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freiheit der - Bund Freiheit der Wissenschaft eV

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dete Reformuniversität Konstanz berufen<br />

worden war.<br />

Was in seinem Aufsatz von 1960 angelegt<br />

war, trug er in seiner Antrittsvorlesung<br />

vom 24. Januar 1968 als programmatische<br />

Streitschrift in die Öffentlichkeit.<br />

2 Er führte darin den in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

weitgehend akzeptierten, wenn<br />

nicht gutgeheißenen Nie<strong>der</strong>gang des humanistischen<br />

Gymnasiums auf den Zerfall<br />

seines geistigen und personellen<br />

Fundamentes <strong>der</strong> Altertumswissenschaften<br />

zurück: Der Neuhumanismus<br />

hatte während <strong>der</strong> preußischen Befreiungskriege<br />

die griechisch begründete<br />

Antike systematisch zu erforschen begonnen,<br />

um das idealisierte griechische<br />

Vorbild des deutschen Bildungsbürgertums<br />

wissenschaftlich zu legitimieren.<br />

Damit avancierte gleichzeitig <strong>der</strong> Philologe<br />

vom theologischen Hilfsberuf zum<br />

beamteten Repräsentanten des Gymnasiums<br />

und – da dieses als einzige höhere<br />

Schule zum Abitur führte – zum Lehrmeister<br />

<strong>der</strong> akademischen Elite. Die Altertumswissenschaft<br />

selbst zerstörte<br />

durch ihre Forschungen das Idealbild<br />

<strong>der</strong> Antike, so daß es zur bürgerlichen<br />

Ideologie <strong>der</strong> klassischen Philologie erstarrte.<br />

Diese konnte ihren Absolventen<br />

nicht mehr das zur Rechtfertigung des<br />

humanistischen Gymnasiums notwendige<br />

Selbstverständnis vermitteln, als es<br />

1900 <strong>der</strong> Konkurrenz mit mo<strong>der</strong>neren<br />

zur Studienberechtigung führenden Bildungsformen<br />

ausgeliefert wurde.<br />

Deshalb schlug Fuhrmann vor, das Studium<br />

<strong>der</strong> alten Sprachen nicht mehr auf<br />

das klassische Altertum in seiner Totalität<br />

und Einmaligkeit auszurichten,<br />

son<strong>der</strong>n es wie bei den mo<strong>der</strong>nen Philologien<br />

auf eine Sprache als Hauptfach<br />

zu konzentrieren und dieses durch ihre<br />

Wirkungsgeschichte bis zur Gegenwart<br />

zu ergänzen. Dies erfor<strong>der</strong>e beim Studium<br />

des Lateins eine angemessene<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> christlichen<br />

spätantiken, mittel-, neulateinischen Literatur<br />

und <strong>der</strong> Nachwirkung antiker<br />

Elemente in den mo<strong>der</strong>nen Sprachen<br />

und Kulturen. Eine solche Reform erlaube<br />

nicht nur eine zeitgemäße Erneuerung<br />

<strong>der</strong> klassischen Philologie, sie ermögliche<br />

auch eine bessere Ausbildung<br />

<strong>der</strong> meisten Studierenden klassischer<br />

Sprachen, die Latein mit einem an<strong>der</strong>en<br />

Fach als Griechisch kombinieren möchten.<br />

Fuhrmann war von den Ergebnissen einer<br />

1963 veröffentlichten Enquête ausgegangen,<br />

bei <strong>der</strong> 53 Repräsentanten<br />

<strong>der</strong> deutschen und österreichischen Politik,<br />

Literatur und <strong>Wissenschaft</strong> von<br />

Konrad Adenauer bis Reinhold Zsalatz<br />

ihre Meinung zur Krise des humanistischen<br />

Gymnasiums geäußert hatten. Die<br />

darauf folgende Ursachen- und Situationsanalyse<br />

fiel nicht nur aus Zeitgründen<br />

<strong>der</strong>art plakativ und provokativ aus,<br />

daß die stärker differenzierenden Fußnoten<br />

und die pragmatischen Leitsätze<br />

des Nachwortes in <strong>der</strong> gedruckten Fassung<br />

die kategorische Ablehnung <strong>der</strong> erwägenswerten<br />

Reformvorschläge durch<br />

das empörte Gros <strong>der</strong> Fachkollegen<br />

nicht verhin<strong>der</strong>n konnten. Daran än<strong>der</strong>te<br />

auch eine Aussprache in <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />

1970 <strong>der</strong> Mommsen-<br />

Gesellschaft nichts. 3<br />

Reformerische Energie und<br />

freudige Arbeitskraft<br />

Fuhrmann zog daraus die Konsequenzen<br />

und richtete seine reformerische<br />

Energie direkt auf den altsprachlichen<br />

Gymnasialunterricht, demonstrierte in<br />

Fortbildungskursen, wie man die üblichen<br />

Autoren sachgerecht und doch lebendig<br />

interpretieren und durch interessante<br />

Lesestoffe aus Mittelalter und Humanismus<br />

ergänzen könne. Er wirkte<br />

bei <strong>der</strong> Ausarbeitung neuer Lehrmittel<br />

und Textsammlungen mit und verbreitete<br />

seine Vorstellungen in den entsprechenden<br />

Zeitschriften, um beispielsweise<br />

die ideologisch belastete, didaktisch<br />

fragwürdige Anfängerlektüre Cäsars<br />

durch bewährte Schulautoren des italienischen<br />

und nordeuropäischen Humanismus<br />

zu ersetzen 4 o<strong>der</strong> um die Asterix<br />

Comics als „geheimen Miterzieher“ zur<br />

Freude am Lateinunterricht einzusetzen.<br />

Im übrigen hielt er sich an die Mahnung<br />

von Voltaires Candide und pflegte mit<br />

nie nachlassen<strong>der</strong> freudiger Arbeitskraft<br />

wörtlich und in übertragenem Sinn seinen<br />

weiten Garten. Das „Auf dem<br />

Stein“ oberhalb <strong>der</strong> Stadt Überlingen<br />

abgelegene Haus bot zugleich Ruhe und<br />

einen inspirierenden Rundblick auf die<br />

Bodenseelandschaft bis zu den Alpen.<br />

Es erlaubte ihm, das Treiben auf seinem<br />

Interessengebiet mit <strong>der</strong> nötigen Distanz<br />

zu beobachten und das gebildete Publikum<br />

regelmässig auf beachtenswerte<br />

Neuerscheinungen aufmerksam zu machen.<br />

Das konnte ebenso eine zweibändige<br />

fachwissenschaftliche Neuinterpretation<br />

des König Oedipus sein 5 wie<br />

1984 Christa Wolfs Kassandra, 1986 ihr<br />

Essay über Penthesilea und 1996 ihre<br />

Umdeutung <strong>der</strong> Medea 6 wie auch Grünbeins<br />

dichterische Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit dem Rom <strong>der</strong> Kaiserzeit. 7<br />

Seine wirkungsgeschichtlichen Anliegen<br />

fanden während seiner langjährigen<br />

Mitarbeit in <strong>der</strong> Konstanzer Forschungsgruppe<br />

Poetik und Hermeneutik<br />

kollegiale Anregung und Anerkennung,<br />

bis er in den neunziger Jahren als Mitglied<br />

<strong>der</strong> Heidelberger Akademie <strong>der</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong>en einen breiteren kollegialen<br />

Kreis für diese Interessen fand<br />

und nach seinem bahnbrechenden Antrittsvortrag<br />

über die kulturpolitische<br />

Umdeutung des antiken Europabegriffs<br />

im Spätmittelalter und im italienischen<br />

Humanismus mit <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> langfristigen<br />

Edition des Reuchlin Briefwechsels<br />

beauftragt wurde.<br />

Neben den Reden Ciceros übersetzte er<br />

1971 die Germania des Tacitus, 1977<br />

die Wolken des Aristophanes, 1982 unter<br />

dem Titel „Christen in <strong>der</strong> Wüste“<br />

Hieronymuslegenden, 1986 Platons<br />

Apologie des Sokrates und beschäftigte<br />

sich eingehend mit <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong><br />

Übersetzung, <strong>der</strong>en krönendes Ergebnis<br />

1986 die Edition von Wielands Übersetzung<br />

des Horaz in <strong>der</strong> Bibliothek deutscher<br />

Klassiker war. Er brachte die Bibliothek<br />

<strong>der</strong> Alten Welt und die Tusculumreihe<br />

zum Abschluß und zur Verbreitung<br />

unter Lesern, die sich für bestimmte<br />

Themenbereiche des antiken<br />

Schrifttums interessierten.<br />

Akademischen Ämtern ging er ebenso<br />

aus dem Wege wie Einladungen zu<br />

Gastsemestern, die ihn längere Zeit von<br />

seinem Tusculanum ferngehalten hätten<br />

(obwohl er neben seiner holländischen<br />

Muttersprache die europäischen Konferenzsprachen<br />

beherrschte). Ebenso zog<br />

er es vor, seine Korrespondenz und seine<br />

zahlreichen Arbeit mit sicherer Hand<br />

auf <strong>der</strong> vertrauten Schreibmaschine zu<br />

tippen, statt sich mit dem ständig komplizierter<br />

und unübersichtlicher werdenden<br />

Fortschritt <strong>der</strong> elektronischen<br />

Textverarbeitung herumzuschlagen.<br />

Die Bodenseelandschaft war dem am<br />

Teutoburger Wald aufgewachsenen<br />

Norddeutschen so ans Herz gewachsen,<br />

dass er es kaum versäumte, am<br />

wöchentlichen Stammtisch <strong>der</strong> Überlinger<br />

Honoratioren teilzunehmen und an<br />

<strong>der</strong> Verleihung des Bodensee-Literaturpreises<br />

mitzuwirken. Seine Laudatio<br />

auf Golo Mann Jugendjahre am Bodensee<br />

gestaltete er zu einem weit über den<br />

Anlaß hinausreichenden Stück Erzie-<br />

1/2005 fdw 31

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