zurück nach Myanmar<br />
gehen und was ich hier tue,<br />
würde meiner Regierung überhaupt<br />
nicht gefallen. Deshalb muss<br />
ich heimlich hierher kommen.<br />
Nicht einmal meine Eltern wissen<br />
Bescheid, denn ich möchte nicht,<br />
dass sie sich Sorgen machen und<br />
will sie auch nicht in Gefahr bringen.<br />
Aber unterrichten werde ich<br />
auch weiterhin. Denn für meine<br />
Landsleute ist das hier die einzige<br />
Chance auf Bildung.” Dass sie auf-<br />
grund ihrer Illegalität keine reguläre<br />
Schule besuchen können, ist vor<br />
allem für die Kinder der Flüchtlinge<br />
dramatisch, die häufig schon<br />
in ihrer alten Heimat lange keinen<br />
richtigen Unterricht mehr hatten.<br />
So auch die 16-jährige Ma Chit<br />
Suu. „Hallo, mein Name ist Ma<br />
Chit Suu“, sagt sie in fließendem<br />
Englisch und öffnet die Tür. Sie ist<br />
ein aufgewecktes Mädchen mit<br />
wachen Augen und lebhaften Gesten.<br />
„Früher hat ihre Mutter sie<br />
unterrichtet. Von ihr hat sie auch<br />
Englisch gelernt“, erzählt Vater<br />
Kong Mia stolz. Doch die Mutter<br />
ist während der Flucht von Myanmar<br />
nach Thailand gestorben. Jetzt<br />
lebt Ma Chit Suu mit ihrem 12jährigen<br />
Bruder und dem Vater in<br />
einer Einzimmerwohnung in Bangkok.<br />
Ein Bett, ein Schrank eine<br />
Kochnische mit Waschbecken –<br />
innerhalb der vier Wände spielt<br />
sich das ganze Leben der Familie<br />
ab. „Ich habe versucht, eine Schule<br />
oder etwas Ähnliches für meine<br />
Kinder zu finden, aber leider vergeblich“,<br />
seufzt Kong Mia. Auch<br />
sein Antrag auf Asyl wurde vom<br />
Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen<br />
abgelehnt: Obwohl er in<br />
Myanmar mehrmals im Gefängnis<br />
saß, weil er sich für mehr Demo-<br />
KONG MIA<br />
Alter: 44 Jahre<br />
Herkunft:<br />
Gebiet Yangon<br />
in Bangkok seit:<br />
Dezember 1999<br />
Status in Thailand:<br />
illegal<br />
Ziel für die Zukunft:<br />
„Ich wünsche mir vor<br />
allem eine Zukunft für<br />
meine Kinder: dass<br />
sie hier in Sicherheit<br />
leben und zur Schule<br />
gehen können –<br />
denn was soll sonst<br />
aus ihnen werden?”<br />
kratie eingesetzt hatte, wurde ihm<br />
der Flüchtlingsstatus verweigert.<br />
„Jetzt habe ich keine gültigen Papiere<br />
mehr und kann jeden Tag verhaftet<br />
werden.” Seine eigene Zukunft<br />
ist dem 44-Jährigen inzwischen<br />
nicht mehr so wichtig. „Aber<br />
was soll denn nur aus meinen Kindern<br />
werden?”, fragt er.<br />
„Die Situation der Flüchtlinge<br />
in Bangkok ist schwierig: Sie passen<br />
in kein System und niemand<br />
fühlt sich für ihren Schutz zuständig“,<br />
bedauert Pater Bernard. „Am<br />
schlimmsten aber ist die Ungewissheit.<br />
Wer nicht weiß, was die<br />
Zukunft bringt, hat auch keine<br />
Chance, sich darauf vorzubereiten.<br />
Doch genau das wünschen sich<br />
diese Menschen am meisten.” missio hilfe<br />
Schon seit über zehn Jahren<br />
kümmert sich der Flüchtlingsdienst<br />
der Jesuiten (JRS) überall<br />
in Thailand um Menschen,<br />
die gewaltsam aus ihrer Heimat<br />
Myanmar vertrieben wurden<br />
oder aus Angst vor Folter,<br />
Vergewaltigung und Tod geflohen<br />
sind. Die Mitarbeiter des<br />
JRS versorgen die Flüchtlinge<br />
mit Essen, Geld oder<br />
Medikamenten, damit diese in<br />
Thailand überleben können.<br />
Die Arbeit der Jesuiten in den<br />
Flüchtlingscamps entlang der<br />
Grenze wird bereits von missio<br />
unterstützt. Eine neue Herausforderung<br />
ist es, die Hilfe auf<br />
jene Flüchtlinge auszuweiten,<br />
die bislang nicht zu den<br />
Camps zugelassen wurden:<br />
Sie leben auf sich alleine<br />
gestellt in Städten wie<br />
Bangkok – ohne Rechte, ohne<br />
Unterstützung und in ständiger<br />
Angst, wieder zurück nach<br />
Myanmar deportiert zu werden.<br />
myanmar<br />
Seit den 60er Jahren wird<br />
Myanmar, das ehemalige<br />
Burma oder Birma, von Militärdiktaturen<br />
regiert. 1988 kam es<br />
in der Hauptstadt Yangon zu<br />
Demonstrationen für mehr<br />
Demokratie, die jedoch blutig<br />
niedergeschlagen wurden.<br />
Als 1990 die Nationale Liga für<br />
Demokratie (NLD) die freien<br />
Parlamentswahlen gewann,<br />
wurde die Wahl für ungültig<br />
erklärt und Oppositionsführerin<br />
und Nobelpreisträgerin Aung<br />
San Suu Kyi verhaftet. Auch<br />
gegen ethnische Minderheiten<br />
wie die Karen, Shan oder Mon,<br />
die mehr Autonomie fordern,<br />
geht das Regime brutal vor.<br />
Nach Schätzungen haben die<br />
Kämpfe zwischen Regierungstruppen<br />
und Rebellen bis<br />
heute mehr als 500 000 Menschen<br />
das Leben gekostet.