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fdw Nr. 2 Juni 2009 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV

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<strong>Nr</strong>. 2 · <strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> F 1634 F<br />

Herausgeber: <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Lieber Leser Seite 2<br />

Aus <strong>der</strong> Arbeit des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> Seite 3<br />

„Heiße Magister, heiße Doktor gar ...“<br />

Akademische Grade in den deutschen Landen im Wandel <strong>der</strong> Zeit Seite 4<br />

Von Kurt Reinschke<br />

AUS DEN BUNDESLÄNDERN<br />

Baden-Württemberg<br />

Auf fachwissenschaftliche Qualität nicht verzichten<br />

Berlin<br />

Seite 14<br />

Leistung muß <strong>der</strong> Leitgedanke sein<br />

Bremen<br />

Seite 15<br />

Neue schulpolitische Entwicklungen<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Seite 16<br />

Das Fach Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong> Universität zu Köln Seite 19<br />

Endlich eine klare Auskunft<br />

Von Ulrich Sprenger<br />

Seite 22<br />

Nachruf auf Folkmar Koenigs Seite 23<br />

Leserbriefe Seite 24<br />

Ein Appell <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz Seite 29<br />

BÜCHERREVUE<br />

Scholz/Stein (Hg.): Bologna-Schwarzbuch (Püttner)<br />

Schabert (Hg.): Wolfgang Clemen ... (Kinzel)<br />

Rüegg: Die 68er Jahre ... (Kinzel)<br />

Wagner: Es reicht ... (Dirsch)<br />

Knabe: Honeckers Erben (Kinzel)<br />

Mitgliedsantrag Seite 32


fw<br />

freiheit <strong>der</strong><br />

wissenschaft<br />

Offizielles Organ des <strong>Bund</strong>es<br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />

Für unaufgefor<strong>der</strong>t eingesandte<br />

Manuskripte, Zeichnungen und<br />

Fotos und an<strong>der</strong>e Beiträge übernimmt<br />

<strong>der</strong> Empfänger keine Haftung.<br />

Abdruck mit Quellenangabe<br />

und Belegexemplar gestattet.<br />

Die mit Namen gekennzeichneten<br />

Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />

Ansicht von Herausgeber und<br />

Redaktion dar, son<strong>der</strong>n die persönliche<br />

Meinung des Verfassers.<br />

Zuschriften und Stellungnahmen zu<br />

Themen und Artikeln dieses Heftes<br />

sind willkommen. Wie<strong>der</strong>gabe und<br />

redaktionelle Kürzungen bleiben<br />

vor behalten. „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“<br />

erscheint in herkömmlicher<br />

Rechtschreibung.<br />

Herausgeber: Vorstand des <strong>Bund</strong>es<br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />

Redaktion: Dr. Winfried Holzapfel<br />

Verbandsgeschäftsstelle:<br />

Postanschrift:<br />

Charlottenstraße 65,<br />

10117 Berlin-Mitte (U-Bahnhof<br />

Stadtmitte, nahe Gendarmenmarkt)<br />

Büro: Petra Schauf<br />

Die Geschäftsstelle dient auch als<br />

Kontakt- und Informationsstelle.<br />

Für größere Veranstaltungen steht<br />

ein Hörsaal zur Verfügung.<br />

Telefon: (0 30) 20 45 47 04<br />

Fax: (0 30) 20 45 47 06<br />

E-Mail:<br />

bund.freiheit.wissenschaft<br />

@t-online.de<br />

Internet:<br />

http://www.bund-freiheit-<strong>der</strong>wissenschaft.de<br />

Bankverbindung:<br />

Deutsche Bank AG, Bonn<br />

(BLZ 380 700 24), Kto. 0 233 858<br />

Verlag, Herstellung und Anzeigen:<br />

Vereinigte Verlagsanstalten GmbH,<br />

Höherweg 278, 40231 Düsseldorf<br />

Internet: www.vva.de<br />

E-Mail: info@vva.de<br />

Anzeigenleitung: Ulrike Niggemann<br />

Anzeigenverkauf:<br />

Panagiotis Chrissovergis<br />

Tel. 02 11/73 57-8 41<br />

Fax 02 11/73 58-8 44<br />

Anzeigentarif <strong>Nr</strong>. 16<br />

ISSB 0343-7752<br />

2<br />

Lieber Leser,<br />

Dr. Winfried Holzapfel ist einer <strong>der</strong><br />

Vorsitzenden des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong><br />

In <strong>der</strong> Woche vom 15. bis 20. <strong>Juni</strong> fand<br />

bekanntlich <strong>der</strong> sogenannte Bildungsstreik<br />

statt. Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

hat in einer Pressemitteilung folgen<strong>der</strong>maßen<br />

dazu Stellung genommen:<br />

Die Streikaufrufe zielen auf die Abschaffung<br />

des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems und<br />

eine Senkung <strong>der</strong> Leistungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

im gesamten Bildungsbereich.<br />

Diese Ziele kann <strong>der</strong> <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong> nicht mittragen, im Gegenteil:<br />

er lehnt sie strikt ab.<br />

Studiengebühren<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> hat<br />

für die Einführung von Studiengebühren<br />

mit guten Argumenten geworben. Diese<br />

Argumente haben sich in einigen <strong>Bund</strong>es-<br />

län<strong>der</strong>n durchgesetzt, sie sind nicht wi<strong>der</strong>legt. Die Gesetzeslage in<br />

NRW ist vorbildlich: Die Hochschulen entscheiden selbst, ob und in<br />

welcher Höhe sie Studiengebühren verlangen.<br />

Vor dem <strong>Bund</strong>esverfassungsgericht hatte die Erhebung von Studiengebühren<br />

Bestand.<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> macht sich die Aussage des<br />

<strong>Bund</strong>esverfassungsgerichts zu eigen, daß „durch die Einführung<br />

von Studiengebühren eine wertbewußte Inanspruchnahme <strong>der</strong> Ausbildungsleistung<br />

geför<strong>der</strong>t werden“ kann.<br />

Bologna-Prozeß/Bachelor/Master<br />

Der Bologna-Prozeß erreicht seine Ziele nicht. Die Mobilität <strong>der</strong><br />

Studenten sinkt. Die <strong>Freiheit</strong> und die Einheit von Forschung, Lehre<br />

und Studium sind bedroht.<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> war von Anfang kritisch <strong>der</strong><br />

flächendeckenden Einführung von BA/MA-Studiengängen gegenüber<br />

eingestellt. Er lehnt die Bachelorisierung <strong>der</strong> Universitäten ab.<br />

Als wissenschaftlicher Abschluß bedeutet <strong>der</strong> Bachelor einen<br />

Etikettenschwindel.<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> bekennt sich aber vollinhaltlich<br />

zur „Magna Charta Universitatum“ von Bologna aus dem<br />

Jahre 1988. – Er lehnt aber die in Nachfolge <strong>der</strong> Sorbonne-Erklärung<br />

von 1998 erfolgte Bürokratisierung des Studiums zum Schaden<br />

<strong>der</strong> akademischen <strong>Freiheit</strong> und auch <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung<br />

<strong>der</strong> Studierenden ab.<br />

Demonstrieren, nicht streiken!<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> lehnt Ungesetzlichkeiten im<br />

Zuge <strong>der</strong> Demonstrationen ab. Er verurteilt auch die Verführung<br />

zu Ungesetzlichkeiten, z. B. Mißachtung <strong>der</strong> Schulpflicht, da sie<br />

einen Werteverstoß darstellen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Ihr<br />

Winfried Holzapfel<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


Aus <strong>der</strong> Arbeit des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> Wi senschaft<br />

Professor Dr. Marius Reiser<br />

(geb. 1954) ist Theologe an <strong>der</strong><br />

Universität Mainz. Am 20. Januar<br />

<strong>2009</strong> begründete er in einem<br />

Aufsatz in <strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung, warum er zum<br />

Ende des Wintersemsters 2008/<br />

<strong>2009</strong> seine Professur nie<strong>der</strong>legen<br />

werde. Er legte dar, daß er die<br />

Nivellierung des Studiengangs<br />

Katholische Theologie durch die<br />

Modularisierung im Rahmen des<br />

Bologna-Prozesses nicht mehr<br />

mittragen könne. Professor Reiser<br />

wurde zum 1. April <strong>2009</strong> aus<br />

dem Beamtenverhältnis entlassen.<br />

Er hielt am 15. <strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> in<br />

Düsseldorf einen Vortrag bei<br />

einem Regionaltreffen des <strong>Bund</strong>es<br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> in<br />

NRW (siehe unten). �<br />

Wir freuen uns, wenn an<strong>der</strong>e<br />

Zeitschriften Aufsätze aus „<strong>Freiheit</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>“ als Nachdruck<br />

übernehmen, was auch<br />

nach dem Erscheinen <strong>der</strong> letzten<br />

Nummer mehrfach geschah. Und<br />

wir drucken sehr gern Leserbriefe<br />

ab, auch sehr kritische wie den<br />

auf Seite 24 zum Thema Bologna-Prozeß.<br />

Zum Inhalt <strong>der</strong><br />

Kontroverse verweisen wir auf<br />

einen Aufsatz von Professor Kurt<br />

Reinschke, <strong>der</strong> sich in diesem<br />

Heft mit dem Thema „Akademische<br />

Grade und Ämter in den<br />

deutschen Landen im Wandel<br />

<strong>der</strong> Zeiten“ befaßt. �<br />

Bei dieser Gelegenheit sei darauf<br />

hingewiesen, daß in <strong>der</strong> Ge -<br />

schäftsstelle drei vom <strong>Bund</strong> Frei-<br />

Marius Reiser sprach beim<br />

<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Professor Dr. Marius Reiser<br />

Aus Protest gegen die Umsetzung<br />

des Bologna-Prozesses an<br />

den deutschen Universitäten hat<br />

Professor Dr. Marius Reiser zum<br />

Ende des Wintersemesters 2008/<br />

<strong>2009</strong> seine Professur nie<strong>der</strong>gelegt.<br />

Am 1. April <strong>2009</strong> erhielt er<br />

seine Entlassungsurkunde.<br />

Laut <strong>der</strong> Studentenzeitung „unipress“<br />

<strong>der</strong> Johannes-Gutenberg-<br />

Universität Mainz ist für Marius<br />

Reiser <strong>der</strong> zentrale Kritikpunkt<br />

an <strong>der</strong> Bologna-Reform das<br />

Ende <strong>der</strong> akademischen <strong>Freiheit</strong>.<br />

Auf die Frage des Studentenmagazins:<br />

„Was raten Sie Studienanfängern?“<br />

antwortete er: „Ich<br />

rate ihnen, sich genau zu überle-<br />

gen, was sie wollen, und ob sie<br />

bereit sind, eine weitere Schulzeit<br />

ohne akademische <strong>Freiheit</strong><br />

in Kauf zu nehmen.“<br />

Am 15. <strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> war Professor<br />

Dr. Marius Reiser zu Gast bei<br />

einer Veranstaltung des <strong>Bund</strong>es<br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> in<br />

Düsseldorf. Vor zahlreichen Zu -<br />

hörern sprach er zum Thema:<br />

„Standardisierung und Kultur im<br />

,Bologna‘-Zeitalter“.<br />

An den Anfang seines fesselnden<br />

Vortrags stellte er ein Zitat<br />

von G. K. Chesterton, <strong>der</strong> gesagt<br />

habe, die größte Gefahr für die<br />

Bildung seien nicht etwa die<br />

Ideologien, so gefährlich diese<br />

seien, son<strong>der</strong>n „die Standardisierung<br />

auf niedrigem Niveau“.<br />

Der Vortrag von Professor Dr.<br />

Marius Reiser wird in Kürze<br />

vom <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

veröffentlicht. Be -<br />

stellungen können schon jetzt<br />

an die Geschäftsstelle gerichtet<br />

werden.<br />

Den genauen Zeitpunkt <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />

geben wir auf<br />

unserer Website bekannt. Siehe<br />

unter www.bund-freiheit-<strong>der</strong>-wis -<br />

senschaft.de.<br />

heit <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> herausgegebene,<br />

noch lieferbare Broschüren<br />

von Kurt Reinschke zum Bologna-Prozeß<br />

bestellt werden können<br />

(je 5 Euro): 1) Bologna-Prozeß<br />

und Bachelorisierung <strong>der</strong><br />

deutschen Hochschulen, Vortrag<br />

beim BFW am 23. 5. 2008 in Berlin,<br />

29 S., ISBN 978-3-00-<br />

025276-1; 2) dazu: Nachschrift,<br />

29 S., ISBN 978-3-00-025276-1<br />

2. bearb. Auflage; 3) Bologna-<br />

Prozeß in Deutschland: ein Trojanisches<br />

Pferd für das deutsche<br />

Hochschulsystem? Nachschrift<br />

zu einer Podiums- und Diskussionsveranstaltung<br />

vom 19. 2.<br />

<strong>2009</strong> in Dresden, 46 S., ISBN<br />

978-3-00-027366-7. �<br />

Welche Hochschullehrerin, welcher<br />

Hochschullehrer hat sich<br />

durch außergewöhnliches Engagement<br />

um das Ansehen ihrer<br />

bzw. seiner Berufsgruppe beson<strong>der</strong>s<br />

verdient gemacht?<br />

Zum vierten Mal lobt <strong>der</strong> Deutsche<br />

Hochschulverband (DHV)<br />

ein Preisgeld in Höhe von 5.000<br />

Euro für den/die „Hochschullehrer/in<br />

<strong>der</strong> Jahres“ aus. Der Preis<br />

wird vom DHV mit Unterstützung<br />

des ZEIT-Verlages Gerd<br />

Bucerius Gmbh & Co.KG verliehen.<br />

Die Vorschläge bedürfen <strong>der</strong><br />

Schriftform. Zum Vorschlag<br />

gehört <strong>der</strong> Name des Vorgeschlagenen,<br />

die Hochschule,<br />

<strong>der</strong> er angehört, eine Begründung<br />

des Vorschlags, die das<br />

Verdienst des Vorgeschlagenen<br />

skizziert, sowie gegebenenfalls<br />

aussagefähige Unterlagen über<br />

die Leistung des Vorgeschlagenen.<br />

Die Unterlagen sind an<br />

die Geschäftsstelle des Deutschen<br />

Hochschulverbandes zu<br />

richten: Deutscher Hochschulverband,<br />

„Hochschullehrer des<br />

Jahres“, Rheinallee 18, 53173<br />

Bonn.<br />

Am 9. Mai <strong>2009</strong> starb im Alter<br />

von 92 Jahren Folkmar Koenigs,<br />

Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht<br />

an <strong>der</strong> Technischen<br />

Universität Berlin. Er gehörte<br />

1970 zu den Grün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Notgemeinschaft<br />

für eine freie Universität,<br />

<strong>der</strong> Berliner Sektion des<br />

<strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />

war lange <strong>der</strong>en Vorstandsmitglied<br />

und stellvertreten<strong>der</strong><br />

Vorsitzen<strong>der</strong> und über viele<br />

Jahre eines ihrer aktivsten und<br />

mutigsten Mitglie<strong>der</strong>. Bitte lesen<br />

Sie den Nachruf auf Seite 23. �<br />

Wollen Sie Mitglied im <strong>Bund</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> werden?<br />

Ein Beitrittsformular finden<br />

Sie auf <strong>der</strong> Umschlagseite.<br />

Hans Joachim Geisler<br />

Wahl zum/zur Hochschullehrer/in<br />

des Jahres<br />

Bis zum 30. September<br />

Die Berufsvertretung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />

und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

ruft dazu auf, bis zum<br />

30. September <strong>2009</strong> Kandidaten<br />

als „Hochschullehrer/in des Jahres“<br />

vorzuschlagen.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Preisverleihung<br />

zum „Hochschullehrer des Jahres“<br />

zeichnet academics – das<br />

Karriereportal <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

von DIE ZEIT und „Forschung<br />

& Lehre“ – den/die „Nachwuchswissenschaftler/in<br />

des<br />

Jahres“ aus. Mit einem Preisgeld<br />

von 2.000 Euro wird eine Nachwuchswissenschaft<br />

lerin bzw. ein<br />

Nachwuchswissenschaftler prämiert,<br />

<strong>der</strong> im vergangenen Jahr<br />

durch herausragendes Engagement,<br />

zukunftsweisende Ideen<br />

o<strong>der</strong> beispielhaftes Handeln Forschung<br />

und Lehre nachhaltig<br />

beeinflußt hat. Es gilt eine<br />

Altersbeschränkung von 35 Jahren<br />

bei Bewerbungsschluß.<br />

Kandidaten können ebenfalls<br />

bis zum 30. September <strong>2009</strong><br />

vorgeschlagen werden.<br />

Mehr Informationen dazu gibt es<br />

unter htttp://www.academics.de/<br />

nachwuchspreis.<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 3


„Mit den neu-deutschen Graden ,Bachelor, Master und Ph. D.‘ wird <strong>der</strong> deutschen studierenden Jugend<br />

<strong>der</strong> Weg in ihre angestammte akademische Behausung versperrt.“<br />

„Heiße Magister, heiße Doktor gar …“<br />

Akademische Grade und Ämter in den deutschen Landen im Wandel <strong>der</strong> Zeiten<br />

von Kurt Reinschke<br />

Wenn Goethe seinen Faust am Beginn<br />

<strong>der</strong> Tragödie erster Teil sinnieren läßt:<br />

„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin<br />

so klug als wie zuvor, heiße Magister,<br />

heiße Doktor gar, ...“, so geht es ihm<br />

um den lebensweltlichen Wert <strong>der</strong> höchsten<br />

akademischen Würden, die an den<br />

mittelalterlichen europäischen Univer -<br />

sitäten erworben werden konnten. Die<br />

Termini Magister (= Vorsteher, Meister,<br />

Lehrmeister) und Doktor (= Lehrmeis -<br />

ter, Lehrer) wurden jedoch schon Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

vor den ersten Universitätsgründungen<br />

verwendet. Im alten Rom<br />

stand zum Beispiel M. census für<br />

Finanz minister, M. municipiorum für<br />

Gemeindevorsteher, M. equitum für<br />

Reiteroberst, M. morum für Sittenwächter.<br />

Die frühe Christenheit würdigte den<br />

Völkerapostel Paulus als Doctor gentium<br />

und die Kirchenväter als Doc tores<br />

ecclesiae. Seit dem Zeitalter <strong>der</strong> Scholastik<br />

bezeichnen die Titel Magister und<br />

Doctor akademische Ämter und Würden.<br />

Der vorliegende Aufsatz handelt<br />

von <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> akademischen<br />

Grade und Ämter in Deutschland, vom<br />

12. Jahrhun<strong>der</strong>t bis zum 21. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Aufstieg und Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong><br />

europäischen Universitäten<br />

Die ersten Universitäten im lateinischen<br />

Europa, die nach unserem heutigen<br />

Sprachgebrauch aber nur einzelne<br />

Fakultäten waren, entstanden im 12.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t in Italien, so die Rechtsschule<br />

in Bologna und die medizinische<br />

Schule in Salerno. In Bologna wurde<br />

das Doktorat erstmals zu einer akademischen<br />

Würde gestempelt, als im Auftrage<br />

des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa<br />

dort Doctores legum (= Gesetzeslehrer)<br />

ernannt wurden. In <strong>der</strong><br />

damaligen Zeit <strong>der</strong> Scholastik entwikkelte<br />

sich Paris zum geistigen Mittelpunkt<br />

Europas. Die Universität von<br />

Paris wurde zum Muster für alle abendländischen<br />

Universitäten. Die innere<br />

4<br />

Organisation grün dete zunächst auf<br />

einer Einteilung <strong>der</strong> Schüler und Lehrer<br />

nach ihrer Natio na lität. Später dominierte<br />

die Einteilung nach Fakultäten<br />

(facultates o<strong>der</strong> ordines), die man sich<br />

als zunftartige Kollegialverbände unter<br />

den Lehrern <strong>der</strong> Theologie, <strong>der</strong> Jurisprudenz<br />

und <strong>der</strong> Medizin vorzustellen<br />

hat. Die „Universitas Lit terarum“ repräsentierte<br />

die Gesamtheit <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />

jener Zeit. Es war eine korporativ<br />

verfaßte „Universitas magistrorum<br />

et scholarium“ (= Gemeinschaft <strong>der</strong><br />

Lehrenden und Lernenden) mit drei<br />

Fakultäten – für Theologie, Jurisprudenz<br />

und Medizin. Hinzu kam <strong>der</strong> „ordo<br />

artium liberalium“ (= Fakultät <strong>der</strong> freien<br />

Künste, kurz „Artistenfakultät“) als<br />

vierte, auf die Fachstudien vorbereitende<br />

Struktureinheit.<br />

Der Papst Gregor IX (Pontifikat von<br />

1227 bis 1241) gewährte <strong>der</strong> Pariser<br />

Universität Privilegien und entließ sie<br />

schließlich in die Autonomie. 1231<br />

ordnete <strong>der</strong> Papst das Baccalaureat als<br />

niedrigsten Universitätsgrad, den die<br />

studiosi an <strong>der</strong> Universität von Paris<br />

erlangen konnten, an. Der Name „baccalaureus“<br />

kommt vom französischen<br />

bas chevalier (= Unterritter, Knappe)<br />

her und ist von dort auf das Universitätswesen<br />

übertragen worden. Die Univer<br />

sität erhielt das Recht, selbst akade -<br />

mische Titel zu verleihen, als höchste<br />

Würden den Doktor <strong>der</strong> Theologie<br />

(doctor theologiae), den Doktor <strong>der</strong><br />

Medizin (d. medicinae) und den Doktor<br />

bei<strong>der</strong> Rechte (d. utriusque iuris). Die<br />

Pariser Universität strahlte auf die an<strong>der</strong>en<br />

europäischen Län<strong>der</strong> aus. Dort entstanden<br />

in den folgenden Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />

ebenso verfaßte Universitäten. Kaiser<br />

Karl IV übertrug das Universitätswesen<br />

auf Deutschland. Mit kaiserlicher und<br />

päpstlicher Genehmigung entstanden<br />

die Universitäten in Prag (1348), Wien<br />

(1365), Heidelberg (1386), Köln<br />

(1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409),<br />

... Unter den Baccalaurei wurden mehrere<br />

Stufungen unterschieden: baccalau-<br />

rei simplices (einfache B.), baccalaurei<br />

sententiarii (geistreichere B.) und baccalaurei<br />

for mati (gebildete B.). Die baccalaurei<br />

licentiati durften gewisse Vorlesungen<br />

für die studiosi schon selbst<br />

halten, mußten zugleich aber weitere<br />

Kollegien <strong>der</strong> Magister besuchen. Die<br />

Magistri artium liberalium (= Meister<br />

<strong>der</strong> freien Künste) waren die uneingeschränkten<br />

Lehrmeister innerhalb <strong>der</strong><br />

Artistenfakultät.<br />

Den Lehrstoff <strong>der</strong> Artistenfakultät <strong>der</strong><br />

mittelalterlichen Universität bildeten<br />

die sieben freien Künste (= septem artes<br />

liberales), unterteilt in „Trivium“ und<br />

„Quadrivium“. Das Trivium (lat. „Dreiweg“,<br />

aber auch „öffentliche Straße“,<br />

also allgemein zugänglich) umfaßte die<br />

drei sprachlichen Fächer: 1 Grammatik<br />

(mit Literatur), Dialektik (mit Logik),<br />

Rhetorik (mit Recht und Ethik).<br />

Das Quadrivium (lat. „Vierweg“) be -<br />

inhaltete den weiterführenden Komplex<br />

<strong>der</strong> vier mathematischen Fächer: 2 Arithmetik,<br />

Geometrie (inkl. Geographie und<br />

Naturgeschichte), Astronomie/Astro lo -<br />

gie, Musiktheorie. Im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

entwickelten sich aus den Artistenfakultäten<br />

die philosophischen Fakultäten.<br />

Die höchste Würde an <strong>der</strong> unteren o<strong>der</strong><br />

Artistenfakultät war die des Magisters<br />

<strong>der</strong> freien Künste (M. artium liberalium).<br />

Die drei oberen Fakultäten (für<br />

Theologie, Jurisprudenz und Medizin)<br />

promovierten zu Doktoren.<br />

Die Lebensläufe von Doctor Martinus<br />

Luther und Magister Philippus Melan -<br />

chthon gewähren uns einen guten Einblick<br />

in das Universitätsleben <strong>der</strong> Re -<br />

formationszeit. Der 1483 in Eisleben geborene<br />

Martin Luther bezog 1501 die<br />

Universität Erfurt mit <strong>der</strong> Absicht, Rechtsgelehrter<br />

zu werden. Wie damals üblich<br />

studierte er zunächst an <strong>der</strong> Artistenfakultät,<br />

erwarb 1502 das Bakka laureat<br />

und 1505 die Magisterwürde. Erst nachdem<br />

Luther 1505 in das Erfurter Augustinerkloster<br />

eingetreten war, begann er<br />

mit theologischen Studien. 1508 ging er<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


an die neue Universität in Wittenberg,<br />

hielt dort Vorlesungen über Aristoteles,<br />

wurde 1509 biblischer Bakkalaureus<br />

und schließlich 1512 Doctor theologiae.<br />

Mit <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Doktorthesen,<br />

die auch an an<strong>der</strong>en Universitäten<br />

publik gemacht wurden, wurde zu<br />

einem öffentlichen wissenschaftlichen<br />

Streitgespräch, <strong>der</strong> „Disputatio“ einge<br />

laden. Zu Luthers Zeiten hatte ein<br />

Doktor noch das Recht, an allen europäischen<br />

Universitäten zu lehren (ius<br />

ubique docendi). Sprachliche Kommunikationsbarrieren<br />

brauchten nicht überwunden<br />

zu werden, da die <strong>Wissenschaft</strong>ssprache<br />

im lateinischen Europa<br />

überall Latein war. Im Hl. Römischen<br />

Reich Deutscher Nation ließen auch die<br />

Kaiser durch ihre Hofpfalzgrafen Doktorurkunden<br />

mit angehängtem Siegel in<br />

einer Kapsel (bulla) erteilen. Die so<br />

Geehrten nannte man Doctores bullati<br />

zur Unterscheidung von den Gelehrten<br />

mit regelrecht erworbenem Doktorhut,<br />

den Doctores rite promoti. Diese nahmen<br />

eine hohe gesellschaftliche Stellung<br />

ein. Nach dem Reichsgesetz standen<br />

sie über dem einfachen Adligen und<br />

waren den Rittern gleichrangig. Um<br />

1600 begann man, den an Universitäten<br />

öffentlich lehrenden Doktoren den Titel<br />

„Professor“ (ab geleitet von „profiteor“<br />

= ich bekenne) beizufügen. Damit<br />

wurde an einen Sprachgebrauch angeknüpft,<br />

den schon die alten Römer für<br />

die öffentlich vortragenden Lehrer <strong>der</strong><br />

Grammatik und Rhe torik verwendeten,<br />

z. B. „professor eloquentiae“ für einen<br />

Rhetor o<strong>der</strong> „professor sapientiae“ für<br />

einen Philo sophen. Natürlich blieben<br />

im Laufe <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te auch Verfallserscheinungen<br />

nicht aus, und die<br />

Universität mußte sich immer wie<strong>der</strong><br />

den historisch verän<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen anpassen. Die<br />

verantwortlichen Akteure waren sich<br />

<strong>der</strong> Maxime „Universitas semper reformanda“<br />

(= die Universität muß ständig<br />

reformiert werden) durchaus bewußt.<br />

Erinnert sei an die Gründung <strong>der</strong><br />

„Reformuniversitäten“ in Halle (1694)<br />

und in Göttingen (1734). Über Einzelheiten<br />

kann hier nicht berichtet werden.<br />

Doch ist ein genereller Aspekt zu betonen:<br />

Bis zur französischen Revolution<br />

stimmten alle Universitäten in Europa<br />

sowohl in ihrer Struktur als auch in<br />

ihren Lehrinhalten im Wesentlichen<br />

überein, es waren genuin europäische<br />

Institutionen. Die Wortführer <strong>der</strong> Aufklärung,<br />

die eine nationale Erziehung<br />

anstrebten, empfanden dies als ein<br />

Ärgernis. So klagte Jean-Jacques Rousseau<br />

im Jahre 1772: 3 „Es gibt keine<br />

Franzosen, Deutsche, Spanier, selbst<br />

keine Englän<strong>der</strong> mehr, so daß man<br />

sagen sollte: es gibt nur noch Europäer.<br />

Alle haben den gleichen Geschmack,<br />

die gleichen Leidenschaften und die<br />

gleichen Sitten, weil niemand in einer<br />

beson<strong>der</strong>en Institution eine nationale<br />

Bildung erhalten hat.“<br />

Nachdem die Französische Revolution<br />

die tradierte Kultur des lateinischen<br />

Europa verworfen und Napoleon Bonaparte<br />

viele Län<strong>der</strong> Europas unterworfen<br />

hatte, waren von den 143 Universitäten<br />

im Europa des Jahres 1789 nur noch<br />

etwa halb so viele übrig geblieben. Der<br />

französische Staat hatte die 24 französischen<br />

Universitäten aufgelöst und sie<br />

durch Spezialhochschulen und selbständige<br />

Fakultäten ersetzt. 4 Die französischen<br />

Spezialhochschulen zur Ausbildung<br />

höherer Beamter, Offiziere und<br />

akademischer Berufe waren zentralistisch<br />

gesteuert und reglementiert – bis<br />

in die Details von Studienplänen und<br />

Prüfungsordnungen, streng diszipliniert<br />

und überwacht – bis zum persönlichen<br />

Verhalten von Lehrenden und Lernenden.<br />

Deutsche Universitäten und Tech -<br />

nische Hochschulen bis 1945<br />

Um 1800 verschwanden in Deutschland<br />

18 <strong>der</strong> 34 Universitäten. Auch <strong>der</strong> preußische<br />

König dachte an Spezialhochschulen<br />

nach französischem Muster,<br />

doch gelang es Wilhelm von Humboldt<br />

(1767–1835, von 1809 bis 1810 Sektionschef<br />

für Kultus und Unterricht im<br />

Preußischen Innenministerium), seinen<br />

König umzustimmen, so daß es 1810 zu<br />

einer Universitätsgründung in Berlin<br />

nach dem freiheitlichen Konzept von<br />

Friedrich Schleiermacher (1768–1834)<br />

kam. In seinen „Gelegentlichen Gedanken<br />

über Universitäten im deutschen<br />

Sinn“ (veröffentlicht 1808) hatte<br />

Schleiermacher ausgeführt, daß es<br />

Sache <strong>der</strong> Schulen sei, unstrittiges und<br />

unmittelbar anwendbares Wissen zu<br />

lehren sowie nützliche Fertigkeiten zu<br />

vermitteln, während „das Geschäft <strong>der</strong><br />

Universität“ ein an<strong>der</strong>es sei, nämlich<br />

„... in jedem Denken sich <strong>der</strong> Grundgesetze<br />

<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> bewußt zu werden,<br />

und eben dadurch das Vermögen<br />

selbst zu forschen, zu erfinden und darzustellen,<br />

allmählich in sich herauszuarbeiten<br />

...“. Die Aufgaben <strong>der</strong> Artisten-<br />

fakultät, die in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> mittelalterlichen<br />

Universität auf die wissenschaftlichen<br />

Fachstudien vorbereitete, wurden<br />

von den neuhumanistischen Bildungspolitikern<br />

dem Hu ma nistischen Gymnasium<br />

aufgepfropft. Die bestandene<br />

Abiturientenprüfung soll te die Reife für<br />

ein wissenschaftliches Studium in allen<br />

Disziplinen garantieren und die akademische<br />

Qualifikation eines Baccalaureus<br />

ersetzen. Deshalb wurde <strong>der</strong> Baccalaureus<br />

als nie d rigster Universitätsgrad<br />

zu Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts im<br />

deutschen Sprachraum endgültig abgeschafft.<br />

An seine Stelle trat das Abitur in<br />

den deutschen Län<strong>der</strong>n und die Matura<br />

in den österreichischen. Daß auch in<br />

Frankreich die vorbereitenden Aufgaben<br />

<strong>der</strong> Artistenfakultät in den Sekundarschul<br />

bereich gelegt wurden, offenbart<br />

<strong>der</strong> Name „Baccalauréat“; das französische<br />

Äquivalent zum deutschen<br />

Abitur.<br />

Die gymnasialen Lehrpläne waren<br />

quantitativ und qualitativ anspruchsvoll,<br />

von <strong>der</strong> Sexta bis zur Oberprima<br />

jeweils 32 Unterrichtsstunden wöchentlich.<br />

Die Entlassungsprüfung am Gymnasium,<br />

die Abiturientenprüfung, wurde<br />

gemeinhin als die schwerste Prüfung im<br />

Leben eines Akademikers angesehen.<br />

Wer das „Abitur“ geschafft hatte, konnte<br />

mit Gelassenheit allen späteren<br />

Examina an <strong>der</strong> Universität entgegengehen.<br />

Aufschlußreich ist die historischstatis<br />

tische Darstellung „Das Höhere<br />

Schulwesen in Preußen“ von Dr. L.<br />

Wiese (Berlin 1864). Im Teil V geht es<br />

um die Reifeprüfung. Dort wird im Einzelnen<br />

auf die Prüfungsgegenstände<br />

nach dem Preußischen Reglement von<br />

1856 eingegangen, und zwar für die<br />

deutsche, lateinische, griechische und<br />

französische Sprache, Religionslehre,<br />

Geschichte verbunden mit Geographie,<br />

Mathematik und Naturkunde. Abiturienten,<br />

die sich dem Studium <strong>der</strong> Theologie<br />

o<strong>der</strong> Phi lologie widmen wollten,<br />

hatten sich auch einer Prüfung in <strong>der</strong><br />

hebräischen Sprache zu unterwerfen.<br />

Dabei sind nicht nur die aus heutiger<br />

Sicht unwirklich erscheinenden Wissensmengen,<br />

die sich die Schüler im<br />

Laufe <strong>der</strong> Gymnasialzeit aneignen sollten,<br />

bemerkenswert, son<strong>der</strong>n auch die<br />

Hinweise an die Prüfungskommissionen<br />

(auf den S. 496 und 498): „... Die<br />

Aufgaben für die schriftliche Prüfung<br />

dürfen nichts enthalten, worüber die<br />

Abiturienten ihrer Altersstufe gemäß<br />

mit eigener Einsicht o<strong>der</strong> Erfahrung zu<br />

urteilen nicht im Stande sind ... Die<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 5


mündliche Prüfung hat hauptsächlich<br />

darauf zu achten, ob die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Kenntnisse ein sicherer, mit eigenem<br />

Urteile verbundener Besitz des Examinanden<br />

geworden, nicht eine nur zum<br />

Zweck <strong>der</strong> Prüfung in das Gedächtnis<br />

aufgenommene Sammlung einzelner<br />

Notizen sind ...“<br />

Ein Abiturient, <strong>der</strong> nach diesem Reglement<br />

gebildet wurde, war Felix Klein<br />

(1849–1925). Klein schließt 1865 das<br />

achtklassige humanistische Gymnasium<br />

in Düsseldorf ab. Sein Reifezeugnis be -<br />

scheinigt ihm befriedigende Kenntnisse<br />

in Deutsch und Religion, aber gute<br />

Kenntnisse in Latein, Griechisch, Französisch,<br />

Hebräisch, Mathematik, Ge -<br />

schichte, Geographie und Naturkunde.<br />

Die Noten „Gut“ in Mathematik und<br />

Naturkunde werden wie folgt begründet:<br />

„In <strong>der</strong> Mathematik ist seine Auffassung<br />

rasch und sicher, und er hat das<br />

Gelernte durchgehends gleich zur Hand<br />

... In <strong>der</strong> Naturkunde hat er ein recht<br />

bestimmtes Wissen von dem im Unterricht<br />

Vorgekommenen und drückt sich<br />

darüber sehr geläufig, klar und vollständig<br />

aus, hat also gute Kenntnisse“ 5<br />

Klein beginnt ein naturwissenschaftlich-mathematisch<br />

ausgerichtetes Studium<br />

in Bonn und wird quasi von Anfang<br />

an in die Forschungsarbeiten des Bonner<br />

Professors Julius Plücker einbezogen.<br />

Klein promoviert 1868 in Bonn<br />

zum Dr. phil., setzt seine Studien in<br />

Paris fort, nimmt am deutsch-französischen<br />

Krieg teil, habilitiert sich in Göttingen<br />

und wird 1872 als ordentlicher<br />

Professor nach Erlangen berufen. In seiner<br />

Antrittsvorlesung entwickelt <strong>der</strong> 23jährige<br />

das (später so genannte) „Erlanger<br />

Programm“, womit er sich weltweit<br />

in die vor<strong>der</strong>ste Front <strong>der</strong> Mathematiker<br />

einreiht.<br />

Die einzige akademische Würde, die im<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t an den deutschen Universitäten<br />

vergeben wurde, war, abgesehen<br />

vom Licentiaten in <strong>der</strong> Theologie,<br />

das Doktorat. Der Magister hatte an<br />

deutschen Universitäten jede selbstän -<br />

dige Bedeutung verloren. Auch an <strong>der</strong><br />

vierten Fakultät, <strong>der</strong> Philosophischen<br />

Fakultät, die an die Stelle <strong>der</strong> Fakultät<br />

<strong>der</strong> freien Künste getreten ist, wird nun<br />

die Doktorwürde verliehen. Die philo -<br />

so phischen Fakultäten verleihen den<br />

Magister <strong>der</strong> freien Künste formaliter<br />

zwar noch immer, doch nur als eine Art<br />

Anhängsel zum Dr. phil., wie die lateinisch<br />

formulierten Doktorurkunden<br />

noch zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

ausweisen. Wenn auch Latein als Wis-<br />

6<br />

senschaftssprache seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

zunehmend durch die Nationalsprachen<br />

abgelöst worden war, blieb es<br />

doch bis in die zweite Hälfte des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts hinein in Deutschland<br />

Pflicht bei <strong>der</strong> Abfassung von Promotionsschriften.<br />

So wurde Hermann Helmholtz<br />

1842 mit <strong>der</strong> Arbeit „De fabrica<br />

systematis ner vosi evertebratorum“,<br />

Diss. med. Berlin (Über den Bau des<br />

Nervensystems <strong>der</strong> Wirbellosen) promoviert<br />

und <strong>der</strong> Mathematiker Georg<br />

Cantor 1867 mit <strong>der</strong> Arbeit „De aequationibus<br />

secundi gradus indeterminatis“,<br />

Diss. phil. Berlin (Über unbestimmte<br />

Gleichungen zweiten Grades).<br />

Danach wurden die Doktorarbeiten auf<br />

Deutsch geschrieben, die Promo -<br />

tionsurkunden aber unverän<strong>der</strong>t noch<br />

jahrzehntelang lateinisch belassen. Die<br />

universitätsgeschichtlich motivierte Nähe<br />

zum Adelsprädikat wird noch angedeutet,<br />

wenn <strong>der</strong> frisch gebackene „Philosophiae<br />

doctor et artium liberalium<br />

magister“ auf <strong>der</strong> Promotionsurkunde<br />

nicht nur als „vir doctissimus“, son<strong>der</strong>n<br />

auch als „vir nobilissimus“ bezeichnet<br />

wird.<br />

Die beigefügte Promotionsurkunde<br />

(siehe Seite 7) wurde am 15. Mai 1907<br />

von <strong>der</strong> Universität Göttingen für Heinrich<br />

Barkhausen (1881–1956) ausgefertigt,<br />

den späteren Dresdener Professor,<br />

<strong>der</strong> weltweit als deutscher Vater <strong>der</strong><br />

Schwachstromtechnik bekannt wurde.<br />

Die Promotions ordnungen an einigen<br />

philosophischen Fakultäten ließen im<br />

18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t sogar eine Promotion<br />

„in ab sentia“ zu (= in Abwesenheit,<br />

also ohne mündliche Doktorprüfung<br />

und ohne öffentliche Verteidigung),<br />

allein auf Grund einer<br />

eingesandten und von einem Fakultätsmitglied<br />

durchgesehenen Dissertation.<br />

Dazu zwei berühmte Bei spiele: Karl<br />

Marx wurde mit einer Disser tation, die<br />

von <strong>der</strong> Differenz <strong>der</strong> demo kritischen<br />

und epikureischen Na tur philo sophie<br />

gehandelt haben soll und die m.W. nicht<br />

veröffentlicht wurde, im Jahre 1841 von<br />

<strong>der</strong> Universität Jena in absentia zum Dr.<br />

phil. promoviert. Die Russin Sofja<br />

Kovalevskaja (1850–1891), die als<br />

Autodidaktin zu den Gipfeln <strong>der</strong> mathematischen<br />

Forschung aufgestiegen war,<br />

durfte ihre Forschungs ergebnisse –<br />

nach Vermittlung Ihres Mentors, des<br />

berühmten Berliner Professors Karl<br />

Weierstraß – <strong>der</strong> Universität Göttingen<br />

einsenden. Frau Kovalevskaja wurde<br />

1874 in absentia promoviert, und zwar<br />

mit dem Prädikat „summa cum laude“.<br />

(Ab 1884 wirkte sie als ordentliche Professorin<br />

für Mathematik an <strong>der</strong> Universität<br />

Stockholm. Man bedenke: Erst Jahrzehnte<br />

später ließ man Frauen zum<br />

Abitur und zum Hochschulstudium zu!)<br />

In Sorge um das Promotionsniveau und<br />

die inflationäre Verbreitung des Dr. phil.<br />

wurden Promotionen in absentia ge gen<br />

Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts untersagt.<br />

Die seinerzeit erlassenen Promotionsordnungen<br />

blieben dann bis in die 30er Jahre<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts unverän<strong>der</strong>t: eine<br />

Dissertation durfte einreichen, wer ein<br />

gymnasiales Abitur und ein min destens<br />

6-semestriges Universitäts studium nachweisen<br />

konnte. Die Promotionsschrift<br />

wurde von zwei unabhängigen Gutachtern<br />

bewertet, und <strong>der</strong> Doktorand mußte<br />

eine Doktorprüfung bestehen. Die Minimalstudienzeit<br />

von drei Jahren zwischen<br />

Abitur und Pro motion haben nicht nur<br />

Fixsterne am <strong>Wissenschaft</strong>lerhimmel,<br />

wie Felix Klein und Werner Heisenberg<br />

(1901–1976), verwirklicht, son<strong>der</strong>n auch<br />

weniger berühmte Gelehrte. Ich nenne<br />

einige aus dem Kreis <strong>der</strong> Professoren <strong>der</strong><br />

TH Dresden: Friedrich A. Willers<br />

(1883–1959), Dr. phil. 1906 in Göttingen,<br />

Georg Mierdel (1899–1987), Dr.<br />

phil. 1920 in Greifswald, Hans Gehrig<br />

(1882–1968), Dr. rer. oec. 1904 in Münster,<br />

Karl Jordan (1888–1972), Dr.phil.<br />

1913 in Leipzig. Auch <strong>der</strong> Wirtschaftshistoriker<br />

und als kommunistischer Propagandist<br />

populär gewordene Jürgen Kuczynsky<br />

(1904–1997) hat nach dem<br />

Abitur 1922 in Berlin nur drei Jahre (in<br />

Erlangen, Berlin und Heidelberg) studiert,<br />

und er wurde schon im Februar<br />

1925 in Erlangen promoviert. Der Doktorgrad<br />

war im Rahmen einer akademischen<br />

Laufbahnplanung vom 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

ab lediglich ein notwendiger<br />

erster Schritt. Noch heute ist die Doktorurkunde<br />

eine Art Konfirmationsschein,<br />

um in die Gemeinde <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

aufgenommen zu werden. Beispielsweise<br />

haben grundsätzlich nur Promovierte das<br />

Recht, staatliche Forschungsgel<strong>der</strong> bei<br />

<strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG) zu beantragen. Der Doktorgrad<br />

als solcher begründete keinerlei Berechtigung<br />

für eine Anstellung im Staatsdienst.<br />

Die berufliche Qualifikation für<br />

staatlich überwachte Berufe (Juristen,<br />

Ärzte, Pharmazeuten, Lehrer, Pfarrer)<br />

wird seit dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t in<br />

Deutschland durch Staatsprüfungen<br />

gewährleistet und die Berufsausübung<br />

durch berufsständische Zulassungsbestimmungen<br />

geregelt (Approbation bei<br />

Ärzten und Apothekern, Zulassung zum<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 7


Rechtsanwalt durch die Landesjustizverwaltung,<br />

Priesterweihe o<strong>der</strong> Ordination<br />

bei Pfarrern). Die oben erwähnten<br />

Doktoren Friedrich-Adolph Willers und<br />

Karl Jordan haben ihr Staatsexamen für<br />

das höhere Lehramt ein Jahr nach ihrer<br />

Promotion abgelegt. Sie waren<br />

anschließend längere Zeit als Gymnasiallehrer<br />

tätig. Willers hat sogar 20 Jahre<br />

lang als Gymnasiallehrer segensreich<br />

ge wirkt, hat in diesen Jahren wesentliche<br />

Forschungsbeiträge zur angewandten<br />

Mathe matik geliefert und sich als<br />

Externer 1923 an <strong>der</strong> TH Berlin-Charlottenburg<br />

habilitiert, um schließlich<br />

1928 als ordentlicher Professor nach<br />

Sachsen berufen zu werden.<br />

Mit dem Doktorgrad war auch keine<br />

universitäre Lehrbefugnis mehr verbunden<br />

wie zu Luthers Zeiten. Der Nachweis,<br />

daß ein promovierter <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

sein Fach in voller Breite<br />

in Forschung und Lehre an einer Fakultät<br />

vertreten kann, mußte an den deutschen<br />

Universitäten des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

durch eine Habilitation erbracht<br />

werden, ge mäß den Bestimmungen <strong>der</strong><br />

Habilita tionsordnung <strong>der</strong> betreffenden<br />

Fakultät. Die Bezeichnung Habilitation<br />

leitet sich aus dem lateinischen Adjektiv<br />

„habilis, e“ (= geeignet, tauglich, befähigt)<br />

ab. Gemäß Habilitationsordnung<br />

<strong>der</strong> Fakultät hatte <strong>der</strong> Bewerber eine<br />

Habilita tionsschrift einzureichen, diese<br />

nach <strong>der</strong> positiven Bewertung durch<br />

bestellte Gutachter öffentlich zu verteidigen<br />

und eine Lehrprobe in Form einer<br />

Probe vorlesung zu bestehen. Noten<br />

wurden im Gegensatz zu Promotionen<br />

nicht vergeben. Mit <strong>der</strong> ordnungsgemäß<br />

ab geschlossenen Habilitation erhielt <strong>der</strong><br />

angehende Universitätslehrer die „venia<br />

legendi“ (= Erlaubnis zu lesen). Sie war<br />

mit dem Titel Privatdozent (privatim<br />

docens) verbunden, also privat Lehren<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Fakultät Kollegien lesen<br />

darf, ohne als öffentlicher Lehrer angestellt<br />

und besoldet zu sein. Die für ein<br />

bestimmtes Fach (Anatomie, Botanik,<br />

klassische Philologie, Archäologie etc.)<br />

in Forschung und Lehre zuständigen<br />

ordentlichen Professoren (professores<br />

publici ordinarii) berief <strong>der</strong> Landesherr<br />

auf einen Lehrstuhl. Hinzu kamen die<br />

Professoren ohne Lehrstuhl (professores<br />

publici extraordinarii), das waren<br />

Privatdozenten, <strong>der</strong>en Status durch den<br />

verliehenen Titel und eine staatliche<br />

Besoldung aufgewertet worden war,<br />

und die Honorarprofessoren (professores<br />

honorarii). Beispielsweise waren die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Berliner Akademie <strong>der</strong><br />

8<br />

<strong>Wissenschaft</strong>en „geborene“ Honorarprofessoren<br />

an <strong>der</strong> Berliner Universität.<br />

In Preußen hatten die ordentlichen Professoren<br />

den Rang <strong>der</strong> Räte vierter<br />

Klasse (ebenso wie Regierungs- und,<br />

Oberlandesgerichtsräte sowie Gymnasialdirektoren),<br />

alle übrigen Professoren<br />

den Rang <strong>der</strong> Räte fünfter Klasse (ebenso<br />

wie Amtsrichter, Oberförster, Gymnasiallehrer<br />

u. a.) Mit <strong>der</strong> Differen -<br />

zierung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en und <strong>der</strong><br />

Etablierung neuer <strong>Wissenschaft</strong>sdisziplinen<br />

(Geschichtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften,<br />

Soziologie, ...)<br />

wurde die Abgrenzung <strong>der</strong> philosophischen<br />

Fakultät zu neh mend in Frage<br />

gestellt. In Tübingen differenzierte man<br />

gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts zwischen<br />

einer philosophisch-historischen,<br />

einer mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

und einer staatswissenschaftlichen<br />

Fakultät (Nationalökonomie, Statistik,<br />

Finanzwissenschaft). Nach dem ersten<br />

Weltkrieg verzweigten sich die philosophischen<br />

Fakultäten im mer häufiger in<br />

fachlich engere Fakultätsgebilde, und<br />

aus dem Dr. phil. erwuchs eine Vielfalt<br />

speziellerer Doktorgrade: Dr. rer. nat.,<br />

Dr. rer. oec, Dr. rer. pol., Dr. paed.<br />

An wissenschaftlichen Hochschulen<br />

blieb die Habilitation in Deutschland<br />

bis zum Ende des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts die<br />

Regelvoraussetzung für die Berufung<br />

zum Professor, wobei die Berufungskommissionen<br />

für eine ausgeschriebene<br />

Professorenstelle auch „habilitationsäquivalente<br />

wissenschaftliche Leistungen“<br />

de iure als Qualifikation zuerkennen<br />

durften.<br />

Das Diplom<br />

Bisher wurde das „Diplom“ als akademischer<br />

Grad nicht erwähnt. Das Wort<br />

kommt aus dem Griechischen („diploma“<br />

= „zweifach Gefaltetes“). In <strong>der</strong><br />

römischen Kaiserzeit bedeutete „diploma,<br />

diplomatis n.“ eine vom höchsten<br />

Magistrat ausgefertigte Urkunde mit<br />

Siegel und Unterschrift. In den Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />

des Mittelalters wurde das Wort<br />

nicht mehr gebraucht. Erst am Ende<br />

des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts führte es <strong>der</strong> französische<br />

Gelehrte Jean Mabillon<br />

(1632–1707), <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Urkundenlehre, durch<br />

sein Werk „De re diplomatica“ in den<br />

wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein.<br />

Im engeren Sinne bezeichnete man seither<br />

in Deutschland Urkunden über die<br />

Erteilung des adeligen Standes, über die<br />

Aufnahme in wissenschaftliche Gesellschaften,<br />

über eine abgelegte Prüfung<br />

bei <strong>der</strong> Handwerkskammer und an<strong>der</strong>es<br />

als Diplome. Im Hochschulbereich spielte<br />

das Wort „Diplom“ seit dem letzten<br />

Drittel des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine immer<br />

gewichtigere Rolle, zunächst an den<br />

Lehranstalten für qualifizierte technische<br />

Berufe. Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entfaltung<br />

<strong>der</strong> Ingenieurkunst und dem Aufkommen<br />

neuer industrieller Technologien<br />

entwickelten sich die technischen<br />

<strong>Wissenschaft</strong>en als damals neue <strong>Wissenschaft</strong>sdisziplin.<br />

In Deutschland gelang<br />

es lei<strong>der</strong> nicht, sie in die Universitäten zu<br />

integrieren. Die zweite Hälfte des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts war von vielen technischen<br />

Neuerungen geprägt. Die neu entstehenden<br />

Industriebetriebe benötigten viele<br />

gut ausgebildete Techniker und Ingenieure.<br />

Der „Verein Deutscher Ingenieure“<br />

(VDI) wurde 1856 in Alexisbad gegründet<br />

und bis 1890 von Franz Grashof<br />

(1826– 1893) geführt, <strong>der</strong> sich mit großer<br />

Sachkenntnis und Energie den Problemen<br />

des technischen Schulwesens widmete.<br />

Die verschiedenen Ingenieurfächer,<br />

zuzüglich technischer Chemie und<br />

Physik, wurden an technischen Bildungsanstalten<br />

gelehrt und gepflegt. Unter<br />

maßgeblicher För<strong>der</strong>ung durch Handwerkskammern<br />

und mittelständische Un -<br />

ternehmer entstanden zahlreiche technische<br />

Lehranstalten mit sehr unterschiedlichem<br />

Profil. Aus einigen von ihnen<br />

ging gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts in<br />

Deutschland ein neuer Typ von wissenschaftlichen<br />

Hochschulen, die Technischen<br />

Hochschulen, hervor.<br />

Der VDI befürwortete eine zweigleisige<br />

Ingenieurausbildung: Einerseits für das<br />

Gros <strong>der</strong> Ingenieure, einschließlich <strong>der</strong><br />

gehobenen und mittleren Führungspositionen,<br />

eine nichtakademische Ingenieurausbildung<br />

auf <strong>der</strong> Basis berufspraktischer<br />

Kenntnisse an höheren Fachschulen,<br />

an<strong>der</strong>erseits eine akademische<br />

Ingenieurausbildung für einen kleinen<br />

Teil als Vorbereitung für die höhere<br />

Staatslaufbahn, für Forschungsinstitute<br />

und für die obersten Leitungsfunktionen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft.<br />

Als ein Beispiel für die Entwicklung zu<br />

einer akademischen Ausbildungsstätte<br />

wollen wir hier die Sächsische Technische<br />

Hochschule in Dresden betrachten.<br />

Aus den bescheidenen Anfängen <strong>der</strong><br />

1828 gegründeten Technischen Bildungsanstalt<br />

gingen 1851 die Königlich<br />

Sächsische Polytechnische Schule und<br />

1871 das Königlich. Sächsische Polytechnikum<br />

hervor. Dieses wurde 1890<br />

zur Königlich Sächsischen Technischen<br />

Hochschule erhoben. 6<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


Dieser Entwicklungsweg war mit zähen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen um die gesellschaftliche<br />

Anerkennung <strong>der</strong> technischen<br />

<strong>Wissenschaft</strong>en verbunden.<br />

So klagt <strong>der</strong> Mathematikprofessor<br />

Oskar Schlömilch<br />

(1823–1901, <strong>der</strong><br />

1842 promoviert und<br />

1844 in Jena habilitiert<br />

worden war) 7 „... Auch<br />

<strong>der</strong> jüngste Arzt wird zu<br />

den wiss. Hochgebildeten gerechnet.<br />

Dagegen betrachtet man selbst den<br />

Ober maschinenmeister einer Eisenbahn<br />

nur als einen höheren Schlossermeister.<br />

Mit einem Worte: In <strong>der</strong> gebildeten<br />

Gesellschaft unserer Zeit gilt <strong>der</strong> Techniker<br />

als Parvenu und unberechtigter<br />

Eindringling. ... Die Lehrer des Polytechnikums<br />

wissen davon zu erzählen,<br />

welche selt samen Vorstellungen vom<br />

Polytechnikum unter den Dresdnern –<br />

und zwar nicht nur <strong>der</strong> unteren Stände –<br />

im Umlauf sind und welche Verwun<strong>der</strong>ung<br />

entsteht, wenn man erklärt, daß es<br />

auf dem Polytechnikum sich gar nicht<br />

um das Anlernen praktischer Handgriffe,<br />

son<strong>der</strong>n um höhere wissenschaftliche<br />

Studien handelt.“ Schlömilch selbst<br />

setzte sich mit ganzer Kraft für eine<br />

Besserung dieses Zustandes ein, von<br />

1874–1885 als Geheimer Schulrat im<br />

Königlich Sächsischen Ministerium des<br />

Cultus und öffentlichen Unterrichts.<br />

Das Dresdener Polytechnikum umfaßte<br />

vier Abteilungen, eine für Ingenieure,<br />

eine für technische Chemie, eine für<br />

Lehrer und eine Allgemeine Abteilung.<br />

Ein paar Marksteine auf dem Wege von<br />

<strong>der</strong> Fachschule zur wissenschaftlichen<br />

Hochschule seien aufgeführt. 1871 be -<br />

stätigte eine Verordnung des Kgl. Sächsischen<br />

Ministeriums des Inneren ein<br />

„Regulativ über die Absolutorialprüfungen“:<br />

Um „das vollständigen Vertrautsein<br />

<strong>der</strong> Schulabsolventen mit dem<br />

Lehrstoffe in einer <strong>der</strong> vier Fachabteilungen<br />

nachzuweisen, waren in je<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong>selben jährlich Absolutorialprüfungen<br />

abzuhalten.“<br />

1872 fixierte eine Habilita tionsordnung<br />

die Bestimmungen über die Zulassung<br />

von Privatdozenten. 1876 avancieren<br />

die Schüler zu „Studierenden“, noch<br />

nicht zu Studenten, um den exklusiven<br />

Anspruch <strong>der</strong> Landesuniversität Leipzig<br />

zu respektieren. 1878 wandelte sich das<br />

zu zahlende Schulgeld in Kolleggeld,<br />

und die Absolutorialprüfung wurde<br />

durch eine staatliche Diplomprüfung<br />

ersetzt. Am 3. Februar 1890 gibt <strong>der</strong><br />

Minister des Cultus und öffentlichen<br />

Unterrichts „mit Allerhöchster Genehmigung“<br />

bekannt, „daß das Polytechnikum<br />

fortan die Benennung ,Königlich<br />

Sächsische Technische Hochschule‘ zu<br />

führen hat.“ Sie ist ebenso organisiert<br />

wie die Kgl. Preußischen Technischen<br />

Hochschulen in Berlin-Charlottenburg,<br />

Aachen und Hannover, die Kgl. Baye -<br />

rische TH zu München und die Eid -<br />

genössische TH zu Zürich. An die Stelle<br />

<strong>der</strong> Fakultäten bei Universitäten treten<br />

die Abteilungen bei Technischen<br />

Hochschulen. Die Professoren werden<br />

vom König ernannt. Statt <strong>der</strong> Dekane<br />

werden die Vorsteher des Abteilungs -<br />

kollegiums auf ein Jahr gewählt und<br />

vom Minister bestätigt. Der Rektor wird<br />

von den vereinigten Abteilungskollegien<br />

auf ein Jahr gewählt und bedarf <strong>der</strong><br />

Bestätigung des Königs. Immatrikuliert<br />

werden Studierende mit dem Reifezeugnis<br />

eines Gymnasiums, eines Realgymnasiums<br />

o<strong>der</strong> einer Oberrealschule.<br />

Über das regelrechte Studium an einer<br />

<strong>der</strong> Abteilungen werden auf Grund vorgängiger<br />

Prüfungen Diplome ausgestellt.<br />

Der Besuch <strong>der</strong> Technischen Hochschule<br />

nach einem Oberrealschulabschluß<br />

berechtigt aber noch nicht zu einer<br />

Staatsprüfung für den höheren technischen<br />

Dienst. „Es muß noch mindestens<br />

die Prüfung im Lateinischen an einem<br />

Realgymnasium hinzutreten.“ 8<br />

Das Diplom als deutscher akademischer<br />

Grad wird im Oktober 1899 vom deutschen<br />

Kaiser, <strong>der</strong> die technischen <strong>Wissenschaft</strong>en<br />

in beson<strong>der</strong>er Weise för<strong>der</strong>te,<br />

verfügt. Eine Ab schrift <strong>der</strong> „Geburtsurkunde“<br />

wird hier beigefügt.<br />

An dieser Urkunde sind mehrere Details<br />

bemerkenswert.<br />

1. Es handelt sich um originär deutsche<br />

akademische Grade, die deshalb auch<br />

in deutscher Schrift zu führen sind.<br />

Zum Doktoringenieur kann man nur<br />

aufgrund einer weiteren Prüfung<br />

nach <strong>der</strong> Diplomprüfung promoviert<br />

werden. Eine Mindestzwischenzeit<br />

wird aber nicht vorgeschrieben.<br />

2. Kaiser Wilhelm II fügt seinem<br />

Namenszug nicht wie bei den meisten<br />

seiner Erlasse das Kürzel „Imp-<br />

R.“, das für „Imperator Germanorum<br />

Borussiae Rex“ (= Deutscher Kaiser<br />

und König von Preußen) steht, hinzu,<br />

son<strong>der</strong>n beschränkt sich auf „R.“,<br />

agiert also nur als König von Preußen<br />

und weist damit auf die Kulturhoheit<br />

<strong>der</strong> deutschen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong> hin.<br />

3. Das Graduierungsrecht wird den<br />

Technischen Hochschulen eingeräumt,<br />

und zwar für alle Abteilungen<br />

und unab hängig von den Studienrichtungen.<br />

Die an<strong>der</strong>en deutschen Län<strong>der</strong>,<br />

die eigene Tech nische Hochschulen<br />

unterhielten, schlossen sich<br />

innerhalb weniger Monate dem preußischen<br />

Muster an. So wurde im<br />

Königreich Sachsen die Promotionsordnung<br />

für die Erteilung <strong>der</strong> Würde<br />

eines Dr.-Ing. an <strong>der</strong> Kgl. Sächs. TH<br />

bereits am 23. Mai 1900 vom Mini -<br />

sterium des Cultus und öffentlichen<br />

Unterricht genehmigt. Zum ersten<br />

Dresdener „Dr.-Ing. E. h.“ kürte man<br />

1901 den Unternehmer und Erfin<strong>der</strong><br />

Friedrich Siemens (1826–1904).<br />

Auf den Bericht vom 6. d. Mts. will Ich den Technischen Hochschulen in Anerkennung <strong>der</strong><br />

wissenschaftlichen Bedeutung, welche sie in den letzten Jahrzehnten neben <strong>der</strong> Erfüllung ihrer<br />

praktischen Aufgaben erlangt haben, das Recht einräumen:<br />

1. auf Grund <strong>der</strong> Diplomprüfung den Grad eines Diplom-Ingenieurs (abgekürzte<br />

Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dipl.-Ing.) zu ertheilen,<br />

2. Diplom-Ingenieure auf Grund einer weiteren Prüfung zu Doktor-Ingenieuren<br />

(abgekürzte Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dr.-Ing.) zu promoviren und<br />

3. die Würde eines Doktor-Ingenieurs auch Ehrenhalber als seltene Auszeichnung an<br />

Männer, die sich um die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> technischen <strong>Wissenschaft</strong>en hervorragende<br />

Verdienste erworben haben, nach Maßgabe <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Promotions-Ordnung<br />

festzusetzenden Bedingungen zu verleihen.<br />

Neues Palais, den 11. Oktober 1899<br />

gez: Wilhelm<br />

R.<br />

An den Minister <strong>der</strong> geistlichen p. Angelegenheiten<br />

ggez: Studt<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 9


Nicht nur Bau-, Maschinenbau- und<br />

Elektroingenieure erlangten den Grad<br />

eines Dipl.-Ing. Auch Forstwissenschaftler,<br />

Geodäten, Chemiker und<br />

Mathematiker wurden an Technischen<br />

Hochschulen als Diplomingenieure graduiert<br />

und zu Doktoringenieuren promoviert.<br />

Diese Regelung wurde bis in<br />

die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg<br />

eingehalten. Als Beleg nenne ich drei<br />

bedeutende sächsische <strong>Wissenschaft</strong>ler.<br />

Dem Geodäten Reinhard Hugershoff<br />

(1882–1941) wurden 1906 und 1907 die<br />

Grade Dipl.-Ing. und Dr.-Ing. an <strong>der</strong> TH<br />

Dresden verliehen, <strong>der</strong> Chemiker Kurt<br />

Schwabe (1905–1983) erhielt sie 1927<br />

und 1928, und <strong>der</strong> angewandte Mathematiker<br />

N. Joachim Lehmann<br />

(1921–1998) schließlich 1946 und<br />

1949. Bald nach <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />

entließen auch die neu gegründeten<br />

Handels-Hochschulen in Leipzig,<br />

Aachen, Köln, Frankfurt und Berlin ihre<br />

erfolgreichen Absolventen einer wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Aus bildung<br />

mit dem Diplomgrad. 1905 wurde in<br />

Köln auf Initiative von Eugen Schmalenbach<br />

(1873–1955) ein „Verband <strong>der</strong><br />

Inhaber Deutscher Handels-Hochschuldiplome“<br />

gegründet. So gesellten sich<br />

in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg<br />

die Diplomvolkswirte und die Diplomkaufleute<br />

zu den Diplomingenieuren.<br />

Nach dem ersten Weltkrieg wurden weitere<br />

Diplomstudiengänge eingerichtet.<br />

Seit 1924 verlieh die Sächsische TH<br />

auch den Grad Diplomvolkswirt. Später<br />

kam <strong>der</strong> Diplompsychologe hinzu ...<br />

Die Diplomstudiengänge waren – im<br />

Unterschied zur Ausbildung an höheren<br />

deutschen Fachschulen – in <strong>der</strong> Regel<br />

zweistufig ausgelegt. In <strong>der</strong> hochschulinternen<br />

Kommunikation wurde <strong>der</strong><br />

Studienfortschritt in Anlehnung an den<br />

Brauch in den drei klassischen oberen<br />

Fakultäten durch die studentischen<br />

Grade „stud.“ (für „studiosus“) und<br />

„cand.“ (für „candidatus“) sichtbar<br />

gemacht. Ebenso wie angehende Mediziner<br />

bis zum Physikum als „stud.<br />

med.“ und nach dem Physikum als<br />

„cand.med.“ firmierten, bezeichneten<br />

sich angehende Diplom-Ingenieure bis<br />

zum Vordiplom als „stud.ing.“ und nach<br />

bestandener Vorprüfung als „cand.ing.“.<br />

Im III. Deutschen Reich hielt die NS-<br />

Führung bekanntlich nicht viel von bildungsbürgerlicher<br />

Gelehrtheit und<br />

humanistischer Bildung. Die humanistischen<br />

Gymnasien wurden zugunsten<br />

<strong>der</strong> Realschulen reduziert, die Studentenzahlen<br />

an wissenschaftlichen Hoch-<br />

10<br />

schulen zugunsten <strong>der</strong> Schülerzahlen an<br />

höheren deutschen Fachschulen verringert.<br />

Allenthalben wurden an den wissenschaftlichen<br />

Hochschulen, die ab<br />

1933 nach dem Führerprinzip organisiert<br />

waren, „reichseinheitliche“ Regelungen<br />

durch gesetzt. Die Absolventen<br />

<strong>der</strong> Ingenieurschulen erhielten einheit -<br />

liche Ingenieurzeugnisse. Diese beurkundeten,<br />

daß die Abschlußprüfung vor<br />

einem staatlichen Prüfungsausschuß<br />

abgelegt und damit „die Befähigung als<br />

Ingenieur <strong>der</strong> Fachrichtung ... nachgewiesen“<br />

worden sei. Um Mitglied im<br />

Verein deutscher Ingenieure (VDI) zu<br />

werden, genügte ein solches Abschlußzeugnis<br />

jedoch nicht.<br />

Der VDI nahm nur Personen nach längerer<br />

erfolgreicher praktischer Ingenieurtätigkeit<br />

als Mitglie<strong>der</strong> auf.<br />

Diplomingenieure hatten eine mindestens<br />

zweijährige, Fachschulingenieure<br />

eine mindestens fünfjährige und Autodidakten<br />

eine mindestens zehnjährige<br />

Tätigkeit als Ingenieur nachzuweisen.<br />

Auf Visitenkarten und in den Kopfzeilen<br />

ihrer Fachpublikationen fügten<br />

diese praxiserprobten Ingenieure dann<br />

selbstbewußt das Zertifikatskürzel<br />

„VDI“ ihrem Namen bei, ließen also<br />

zum Beispiel „Max Müller, VDI“ drukken.<br />

Zu Recht hatten sie keine Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle<br />

gegenüber akademisch<br />

Gebildeten. Für die wissenschaftlichen<br />

Hochschulen erließ das<br />

Reichserziehungsministerium „reichseinheitliche“<br />

Promotionsordnungen und<br />

Habilitationsordnungen sowie reichseinheitliche<br />

Prüfungsordnungen für das<br />

Lehramt. Der „habilitierte Doktor“<br />

(doctor habilitatus) wurde als neuer<br />

akademischer Grad eingeführt, z. B.<br />

Doctor medicinae habilitatus, abgekürzt,<br />

Dr. med. habil. Die „Abteilungen“<br />

<strong>der</strong> Tech nischen Hochschulen<br />

wurden 1941 zu „Fakultäten“, um die<br />

Ranggleichheit zu den Universitäten<br />

sichtbarer zu machen. Technische<br />

Hochschulen durften auch an<strong>der</strong>e Doktorgrade<br />

als den Dr.-Ing. vergeben. So<br />

konnte man an <strong>der</strong> TH Dresden zum Dr.<br />

rer. pol., zum Dr. rer. nat. und zum Dr.<br />

phil. promovieren. Eine Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Diplomgrade wurde erwogen. 1942<br />

schlug das Reichserziehungsministerium<br />

vor, den „Diplom-Physiker“<br />

zunächst für die stärker theoretisch ausgerichtete<br />

Physikerausbildung an den<br />

Universitäten zu erproben. Gegen Ende<br />

des Krieges verliehen deutsche Universitäten<br />

auch den Grad Diplom-Mathematiker<br />

(z. B. die Universität Leipzig<br />

am 21. Febr. 1944 an Frau Eleonore<br />

Trefftz, geb. 1920, die ein reichliches<br />

Jahr später (am 5. Okt. 1945!) an <strong>der</strong> TH<br />

Dresden zum Dr. rer. nat. promoviert<br />

wurde).<br />

<strong>Wissenschaft</strong>liche Hochschulen<br />

im geteilten Deutschland<br />

Die Entwicklungen in <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esrepublik<br />

Deutschland sollen hier nicht referiert<br />

werden, weil sie den meisten Lesern<br />

vermutlich recht gut bekannt sind. Erinnert<br />

sei hier nur an die Metamorphosen<br />

des Dipl.-Ing. und die Wie<strong>der</strong>auferstehung<br />

des „Magister artium“. Seit Beginn<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts war <strong>der</strong> Titel<br />

„Diplom-Ingenieur“ geschützt. „Ingenieur“<br />

aber durfte sich ungestraft je<strong>der</strong><br />

nennen, <strong>der</strong> von sich meinte, eine Ingenieurtätigkeit<br />

ausüben zu können. Die<br />

seit <strong>der</strong> Weimarer Republik währenden<br />

berufsständischen Bestrebungen zum<br />

Schutz des „Ingenieurs“ mündeten 1965<br />

in einem bundeseinheitlichen „Gesetz<br />

zum Schutze <strong>der</strong> Berufsbezeichnung<br />

Ingenieur“. Aufgrund <strong>der</strong> Kulturhoheit<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> mußte es jedoch zurückgezogen<br />

werden. Seit 1971 wurde <strong>der</strong><br />

geschützte Titel „Ing. (grad.)“ (sprich<br />

„graduierter Ingenieur“) den Absolventen<br />

<strong>der</strong> Höheren Fachschulen (Ingenieurschulen)<br />

als „staatliche Bezeichnung“<br />

zuerkannt und auf den nachfolgenden<br />

Fachhochschulen als „akademischer<br />

Grad“ verliehen. Dieser wurde in den<br />

1980er Jahren abgelöst durch den Grad<br />

„Dipl.-Ing. (FH)“.<br />

In den 1950er Jahren gab es diverse<br />

wissenschaftliche Studiengänge – z. B.<br />

für Sprach- und Kulturwissenschaftler,<br />

Sozialwissenschaftler, Kunstwissenschaftler<br />

–, die nicht mit einem Diplomgrad<br />

abgeschlossen wurden und die auch nicht<br />

auf eine Tätigkeit mit einer ge schützten<br />

Berufsbezeichnung (wie Gymnasiallehrer,<br />

Arzt, Rechtsanwalt, Pfarrer) zielten.<br />

Für die Absolventen solcher Studiengänge,<br />

die häufig ohne Promotion ins<br />

Erwerbsleben einstiegen, wurde – einer<br />

Empfehlung <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) von 1957 folgend – zwischen<br />

1960 und 1970 <strong>der</strong> akademische<br />

Grad „Magister Artium (M.A.)“ eingeführt.<br />

Das Magisterstudium be stand üblicherweise<br />

aus einem Haupt- und zwei<br />

Nebenfächern o<strong>der</strong> aus zwei Hauptfächern.<br />

Der Magistergrad wird hinter dem<br />

Namen geführt, zum Beispiel als „Philipp<br />

Meier, M.A.“ wie in den USA und nicht<br />

wie einst bei „M. Philippus Melanchthon“.<br />

Nach schweren Anfangsjahren in <strong>der</strong><br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


Sowjetischen Besatzungszone und ideologischen<br />

Kämpfen zur Überwindung des<br />

bürger lichen Bildungskonzepts wurden in<br />

<strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik<br />

(DDR) ab 1951 alle Hochschulfragen<br />

DDR-einheitlich vom Staatssekretariat<br />

für Hochschulwesen in Ostberlin gesteuert.<br />

Für alle Studienrichtungen gab es nun<br />

verbindliche Studienpläne und Studienzeiten,<br />

z. B. elf Semester für Dipl.-Ingenieure<br />

<strong>der</strong> Elektrotechnik, zehn Semester<br />

für Diplom-Biologen, acht Semester für<br />

Diplom-Gewerbelehrer. Dabei handelte<br />

es sich um die „Mindestdauer gemäß den<br />

Prüfungsbestimmungen, die gleichzeitig<br />

grundsätzlich die Höchstdauer sein soll<br />

und die nicht über ein Semester hinaus<br />

überschritten werden darf.“ 9<br />

Die VO über die Verleihung <strong>der</strong> aka -<br />

demischen Grade“ vom 6. September<br />

1956 erklärt im § 1, daß die Fakultäten<br />

die akademischen Grade eines Doktors<br />

und eines habilitierten Doktors verleihen.<br />

Im § 2 wird ergänzt, daß auch das<br />

Diplom einer Fachrichtung als akade -<br />

mischer Grad verliehen werden kann.<br />

Voraussetzung für die Zulassung zur<br />

Promotion ist <strong>der</strong> Nachweis eines er -<br />

folgreich abgeschlossenen Universitätso<strong>der</strong><br />

Hochschulstudiums. Voraussetzungen<br />

für die Zulassung zur Habilitation<br />

sind <strong>der</strong> Besitz des Doktorgrades sowie<br />

eine in <strong>der</strong> Regel mindestens dreijährige<br />

wissenschaftliche Tätigkeit zwischen<br />

Promotion und Meldung zur Habilita -<br />

tion. Der akademische Grad „Dr. habil.“<br />

wurde nicht automatisch mit einer Lehrberechtigung<br />

verbunden. Privatdozenten<br />

gehörten <strong>der</strong> Vergangenheit an. Alle<br />

Hochschullehrer wurden vom Staatssekretär<br />

für das Hochschulwesen berufen.<br />

Unter den hauptamtlichen DDR-Hochschullehrern<br />

gab es diverse Stufungen.<br />

Sie lauteten in aufsteigen<strong>der</strong> Reihen -<br />

folge:<br />

Dozent,<br />

Professor mit Lehrauftrag<br />

Professor mit vollem Lehrauftrag<br />

Professor mit Lehrstuhl.<br />

Hinzu kamen die In-spe-Varianten dieser<br />

vier Dienststellungen: „mit <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung einer Dozentur beauftragt“<br />

usw. Auch kombinierte Amtsbezeichnungen<br />

wie „Professor mit Lehrauftrag<br />

und zugleich mit <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

einer Professur mit Lehrstuhl<br />

beauftragt“ findet man in den Personalund<br />

Vorlesungsverzeichnissen <strong>der</strong><br />

DDR-Hochschulen <strong>der</strong> 1950er Jahre.<br />

1965<br />

1965 trat in <strong>der</strong> DDR das Gesetz über<br />

das einheitliche sozialistische Bildungswesen<br />

in Kraft. Darin wurde behauptet,<br />

dem Bildungssystem <strong>der</strong> westlichen<br />

Demokratien um eine ganze historische<br />

Epoche voraus zu sein. Darauf aufbauend<br />

wurde in den Jahren 1968–1970 die<br />

3. Hochschulreform vollzogen. Dabei<br />

wurde das sowjetische Hochschulverständnis<br />

nun noch vollständiger in <strong>der</strong><br />

DDR durchgesetzt: „Die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Universitäten und Hochschulen besteht<br />

darin, hochqualifizierte sozialistische<br />

Persönlichkeiten zu erziehen und aus -<br />

zubilden. Der Absolvent einer sozialistischen<br />

Hochschule zeichnet sich durch<br />

einen festen sozialistischen Klassenstandpunkt<br />

aus und handelt auf <strong>der</strong><br />

Grundlage des Marxismus-Leninismus.<br />

Er meistert die <strong>Wissenschaft</strong> als eine<br />

Hauptproduktivkraft und Waffe im Klassenkampf<br />

... Die Hochschullehrer ... tragen<br />

gegenüber <strong>der</strong> Gesellschaft die Verantwortung<br />

für die Erziehung <strong>der</strong> ihnen<br />

anvertrauten Studenten zu sozia -<br />

listischen Staatsbürgern <strong>der</strong> Deutschen<br />

Demokratischen Republik.“ (Zitat aus<br />

DDR-Gbl. I (1969), <strong>Nr</strong>. 3).<br />

Die DDR-Hochschulen wurden im Zuge<br />

<strong>der</strong> 3. Hochschulreform in „Sektionen“<br />

unterteilt und wie sozialistische Groß -<br />

betriebe nach dem „Prinzip <strong>der</strong> sozialistischen<br />

Einzelleitung“ gesteuert: Die Hochschule<br />

wurde von einem Rektor geleitet,<br />

<strong>der</strong> dem Minister für das Hoch- und Fachschulwesen<br />

unterstand. Jede Sektion<br />

wurde von einem Direktor ge leitet, <strong>der</strong><br />

dem Rektor unterstand. Das Diplom als<br />

erster akademischer Grad wurde DDReinheitlich<br />

für alle Studiengänge festgelegt,<br />

einschl. Diplom-Mediziner, Diplom-<br />

Stomatologe, Dip lom-Jurist, Diplom-<br />

Theologe, Diplom-In ge nieurökonom,<br />

Diplom-Historiker, Diplom-Sprachmittler,<br />

Diplom-Sportlehrer, Diplom-Lehrer<br />

für Marxismus-Leninismus, Diplom-<br />

Philosoph, Dip lom-Militärhistoriker,<br />

Diplom-Gesellschaftswissenschaftler,<br />

Diplom-Journalist und viele an<strong>der</strong>e. Die<br />

VO über die akade mischen Grade vom<br />

6. November 1968 unterscheidet drei<br />

akademische Graduierungsstufen:<br />

Diplom eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />

(Dipl.-...)<br />

Doktor eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />

(Dr. ...)<br />

Doktor <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en (Dr. sc.<br />

...)<br />

Damit war insbeson<strong>der</strong>e eine übersichtlichere<br />

Vergleichbarkeit <strong>der</strong> akademi-<br />

schen DDR-Grade mit den akademischen<br />

Graden in <strong>der</strong> Sowjetunion<br />

erreicht worden. Das Recht zur Erteilung<br />

<strong>der</strong> beiden DDR-Doktorgrade hatten<br />

nicht nur Universitäten und Hochschulen,<br />

son<strong>der</strong>n auch „an<strong>der</strong>e wissenschaftliche<br />

Institutio nen“, insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Akdemie <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en, die<br />

Akademie <strong>der</strong> Landwirtschaftswissenschaften<br />

und die Bauakademie <strong>der</strong><br />

DDR. Der Doktor eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />

– verliehen durch die sogen.<br />

Promotion A – entsprach dem traditionellen<br />

deutschen Doktorgrad und wurde<br />

wie gewohnt bezeichnet, Dr. med., Dr.<br />

jur., Dr.-Ing., Dr. rer. nat. u. a. Eine Be -<br />

son<strong>der</strong>heit sei erwähnt: Wenn FDJ-Studenten<br />

als beson<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>ungswürdig<br />

eingestuft wurden, konnten sie gegen<br />

Ende des Diplomstudiums in den Status<br />

von „Forschungsstudenten“ wech seln.<br />

Diese durften dann sogleich – ohne sich<br />

mit Diplomarbeiten und Diplomprüfungen<br />

aufzuhalten – eine Disserta tion A<br />

vorbereiten und wurden ohne Diplomgrad<br />

zur Promotion A zugelassen.<br />

Der Doktor <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en – verliehen<br />

durch die sogen. Promotion B –<br />

war dem sowjetischen „Доктор наук“<br />

nachgebildet Er setzte in <strong>der</strong> Regel den<br />

Doktor eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />

voraus und wurde mit den Bezeichnungen<br />

Dr. sc. med. (doctor scientiae medicinae),<br />

Dr. sc. jur. (doctor scientiae<br />

iuris), Dr. sc. techn. (doctor scientiae<br />

technicarum), Dr. sc. nat. (doctor scientiae<br />

naturalium) u. a. verliehen. Ich<br />

möchte hier nicht die m.E. teilweise<br />

fragwürdigen lateinischen Formen diskutieren,<br />

son<strong>der</strong>n nur die Voraussetzungen<br />

für die Verleihung des Dr.sc. erwähnen<br />

(Zitat aus dem DDR-Gbl. II (1968),<br />

S. 1024): „eine erfolgreiche Tätigkeit<br />

als Leiter von wissenschaftlichen Kollektiven,<br />

die Weiterbildung auf Gebieten<br />

des Marxismus-Leninismus, die hervorragende<br />

Mitarbeit bei <strong>der</strong> Gestaltung<br />

des entwickelten gesellschaftlichen Sys -<br />

tems des Sozialismus.“ Der Kandidat<br />

hatte seine hervorragende wissenschaftliche<br />

Qualifikation durch eine schriftliche<br />

Promotionsleistung nachzuweisen<br />

... „Sie sollte in <strong>der</strong> Regel aus kollektiver<br />

Forschungsarbeit hervorgegangen<br />

sein.“ (DDR-Gbl.II (1968), S. 111). Die<br />

Arbeit wurde – im Unterschied zur Dissertation<br />

A – nicht benotet. Die DDReinheitlichen<br />

Promotions-B-Urkunden<br />

bestätigten, daß <strong>der</strong> Dr.sc. „auf Grund<br />

einer hervorragenden wissenschaftlichen<br />

Be fähigung auf dem Gebiet ... und<br />

einer erfolgreichen Tätigkeit als Leiter<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 11


wissenschaftlicher Kollektive“ verliehen<br />

wurde. Spötter haben die Abkürzung<br />

„Dr. sc.“ insgeheim gern als „Doctor<br />

sine causa“ gedeutet, wohl wissend,<br />

daß ein solcher Spott nicht in jedem<br />

Falle gerechtfertigt war. Da die Habilitation<br />

definitiv abgeschafft worden war,<br />

blieb tüchtigen jungen DDR-<strong>Wissenschaft</strong>lern<br />

in den 1970er und 1980er<br />

Jahren nichts an<strong>der</strong>es übrig, als ihr wissenschaftliches<br />

Können mit einer Promotion<br />

B nachweisen zu wollen. Im<br />

medizinischen, natur-, sprach- und<br />

ingenieurwissenschaftlichen Bereich<br />

sind nicht wenige B-Dissertationen als<br />

persönliche Einzelleistungen entstanden,<br />

die hinsichtlich ihres wissenschaftlichen<br />

Niveaus den Vergleich mit Habilita<br />

tionsschriften im an<strong>der</strong>en Teil Deutschlands<br />

nicht zu scheuen brauchen.<br />

Mit Wirkung ab 1. Febr. 1969 trat eine<br />

neue Hochschullehrerberufungsverodnung<br />

in Kraft. Die hauptamtlichen<br />

Hochschullehrer – nunmehr entwe<strong>der</strong><br />

Hochschuldozent o<strong>der</strong> ordentlicher Professor<br />

– wurden vom Minister für das<br />

Hoch- und Fachschulwesen in Ostberlin<br />

berufen. Die Berufung setzte das Vorhandensein<br />

einer Dozentur o<strong>der</strong> eines<br />

Lehrstuhls voraus. Hochschuldozenten<br />

o<strong>der</strong> wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />

konnte <strong>der</strong> Titel eines außerordentlichen<br />

Professors verliehen werden, verbunden<br />

mit einer gehaltlichen Aufbesserung.<br />

Zum Hochschullehrer konnte nur avancieren,<br />

wem zuvor eine Facultas docendi<br />

(Lehrbefähigung) erteilt worden war.<br />

Laut Anordnung über die Erteilung und<br />

den Entzug <strong>der</strong> „Facultas docendi“ 10 ,<br />

wurde diese auf formlosen Antrag von<br />

<strong>der</strong> Universität verliehen, wenn <strong>der</strong><br />

Antragsteller den Nachweis „<strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten<br />

Leistungen in Forschung, Ausbildung,<br />

Erziehung und Weiterbildung<br />

erbracht hat“.<br />

Zu Professoren konnten auch <strong>Wissenschaft</strong>ler,<br />

die an DDR-Akademieeinrichtungen<br />

angestellt waren, ernannt<br />

werden. Diese Akademie-Professoren<br />

brauchten nicht zu lehren. Ein Beispiel:<br />

Der Direktor des Militärtechnischen<br />

Instituts <strong>der</strong> NVA in Königswusterhausen,<br />

Generalmajor K.-H. M., hatte in<br />

Leningrad studiert, war dort 1970 кандидат<br />

технических наук geworden (<strong>der</strong><br />

sowjetische „к.т.н.“ galt als Äquivalent<br />

zum Dr.-Ing. <strong>der</strong> DDR-Hochschulen),<br />

wurde 1979 von <strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />

<strong>der</strong> DDR zum Dr.sc.nat.<br />

promoviert und 1985 zum Professor<br />

ernannt.<br />

12<br />

Entwicklung im<br />

wie<strong>der</strong>vereinten Deutschland<br />

Nach dem Zusammenbruch <strong>der</strong> DDR<br />

wurde das Hochschulwesen in den<br />

wie<strong>der</strong>erstandenen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n neu<br />

gestaltet, infolge <strong>der</strong> Kulturhoheit <strong>der</strong><br />

deutschen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong> mit deutlichen<br />

Unterschieden. In Sachsen – auf<br />

sächsischem Territorium hatten Ende<br />

<strong>der</strong> 1980er Jahre, als die DDR kollabierte,<br />

nicht weniger als 22 Institutionen<br />

das Promotionsrecht – gab es<br />

beson<strong>der</strong>s viel zu tun, um demokratische<br />

Hochschulstrukturen aufzubauen.<br />

Markierungspunkte auf dem Weg<br />

<strong>der</strong> Hochschulerneuerung wurden<br />

gesetzt mit dem Hochschulerneuerungsgesetz<br />

vom 25. Juli 1991, dem<br />

Hochschulstrukturgesetz vom 10.<br />

April 1992 und schließlich mit dem<br />

Gesetz über die Hochschulen im Freistaat<br />

Sachsen vom 4. Aug. 1993. Es<br />

trat am 3. Okt. 1993, dem Tag <strong>der</strong><br />

Deutschen Einheit, in Kraft und legte<br />

das rechtliche Fundament für Hochschulen,<br />

in denen sich die <strong>Freiheit</strong> von<br />

Kunst und <strong>Wissenschaft</strong>, von Lehre<br />

und Forschung wie<strong>der</strong> verwirklichen<br />

sollte. Die neu eingerichteten fünf<br />

sächsischen Fachhochschulen durften<br />

den Diplomgrad mit dem Zusatz<br />

Fachhochschule (FH) vergeben. Die<br />

vier sächsischen Universitäten erhielten<br />

das Promotions- und Habilitationsrecht,<br />

und sie verliehen als erste<br />

akademische Grade den Diplomgrad<br />

und den Magistergrad.<br />

In den 1990er Jahren scheint an den<br />

deutschen Universitäten niemand<br />

wahrgenommen zu haben, daß eine<br />

neue Gefahr für ein wohlgeglie<strong>der</strong>tes<br />

deutsches Universitäts- und Fachschulsystem<br />

und für die wie<strong>der</strong>gewonnene<br />

<strong>Freiheit</strong> von Forschung und<br />

Lehre heraufzog, diesmal aber für alle<br />

deutschen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>. Die Top-<br />

Wirtschaftsmanager <strong>der</strong> Großindustrie<br />

starteten seinerzeit einen Feldzug<br />

gegen die deutsche Hochschultradition.<br />

Sie stellten fest, daß die Län<strong>der</strong><br />

Europas raschen und radikalen Transformationsprozessen<br />

– in politischer,<br />

ökonomischer und so zialer Hinsicht –<br />

unterworfen seien, <strong>der</strong>en Än<strong>der</strong>ungsschrittmaß<br />

sich enorm beschleunige.<br />

Dies werde erzwungen durch die wirtschaftlichen<br />

Zwänge infolge des globalen<br />

Handels, <strong>der</strong> globalen Politik<br />

und <strong>der</strong> unmittelbaren weltweiten<br />

Anwendung von völlig neuen Technologien.<br />

Die europäische Wirtschaft<br />

habe auf diese Herausfor<strong>der</strong>ung rasch<br />

und erfolgreich reagiert, das Bild -<br />

ungs wesen aber reagiere zu langsam<br />

und hinke hinterdrein. Deshalb meinten<br />

die Wirtschaftsmanager, einschreiten<br />

zu müssen, um eine massive<br />

Umstruk turierung des gesamten deutschen<br />

Bildungswesens zu bewirken,<br />

von <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>krippe über Kin<strong>der</strong>gärten,<br />

Schulen und Universitäten bis zu<br />

Fortbildungseinrichtungen für Erwerbs -<br />

tätige.<br />

Bekannte Top-Manager deutscher<br />

Konzerne<br />

Bertelsmann (vertreten durch Mark<br />

Wössner), Siemens (vertreten durch<br />

Heinrich von Pierer), Friedrich Krupp<br />

(vertreten durch Gerhard Cromme),<br />

Robert Bosch (vertreten durch Marcus<br />

Bierich), Daimler-Benz (vertreten<br />

durch Edzard Reuter), Bayer (vertreten<br />

durch Manfred Schnei<strong>der</strong>) u. a.<br />

versammelten sich am Europäischen<br />

Runden Tisch <strong>der</strong> Großindustriellen<br />

(European Round Table of Industrialists,<br />

ERT) und publizierten im Februar<br />

1995 einen 33-seitigen Bericht<br />

„Education for Europeans – Towards<br />

the Learning So ciety“, in dem sie ihr<br />

bildungspo li ti sches Konzept darlegen:<br />

Auf die Vorschulerziehung soll eine<br />

9–10jährige Einheitsschule folgen,<br />

anschließend 2–3 Jahre zur Vermittlung<br />

einer vertieften Allgemeinbildung<br />

o<strong>der</strong> einer beruflichen Ausbildung.<br />

Damit soll ein bestimmter Prozentsatz<br />

<strong>der</strong> jungen Leute bereits „fit<br />

für den ersten Job“ sein, während die<br />

an<strong>der</strong>en zuvor noch eine Hochschulausbildung<br />

durchlaufen sollen. Die<br />

wesentlichen Zielstellungen <strong>der</strong> Großindustriellen<br />

lauteten:<br />

vollständige Abstimmung <strong>der</strong> Studieninhalte<br />

auf die Bedürfnisse <strong>der</strong><br />

europäischen Wirtschaft,<br />

einheitliche Bildungsstandards in<br />

ganz Europa,<br />

in allen europäischen Län<strong>der</strong>n kompatible<br />

Abschlüsse, die in den<br />

neuen, sich än<strong>der</strong>nden Arbeitsumgebungen<br />

von Wert sind,<br />

Vermittlung von sogenannten<br />

Schlüsselqualifikationen (interpersonal<br />

skills),<br />

Modularisierung <strong>der</strong> Studiengänge,<br />

bessere Kooperation zwischen Hoch -<br />

schulen und Industrie.<br />

In Deutschland setzte sich vor allem<br />

<strong>der</strong> Bertelsmann-Konzern in herausra-<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


gen<strong>der</strong> Weise für eine tiefgreifende und<br />

nach haltige Umgestaltung des deutschen<br />

Bildungssystems ein. Schon im<br />

September 1993 hatte Reinhard Mohn<br />

den BWL-Professor Detlef Müller-<br />

Böling nach Gütersloh bestellt und ihn<br />

mit dem Aufbau und <strong>der</strong> Leitung eines<br />

Centrums für Hochschulentwicklung<br />

(CHE) beauftragt. Das CHE wurde am<br />

1. Mai 1994 in Gütersloh von <strong>der</strong> Bertelsmann-Stiftung<br />

im Benehmen mit <strong>der</strong><br />

Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als<br />

gemeinnützige GmbH gegründet. Das<br />

CHE versteht sich als „Reformwerkstatt“<br />

für das deutsche Hochschulwesen.<br />

Mittels Projekten für Ministerien,<br />

Beratungen von Hochschulleitungen,<br />

vergleichende Studien und Hochschulrankings<br />

nimmt das CHE starken Einfluß<br />

auf das deutsche Hochschulwesen.<br />

Als Leitbild pro pagiert das CHE eine<br />

„entfesselte“ Einheitshochschule, die<br />

autonom, wissenschaftlich, profiliert,<br />

wettbewerbsfähig, wirtschaftlich, international<br />

und den neuen Medien gegenüber<br />

aufgeschlossen sein soll. 11<br />

Bologna-Prozeß<br />

In diesem Sinne wurde auch <strong>der</strong> sogenannte<br />

Bologna-Prozeß in Deutschland<br />

instrumentalisiert. Dieser Prozeß war<br />

im <strong>Juni</strong> 1999 durch eine Erklärung, die<br />

die Bildungsminister von 29 europäischen<br />

Län<strong>der</strong>n in Bologna unterzeichneten,<br />

ins Leben gerufen worden. Es<br />

ging den Unterzeichnern darum, bis<br />

zum Jahre 2010 einen Europäischen<br />

Hochschulraum (wörtlich: European<br />

Higher Edu cation Area) zu schaffen und<br />

den Bildungsstandort Europa im globalen<br />

Wettbewerb gut zu positionieren.<br />

Zitat: „Wir verpflichten uns hiermit,<br />

diese Ziele – im Rahmen unserer institutionellen<br />

Kompetenzen und unter uneingeschränkter<br />

Achtung <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong><br />

Kulturen, <strong>der</strong> Sprachen, <strong>der</strong> nationalen<br />

Bildungssysteme und <strong>der</strong> Autonomie<br />

<strong>der</strong> Universitäten – umzusetzen, um den<br />

europäischen Hochschulraum zu festigen.“<br />

In Deutschland vermittelte man<br />

in den Jahren <strong>der</strong> rot-grünen Regierungskoalition<br />

mit Frau Edelgard Buhlman<br />

als <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esbildungsministerin<br />

in <strong>der</strong> deutschen Öffentlichkeit einen<br />

irreführenden Ein druck: <strong>der</strong> Bologna-<br />

Prozeß sei eine völkerrechtlich<br />

beschlossene Sache und erfor<strong>der</strong>e die<br />

verbindliche Einführung des Bachelor-<br />

/Mastersystems, um international vergleichbar<br />

zu sein. Beide Aus sagen sind<br />

falsch. Die Termini Bachelor und<br />

Master spielen in den offiziellen Bologna-Dokumenten<br />

gar keine Rolle.<br />

Die Absicht, die deutschen akademischen<br />

Grade durch die Grade eines<br />

Bachelors, eines Masters und – wenn<br />

man die Promotion hinzunimmt –<br />

eines Ph. D. (d. h., des mittelalterlichen<br />

Philosophiae Doctor, im angloamerikanischen<br />

Sprachraum heute<br />

ausgeschrieben als „Doctor of philosophy“)<br />

zu ersetzen, wirft ein entlarvendes<br />

Licht auf die geistige Verfaßtheit<br />

<strong>der</strong> deutschen Gesellschaft: würdelose<br />

Verabschiedung von <strong>der</strong><br />

deutschen Universitätstradition, Miß -<br />

achtung <strong>der</strong> deutschen Hochschulgeschichte<br />

und Preisgabe <strong>der</strong> deutschen<br />

<strong>Wissenschaft</strong>ssprache.<br />

Der „Bachelor-Grad“, <strong>der</strong> sprachlich<br />

auf den mittelalterlichen Baccalaureus<br />

zurückgeht, ist heute im angloamerikanischen<br />

Sprachraum keineswegs mit<br />

einer wohldefinierten Bedeutung verbunden.<br />

In Großbritannien handelt es<br />

sich zwar häufig um einen berufsbefähigenden<br />

Abschluß, aber nur für ein sehr<br />

schmales Betätigungsfeld. In den USA<br />

hingegen bescheinigt <strong>der</strong> Bachelor-<br />

Grad in <strong>der</strong> Regel keine Berufsfähigkeit,<br />

son<strong>der</strong>n die Studierfähigkeit für<br />

ein wissenschaftliches Studium. Hinzu<br />

kommt, daß das Wort „Bachelor“ im<br />

Englischen heute vor allem in <strong>der</strong> allgemeineren<br />

umgangssprachlichen Bedeutung<br />

von „Junggeselle“ benutzt wird.<br />

Ein „eligible bachelor“ ist ein „begehrter<br />

Junggeselle“, wie sich ihn Schwiegermütter<br />

in spe gern wünschen. Ein<br />

„confirmed bachelor“ ist nicht etwa ein<br />

„baccalaureus confirmatus“, son<strong>der</strong>n<br />

man bezeichnet dadurch einen „eingefleischten<br />

Junggesellen“, <strong>der</strong> vermutlich<br />

schwul ist.<br />

Ich halte es für unpassend, daß die deutschen<br />

Protagonisten des Bologna-Prozesses<br />

den jungen deutschen Frauen<br />

nach einem erfolgreichen Studium ein<br />

solches Etikett anheften wollen, und ich<br />

frage mich, warum die Frauenbeauftragten<br />

<strong>der</strong> deutschen Hochschulen, die<br />

Verantwortlichen für das Gleichstellungsmanagement,<br />

die zahlreichen<br />

Gen<strong>der</strong>-Professorinnen, die Organisatoren<br />

von Gen<strong>der</strong>-Trainings, die hochschulpolitischen<br />

Aktivisten eines Integrativen<br />

Gen<strong>der</strong>ings, ... nicht protestieren.<br />

Sie bemühen sich nicht einmal um<br />

eine weibliche grammatische Form des<br />

propagierten neu-deutschen akademischen<br />

Grades Bachelor.<br />

Auch den „Master“ gibt es nur in <strong>der</strong><br />

maskulinen englischen Variante. Der<br />

etymologische Ursprung fällt mit dem<br />

des deutschen Wortes „Meister“ zusammen.<br />

12 Der deutsche „Meister“ und die<br />

deutsche „Meisterin“ stehen in<br />

Deutschland seit Jahrhun<strong>der</strong>ten jedoch<br />

für eine an<strong>der</strong>sgeartete hervorragende<br />

berufliche Qualifikation. Handwerksmeister<br />

und Werkmeister sind in <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen arbeitsteiligen Gesellschaft<br />

nicht weniger wichtig und sollten nicht<br />

weniger geachtet werden als akademisch<br />

Zertifizierte. Auch das Kapitalvermögen<br />

und das monatliche Einkommen<br />

<strong>der</strong> tüchtigen Meister und Meisterinnen<br />

liegen oft höher als beim Gros<br />

<strong>der</strong> deutschen Akademiker.<br />

So mutet es grotesk an, wenn deutsche<br />

Bildungspolitiker den deutschen Di -<br />

plomgrad, <strong>der</strong> seit Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

zu einem international wohlbekannten<br />

und geschätzten Markenzeichen<br />

für das deutsche Hochwesen<br />

geworden ist, durch einen verballhornten<br />

Meistergrad ersetzen wollen.<br />

Nicht einzusehen ist auch, warum en -<br />

gagierte „Reformer“ die aussagekräftigen<br />

deutschen Doktorgrade wie Dr.-<br />

Ing., Dr. rer. nat., Dr. rer. pol. usw. durch<br />

einen in Deutschland längst ad acta<br />

gelegten Titel „Ph. D.“, <strong>der</strong> aus dem<br />

Mittelalter stammt, ersetzen wollen.<br />

Vielleicht meinen Sie, lieber Leser,<br />

mich be schwichtigen zu sollen: Man<br />

brauche die aktuelle Hochschulsituation<br />

doch nicht „cum studio et ira“ (mit Eifer<br />

und Zorn) zu erörtern, schließlich<br />

werde keine Suppe so heiß gegessen,<br />

wie sie gekocht wird. Die angloamerikanischen<br />

Namen seien doch Nebensache,<br />

allein auf die Inhalte komme es an.<br />

Wenn Sie so argumentieren, so verkennen<br />

Sie m. E. die tiefgreifende und weitreichende<br />

Bedeutung von Namen und<br />

Bezeichnungen. Wilhelm von Humboldt<br />

schrieb: „Der Mensch denkt, fühlt<br />

und lebt allein in <strong>der</strong> Sprache und muß<br />

durch sie erst gebildet werden.“ Und<br />

Martin Heidegger (1889–1976) lehrte:<br />

„Die Sprache ist das Haus des Seins. In<br />

ihrer Behausung wohnt <strong>der</strong> Mensch.<br />

Die Denkenden und Dichtenden sind<br />

die Wächter <strong>der</strong> Behausung.“<br />

Mit den neu-deutschen Graden „Bachelor,<br />

Master und Ph. D.“ wird <strong>der</strong> deutschen<br />

studierenden Jugend <strong>der</strong> Weg in<br />

ihre angestammte akademische Behausung<br />

versperrt. Die neuen Namen für<br />

Hochschulabschlüsse erleichtern eine<br />

Pseudoamerikanisierung <strong>der</strong> deutschen<br />

Hochschulen. Seit eh und je weiß man<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 13


um die schicksalhafte Vorbedeutung<br />

von Namen: „Nomen est omen“ – hinterließen<br />

uns die alten Römer als geflügeltes<br />

Wort. In unserem Zusammenhang<br />

trifft eine Formulierung von Ovid<br />

(43 v. Chr. – 17 n. Chr.) den Nagel auf<br />

den Kopf: „Nomina sunt ipso paene<br />

timenda sono“, zu deutsch: „Die Namen<br />

sind fast schon durch ihren Klang zu<br />

fürchten.“<br />

1<br />

Gordontzi Leff: Das Trivium und die drei Philosophien.<br />

In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte<br />

<strong>der</strong> Universität in Europa. Band I: Mittelalter,<br />

Beck, München 1993, ISBN 3-406-36952-9, S.<br />

279-302.<br />

2 John North: Das Quadrivium. In: Walter Rüegg<br />

(Hrsg.): Geschichte <strong>der</strong> Universität in Europa.<br />

Baden-Württemberg<br />

Abitur muß Studierfähigkeit<br />

garantieren<br />

„Der fachwissenschaftliche Anteil muß<br />

im Studium für das Lehramt an Gymnasien<br />

grundsätzlich Priorität haben und<br />

in seinem zeitlichen und inhaltlichen<br />

Umfang deutlich über dem des erziehungswissenschaftlichen<br />

Anteils liegen,<br />

um die Qualität und das Anspruchsniveau<br />

gymnasialer Bildung weiterhin zu<br />

gewährleisten“. Diese For<strong>der</strong>ung erhebt<br />

<strong>der</strong> Landesvorsitzende des Philologenverbandes<br />

Baden-Württemberg (PhV<br />

BW), Bernd Saur.<br />

Das bestandene Abitur muß nach Auffassung<br />

des Philologenverbandes eine verläßliche<br />

Garantie für die Studierfähigkeit<br />

sein und bleiben. „Wir verkennen nicht<br />

die Bedeutung <strong>der</strong> Erziehungswissenschaften,<br />

eine Kürzung <strong>der</strong> fachwissenschaftlichen<br />

Ausbildung für Gymnasiallehrer<br />

darf es jedoch nicht geben“, so<br />

Saur. Eine gleichwertige Gewichtung<br />

von Erziehungs- und Fachwissenschaften<br />

lehnt <strong>der</strong> Philologenverband ebenso<br />

ab wie eine massive Verlagerung fachdidaktischer<br />

und pädagogisch-erziehungswissenschaftlicher<br />

Inhalte von <strong>der</strong> zwei-<br />

Band I: Mittelalter, Beck, München 1993, ISBN<br />

3-406-36952-9, S. 303-320.<br />

3 J.-J.Rousseau, OEuvres complètes, hg. von B. Gagnebin<br />

und M. Raymond, Bd.III, p.620, Paris 1964<br />

4 Geschichte <strong>der</strong> Universität in Europa, Hg. Von<br />

Walter Rüegg, Band III: Vom 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

zum Zweiten Weltkrieg, Verlag C.H. Beck, München<br />

2004<br />

5 Lorey, W.: Felix Klein. Leopoldina. Berichte <strong>der</strong><br />

Kaiserlichen Deutschen Akademie <strong>der</strong> Naturforscher<br />

in Halle, 1 (1926), S. 149<br />

6 Nachfolgeeinrichtungen: Sächsische Technische<br />

Hochschule (1918), Technische Hochschule<br />

Dresden (1946), Technische Universität Dresden<br />

(1961)<br />

7 Festschrift 125 Jahre Technische Hochschule<br />

Dresden, Dresden 1953, S. 41<br />

Das Anspruchsniveau gymnasialer Bildung<br />

gewährleisten!<br />

ten in die erste Phase <strong>der</strong> Lehrerbildung.<br />

Im übrigen sei es völlig unklar, wer die<br />

vermehrte Fachdidaktik an <strong>der</strong> Universität<br />

lehren solle. Der PhV plädiert deshalb<br />

für ein zweijähriges Referendariat, in<br />

dem die Fachdidaktik einen sinnvollen<br />

und angemessenen Platz hätte.<br />

Beibehaltung des Staats -<br />

examens wird begrüßt<br />

Begrüßt wird vom Philologenverband,<br />

daß das Staatsexamen auch künftig<br />

erhalten bleiben soll. „Denn“, so PhV-<br />

Chef Saur, „das Kultusministerium muß<br />

über die Inhalte <strong>der</strong> Studienordnungen<br />

und über die Prüfungsaufsicht seinen<br />

Einfluß und seine Gestaltungsmöglichkeiten<br />

auf die Lehrerbildung behalten.“<br />

Kritisch beurteilt <strong>der</strong> Verband hingegen,<br />

daß die wissenschaftliche Arbeit, also die<br />

Abschlußarbeit <strong>der</strong> ersten Phase <strong>der</strong><br />

Gymnasiallehrerausbildung, künftig we -<br />

niger als zehn Prozent zur Gesamtnote<br />

des ersten Staatsexamens beitragen soll.<br />

Der Philologenverband for<strong>der</strong>t daher, in<br />

die Abschlußprüfung nicht nur mündliche,<br />

son<strong>der</strong>n auch schriftliche Teile aufzunehmen.<br />

8 Meyers Konversationslexikon, 15. Band, Stichwort<br />

„Technische Hochschulen“, Verlag des<br />

bibliograph. Instituts 1890<br />

9 Personal- und Vorlesungsverzeichnis <strong>der</strong> TH<br />

Dresden, Studienjahr 1955/56, S.17.<br />

10 Veröffentlicht im DDR-Gbl.II (1968)<strong>Nr</strong>.127,<br />

S. 1004<br />

11 D. Müller-Böling: Die entfesselte Hochschule.<br />

Verlag Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2000<br />

12 Aus dem lateinischen magister entstanden meistar<br />

(ahd.), mêstar (altsächs.), meister (mhd.),<br />

master (engl.), maestro (ital.) und maître<br />

(franz.). �<br />

Korrespondenzadresse siehe Seite 31.<br />

Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) bezieht Position zur geplanten neuen Prüfungsordnung<br />

für angehende Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien.<br />

14<br />

Das Praxissemester, das stärker gewichtet<br />

werden soll, darf aus PhV-Sicht<br />

keine „Auslesefunktion“ besitzen. „Es<br />

muß vielmehr die Studierenden auf<br />

ihren Beruf hin orientieren“, betont<br />

Saur. Lehramtsstudenten müßten aber<br />

auch die Möglichkeit haben, zu experimentieren<br />

und Erfahrungen zu sammeln.<br />

Kritik am „Orientierungspraktikum“<br />

Heftige Kritik übt <strong>der</strong> Philologenverband<br />

an <strong>der</strong> geplanten Einführung eines verpflichtenden<br />

zweiwöchigen „Orientierungspraktikums“.<br />

„Was für einen sinnvollen<br />

Ertrag soll ein solches Orientierungspraktikum<br />

bringen“, fragt Saur und<br />

bezweifelt, daß jene Studienanfänger, die<br />

noch nicht über erfor<strong>der</strong>liche fachliche<br />

Kenntnisse verfügten, bereits angeleiteten<br />

o<strong>der</strong> selbstständigen Unterricht halten<br />

könnten. Hingewiesen wurde darauf,<br />

daß Gymnasien bereits heute mit <strong>der</strong><br />

Betreuung von Referendaren und Praktikanten<br />

sehr stark belastet sind.<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


Berlin<br />

Durch Leistung dem Land eine Zukunft geben!<br />

Gerhard Schmid: „Schluß mit den linken Bildungsexperimenten mit Schülern, Eltern und Lehrkräften!<br />

– Berlin braucht ein konsequent leistungsbezogenes Schulsystem“.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> Berliner Schulen zeichnen<br />

sich ungewöhnliche Entwicklungen<br />

ab, die über Berlin hinaus für Verwun<strong>der</strong>ung<br />

sorgen und teilweise auf strikte<br />

Ablehnung stoßen.<br />

In einer Pressemitteilung vom 25. Mai<br />

<strong>2009</strong> äußert sich Gerhard Schmid,<br />

Oberschulrat in Berlin-Friedrichshain-<br />

Kreuzberg, als Regionalbeauftragter<br />

des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

für Berlin und Brandenburg folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Mehr Sitzenbleiber in <strong>der</strong> Grundschule<br />

zum Schuljahr <strong>2009</strong>/10 statt erfolgreicher<br />

För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n aus Mi -<br />

grantenfamilien und aus bildungsfernen<br />

Schichten in den Kin<strong>der</strong>tagesstätten und<br />

in <strong>der</strong> zweijährigen Schulanfangsphase<br />

in Berlin, so hieß es Ende letzter Woche<br />

in <strong>der</strong> Berliner Presse. Jedes sechste<br />

Kind rückt nicht in die 3. Klasse auf,<br />

bleibt also sitzen. Damit bewies sich<br />

einmal mehr die These, daß das im Jahr<br />

2004 verabschiedete neue Schulgesetz<br />

mit seinen ideologischen, unrealistischen<br />

und unprofessionellen Intentionen,<br />

Zielen und Reformen scheitern<br />

wird.<br />

Genauso wird es mit <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit geplanten<br />

Reform <strong>der</strong> Schulstruktur gehen,<br />

mit Abschaffung <strong>der</strong> Hauptschulen,<br />

Realschulen und <strong>der</strong> Gesamtschulen<br />

und z. B. <strong>der</strong> Abschaffung des Sitzenbleibens<br />

in <strong>der</strong> Sekundarstufe I und an<br />

den Gymnasien. Es muß endlich Schluß<br />

sein mit den linken Bildungs-Experimenten<br />

mit Schülern, Eltern und Lehrkräften!<br />

Als Alternative bietet sich ein konsequent<br />

leistungsbezogenes Schulsystem<br />

in Berlin an: Damit wäre eine durchgreifende<br />

Verbesserung <strong>der</strong> schulischen<br />

Ergebnisse in Berlin zu erreichen, um<br />

unseren Kin<strong>der</strong>n, unserer Jugend und<br />

damit unserem Land wirklich eine<br />

Zukunft zu geben – und nicht mit ideologisch<br />

begründeter Gleichmacherei<br />

o<strong>der</strong> mit Reformstückwerken. Bildungsreformen<br />

haben sich an den<br />

Bedürfnissen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und an <strong>der</strong><br />

gesellschaftlichen Realität zu orientie-<br />

ren und nicht an pädagogischen Utopien<br />

und ihrer unprofessionellen Umsetzung.“<br />

Berliner Schule – die Alternative:<br />

Grundstruktur eines leistungsbezogenen<br />

Schulsystems<br />

„Ich trete ein für einen konsequent,<br />

überzeugend leistungsorientierten Über -<br />

gang nach <strong>der</strong> 4. Klasse in die Gymnasien<br />

und Realschulen und – unter <strong>der</strong><br />

Voraussetzung, daß dort gymnasial- und<br />

realschulbefähigte Schüler mit über 2/3<br />

übergehen, – auch in die Gesamtschulen<br />

(o<strong>der</strong> Gemeinschaftsschulen o<strong>der</strong> Se -<br />

kundarschulen). Der Übergang wird<br />

u. a. abhängig gemacht von Überprüfungsarbeiten<br />

vor dem 1. Februar jeden<br />

Jahres mit externer Aufsicht und Korrektur.<br />

Jeweils am 1. Februar jeden Jahres<br />

steht fest, welcher Schüler wohin<br />

kann. Die Lehrerversorgung mit verbeamteten<br />

Lehrkräften kann dann rechtzeitig<br />

gesichert werden.<br />

Zwei Jahre vor Eintritt in die Grundschule<br />

werden die Schüler vor allem<br />

auch mit ihren Sprachkenntnissen getestet,<br />

nachdem die Kitas bereits kontrolliert<br />

(Einrichtung einer Kita-Aufsicht,<br />

auch über die in freier Trägerschaft)<br />

intensiv Sprachför<strong>der</strong>ung betrieben ha -<br />

ben. Wer hier För<strong>der</strong>bedarf hat, muß vor<br />

Schuleintritt mindestens eine einjährige<br />

Vorschule besuchen. Nach Schuleintritt<br />

bei so geringen Deutschkenntnissen,<br />

daß eine Alphabetisierung noch nicht<br />

erfolgreich durchgeführt werden kann,<br />

wird das erste Schuljahr in Form einer<br />

Sprachlernklasse absolviert.<br />

Die sechsjährige Grundschule wird in<br />

den 5. und 6. Klassen überzeugend für<br />

die För<strong>der</strong>ung ausgebaut, so daß potentiell<br />

fähige Schüler noch zur 7. Klasse<br />

in die Realschulen und Gymnasien<br />

übergehen können. Die an<strong>der</strong>en gehen<br />

an die Haupt- und Gesamtschulen mit<br />

konsequenter beruflicher und praktischer<br />

Orientierung mit den entsprechenden<br />

Lehrplänen. Begabte Kin<strong>der</strong> aus<br />

Migrantenfamilien bzw. aus bildungsfernen<br />

deutschen Familien können nach<br />

einem Test in Gymnasien beson<strong>der</strong>er<br />

pädagogischer Prägung übergehen.<br />

Diese Schüler erhalten in Deutsch und<br />

im Fachunterricht in <strong>der</strong> 7. Klasse eine<br />

beson<strong>der</strong>e För<strong>der</strong>ung und können die 7.<br />

Klasse ohne Anrechnung auf ihre persönlichen<br />

Schulbesuchsjahre wie<strong>der</strong>holen<br />

o<strong>der</strong> müssen bei weiterer Nichteignung<br />

nach entsprechenden Tests zur<br />

Realschule, Gesamtschule o<strong>der</strong> Hauptschule<br />

wechseln.<br />

Schon ab den 3. Klassen werden an den<br />

Grundschulen beson<strong>der</strong>s leistungs- und<br />

interessensbezogene Klassen nach Ab -<br />

schluß <strong>der</strong> Alphabetisierung mit För<strong>der</strong>ung<br />

von leistungsschwachen, leistungsstarken<br />

und normal befähigten<br />

Schülern eingerichtet.<br />

Die Schulleiter- und Lehrerleistungen<br />

werden von einer entsprechend befähigten<br />

Schulaufsicht – auch hier müßte sich<br />

viel än<strong>der</strong>n – gesichert einer beson<strong>der</strong>en<br />

Beobachtung unterworfen bezüglich ihrer<br />

Unterrichts- und Erziehungsqualität (und<br />

Verwaltungs- und Führungsbefähigung)<br />

mit eventuellen Sanktionen bei Min<strong>der</strong>leistung.<br />

Technische Kräfte und Verwaltungspersonal,<br />

wie Schulsekretärinnen<br />

und Hausmeistermitarbeiter, entlasten<br />

das pädagogische Personal. Jugendhilfe<br />

und Schulpsychologie werden mit ihrem<br />

Personal überwiegend an den Schulen<br />

angesiedelt und dort eingesetzt und residieren<br />

nicht in Verwaltungsgebäuden.<br />

Mit dieser Schulreform wäre eine<br />

durchgreifende Verbesserung <strong>der</strong> schulischen<br />

Ergebnisse in Berlin zu erreichen,<br />

um unseren Kin<strong>der</strong>n, unserer<br />

Jugend und damit unserem Land wirklich<br />

eine Zukunft zu geben – und nicht<br />

mit ideologisch begründeter Gleichmacherei<br />

o<strong>der</strong> mit Reformstückwerken“.<br />

Kontakt:<br />

Gerhard Schmid<br />

Mobil: 01 70-8 15 78 65<br />

<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Oberschulrat Gerhard Schmid<br />

Regionalbeauftragter für Berlin<br />

und Brandenburg<br />

E-Mail: ger-schmid@web.de<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 15


Bremen<br />

Abkehr vom längeren gemeinsamen Lernen?<br />

Künftig stehen nach <strong>der</strong> vierjährigen Grundschule nur noch zwei Schultypen zur Auswahl:<br />

Oberschule und Gymnasium.<br />

Bericht über die aktuelle Schulpolitik in Bremen<br />

Eine komplizierte Gemenge- und Stimmungslage<br />

Das an bildungspolitischer Experimentierfreudigkeit wahrlich nicht unterentwickelte kleinste <strong>Bund</strong>esland ist um eine<br />

weitere Variante reicher, mit <strong>der</strong> Bremen wie<strong>der</strong> einmal als Vorreiter in dem Wettlauf um Prioritätenruhm den an<strong>der</strong>en<br />

<strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n vorauszueilen hofft.<br />

Am 23. April <strong>2009</strong> titeln die „Bremer<br />

Nachrichten“: „Neues Schulgesetz für<br />

Bremen", und die zweite, in Bremen<br />

ebenfalls führende Tageszeitung „Weser-<br />

Kurier“ geht in ein wesentliches Detail<br />

mit <strong>der</strong> Überschrift „Bremen löst För<strong>der</strong>zentren<br />

auf.“ Dazu heißt es dort:<br />

„Neues Gesetz: Künftig stehen nur noch<br />

zwei Schultypen zur Auswahl.“<br />

Der Gesetzesentwurf stellt geradezu<br />

einen Tabubruch dar. Seit <strong>der</strong> letzten<br />

Wahl zur Bürgerschaft, dem Landtag,<br />

2007, regiert in Bremen eine rot-grüne<br />

Koalition, die die „Große Koalition“<br />

abgelöst hat. Nach dem undogmatisch<br />

auftretenden Willi Lemke ist für das<br />

Schulressort Renate Jürgens-Pieper<br />

(ebenfalls SPD), vormals Lehrerin in<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen, zuständig. Ihr Mut ist zu<br />

bewun<strong>der</strong>n. Dieser Entwurf für ein<br />

neues Schulgesetz, als „Zwei-Säulen-<br />

Modell“ bezeichnet, wurde kürzlich in<br />

<strong>der</strong> Bildungsdeputation (Landtagsausschuß)<br />

mit den Stimmen von SPD,<br />

CDU (unter Vorbehalt), FDP und Grünen,<br />

nicht <strong>der</strong> Linken, verabschiedet;<br />

mit ihm wird Bremen bundesweit zum<br />

Vorreiter für ein Schulsystem, das radikal<br />

mit Bisherigem bricht. Der Gesetzesentwurf<br />

gilt sogar als überparteilicher<br />

Kompromiß, <strong>der</strong> zudem selbst bei<br />

wechselnden politischen Mehrheitsverhältnissen<br />

zehn Jahre halten, also mögliche<br />

Regierungswechsel überdauern<br />

sollte.<br />

Nach <strong>der</strong> Zustimmung durch die Bildungsdeputation<br />

hat im <strong>Juni</strong> die parlamentarische<br />

Beratung begonnen, die<br />

voraussichtlich nur noch zu geringfügigen<br />

Än<strong>der</strong>ungen des jetzt vorliegenden<br />

Gesetzestextes führen könnte. Mit <strong>der</strong><br />

Einrichtung dieses Modells reagiert die<br />

Bildungspolitik auf die bundesweite<br />

Straffung <strong>der</strong> Schulzeit, die das Abitur<br />

nach 8 Jahren ermöglichen soll, neben<br />

16<br />

<strong>der</strong> Option für die bisherigen 9 Jahre,<br />

wobei Abgänge vorher, mit entsprechenden<br />

Abschlüssen, vorgesehen sind.<br />

Der Gesetzesentwurf sieht nur noch<br />

zwei „gleichwertige Säulen“ vor, nämlich<br />

Gymnasium und Oberschule, beide<br />

durchgängig. Das Gymnasium soll in<br />

8 Jahren zum Abitur führen („Turbo-<br />

Abitur“), die Oberschule diejenigen, die<br />

bis zur letzten Klasse darin verbleiben,<br />

in 9 Jahren. Im Gespräch sind auch se -<br />

parate Klassen, in denen in <strong>der</strong> Oberschule<br />

Schüler unterrichtet werden, die<br />

nicht das Abitur anstreben. Zu den<br />

Beson<strong>der</strong>heiten des Modells gehört ferner,<br />

daß behin<strong>der</strong>te und nichtbehin<strong>der</strong>te<br />

Schüler (mit wenigen genau festgelegten<br />

Ausnahmen) gemeinsam unterrichtet<br />

werden sollen.<br />

Die Einführung <strong>der</strong> Regelungen nach<br />

dem Gesetzentwurf macht eine Reihe<br />

von Än<strong>der</strong>ungen gegenüber dem Ge -<br />

wohnten notwendig. Das in Bremen<br />

Jahrzehnte lang verbindliche Stufenschulsystem<br />

hat damit ausgedient, im<br />

Rahmen des bisherigen Systems bestehende<br />

Schulformen und Einrichtungen<br />

sollen abgeschafft o<strong>der</strong> zumindest so<br />

modifiziert werden, daß sie mit dem<br />

„Zwei-Säulen-Modell“ konform gehen.<br />

Eine Reihe von Än<strong>der</strong>ungen<br />

Die Sekundarschulen, in denen bisher<br />

Haupt- und Realschulen aufgegangen<br />

waren, erst im Zuge <strong>der</strong> letzten Bildungsreform<br />

kreiert, aber wegen <strong>der</strong><br />

Kürze <strong>der</strong> Erprobungszeit von keinem<br />

Schüler bisher vollständig durchlaufen,<br />

zuletzt von immer weniger Schülern<br />

angewählt und kurz vor dem Eingehen,<br />

sollen verschwinden. Die wenigen<br />

sechsjährigen Grundschulen, ebenfalls<br />

Resultat <strong>der</strong> letzten Bildungsreform,<br />

sollen – von Ausnahmen abgesehen –<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit angehören und durch<br />

vierjährige Grundschulen ersetzt werden.<br />

Die Schulzentren, von Bildungspolitikern<br />

in Bremen als das Aushängeschild<br />

hiesiger Bildungspolitik gepriesen<br />

und dem Konzept <strong>der</strong> Gesamtschule<br />

verpflichtet, werden unter dem neuen<br />

Etikett „Oberschule“ um gymnasiale<br />

Oberstufen erweitert und sollen<br />

gemeinsamen Unterricht für Hauptschüler,<br />

Realschüler und Gymnasiasten<br />

organisieren, also die Berufsbildungsreife,<br />

den mittleren Abschluß und das<br />

Abitur ermöglichen. Oberstufenzentren<br />

– eigenständige, auf das Konzept <strong>der</strong><br />

Stufenschule hin ausgerichtete Einrichtungen<br />

– fallen gleichfalls dem „Zwei-<br />

Säulen-Modell“ zum Opfer und sollen<br />

in einer <strong>der</strong> beiden Säulen aufgehen;<br />

Oberstufenzentren führten bislang Schüler<br />

<strong>der</strong> Klassen 11 bis 13, mit unterschiedlichen<br />

Profilen, aus benachbarten<br />

Stadtbezirken zusammen, nachdem sie<br />

dort nur bis zur 10. Klasse unterrichtet<br />

worden waren. Zukünftig sollen alle<br />

Oberschulen zum Abitur führen, entwe<strong>der</strong><br />

mit einer eigenen Oberstufe o<strong>der</strong> im<br />

Verbund mit an<strong>der</strong>en Oberschulen.<br />

Aufgelöst werden auch bisher bestehende<br />

„För<strong>der</strong>zentren“ (ganz früher Son<strong>der</strong>schulen<br />

genannt), mit Ausnahme <strong>der</strong><br />

Schulen für Behin<strong>der</strong>te (Schulen für<br />

Gehörlose, für Blinde und für Mehrfachbehin<strong>der</strong>te);<br />

geistig behin<strong>der</strong>te, kriminelle,<br />

gewalttätige und stark verhaltensauffällige<br />

Schüler sollen in „regionalen<br />

Unterstützungszentren“ nur noch<br />

zeitweilig untergebracht werden, wie<br />

jetzt bereits in Hamburg, und zwar bis<br />

zu einem halben Jahr. Die „Inklusion“,<br />

also die gemeinsame Unterrichtung von<br />

Kin<strong>der</strong>n mit und ohne Behin<strong>der</strong>ung,<br />

entspricht einer For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen aus dem Jahr 1994. Den<br />

Schulen solle allerdings mit <strong>der</strong>en Einführung<br />

Zeit gelassen werden, um Lehr-<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


kräfte entsprechend aus- und fortzubilden<br />

und an<strong>der</strong>e Rahmenbedingungen<br />

schaffen zu können. Dazu sind noch<br />

Übergangsregelungen vorgesehen. Es<br />

wird sogar die Einrichtung von Werkschulen<br />

mit eigenem Status an Oberschulen<br />

ins Gespräch gebracht, mit<br />

hohem Praxis-Anteil für solche Schüler,<br />

die sonst kaum zu einem Abschluß<br />

kämen.<br />

Knapp 20 Prozent aller Schüler sollen<br />

in Zukunft das Gymnasium besuchen,<br />

80 Prozent die Oberschule; es ist aber<br />

auch von <strong>der</strong> Aufteilung ein Drittel<br />

gegenüber zwei Dritteln die Rede. Die<br />

Zuweisung zu Oberschulen bzw. Gymnasien<br />

soll zukünftig nach Leistungskriterien<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage „bundesweiter<br />

Standards“ erfolgen.<br />

Eines <strong>der</strong> ehernen Prinzipien bremischer<br />

Schulpolitik, die Priorität des<br />

Elternwillens gegenüber <strong>der</strong> Schulempfehlung<br />

durch die abgebende<br />

Schule, soll grundsätzlich weiterhin<br />

gelten, jedoch bei <strong>der</strong> Entscheidung<br />

für überangewählte Gymnasien<br />

durch die Regelung <strong>der</strong> Zuweisung<br />

nach Leistungskriterien eine gewisse<br />

Einschränkung erfahren.<br />

Als noch zu bewältigendes organisatorisches<br />

Problem erweist sich die bisher<br />

schon sehr ungleiche Verteilung von<br />

Schülern unterschiedlicher Schulformen<br />

auf Stadtteile. Das neue Konzept<br />

soll vor allem dazu beitragen, leistungsfähige<br />

Schüler in ihrem Wohnstadtteil<br />

zu halten und den bisherigen Andrang<br />

zu den Innenstadtgymnasien aufzufangen,<br />

die in <strong>der</strong> Vergangenheit, ebenso<br />

wie einige <strong>der</strong> bestehenden Oberstufenzentren,<br />

erheblich stärkeren Zulauf<br />

gefunden haben als ungewohnte Schulstandorte.<br />

Der Idee <strong>der</strong> Gesamtschule,<br />

Leistungsstarke und Bildungsnahe mit<br />

Schwächeren und Bildungsfernen<br />

zusammen zu unterrichten, wird damit<br />

Rechnung getragen.<br />

Heftige Kämpfe<br />

Es überrascht nicht, daß nicht nur zwischen<br />

den Parteien in Bremen, son<strong>der</strong>n<br />

auch innerhalb <strong>der</strong> Parteien das zukünftige<br />

Schulgesetz heftig umkämpft ist.<br />

Hatte sich schon die Linke dem Vier-<br />

Parteien-Kompromiß, <strong>der</strong> gegen Jahresende<br />

2008 zustandekam, verweigert,<br />

und hatte die CDU nur mit Bedenken<br />

zugestimmt, so schied definitiv als erste<br />

die FDP aus dem Kompromiß des Parteienquartetts<br />

aus, sogar unter Auswechslung<br />

ihres Landesvorsitzenden.<br />

Dann kam es bei den Grünen über die<br />

Frage nach <strong>der</strong> Zulässigkeit von Mo -<br />

dellschulen und möglicher an<strong>der</strong>er<br />

Reformprojekte zum Streit mit den<br />

noch verbliebenen Partnern, aber<br />

schließlich ließ sich diese Partei wie<strong>der</strong><br />

„ins Boot holen“. (Wem fiele bei diesen<br />

Vorgängen nicht das heute aus Gründen<br />

politischer Correctness nicht mehr<br />

gesungene Kin<strong>der</strong>lied ein „... da<br />

waren’s nur noch drei ...“?) Auch in<br />

Zukunft bedarf das ehrgeizige Gesetzesvorhaben<br />

zu seiner endgültigen Realisierung<br />

noch mancher Kraftanstrengung<br />

(und in den Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Parteien,<br />

wie sich bereits gezeigt hat,<br />

mancher Selbstverleugnung).<br />

Mit großen Vorschußlorbeeren bedenkt<br />

jetzt die Bildungssenatorin, Renate Jürgens-Pieper,<br />

dieses System: Es sei<br />

„wegweisend für die <strong>Bund</strong>esrepublik“,<br />

„ein Meilenstein“; „Wir sind das einzige<br />

<strong>Bund</strong>esland, das einen Vorschlag für<br />

ein weitreichendes Gesetz hat“. „Für<br />

Deutschland ist das etwas Fortschrittliches.“<br />

Aber <strong>der</strong> Gesetzesentwurf<br />

scheint noch nicht „aus einem Guß“ zu<br />

sein; teilweise schmerzt „Dogmatiker“<br />

die schnelle Preisgabe von Positionen,<br />

parteiinterne Kritiker weisen auf Inkonsistenzen<br />

hin, teilweise dürften Gründe,<br />

die eher im Stadtstaat Bremen und seinen<br />

Problemen als primär in <strong>der</strong> Schulpolitik<br />

selbst liegen, die Umsetzung so<br />

wie geplant erschweren.<br />

In erster Linie stellt sich die Frage, wie<br />

das Land Bremen angesichts seiner<br />

finanziellen Situation das Projekt schultern<br />

kann. Zwar hofft Bremen darauf,<br />

mit Unterstützung durch die von <strong>der</strong><br />

Fö<strong>der</strong>alismuskommission zur Verfügung<br />

gestellten Mittel den Landeshaushalt<br />

dauerhaft zu konsolidieren; für eine<br />

für Bremen günstigere Verteilung <strong>der</strong><br />

verfügbaren Steuereinnahmen hat Bürgermeister<br />

Böhrnsen, <strong>der</strong> seine rotgrüne<br />

Koalition auch über die nächste<br />

Bürgerschaftswahl hinaus weiterführen<br />

möchte, wie ein Löwe gekämpft. Aber<br />

die Fülle <strong>der</strong> Aufgaben wird durch das<br />

ehrgeizige und auch finanziell an -<br />

spruchsvolle Reformprogramm im Bildungsbereich<br />

nicht gerade verringert.<br />

Dem Vernehmen nach wird bereits allen<br />

Ernstes im Haus des Bausenators (von<br />

den Grünen) die Schließung öffentlicher<br />

Toiletten in Erwägung gezogen,<br />

<strong>der</strong>en Funktion durch entsprechende<br />

Anlagen privater Händler o<strong>der</strong> Gastronomiebetriebe<br />

auf Vertragsbasis übernommen<br />

werden könnte.<br />

Harte Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

Immerhin gelten Bildung und Qualifizierungsmaßnahmen,<br />

sowie Sanierung<br />

des Haushalts als härteste Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

für das kleinste <strong>Bund</strong>esland.<br />

Bremen hat mehr als 15 Milliarden<br />

Euro Schulden, die Zinslast beträgt<br />

jährlich 600 Millionen Euro, mit steigen<strong>der</strong><br />

Tendenz. Der Armutsbericht des<br />

Senats weist dramatische Unterschiede<br />

zwischen den einzelnen Stadtteilen auf,<br />

was Arbeitslosigkeit, Armutsrisiko,<br />

Überschuldung, Inanspruchnahme von<br />

Sozialleistungen, mangelnde Integration,<br />

sprachliche Defizite anbetrifft. Be -<br />

vor die für Bremen deprimierenden<br />

PISA-Ergebnisse verkraftet waren, kam<br />

<strong>der</strong> nächste Schlag: <strong>der</strong> IGLU-Test zur<br />

Ermittlung <strong>der</strong> Lesefähigkeit von<br />

Grundschülern bescheinigt jedem fünften<br />

Viertklässler aus Bremen eine Lesefähigkeit,<br />

die nicht zum Besuch einer<br />

weiterführenden Schule ausreiche. Der<br />

Abstand zum nationalen Spitzenreiter<br />

Thüringen läuft auf etwa ein ganzes<br />

Jahr Lernrückstand hinaus.<br />

Über die Enttäuschung über den letzten<br />

Platz in <strong>der</strong> „Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung“<br />

(schlechter<br />

als Hamburg, beide <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong><br />

schwächer als <strong>der</strong> Durchschnitt <strong>der</strong> EU<br />

sowie <strong>der</strong> OECD) tröstet nur unzureichend<br />

<strong>der</strong> relative Erfolg, gegenüber<br />

2001 ein paar Punkte besser geworden<br />

zu sein. In Bremen stammt durchschnittlich<br />

je<strong>der</strong> zweite Schulanfänger<br />

aus einer Zuwan<strong>der</strong>erfamilie, manche<br />

Stadtteile kommen auf eine Zuwan<strong>der</strong>erquote<br />

von 90 Prozent o<strong>der</strong> sogar<br />

noch mehr. 15 Prozent aller Bremer<br />

Kin<strong>der</strong> nehmen <strong>der</strong>zeit vor <strong>der</strong> Einschulung<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung in Anspruch, <strong>der</strong><br />

Bedarf ist weitaus höher.<br />

Zukünftig will Bremen mehr Geld<br />

für verbindliche Sprachtests ausgeben<br />

und so die Qualität im Bildungssystem<br />

verbessern.<br />

Geradezu Verrat an dem Prinzip längeren<br />

gemeinsamen Lernens, als Alternative<br />

zu früher Zuweisung zu getrennten<br />

Bildungsgängen, bisher Kernanliegen<br />

<strong>der</strong> Bildungspolitik <strong>der</strong> Partner in <strong>der</strong><br />

jetzigen Koalition, wittern die gegen-<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 17


über Erfahrungen aus <strong>der</strong> widrigen Praxis<br />

beson<strong>der</strong>s Resistenten im Gesetzesentwurf,<br />

an<strong>der</strong>en geht er darin allerdings<br />

immer noch zu weit. Auf Kritik<br />

(z. B. des Personalrats Schulen) stößt<br />

„Leistungsdruck in Grundschulen“, <strong>der</strong><br />

im Gesetzesentwurf erkennbar sei. Um<br />

ihn zu entschärfen, war in den 1970er<br />

Jahren die für alle Schüler verbindliche<br />

Orientierungsstufe (Klassen 5 und 6)<br />

ein geführt worden. Manche finden da -<br />

her jetzt die Errungenschaften <strong>der</strong> Orientierungsstufe<br />

im Entwurf nicht wie<strong>der</strong>,<br />

an<strong>der</strong>e befürchten eine Rückkehr<br />

zur Orientierungsstufe mit ihrer Unterfor<strong>der</strong>ung<br />

für früh als leistungsfähig<br />

erkennbare Schüler und bemängeln zu<br />

spät einsetzendes Lernen, das zum<br />

Abitur hinführt, wenn die Schulzeit im<br />

Gymnasium auf 8 Jahre reduziert wird.<br />

Hinzu kommt, daß auch die wenigen<br />

„Ausnahme-Grundschulen“ mit 6jähriger<br />

Dauer des Schulbesuchs nicht<br />

„abgehängt“ werden, son<strong>der</strong>n die<br />

Chance haben sollen, ihre Absolventen<br />

trotz <strong>der</strong> um zwei Jahre reduzierten<br />

Schuldauer bis zum Abitur noch zu diesem<br />

Abschluß führen zu können. Hier<br />

be fürchten Kritiker, daß die lange aufrechterhaltene<br />

Durchlässigkeit sich<br />

gravierend zu Lasten <strong>der</strong> Entfaltung<br />

früh Lernwilliger und -fähiger auswirken<br />

dürfte.<br />

Kritik und offene Fragen<br />

Kritik kommt aber auch von <strong>der</strong> Vereinigung<br />

<strong>der</strong> Schulleiter in Bremen, die<br />

mangelnde Beteiligung <strong>der</strong> Schulpraktiker<br />

an den bisherigen Beratungen<br />

beklagt, ohne die Reformen nicht<br />

gelingen könnten; demgegenüber hebt<br />

die Schulaufsicht die Kontinuität hervor<br />

und verweist auf die Schulstandortplanung<br />

im Herbst <strong>2009</strong>. Da auf Kontinuität<br />

innerhalb <strong>der</strong> Lehrerkollegien<br />

gesetzt wird, und nach Möglichkeit in<br />

festen Teams Lehrer ihre Schüler bis<br />

zum Abitur führen sollen, stellt sich die<br />

Frage, wie man Lehrer einsetzen kann,<br />

die bisher keine Erfahrungen mit<br />

Abituranfor<strong>der</strong>ungen sammeln konnten.<br />

Der Zentralelternbeirat bemängelt<br />

das Fehlen einer langfristigen Entwicklungsperspektive<br />

und ver weigert vorerst<br />

seine Zustimmung zu dem Kompromißpapier.<br />

Vorbehalte kommen<br />

auch seitens <strong>der</strong> Fraktion <strong>der</strong> Linken<br />

und – wen würde es überraschen? – <strong>der</strong><br />

GEW: Insbeson<strong>der</strong>e die Begrenzung<br />

<strong>der</strong> Grundschule auf vier Jahre ist ein<br />

Stein des Anstoßes.<br />

18<br />

Vor allem die „Oberstufe“, „Angelpunkt“<br />

des Gesetzesentwurfs, wirft viele<br />

Fragen, nicht zuletzt organisatorischer<br />

Art, auf. Um die leistungsfähigen Schüler<br />

in <strong>der</strong> Nähe des Wohnbezirks zu halten<br />

und so die Sozialstruktur zu erhalten,<br />

ist vorgesehen, bestehende Mittelstufen<br />

um Oberstufen auszubauen. Um drei<br />

parallele Klassenverbände mit unterschiedlichen<br />

fachlichen Schwerpunkten,<br />

„Profilen“, anbieten zu können, braucht<br />

eine Oberstufe mindestens 85, besser 90<br />

Schüler. Manche vorgesehenen Oberstufen<br />

kommen bei weitem nicht auf die<br />

notwendigen Anmeldezahlen. Hier stehen<br />

sich Vorstellungen <strong>der</strong> Schulbehörde<br />

und Elternwille gegenseitig im Weg.<br />

Während zudem die Grünen die großen<br />

Oberstufenzentren mit <strong>der</strong> Begründung<br />

verteidigen, daß dort eine breitere Palette<br />

inhaltlicher Schwerpunkte angeboten<br />

werden könne, gilt die Schulsenatorin<br />

nicht als Anhängerin <strong>der</strong> großen Oberstufenzentren.<br />

Hinzu kommt, daß es<br />

eine genau festgelegte Anzahl von<br />

Gymnasien (mit angeglie<strong>der</strong>ter Oberstufe)<br />

geben soll, die von <strong>der</strong> Behörde<br />

bereits ausgewählt seien. So wird an<br />

manchen Schulen für den Erhalt <strong>der</strong><br />

bestehenden gymnasialen Struktur er -<br />

bittert ge kämpft. Den Fortbestand <strong>der</strong><br />

acht durchgängigen Gymnasien in Bremen<br />

nimmt die CDU für sich in An -<br />

spruch.<br />

Zu begründen, daß Einschränkungen<br />

des Elternwillens in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong><br />

Schulform unumgänglich seien, fällt<br />

jetzt schwer, nachdem in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

dem Elternwunsch gegenüber<br />

<strong>der</strong> Empfehlung <strong>der</strong> abgebenden Schule<br />

Priorität eingeräumt wurde. Dies hat<br />

ja zu mancher Fehlentwicklung ge -<br />

führt. Immerhin bleibt <strong>der</strong> Entscheidung<br />

<strong>der</strong> Eltern vorbehalten, ob ihr<br />

Kind nach 8 o<strong>der</strong> 9 Jahren gegebenenfalls<br />

das Abitur ablegen soll. Der relativ<br />

geringe Anteil an Abiturienten, die<br />

behördlicherseits für ein Gymnasium<br />

vorgesehen sind, könnte dazu führen,<br />

daß „Turbo-Abiturienten“ Oberschulen<br />

zugewiesen würden, sodaß im Unterricht<br />

nebeneinan<strong>der</strong> Schüler säßen, die<br />

teilweise nach 8, teilweise nach 9 Jahren<br />

das Abitur anstreben – organisatorisch<br />

ein schwer zu lösendes Problem. Für<br />

Oberschulen ohne eigene Oberstufe, so<br />

wird weiter befürchtet, bestünde zu -<br />

dem die Gefahr, von Leistungsstarken<br />

gemieden zu werden, wodurch es hier<br />

wie<strong>der</strong> zu einer Konzentration Leistungsschwacher<br />

käme.<br />

Selbstbewußte Privatschulen<br />

Ob die senatorische Behörde, angesichts<br />

<strong>der</strong> im Gesetzesentwurf erkennbaren<br />

Lockerung <strong>der</strong> bisher für unabdingbar<br />

gehaltenen Prinzipien eigener<br />

Schulpolitik, nun auch gegenüber Privatschulen<br />

einen weniger verkrampften<br />

Kurs fährt, bleibt abzuwarten. In<br />

Bremen blüht inzwischen, dank <strong>der</strong><br />

offiziell betriebenen Schulpolitik, ein<br />

Privatschulwesen, das sich seinen Status<br />

hart erkämpfen mußte. Wem nämlich<br />

für die eigenen Kin<strong>der</strong> (das gilt<br />

auch für Bildungspolitiker) das Bildungsangebot<br />

an staatlichen Schulen<br />

aus unterschiedlichen Gründen unzureichend<br />

erscheint, weicht, teilweise<br />

unter hohen finanziellen Opfern, auf<br />

Schulen in freier Trägerschaft, von<br />

Grundschulen bis zu Gymnasien, aus,<br />

z. B. auf die Evangelische Be -<br />

kenntnisschule, die Schule <strong>der</strong> katho -<br />

lischen Gemeinde St. Johann, die Waldorfschule,<br />

das Ökumenische Gymnasium.<br />

Argwohn brachten die staatlichen<br />

Behörden den privaten Initiativen entgegen,<br />

und die Hürden bis zur Einrichtung<br />

einer Schule in freier Trägerschaft<br />

sind in Bremen beson<strong>der</strong>s hoch.<br />

Die mittlerweile etablierten „Privatschulen“<br />

haben ihre jeweils eigene<br />

Geschichte, die sie indessen selbstbewußt<br />

gemacht hat. Aber selbst einer<br />

Schulbehörde, die mit Argwohn beabsichtigte<br />

Neugründungen verfolgt, fiel<br />

bis 2007 nicht auf, daß unbemerkt in<br />

einer ungenehmigten Grundschule<br />

14 Jahre lang 250 o<strong>der</strong> 300 Kin<strong>der</strong> –<br />

bei Verwandten o<strong>der</strong> außerhalb Bremens<br />

polizeilich gemeldet – unterrichtet<br />

wurden; erst durch Einführung<br />

eines Computerprogramms flog die<br />

Sache auf und rief großes Aufsehen<br />

hervor.<br />

Im übrigen bleibt abzuwarten, was –<br />

trotz <strong>der</strong> Ankündigung, den Gesetzesentwurf<br />

erfolgreich durch die parlamentarische<br />

Beratung zu bringen –<br />

letzten Endes davon im endgültigen<br />

Gesetzestext stehen bleibt und danach<br />

in <strong>der</strong> Unterrichtspraxis umgesetzt<br />

werden kann. Innerhalb <strong>der</strong> am Parteienkompromiß<br />

Beteiligten will ja keiner<br />

dem an<strong>der</strong>en allein den Erfolg<br />

überlassen – sofern <strong>der</strong> sich denn einstellen<br />

sollte. Und sonst? �<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Professor Dr. Gerhard Becker,<br />

Mo<strong>der</strong>sohnweg 25,<br />

28355 Bremen<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


Nordrhein-Westfalen<br />

Der gute Ruf <strong>der</strong> Kölner Wirtschaftswissenschaften in Frage gestellt<br />

Das Fach Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong> Universität zu Köln<br />

Von Hans Willgerodt und Christian Watrin<br />

I. Zur Ausgangssituation<br />

In jüngerer Zeit wurden die deutschen<br />

Universitäten mehrfach Reformen<br />

unter zogen, die in höchst verschiedene<br />

Richtungen gingen. Die Demokratisierungsgesetzgebung<br />

<strong>der</strong> sechziger und<br />

siebziger Jahre wird heutzutage abgelöst<br />

durch das Bologna-Programm. Es<br />

verän<strong>der</strong>t nicht nur tiefgreifend das<br />

Studium, son<strong>der</strong>n erzeugt im Zuge des<br />

Strebens nach sogenannter Excellenz<br />

auch weitreichende Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />

Binnenstruktur von Universitäten.<br />

Hierzu zählen die Bestrebungen, spezialisierte<br />

Forschungsgruppen zu bilden,<br />

die nicht nur die Forschung vorantreiben,<br />

son<strong>der</strong>n auch dem Renommee<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Universitäten dienen<br />

sollen.<br />

Den dadurch erzeugten Nebenwirkungen<br />

wird in <strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht die<br />

erfor<strong>der</strong>liche Aufmerksamkeit gewidmet.<br />

Da die verfügbaren Mittel immer<br />

knapp sind, müssen für die neuen<br />

Gruppierungen in jedem Fall zunächst<br />

und wahrscheinlich auf Dauer Mittel<br />

aus an<strong>der</strong>en Universitätsbereichen ab -<br />

gezogen werden, um diese in die angestrebten<br />

Forschungsrichtungen zu lenken.<br />

Die daraus resultierenden Folgen<br />

sollen an Hand eines Beispiels, nämlich<br />

des Faches Wirtschaftspolitik an<br />

<strong>der</strong> Universität zu Köln, verdeutlicht<br />

werden.<br />

Die Kölner Universität verfügt seit längerem<br />

über zwölf Professuren <strong>der</strong> Volkswirtschaftslehre.<br />

Dieses Fachgebiet hat<br />

in den letzten Jahrzehnten allgemein<br />

eine große Expansion erfahren. Es reicht<br />

heute von Fragen <strong>der</strong> Sozialphilosophie<br />

und Wirtschaftsethik bis hin zu zahlreichen<br />

neuen Ansätzen wie <strong>der</strong> experimentellen<br />

Ökonomik, <strong>der</strong> Verhaltensökonomik<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Theorie<br />

<strong>der</strong> Spiele – um nur weniges zu nennen.<br />

Von den insgesamt vorhandenen zwölf<br />

Stellen für volks wirtschaftliche Hochschullehrer<br />

soll jetzt die Hälfte vor allem<br />

auf Kosten des Faches Wirtschaftspolitik<br />

für ein Spezialfach umgewidmet werden.<br />

An wärter für diese Professuren werden<br />

zur Zeit berufen.<br />

Das Fach Wirtschaftspolitik haben bisher<br />

vor allem die Inhaber von drei Professuren<br />

des Wirtschaftspolitischen Se -<br />

minars in Forschung und Lehre vertreten.<br />

Durch Fakultätsbeschluß wurden<br />

bzw. werden jetzt diese Stellen eingezogen.<br />

In <strong>der</strong> gleichen Weise wird mit<br />

einer finanzwissenschaftlichen Professur<br />

und zwei weiteren volkswirtschaftlichen<br />

Professuren verfahren. Die so frei<br />

werdenden sechs Stellen sollen in einer<br />

„Gruppe Makroökonomie“ zu sam men -<br />

gefaßt werden. Das hat zur Folge, daß<br />

unter an<strong>der</strong>em das Fach Wirtschaftspolitik<br />

aus dem Fächerkanon völlig verschwindet,<br />

wenn nicht Abhilfe geschaffen<br />

wird. Gleichzeitig ist es fraglich, ob<br />

die übrigbleibenden sechs volkswirtschaftlichen<br />

Hochschullehrerstellen an -<br />

gesichts <strong>der</strong> großen Zahl <strong>der</strong> Studenten<br />

und <strong>der</strong> dynamischen Entwicklung des<br />

Faches ausreichen werden, um ein breites<br />

Lehr- und Forschungsangebot auf<br />

dem bisherigen Niveau aufrecht zu<br />

erhalten.<br />

II. Zum Berufungsverfahren<br />

Das gegenwärtig angewandte Verfahren<br />

zur Berufung von sechs Vertreterinnen<br />

o<strong>der</strong> Vertretern <strong>der</strong> Makroökonomie<br />

verlief, was ungewöhnlich ist, über eine<br />

Sammelannonce. Es weicht in vier<br />

Punkten von den sonst eingehaltenen<br />

Regeln ab.<br />

1. Der im vorigen Jahr veröffentliche<br />

Ausschreibungstext weist nicht darauf<br />

hin, daß eine „Gruppe Makroökonomik“<br />

(so das Protokoll <strong>der</strong> Sitzung des Professoriums<br />

am 15. 12. 2008 TOP 2) geplant<br />

sei. Das mag ein Grund dafür sein, daß<br />

insgesamt 103 Bewerbungen eingegangen<br />

sind. Mehr als 90 Bewerberinnen und<br />

Bewerber wurden in einem Vorverfahren<br />

zurückgewiesen, dessen Rechtsgrundlagen<br />

zumindest prüfungswürdig sind. Das<br />

und weitere Begleitumstände lassen vermuten,<br />

daß von vornherein eine wirklich<br />

offene und allen Bewerberinnen und<br />

Bewerbern zugängliche Ausschreibung<br />

nicht beabsichtigt war, son<strong>der</strong>n daß vorzugsweise<br />

in den USA ausgebildete Ökonomen<br />

bestimmter Orientierung gewon-<br />

nen werden sollten. Es handelt sich eher<br />

um ein Netzwerk von Bewerbern, was<br />

unter an<strong>der</strong>em dadurch sichtbar wird,<br />

daß eine Reihe von Bewerbern auf drei<br />

o<strong>der</strong> vier Berufungslisten gleichzeitig<br />

ge nannt wird. Dies ge schieht in einem<br />

Augenblick, in dem die amerikanische<br />

makroökonomische Politik und die da -<br />

hinter stehenden Lehren in katastrophaler<br />

Weise versagt haben.<br />

Die hochschulrechtliche Zulässigkeit<br />

dieses Vorgehens ist prüfungswürdig.<br />

Hinzu kommt, daß Hochschullehrer zur<br />

selbständigen Wahrnehmung ihres in<br />

den Berufungsvereinbarungen be zeich -<br />

neten Faches verpflichtet sind. Zu be -<br />

achten ist, daß die Kölner Stellen einheitlich<br />

mit „wirtschaftliche Staatswissenschaften“<br />

und nicht mit engen<br />

Fachbeschreibungen versehen sind. Der<br />

Vorteil dieser Lösung besteht darin, daß<br />

sie die wissenschaftliche <strong>Freiheit</strong> jedes<br />

einzelnen Stelleninhabers schützen und<br />

gleichzeitig eine schnelle und effiziente<br />

Anpassung an neue Ansätze ermöglichen.<br />

Diese Regel dient dem Wettbewerb<br />

<strong>der</strong> Ideen und dem Schutz <strong>der</strong><br />

individuellen <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit. Sie<br />

kann nicht durch Verpflichtungserklärungen<br />

um gangen o<strong>der</strong> durch Einzelerklärung<br />

außer Kraft gesetzt werden.<br />

2. Bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Veröffentlichungen <strong>der</strong> Bewerber<br />

sind, einem in Deutschland um sich<br />

greifenden Mißbrauch folgend, solche<br />

Publikationen unbeachtet geblieben, die<br />

nicht in so genannten „international an -<br />

er kannten Zeitschriften“ veröffentlicht<br />

worden sind. Ferner wurden wissenschaftliche<br />

Monographien als gänzlich<br />

irrelevant betrachtet. Wer die A- und B-<br />

Zeitschriften als solche anerkannt hat, ist<br />

hier ebenso unklar wie die rechtliche<br />

Legitimation zu einer solchen Einordnung.<br />

Soll wirklich nicht mehr maßgebend<br />

sein, was man veröffentlicht hat,<br />

son<strong>der</strong>n nur noch <strong>der</strong> Erscheinungsort,<br />

also in welcher Zeitschrift ein Artikel<br />

erschienen ist? Und sind die Kriterien,<br />

etwa nach denen Zeitschriften Beiträge<br />

zur Publikation annehmen, wirklich<br />

maßgebend für die Berufungsfähigkeit<br />

von Bewerbern?<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 19


3. Zu beachten ist ferner, daß die Kooptation<br />

von Kolleginnen und Kollegen<br />

eine <strong>der</strong> wichtigsten Entscheidungen im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Ausübung eines Professorenamtes<br />

ist. Damit be traute Fakultätsmitglie<strong>der</strong><br />

sind somit verpflichtet, sich<br />

ein Gesamtbild von jedem Bewerber zu<br />

machen. Dazu gehört das gesamte wissenschaftliche<br />

Oeuvre des Betreffenden<br />

und nicht ein eventueller Teilausschnitt.<br />

In Anbetracht <strong>der</strong> Fristen, innerhalb<br />

<strong>der</strong>en die Bewerbungen geprüft worden<br />

sind, ist es jedoch nicht sicher, daß die<br />

Berufungskommission sämtliche Be -<br />

werbungen auf ihren fachlichen Inhalt<br />

hin prüfen konnte. Inwieweit jedoch ein<br />

weniger gründliches Vorgehen mit den<br />

staatlichen Vorschriften über den Zu -<br />

gang zu öffentlichen Ämtern vereinbar<br />

ist, wäre zu prüfen.<br />

4. Angesichts <strong>der</strong> Beratungsdauer ist<br />

schließlich zu fragen, ob die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

ausführlichen fachlichen Diskussionen<br />

über alle Bewerberinnen und<br />

Bewerber stattgefunden haben. Eher ist<br />

davon auszugehen, daß stattdessen<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger mechanisch allein<br />

das Kriterium <strong>der</strong> Publikation in den Ao<strong>der</strong><br />

B-Zeitschriften dominant gewesen<br />

ist. Die Mehrfachnennung einzelner<br />

Personen erweckt darüber hinaus den<br />

Eindruck, daß diesen eine höhere Berufungschance<br />

zuteil werden sollte als den<br />

übrigen Kandidatinnen und Kandidaten.<br />

Zu prüfen wäre, ob eine solche Diskriminierung<br />

zulässig ist.<br />

III. Das Fach Wirtschaftspolitik<br />

in <strong>der</strong> Lehre<br />

Das Gewicht <strong>der</strong> praktischen Wirtschaftspolitik<br />

in unserer heutigen Welt<br />

bedarf keiner geson<strong>der</strong>ten Darlegung.<br />

Nicht nur in den Medien unserer Tage<br />

spielen Fragen <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik<br />

eine überragende Rolle im Vergleich zu<br />

an<strong>der</strong>en Politikbereichen. Das Wohl und<br />

Wehe <strong>der</strong> Bürger eines Landes hängt entscheidend<br />

von den Erfolgen seiner Wirtschaftspolitik<br />

auf nationaler und internationaler<br />

Ebene ab. Wirtschaftspolitische<br />

Fehlleistungen können, wie jüngst in<br />

Grie chenland, zu bürgerkriegsartigen<br />

Erup tionen führen. Der Wettbewerb <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsordnungen miteinan<strong>der</strong> kann,<br />

wie im Falle des So zialismus, dazu führen,<br />

daß ganze wirtschaftpolitische Konzeptionen<br />

scheitern und entsprechende<br />

Systeme zusammenbrechen.<br />

Seit Ende des zweiten Weltkrieges waren<br />

hervorragende wirtschaftspolitisch en -<br />

20<br />

gagierte Gelehrte an <strong>der</strong> Kölner Fakultät<br />

tätig, so Alfted Mü1ler-Armack, <strong>der</strong><br />

Vater <strong>der</strong> Sozialen Marktwirtschaft, und<br />

Günter Schmöl<strong>der</strong>s, o<strong>der</strong> Gerhard Weisser<br />

und Wilfried Schreiber, die beide<br />

entscheidende Impulsgeber für den Aufund<br />

Ausbau <strong>der</strong> sozialen Ordnung unseres<br />

Landes gewesen sind.<br />

Wirtschaftspolitik als akademisches<br />

Fach war bisher Pflichtfach für alle Studierenden<br />

<strong>der</strong> Volkswirtschaftlehre. Hinzu<br />

kamen wirtschaftspolitische Wahlfächer<br />

wie die Energiewirtschaftslehre,<br />

die Verkehrspolitik, die Sozialpolitik<br />

und in jüngerer Zeit die Wohnungswirtschaft.<br />

Im Gesamtverband lehrten und<br />

prüften die Inhaber <strong>der</strong> wirtschaftspolitischen<br />

Professuren auch Studierende<br />

<strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre und <strong>der</strong><br />

Wirtschaftspädagogik, so daß ein breites<br />

Feld auch wirtschaftspolitischer<br />

Kenntnisse tonangebend für die Absolventen<br />

<strong>der</strong> Kölner Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaftlichen Fakultät ge -<br />

wesen ist.<br />

Wenn jedoch in Zukunft die Wirtschaftspolitik<br />

als Lehr- und Prüfungsfach<br />

entfällt bzw. weit zurückgeschnitten<br />

werden sollte, dann verlieren<br />

die oben genannten Spezialfächer<br />

einschließlich <strong>der</strong> Sozialpolitik<br />

ihre theoretische Basis.<br />

Gleichzeitig wird <strong>der</strong> gute Ruf <strong>der</strong> Kölner<br />

Wirtschaftswissenschaften, <strong>der</strong> auf<br />

<strong>der</strong> Praxisnähe des akademischen Un -<br />

terrichtes gerade auch in Fragen <strong>der</strong><br />

Wirtschaftspolitik beruhte, in Frage ge -<br />

stellt. Beson<strong>der</strong>s die Studierenden <strong>der</strong><br />

Betriebswirtschaftslehre – sie machen<br />

in Köln etwa achtzig Prozent <strong>der</strong> Studierenden<br />

aus – waren und sind an einer<br />

praxisnahen Lehre nachhaltig interessiert.<br />

Die Fachvertreter <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik<br />

haben stets versucht, diesem<br />

Bedürfnis zu entsprechen.<br />

IV. Das Wirtschaftspolitische<br />

Seminar und das Institut für<br />

Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong> Universität<br />

zu Köln<br />

Neben dem Wirtschaftspolitischen Se -<br />

minar besteht an <strong>der</strong> Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaftlichen Fakultät in<br />

Köln seit 1952 das Institut für Wirtschaftspolitik,<br />

das aus Drittmitteln<br />

finanziert wird. Es ist dem gegenwärtig<br />

geschäftsführenden Direktor gelungen,<br />

dieses Institut durch eine Absprache<br />

mit einer an<strong>der</strong>en Einrichtung dauerhaft<br />

auf eine feste finanzielle Basis zu<br />

stellen. Nach den Statuten des Institutes<br />

muß sein Leiter ein ordentlicher<br />

Professor sein, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Fakultät das<br />

Fach Wirtschaftspolitik vertritt.<br />

Dieser Vorschrift kann nicht mehr entsprochen<br />

werden, wenn das Fach Wirtschaftspolitik<br />

mit dem Ausscheiden<br />

aus Altersgründen des jetzigen Ordinarius<br />

und eines weiteren Professors des<br />

Wirtschaftspolitischen Seminars im<br />

Jahre <strong>2009</strong> nicht mehr vertreten ist. Es<br />

gibt dann we<strong>der</strong> einen geschäftsführenden<br />

Direktor des Wirtschaftspolitischen<br />

Se minars noch einen Leiter des<br />

Institutes in vergleichbarer Funktion.<br />

Schon jetzt sind die Mittel, die einer<br />

seit 2007 vakanten Professur zur Verfügung<br />

ge standen haben, eingezogen<br />

und das dortige Personal ist auf an<strong>der</strong>e<br />

Stellen versetzt worden.<br />

Ein Seminar aber muß nicht nur aus<br />

sachlichen Gründen, son<strong>der</strong>n auch aus<br />

Rechtsgründen von mindestens einer<br />

Professorin/einem Professor geleitet<br />

werden. Steht eine entsprechende Professur<br />

nicht mehr zur Verfügung, so<br />

muß es aufgelöst werden.<br />

Das Gleiche gilt für das 1952 von<br />

Alfred Müller-Armack gegründete<br />

Institut für Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong><br />

Universität zu Köln. Dieses Institut<br />

arbeitet seit seiner Gründung mit Er -<br />

folg in vielfältiger Weise auf dem<br />

Gebiet einer wissenschaftlich fundierten<br />

Wirtschaftspolitik.<br />

Aus den Reihen <strong>der</strong> Assistentinnen und<br />

Assistenten von Seminar und Institut<br />

sind bisher neun Lehrstuhlinhaber hervorgegangen.<br />

An<strong>der</strong>e frühere Mitarbeiter<br />

arbeiten heute unter an<strong>der</strong>em in<br />

<strong>Bund</strong>esministerien, in <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esbank<br />

o<strong>der</strong> in europäischen und internationalen<br />

Behörden im Rahmen wirtschaftspolitischer<br />

Fragestellungen. Die Zahl<br />

<strong>der</strong> Doktoren, die aus Seminar und<br />

Institut hervorgegangen sind, ist groß.<br />

Noch wesentlich größer ist die Zahl<br />

<strong>der</strong> im einzelnen nicht erfaßten Diplomanden.<br />

Seit seinem Bestehen gibt das Institut<br />

eine Zeitschrift heraus. Ihr ursprünglicher<br />

Name lautete „Wirtschaftspolitische<br />

Chronik“. Heute heißt sie „Zeitschrift<br />

für Wirtschaftspolitik“. In ihr<br />

werden nicht überwiegend institutsei-<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>:<br />

„Aufklärung und Appell“<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> wirkt durch Aufklärung und Appell an <strong>der</strong> Sicherung und Entwicklung eines<br />

leistungsorientierten, begabungsgerechten und humanen Bildungswesens in <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland mit.<br />

Wir tun dies insbeson<strong>der</strong>e durch Publikationen und öffentliche Veranstaltungen zu bildungspolitischen Themen.<br />

Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung.<br />

Wir laden Sie ein, Mitglied im <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> zu werden. O<strong>der</strong> helfen Sie uns durch eine Spende.<br />

Die Vorlage für einen Beitrittsantrag finden Sie auf <strong>der</strong> Rückseite dieses Heftes.<br />

Eine Spende erbitten wir auf das Kto.: 0 23 38 58 bei Deutsche Bank AG, Bonn, BLZ: 380 700 24<br />

gene Forschungsergebnisse veröffentlicht,<br />

son<strong>der</strong>n meist auch Arbeiten, die<br />

an an<strong>der</strong>en Orten entstanden sind. Die<br />

Zeitschrift versteht sich als ein Diskussionsforum<br />

für wirtschaftspolitische<br />

Fragen. Sie erscheint dreimal jährlich.<br />

Ihr Umfang pro Jahresband liegt bei<br />

etwa 400 Seiten. Vertrieben wird sie<br />

vom angesehenen Fachverlag Lucius<br />

und Lucius, Stuttgart.<br />

Forschungsergebnisse des Institutes<br />

werden einmal in seiner Schriftenreihe<br />

und zum an<strong>der</strong>en in seiner Untersuchungsreihe<br />

veröffentlicht. Der Verlagsort<br />

<strong>der</strong> ersteren wurde im Laufe<br />

<strong>der</strong> Zeit mehrmals gewechselt, letztere<br />

erscheint im Eigenverlag. Bisher wurden<br />

über 130 Manuskripte gedruckt.<br />

Sie sind im Buchhandel beziehbar und<br />

werden mit an<strong>der</strong>en Bibliotheken ausgetauscht.<br />

Die Direktoren des Institutes waren<br />

und sind in vielfältiger Weise im Rahmen<br />

<strong>der</strong> wirtschaftspolitischen Beratung<br />

und als Fachgutachter <strong>der</strong> Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft tätig.<br />

Vor allem ist die Beratung <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esregierung,<br />

<strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esministerien und<br />

die langjährige Mitarbeit in den <strong>Wissenschaft</strong>lichen<br />

Beiräten zu nennen.<br />

Zum Beispiel war Watrin Vorsitzen<strong>der</strong><br />

des <strong>Wissenschaft</strong>lichen Beirats beim<br />

<strong>Bund</strong>esminister für Wirtschaft, Professor<br />

Donges Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Deregulierungskommission<br />

<strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esregierung<br />

sowie des Sachverständigenrats<br />

zur Begutachtung <strong>der</strong> gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung. Daneben<br />

sind die Betreffenden auch Mitglie<strong>der</strong><br />

zahlreicher an<strong>der</strong>er Beratungseinrichtungen.<br />

Die Institutsdirektoren sind vielfach<br />

auch mit Gutachten für <strong>Bund</strong>esministerien<br />

befaßt und zu Anhörungen in<br />

Gesetzgebungsverfahren eingeladen<br />

wor den. Nur <strong>der</strong> kleinere Teil dieser<br />

Aufträge erschien in Pressejournalen,<br />

in an<strong>der</strong>en Fällen mußte <strong>der</strong> Vertraulichkeit<br />

Rechnung getragen werden.<br />

Das Institut hat zahlreiche internationale<br />

Kontakte und wird vor allem von<br />

<strong>Wissenschaft</strong>lern aus dem Ausland<br />

auch wegen seiner Bibliothek und seiner<br />

Verbindung mit <strong>der</strong> deutschen<br />

Wirtschaftspolitik gerne besucht.<br />

Sofern das Fach Wirtschaftspolitik<br />

nicht mit ausgewiesenen Fachvertretern<br />

wie<strong>der</strong> besetzt wird, ist seine Weiterexistenz<br />

fraglich. Auf diesen Zusammenhang<br />

haben <strong>der</strong> Vorsitzende des<br />

För<strong>der</strong>ervereins des Instituts und sein<br />

Stellvertreter vor kurzem den Herrn<br />

Dekan <strong>der</strong> Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen<br />

Fakultät hingewiesen.<br />

Kommt es zur Schließung von Institut<br />

und Seminar, so bedeutet das auch,<br />

daß seine Spezialbibliothek nicht<br />

mehr für Lehr- und Forschungsvorhaben<br />

zur Verfügung steht. Die dann im<br />

<strong>Wissenschaft</strong>sprogramm <strong>der</strong> Fakultät<br />

entstehende Lücke kann nicht durch<br />

eine Gruppe Makroökonomik<br />

geschlossen werden. Die Makroökonomik<br />

kann in diesem Zusammenhang<br />

auch nicht als ein ausreichendes<br />

Substitut für die entfallenden Lehr –<br />

und Forschungsmöglichkeiten angesehen<br />

werden. Wirtschaftspolitische<br />

Analysen sind im übrigen ein nicht<br />

abtrennbarer Teil des Entstehens <strong>der</strong><br />

theoretischen Ökonomik vor zweihun<strong>der</strong>t<br />

Jahren.<br />

Selbst wenn, wie sich in Gesprächen<br />

andeutete, als Alternativlösung eine<br />

Professur für Wirtschaftspolitik und<br />

Wettbewerb ausgeschrieben würde,<br />

wäre diese Lösung nicht ausreichend.<br />

Solange die deutschen Universitäten <strong>der</strong><br />

Forschung und <strong>der</strong> Lehre dienen sollen<br />

und wollen, müssen sie auch die großen<br />

Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />

zum Ge genstand ihres Handelns<br />

und Wirkens machen. Auf das<br />

Fach Wirtschaftspolitik bezogen heißt<br />

das, es muß im Rahmen des Verfügbaren<br />

danach gestrebt werden, die ganze<br />

Breite des Faches zu repräsentieren. Im<br />

vorliegenden Fall geht es hier auch um<br />

das tägliche Handeln aller staatlichen<br />

und auch quasi staatlichen Einrichtungen.<br />

Der jetzt geplante Forschungsverbund<br />

mit seiner Konzentration auf ein Teilgebiet<br />

des Faches Volkwirtschaftslehre<br />

leistet das nicht. Das gilt vor allem,<br />

wenn damit an<strong>der</strong>e wichtige Fächer wie<br />

die allgemeine und angewandte Wirtschaftspolitik<br />

o<strong>der</strong> die Finanzwissenschaft<br />

stillgelegt werden. Nicht nur in<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft selber, son<strong>der</strong>n auch in<br />

<strong>der</strong> sie begleitenden Wirtschaftswissenschaft<br />

muß ein Gleichgewicht <strong>der</strong> Teile<br />

und <strong>der</strong> Kenntnisse beachtet bleiben. �<br />

Korrespondenzadressen:<br />

Professor Dr. Hans Willgerodt,<br />

Hubertushöhe 7,<br />

51429 Bergisch-Gladbach<br />

Professor Dr. Christian Watrin,<br />

Arndtstr. 9, 50996 Köln<br />

Darlehen supergünstig<br />

und Stuttgarter Vers. a.G. supergünstige Beamtendarlehen, z.B. B.a.L. 30 J. alt, 30 000,– € günstige 281,05 € mtl., 70 000,– € 654,22 € mtl., inkl. LV,<br />

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Gebührenfrei<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 21


Endlich eine klare Auskunft<br />

Von Ulrich Sprenger<br />

„Die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien <strong>der</strong> letzten Jahre haben gezeigt, daß Schüler<br />

an integrierten Gesamtschulen im Vergleich zu Schülern im dreigliedrigen Schulsystem kein<strong>eV</strong>orteile<br />

erreichen.“ – Mit diesem Satz beginnt <strong>der</strong> Direktor des „Institutes für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen<br />

(IQB)“, Professor Dr. Olaf Köller, im MPIB-Bildungsbericht 2008 sein „Resümee“ zur<br />

Situation <strong>der</strong> Gesamtschulen (Cortina/Baumert/Leschinsky/Mayer/Trommer 2008, S. 463).<br />

Wie ein Nachruf<br />

Was dann anschließend von Professor<br />

Köller „resümiert“ wird, klingt fast wie<br />

ein Nachruf auf das Experiment Ge -<br />

samtschule: „Integration und die Offenhaltung<br />

von Bildungswegen als Hauptprogrammpunkte<br />

einer Gesamtschule<br />

scheinen zu wenig zu sein, um mittelfristig<br />

neben dem geglie<strong>der</strong>ten System be -<br />

stehen zu können.“ (S.465). Jene oftmals<br />

vorgetragene Parole „Wir sortieren zu<br />

früh!“ ist inzwischen offenbar überholt.<br />

Der För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong> Gesamtschule ist<br />

also nicht höher als <strong>der</strong> des dreigliedrigen<br />

Schulsystems. Eine solche Botschaft<br />

ist nicht überall gleichermaßen<br />

willkommen. Ihre Wirkung auf die Verfechter<br />

<strong>der</strong> Gesamtschulidee sollte da -<br />

her wohl abgepuffert werden mit dem<br />

Hinweis auf die Mo<strong>der</strong>nisierungs-Im -<br />

pulse, die von den Gesamtschulen ausgegangen<br />

seien.<br />

Derartige Hinweise sind ein sehr oft vorgetragenes,<br />

gleichwohl fragwürdiges Ar -<br />

gument: Es handelt sich da doch zumeist<br />

um Neuerungen, die im Laufe <strong>der</strong> letzten<br />

40 Jahre auch ohne die Experimente mit<br />

Gesamtschulen zustande gekommen wä -<br />

ren, etwa die hier erwähnten „Projektund<br />

Gruppenarbeiten als Möglichkeit,<br />

selbst ständiges Lernen zu för<strong>der</strong>n“. Aber<br />

sie wären zustande ge kommen ohne den<br />

dafür gezahlten ho hen Preis. Denn in<br />

dieser Zeit sind viele aus Erfahrung<br />

gewachsene Schullandschaften durch die<br />

Einführung von Gesamtschulen ruiniert<br />

worden.<br />

Die bemerkenswerte Erkenntnis <strong>der</strong> „Vertiefenden<br />

Analysen zu PISA 2000“ (Baumert/Stanat/Watermann<br />

2006, S.168), daß<br />

dort, wo Gesamtschulen und Schulen des<br />

22<br />

dreigliedrigen Schulsystems nebeneinan<strong>der</strong><br />

existieren, „eine Konkurrenzsituation<br />

entsteht, in <strong>der</strong> es nur Verlierer gibt“,<br />

wird im „Resümee“ nicht erwähnt.<br />

Bittere Bilanz<br />

Die bittere Bilanz: Wenn all das Geld<br />

und all <strong>der</strong> Eifer und all <strong>der</strong> gute Wille,<br />

die seit 1968 in die Gesamtschule investiert<br />

worden sind, dem dreigliedrigen<br />

Schulsystem, insbeson<strong>der</strong>e aber <strong>der</strong><br />

Hauptschule zugute gekommen wären,<br />

dann stünden wir heute nicht schlechter<br />

da als Finnland.<br />

Die Landesregierungen von Bayern,<br />

Baden-Württemberg, Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

und Nordrhein-Westfalen sind also gut<br />

beraten, wenn sie das dreigliedrige<br />

Schulsystem beibehalten.<br />

Alle jene Gruppierungen aber, die sich<br />

für „ein längeres gemeinsames Lernen“<br />

engagieren und deswegen das mit dem<br />

5. Jahrgang einsetzende dreigliedrige<br />

Schulsystem abschaffen wollen, sollten<br />

ihre Aktivitäten einstellen. Die Umsetzung<br />

ihrer Pläne würde dem deutschen<br />

Schulwesen keine Vorteile bringen, son<strong>der</strong>n<br />

weiteren Schaden zufügen. Das ist<br />

von <strong>der</strong> Bildungsforschung nachgewiesen<br />

worden. Vor dem Hintergrund ihrer<br />

Befunde heißt „keine Vorteile“ nämlich<br />

soviel wie „vorwiegend nur Nachteile“.<br />

Niedriger För<strong>der</strong>effekt<br />

von Gesamtschulen<br />

Der niedrige För<strong>der</strong>effekt von Gesamtschulen<br />

und die alarmierenden Folgen<br />

einer erst im 7. Jahrgang einsetzenden<br />

Differenzierung sind anhand von Daten<br />

www.schulformdebatte.de<br />

Viele wichtige Ergebnisse <strong>der</strong> Bildungsforschung sind hier zusammengestellt<br />

und je<strong>der</strong>zeit verfügbar, darunter auch Ergebnisse, die lediglich in <strong>der</strong> Fachliteratur<br />

zu finden waren und daher nicht bekannt wurden.<br />

aus NRW durch das MPIB-Projekt<br />

„BIJU“ (1991 bis 2001) überzeugend<br />

de mon striert worden.<br />

Nachfolgend einige Ergebnisse dieses<br />

Projektes:<br />

Bei leistungsschwächeren Schülern ist<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong> Gesamtschulen<br />

nicht höher als <strong>der</strong> För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong><br />

Hauptschulen. Das Selbstwertgefühl leis<br />

tungsschwächerer Gesamtschüler hingegen<br />

sinkt bis zum Ende des 10. Jahrgangs<br />

unter das von vergleichbaren<br />

Hauptschülern. (Vergleichbare Schüler<br />

sind Schüler, die gleiche kognitive<br />

Grundfähigkeiten und einen ähnlichen<br />

familiären Hintergrund haben.)<br />

Realschüler hatten gegenüber vergleichbaren<br />

Gesamtschülern am Anfang<br />

des 7. Jahrgangs in Mathematik und<br />

Englisch einen Leistungsvorsprung von<br />

etwa einem Schuljahr. Am Ende des 10.<br />

Jahrgangs lag er bei „etwa zwei Schuljahren“.<br />

Gymnasiasten hatten am Ende des 10.<br />

Jahrgangs in Mathematik und Englisch<br />

gegenüber vergleichbaren Gesamtschülern<br />

„einen Leistungsvorsprung von<br />

mehr als zwei Schuljahren“ (Baumert/<br />

Köller 1998, S.17 sowie Köller/<br />

Baumert/Schnabel 1999, S.404). Die<br />

Defizite werden von den Gesamtschülern<br />

bis zum Ende des 13. Jahrgangs<br />

nicht aufgeholt.<br />

Diese BIJU-Befunde zum niedrigen<br />

För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong> Gesamtschulen sind<br />

inzwischen durch die Ergebnisse von<br />

PISA-E 2003 bestätigt und aktualisiert<br />

worden.<br />

Mit den Daten aus PISA-E 2006 könnten<br />

die BIJU-Befunde zum niedrigen För<strong>der</strong>effekt<br />

von Gesamtschulen und ähnlich<br />

organisierten Schulformen auch für an<strong>der</strong>e<br />

<strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong> bestätigt und aktualisiert<br />

werden, durch „Kovarianz-Analysen“<br />

anhand von Vergleichen vergleichbarer<br />

Schüler. Denn aus den PISA-Studien gibt<br />

es ebenfalls Daten zur kognitiven Grundfähigkeit<br />

und zum familiären Hintergrund<br />

<strong>der</strong> Schüler. �<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


Nachruf auf Folkmar Koenigs<br />

Am 9. Mai <strong>2009</strong> verstarb Prof. Dr.<br />

Folkmar Koenigs im 93. Lebensjahr.<br />

Sein Lebensweg war eng mit dem<br />

<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> sowie<br />

vor allem mit seiner Berliner Sektion,<br />

<strong>der</strong> Notgemeinschaft für eine freie<br />

Universität, verbunden. Seit <strong>der</strong> Gründung<br />

des Vereins diente er diesem in<br />

verschiedenen Funktionen und setzte<br />

sich mit großer Energie und Entschiedenheit<br />

für die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

und gegen Rechtsbrüche an <strong>der</strong><br />

Universität ein.<br />

Folkmar Koenigs wurde am 12. <strong>Juni</strong><br />

1916 geboren und wuchs so in einer<br />

Zeit auf, die von den heftigen Kämpfen<br />

um das Schicksal <strong>der</strong> Weimarer<br />

Republik und dann vom siegreichen<br />

Nationalsozialismus geprägt war. In<br />

seinem Elternhaus – sein Vater war in<br />

den dreißiger Jahren u. a. Staatssekretär<br />

im Verkehrsministerium – er lebte<br />

er u.a. den damaligen französischen<br />

Botschafter André François-Poncet<br />

und erinnerte sich an dessen kritische<br />

Bemerkungen angesichts <strong>der</strong> mit Fakkeln<br />

durch das Brandenburger Tor ziehenden<br />

Nationalsozialisten. Im Zweiten<br />

Weltkrieg diente Folkmar Koenigs<br />

bei <strong>der</strong> Wehrmacht; sein Vater Gustav<br />

Koenigs wurde nach dem gescheiterten<br />

Attentat Stauffenbergs auf Hitler<br />

verhaftet, weil Goerdeler bei seiner<br />

Verhaftung eine Liste bei sich trug,<br />

auf <strong>der</strong> auch Koenigs Vater stand, <strong>der</strong><br />

von den Verschwörern des 20. Juli für<br />

den Staatssekretärsposten vorgesehen<br />

war. Bevor sein Sohn jedoch aus dem<br />

Krieg zurückkehrte, fiel sein Vater am<br />

15. April 1945 in Potsdam einem<br />

Bombenangriff zum Opfer, nachdem<br />

es seiner Frau über Beziehungen<br />

gelungen war, ihn aus dem Konzentrationslager<br />

herauszuholen.<br />

Folkmar Koenigs, <strong>der</strong> Rechtswissenschaft<br />

in Freiburg, Königsberg, München<br />

und Berlin studiert hatte, erhielt<br />

nach Stationen in Hamburg als Assistent,<br />

im Bonner <strong>Bund</strong>eswirtschaftsministerium<br />

und im <strong>Bund</strong>eskartellamt<br />

1964 einen Ruf auf den Lehrstuhl für<br />

Handels- und Wirtschaftsrecht an <strong>der</strong><br />

Technischen Universität Berlin.<br />

In <strong>der</strong> heißen Phase <strong>der</strong> Kämpfe in<br />

den Jahren <strong>der</strong> sog. Studentenrevolte<br />

gehörte Professor Koenigs zu denjeni-<br />

gen, die sich von den studentischen<br />

Möchtegernrevolutionären nicht einschüchtern<br />

ließen. Wo er konnte, lieferte<br />

er ihnen Paroli und brachte es<br />

dabei sogar zu einem international<br />

verbreiteten Foto, da er sich nach<br />

einem Farbbeutelangriff auf ihn –<br />

beschmiert wie er war – mit einem<br />

Schild auf den Berliner Kudamm<br />

stellte, um so zu demonstrieren, wie<br />

manche Studenten mit ihren Professoren<br />

um gingen. Mit dieser Aktion<br />

gelang es Koenigs, sogar im Ausland<br />

Aufmerksamkeit für die kommunistischen<br />

Um triebe an einigen deutschen<br />

Universitäten zu schaffen. So wurde<br />

<strong>der</strong> Vorfall im Time Magazine in<br />

einem eigenen Artikel behandelt<br />

(„The Professor Protests“, Monday,<br />

July 30, 1973). Aber auch <strong>der</strong> Spiegel<br />

berichtete davon und druckte ein Foto<br />

von Koenigs, auf dem dieser mit seinem<br />

Plakat „TU-Professor – den<br />

Kommunisten mißliebig“ zu sehen ist<br />

(Spiegel <strong>Nr</strong>. 53, 1972, S. 38).<br />

Zu den besten Beiträgen von Koenigs<br />

gehört seine scharfe und klare Analyse<br />

<strong>der</strong> Studentenbewegung, die er<br />

unter dem Titel „Warum gelang die<br />

Berliner Kulturrevolution?” veröffentlichte<br />

(nachzulesen in: freiheit <strong>der</strong> wissenschaft<br />

<strong>Nr</strong>. 2, <strong>Juni</strong> 2001, S. 6–10).<br />

Koenigs bot hier eine tiefgründige<br />

Analyse, die auch seinen eigenen<br />

Berufsstand nicht schonte, wenn es<br />

darum ging festzuhalten, wer wie gut<br />

auf die Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Zeit<br />

reagiert hatte. Er zeigte im einzelnen<br />

auf, welche Bedingungen in den Jahren<br />

um 1968 zusammenkamen, um<br />

die „Strategie <strong>der</strong> Systemüberwindung“<br />

<strong>der</strong> studentischen Linken, von<br />

<strong>der</strong> Helmut Schelsky treffend gesprochen<br />

hatte, zu einer schweren Hypothek<br />

für die deutsche Universität werden<br />

zu lassen. Dazu gehörten nicht<br />

zuletzt die zahlreichen Störungen von<br />

Lehrveranstaltungen und Verunglimpfungen<br />

von Hochschullehrern, so daß,<br />

wie Koenigs schreibt, die „Lehrfreiheit<br />

<strong>der</strong> Professoren und die Lernfreiheit<br />

<strong>der</strong> Studenten (...) zu einem vom<br />

AStA und linken Gruppen gnädig<br />

gewährten je<strong>der</strong>zeit aufhebbaren Privileg“<br />

wurden. Koenigs ersparte in<br />

diesem Zusammenhang den Professoren<br />

nicht den schwerwiegenden Vor-<br />

wurf, daß zumindest „deutliche Worte<br />

zur Toleranz, Meinungsfreiheit und<br />

Recht auf ungehin<strong>der</strong>tes Lehren und<br />

Lernen“ hätten möglich sein müssen.<br />

Koenigs’ Fazit, daß er mit dem ihm<br />

eigenen Humor formulierte, lautete<br />

allerdings: „Die idealen Voraussetzungen<br />

für einen Professor an einer<br />

Berliner Universität in dieser Zeit,<br />

hohe wissenschaftliche Qualifikation,<br />

volle Ausbildung in marxistischer<br />

Theorie und höchster Judo-Grad, hat<br />

allerdings lei<strong>der</strong> kein Professor<br />

erfüllt.“<br />

In den Jahren <strong>der</strong> studentischen<br />

Revolte von 1967–1979 sammelte<br />

Koenigs zahlreiche Flugblätter, Plakate<br />

und Aushänge, von denen er eine<br />

schöne Auswahl an <strong>der</strong> Wand seines<br />

Dienstzimmers an <strong>der</strong> TU hängen<br />

hatte. Diese Sammlung steht <strong>der</strong> zeitgeschichtlichen<br />

Forschung nun im<br />

Archiv <strong>der</strong> Hoover Institution in Stanford<br />

zur Verfügung, wo seit mehreren<br />

Jahren auch das Archiv des <strong>Bund</strong>es<br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> liegt.<br />

Folkmar Koenigs war ein von preußischen<br />

Pflichtbegriffen geleiteter<br />

Mensch, <strong>der</strong> noch nach seiner Emeritierung<br />

1981 über 25 Jahre regelmäßig<br />

weiter Vorlesungen anbot, Prüfungen<br />

durchführte und seine Lehrmaterialien<br />

stets auf den neuesten Stand<br />

des Europäischen Wirtschaftsrechts<br />

brachte – keine Kleinigkeit angesichts<br />

des großen Volumens europäischer<br />

Rechtsetzung und -sprechung. Erst in<br />

seinem 92. Lebensjahr verabschiedete<br />

er sich von <strong>der</strong> akademischen Lehre.<br />

Auch wenn er über die politische Entwicklung<br />

Deutschlands nicht glücklich<br />

war, bewahrte er sich als echter<br />

homo politicus ein leidenschaftliches<br />

Interesse an den Fragen <strong>der</strong> Politik.<br />

Seine aufrechte Haltung und sein<br />

ethisch gegründeter Sinn für einen<br />

dem Recht verpflichteten Staat bleiben<br />

vorbildhaft.<br />

Folkmar Koenigs hinterläßt eine<br />

schmerzliche Lücke. Mit ihm ist ein<br />

tapferer Streiter für die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong> von uns gegangen, wie<br />

sie die deutsche Universität gerade<br />

heute wie<strong>der</strong> häufiger bräuchte.<br />

Till Kinzel<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 23


Leserbriefe<br />

I. „Verbohrte Meinungen“<br />

II. „Pro Reli“ – Gedanken zum Ethikuntericht<br />

24<br />

Zu diesem Leserbrief lese man den Beitrag<br />

von Prof. Dr. Kurt Reinschke mit<br />

dem Thema: „Heiße Magister, heiße<br />

Doktor gar . . .“ (S. 4 bis 14 in diesem<br />

Heft)!<br />

In <strong>der</strong> Bücherrevue dieser Ausgabe findet<br />

sich von Prof. Dr. Günter Püttner<br />

eine Rezension des Bologna-Schwarzbuches<br />

aus <strong>der</strong> Reihe „Forum“ des<br />

Deutschen Hochschulverbandes.<br />

Die Lektüre dieses Schwarzbuchs, herausgegeben<br />

von den Professoren Christian<br />

Scholz und Volker Stein, sei allen<br />

an <strong>der</strong> Hochschulentwicklung Interessierten<br />

empfohlen.<br />

Sehr kritisch und umfassend hat sich<br />

schon Prof. Dr. Jochen Krautz in seinem<br />

Buch „Ware Bildung“, (Kreuzlingen/München<br />

2007), mit den geplanten<br />

Verän<strong>der</strong>ungen an den Universitäten<br />

auseinan<strong>der</strong>gesetzt und ihre Hintergründe<br />

ausgeleuchtet (vgl. die Rezension in<br />

<strong>der</strong> Bücherrevue von „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“,<br />

Heft 4, Dez. 2007, S. 27 f.!)<br />

Vor <strong>der</strong> Bachelorisierung <strong>der</strong> deutschen<br />

Universitäten warnte jüngst Prof.<br />

Dr. Kurt Reinschke in einer Broschüre<br />

des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />

die weiterhin bei <strong>der</strong> Geschäftsstelle<br />

bezogen werden kann.<br />

In Kürze erscheint in <strong>der</strong> gleichen Reihe<br />

von Prof. Dr. Marius Reiser <strong>der</strong> Aufsatz:<br />

„Standardisierung und Kultur im<br />

,Bologna-Zeitalter‘“, die schriftliche<br />

Wie<strong>der</strong>gabe eines Vortrags, den er im<br />

<strong>Juni</strong> dieses Jahres beim <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> gehalten hat. (s. S. 3)<br />

<strong>fdw</strong>-Redaktion<br />

Offener Brief an den Vorsitzenden <strong>der</strong> SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Michael Müller<br />

Wolfram Ellinghaus, Geschäftsführer<br />

des Vereins „Lernen für die Deutsche<br />

und Europäische Zukunft“ sandte <strong>der</strong><br />

<strong>fdw</strong>-Redaktion einen „offenen Brief an<br />

den Vorsitzenden <strong>der</strong> SPD-Fraktion im<br />

Abgeordnetenhaus von Berlin“. Ellinghaus<br />

will Anstöße geben, wie im<br />

Anschluß an das Scheitern des Bürgerbegehrens<br />

„Pro Reli“ <strong>der</strong> Ethikunter-<br />

richt gestaltet werden kann, „damit diesen<br />

we<strong>der</strong> überzeugte Christen noch<br />

Atheisten o<strong>der</strong> Anhänger an<strong>der</strong>er Religionen<br />

mit vernünftigen Gründen<br />

zurückweisen können“.<br />

Nachfolgend drucken wir einige Passagen<br />

aus diesem Brief, die einen Einblick<br />

in die Intentionen des Verfassers<br />

geben. Sie enthalten am Ende einen<br />

Hinweis für diejenigen, die an detaillierteren<br />

Ausführungen interessiert sind.<br />

Unser Auszug setzt ein mit <strong>der</strong> Frage<br />

des Verfassers, ob die Nie<strong>der</strong>lage von<br />

„Pro Reli“ das „Aus für christliche<br />

Werte in Berliner Schulen“ bedeuten<br />

müsse. Die Zwischenüberschriften sind<br />

von <strong>der</strong> <strong>fdw</strong>-Redaktion eingefügt:<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


„Pro Reli“-Nie<strong>der</strong>lage<br />

Aus für die christlichen Werte<br />

an Berliner Schulen?<br />

Die meisten alten wie neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong><br />

haben für die Schüler, die<br />

gemäß den verfassungsrechtlichen<br />

Möglichkeiten nicht am Religionsunterricht<br />

teilnehmen, ein neues Pflichtfach,<br />

meist unter <strong>der</strong> Bezeichnung<br />

„Ethik“, eingeführt. Die Schüler haben<br />

dort also die Wahl zwischen zwei<br />

gleichberechtigten und zur gleichen<br />

Zeit unterrichteten Pflichtfächern:<br />

Ethik o<strong>der</strong> Religion, ausgenommen in<br />

Berlin, Brandenburg und Bremen.<br />

Nachdem nun am 26. April <strong>2009</strong> nur<br />

14,2 Prozent <strong>der</strong> Berliner Wahlberechtigten<br />

für eine Gleichberechtigung des<br />

Religionsunterrichts mit dem Ethikunterricht<br />

gestimmt haben, bleibt es bei<br />

Ethik als Pflichtunterricht für alle in<br />

den Klassen sieben bis zehn und Religionsunterricht<br />

als freiwillige zusätzliche<br />

Arbeitsgemeinschaft außerhalb des<br />

verbindlichen Fächerkanons, etwa am<br />

Nach mittag.<br />

Ob es nun für diese Verdrängung des<br />

Religionsunterrichts durch den Ethikunterricht<br />

eine pädagogische Berechtigung<br />

gibt, hängt von dessen Unterrichtsinhalten<br />

ab. Es geht um die säkularen Aufgaben<br />

des kon fes sions gebundenen Religionsunterrichts,<br />

die in dem Berliner Konzept<br />

<strong>der</strong> Ethikunterricht übernehmen<br />

muß. Diese Aufgaben bestehen in <strong>der</strong><br />

Vermittlung eines festen, dem jungen<br />

Menschen Selbstsicherheit und Lebenszuversicht<br />

gebenden geistigen Standortes<br />

in <strong>der</strong> sich dauernd wandelnden Welt<br />

sowie Antworten auf Fragen nach Ur -<br />

sprung und Ziel <strong>der</strong> eigenen Existenz,<br />

nach dem Sinn des Lebens: Persönlichkeitsbildung.<br />

Es geht also auch im Ethikunterricht<br />

um die Hilfe zur Gewinnung eines<br />

Wertsicherheit gewährenden geistigen<br />

Standortes und um sittliche Bildung<br />

und Erziehung, aber ohne eine sie von<br />

vornherein sichernde Begründung in<br />

<strong>der</strong> obersten Autorität.<br />

In diesem Unterrichtsfach soll also die<br />

Entwicklung des jungen Menschen zu<br />

einer sittlich hochwertigen Persönlichkeit<br />

geför<strong>der</strong>t werden, die willens ist,<br />

also aus eigenem Antrieb, sittlich hochwertig<br />

zu handeln.<br />

Gute Vorbil<strong>der</strong> werden selten<br />

Die Eltern können „die zuvör<strong>der</strong>st<br />

ihnen obliegende Pflicht“ <strong>der</strong> Erziehung<br />

(Art. 6 (2) GG) immer weniger<br />

wahrnehmen aus Zeitmangel wegen<br />

außerhäuslicher Erwerbstätigkeit,<br />

wachsen<strong>der</strong> erzieherischer Verunsicherung,<br />

religiös-weltanschaulicher Orien -<br />

tie rungs losig keit o<strong>der</strong> Gleichgültigkeit.<br />

Vorbil<strong>der</strong> werden in den zerbrechenden<br />

Familien immer seltener und auch im<br />

multikulturellen Umfeld einer pluralistisch<br />

geprägten Gesellschaft kaum<br />

möglich, weil differente o<strong>der</strong> gar konträre<br />

Lebensformen in ihrer Vorbildfunktion<br />

einan<strong>der</strong> aufheben. Das Fernsehen,<br />

dessen Einfluß durch die Vermin<strong>der</strong>ung<br />

des Elterneinflusses und das Fehlen<br />

einer sittlichen Bildung in <strong>der</strong> Schule<br />

erheblich gestiegen ist, bietet zu viele<br />

schlechte Vorbil<strong>der</strong>.<br />

Es ist eigentlich erstaunlich, daß unter<br />

so miserablen Bedingungen noch so<br />

viele Jugendliche gut, ja hervorragend<br />

geraten. Bei manchen sind vielleicht die<br />

guten Anlagen so stark, daß sie nicht so<br />

leicht zu verbiegen sind, und manche<br />

Kin<strong>der</strong> erfahren auch jetzt noch von<br />

ihren Eltern eine Erziehung, die diese<br />

Bezeichnung verdient.<br />

Welche sind nun die Faktoren, die das<br />

Bewußtsein am wirksamsten und nachhaltigsten<br />

prägen und den Menschen<br />

auch bei den sich wandelnden Lebensumständen<br />

zu spontanem, aber auch re -<br />

flektiertem sittlich hochwertigem Handeln<br />

und Verhalten führen? Die genetisch<br />

vorgegebenen Dispositionen kön nen<br />

zwar gebremst o<strong>der</strong> geför<strong>der</strong>t werden,<br />

entziehen sich aber auch weitgehend<br />

Än<strong>der</strong>ungsmöglichkeiten durch Bildung<br />

und Erziehung.<br />

Kognitive Vermittlung<br />

Die kognitive Vermittlung klarer empirisch<br />

belegter anthropologischer Konstanten<br />

gemäß z.B. <strong>der</strong> „Biologie des<br />

menschlichen Verhaltens“ von Irenäus<br />

Eibl-Eibesfeldt, <strong>der</strong> „Frage nach dem<br />

Sinn“ von Viktor Frankl, <strong>der</strong> Analyse<br />

<strong>der</strong> „Kunst des Liebens“ von Erich<br />

Fromm sowie <strong>der</strong> Goldenen Regel<br />

gemäß <strong>der</strong> Bibel und des kategorischen<br />

Imperativs nach Kant usw. können<br />

latent vorhandene Naturanlagen zu<br />

denen auch das natürliche Rechtsbewußtsein<br />

gehört, wecken und bewußt<br />

machen, das natürliche Wissen um Gut<br />

und Böse, sowie die christliche Nächstenliebe,<br />

auch als Grundlage des Völkerrechts.<br />

Die Werte des Grundgesetzes<br />

und <strong>der</strong> Verfassung müssen kognitiv<br />

vermittelt werden. ...<br />

Emotionale Ansprache<br />

Aber es ist ungewiß, ob die bloße Belehrung<br />

ausreicht, um gemäß <strong>der</strong> Lehre<br />

Jesu aus einem schlechten Baum, <strong>der</strong><br />

schlechte Früchte hervorbringt, einen<br />

guten Baum zu machen, <strong>der</strong> gute Früchte<br />

hervorbringt. Zusätzlich muß <strong>der</strong><br />

junge Mensch emotional angesprochen,<br />

über sein Gefühl gepackt werden mit Bildungsinhalten,<br />

die „die evidente Schönheit<br />

elementarer sittlicher Phänomene“<br />

zeigen und den „ethischen Relativismus<br />

als optische Täuschung“ er weisen. (Ro -<br />

bert Spaemann in: Herbert Huber., Hrsg.<br />

„Sittliche Bildung“, S. 355). Dabei ist<br />

fächerübergreifen<strong>der</strong> Unterricht notwendig,<br />

vor allem <strong>der</strong> Ethik mit dem Literaturunterricht<br />

...<br />

Hinweis des Verfassers:<br />

Diese kurzen Gedanken sind wesentlich<br />

detaillierter ausgeführt in dem Beitrag<br />

des Verfassers „Der Ersatzunterricht –<br />

Ziele, Aufgaben, Inhalte“ in dem von<br />

ihm selber 1996 herausgegebenen Sammelband<br />

„Wozu Ethikunterricht? Er -<br />

wartungen von Parteien und Verbänden<br />

– dazu Versuch einer Antwort.“ An den<br />

zu Grunde liegenden Fakten hat sich<br />

nichts geän<strong>der</strong>t außer in Sachsen, wo<br />

<strong>der</strong> heute gültige Ethiklehrplan die<br />

christlichen Religionen ausführlicher<br />

und inhaltlich angemessener berücksichtigt,<br />

und in Nordrhein-Westfalen, wo<br />

„Praktische Philosophie“ als Pflichtalternative<br />

für die nicht am Religionsunterricht<br />

teilnehmenden Schüler <strong>der</strong><br />

Klassen 9 und 10 eingeführt worden ist.<br />

Das Buch kann kostenlos gegen Erstattung<br />

<strong>der</strong> Versandkosten beim Verfasser<br />

bezogen werden.<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Wolfram Ellinghaus,<br />

Hesselteicher Str. 66,<br />

33428 Harsewinkel,<br />

E-Mail: ldez.e.v@web.de<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 25


Hinsichtlich des vor gut zehn Jahren in<br />

Gang gesetzten Bologna -Prozesses hat<br />

es in jüngster Zeit einen deutlichen<br />

Meinungsumschwung gegeben, wie<br />

eine neuere HIS-Untersuchung bestätigt.<br />

Im Deutschen Hochschulverband,<br />

mit fast 25.000 Mitglie<strong>der</strong>n aus dem<br />

Lehrkörper <strong>der</strong> deutschen Hochschulen<br />

eine repräsentative Großorganisation,<br />

hat es anfangs viel Zustimmung zur<br />

Bologna-Reform gegeben; man wollte<br />

nicht als reformunwillig gelten. Und<br />

gegen das hehre Ziel einer besseren<br />

Vernetzung <strong>der</strong> Hochschulen in Europa<br />

und mehr Mobilität ließ sich auch<br />

zunächst nichts einwenden.<br />

Nun aber hat die Zahl <strong>der</strong> Kritiker des<br />

Bologna-Prozesses zu genommen. Viele<br />

ursprüngliche Reformbefürworter sind<br />

von den Ergeb nissen <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />

Bologna-Erklärung enttäuscht und for<strong>der</strong>n<br />

Kor rekturen. So hat sich <strong>der</strong> Deutsche<br />

Hochschulverband entschlossen,<br />

nun auch den Kritikern ein Forum zu<br />

bieten in Form des Schwarzbuchs und in<br />

Heft 6/09 <strong>der</strong> Zeitschrift „Forschung &<br />

Lehre“ (mit zusätzlichen Li tera tur an -<br />

gaben). Damit ist die Grundlage für eine<br />

Aufarbeitung <strong>der</strong> Problematik gelegt.<br />

Viele „Bologna“-Kritiker<br />

Das Schwarzbuch enthält – erfreulicherweise<br />

– nicht den kritischen Beitrag<br />

eines Autors (<strong>der</strong> könnte ja ein Son<strong>der</strong>fall<br />

sein), son<strong>der</strong>n 18 kürzere Kritiken<br />

von sehr unterschiedlichen Professoren<br />

aus ganz ver schiedenen Fächern, darunter<br />

zahlreiche Betriebswirte, bei denen<br />

man eher eine Vorliebe für Institutionen<br />

aus den USA wie Bachelor und Master<br />

vermuten würde. Es gibt pragmatische<br />

Beiträge, aber auch sehr grundsätzliche<br />

Darlegungen wie den Johannes Mehlig<br />

gewidmeten Diskurs von Walter Slaje,<br />

26<br />

revue<br />

Christian Scholz/Volker<br />

Stein (Hrsg.), Bologna-<br />

Schwarzbuch, herausge -<br />

geben im Auftrag des<br />

Präsidiums des DeutschenHochschulverbandes,<br />

<strong>2009</strong><br />

204 Seiten, 21 Euro,<br />

ISBN 978-3-924066-89-5<br />

<strong>der</strong> die „Zwangsvernetzung“ als „<strong>Wissenschaft</strong>s-Suizid“<br />

<strong>der</strong> Professoren, als<br />

Untergang von <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit<br />

anprangert. Ein ähnlicher Paukenschlag<br />

stammt von dem Betriebswirt Christian<br />

Scholz, überschrieben mit „Matrjoschka-Bolognese<br />

als Massenvernich -<br />

tungswaffe“. Er zählt fünf Komponenten<br />

des Bologna-Prozesses auf: Reform<br />

in Richtung Bachelor und Master,<br />

Hochschulneuglie<strong>der</strong>ung, Externe Evaluatoren,<br />

Steigerung <strong>der</strong> Bürokratie und<br />

Studiengebühren. Dann listet er die<br />

Gewinner und die Verlierer <strong>der</strong> Reform<br />

auf; je<strong>der</strong> kann nachlesen, wo er steht.<br />

Zahlreiche Kritikpunkte<br />

Die übrigen Beiträge können hier nicht<br />

im einzelnen vorgestellt wer den. Sie<br />

prangern durchweg die Demontage <strong>der</strong><br />

klassischen Universität an. Es ist die<br />

Rede von „Dienstleistungsprimat als<br />

Autonomiedemontage“, von „Akkreditierung<br />

als rechtlicher Systemfehler“,<br />

vom Bologna-Prozeß als „0rganisationsform<br />

<strong>der</strong> Ineffizienz“ und als „traurige<br />

Mogelpackung“, auch als „unnötige<br />

Bildungsreform“ und als „akademische<br />

Illusion“.<br />

Angeprangert wird ferner, daß es statt<br />

<strong>der</strong> erhofften Ausdehnung von Mobilität<br />

jetzt weniger davon gebe und auch<br />

die Effizienz eher gelit ten habe.<br />

Manches (o<strong>der</strong> vieles) davon wird die<br />

Anhänger <strong>der</strong> Bologna -Reform nicht<br />

sogleich umstimmen, aber doch hoffentlich<br />

zum Nachdenken veranlassen.<br />

Gelegentlich gibt es Denkhilfen von<br />

außen; so dürfte die ausführliche Kritik<br />

von Joachim Lege am System <strong>der</strong><br />

Akkreditierung jetzt wohl mehr überzeugen,<br />

seit nämlich früher hervorragend<br />

geratete Banken nun vor <strong>der</strong> Insolvenz<br />

stehen. Bei <strong>der</strong> in vielen Beiträgen<br />

kri tisierten schleichenden Aushöhlung<br />

des wissenschaftlichen Standards in<br />

Forschung und Lehre wird möglicherweise<br />

die Einsicht erst kommen, wenn<br />

es zu spät ist. Im übrigen wird immer<br />

wie<strong>der</strong> darauf hingewiesen, daß die<br />

erfor<strong>der</strong>liche Finanzierung <strong>der</strong> Reform<br />

ausgeblieben ist, womit die bekannte<br />

chronische Unterfinanzierung <strong>der</strong> Universitäten<br />

noch zugenommen habe.<br />

Alles in allem: Das Schwarzbuch sollte<br />

für jeden, <strong>der</strong> im Bildungs system tätig<br />

o<strong>der</strong> damit befaßt ist, zur Pflichtlektüre<br />

gehören. Denn den Fehlentwicklungen<br />

muß gegengesteuert werden, und zwar<br />

bald! Günter Püttner<br />

Walter Rüegg:<br />

Die 68er Jahre und die<br />

Frankfurter Schule<br />

(Schriften <strong>der</strong> Margotund-Friedrich-Becke-<br />

Stiftung zu Heidelberg 9),<br />

Heidelberg: Universitätsverlag<br />

Winter, 2008.<br />

31 Seiten, 8 Euro<br />

ISBN 978-3-8253-5552-4<br />

Der Schweizer Soziologe Walter<br />

Rüegg hielt am 31. Mai 2008 einen<br />

lesenswerten Vortrag, <strong>der</strong> hier in<br />

gedruckter Form zugänglich gemacht<br />

wird. Er schil<strong>der</strong>t im autobiographischen<br />

Zugriff sehr anschaulich seine<br />

Begegnungen und persönlichen Erfahrungen<br />

mit den Vertretern <strong>der</strong> Frankfurter<br />

Schule, vor allem Horkheimer<br />

und Adorno, in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

und geht dann beson<strong>der</strong>s ausführlich<br />

auf die Turbulenzen ein, die ab <strong>der</strong><br />

zweiten Hälfte <strong>der</strong> sechziger Jahre vor<br />

allem die Hochschulen erfassen sollten.<br />

Rüegg erlebte die Studentenrevolte<br />

in einer Führungsposition als Rektor<br />

<strong>der</strong> Frankfurter Universität von<br />

1965 bis 1970 und kann daher aus<br />

nächster Nähe schil<strong>der</strong>n, wie „1968“<br />

tatsächlich aussah. So schil<strong>der</strong>t er, wie<br />

er auf Bitten Adornos, die vermittelt<br />

wurden durch den späteren Kultusminister<br />

von Friedeburg (im übrigen<br />

einer <strong>der</strong> Hauptverantwortlichen für<br />

die fatale Gesamtschulpolitik <strong>der</strong> siebziger<br />

Jahre), die Polizei alarmierte –<br />

was dann später so in die Überlieferung<br />

einging, „daß Adorno die Polizei<br />

hatte kommen lassen“.<br />

Interessant sind neben vielen Details<br />

die Beobachtungen Rüeggs zum Verhältnis<br />

von Adorno und Horkheimer<br />

sowie über die aufschlußreichen geistigen<br />

Absetzbewegungen Horkheimers<br />

von Frankfurt. Rüegg war in<br />

Osteuropa unterwegs, als Adorno<br />

einen Herzinfarkt erlitt und dann unter<br />

großer Anteilnahme in Frankfurt<br />

bestattet wurde. Horkheimer dagegen<br />

ließ sich in Bern beisetzen, was Rüegg<br />

so deutet: „Bei einem Mann, <strong>der</strong><br />

nichts, zum mindesten nichts Öffentliches<br />

ohne Absicht und tieferen Sinn<br />

unternahm, kann <strong>der</strong> Verzicht auf eine<br />

Gedenkfeier in Frankfurt nur bedeuten,<br />

daß er damit seine wohl überlegte<br />

Abkehr von Frankfurt und <strong>der</strong> Frankfurter<br />

Schule bekundete.“ Dafür<br />

spricht in <strong>der</strong> Tat einiges, zumal sich<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


in Horkheimers Schriften Texte finden,<br />

die von den Sympathisanten <strong>der</strong> Revolte<br />

kaum an<strong>der</strong>s als reaktionär genannt<br />

werden könnten. Mit diesem Abschied<br />

von Frankfurt, so Rüegg, verzichtete<br />

Horkheimer auch auf den Ruhm, den<br />

Adorno als „einer <strong>der</strong> ersten und erfolgreichsten<br />

Medienprofessoren“ noch bis<br />

vor wenigen Jahren erlangen sollte.<br />

Rüegg selbst trat nach <strong>der</strong> Verabschiedung<br />

des von Friedeburgschen Universitätsgesetzes<br />

von seinem Amt als Rektor<br />

zurück. 1973 ging er in die Schweiz<br />

an die Universität Bern, wo er, so sein<br />

nüchternes Fazit, wenigstens dort helfen<br />

konnte, „die Universität vor den<br />

hochschulpolitischen Auswirkungen<br />

<strong>der</strong> Frankfurter Schule zu schützen“.<br />

Dafür gebührt Rüegg Anerkennung.<br />

Till Kinzel<br />

Wolfgang Clemen<br />

im Kontext seiner Zeit :<br />

ein Beitrag zur <strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte<br />

vor<br />

und nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg/Hg. von Ina<br />

Schabert unter Mitarbeit<br />

von Andreas Höfele und<br />

Manfred Pfister. – Heidelberg:<br />

Winter, <strong>2009</strong>.<br />

217 Seiten, 35,– Euro<br />

ISBN 9778-38253540-46<br />

Wolfgang Clemen war gewiß einer <strong>der</strong><br />

bedeutendsten deutschen Anglisten des<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, <strong>der</strong> mit seiner frühen<br />

bahnbrechenden Arbeit über die Bil<strong>der</strong>sprache<br />

Shakespeares die Forschung<br />

sehr angeregt hat und mit seinem späteren<br />

Kommentar zu Shakespeares<br />

Richard III Maßstäbe gesetzt hat. Clemen<br />

wirkte aber auch und vor allem als<br />

Lehrer, was insgesamt gesehen sogar<br />

wichtiger gewesen sein mag als sein<br />

wissenschaftliches Schrifttum. Die<br />

Autoren des vorliegenden Bandes<br />

rekrutieren sich zum geringeren Teil aus<br />

ehemaligen Schülern, zum größten Teil<br />

aber aus jüngeren <strong>Wissenschaft</strong>lern, die<br />

Clemen nicht mehr selbst erlebt haben<br />

und aus einem völlig an<strong>der</strong>en Theorieund<br />

Fachhorizont heraus schreiben.<br />

Daraus ist eine multiperspektivische<br />

Schau auf Clemens Werk und Leben<br />

geworden, die für die <strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte<br />

<strong>der</strong> Anglistik wie überhaupt<br />

<strong>der</strong> Philologie wertvoll ist und nach<br />

einer im engeren Sinne biographischen<br />

Übersicht von Werner Habicht Beiträge<br />

zu den Themenkreisen <strong>der</strong> Methoden<br />

und Ziele des Literaturwissenschaftlers,<br />

den nationalen und internationalen<br />

Positionierungen, dem<br />

künstlerischen Umfeld, dem Verhältnis<br />

von Literaturwissenschaft und Politik<br />

sowie zum gesellschaftlichen Auftrag<br />

<strong>der</strong> Literaturwissenschaft enthält. Clemens<br />

Karriere ist nicht zuletzt auch<br />

von wissenschaftsgeschichtlichem In -<br />

teresse, da <strong>der</strong>en Anfänge in die Zeit<br />

des Nationalsozialismus fallen, was<br />

stets mit beson<strong>der</strong>en Problemen im<br />

Spannungsfeld von Anbie<strong>der</strong>ung, Di -<br />

stanz und Ablehnung verbunden war.<br />

Kunst und <strong>Wissenschaft</strong><br />

Werner von Koppenfels greift in seinem<br />

Beitrag die Verknüpfung von<br />

Kunst und <strong>Wissenschaft</strong> auf, die sich<br />

aus <strong>der</strong> Konstellation von Friedrich<br />

Gundolf, Paul Clemen und George-<br />

Kult für Wolfgang Clemen ergeben<br />

hat. Eigenen Aussagen zufolge war<br />

Clemen beson<strong>der</strong>s von Ernst Robert<br />

Curtius und Gundolf geprägt worden.<br />

Bei Gundolf hatte Clemen gewürdigt,<br />

daß dieser in seiner zweibändigen<br />

Shakespeare-Gesamtdarstellung „auf<br />

die Rolle und Bedeutung <strong>der</strong> Gleichnisse“<br />

in den Stücken Rücksicht<br />

nehme, sonst aber nicht ausführlicher<br />

dazu Stellung genommen, weshalb<br />

Koppenfels in seinem Beitrag den<br />

„Einflußspuren“ nachgeht, die aufschlußreich<br />

seien für die „geistigen<br />

Bedingungen, die wesentlich zur<br />

deutsch-englischen Synthese seiner Art<br />

von Philologie beigetragen haben“. Es<br />

ist nicht unwahrscheinlich, daß die von<br />

seinem Vater gelebte Anglophilie<br />

sowie <strong>der</strong> Kontakt zum George-Kreis<br />

auch den jungen Wolfgang prägten, <strong>der</strong><br />

dadurch die „Ehrfurcht vor dem dichterischen<br />

Wort“, wie sie dort praktiziert<br />

wurde, erfuhr.<br />

Langsamkeit als Praxis<br />

Clemens Werk ist nach heutigen Maßstäben<br />

zu urteilen insgesamt eher<br />

schmal, und vor allem fällt auf, daß<br />

große Bereiche <strong>der</strong> englischen Literatur<br />

völlig aus seinem Gesichtskreis<br />

herausfallen. So spielt etwa <strong>der</strong> Roman<br />

in seinem Schaffen keine Rolle, und<br />

auch die Shakespeare-Stücke, die er<br />

lehrend und schreibend erkundete,<br />

erstrecken sich nicht auf das ganze<br />

Textkorpus. Oft legte er seinen Seminaren<br />

ein einziges Stück zugrunde,<br />

wie z. B. Manfred Pfister schreibt,<br />

„und für die einzelne Seminarsitzung<br />

reichten oft ein paar Verse“. Pfister<br />

betont, daß Clemens Seminare für<br />

seine Schüler eine „Entdeckung <strong>der</strong><br />

Langsamkeit“ im Lesen und Schreiben<br />

bedeuteten, die nicht methodisch<br />

bewußt reflektiert, son<strong>der</strong>n gewissermaßen<br />

als Praxis vermittelt wurde.<br />

Das damit einhergehende ständige<br />

Neu- und Umschreiben läßt sich an<br />

den zwei deutschen Nachdrucken von<br />

Teilen seiner Dissertation illustrieren,<br />

<strong>der</strong>en Originaltext Clemen nicht wie<strong>der</strong><br />

abdrucken wollte, son<strong>der</strong>n neu aus<br />

<strong>der</strong> überarbeiteten englischen Fassung<br />

übersetzen ließ bzw. übersetzte.<br />

Von beson<strong>der</strong>em Interesse ist schließlich<br />

die Würdigung <strong>der</strong> hochschulpolitischen<br />

Auffassungen Clemens durch<br />

Andreas Höfele, zumal Clemen in den<br />

siebziger Jahren in Reaktion auf die<br />

Studentenbewegung Mitglied des<br />

<strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

wurde. Höfele zeigt die Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

und Probleme <strong>der</strong> deutschen Universitätslandschaft<br />

auf, die im Grunde seit<br />

Jahrzehnten in immer neuer Form in<br />

Erscheinung traten und auch im Zuge<br />

<strong>der</strong> Exzellenzinitiative <strong>der</strong> letzten<br />

Jahre wie<strong>der</strong> an Bedeutung gewinnen.<br />

Der Spagat zwischen breiter Bildung<br />

bzw. Ausbildung einerseits und <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>ung von Eliten (die in den Jahren<br />

nach 1968 stark verpönt war),<br />

kennzeichnet auch die gegenwärtige<br />

Situation, die man im Lichte des folgenden<br />

Clemen-Satzes vom Dezember<br />

1961 bedenken könnte: „Die planvolle<br />

Ausbildung einer Elite von Studenten<br />

durch eine Elite von<br />

Professoren, das wäre in <strong>der</strong> Tat eine<br />

<strong>der</strong> wichtigsten Aufgaben <strong>der</strong> Universität“.<br />

Bibliographie<br />

Der Band enthält eine Bibliographie<br />

<strong>der</strong> Schriften Clemens, die jedoch<br />

nicht vollständig ist, wie man leicht<br />

feststellen kann, wenn man die im<br />

Text des Buches zitierten Artikel Clemens<br />

z. B. aus <strong>der</strong> „Zeit“ hinzunimmt.<br />

So zitiert Andres Höfele einen Beitrag<br />

Clemens aus dem von dem Hans<br />

Maier und Michael Zöller herausgegebenen<br />

Band „Die an<strong>der</strong>e Bildungskatastrophe“,<br />

den er als dessen „letzten<br />

hochschulpolitischen Kommentar“<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 27


ezeichnet. Es fehlt aber ein Hinweis<br />

auf einen weiteren, wahrscheinlich<br />

diesmal wirklich letzten hochschulpolitischen<br />

Kommentar Clemens in den<br />

Hochschulpolitischen In for mationen<br />

des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

unter dem Titel „Zweifel an <strong>der</strong> Mitbestimmung“,<br />

<strong>der</strong> 1972 er schien (HPI <strong>Nr</strong>.<br />

6, 10.4.1972). Der lehrreiche und<br />

lesenswerte Band liefert wichtige Bausteine<br />

zu einer Geschichte <strong>der</strong> deutschen<br />

Anglistik im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t, die<br />

erst noch geschrieben werden muß.<br />

Till Kinzel<br />

Hubertus Knabe:<br />

Honeckers Erben.<br />

Die Wahrheit über die<br />

Linke, Berlin:<br />

Propyläen, <strong>2009</strong>.<br />

474 Seite, geb., 22,90 Euro<br />

ISBN 978-3549073292<br />

Man mag gegenüber Büchern skeptisch<br />

sein, die „die“ Wahrheit über irgend<br />

etwas verbreiten – dennoch ist das neue<br />

Buch von Hubertus Knabe lesenswert,<br />

gibt er doch einen konzisen und informationshaltigen<br />

Überblick über die Ge -<br />

schichte <strong>der</strong> kommunistischen Ka<strong>der</strong>partei,<br />

die sich über mehrere Stationen<br />

und Umbenennungen zur heutigen Partei<br />

„Die Linke“ wandelte. Knabe ist als<br />

Direktor <strong>der</strong> Gedenkstätte Hohenschönhausen<br />

(mit dem Gefängnis <strong>der</strong> Staatssicherheit<br />

<strong>der</strong> DDR) gut vertraut mit <strong>der</strong><br />

Geschichte des Kommunismus und hat<br />

bereits zahlreiche Werke zu zeitgeschichtlichen<br />

Themen verfaßt. Darunter<br />

sind auch solche zu brisanten Fragen<br />

wie den zahlreichen Helfershelfern <strong>der</strong><br />

Kommunisten im Westen Deutschlands,<br />

eine Thematik, die durch die jüngsten<br />

Enthüllungen über die Stasi-Mitarbeit<br />

und Mitgliedschaft in <strong>der</strong> SED des Polizisten,<br />

<strong>der</strong> Benno Ohnesorg erschoß,<br />

neuerlich die Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit fand.<br />

Die dunkle Vergangenheit <strong>der</strong> heutigen<br />

Partei „Die Linke“ verdient es ebenfalls,<br />

weithin bekannt gemacht zu werden<br />

– und sei es nur als Erinnerung an<br />

schon einmal gewußte Dinge. Auch<br />

wenn Knabe gelegentlich die Ge -<br />

schlossenheit <strong>der</strong> Partei übermäßig zu<br />

betonen scheint, sind doch die politischen<br />

Vorstellungen <strong>der</strong> „Linken“ aufs<br />

engste mit sozialismus-nostalgischen<br />

28<br />

Vorstellungen verbunden. Diese aber<br />

sollten durch Aufklärung ideologiekritisch<br />

durchleuchtet und ge schwächt<br />

werden. Hu bertus Knabe leistet dazu<br />

einen wichtigen Beitrag.<br />

Richard Wagner:<br />

Es reicht. Gegen den<br />

Ausverkauf unserer<br />

Werte, Berlin:<br />

Aufbau-Verlag 2008,<br />

163 Seiten, 16,95 Euro<br />

ISBN 978-3-351-02673-8;<br />

Till Kinzel<br />

Essayisten, die gegen den linksliberalen<br />

und Correctness-angereicherten<br />

Strom des bundesdeutschen Establishments<br />

schwimmen, sind seit geraumer<br />

Zeit selten. Wenn sie darüber hinaus<br />

noch die wichtigsten kulturkritischen<br />

Argumente, stilistisch brillant formuliert,<br />

eindringlich auf den Punkt bringen,<br />

ist ihre Lektüre dem zeitgenössischen<br />

Nonkonformisten ans Herz zu<br />

legen.<br />

Alles das trifft auf den neuesten Beitrag<br />

des Schriftstellers Richard Wagner<br />

zu. Er übersiedelte vor über zwei Jahrzehnten<br />

aus Rumänien nach Westdeutschland<br />

und bewertete den intellektuellen<br />

Mainstream <strong>der</strong> alten <strong>Bund</strong>esrepublik<br />

quasi von außen. Diesen<br />

Blickwinkel hat er bis heute beibehalten.<br />

Neben seinen vielen belletristischen<br />

Veröffentlichungen fiel Wagner beson<strong>der</strong>s<br />

als Mitglied des Netzwerkes<br />

„Achse des Guten“ auf, das <strong>der</strong> Publizist<br />

Henrik Bro<strong>der</strong> gegen wachsende<br />

USA- und Israelfeindschaft sowie ge -<br />

gen unkritische Sichtweisen von Islam<br />

und Islamismus vor wenigen Jahren<br />

begründete.<br />

Sicherlich darf <strong>der</strong> (Unter-)Titel <strong>der</strong><br />

en g agierten Stellungnahme als wenig<br />

aussagekräftig gelten, ist doch die<br />

Bezeichnung „Werte“ eine <strong>der</strong> „vagesten,<br />

problematischsten Begriffe <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen Rechts sprache und Ethikdiskurse“<br />

(Friedrich W. Graf). Aber <strong>der</strong><br />

Leser merkt schnell, worum es dem<br />

Verfasser geht: Die Welt <strong>der</strong> universalen<br />

Güter und Dienstleistungen ist<br />

schon seit einiger Zeit in den Wettstreit<br />

um Ideen und Weltanschauungen ein-<br />

getreten. Beiläufige Zitate islamkritischer<br />

mittelalterlicher Herrscher können<br />

einen medialen Sturm heraufbeschwören.<br />

Nicht zufällig bekamen die<br />

überaus weiten Sektoren von Religion<br />

und Kultur im Zeitalter <strong>der</strong> globalen<br />

technischen Vereinheitlichung fast<br />

überall identitätsstiftende Funktion.<br />

Immer mehr kann man beobachten,<br />

wie Konfuzianismus, Ahnenkult und<br />

Mohammed-Verehrung als das Eigene<br />

gegen das in <strong>der</strong> Weltgesellschaft<br />

omnipräsente Fremde in Stellung<br />

gebracht werden.<br />

Nun ist dieser weltweit zu beobachtende<br />

Trend <strong>der</strong> Stärkung kultureller Herkunftstraditionen<br />

in Europa relativ<br />

schwach ausgeprägt. Außer heftigen<br />

Debatten um eine „Renaissance <strong>der</strong><br />

Religion“, die, wenn überhaupt, nur<br />

marginalen Einfluß gewinnen kann, ist<br />

wenig davon festzustellen. Wagner<br />

sieht die „kulturelle Charta“ <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />

europäischen Gesellschaften<br />

durch drei Faktoren gefährdet: die<br />

nachwirkende Ideologie <strong>der</strong> 68er, die<br />

stark medial bedingte Erlebnisgesellschaft,<br />

aber auch die sich durch forcierte<br />

Einwan<strong>der</strong>ung ergebenden<br />

Schwierigkeiten. Die zuletzt genannte<br />

Thematik betrifft den Autor selbst, war<br />

er doch mit dem vor einigen Jahren<br />

von einem fanatisierten islamistischen<br />

Gewalttäter ermordeten nie<strong>der</strong>ländischen<br />

Filmemacher Theo van Gogh<br />

bekannt.<br />

Wi<strong>der</strong> die Sprachregelungen<br />

<strong>der</strong> politischen Korrektheit<br />

Schon im Eröffnungskapitel setzt sich<br />

Wagner über die Sprachregelungen <strong>der</strong><br />

politischen Korrektheit hinweg:<br />

„Abendland“ besetzt er positiv und<br />

schlägt einen Bogen zum „mo<strong>der</strong>nen“<br />

Westen, den zu verteidigen schon vor<br />

9/11 Pflicht war, während man sich zu<br />

dem zuerst ge nannten Narrativ unserer<br />

Herkunft be stenfalls in ein „kritisches“<br />

Verhältnis zu setzen hatte. Wagner sieht<br />

hingegen beides im Zusammenhang.<br />

In <strong>der</strong> Tat braucht man die negativen<br />

Seiten <strong>der</strong> europäischen Geschichte<br />

nicht zu verschweigen. Jedoch gilt das<br />

auch für die nachwirkenden Aktiv-<br />

Posten, zu denen unter an<strong>der</strong>en die<br />

Toleranz in allen sozialen Bereichen<br />

gehört, nicht zuletzt in religiösen<br />

Angelegenheiten.<br />

Primitiver Antiamerikanismus, <strong>der</strong> zu<br />

Zeiten von konservativen Präsidenten<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


wie Ronald Reagan und George W.<br />

Bush journalistische Hochkonjunktur<br />

hatte, ist die Sache Wagners nicht. Er<br />

sieht die unstrittigen Vorherrschaftsansprüche<br />

<strong>der</strong> westlichen Supermacht vor<br />

allem in <strong>der</strong> militärischen Schwäche <strong>der</strong><br />

Europäer begründet, die schon seit<br />

Generationen unübersehbar ist: Wer<br />

befreite die Welt 1945 endgültig vom<br />

Faschismus? Wer rang später den Kommunismus<br />

nie<strong>der</strong>? Wer stellt sich heute<br />

dem Islamismus entgegen? Solche Fragen<br />

sollte man sich aus europäischer<br />

Perspektive häufiger stellen, ohne<br />

gleich in alte Wildwest-Stereotypen zu<br />

verfallen. Gleichfalls sind Wagners<br />

Anmerkungen zu den Themen<br />

Rußland, zum möglichen Beitritt <strong>der</strong><br />

Türkei zur EU und zur wirtschaftlichen<br />

Rückständigkeit <strong>der</strong> ehemaligen Kolonialstaaten<br />

wert, genau studiert zu werden.<br />

Daß Rußland nicht demokratisierbar<br />

ist, leuchtet dem üblichen Gutmenschentum<br />

hierzulande nicht ein.<br />

Sämtliche Argumente zu Gunsten eines<br />

EU-Beitritts <strong>der</strong> Atatürk-Erben werden<br />

Makulatur, wenn man bedenkt, daß die<br />

Türkei als einwohnerreichster Staat <strong>der</strong><br />

Europäischen Union, ist sie erst einmal<br />

Vollmitglied, den Haushaltsetat dieser<br />

Gemeinschaft entscheidend kontrollieren<br />

kann. Was das im Hinblick auf<br />

zukünftige Ausgaben und die Finanzpolitik<br />

<strong>der</strong> EU-Mitgliedsstaaten bedeutet,<br />

kann sich je<strong>der</strong> selbst ausrechnen.<br />

Noch mutiger als das bisher Erwähnte<br />

sind die Analysen des Publizisten hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> ehemaligen Kolonialstaaten,<br />

<strong>der</strong>en Rückständigkeit seiner Meinung<br />

nach vor allem Gründe erkennen<br />

läßt, die in <strong>der</strong> Mentalität und im<br />

Arbeitsethos begründet liegen. In <strong>der</strong><br />

verkürzten Sichtweise <strong>der</strong> politischen<br />

Korrektheit sind es ausschließlich die<br />

früheren Besatzungsmächte, die die<br />

Kolonialisierten ausbeuteten – eine<br />

Deu tung, die die heute vorhandenen<br />

Lektürehinweis:<br />

Gottfried Meinhold,<br />

Prag, Prag – Mitte – Transit<br />

Vechta-Langförden 2008<br />

Zur Besprechung vorgesehen.<br />

Asymmetrien höchstens zum kleinen<br />

Teil schlüssig erklärt. Ihre mangelnde<br />

Plausibilität wird durch wohl bekannte<br />

„Hypermoral“ (Arnold Gehlen) ersetzt.<br />

Kapitel über „1968“ –<br />

APO-Schelte<br />

Im Kapitel über „1968“, das in einer<br />

Analyse <strong>der</strong> unmittelbaren Gegenwartssituation<br />

beinahe obligatorisch ist, läuft<br />

Wagner zur Höchstform auf. Er betrachtet<br />

die von einer im Wohlstand aufgewachsenen<br />

Jugend provozierten Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

als „Überpolitisierung<br />

und -ideologisierung eines<br />

Generationenkonflikts, <strong>der</strong> auf ganz<br />

normalen Mo<strong>der</strong>nisierungsschüben und<br />

<strong>der</strong>en zö gerlicher Akzeptanz in <strong>der</strong><br />

Bevölkerung und in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

beruhte“. Die verän<strong>der</strong>ten materiellen<br />

und mentalen Lebensgrundlagen wurden<br />

vom Wirtschaftswun<strong>der</strong> und dem<br />

damit einhergehenden technischen<br />

Wandel in den 1950er Jahren geschaffen,<br />

nicht von <strong>der</strong>en verwöhnten Kritikern<br />

und Miesmachern. Daß die Revoltierenden<br />

eben nicht alles neu machten,<br />

wie rührselige Legenden uns glauben<br />

machen wollen, verdeutlicht <strong>der</strong> Verfasser<br />

durch einen verblüffend simplen<br />

Hinweis: Auch in einigen Regionen, die<br />

keine Studentenunruhen kannten – zu<br />

erwähnen sind die ehemaligen Ostblockstaaten<br />

o<strong>der</strong> Spanien und Portugal<br />

–, sind die heutigen Lebensverhältnisse<br />

und -gewohnheiten nicht merklich<br />

an<strong>der</strong>s. „1968“ hat höchstens beschleunigt,<br />

was ohnehin gekommen wäre. An<br />

die APO-Schelte schließt sich ein<br />

Abschnitt über die Neufindung einer<br />

gerechten und angemessenen Autorität<br />

an, die insbeson<strong>der</strong>e in Familie und<br />

Schule dringend fehlt.<br />

Der Essay schil<strong>der</strong>t prägnant die Entwicklung<br />

von <strong>der</strong> „DDR nach Ostdeutschland“<br />

(mit einigen signifikan-<br />

Lektürehinweis:<br />

Peter J. Brenner,<br />

Wie Schule funktioniert-<br />

Schüler, Lehrer, Eltern im<br />

Lernprozeß<br />

Kohlhammer 2007<br />

Peter J. Brenners Gespür für Schule<br />

... umfassend, kompetent, anregend!<br />

ten Einbrüchen) o<strong>der</strong> die oft kitschige<br />

Jesus-Welle, die Jesus nur als Kumpel<br />

betrachtet und nicht als Überbringer<br />

einer Wahrheit, die sich häufig kulturbegründend<br />

auswirkte. Die vielen interkulturellen<br />

Dialoge bewertet <strong>der</strong> Autor<br />

wohl nicht zu Unrecht als Zeichen von<br />

Kulturrelativismus und mangeln<strong>der</strong><br />

Fähigkeit, die eigenen Glaubensüberzeugungen<br />

an<strong>der</strong>en überzuordnen, was<br />

im „liberalen“ Westen meist als Fundamentalismus<br />

denunziert wird. Viele<br />

kluge und mit Verve vorgetragene<br />

Gedankengänge könnten noch erwähnt<br />

werden. Zu wi<strong>der</strong>sprechen ist dem leidenschaftlichen<br />

Verteidiger abendländischer<br />

Errungenschaften allerdings,<br />

wenn er behauptet, die so genannte<br />

„Neue Rechte“ habe sich in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

nicht dezidiert genug gegen<br />

neonazistische Einflüsse abgegrenzt.<br />

Vielmehr ist das Gegenteil <strong>der</strong> Fall.<br />

Dieter Stein, Redakteur <strong>der</strong> „Jungen<br />

<strong>Freiheit</strong>“, trennte sich von seinem Brüsseler<br />

Kolumnisten, dem FPÖ-Europaabgeordneten<br />

Andreas Mölzer, wegen<br />

seiner Versuche, Kontakte zur NPD zu<br />

knüpfen. Für das von Wagner erwähnte<br />

„Institut für Staatspolitik“ liegen ähnliche,<br />

ernst zu nehmende Bemühungen<br />

vor, dezidierte Abgrenzungen zur extremen<br />

Rechten vorzunehmen.<br />

Nein, Wagners Streitschrift ist wahrlich<br />

kein „Bäuerchen“ (Götz Kubitschek),<br />

auch wenn vermutet werden darf, daß<br />

die dominanten Deutungseliten das<br />

engagierte Plädoyer nicht zur Kenntnis<br />

nehmen und totschweigen: Es ist wohltuend,<br />

ein solch klares Bekenntnis zu<br />

lesen! Bleibt zu hoffen, daß <strong>der</strong> Verfasser<br />

die Grundlinien des Essays demnächst<br />

ausziehen und eine größere<br />

Monographie über das Thema vorlegen<br />

wird, die alles das im größeren Kontext<br />

präsentiert, was hier nur angedeutet<br />

werden konnte.<br />

Felix Dirsch<br />

Lektürehinweis:<br />

Dokumentation<br />

einer Fachtagung in Fulda<br />

Bildungsgerechtigkeit<br />

Mit Beiträgen zahlreicher <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />

und einem Essay zum<br />

Thema von Josef Kraus<br />

Herausgegeben vom Deutschen<br />

Lehrerverband<br />

Burbacher Str. 8, 53129 Bonn<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 29


9. November soll an den Schulen Projekttag für deutsche Geschichte werden<br />

Appell <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz<br />

Tiefensee: Geschichte <strong>der</strong> DDR stärker im Unterricht berücksichtigen<br />

Der 9. November soll nach dem Willen<br />

<strong>der</strong> Kultusminister an allen Schulen zu<br />

einem «Projekttag» für die Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

mit <strong>der</strong> deutschen Ge -<br />

schichte werden.<br />

Am 9. November jähren sich <strong>der</strong> Beginn<br />

<strong>der</strong> Novemberrevolution 1918/1919, die<br />

Reichspogromnacht 1938 und <strong>der</strong> Mauerfall<br />

1989. Das Datum 9. November<br />

biete «die große Chance, Kontinuitäten<br />

und Brüche deutscher Geschichte im 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t mit den Schülern zu diskutieren»,<br />

sagte <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz<br />

(KMK), Henry Tesch<br />

(CDU/Mecklenburg-Vorpommern), am<br />

19. <strong>Juni</strong> in Berlin. An diesem Tag könnten<br />

zum Beispiel auch Gedenkstätten<br />

zum Nationalsozialismus o<strong>der</strong> zur DDR-<br />

Geschichte besucht o<strong>der</strong> Schüler zur<br />

Bestellschein<br />

An den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />

<strong>Bund</strong>esgeschäftsstelle<br />

Charlottenstraße 65, 10117 Berlin-Mitte<br />

Name, Vorname, Titel<br />

Straße, Hausnummer, PLZ, Ort<br />

Ort, Datum, Unterschrift<br />

Vereinfachte Zahlung durch Bankeinzug<br />

An den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, <strong>Bund</strong>esgeschäftsstelle Charlottenstraße 65, 10117 Berlin-Mitte<br />

Name, Vorname, Titel<br />

Straße, Hausnummer, PLZ, Ort<br />

Kto.-<strong>Nr</strong>. Kreditinstitut BLZ<br />

Ort, Datum, Unterschrift<br />

30<br />

«historischen Spurensuche» in Archiven<br />

o<strong>der</strong> Museen angeregt werden.<br />

Der Ost-Beauftragte <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esregierung,<br />

Wolfgang Tiefensee (SPD),<br />

hatte am Vortag in einem Brief an die<br />

Kultusminister appelliert, die Ge -<br />

schich te <strong>der</strong> DDR stärker im Schulunterricht<br />

zu berücksichtigen. So<br />

zeige ein Vergleich <strong>der</strong> Lehrpläne,<br />

daß nicht in jedem <strong>Bund</strong>esland alle<br />

Schüler auch etwas über die friedliche<br />

Revolution von 1989 er fahren.<br />

Tiefensee reagierte damit auf eine<br />

Studie, die bei 16- bis 17-jährigen<br />

Schülern zum Teil er schreckende<br />

Wissensdefizite über die DDR-Zeit<br />

aufgezeigt hatte. Eine Mehrheit <strong>der</strong><br />

Ich bitte um kostenlose Zusendung<br />

■ <strong>der</strong> Satzung des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />

<strong>der</strong> letzten Nummern <strong>der</strong> Zeitschrift „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“:<br />

■ <strong>Juni</strong> 2008 ■ September 2008 ■ Dezember 2008 ■ März <strong>2009</strong><br />

■ Ich bestelle zum Preis von 7,50 Euro die Broschüre<br />

„Notizen zur Geschichte des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>“,<br />

Dezember 2001.<br />

■ Ich bestelle zum Preis von 5,00 Euro die Broschüre Kurt Reinschke,<br />

Bologna-Prozeß und Bachelorisierung <strong>der</strong> deutschen Hochulen,<br />

Berlin 2008.<br />

■ Ich bestelle zum Preis von 5,00 Euro die Broschüre Kurt Reinschke (Hg.),<br />

Bologna-Prozeß in Deutschland: ein Trojanisches Pferd für das deutsche<br />

Hochschulsystem? – Nachschrift zu einer Podiumsdiskussion,<br />

Dresden <strong>2009</strong><br />

Hiermit ermächtige(n) ich/wir den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V. wi<strong>der</strong>ruflich, die von mir/uns zu entrichtenden Zahlungen bei Fälligkeit zu Lasten meines/<br />

unseres Kontos mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein/unser Konto die erfor<strong>der</strong>liche Deckung nicht ausweist, besteht seitens des kontoführenden Kreditinstituts<br />

keine Verpflichtung zur Einlösung. Teileinlösungen werden im Lastschriftverfahren nicht vorgenommen.<br />

■ Jahresbeitrag Einzelmitglied 100,– Euro<br />

■ Jahresbeitrag Mitglied aus den neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n 75,– Euro<br />

■ Jahresbeitrag Berufsanfänger 50,– Euro<br />

■ Jahresbeitrag Schüler/Student 15,– Euro<br />

■ Jahresbeitrag För<strong>der</strong>mitglied 125,– Euro<br />

■ Jährliche Spende<br />

Schüler konnte beispielsweise nicht<br />

sagen, wer für den Bau <strong>der</strong> Mauer<br />

verantwortlich war.<br />

Material ist beispielsweise erhältlich über<br />

die <strong>Bund</strong>esstiftung zur Aufarbeitung <strong>der</strong><br />

SED-Diktatur. Sie ist eine bundesunmittelbare<br />

Stiftung öffentlichen Rechts. Die<br />

Geschäfte <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esstiftung führt ein<br />

ehrenamtlich tätiger Vorstand. Postanschrift:<br />

Kronenstr. 5, 10117 Berlin. Internetseite:<br />

www.stiftung-aufarbeitung.de.<br />

Der Stiftungsrat wählte am 6. Mai <strong>2009</strong><br />

den dritten Stiftungsvorstand für die<br />

kommenden fünf Jahre. Ihm gehören<br />

Rainer Eppelmann, Prof. Dr. Bernd Faulenbach,<br />

Annemarie Franke, Gerry Kley<br />

und Gerd Poppe an.<br />

dpa/<strong>fdw</strong><br />

✄<br />

<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>


<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />

Aufgabe des Vereins, Satzung<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> setzt<br />

sich für die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und<br />

die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Hochschulen und<br />

Schulen ein.<br />

Er wurde am 19. November 1970 in Bad<br />

Godesberg gegründet und ist eine über -<br />

parteiliche Vereinigung zur Verteidigung <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> von<br />

Forschung, Lehre und Studium. Auf <strong>der</strong><br />

Grund lage <strong>der</strong> freiheitlich-demokratischen<br />

Rechtsordnung <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esrepublik Deutsch -<br />

land und im Bewußtsein <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Verantwortung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> setzt<br />

sich <strong>der</strong> Verein unter Ausschluß von parteipolitischen<br />

Bindungen zur Aufgabe:<br />

1. die <strong>Freiheit</strong> von Forschung, Lehre und<br />

Studium zu wahren und zu för<strong>der</strong>n,<br />

2. sich je<strong>der</strong> Unterwerfung unter die Machtansprüche<br />

einzelner Gruppen o<strong>der</strong><br />

Interes sen zu wi<strong>der</strong>setzen,<br />

3. auf eine Politik zu drängen, die eine stetige<br />

Verbreiterung <strong>der</strong> Bildungschancen mit<br />

<strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong> Leistungsmaßstäbe verbindet.<br />

Regionalbeauftragte<br />

Baden-Württemberg:<br />

Professor Dr. Jürgen Kullmann,<br />

Panoramastr. 27, 72116 Mössingen,<br />

Tel. Universität Tübingen (0 74 73) 57 68<br />

Fax (0 74 73) 2 67 68,<br />

E-Mail: juergen.kullmann@uni-tuebingen.de<br />

Bayern:<br />

Oberstudiendirektor Willi Eisele,<br />

Kiefernweg 1, 82515 Wolfratshausen,<br />

Tel. (0 89) 23343126, Tel. (0 81 71) 41 09 23,<br />

E-Mail: willi.eisele@gmx.de<br />

Berlin und Brandenburg:<br />

Oberschulrat Gerhard Schmid,<br />

Markelstraße 53, 12163 Berlin,<br />

Tel. priv. (0 30) 79 218 93,<br />

Mobil (01 70) 8 15 78 65,<br />

Dienstl. (0 30) 9 02 98-36 22,<br />

Fax priv. (030) 79 01 62 61<br />

E-Mail: ger-schmid@web.de<br />

Bremen:<br />

Professor Dr. Wolfgang Dreybrodt,<br />

Bekassinenstr. 86, 28357 Bremen,<br />

Tel. (04 21) 27 18 79, E-Mail: dreybrodt@t-online.de<br />

Hamburg:<br />

Staatsrat a. D. Dr. Reiner Schmitz<br />

Elbchaussee 110, 22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 8 00 22 73, Fax (0 40) 87 08 05 16<br />

E-Mail: reinerschmitzhh@yahoo.de<br />

Hessen:<br />

Privatdozent Dr. habil. Siegfried Uhl,<br />

Homburger Landstraße 225/I 408,<br />

60435 Frankfurt am Main,<br />

Tel. (06 11) 5 82 7110<br />

Fax (0611) 5827109<br />

E-Mail: s.uhl@iq.hessen.de<br />

Mecklenburg-Vorpommern:<br />

Professor Dr. Klaus-Dieter Rosenbaum,<br />

Bärenfelsallee 20, Gutshaus Rustow, 17121 Loitz<br />

Der Satzungszweck wird verwirklicht insbeson<strong>der</strong>e<br />

durch die Durchführung wissenschaft -<br />

licher Veranstaltungen und Forschungs vor -<br />

haben, Publikationen und In formationen <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit über die Situation von Hochschule,<br />

Schule und <strong>Wissenschaft</strong> (§ 2 <strong>der</strong> Satzung).<br />

Die vollständige Satzung kann mit dem in<br />

diesem Heft abgedruckten Bestellschein<br />

angefor<strong>der</strong>t werden.<br />

Vorstand:<br />

Vorsitzende<br />

Dr. Hans Joachim Geisler, Dernburgstr. 53,<br />

14057 Berlin, Tel. (0 30) 322 3158, Fax über<br />

BFW-Büro, E-Mail: hjgeisler@gmx.de<br />

Oberstudiendirektor Dr. Winfried Holzapfel,<br />

An <strong>der</strong> Ölmühle 16, 47608 Gel<strong>der</strong>n,<br />

Tel. (0 28 31) 4416, Fax (0 28 31) 99 29 72,<br />

E-Mail: dr.winfried.holzapfel@t-online.de<br />

Professor Dr. Dr. Kurt J. Reinschke,<br />

Wachwitzer Bergstr. 32, 01326 Dresden,<br />

Tel. (0351) 2686166<br />

E-Mail: kurt.reinschke@tu-dresden.de<br />

E-Mail: kurt.reinschke@t-online.de<br />

Schatzmeister<br />

Professor Dr. Günter Püttner,<br />

Schwerdstr. 3, 67346 Speyer<br />

Tel. (0 62 32)719 97<br />

Tel./Fax (03 99 98) 3 12 93,<br />

E-Mail: rosen@uni-greifswald.de<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen:<br />

Oberstudiendirektor Bernd Ostermeyer<br />

Lageweg 4, 29342 Wienhausen<br />

Tel./Fax (0 51 49) 82 63<br />

Dienstl. Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium<br />

– Europaschule –<br />

Hannoversche Straße 53, 29221 Celle<br />

Tel. (05 1 41) 92 40 30<br />

Fax (0 51 41) 90 77 68<br />

E-Mail: sl@kav-celle.de<br />

Nordrhein-Westfalen:<br />

Studiendirektor Norbert Schlö<strong>der</strong>,<br />

Pater-Delp-Str. 11, 47877 Willich,<br />

Tel. (0 21 54) 8 76 84<br />

E-Mail: norbert.schloe<strong>der</strong>@t-online.de<br />

Sachsen:<br />

Professor Dr. Sigismund Kobe<br />

Leonhard-Frank-Str. 32, 01069 Dresden,<br />

Tel. (03 51) 4 71 43 11<br />

E-mail: kobe@theory.phy.tu-dresden.de<br />

Thüringen:<br />

Professor Dr. Gerd Wechsung,<br />

Rosenweg 3, 07751 Cospeda,<br />

Tel. (0 36 41) 44 76 73<br />

Sektion Berlin-Brandenburg:<br />

Vorsitzen<strong>der</strong>: Dr. habil. Till Kinzel,<br />

Dortmun<strong>der</strong> Str. 15, 10555 Berlin,<br />

Tel. (0 30) 3 92 55 00,<br />

E-Mail: till.kinzel@gmx.de<br />

Abonnement <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>fdw</strong><br />

Jahresabonnement für Nichtmitglie<strong>der</strong>: 12,–<br />

Euro inkl. Porto und Versandkosten. Für Mitglie<strong>der</strong><br />

des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> ist<br />

<strong>der</strong> Verkaufspreis durch den Mitgliedsbeitrag<br />

abgegolten. Auch Spen<strong>der</strong> erhalten die Zeit-<br />

Erweiterter Vorstand:<br />

Professor Dr. Wolfgang Dreybrodt,<br />

Bekassinenstr. 86, 28357 Bremen,<br />

Tel. (04 21) 27 18 79<br />

E-Mail: dreybrodt@t-online.de<br />

Oberstudiendirektor Josef Kraus,<br />

Fürstenstr. 59, 84032 Ergolding,<br />

Tel. (08 71) 6 86 74, Fax (08 71) 63 03 90,<br />

E-Mail: josef.kraus@landshut.org<br />

Dr. Brigitte Pötter<br />

Heinrich-Heine-Str. 7 b, 15831 Mahlow<br />

Tel. (0 33 79) 20 58 65,<br />

Fax (0 33 79) 2061 26<br />

E-Mail: bpoetter@gmx.de<br />

Professor Dr. Klaus-Dieter Rosenbaum,<br />

Bärenfelsallee 20, Gutshaus Rustow,<br />

17121 Loitz,<br />

Tel./Fax (03 99 98) 3 12 93,<br />

E-Mail: rosen@uni-greifswald.de<br />

Professor Dr. Winfried Schlaffke,<br />

Rüdellstr. 10, 50737 Köln,<br />

Tel. (02 21) 74 7159,<br />

Fax (02 21) 7 40 52 50,<br />

E-Mail: w.schlaffke@t-online.de<br />

schrift kostenlos. Bitte verwenden Sie für ein<br />

Abonnement einfach den beigefügten Abschnitt.<br />

Mitgliedschaft, Jahresbeiträge<br />

Schüler, Studenten 15,– Euro, Berufsanfänger 50,–<br />

Euro, Einzelmitglie<strong>der</strong> 100,– Euro, För<strong>der</strong>mitglie<strong>der</strong><br />

125,– Euro, Mitglie<strong>der</strong> aus den neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />

75,– Euro.<br />

Mitglie<strong>der</strong> erhalten die Zeitschrift „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“<br />

und sonstige Veröffentlichungen des BFW<br />

kostenlos.<br />

Mitgliedsbeiträge sind steuerbegünstigt (s. u.); sie erhalten<br />

ohne Auffor<strong>der</strong>ung eine Spendenbescheinigung.<br />

Bitte verwenden Sie die beigefügte Beitrittserklärung<br />

und zur Vereinfachung <strong>der</strong> Zahlungen am besten auch<br />

die beigefügte Ermächtigung zum Bankeinzug.<br />

Spenden<br />

Für Spenden auf das Konto <strong>Nr</strong>. 0 233 858, (BLZ<br />

380 700 24) Deutsche Bank Bonn ist <strong>der</strong> <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> dankbar. Spenden an den<br />

<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> sind steuerbegünstigt<br />

(s. u.). Sie erhalten ohne Auffor<strong>der</strong>ung eine Spendenbescheinigung.<br />

Für regelmäßige Spenden können<br />

Sie zur Vereinfachung <strong>der</strong> Zahlungen am besten die<br />

beigefügte Ermächtigung zum Bankeinzug benutzen.<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V. ist we -<br />

gen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und <strong>der</strong> Volksbildung<br />

(entspr. Abschnitt A <strong>Nr</strong>. 4 <strong>der</strong> Anlage 1 zu<br />

§ 48 Abs. 2 EStDV) nach dem letzten uns zugegangenen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts<br />

für Körperschaften I von Berlin, St<strong>Nr</strong><br />

27/657/50589, vom 22. 2. 2007 für die Jahre<br />

2003, 2004 und 2005 nach § 5 Abs. 1 <strong>Nr</strong>. 9 des<br />

Körperschaftssteuergesetzes von <strong>der</strong> Körperschaftssteuer<br />

befreit, weil er ausschließlich und<br />

unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen<br />

Zwecken im Sinne <strong>der</strong> §§ 51 ff. AO dient.<br />

2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 31


<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />

Charlottenstraße 65, 10117 Berlin Telefon (030) 204 547 04, Telefax (030) 204 547 06,<br />

bund.freiheit.wissenschaft@t-online.de, http://www.bund-freiheit-<strong>der</strong>-wissenschaft.de<br />

Wir brauchen ein leistungsorientiertes Bildungssystem.<br />

Der Bologna-Prozeß in den Hochschulen erreicht seine Ziele nicht. Diese wissenschaftsfremde Reform hat nur zu<br />

mehr Bürokratie geführt. Professoren und Studenten lehnen sie ab. Alternativen wie Diplom- und Magisterstudiengänge<br />

o<strong>der</strong> Staatsexamen sind nicht zugelassen o<strong>der</strong> sollen auch bei Lehrern, Juristen und Medizinern abgeschafft<br />

werden. Von <strong>Freiheit</strong> in Lehre und Studium ist keine Rede. Der Bachelor-Abschluß bietet keine wissenschaftliche<br />

Berufsqualifikation. Die Mobilität <strong>der</strong> Studenten sinkt. Es gibt weiter hohe Abbrecherquoten. Die Studienorganisation<br />

ist bürokratisch und wi<strong>der</strong>spricht dem Ziel einer umfassenden wissenschaftlichen Bildung.<br />

Wir sind gegen die Einheitsschule. Denn nur ein geglie<strong>der</strong>tes Schulwesen wird den unterschiedlichen Begabungen<br />

<strong>der</strong> Schüler gerecht. Verschiedene Schultypen entsprechen <strong>der</strong> unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und den unterschiedlichen<br />

Zukunftsvorstellungen <strong>der</strong> Schüler. Das geglie<strong>der</strong>te Schulwesen vermittelt Bildung, nicht nur Ausbildung.<br />

Bildung bedeutet auch Entwicklung <strong>der</strong> Persönlichkeit. Gesamtschulen haben sich nicht bewährt, auch nicht<br />

bei <strong>der</strong> Aufgabe, soziale Unterschiede auszugleichen. Leistung in <strong>der</strong> Bildung betrifft Qualität, nicht nur Quantität.<br />

Das Abitur muß die Studierfähigkeit nicht nur bescheinigen, son<strong>der</strong>n auch gewährleisten.<br />

Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> hat seit 1970 für die <strong>Freiheit</strong> von Forschung, Lehre und Studium gestritten.<br />

Er hat sich für hohe Leistungsmaßstäbe in den Schulen und ein begabungsgerechtes Schulsystem eingesetzt.<br />

Beide Ziele sind wie<strong>der</strong> in Gefahr.<br />

Wir brauchen Mitstreiter. Unterstützen Sie unsere Ziele und unsere Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft!<br />

Wir heißen Sie im <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> herzlich willkommen.<br />

Dr. Hans Joachim Geisler Dr. Winfried Holzapfel Professor Dr. Kurt Reinschke<br />

Ich möchte dem <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V. beitreten als<br />

o Einzelmitglied zum Jahresbeitrag von 100,– Euro<br />

o Mitglied aus den neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n zum Jahresbeitrag von 75,– Euro<br />

o Berufsanfänger zum Jahresbeitrag von 50,– Euro<br />

o Schüler/Student zum Jahresbeitrag von 15,– Euro<br />

o För<strong>der</strong>mitglied zum Jahresbeitrag von 125,– Euro<br />

Im Mitgliedsbeitrag ist die kostenlose Zusendung <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> enthalten.<br />

Ich zahle meinen Beitrag auf das Konto des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> bei <strong>der</strong> Deutschen Bank AG<br />

Bonn, BLZ 380 700 24, Kontonummer 0233858.<br />

Mitgliedsbeiträge für den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> sind steuerbegünstigt.<br />

Ich bin damit einverstanden, daß meine persönlichen Daten nur für die satzungsgemäßen Zwecke des Vereins elektronisch<br />

gespeichert werden.<br />

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