fdw Nr. 2 Juni 2009 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV
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<strong>Nr</strong>. 2 · <strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> F 1634 F<br />
Herausgeber: <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Lieber Leser Seite 2<br />
Aus <strong>der</strong> Arbeit des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> Seite 3<br />
„Heiße Magister, heiße Doktor gar ...“<br />
Akademische Grade in den deutschen Landen im Wandel <strong>der</strong> Zeit Seite 4<br />
Von Kurt Reinschke<br />
AUS DEN BUNDESLÄNDERN<br />
Baden-Württemberg<br />
Auf fachwissenschaftliche Qualität nicht verzichten<br />
Berlin<br />
Seite 14<br />
Leistung muß <strong>der</strong> Leitgedanke sein<br />
Bremen<br />
Seite 15<br />
Neue schulpolitische Entwicklungen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Seite 16<br />
Das Fach Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong> Universität zu Köln Seite 19<br />
Endlich eine klare Auskunft<br />
Von Ulrich Sprenger<br />
Seite 22<br />
Nachruf auf Folkmar Koenigs Seite 23<br />
Leserbriefe Seite 24<br />
Ein Appell <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz Seite 29<br />
BÜCHERREVUE<br />
Scholz/Stein (Hg.): Bologna-Schwarzbuch (Püttner)<br />
Schabert (Hg.): Wolfgang Clemen ... (Kinzel)<br />
Rüegg: Die 68er Jahre ... (Kinzel)<br />
Wagner: Es reicht ... (Dirsch)<br />
Knabe: Honeckers Erben (Kinzel)<br />
Mitgliedsantrag Seite 32
fw<br />
freiheit <strong>der</strong><br />
wissenschaft<br />
Offizielles Organ des <strong>Bund</strong>es<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />
Für unaufgefor<strong>der</strong>t eingesandte<br />
Manuskripte, Zeichnungen und<br />
Fotos und an<strong>der</strong>e Beiträge übernimmt<br />
<strong>der</strong> Empfänger keine Haftung.<br />
Abdruck mit Quellenangabe<br />
und Belegexemplar gestattet.<br />
Die mit Namen gekennzeichneten<br />
Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />
Ansicht von Herausgeber und<br />
Redaktion dar, son<strong>der</strong>n die persönliche<br />
Meinung des Verfassers.<br />
Zuschriften und Stellungnahmen zu<br />
Themen und Artikeln dieses Heftes<br />
sind willkommen. Wie<strong>der</strong>gabe und<br />
redaktionelle Kürzungen bleiben<br />
vor behalten. „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“<br />
erscheint in herkömmlicher<br />
Rechtschreibung.<br />
Herausgeber: Vorstand des <strong>Bund</strong>es<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />
Redaktion: Dr. Winfried Holzapfel<br />
Verbandsgeschäftsstelle:<br />
Postanschrift:<br />
Charlottenstraße 65,<br />
10117 Berlin-Mitte (U-Bahnhof<br />
Stadtmitte, nahe Gendarmenmarkt)<br />
Büro: Petra Schauf<br />
Die Geschäftsstelle dient auch als<br />
Kontakt- und Informationsstelle.<br />
Für größere Veranstaltungen steht<br />
ein Hörsaal zur Verfügung.<br />
Telefon: (0 30) 20 45 47 04<br />
Fax: (0 30) 20 45 47 06<br />
E-Mail:<br />
bund.freiheit.wissenschaft<br />
@t-online.de<br />
Internet:<br />
http://www.bund-freiheit-<strong>der</strong>wissenschaft.de<br />
Bankverbindung:<br />
Deutsche Bank AG, Bonn<br />
(BLZ 380 700 24), Kto. 0 233 858<br />
Verlag, Herstellung und Anzeigen:<br />
Vereinigte Verlagsanstalten GmbH,<br />
Höherweg 278, 40231 Düsseldorf<br />
Internet: www.vva.de<br />
E-Mail: info@vva.de<br />
Anzeigenleitung: Ulrike Niggemann<br />
Anzeigenverkauf:<br />
Panagiotis Chrissovergis<br />
Tel. 02 11/73 57-8 41<br />
Fax 02 11/73 58-8 44<br />
Anzeigentarif <strong>Nr</strong>. 16<br />
ISSB 0343-7752<br />
2<br />
Lieber Leser,<br />
Dr. Winfried Holzapfel ist einer <strong>der</strong><br />
Vorsitzenden des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong><br />
In <strong>der</strong> Woche vom 15. bis 20. <strong>Juni</strong> fand<br />
bekanntlich <strong>der</strong> sogenannte Bildungsstreik<br />
statt. Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
hat in einer Pressemitteilung folgen<strong>der</strong>maßen<br />
dazu Stellung genommen:<br />
Die Streikaufrufe zielen auf die Abschaffung<br />
des geglie<strong>der</strong>ten Schulsystems und<br />
eine Senkung <strong>der</strong> Leistungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />
im gesamten Bildungsbereich.<br />
Diese Ziele kann <strong>der</strong> <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong> nicht mittragen, im Gegenteil:<br />
er lehnt sie strikt ab.<br />
Studiengebühren<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> hat<br />
für die Einführung von Studiengebühren<br />
mit guten Argumenten geworben. Diese<br />
Argumente haben sich in einigen <strong>Bund</strong>es-<br />
län<strong>der</strong>n durchgesetzt, sie sind nicht wi<strong>der</strong>legt. Die Gesetzeslage in<br />
NRW ist vorbildlich: Die Hochschulen entscheiden selbst, ob und in<br />
welcher Höhe sie Studiengebühren verlangen.<br />
Vor dem <strong>Bund</strong>esverfassungsgericht hatte die Erhebung von Studiengebühren<br />
Bestand.<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> macht sich die Aussage des<br />
<strong>Bund</strong>esverfassungsgerichts zu eigen, daß „durch die Einführung<br />
von Studiengebühren eine wertbewußte Inanspruchnahme <strong>der</strong> Ausbildungsleistung<br />
geför<strong>der</strong>t werden“ kann.<br />
Bologna-Prozeß/Bachelor/Master<br />
Der Bologna-Prozeß erreicht seine Ziele nicht. Die Mobilität <strong>der</strong><br />
Studenten sinkt. Die <strong>Freiheit</strong> und die Einheit von Forschung, Lehre<br />
und Studium sind bedroht.<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> war von Anfang kritisch <strong>der</strong><br />
flächendeckenden Einführung von BA/MA-Studiengängen gegenüber<br />
eingestellt. Er lehnt die Bachelorisierung <strong>der</strong> Universitäten ab.<br />
Als wissenschaftlicher Abschluß bedeutet <strong>der</strong> Bachelor einen<br />
Etikettenschwindel.<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> bekennt sich aber vollinhaltlich<br />
zur „Magna Charta Universitatum“ von Bologna aus dem<br />
Jahre 1988. – Er lehnt aber die in Nachfolge <strong>der</strong> Sorbonne-Erklärung<br />
von 1998 erfolgte Bürokratisierung des Studiums zum Schaden<br />
<strong>der</strong> akademischen <strong>Freiheit</strong> und auch <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung<br />
<strong>der</strong> Studierenden ab.<br />
Demonstrieren, nicht streiken!<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> lehnt Ungesetzlichkeiten im<br />
Zuge <strong>der</strong> Demonstrationen ab. Er verurteilt auch die Verführung<br />
zu Ungesetzlichkeiten, z. B. Mißachtung <strong>der</strong> Schulpflicht, da sie<br />
einen Werteverstoß darstellen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Ihr<br />
Winfried Holzapfel<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
Aus <strong>der</strong> Arbeit des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> Wi senschaft<br />
Professor Dr. Marius Reiser<br />
(geb. 1954) ist Theologe an <strong>der</strong><br />
Universität Mainz. Am 20. Januar<br />
<strong>2009</strong> begründete er in einem<br />
Aufsatz in <strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung, warum er zum<br />
Ende des Wintersemsters 2008/<br />
<strong>2009</strong> seine Professur nie<strong>der</strong>legen<br />
werde. Er legte dar, daß er die<br />
Nivellierung des Studiengangs<br />
Katholische Theologie durch die<br />
Modularisierung im Rahmen des<br />
Bologna-Prozesses nicht mehr<br />
mittragen könne. Professor Reiser<br />
wurde zum 1. April <strong>2009</strong> aus<br />
dem Beamtenverhältnis entlassen.<br />
Er hielt am 15. <strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> in<br />
Düsseldorf einen Vortrag bei<br />
einem Regionaltreffen des <strong>Bund</strong>es<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> in<br />
NRW (siehe unten). �<br />
Wir freuen uns, wenn an<strong>der</strong>e<br />
Zeitschriften Aufsätze aus „<strong>Freiheit</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>“ als Nachdruck<br />
übernehmen, was auch<br />
nach dem Erscheinen <strong>der</strong> letzten<br />
Nummer mehrfach geschah. Und<br />
wir drucken sehr gern Leserbriefe<br />
ab, auch sehr kritische wie den<br />
auf Seite 24 zum Thema Bologna-Prozeß.<br />
Zum Inhalt <strong>der</strong><br />
Kontroverse verweisen wir auf<br />
einen Aufsatz von Professor Kurt<br />
Reinschke, <strong>der</strong> sich in diesem<br />
Heft mit dem Thema „Akademische<br />
Grade und Ämter in den<br />
deutschen Landen im Wandel<br />
<strong>der</strong> Zeiten“ befaßt. �<br />
Bei dieser Gelegenheit sei darauf<br />
hingewiesen, daß in <strong>der</strong> Ge -<br />
schäftsstelle drei vom <strong>Bund</strong> Frei-<br />
Marius Reiser sprach beim<br />
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Professor Dr. Marius Reiser<br />
Aus Protest gegen die Umsetzung<br />
des Bologna-Prozesses an<br />
den deutschen Universitäten hat<br />
Professor Dr. Marius Reiser zum<br />
Ende des Wintersemesters 2008/<br />
<strong>2009</strong> seine Professur nie<strong>der</strong>gelegt.<br />
Am 1. April <strong>2009</strong> erhielt er<br />
seine Entlassungsurkunde.<br />
Laut <strong>der</strong> Studentenzeitung „unipress“<br />
<strong>der</strong> Johannes-Gutenberg-<br />
Universität Mainz ist für Marius<br />
Reiser <strong>der</strong> zentrale Kritikpunkt<br />
an <strong>der</strong> Bologna-Reform das<br />
Ende <strong>der</strong> akademischen <strong>Freiheit</strong>.<br />
Auf die Frage des Studentenmagazins:<br />
„Was raten Sie Studienanfängern?“<br />
antwortete er: „Ich<br />
rate ihnen, sich genau zu überle-<br />
gen, was sie wollen, und ob sie<br />
bereit sind, eine weitere Schulzeit<br />
ohne akademische <strong>Freiheit</strong><br />
in Kauf zu nehmen.“<br />
Am 15. <strong>Juni</strong> <strong>2009</strong> war Professor<br />
Dr. Marius Reiser zu Gast bei<br />
einer Veranstaltung des <strong>Bund</strong>es<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> in<br />
Düsseldorf. Vor zahlreichen Zu -<br />
hörern sprach er zum Thema:<br />
„Standardisierung und Kultur im<br />
,Bologna‘-Zeitalter“.<br />
An den Anfang seines fesselnden<br />
Vortrags stellte er ein Zitat<br />
von G. K. Chesterton, <strong>der</strong> gesagt<br />
habe, die größte Gefahr für die<br />
Bildung seien nicht etwa die<br />
Ideologien, so gefährlich diese<br />
seien, son<strong>der</strong>n „die Standardisierung<br />
auf niedrigem Niveau“.<br />
Der Vortrag von Professor Dr.<br />
Marius Reiser wird in Kürze<br />
vom <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
veröffentlicht. Be -<br />
stellungen können schon jetzt<br />
an die Geschäftsstelle gerichtet<br />
werden.<br />
Den genauen Zeitpunkt <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />
geben wir auf<br />
unserer Website bekannt. Siehe<br />
unter www.bund-freiheit-<strong>der</strong>-wis -<br />
senschaft.de.<br />
heit <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> herausgegebene,<br />
noch lieferbare Broschüren<br />
von Kurt Reinschke zum Bologna-Prozeß<br />
bestellt werden können<br />
(je 5 Euro): 1) Bologna-Prozeß<br />
und Bachelorisierung <strong>der</strong><br />
deutschen Hochschulen, Vortrag<br />
beim BFW am 23. 5. 2008 in Berlin,<br />
29 S., ISBN 978-3-00-<br />
025276-1; 2) dazu: Nachschrift,<br />
29 S., ISBN 978-3-00-025276-1<br />
2. bearb. Auflage; 3) Bologna-<br />
Prozeß in Deutschland: ein Trojanisches<br />
Pferd für das deutsche<br />
Hochschulsystem? Nachschrift<br />
zu einer Podiums- und Diskussionsveranstaltung<br />
vom 19. 2.<br />
<strong>2009</strong> in Dresden, 46 S., ISBN<br />
978-3-00-027366-7. �<br />
Welche Hochschullehrerin, welcher<br />
Hochschullehrer hat sich<br />
durch außergewöhnliches Engagement<br />
um das Ansehen ihrer<br />
bzw. seiner Berufsgruppe beson<strong>der</strong>s<br />
verdient gemacht?<br />
Zum vierten Mal lobt <strong>der</strong> Deutsche<br />
Hochschulverband (DHV)<br />
ein Preisgeld in Höhe von 5.000<br />
Euro für den/die „Hochschullehrer/in<br />
<strong>der</strong> Jahres“ aus. Der Preis<br />
wird vom DHV mit Unterstützung<br />
des ZEIT-Verlages Gerd<br />
Bucerius Gmbh & Co.KG verliehen.<br />
Die Vorschläge bedürfen <strong>der</strong><br />
Schriftform. Zum Vorschlag<br />
gehört <strong>der</strong> Name des Vorgeschlagenen,<br />
die Hochschule,<br />
<strong>der</strong> er angehört, eine Begründung<br />
des Vorschlags, die das<br />
Verdienst des Vorgeschlagenen<br />
skizziert, sowie gegebenenfalls<br />
aussagefähige Unterlagen über<br />
die Leistung des Vorgeschlagenen.<br />
Die Unterlagen sind an<br />
die Geschäftsstelle des Deutschen<br />
Hochschulverbandes zu<br />
richten: Deutscher Hochschulverband,<br />
„Hochschullehrer des<br />
Jahres“, Rheinallee 18, 53173<br />
Bonn.<br />
Am 9. Mai <strong>2009</strong> starb im Alter<br />
von 92 Jahren Folkmar Koenigs,<br />
Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht<br />
an <strong>der</strong> Technischen<br />
Universität Berlin. Er gehörte<br />
1970 zu den Grün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Notgemeinschaft<br />
für eine freie Universität,<br />
<strong>der</strong> Berliner Sektion des<br />
<strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />
war lange <strong>der</strong>en Vorstandsmitglied<br />
und stellvertreten<strong>der</strong><br />
Vorsitzen<strong>der</strong> und über viele<br />
Jahre eines ihrer aktivsten und<br />
mutigsten Mitglie<strong>der</strong>. Bitte lesen<br />
Sie den Nachruf auf Seite 23. �<br />
Wollen Sie Mitglied im <strong>Bund</strong><br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> werden?<br />
Ein Beitrittsformular finden<br />
Sie auf <strong>der</strong> Umschlagseite.<br />
Hans Joachim Geisler<br />
Wahl zum/zur Hochschullehrer/in<br />
des Jahres<br />
Bis zum 30. September<br />
Die Berufsvertretung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>lerinnen<br />
und <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
ruft dazu auf, bis zum<br />
30. September <strong>2009</strong> Kandidaten<br />
als „Hochschullehrer/in des Jahres“<br />
vorzuschlagen.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Preisverleihung<br />
zum „Hochschullehrer des Jahres“<br />
zeichnet academics – das<br />
Karriereportal <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
von DIE ZEIT und „Forschung<br />
& Lehre“ – den/die „Nachwuchswissenschaftler/in<br />
des<br />
Jahres“ aus. Mit einem Preisgeld<br />
von 2.000 Euro wird eine Nachwuchswissenschaft<br />
lerin bzw. ein<br />
Nachwuchswissenschaftler prämiert,<br />
<strong>der</strong> im vergangenen Jahr<br />
durch herausragendes Engagement,<br />
zukunftsweisende Ideen<br />
o<strong>der</strong> beispielhaftes Handeln Forschung<br />
und Lehre nachhaltig<br />
beeinflußt hat. Es gilt eine<br />
Altersbeschränkung von 35 Jahren<br />
bei Bewerbungsschluß.<br />
Kandidaten können ebenfalls<br />
bis zum 30. September <strong>2009</strong><br />
vorgeschlagen werden.<br />
Mehr Informationen dazu gibt es<br />
unter htttp://www.academics.de/<br />
nachwuchspreis.<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 3
„Mit den neu-deutschen Graden ,Bachelor, Master und Ph. D.‘ wird <strong>der</strong> deutschen studierenden Jugend<br />
<strong>der</strong> Weg in ihre angestammte akademische Behausung versperrt.“<br />
„Heiße Magister, heiße Doktor gar …“<br />
Akademische Grade und Ämter in den deutschen Landen im Wandel <strong>der</strong> Zeiten<br />
von Kurt Reinschke<br />
Wenn Goethe seinen Faust am Beginn<br />
<strong>der</strong> Tragödie erster Teil sinnieren läßt:<br />
„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin<br />
so klug als wie zuvor, heiße Magister,<br />
heiße Doktor gar, ...“, so geht es ihm<br />
um den lebensweltlichen Wert <strong>der</strong> höchsten<br />
akademischen Würden, die an den<br />
mittelalterlichen europäischen Univer -<br />
sitäten erworben werden konnten. Die<br />
Termini Magister (= Vorsteher, Meister,<br />
Lehrmeister) und Doktor (= Lehrmeis -<br />
ter, Lehrer) wurden jedoch schon Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
vor den ersten Universitätsgründungen<br />
verwendet. Im alten Rom<br />
stand zum Beispiel M. census für<br />
Finanz minister, M. municipiorum für<br />
Gemeindevorsteher, M. equitum für<br />
Reiteroberst, M. morum für Sittenwächter.<br />
Die frühe Christenheit würdigte den<br />
Völkerapostel Paulus als Doctor gentium<br />
und die Kirchenväter als Doc tores<br />
ecclesiae. Seit dem Zeitalter <strong>der</strong> Scholastik<br />
bezeichnen die Titel Magister und<br />
Doctor akademische Ämter und Würden.<br />
Der vorliegende Aufsatz handelt<br />
von <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> akademischen<br />
Grade und Ämter in Deutschland, vom<br />
12. Jahrhun<strong>der</strong>t bis zum 21. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
Aufstieg und Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong><br />
europäischen Universitäten<br />
Die ersten Universitäten im lateinischen<br />
Europa, die nach unserem heutigen<br />
Sprachgebrauch aber nur einzelne<br />
Fakultäten waren, entstanden im 12.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t in Italien, so die Rechtsschule<br />
in Bologna und die medizinische<br />
Schule in Salerno. In Bologna wurde<br />
das Doktorat erstmals zu einer akademischen<br />
Würde gestempelt, als im Auftrage<br />
des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa<br />
dort Doctores legum (= Gesetzeslehrer)<br />
ernannt wurden. In <strong>der</strong><br />
damaligen Zeit <strong>der</strong> Scholastik entwikkelte<br />
sich Paris zum geistigen Mittelpunkt<br />
Europas. Die Universität von<br />
Paris wurde zum Muster für alle abendländischen<br />
Universitäten. Die innere<br />
4<br />
Organisation grün dete zunächst auf<br />
einer Einteilung <strong>der</strong> Schüler und Lehrer<br />
nach ihrer Natio na lität. Später dominierte<br />
die Einteilung nach Fakultäten<br />
(facultates o<strong>der</strong> ordines), die man sich<br />
als zunftartige Kollegialverbände unter<br />
den Lehrern <strong>der</strong> Theologie, <strong>der</strong> Jurisprudenz<br />
und <strong>der</strong> Medizin vorzustellen<br />
hat. Die „Universitas Lit terarum“ repräsentierte<br />
die Gesamtheit <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
jener Zeit. Es war eine korporativ<br />
verfaßte „Universitas magistrorum<br />
et scholarium“ (= Gemeinschaft <strong>der</strong><br />
Lehrenden und Lernenden) mit drei<br />
Fakultäten – für Theologie, Jurisprudenz<br />
und Medizin. Hinzu kam <strong>der</strong> „ordo<br />
artium liberalium“ (= Fakultät <strong>der</strong> freien<br />
Künste, kurz „Artistenfakultät“) als<br />
vierte, auf die Fachstudien vorbereitende<br />
Struktureinheit.<br />
Der Papst Gregor IX (Pontifikat von<br />
1227 bis 1241) gewährte <strong>der</strong> Pariser<br />
Universität Privilegien und entließ sie<br />
schließlich in die Autonomie. 1231<br />
ordnete <strong>der</strong> Papst das Baccalaureat als<br />
niedrigsten Universitätsgrad, den die<br />
studiosi an <strong>der</strong> Universität von Paris<br />
erlangen konnten, an. Der Name „baccalaureus“<br />
kommt vom französischen<br />
bas chevalier (= Unterritter, Knappe)<br />
her und ist von dort auf das Universitätswesen<br />
übertragen worden. Die Univer<br />
sität erhielt das Recht, selbst akade -<br />
mische Titel zu verleihen, als höchste<br />
Würden den Doktor <strong>der</strong> Theologie<br />
(doctor theologiae), den Doktor <strong>der</strong><br />
Medizin (d. medicinae) und den Doktor<br />
bei<strong>der</strong> Rechte (d. utriusque iuris). Die<br />
Pariser Universität strahlte auf die an<strong>der</strong>en<br />
europäischen Län<strong>der</strong> aus. Dort entstanden<br />
in den folgenden Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />
ebenso verfaßte Universitäten. Kaiser<br />
Karl IV übertrug das Universitätswesen<br />
auf Deutschland. Mit kaiserlicher und<br />
päpstlicher Genehmigung entstanden<br />
die Universitäten in Prag (1348), Wien<br />
(1365), Heidelberg (1386), Köln<br />
(1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409),<br />
... Unter den Baccalaurei wurden mehrere<br />
Stufungen unterschieden: baccalau-<br />
rei simplices (einfache B.), baccalaurei<br />
sententiarii (geistreichere B.) und baccalaurei<br />
for mati (gebildete B.). Die baccalaurei<br />
licentiati durften gewisse Vorlesungen<br />
für die studiosi schon selbst<br />
halten, mußten zugleich aber weitere<br />
Kollegien <strong>der</strong> Magister besuchen. Die<br />
Magistri artium liberalium (= Meister<br />
<strong>der</strong> freien Künste) waren die uneingeschränkten<br />
Lehrmeister innerhalb <strong>der</strong><br />
Artistenfakultät.<br />
Den Lehrstoff <strong>der</strong> Artistenfakultät <strong>der</strong><br />
mittelalterlichen Universität bildeten<br />
die sieben freien Künste (= septem artes<br />
liberales), unterteilt in „Trivium“ und<br />
„Quadrivium“. Das Trivium (lat. „Dreiweg“,<br />
aber auch „öffentliche Straße“,<br />
also allgemein zugänglich) umfaßte die<br />
drei sprachlichen Fächer: 1 Grammatik<br />
(mit Literatur), Dialektik (mit Logik),<br />
Rhetorik (mit Recht und Ethik).<br />
Das Quadrivium (lat. „Vierweg“) be -<br />
inhaltete den weiterführenden Komplex<br />
<strong>der</strong> vier mathematischen Fächer: 2 Arithmetik,<br />
Geometrie (inkl. Geographie und<br />
Naturgeschichte), Astronomie/Astro lo -<br />
gie, Musiktheorie. Im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
entwickelten sich aus den Artistenfakultäten<br />
die philosophischen Fakultäten.<br />
Die höchste Würde an <strong>der</strong> unteren o<strong>der</strong><br />
Artistenfakultät war die des Magisters<br />
<strong>der</strong> freien Künste (M. artium liberalium).<br />
Die drei oberen Fakultäten (für<br />
Theologie, Jurisprudenz und Medizin)<br />
promovierten zu Doktoren.<br />
Die Lebensläufe von Doctor Martinus<br />
Luther und Magister Philippus Melan -<br />
chthon gewähren uns einen guten Einblick<br />
in das Universitätsleben <strong>der</strong> Re -<br />
formationszeit. Der 1483 in Eisleben geborene<br />
Martin Luther bezog 1501 die<br />
Universität Erfurt mit <strong>der</strong> Absicht, Rechtsgelehrter<br />
zu werden. Wie damals üblich<br />
studierte er zunächst an <strong>der</strong> Artistenfakultät,<br />
erwarb 1502 das Bakka laureat<br />
und 1505 die Magisterwürde. Erst nachdem<br />
Luther 1505 in das Erfurter Augustinerkloster<br />
eingetreten war, begann er<br />
mit theologischen Studien. 1508 ging er<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
an die neue Universität in Wittenberg,<br />
hielt dort Vorlesungen über Aristoteles,<br />
wurde 1509 biblischer Bakkalaureus<br />
und schließlich 1512 Doctor theologiae.<br />
Mit <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Doktorthesen,<br />
die auch an an<strong>der</strong>en Universitäten<br />
publik gemacht wurden, wurde zu<br />
einem öffentlichen wissenschaftlichen<br />
Streitgespräch, <strong>der</strong> „Disputatio“ einge<br />
laden. Zu Luthers Zeiten hatte ein<br />
Doktor noch das Recht, an allen europäischen<br />
Universitäten zu lehren (ius<br />
ubique docendi). Sprachliche Kommunikationsbarrieren<br />
brauchten nicht überwunden<br />
zu werden, da die <strong>Wissenschaft</strong>ssprache<br />
im lateinischen Europa<br />
überall Latein war. Im Hl. Römischen<br />
Reich Deutscher Nation ließen auch die<br />
Kaiser durch ihre Hofpfalzgrafen Doktorurkunden<br />
mit angehängtem Siegel in<br />
einer Kapsel (bulla) erteilen. Die so<br />
Geehrten nannte man Doctores bullati<br />
zur Unterscheidung von den Gelehrten<br />
mit regelrecht erworbenem Doktorhut,<br />
den Doctores rite promoti. Diese nahmen<br />
eine hohe gesellschaftliche Stellung<br />
ein. Nach dem Reichsgesetz standen<br />
sie über dem einfachen Adligen und<br />
waren den Rittern gleichrangig. Um<br />
1600 begann man, den an Universitäten<br />
öffentlich lehrenden Doktoren den Titel<br />
„Professor“ (ab geleitet von „profiteor“<br />
= ich bekenne) beizufügen. Damit<br />
wurde an einen Sprachgebrauch angeknüpft,<br />
den schon die alten Römer für<br />
die öffentlich vortragenden Lehrer <strong>der</strong><br />
Grammatik und Rhe torik verwendeten,<br />
z. B. „professor eloquentiae“ für einen<br />
Rhetor o<strong>der</strong> „professor sapientiae“ für<br />
einen Philo sophen. Natürlich blieben<br />
im Laufe <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te auch Verfallserscheinungen<br />
nicht aus, und die<br />
Universität mußte sich immer wie<strong>der</strong><br />
den historisch verän<strong>der</strong>ten gesellschaftlichen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen anpassen. Die<br />
verantwortlichen Akteure waren sich<br />
<strong>der</strong> Maxime „Universitas semper reformanda“<br />
(= die Universität muß ständig<br />
reformiert werden) durchaus bewußt.<br />
Erinnert sei an die Gründung <strong>der</strong><br />
„Reformuniversitäten“ in Halle (1694)<br />
und in Göttingen (1734). Über Einzelheiten<br />
kann hier nicht berichtet werden.<br />
Doch ist ein genereller Aspekt zu betonen:<br />
Bis zur französischen Revolution<br />
stimmten alle Universitäten in Europa<br />
sowohl in ihrer Struktur als auch in<br />
ihren Lehrinhalten im Wesentlichen<br />
überein, es waren genuin europäische<br />
Institutionen. Die Wortführer <strong>der</strong> Aufklärung,<br />
die eine nationale Erziehung<br />
anstrebten, empfanden dies als ein<br />
Ärgernis. So klagte Jean-Jacques Rousseau<br />
im Jahre 1772: 3 „Es gibt keine<br />
Franzosen, Deutsche, Spanier, selbst<br />
keine Englän<strong>der</strong> mehr, so daß man<br />
sagen sollte: es gibt nur noch Europäer.<br />
Alle haben den gleichen Geschmack,<br />
die gleichen Leidenschaften und die<br />
gleichen Sitten, weil niemand in einer<br />
beson<strong>der</strong>en Institution eine nationale<br />
Bildung erhalten hat.“<br />
Nachdem die Französische Revolution<br />
die tradierte Kultur des lateinischen<br />
Europa verworfen und Napoleon Bonaparte<br />
viele Län<strong>der</strong> Europas unterworfen<br />
hatte, waren von den 143 Universitäten<br />
im Europa des Jahres 1789 nur noch<br />
etwa halb so viele übrig geblieben. Der<br />
französische Staat hatte die 24 französischen<br />
Universitäten aufgelöst und sie<br />
durch Spezialhochschulen und selbständige<br />
Fakultäten ersetzt. 4 Die französischen<br />
Spezialhochschulen zur Ausbildung<br />
höherer Beamter, Offiziere und<br />
akademischer Berufe waren zentralistisch<br />
gesteuert und reglementiert – bis<br />
in die Details von Studienplänen und<br />
Prüfungsordnungen, streng diszipliniert<br />
und überwacht – bis zum persönlichen<br />
Verhalten von Lehrenden und Lernenden.<br />
Deutsche Universitäten und Tech -<br />
nische Hochschulen bis 1945<br />
Um 1800 verschwanden in Deutschland<br />
18 <strong>der</strong> 34 Universitäten. Auch <strong>der</strong> preußische<br />
König dachte an Spezialhochschulen<br />
nach französischem Muster,<br />
doch gelang es Wilhelm von Humboldt<br />
(1767–1835, von 1809 bis 1810 Sektionschef<br />
für Kultus und Unterricht im<br />
Preußischen Innenministerium), seinen<br />
König umzustimmen, so daß es 1810 zu<br />
einer Universitätsgründung in Berlin<br />
nach dem freiheitlichen Konzept von<br />
Friedrich Schleiermacher (1768–1834)<br />
kam. In seinen „Gelegentlichen Gedanken<br />
über Universitäten im deutschen<br />
Sinn“ (veröffentlicht 1808) hatte<br />
Schleiermacher ausgeführt, daß es<br />
Sache <strong>der</strong> Schulen sei, unstrittiges und<br />
unmittelbar anwendbares Wissen zu<br />
lehren sowie nützliche Fertigkeiten zu<br />
vermitteln, während „das Geschäft <strong>der</strong><br />
Universität“ ein an<strong>der</strong>es sei, nämlich<br />
„... in jedem Denken sich <strong>der</strong> Grundgesetze<br />
<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> bewußt zu werden,<br />
und eben dadurch das Vermögen<br />
selbst zu forschen, zu erfinden und darzustellen,<br />
allmählich in sich herauszuarbeiten<br />
...“. Die Aufgaben <strong>der</strong> Artisten-<br />
fakultät, die in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> mittelalterlichen<br />
Universität auf die wissenschaftlichen<br />
Fachstudien vorbereitete, wurden<br />
von den neuhumanistischen Bildungspolitikern<br />
dem Hu ma nistischen Gymnasium<br />
aufgepfropft. Die bestandene<br />
Abiturientenprüfung soll te die Reife für<br />
ein wissenschaftliches Studium in allen<br />
Disziplinen garantieren und die akademische<br />
Qualifikation eines Baccalaureus<br />
ersetzen. Deshalb wurde <strong>der</strong> Baccalaureus<br />
als nie d rigster Universitätsgrad<br />
zu Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts im<br />
deutschen Sprachraum endgültig abgeschafft.<br />
An seine Stelle trat das Abitur in<br />
den deutschen Län<strong>der</strong>n und die Matura<br />
in den österreichischen. Daß auch in<br />
Frankreich die vorbereitenden Aufgaben<br />
<strong>der</strong> Artistenfakultät in den Sekundarschul<br />
bereich gelegt wurden, offenbart<br />
<strong>der</strong> Name „Baccalauréat“; das französische<br />
Äquivalent zum deutschen<br />
Abitur.<br />
Die gymnasialen Lehrpläne waren<br />
quantitativ und qualitativ anspruchsvoll,<br />
von <strong>der</strong> Sexta bis zur Oberprima<br />
jeweils 32 Unterrichtsstunden wöchentlich.<br />
Die Entlassungsprüfung am Gymnasium,<br />
die Abiturientenprüfung, wurde<br />
gemeinhin als die schwerste Prüfung im<br />
Leben eines Akademikers angesehen.<br />
Wer das „Abitur“ geschafft hatte, konnte<br />
mit Gelassenheit allen späteren<br />
Examina an <strong>der</strong> Universität entgegengehen.<br />
Aufschlußreich ist die historischstatis<br />
tische Darstellung „Das Höhere<br />
Schulwesen in Preußen“ von Dr. L.<br />
Wiese (Berlin 1864). Im Teil V geht es<br />
um die Reifeprüfung. Dort wird im Einzelnen<br />
auf die Prüfungsgegenstände<br />
nach dem Preußischen Reglement von<br />
1856 eingegangen, und zwar für die<br />
deutsche, lateinische, griechische und<br />
französische Sprache, Religionslehre,<br />
Geschichte verbunden mit Geographie,<br />
Mathematik und Naturkunde. Abiturienten,<br />
die sich dem Studium <strong>der</strong> Theologie<br />
o<strong>der</strong> Phi lologie widmen wollten,<br />
hatten sich auch einer Prüfung in <strong>der</strong><br />
hebräischen Sprache zu unterwerfen.<br />
Dabei sind nicht nur die aus heutiger<br />
Sicht unwirklich erscheinenden Wissensmengen,<br />
die sich die Schüler im<br />
Laufe <strong>der</strong> Gymnasialzeit aneignen sollten,<br />
bemerkenswert, son<strong>der</strong>n auch die<br />
Hinweise an die Prüfungskommissionen<br />
(auf den S. 496 und 498): „... Die<br />
Aufgaben für die schriftliche Prüfung<br />
dürfen nichts enthalten, worüber die<br />
Abiturienten ihrer Altersstufe gemäß<br />
mit eigener Einsicht o<strong>der</strong> Erfahrung zu<br />
urteilen nicht im Stande sind ... Die<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 5
mündliche Prüfung hat hauptsächlich<br />
darauf zu achten, ob die erfor<strong>der</strong>lichen<br />
Kenntnisse ein sicherer, mit eigenem<br />
Urteile verbundener Besitz des Examinanden<br />
geworden, nicht eine nur zum<br />
Zweck <strong>der</strong> Prüfung in das Gedächtnis<br />
aufgenommene Sammlung einzelner<br />
Notizen sind ...“<br />
Ein Abiturient, <strong>der</strong> nach diesem Reglement<br />
gebildet wurde, war Felix Klein<br />
(1849–1925). Klein schließt 1865 das<br />
achtklassige humanistische Gymnasium<br />
in Düsseldorf ab. Sein Reifezeugnis be -<br />
scheinigt ihm befriedigende Kenntnisse<br />
in Deutsch und Religion, aber gute<br />
Kenntnisse in Latein, Griechisch, Französisch,<br />
Hebräisch, Mathematik, Ge -<br />
schichte, Geographie und Naturkunde.<br />
Die Noten „Gut“ in Mathematik und<br />
Naturkunde werden wie folgt begründet:<br />
„In <strong>der</strong> Mathematik ist seine Auffassung<br />
rasch und sicher, und er hat das<br />
Gelernte durchgehends gleich zur Hand<br />
... In <strong>der</strong> Naturkunde hat er ein recht<br />
bestimmtes Wissen von dem im Unterricht<br />
Vorgekommenen und drückt sich<br />
darüber sehr geläufig, klar und vollständig<br />
aus, hat also gute Kenntnisse“ 5<br />
Klein beginnt ein naturwissenschaftlich-mathematisch<br />
ausgerichtetes Studium<br />
in Bonn und wird quasi von Anfang<br />
an in die Forschungsarbeiten des Bonner<br />
Professors Julius Plücker einbezogen.<br />
Klein promoviert 1868 in Bonn<br />
zum Dr. phil., setzt seine Studien in<br />
Paris fort, nimmt am deutsch-französischen<br />
Krieg teil, habilitiert sich in Göttingen<br />
und wird 1872 als ordentlicher<br />
Professor nach Erlangen berufen. In seiner<br />
Antrittsvorlesung entwickelt <strong>der</strong> 23jährige<br />
das (später so genannte) „Erlanger<br />
Programm“, womit er sich weltweit<br />
in die vor<strong>der</strong>ste Front <strong>der</strong> Mathematiker<br />
einreiht.<br />
Die einzige akademische Würde, die im<br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>t an den deutschen Universitäten<br />
vergeben wurde, war, abgesehen<br />
vom Licentiaten in <strong>der</strong> Theologie,<br />
das Doktorat. Der Magister hatte an<br />
deutschen Universitäten jede selbstän -<br />
dige Bedeutung verloren. Auch an <strong>der</strong><br />
vierten Fakultät, <strong>der</strong> Philosophischen<br />
Fakultät, die an die Stelle <strong>der</strong> Fakultät<br />
<strong>der</strong> freien Künste getreten ist, wird nun<br />
die Doktorwürde verliehen. Die philo -<br />
so phischen Fakultäten verleihen den<br />
Magister <strong>der</strong> freien Künste formaliter<br />
zwar noch immer, doch nur als eine Art<br />
Anhängsel zum Dr. phil., wie die lateinisch<br />
formulierten Doktorurkunden<br />
noch zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
ausweisen. Wenn auch Latein als Wis-<br />
6<br />
senschaftssprache seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
zunehmend durch die Nationalsprachen<br />
abgelöst worden war, blieb es<br />
doch bis in die zweite Hälfte des 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts hinein in Deutschland<br />
Pflicht bei <strong>der</strong> Abfassung von Promotionsschriften.<br />
So wurde Hermann Helmholtz<br />
1842 mit <strong>der</strong> Arbeit „De fabrica<br />
systematis ner vosi evertebratorum“,<br />
Diss. med. Berlin (Über den Bau des<br />
Nervensystems <strong>der</strong> Wirbellosen) promoviert<br />
und <strong>der</strong> Mathematiker Georg<br />
Cantor 1867 mit <strong>der</strong> Arbeit „De aequationibus<br />
secundi gradus indeterminatis“,<br />
Diss. phil. Berlin (Über unbestimmte<br />
Gleichungen zweiten Grades).<br />
Danach wurden die Doktorarbeiten auf<br />
Deutsch geschrieben, die Promo -<br />
tionsurkunden aber unverän<strong>der</strong>t noch<br />
jahrzehntelang lateinisch belassen. Die<br />
universitätsgeschichtlich motivierte Nähe<br />
zum Adelsprädikat wird noch angedeutet,<br />
wenn <strong>der</strong> frisch gebackene „Philosophiae<br />
doctor et artium liberalium<br />
magister“ auf <strong>der</strong> Promotionsurkunde<br />
nicht nur als „vir doctissimus“, son<strong>der</strong>n<br />
auch als „vir nobilissimus“ bezeichnet<br />
wird.<br />
Die beigefügte Promotionsurkunde<br />
(siehe Seite 7) wurde am 15. Mai 1907<br />
von <strong>der</strong> Universität Göttingen für Heinrich<br />
Barkhausen (1881–1956) ausgefertigt,<br />
den späteren Dresdener Professor,<br />
<strong>der</strong> weltweit als deutscher Vater <strong>der</strong><br />
Schwachstromtechnik bekannt wurde.<br />
Die Promotions ordnungen an einigen<br />
philosophischen Fakultäten ließen im<br />
18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t sogar eine Promotion<br />
„in ab sentia“ zu (= in Abwesenheit,<br />
also ohne mündliche Doktorprüfung<br />
und ohne öffentliche Verteidigung),<br />
allein auf Grund einer<br />
eingesandten und von einem Fakultätsmitglied<br />
durchgesehenen Dissertation.<br />
Dazu zwei berühmte Bei spiele: Karl<br />
Marx wurde mit einer Disser tation, die<br />
von <strong>der</strong> Differenz <strong>der</strong> demo kritischen<br />
und epikureischen Na tur philo sophie<br />
gehandelt haben soll und die m.W. nicht<br />
veröffentlicht wurde, im Jahre 1841 von<br />
<strong>der</strong> Universität Jena in absentia zum Dr.<br />
phil. promoviert. Die Russin Sofja<br />
Kovalevskaja (1850–1891), die als<br />
Autodidaktin zu den Gipfeln <strong>der</strong> mathematischen<br />
Forschung aufgestiegen war,<br />
durfte ihre Forschungs ergebnisse –<br />
nach Vermittlung Ihres Mentors, des<br />
berühmten Berliner Professors Karl<br />
Weierstraß – <strong>der</strong> Universität Göttingen<br />
einsenden. Frau Kovalevskaja wurde<br />
1874 in absentia promoviert, und zwar<br />
mit dem Prädikat „summa cum laude“.<br />
(Ab 1884 wirkte sie als ordentliche Professorin<br />
für Mathematik an <strong>der</strong> Universität<br />
Stockholm. Man bedenke: Erst Jahrzehnte<br />
später ließ man Frauen zum<br />
Abitur und zum Hochschulstudium zu!)<br />
In Sorge um das Promotionsniveau und<br />
die inflationäre Verbreitung des Dr. phil.<br />
wurden Promotionen in absentia ge gen<br />
Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts untersagt.<br />
Die seinerzeit erlassenen Promotionsordnungen<br />
blieben dann bis in die 30er Jahre<br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts unverän<strong>der</strong>t: eine<br />
Dissertation durfte einreichen, wer ein<br />
gymnasiales Abitur und ein min destens<br />
6-semestriges Universitäts studium nachweisen<br />
konnte. Die Promotionsschrift<br />
wurde von zwei unabhängigen Gutachtern<br />
bewertet, und <strong>der</strong> Doktorand mußte<br />
eine Doktorprüfung bestehen. Die Minimalstudienzeit<br />
von drei Jahren zwischen<br />
Abitur und Pro motion haben nicht nur<br />
Fixsterne am <strong>Wissenschaft</strong>lerhimmel,<br />
wie Felix Klein und Werner Heisenberg<br />
(1901–1976), verwirklicht, son<strong>der</strong>n auch<br />
weniger berühmte Gelehrte. Ich nenne<br />
einige aus dem Kreis <strong>der</strong> Professoren <strong>der</strong><br />
TH Dresden: Friedrich A. Willers<br />
(1883–1959), Dr. phil. 1906 in Göttingen,<br />
Georg Mierdel (1899–1987), Dr.<br />
phil. 1920 in Greifswald, Hans Gehrig<br />
(1882–1968), Dr. rer. oec. 1904 in Münster,<br />
Karl Jordan (1888–1972), Dr.phil.<br />
1913 in Leipzig. Auch <strong>der</strong> Wirtschaftshistoriker<br />
und als kommunistischer Propagandist<br />
populär gewordene Jürgen Kuczynsky<br />
(1904–1997) hat nach dem<br />
Abitur 1922 in Berlin nur drei Jahre (in<br />
Erlangen, Berlin und Heidelberg) studiert,<br />
und er wurde schon im Februar<br />
1925 in Erlangen promoviert. Der Doktorgrad<br />
war im Rahmen einer akademischen<br />
Laufbahnplanung vom 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
ab lediglich ein notwendiger<br />
erster Schritt. Noch heute ist die Doktorurkunde<br />
eine Art Konfirmationsschein,<br />
um in die Gemeinde <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
aufgenommen zu werden. Beispielsweise<br />
haben grundsätzlich nur Promovierte das<br />
Recht, staatliche Forschungsgel<strong>der</strong> bei<br />
<strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG) zu beantragen. Der Doktorgrad<br />
als solcher begründete keinerlei Berechtigung<br />
für eine Anstellung im Staatsdienst.<br />
Die berufliche Qualifikation für<br />
staatlich überwachte Berufe (Juristen,<br />
Ärzte, Pharmazeuten, Lehrer, Pfarrer)<br />
wird seit dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t in<br />
Deutschland durch Staatsprüfungen<br />
gewährleistet und die Berufsausübung<br />
durch berufsständische Zulassungsbestimmungen<br />
geregelt (Approbation bei<br />
Ärzten und Apothekern, Zulassung zum<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 7
Rechtsanwalt durch die Landesjustizverwaltung,<br />
Priesterweihe o<strong>der</strong> Ordination<br />
bei Pfarrern). Die oben erwähnten<br />
Doktoren Friedrich-Adolph Willers und<br />
Karl Jordan haben ihr Staatsexamen für<br />
das höhere Lehramt ein Jahr nach ihrer<br />
Promotion abgelegt. Sie waren<br />
anschließend längere Zeit als Gymnasiallehrer<br />
tätig. Willers hat sogar 20 Jahre<br />
lang als Gymnasiallehrer segensreich<br />
ge wirkt, hat in diesen Jahren wesentliche<br />
Forschungsbeiträge zur angewandten<br />
Mathe matik geliefert und sich als<br />
Externer 1923 an <strong>der</strong> TH Berlin-Charlottenburg<br />
habilitiert, um schließlich<br />
1928 als ordentlicher Professor nach<br />
Sachsen berufen zu werden.<br />
Mit dem Doktorgrad war auch keine<br />
universitäre Lehrbefugnis mehr verbunden<br />
wie zu Luthers Zeiten. Der Nachweis,<br />
daß ein promovierter <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
sein Fach in voller Breite<br />
in Forschung und Lehre an einer Fakultät<br />
vertreten kann, mußte an den deutschen<br />
Universitäten des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
durch eine Habilitation erbracht<br />
werden, ge mäß den Bestimmungen <strong>der</strong><br />
Habilita tionsordnung <strong>der</strong> betreffenden<br />
Fakultät. Die Bezeichnung Habilitation<br />
leitet sich aus dem lateinischen Adjektiv<br />
„habilis, e“ (= geeignet, tauglich, befähigt)<br />
ab. Gemäß Habilitationsordnung<br />
<strong>der</strong> Fakultät hatte <strong>der</strong> Bewerber eine<br />
Habilita tionsschrift einzureichen, diese<br />
nach <strong>der</strong> positiven Bewertung durch<br />
bestellte Gutachter öffentlich zu verteidigen<br />
und eine Lehrprobe in Form einer<br />
Probe vorlesung zu bestehen. Noten<br />
wurden im Gegensatz zu Promotionen<br />
nicht vergeben. Mit <strong>der</strong> ordnungsgemäß<br />
ab geschlossenen Habilitation erhielt <strong>der</strong><br />
angehende Universitätslehrer die „venia<br />
legendi“ (= Erlaubnis zu lesen). Sie war<br />
mit dem Titel Privatdozent (privatim<br />
docens) verbunden, also privat Lehren<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Fakultät Kollegien lesen<br />
darf, ohne als öffentlicher Lehrer angestellt<br />
und besoldet zu sein. Die für ein<br />
bestimmtes Fach (Anatomie, Botanik,<br />
klassische Philologie, Archäologie etc.)<br />
in Forschung und Lehre zuständigen<br />
ordentlichen Professoren (professores<br />
publici ordinarii) berief <strong>der</strong> Landesherr<br />
auf einen Lehrstuhl. Hinzu kamen die<br />
Professoren ohne Lehrstuhl (professores<br />
publici extraordinarii), das waren<br />
Privatdozenten, <strong>der</strong>en Status durch den<br />
verliehenen Titel und eine staatliche<br />
Besoldung aufgewertet worden war,<br />
und die Honorarprofessoren (professores<br />
honorarii). Beispielsweise waren die<br />
Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Berliner Akademie <strong>der</strong><br />
8<br />
<strong>Wissenschaft</strong>en „geborene“ Honorarprofessoren<br />
an <strong>der</strong> Berliner Universität.<br />
In Preußen hatten die ordentlichen Professoren<br />
den Rang <strong>der</strong> Räte vierter<br />
Klasse (ebenso wie Regierungs- und,<br />
Oberlandesgerichtsräte sowie Gymnasialdirektoren),<br />
alle übrigen Professoren<br />
den Rang <strong>der</strong> Räte fünfter Klasse (ebenso<br />
wie Amtsrichter, Oberförster, Gymnasiallehrer<br />
u. a.) Mit <strong>der</strong> Differen -<br />
zierung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en und <strong>der</strong><br />
Etablierung neuer <strong>Wissenschaft</strong>sdisziplinen<br />
(Geschichtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften,<br />
Soziologie, ...)<br />
wurde die Abgrenzung <strong>der</strong> philosophischen<br />
Fakultät zu neh mend in Frage<br />
gestellt. In Tübingen differenzierte man<br />
gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts zwischen<br />
einer philosophisch-historischen,<br />
einer mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />
und einer staatswissenschaftlichen<br />
Fakultät (Nationalökonomie, Statistik,<br />
Finanzwissenschaft). Nach dem ersten<br />
Weltkrieg verzweigten sich die philosophischen<br />
Fakultäten im mer häufiger in<br />
fachlich engere Fakultätsgebilde, und<br />
aus dem Dr. phil. erwuchs eine Vielfalt<br />
speziellerer Doktorgrade: Dr. rer. nat.,<br />
Dr. rer. oec, Dr. rer. pol., Dr. paed.<br />
An wissenschaftlichen Hochschulen<br />
blieb die Habilitation in Deutschland<br />
bis zum Ende des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts die<br />
Regelvoraussetzung für die Berufung<br />
zum Professor, wobei die Berufungskommissionen<br />
für eine ausgeschriebene<br />
Professorenstelle auch „habilitationsäquivalente<br />
wissenschaftliche Leistungen“<br />
de iure als Qualifikation zuerkennen<br />
durften.<br />
Das Diplom<br />
Bisher wurde das „Diplom“ als akademischer<br />
Grad nicht erwähnt. Das Wort<br />
kommt aus dem Griechischen („diploma“<br />
= „zweifach Gefaltetes“). In <strong>der</strong><br />
römischen Kaiserzeit bedeutete „diploma,<br />
diplomatis n.“ eine vom höchsten<br />
Magistrat ausgefertigte Urkunde mit<br />
Siegel und Unterschrift. In den Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />
des Mittelalters wurde das Wort<br />
nicht mehr gebraucht. Erst am Ende<br />
des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts führte es <strong>der</strong> französische<br />
Gelehrte Jean Mabillon<br />
(1632–1707), <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Urkundenlehre, durch<br />
sein Werk „De re diplomatica“ in den<br />
wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein.<br />
Im engeren Sinne bezeichnete man seither<br />
in Deutschland Urkunden über die<br />
Erteilung des adeligen Standes, über die<br />
Aufnahme in wissenschaftliche Gesellschaften,<br />
über eine abgelegte Prüfung<br />
bei <strong>der</strong> Handwerkskammer und an<strong>der</strong>es<br />
als Diplome. Im Hochschulbereich spielte<br />
das Wort „Diplom“ seit dem letzten<br />
Drittel des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine immer<br />
gewichtigere Rolle, zunächst an den<br />
Lehranstalten für qualifizierte technische<br />
Berufe. Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Entfaltung<br />
<strong>der</strong> Ingenieurkunst und dem Aufkommen<br />
neuer industrieller Technologien<br />
entwickelten sich die technischen<br />
<strong>Wissenschaft</strong>en als damals neue <strong>Wissenschaft</strong>sdisziplin.<br />
In Deutschland gelang<br />
es lei<strong>der</strong> nicht, sie in die Universitäten zu<br />
integrieren. Die zweite Hälfte des 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts war von vielen technischen<br />
Neuerungen geprägt. Die neu entstehenden<br />
Industriebetriebe benötigten viele<br />
gut ausgebildete Techniker und Ingenieure.<br />
Der „Verein Deutscher Ingenieure“<br />
(VDI) wurde 1856 in Alexisbad gegründet<br />
und bis 1890 von Franz Grashof<br />
(1826– 1893) geführt, <strong>der</strong> sich mit großer<br />
Sachkenntnis und Energie den Problemen<br />
des technischen Schulwesens widmete.<br />
Die verschiedenen Ingenieurfächer,<br />
zuzüglich technischer Chemie und<br />
Physik, wurden an technischen Bildungsanstalten<br />
gelehrt und gepflegt. Unter<br />
maßgeblicher För<strong>der</strong>ung durch Handwerkskammern<br />
und mittelständische Un -<br />
ternehmer entstanden zahlreiche technische<br />
Lehranstalten mit sehr unterschiedlichem<br />
Profil. Aus einigen von ihnen<br />
ging gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts in<br />
Deutschland ein neuer Typ von wissenschaftlichen<br />
Hochschulen, die Technischen<br />
Hochschulen, hervor.<br />
Der VDI befürwortete eine zweigleisige<br />
Ingenieurausbildung: Einerseits für das<br />
Gros <strong>der</strong> Ingenieure, einschließlich <strong>der</strong><br />
gehobenen und mittleren Führungspositionen,<br />
eine nichtakademische Ingenieurausbildung<br />
auf <strong>der</strong> Basis berufspraktischer<br />
Kenntnisse an höheren Fachschulen,<br />
an<strong>der</strong>erseits eine akademische<br />
Ingenieurausbildung für einen kleinen<br />
Teil als Vorbereitung für die höhere<br />
Staatslaufbahn, für Forschungsinstitute<br />
und für die obersten Leitungsfunktionen<br />
<strong>der</strong> Wirtschaft.<br />
Als ein Beispiel für die Entwicklung zu<br />
einer akademischen Ausbildungsstätte<br />
wollen wir hier die Sächsische Technische<br />
Hochschule in Dresden betrachten.<br />
Aus den bescheidenen Anfängen <strong>der</strong><br />
1828 gegründeten Technischen Bildungsanstalt<br />
gingen 1851 die Königlich<br />
Sächsische Polytechnische Schule und<br />
1871 das Königlich. Sächsische Polytechnikum<br />
hervor. Dieses wurde 1890<br />
zur Königlich Sächsischen Technischen<br />
Hochschule erhoben. 6<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
Dieser Entwicklungsweg war mit zähen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen um die gesellschaftliche<br />
Anerkennung <strong>der</strong> technischen<br />
<strong>Wissenschaft</strong>en verbunden.<br />
So klagt <strong>der</strong> Mathematikprofessor<br />
Oskar Schlömilch<br />
(1823–1901, <strong>der</strong><br />
1842 promoviert und<br />
1844 in Jena habilitiert<br />
worden war) 7 „... Auch<br />
<strong>der</strong> jüngste Arzt wird zu<br />
den wiss. Hochgebildeten gerechnet.<br />
Dagegen betrachtet man selbst den<br />
Ober maschinenmeister einer Eisenbahn<br />
nur als einen höheren Schlossermeister.<br />
Mit einem Worte: In <strong>der</strong> gebildeten<br />
Gesellschaft unserer Zeit gilt <strong>der</strong> Techniker<br />
als Parvenu und unberechtigter<br />
Eindringling. ... Die Lehrer des Polytechnikums<br />
wissen davon zu erzählen,<br />
welche selt samen Vorstellungen vom<br />
Polytechnikum unter den Dresdnern –<br />
und zwar nicht nur <strong>der</strong> unteren Stände –<br />
im Umlauf sind und welche Verwun<strong>der</strong>ung<br />
entsteht, wenn man erklärt, daß es<br />
auf dem Polytechnikum sich gar nicht<br />
um das Anlernen praktischer Handgriffe,<br />
son<strong>der</strong>n um höhere wissenschaftliche<br />
Studien handelt.“ Schlömilch selbst<br />
setzte sich mit ganzer Kraft für eine<br />
Besserung dieses Zustandes ein, von<br />
1874–1885 als Geheimer Schulrat im<br />
Königlich Sächsischen Ministerium des<br />
Cultus und öffentlichen Unterrichts.<br />
Das Dresdener Polytechnikum umfaßte<br />
vier Abteilungen, eine für Ingenieure,<br />
eine für technische Chemie, eine für<br />
Lehrer und eine Allgemeine Abteilung.<br />
Ein paar Marksteine auf dem Wege von<br />
<strong>der</strong> Fachschule zur wissenschaftlichen<br />
Hochschule seien aufgeführt. 1871 be -<br />
stätigte eine Verordnung des Kgl. Sächsischen<br />
Ministeriums des Inneren ein<br />
„Regulativ über die Absolutorialprüfungen“:<br />
Um „das vollständigen Vertrautsein<br />
<strong>der</strong> Schulabsolventen mit dem<br />
Lehrstoffe in einer <strong>der</strong> vier Fachabteilungen<br />
nachzuweisen, waren in je<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong>selben jährlich Absolutorialprüfungen<br />
abzuhalten.“<br />
1872 fixierte eine Habilita tionsordnung<br />
die Bestimmungen über die Zulassung<br />
von Privatdozenten. 1876 avancieren<br />
die Schüler zu „Studierenden“, noch<br />
nicht zu Studenten, um den exklusiven<br />
Anspruch <strong>der</strong> Landesuniversität Leipzig<br />
zu respektieren. 1878 wandelte sich das<br />
zu zahlende Schulgeld in Kolleggeld,<br />
und die Absolutorialprüfung wurde<br />
durch eine staatliche Diplomprüfung<br />
ersetzt. Am 3. Februar 1890 gibt <strong>der</strong><br />
Minister des Cultus und öffentlichen<br />
Unterrichts „mit Allerhöchster Genehmigung“<br />
bekannt, „daß das Polytechnikum<br />
fortan die Benennung ,Königlich<br />
Sächsische Technische Hochschule‘ zu<br />
führen hat.“ Sie ist ebenso organisiert<br />
wie die Kgl. Preußischen Technischen<br />
Hochschulen in Berlin-Charlottenburg,<br />
Aachen und Hannover, die Kgl. Baye -<br />
rische TH zu München und die Eid -<br />
genössische TH zu Zürich. An die Stelle<br />
<strong>der</strong> Fakultäten bei Universitäten treten<br />
die Abteilungen bei Technischen<br />
Hochschulen. Die Professoren werden<br />
vom König ernannt. Statt <strong>der</strong> Dekane<br />
werden die Vorsteher des Abteilungs -<br />
kollegiums auf ein Jahr gewählt und<br />
vom Minister bestätigt. Der Rektor wird<br />
von den vereinigten Abteilungskollegien<br />
auf ein Jahr gewählt und bedarf <strong>der</strong><br />
Bestätigung des Königs. Immatrikuliert<br />
werden Studierende mit dem Reifezeugnis<br />
eines Gymnasiums, eines Realgymnasiums<br />
o<strong>der</strong> einer Oberrealschule.<br />
Über das regelrechte Studium an einer<br />
<strong>der</strong> Abteilungen werden auf Grund vorgängiger<br />
Prüfungen Diplome ausgestellt.<br />
Der Besuch <strong>der</strong> Technischen Hochschule<br />
nach einem Oberrealschulabschluß<br />
berechtigt aber noch nicht zu einer<br />
Staatsprüfung für den höheren technischen<br />
Dienst. „Es muß noch mindestens<br />
die Prüfung im Lateinischen an einem<br />
Realgymnasium hinzutreten.“ 8<br />
Das Diplom als deutscher akademischer<br />
Grad wird im Oktober 1899 vom deutschen<br />
Kaiser, <strong>der</strong> die technischen <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
in beson<strong>der</strong>er Weise för<strong>der</strong>te,<br />
verfügt. Eine Ab schrift <strong>der</strong> „Geburtsurkunde“<br />
wird hier beigefügt.<br />
An dieser Urkunde sind mehrere Details<br />
bemerkenswert.<br />
1. Es handelt sich um originär deutsche<br />
akademische Grade, die deshalb auch<br />
in deutscher Schrift zu führen sind.<br />
Zum Doktoringenieur kann man nur<br />
aufgrund einer weiteren Prüfung<br />
nach <strong>der</strong> Diplomprüfung promoviert<br />
werden. Eine Mindestzwischenzeit<br />
wird aber nicht vorgeschrieben.<br />
2. Kaiser Wilhelm II fügt seinem<br />
Namenszug nicht wie bei den meisten<br />
seiner Erlasse das Kürzel „Imp-<br />
R.“, das für „Imperator Germanorum<br />
Borussiae Rex“ (= Deutscher Kaiser<br />
und König von Preußen) steht, hinzu,<br />
son<strong>der</strong>n beschränkt sich auf „R.“,<br />
agiert also nur als König von Preußen<br />
und weist damit auf die Kulturhoheit<br />
<strong>der</strong> deutschen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong> hin.<br />
3. Das Graduierungsrecht wird den<br />
Technischen Hochschulen eingeräumt,<br />
und zwar für alle Abteilungen<br />
und unab hängig von den Studienrichtungen.<br />
Die an<strong>der</strong>en deutschen Län<strong>der</strong>,<br />
die eigene Tech nische Hochschulen<br />
unterhielten, schlossen sich<br />
innerhalb weniger Monate dem preußischen<br />
Muster an. So wurde im<br />
Königreich Sachsen die Promotionsordnung<br />
für die Erteilung <strong>der</strong> Würde<br />
eines Dr.-Ing. an <strong>der</strong> Kgl. Sächs. TH<br />
bereits am 23. Mai 1900 vom Mini -<br />
sterium des Cultus und öffentlichen<br />
Unterricht genehmigt. Zum ersten<br />
Dresdener „Dr.-Ing. E. h.“ kürte man<br />
1901 den Unternehmer und Erfin<strong>der</strong><br />
Friedrich Siemens (1826–1904).<br />
Auf den Bericht vom 6. d. Mts. will Ich den Technischen Hochschulen in Anerkennung <strong>der</strong><br />
wissenschaftlichen Bedeutung, welche sie in den letzten Jahrzehnten neben <strong>der</strong> Erfüllung ihrer<br />
praktischen Aufgaben erlangt haben, das Recht einräumen:<br />
1. auf Grund <strong>der</strong> Diplomprüfung den Grad eines Diplom-Ingenieurs (abgekürzte<br />
Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dipl.-Ing.) zu ertheilen,<br />
2. Diplom-Ingenieure auf Grund einer weiteren Prüfung zu Doktor-Ingenieuren<br />
(abgekürzte Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dr.-Ing.) zu promoviren und<br />
3. die Würde eines Doktor-Ingenieurs auch Ehrenhalber als seltene Auszeichnung an<br />
Männer, die sich um die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> technischen <strong>Wissenschaft</strong>en hervorragende<br />
Verdienste erworben haben, nach Maßgabe <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Promotions-Ordnung<br />
festzusetzenden Bedingungen zu verleihen.<br />
Neues Palais, den 11. Oktober 1899<br />
gez: Wilhelm<br />
R.<br />
An den Minister <strong>der</strong> geistlichen p. Angelegenheiten<br />
ggez: Studt<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 9
Nicht nur Bau-, Maschinenbau- und<br />
Elektroingenieure erlangten den Grad<br />
eines Dipl.-Ing. Auch Forstwissenschaftler,<br />
Geodäten, Chemiker und<br />
Mathematiker wurden an Technischen<br />
Hochschulen als Diplomingenieure graduiert<br />
und zu Doktoringenieuren promoviert.<br />
Diese Regelung wurde bis in<br />
die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg<br />
eingehalten. Als Beleg nenne ich drei<br />
bedeutende sächsische <strong>Wissenschaft</strong>ler.<br />
Dem Geodäten Reinhard Hugershoff<br />
(1882–1941) wurden 1906 und 1907 die<br />
Grade Dipl.-Ing. und Dr.-Ing. an <strong>der</strong> TH<br />
Dresden verliehen, <strong>der</strong> Chemiker Kurt<br />
Schwabe (1905–1983) erhielt sie 1927<br />
und 1928, und <strong>der</strong> angewandte Mathematiker<br />
N. Joachim Lehmann<br />
(1921–1998) schließlich 1946 und<br />
1949. Bald nach <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />
entließen auch die neu gegründeten<br />
Handels-Hochschulen in Leipzig,<br />
Aachen, Köln, Frankfurt und Berlin ihre<br />
erfolgreichen Absolventen einer wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Aus bildung<br />
mit dem Diplomgrad. 1905 wurde in<br />
Köln auf Initiative von Eugen Schmalenbach<br />
(1873–1955) ein „Verband <strong>der</strong><br />
Inhaber Deutscher Handels-Hochschuldiplome“<br />
gegründet. So gesellten sich<br />
in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg<br />
die Diplomvolkswirte und die Diplomkaufleute<br />
zu den Diplomingenieuren.<br />
Nach dem ersten Weltkrieg wurden weitere<br />
Diplomstudiengänge eingerichtet.<br />
Seit 1924 verlieh die Sächsische TH<br />
auch den Grad Diplomvolkswirt. Später<br />
kam <strong>der</strong> Diplompsychologe hinzu ...<br />
Die Diplomstudiengänge waren – im<br />
Unterschied zur Ausbildung an höheren<br />
deutschen Fachschulen – in <strong>der</strong> Regel<br />
zweistufig ausgelegt. In <strong>der</strong> hochschulinternen<br />
Kommunikation wurde <strong>der</strong><br />
Studienfortschritt in Anlehnung an den<br />
Brauch in den drei klassischen oberen<br />
Fakultäten durch die studentischen<br />
Grade „stud.“ (für „studiosus“) und<br />
„cand.“ (für „candidatus“) sichtbar<br />
gemacht. Ebenso wie angehende Mediziner<br />
bis zum Physikum als „stud.<br />
med.“ und nach dem Physikum als<br />
„cand.med.“ firmierten, bezeichneten<br />
sich angehende Diplom-Ingenieure bis<br />
zum Vordiplom als „stud.ing.“ und nach<br />
bestandener Vorprüfung als „cand.ing.“.<br />
Im III. Deutschen Reich hielt die NS-<br />
Führung bekanntlich nicht viel von bildungsbürgerlicher<br />
Gelehrtheit und<br />
humanistischer Bildung. Die humanistischen<br />
Gymnasien wurden zugunsten<br />
<strong>der</strong> Realschulen reduziert, die Studentenzahlen<br />
an wissenschaftlichen Hoch-<br />
10<br />
schulen zugunsten <strong>der</strong> Schülerzahlen an<br />
höheren deutschen Fachschulen verringert.<br />
Allenthalben wurden an den wissenschaftlichen<br />
Hochschulen, die ab<br />
1933 nach dem Führerprinzip organisiert<br />
waren, „reichseinheitliche“ Regelungen<br />
durch gesetzt. Die Absolventen<br />
<strong>der</strong> Ingenieurschulen erhielten einheit -<br />
liche Ingenieurzeugnisse. Diese beurkundeten,<br />
daß die Abschlußprüfung vor<br />
einem staatlichen Prüfungsausschuß<br />
abgelegt und damit „die Befähigung als<br />
Ingenieur <strong>der</strong> Fachrichtung ... nachgewiesen“<br />
worden sei. Um Mitglied im<br />
Verein deutscher Ingenieure (VDI) zu<br />
werden, genügte ein solches Abschlußzeugnis<br />
jedoch nicht.<br />
Der VDI nahm nur Personen nach längerer<br />
erfolgreicher praktischer Ingenieurtätigkeit<br />
als Mitglie<strong>der</strong> auf.<br />
Diplomingenieure hatten eine mindestens<br />
zweijährige, Fachschulingenieure<br />
eine mindestens fünfjährige und Autodidakten<br />
eine mindestens zehnjährige<br />
Tätigkeit als Ingenieur nachzuweisen.<br />
Auf Visitenkarten und in den Kopfzeilen<br />
ihrer Fachpublikationen fügten<br />
diese praxiserprobten Ingenieure dann<br />
selbstbewußt das Zertifikatskürzel<br />
„VDI“ ihrem Namen bei, ließen also<br />
zum Beispiel „Max Müller, VDI“ drukken.<br />
Zu Recht hatten sie keine Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle<br />
gegenüber akademisch<br />
Gebildeten. Für die wissenschaftlichen<br />
Hochschulen erließ das<br />
Reichserziehungsministerium „reichseinheitliche“<br />
Promotionsordnungen und<br />
Habilitationsordnungen sowie reichseinheitliche<br />
Prüfungsordnungen für das<br />
Lehramt. Der „habilitierte Doktor“<br />
(doctor habilitatus) wurde als neuer<br />
akademischer Grad eingeführt, z. B.<br />
Doctor medicinae habilitatus, abgekürzt,<br />
Dr. med. habil. Die „Abteilungen“<br />
<strong>der</strong> Tech nischen Hochschulen<br />
wurden 1941 zu „Fakultäten“, um die<br />
Ranggleichheit zu den Universitäten<br />
sichtbarer zu machen. Technische<br />
Hochschulen durften auch an<strong>der</strong>e Doktorgrade<br />
als den Dr.-Ing. vergeben. So<br />
konnte man an <strong>der</strong> TH Dresden zum Dr.<br />
rer. pol., zum Dr. rer. nat. und zum Dr.<br />
phil. promovieren. Eine Erweiterung<br />
<strong>der</strong> Diplomgrade wurde erwogen. 1942<br />
schlug das Reichserziehungsministerium<br />
vor, den „Diplom-Physiker“<br />
zunächst für die stärker theoretisch ausgerichtete<br />
Physikerausbildung an den<br />
Universitäten zu erproben. Gegen Ende<br />
des Krieges verliehen deutsche Universitäten<br />
auch den Grad Diplom-Mathematiker<br />
(z. B. die Universität Leipzig<br />
am 21. Febr. 1944 an Frau Eleonore<br />
Trefftz, geb. 1920, die ein reichliches<br />
Jahr später (am 5. Okt. 1945!) an <strong>der</strong> TH<br />
Dresden zum Dr. rer. nat. promoviert<br />
wurde).<br />
<strong>Wissenschaft</strong>liche Hochschulen<br />
im geteilten Deutschland<br />
Die Entwicklungen in <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
Deutschland sollen hier nicht referiert<br />
werden, weil sie den meisten Lesern<br />
vermutlich recht gut bekannt sind. Erinnert<br />
sei hier nur an die Metamorphosen<br />
des Dipl.-Ing. und die Wie<strong>der</strong>auferstehung<br />
des „Magister artium“. Seit Beginn<br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts war <strong>der</strong> Titel<br />
„Diplom-Ingenieur“ geschützt. „Ingenieur“<br />
aber durfte sich ungestraft je<strong>der</strong><br />
nennen, <strong>der</strong> von sich meinte, eine Ingenieurtätigkeit<br />
ausüben zu können. Die<br />
seit <strong>der</strong> Weimarer Republik währenden<br />
berufsständischen Bestrebungen zum<br />
Schutz des „Ingenieurs“ mündeten 1965<br />
in einem bundeseinheitlichen „Gesetz<br />
zum Schutze <strong>der</strong> Berufsbezeichnung<br />
Ingenieur“. Aufgrund <strong>der</strong> Kulturhoheit<br />
<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> mußte es jedoch zurückgezogen<br />
werden. Seit 1971 wurde <strong>der</strong><br />
geschützte Titel „Ing. (grad.)“ (sprich<br />
„graduierter Ingenieur“) den Absolventen<br />
<strong>der</strong> Höheren Fachschulen (Ingenieurschulen)<br />
als „staatliche Bezeichnung“<br />
zuerkannt und auf den nachfolgenden<br />
Fachhochschulen als „akademischer<br />
Grad“ verliehen. Dieser wurde in den<br />
1980er Jahren abgelöst durch den Grad<br />
„Dipl.-Ing. (FH)“.<br />
In den 1950er Jahren gab es diverse<br />
wissenschaftliche Studiengänge – z. B.<br />
für Sprach- und Kulturwissenschaftler,<br />
Sozialwissenschaftler, Kunstwissenschaftler<br />
–, die nicht mit einem Diplomgrad<br />
abgeschlossen wurden und die auch nicht<br />
auf eine Tätigkeit mit einer ge schützten<br />
Berufsbezeichnung (wie Gymnasiallehrer,<br />
Arzt, Rechtsanwalt, Pfarrer) zielten.<br />
Für die Absolventen solcher Studiengänge,<br />
die häufig ohne Promotion ins<br />
Erwerbsleben einstiegen, wurde – einer<br />
Empfehlung <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) von 1957 folgend – zwischen<br />
1960 und 1970 <strong>der</strong> akademische<br />
Grad „Magister Artium (M.A.)“ eingeführt.<br />
Das Magisterstudium be stand üblicherweise<br />
aus einem Haupt- und zwei<br />
Nebenfächern o<strong>der</strong> aus zwei Hauptfächern.<br />
Der Magistergrad wird hinter dem<br />
Namen geführt, zum Beispiel als „Philipp<br />
Meier, M.A.“ wie in den USA und nicht<br />
wie einst bei „M. Philippus Melanchthon“.<br />
Nach schweren Anfangsjahren in <strong>der</strong><br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
Sowjetischen Besatzungszone und ideologischen<br />
Kämpfen zur Überwindung des<br />
bürger lichen Bildungskonzepts wurden in<br />
<strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik<br />
(DDR) ab 1951 alle Hochschulfragen<br />
DDR-einheitlich vom Staatssekretariat<br />
für Hochschulwesen in Ostberlin gesteuert.<br />
Für alle Studienrichtungen gab es nun<br />
verbindliche Studienpläne und Studienzeiten,<br />
z. B. elf Semester für Dipl.-Ingenieure<br />
<strong>der</strong> Elektrotechnik, zehn Semester<br />
für Diplom-Biologen, acht Semester für<br />
Diplom-Gewerbelehrer. Dabei handelte<br />
es sich um die „Mindestdauer gemäß den<br />
Prüfungsbestimmungen, die gleichzeitig<br />
grundsätzlich die Höchstdauer sein soll<br />
und die nicht über ein Semester hinaus<br />
überschritten werden darf.“ 9<br />
Die VO über die Verleihung <strong>der</strong> aka -<br />
demischen Grade“ vom 6. September<br />
1956 erklärt im § 1, daß die Fakultäten<br />
die akademischen Grade eines Doktors<br />
und eines habilitierten Doktors verleihen.<br />
Im § 2 wird ergänzt, daß auch das<br />
Diplom einer Fachrichtung als akade -<br />
mischer Grad verliehen werden kann.<br />
Voraussetzung für die Zulassung zur<br />
Promotion ist <strong>der</strong> Nachweis eines er -<br />
folgreich abgeschlossenen Universitätso<strong>der</strong><br />
Hochschulstudiums. Voraussetzungen<br />
für die Zulassung zur Habilitation<br />
sind <strong>der</strong> Besitz des Doktorgrades sowie<br />
eine in <strong>der</strong> Regel mindestens dreijährige<br />
wissenschaftliche Tätigkeit zwischen<br />
Promotion und Meldung zur Habilita -<br />
tion. Der akademische Grad „Dr. habil.“<br />
wurde nicht automatisch mit einer Lehrberechtigung<br />
verbunden. Privatdozenten<br />
gehörten <strong>der</strong> Vergangenheit an. Alle<br />
Hochschullehrer wurden vom Staatssekretär<br />
für das Hochschulwesen berufen.<br />
Unter den hauptamtlichen DDR-Hochschullehrern<br />
gab es diverse Stufungen.<br />
Sie lauteten in aufsteigen<strong>der</strong> Reihen -<br />
folge:<br />
Dozent,<br />
Professor mit Lehrauftrag<br />
Professor mit vollem Lehrauftrag<br />
Professor mit Lehrstuhl.<br />
Hinzu kamen die In-spe-Varianten dieser<br />
vier Dienststellungen: „mit <strong>der</strong><br />
Wahrnehmung einer Dozentur beauftragt“<br />
usw. Auch kombinierte Amtsbezeichnungen<br />
wie „Professor mit Lehrauftrag<br />
und zugleich mit <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />
einer Professur mit Lehrstuhl<br />
beauftragt“ findet man in den Personalund<br />
Vorlesungsverzeichnissen <strong>der</strong><br />
DDR-Hochschulen <strong>der</strong> 1950er Jahre.<br />
1965<br />
1965 trat in <strong>der</strong> DDR das Gesetz über<br />
das einheitliche sozialistische Bildungswesen<br />
in Kraft. Darin wurde behauptet,<br />
dem Bildungssystem <strong>der</strong> westlichen<br />
Demokratien um eine ganze historische<br />
Epoche voraus zu sein. Darauf aufbauend<br />
wurde in den Jahren 1968–1970 die<br />
3. Hochschulreform vollzogen. Dabei<br />
wurde das sowjetische Hochschulverständnis<br />
nun noch vollständiger in <strong>der</strong><br />
DDR durchgesetzt: „Die Aufgabe <strong>der</strong><br />
Universitäten und Hochschulen besteht<br />
darin, hochqualifizierte sozialistische<br />
Persönlichkeiten zu erziehen und aus -<br />
zubilden. Der Absolvent einer sozialistischen<br />
Hochschule zeichnet sich durch<br />
einen festen sozialistischen Klassenstandpunkt<br />
aus und handelt auf <strong>der</strong><br />
Grundlage des Marxismus-Leninismus.<br />
Er meistert die <strong>Wissenschaft</strong> als eine<br />
Hauptproduktivkraft und Waffe im Klassenkampf<br />
... Die Hochschullehrer ... tragen<br />
gegenüber <strong>der</strong> Gesellschaft die Verantwortung<br />
für die Erziehung <strong>der</strong> ihnen<br />
anvertrauten Studenten zu sozia -<br />
listischen Staatsbürgern <strong>der</strong> Deutschen<br />
Demokratischen Republik.“ (Zitat aus<br />
DDR-Gbl. I (1969), <strong>Nr</strong>. 3).<br />
Die DDR-Hochschulen wurden im Zuge<br />
<strong>der</strong> 3. Hochschulreform in „Sektionen“<br />
unterteilt und wie sozialistische Groß -<br />
betriebe nach dem „Prinzip <strong>der</strong> sozialistischen<br />
Einzelleitung“ gesteuert: Die Hochschule<br />
wurde von einem Rektor geleitet,<br />
<strong>der</strong> dem Minister für das Hoch- und Fachschulwesen<br />
unterstand. Jede Sektion<br />
wurde von einem Direktor ge leitet, <strong>der</strong><br />
dem Rektor unterstand. Das Diplom als<br />
erster akademischer Grad wurde DDReinheitlich<br />
für alle Studiengänge festgelegt,<br />
einschl. Diplom-Mediziner, Diplom-<br />
Stomatologe, Dip lom-Jurist, Diplom-<br />
Theologe, Diplom-In ge nieurökonom,<br />
Diplom-Historiker, Diplom-Sprachmittler,<br />
Diplom-Sportlehrer, Diplom-Lehrer<br />
für Marxismus-Leninismus, Diplom-<br />
Philosoph, Dip lom-Militärhistoriker,<br />
Diplom-Gesellschaftswissenschaftler,<br />
Diplom-Journalist und viele an<strong>der</strong>e. Die<br />
VO über die akade mischen Grade vom<br />
6. November 1968 unterscheidet drei<br />
akademische Graduierungsstufen:<br />
Diplom eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />
(Dipl.-...)<br />
Doktor eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />
(Dr. ...)<br />
Doktor <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en (Dr. sc.<br />
...)<br />
Damit war insbeson<strong>der</strong>e eine übersichtlichere<br />
Vergleichbarkeit <strong>der</strong> akademi-<br />
schen DDR-Grade mit den akademischen<br />
Graden in <strong>der</strong> Sowjetunion<br />
erreicht worden. Das Recht zur Erteilung<br />
<strong>der</strong> beiden DDR-Doktorgrade hatten<br />
nicht nur Universitäten und Hochschulen,<br />
son<strong>der</strong>n auch „an<strong>der</strong>e wissenschaftliche<br />
Institutio nen“, insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Akdemie <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en, die<br />
Akademie <strong>der</strong> Landwirtschaftswissenschaften<br />
und die Bauakademie <strong>der</strong><br />
DDR. Der Doktor eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />
– verliehen durch die sogen.<br />
Promotion A – entsprach dem traditionellen<br />
deutschen Doktorgrad und wurde<br />
wie gewohnt bezeichnet, Dr. med., Dr.<br />
jur., Dr.-Ing., Dr. rer. nat. u. a. Eine Be -<br />
son<strong>der</strong>heit sei erwähnt: Wenn FDJ-Studenten<br />
als beson<strong>der</strong>s för<strong>der</strong>ungswürdig<br />
eingestuft wurden, konnten sie gegen<br />
Ende des Diplomstudiums in den Status<br />
von „Forschungsstudenten“ wech seln.<br />
Diese durften dann sogleich – ohne sich<br />
mit Diplomarbeiten und Diplomprüfungen<br />
aufzuhalten – eine Disserta tion A<br />
vorbereiten und wurden ohne Diplomgrad<br />
zur Promotion A zugelassen.<br />
Der Doktor <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en – verliehen<br />
durch die sogen. Promotion B –<br />
war dem sowjetischen „Доктор наук“<br />
nachgebildet Er setzte in <strong>der</strong> Regel den<br />
Doktor eines <strong>Wissenschaft</strong>szweiges<br />
voraus und wurde mit den Bezeichnungen<br />
Dr. sc. med. (doctor scientiae medicinae),<br />
Dr. sc. jur. (doctor scientiae<br />
iuris), Dr. sc. techn. (doctor scientiae<br />
technicarum), Dr. sc. nat. (doctor scientiae<br />
naturalium) u. a. verliehen. Ich<br />
möchte hier nicht die m.E. teilweise<br />
fragwürdigen lateinischen Formen diskutieren,<br />
son<strong>der</strong>n nur die Voraussetzungen<br />
für die Verleihung des Dr.sc. erwähnen<br />
(Zitat aus dem DDR-Gbl. II (1968),<br />
S. 1024): „eine erfolgreiche Tätigkeit<br />
als Leiter von wissenschaftlichen Kollektiven,<br />
die Weiterbildung auf Gebieten<br />
des Marxismus-Leninismus, die hervorragende<br />
Mitarbeit bei <strong>der</strong> Gestaltung<br />
des entwickelten gesellschaftlichen Sys -<br />
tems des Sozialismus.“ Der Kandidat<br />
hatte seine hervorragende wissenschaftliche<br />
Qualifikation durch eine schriftliche<br />
Promotionsleistung nachzuweisen<br />
... „Sie sollte in <strong>der</strong> Regel aus kollektiver<br />
Forschungsarbeit hervorgegangen<br />
sein.“ (DDR-Gbl.II (1968), S. 111). Die<br />
Arbeit wurde – im Unterschied zur Dissertation<br />
A – nicht benotet. Die DDReinheitlichen<br />
Promotions-B-Urkunden<br />
bestätigten, daß <strong>der</strong> Dr.sc. „auf Grund<br />
einer hervorragenden wissenschaftlichen<br />
Be fähigung auf dem Gebiet ... und<br />
einer erfolgreichen Tätigkeit als Leiter<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 11
wissenschaftlicher Kollektive“ verliehen<br />
wurde. Spötter haben die Abkürzung<br />
„Dr. sc.“ insgeheim gern als „Doctor<br />
sine causa“ gedeutet, wohl wissend,<br />
daß ein solcher Spott nicht in jedem<br />
Falle gerechtfertigt war. Da die Habilitation<br />
definitiv abgeschafft worden war,<br />
blieb tüchtigen jungen DDR-<strong>Wissenschaft</strong>lern<br />
in den 1970er und 1980er<br />
Jahren nichts an<strong>der</strong>es übrig, als ihr wissenschaftliches<br />
Können mit einer Promotion<br />
B nachweisen zu wollen. Im<br />
medizinischen, natur-, sprach- und<br />
ingenieurwissenschaftlichen Bereich<br />
sind nicht wenige B-Dissertationen als<br />
persönliche Einzelleistungen entstanden,<br />
die hinsichtlich ihres wissenschaftlichen<br />
Niveaus den Vergleich mit Habilita<br />
tionsschriften im an<strong>der</strong>en Teil Deutschlands<br />
nicht zu scheuen brauchen.<br />
Mit Wirkung ab 1. Febr. 1969 trat eine<br />
neue Hochschullehrerberufungsverodnung<br />
in Kraft. Die hauptamtlichen<br />
Hochschullehrer – nunmehr entwe<strong>der</strong><br />
Hochschuldozent o<strong>der</strong> ordentlicher Professor<br />
– wurden vom Minister für das<br />
Hoch- und Fachschulwesen in Ostberlin<br />
berufen. Die Berufung setzte das Vorhandensein<br />
einer Dozentur o<strong>der</strong> eines<br />
Lehrstuhls voraus. Hochschuldozenten<br />
o<strong>der</strong> wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />
konnte <strong>der</strong> Titel eines außerordentlichen<br />
Professors verliehen werden, verbunden<br />
mit einer gehaltlichen Aufbesserung.<br />
Zum Hochschullehrer konnte nur avancieren,<br />
wem zuvor eine Facultas docendi<br />
(Lehrbefähigung) erteilt worden war.<br />
Laut Anordnung über die Erteilung und<br />
den Entzug <strong>der</strong> „Facultas docendi“ 10 ,<br />
wurde diese auf formlosen Antrag von<br />
<strong>der</strong> Universität verliehen, wenn <strong>der</strong><br />
Antragsteller den Nachweis „<strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten<br />
Leistungen in Forschung, Ausbildung,<br />
Erziehung und Weiterbildung<br />
erbracht hat“.<br />
Zu Professoren konnten auch <strong>Wissenschaft</strong>ler,<br />
die an DDR-Akademieeinrichtungen<br />
angestellt waren, ernannt<br />
werden. Diese Akademie-Professoren<br />
brauchten nicht zu lehren. Ein Beispiel:<br />
Der Direktor des Militärtechnischen<br />
Instituts <strong>der</strong> NVA in Königswusterhausen,<br />
Generalmajor K.-H. M., hatte in<br />
Leningrad studiert, war dort 1970 кандидат<br />
технических наук geworden (<strong>der</strong><br />
sowjetische „к.т.н.“ galt als Äquivalent<br />
zum Dr.-Ing. <strong>der</strong> DDR-Hochschulen),<br />
wurde 1979 von <strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
<strong>der</strong> DDR zum Dr.sc.nat.<br />
promoviert und 1985 zum Professor<br />
ernannt.<br />
12<br />
Entwicklung im<br />
wie<strong>der</strong>vereinten Deutschland<br />
Nach dem Zusammenbruch <strong>der</strong> DDR<br />
wurde das Hochschulwesen in den<br />
wie<strong>der</strong>erstandenen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n neu<br />
gestaltet, infolge <strong>der</strong> Kulturhoheit <strong>der</strong><br />
deutschen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong> mit deutlichen<br />
Unterschieden. In Sachsen – auf<br />
sächsischem Territorium hatten Ende<br />
<strong>der</strong> 1980er Jahre, als die DDR kollabierte,<br />
nicht weniger als 22 Institutionen<br />
das Promotionsrecht – gab es<br />
beson<strong>der</strong>s viel zu tun, um demokratische<br />
Hochschulstrukturen aufzubauen.<br />
Markierungspunkte auf dem Weg<br />
<strong>der</strong> Hochschulerneuerung wurden<br />
gesetzt mit dem Hochschulerneuerungsgesetz<br />
vom 25. Juli 1991, dem<br />
Hochschulstrukturgesetz vom 10.<br />
April 1992 und schließlich mit dem<br />
Gesetz über die Hochschulen im Freistaat<br />
Sachsen vom 4. Aug. 1993. Es<br />
trat am 3. Okt. 1993, dem Tag <strong>der</strong><br />
Deutschen Einheit, in Kraft und legte<br />
das rechtliche Fundament für Hochschulen,<br />
in denen sich die <strong>Freiheit</strong> von<br />
Kunst und <strong>Wissenschaft</strong>, von Lehre<br />
und Forschung wie<strong>der</strong> verwirklichen<br />
sollte. Die neu eingerichteten fünf<br />
sächsischen Fachhochschulen durften<br />
den Diplomgrad mit dem Zusatz<br />
Fachhochschule (FH) vergeben. Die<br />
vier sächsischen Universitäten erhielten<br />
das Promotions- und Habilitationsrecht,<br />
und sie verliehen als erste<br />
akademische Grade den Diplomgrad<br />
und den Magistergrad.<br />
In den 1990er Jahren scheint an den<br />
deutschen Universitäten niemand<br />
wahrgenommen zu haben, daß eine<br />
neue Gefahr für ein wohlgeglie<strong>der</strong>tes<br />
deutsches Universitäts- und Fachschulsystem<br />
und für die wie<strong>der</strong>gewonnene<br />
<strong>Freiheit</strong> von Forschung und<br />
Lehre heraufzog, diesmal aber für alle<br />
deutschen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>. Die Top-<br />
Wirtschaftsmanager <strong>der</strong> Großindustrie<br />
starteten seinerzeit einen Feldzug<br />
gegen die deutsche Hochschultradition.<br />
Sie stellten fest, daß die Län<strong>der</strong><br />
Europas raschen und radikalen Transformationsprozessen<br />
– in politischer,<br />
ökonomischer und so zialer Hinsicht –<br />
unterworfen seien, <strong>der</strong>en Än<strong>der</strong>ungsschrittmaß<br />
sich enorm beschleunige.<br />
Dies werde erzwungen durch die wirtschaftlichen<br />
Zwänge infolge des globalen<br />
Handels, <strong>der</strong> globalen Politik<br />
und <strong>der</strong> unmittelbaren weltweiten<br />
Anwendung von völlig neuen Technologien.<br />
Die europäische Wirtschaft<br />
habe auf diese Herausfor<strong>der</strong>ung rasch<br />
und erfolgreich reagiert, das Bild -<br />
ungs wesen aber reagiere zu langsam<br />
und hinke hinterdrein. Deshalb meinten<br />
die Wirtschaftsmanager, einschreiten<br />
zu müssen, um eine massive<br />
Umstruk turierung des gesamten deutschen<br />
Bildungswesens zu bewirken,<br />
von <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>krippe über Kin<strong>der</strong>gärten,<br />
Schulen und Universitäten bis zu<br />
Fortbildungseinrichtungen für Erwerbs -<br />
tätige.<br />
Bekannte Top-Manager deutscher<br />
Konzerne<br />
Bertelsmann (vertreten durch Mark<br />
Wössner), Siemens (vertreten durch<br />
Heinrich von Pierer), Friedrich Krupp<br />
(vertreten durch Gerhard Cromme),<br />
Robert Bosch (vertreten durch Marcus<br />
Bierich), Daimler-Benz (vertreten<br />
durch Edzard Reuter), Bayer (vertreten<br />
durch Manfred Schnei<strong>der</strong>) u. a.<br />
versammelten sich am Europäischen<br />
Runden Tisch <strong>der</strong> Großindustriellen<br />
(European Round Table of Industrialists,<br />
ERT) und publizierten im Februar<br />
1995 einen 33-seitigen Bericht<br />
„Education for Europeans – Towards<br />
the Learning So ciety“, in dem sie ihr<br />
bildungspo li ti sches Konzept darlegen:<br />
Auf die Vorschulerziehung soll eine<br />
9–10jährige Einheitsschule folgen,<br />
anschließend 2–3 Jahre zur Vermittlung<br />
einer vertieften Allgemeinbildung<br />
o<strong>der</strong> einer beruflichen Ausbildung.<br />
Damit soll ein bestimmter Prozentsatz<br />
<strong>der</strong> jungen Leute bereits „fit<br />
für den ersten Job“ sein, während die<br />
an<strong>der</strong>en zuvor noch eine Hochschulausbildung<br />
durchlaufen sollen. Die<br />
wesentlichen Zielstellungen <strong>der</strong> Großindustriellen<br />
lauteten:<br />
vollständige Abstimmung <strong>der</strong> Studieninhalte<br />
auf die Bedürfnisse <strong>der</strong><br />
europäischen Wirtschaft,<br />
einheitliche Bildungsstandards in<br />
ganz Europa,<br />
in allen europäischen Län<strong>der</strong>n kompatible<br />
Abschlüsse, die in den<br />
neuen, sich än<strong>der</strong>nden Arbeitsumgebungen<br />
von Wert sind,<br />
Vermittlung von sogenannten<br />
Schlüsselqualifikationen (interpersonal<br />
skills),<br />
Modularisierung <strong>der</strong> Studiengänge,<br />
bessere Kooperation zwischen Hoch -<br />
schulen und Industrie.<br />
In Deutschland setzte sich vor allem<br />
<strong>der</strong> Bertelsmann-Konzern in herausra-<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
gen<strong>der</strong> Weise für eine tiefgreifende und<br />
nach haltige Umgestaltung des deutschen<br />
Bildungssystems ein. Schon im<br />
September 1993 hatte Reinhard Mohn<br />
den BWL-Professor Detlef Müller-<br />
Böling nach Gütersloh bestellt und ihn<br />
mit dem Aufbau und <strong>der</strong> Leitung eines<br />
Centrums für Hochschulentwicklung<br />
(CHE) beauftragt. Das CHE wurde am<br />
1. Mai 1994 in Gütersloh von <strong>der</strong> Bertelsmann-Stiftung<br />
im Benehmen mit <strong>der</strong><br />
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als<br />
gemeinnützige GmbH gegründet. Das<br />
CHE versteht sich als „Reformwerkstatt“<br />
für das deutsche Hochschulwesen.<br />
Mittels Projekten für Ministerien,<br />
Beratungen von Hochschulleitungen,<br />
vergleichende Studien und Hochschulrankings<br />
nimmt das CHE starken Einfluß<br />
auf das deutsche Hochschulwesen.<br />
Als Leitbild pro pagiert das CHE eine<br />
„entfesselte“ Einheitshochschule, die<br />
autonom, wissenschaftlich, profiliert,<br />
wettbewerbsfähig, wirtschaftlich, international<br />
und den neuen Medien gegenüber<br />
aufgeschlossen sein soll. 11<br />
Bologna-Prozeß<br />
In diesem Sinne wurde auch <strong>der</strong> sogenannte<br />
Bologna-Prozeß in Deutschland<br />
instrumentalisiert. Dieser Prozeß war<br />
im <strong>Juni</strong> 1999 durch eine Erklärung, die<br />
die Bildungsminister von 29 europäischen<br />
Län<strong>der</strong>n in Bologna unterzeichneten,<br />
ins Leben gerufen worden. Es<br />
ging den Unterzeichnern darum, bis<br />
zum Jahre 2010 einen Europäischen<br />
Hochschulraum (wörtlich: European<br />
Higher Edu cation Area) zu schaffen und<br />
den Bildungsstandort Europa im globalen<br />
Wettbewerb gut zu positionieren.<br />
Zitat: „Wir verpflichten uns hiermit,<br />
diese Ziele – im Rahmen unserer institutionellen<br />
Kompetenzen und unter uneingeschränkter<br />
Achtung <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong><br />
Kulturen, <strong>der</strong> Sprachen, <strong>der</strong> nationalen<br />
Bildungssysteme und <strong>der</strong> Autonomie<br />
<strong>der</strong> Universitäten – umzusetzen, um den<br />
europäischen Hochschulraum zu festigen.“<br />
In Deutschland vermittelte man<br />
in den Jahren <strong>der</strong> rot-grünen Regierungskoalition<br />
mit Frau Edelgard Buhlman<br />
als <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esbildungsministerin<br />
in <strong>der</strong> deutschen Öffentlichkeit einen<br />
irreführenden Ein druck: <strong>der</strong> Bologna-<br />
Prozeß sei eine völkerrechtlich<br />
beschlossene Sache und erfor<strong>der</strong>e die<br />
verbindliche Einführung des Bachelor-<br />
/Mastersystems, um international vergleichbar<br />
zu sein. Beide Aus sagen sind<br />
falsch. Die Termini Bachelor und<br />
Master spielen in den offiziellen Bologna-Dokumenten<br />
gar keine Rolle.<br />
Die Absicht, die deutschen akademischen<br />
Grade durch die Grade eines<br />
Bachelors, eines Masters und – wenn<br />
man die Promotion hinzunimmt –<br />
eines Ph. D. (d. h., des mittelalterlichen<br />
Philosophiae Doctor, im angloamerikanischen<br />
Sprachraum heute<br />
ausgeschrieben als „Doctor of philosophy“)<br />
zu ersetzen, wirft ein entlarvendes<br />
Licht auf die geistige Verfaßtheit<br />
<strong>der</strong> deutschen Gesellschaft: würdelose<br />
Verabschiedung von <strong>der</strong><br />
deutschen Universitätstradition, Miß -<br />
achtung <strong>der</strong> deutschen Hochschulgeschichte<br />
und Preisgabe <strong>der</strong> deutschen<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ssprache.<br />
Der „Bachelor-Grad“, <strong>der</strong> sprachlich<br />
auf den mittelalterlichen Baccalaureus<br />
zurückgeht, ist heute im angloamerikanischen<br />
Sprachraum keineswegs mit<br />
einer wohldefinierten Bedeutung verbunden.<br />
In Großbritannien handelt es<br />
sich zwar häufig um einen berufsbefähigenden<br />
Abschluß, aber nur für ein sehr<br />
schmales Betätigungsfeld. In den USA<br />
hingegen bescheinigt <strong>der</strong> Bachelor-<br />
Grad in <strong>der</strong> Regel keine Berufsfähigkeit,<br />
son<strong>der</strong>n die Studierfähigkeit für<br />
ein wissenschaftliches Studium. Hinzu<br />
kommt, daß das Wort „Bachelor“ im<br />
Englischen heute vor allem in <strong>der</strong> allgemeineren<br />
umgangssprachlichen Bedeutung<br />
von „Junggeselle“ benutzt wird.<br />
Ein „eligible bachelor“ ist ein „begehrter<br />
Junggeselle“, wie sich ihn Schwiegermütter<br />
in spe gern wünschen. Ein<br />
„confirmed bachelor“ ist nicht etwa ein<br />
„baccalaureus confirmatus“, son<strong>der</strong>n<br />
man bezeichnet dadurch einen „eingefleischten<br />
Junggesellen“, <strong>der</strong> vermutlich<br />
schwul ist.<br />
Ich halte es für unpassend, daß die deutschen<br />
Protagonisten des Bologna-Prozesses<br />
den jungen deutschen Frauen<br />
nach einem erfolgreichen Studium ein<br />
solches Etikett anheften wollen, und ich<br />
frage mich, warum die Frauenbeauftragten<br />
<strong>der</strong> deutschen Hochschulen, die<br />
Verantwortlichen für das Gleichstellungsmanagement,<br />
die zahlreichen<br />
Gen<strong>der</strong>-Professorinnen, die Organisatoren<br />
von Gen<strong>der</strong>-Trainings, die hochschulpolitischen<br />
Aktivisten eines Integrativen<br />
Gen<strong>der</strong>ings, ... nicht protestieren.<br />
Sie bemühen sich nicht einmal um<br />
eine weibliche grammatische Form des<br />
propagierten neu-deutschen akademischen<br />
Grades Bachelor.<br />
Auch den „Master“ gibt es nur in <strong>der</strong><br />
maskulinen englischen Variante. Der<br />
etymologische Ursprung fällt mit dem<br />
des deutschen Wortes „Meister“ zusammen.<br />
12 Der deutsche „Meister“ und die<br />
deutsche „Meisterin“ stehen in<br />
Deutschland seit Jahrhun<strong>der</strong>ten jedoch<br />
für eine an<strong>der</strong>sgeartete hervorragende<br />
berufliche Qualifikation. Handwerksmeister<br />
und Werkmeister sind in <strong>der</strong><br />
mo<strong>der</strong>nen arbeitsteiligen Gesellschaft<br />
nicht weniger wichtig und sollten nicht<br />
weniger geachtet werden als akademisch<br />
Zertifizierte. Auch das Kapitalvermögen<br />
und das monatliche Einkommen<br />
<strong>der</strong> tüchtigen Meister und Meisterinnen<br />
liegen oft höher als beim Gros<br />
<strong>der</strong> deutschen Akademiker.<br />
So mutet es grotesk an, wenn deutsche<br />
Bildungspolitiker den deutschen Di -<br />
plomgrad, <strong>der</strong> seit Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
zu einem international wohlbekannten<br />
und geschätzten Markenzeichen<br />
für das deutsche Hochwesen<br />
geworden ist, durch einen verballhornten<br />
Meistergrad ersetzen wollen.<br />
Nicht einzusehen ist auch, warum en -<br />
gagierte „Reformer“ die aussagekräftigen<br />
deutschen Doktorgrade wie Dr.-<br />
Ing., Dr. rer. nat., Dr. rer. pol. usw. durch<br />
einen in Deutschland längst ad acta<br />
gelegten Titel „Ph. D.“, <strong>der</strong> aus dem<br />
Mittelalter stammt, ersetzen wollen.<br />
Vielleicht meinen Sie, lieber Leser,<br />
mich be schwichtigen zu sollen: Man<br />
brauche die aktuelle Hochschulsituation<br />
doch nicht „cum studio et ira“ (mit Eifer<br />
und Zorn) zu erörtern, schließlich<br />
werde keine Suppe so heiß gegessen,<br />
wie sie gekocht wird. Die angloamerikanischen<br />
Namen seien doch Nebensache,<br />
allein auf die Inhalte komme es an.<br />
Wenn Sie so argumentieren, so verkennen<br />
Sie m. E. die tiefgreifende und weitreichende<br />
Bedeutung von Namen und<br />
Bezeichnungen. Wilhelm von Humboldt<br />
schrieb: „Der Mensch denkt, fühlt<br />
und lebt allein in <strong>der</strong> Sprache und muß<br />
durch sie erst gebildet werden.“ Und<br />
Martin Heidegger (1889–1976) lehrte:<br />
„Die Sprache ist das Haus des Seins. In<br />
ihrer Behausung wohnt <strong>der</strong> Mensch.<br />
Die Denkenden und Dichtenden sind<br />
die Wächter <strong>der</strong> Behausung.“<br />
Mit den neu-deutschen Graden „Bachelor,<br />
Master und Ph. D.“ wird <strong>der</strong> deutschen<br />
studierenden Jugend <strong>der</strong> Weg in<br />
ihre angestammte akademische Behausung<br />
versperrt. Die neuen Namen für<br />
Hochschulabschlüsse erleichtern eine<br />
Pseudoamerikanisierung <strong>der</strong> deutschen<br />
Hochschulen. Seit eh und je weiß man<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 13
um die schicksalhafte Vorbedeutung<br />
von Namen: „Nomen est omen“ – hinterließen<br />
uns die alten Römer als geflügeltes<br />
Wort. In unserem Zusammenhang<br />
trifft eine Formulierung von Ovid<br />
(43 v. Chr. – 17 n. Chr.) den Nagel auf<br />
den Kopf: „Nomina sunt ipso paene<br />
timenda sono“, zu deutsch: „Die Namen<br />
sind fast schon durch ihren Klang zu<br />
fürchten.“<br />
1<br />
Gordontzi Leff: Das Trivium und die drei Philosophien.<br />
In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte<br />
<strong>der</strong> Universität in Europa. Band I: Mittelalter,<br />
Beck, München 1993, ISBN 3-406-36952-9, S.<br />
279-302.<br />
2 John North: Das Quadrivium. In: Walter Rüegg<br />
(Hrsg.): Geschichte <strong>der</strong> Universität in Europa.<br />
Baden-Württemberg<br />
Abitur muß Studierfähigkeit<br />
garantieren<br />
„Der fachwissenschaftliche Anteil muß<br />
im Studium für das Lehramt an Gymnasien<br />
grundsätzlich Priorität haben und<br />
in seinem zeitlichen und inhaltlichen<br />
Umfang deutlich über dem des erziehungswissenschaftlichen<br />
Anteils liegen,<br />
um die Qualität und das Anspruchsniveau<br />
gymnasialer Bildung weiterhin zu<br />
gewährleisten“. Diese For<strong>der</strong>ung erhebt<br />
<strong>der</strong> Landesvorsitzende des Philologenverbandes<br />
Baden-Württemberg (PhV<br />
BW), Bernd Saur.<br />
Das bestandene Abitur muß nach Auffassung<br />
des Philologenverbandes eine verläßliche<br />
Garantie für die Studierfähigkeit<br />
sein und bleiben. „Wir verkennen nicht<br />
die Bedeutung <strong>der</strong> Erziehungswissenschaften,<br />
eine Kürzung <strong>der</strong> fachwissenschaftlichen<br />
Ausbildung für Gymnasiallehrer<br />
darf es jedoch nicht geben“, so<br />
Saur. Eine gleichwertige Gewichtung<br />
von Erziehungs- und Fachwissenschaften<br />
lehnt <strong>der</strong> Philologenverband ebenso<br />
ab wie eine massive Verlagerung fachdidaktischer<br />
und pädagogisch-erziehungswissenschaftlicher<br />
Inhalte von <strong>der</strong> zwei-<br />
Band I: Mittelalter, Beck, München 1993, ISBN<br />
3-406-36952-9, S. 303-320.<br />
3 J.-J.Rousseau, OEuvres complètes, hg. von B. Gagnebin<br />
und M. Raymond, Bd.III, p.620, Paris 1964<br />
4 Geschichte <strong>der</strong> Universität in Europa, Hg. Von<br />
Walter Rüegg, Band III: Vom 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
zum Zweiten Weltkrieg, Verlag C.H. Beck, München<br />
2004<br />
5 Lorey, W.: Felix Klein. Leopoldina. Berichte <strong>der</strong><br />
Kaiserlichen Deutschen Akademie <strong>der</strong> Naturforscher<br />
in Halle, 1 (1926), S. 149<br />
6 Nachfolgeeinrichtungen: Sächsische Technische<br />
Hochschule (1918), Technische Hochschule<br />
Dresden (1946), Technische Universität Dresden<br />
(1961)<br />
7 Festschrift 125 Jahre Technische Hochschule<br />
Dresden, Dresden 1953, S. 41<br />
Das Anspruchsniveau gymnasialer Bildung<br />
gewährleisten!<br />
ten in die erste Phase <strong>der</strong> Lehrerbildung.<br />
Im übrigen sei es völlig unklar, wer die<br />
vermehrte Fachdidaktik an <strong>der</strong> Universität<br />
lehren solle. Der PhV plädiert deshalb<br />
für ein zweijähriges Referendariat, in<br />
dem die Fachdidaktik einen sinnvollen<br />
und angemessenen Platz hätte.<br />
Beibehaltung des Staats -<br />
examens wird begrüßt<br />
Begrüßt wird vom Philologenverband,<br />
daß das Staatsexamen auch künftig<br />
erhalten bleiben soll. „Denn“, so PhV-<br />
Chef Saur, „das Kultusministerium muß<br />
über die Inhalte <strong>der</strong> Studienordnungen<br />
und über die Prüfungsaufsicht seinen<br />
Einfluß und seine Gestaltungsmöglichkeiten<br />
auf die Lehrerbildung behalten.“<br />
Kritisch beurteilt <strong>der</strong> Verband hingegen,<br />
daß die wissenschaftliche Arbeit, also die<br />
Abschlußarbeit <strong>der</strong> ersten Phase <strong>der</strong><br />
Gymnasiallehrerausbildung, künftig we -<br />
niger als zehn Prozent zur Gesamtnote<br />
des ersten Staatsexamens beitragen soll.<br />
Der Philologenverband for<strong>der</strong>t daher, in<br />
die Abschlußprüfung nicht nur mündliche,<br />
son<strong>der</strong>n auch schriftliche Teile aufzunehmen.<br />
8 Meyers Konversationslexikon, 15. Band, Stichwort<br />
„Technische Hochschulen“, Verlag des<br />
bibliograph. Instituts 1890<br />
9 Personal- und Vorlesungsverzeichnis <strong>der</strong> TH<br />
Dresden, Studienjahr 1955/56, S.17.<br />
10 Veröffentlicht im DDR-Gbl.II (1968)<strong>Nr</strong>.127,<br />
S. 1004<br />
11 D. Müller-Böling: Die entfesselte Hochschule.<br />
Verlag Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2000<br />
12 Aus dem lateinischen magister entstanden meistar<br />
(ahd.), mêstar (altsächs.), meister (mhd.),<br />
master (engl.), maestro (ital.) und maître<br />
(franz.). �<br />
Korrespondenzadresse siehe Seite 31.<br />
Philologenverband Baden-Württemberg (PhV BW) bezieht Position zur geplanten neuen Prüfungsordnung<br />
für angehende Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien.<br />
14<br />
Das Praxissemester, das stärker gewichtet<br />
werden soll, darf aus PhV-Sicht<br />
keine „Auslesefunktion“ besitzen. „Es<br />
muß vielmehr die Studierenden auf<br />
ihren Beruf hin orientieren“, betont<br />
Saur. Lehramtsstudenten müßten aber<br />
auch die Möglichkeit haben, zu experimentieren<br />
und Erfahrungen zu sammeln.<br />
Kritik am „Orientierungspraktikum“<br />
Heftige Kritik übt <strong>der</strong> Philologenverband<br />
an <strong>der</strong> geplanten Einführung eines verpflichtenden<br />
zweiwöchigen „Orientierungspraktikums“.<br />
„Was für einen sinnvollen<br />
Ertrag soll ein solches Orientierungspraktikum<br />
bringen“, fragt Saur und<br />
bezweifelt, daß jene Studienanfänger, die<br />
noch nicht über erfor<strong>der</strong>liche fachliche<br />
Kenntnisse verfügten, bereits angeleiteten<br />
o<strong>der</strong> selbstständigen Unterricht halten<br />
könnten. Hingewiesen wurde darauf,<br />
daß Gymnasien bereits heute mit <strong>der</strong><br />
Betreuung von Referendaren und Praktikanten<br />
sehr stark belastet sind.<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
Berlin<br />
Durch Leistung dem Land eine Zukunft geben!<br />
Gerhard Schmid: „Schluß mit den linken Bildungsexperimenten mit Schülern, Eltern und Lehrkräften!<br />
– Berlin braucht ein konsequent leistungsbezogenes Schulsystem“.<br />
Im Bereich <strong>der</strong> Berliner Schulen zeichnen<br />
sich ungewöhnliche Entwicklungen<br />
ab, die über Berlin hinaus für Verwun<strong>der</strong>ung<br />
sorgen und teilweise auf strikte<br />
Ablehnung stoßen.<br />
In einer Pressemitteilung vom 25. Mai<br />
<strong>2009</strong> äußert sich Gerhard Schmid,<br />
Oberschulrat in Berlin-Friedrichshain-<br />
Kreuzberg, als Regionalbeauftragter<br />
des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
für Berlin und Brandenburg folgen<strong>der</strong>maßen:<br />
„Mehr Sitzenbleiber in <strong>der</strong> Grundschule<br />
zum Schuljahr <strong>2009</strong>/10 statt erfolgreicher<br />
För<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n aus Mi -<br />
grantenfamilien und aus bildungsfernen<br />
Schichten in den Kin<strong>der</strong>tagesstätten und<br />
in <strong>der</strong> zweijährigen Schulanfangsphase<br />
in Berlin, so hieß es Ende letzter Woche<br />
in <strong>der</strong> Berliner Presse. Jedes sechste<br />
Kind rückt nicht in die 3. Klasse auf,<br />
bleibt also sitzen. Damit bewies sich<br />
einmal mehr die These, daß das im Jahr<br />
2004 verabschiedete neue Schulgesetz<br />
mit seinen ideologischen, unrealistischen<br />
und unprofessionellen Intentionen,<br />
Zielen und Reformen scheitern<br />
wird.<br />
Genauso wird es mit <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit geplanten<br />
Reform <strong>der</strong> Schulstruktur gehen,<br />
mit Abschaffung <strong>der</strong> Hauptschulen,<br />
Realschulen und <strong>der</strong> Gesamtschulen<br />
und z. B. <strong>der</strong> Abschaffung des Sitzenbleibens<br />
in <strong>der</strong> Sekundarstufe I und an<br />
den Gymnasien. Es muß endlich Schluß<br />
sein mit den linken Bildungs-Experimenten<br />
mit Schülern, Eltern und Lehrkräften!<br />
Als Alternative bietet sich ein konsequent<br />
leistungsbezogenes Schulsystem<br />
in Berlin an: Damit wäre eine durchgreifende<br />
Verbesserung <strong>der</strong> schulischen<br />
Ergebnisse in Berlin zu erreichen, um<br />
unseren Kin<strong>der</strong>n, unserer Jugend und<br />
damit unserem Land wirklich eine<br />
Zukunft zu geben – und nicht mit ideologisch<br />
begründeter Gleichmacherei<br />
o<strong>der</strong> mit Reformstückwerken. Bildungsreformen<br />
haben sich an den<br />
Bedürfnissen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und an <strong>der</strong><br />
gesellschaftlichen Realität zu orientie-<br />
ren und nicht an pädagogischen Utopien<br />
und ihrer unprofessionellen Umsetzung.“<br />
Berliner Schule – die Alternative:<br />
Grundstruktur eines leistungsbezogenen<br />
Schulsystems<br />
„Ich trete ein für einen konsequent,<br />
überzeugend leistungsorientierten Über -<br />
gang nach <strong>der</strong> 4. Klasse in die Gymnasien<br />
und Realschulen und – unter <strong>der</strong><br />
Voraussetzung, daß dort gymnasial- und<br />
realschulbefähigte Schüler mit über 2/3<br />
übergehen, – auch in die Gesamtschulen<br />
(o<strong>der</strong> Gemeinschaftsschulen o<strong>der</strong> Se -<br />
kundarschulen). Der Übergang wird<br />
u. a. abhängig gemacht von Überprüfungsarbeiten<br />
vor dem 1. Februar jeden<br />
Jahres mit externer Aufsicht und Korrektur.<br />
Jeweils am 1. Februar jeden Jahres<br />
steht fest, welcher Schüler wohin<br />
kann. Die Lehrerversorgung mit verbeamteten<br />
Lehrkräften kann dann rechtzeitig<br />
gesichert werden.<br />
Zwei Jahre vor Eintritt in die Grundschule<br />
werden die Schüler vor allem<br />
auch mit ihren Sprachkenntnissen getestet,<br />
nachdem die Kitas bereits kontrolliert<br />
(Einrichtung einer Kita-Aufsicht,<br />
auch über die in freier Trägerschaft)<br />
intensiv Sprachför<strong>der</strong>ung betrieben ha -<br />
ben. Wer hier För<strong>der</strong>bedarf hat, muß vor<br />
Schuleintritt mindestens eine einjährige<br />
Vorschule besuchen. Nach Schuleintritt<br />
bei so geringen Deutschkenntnissen,<br />
daß eine Alphabetisierung noch nicht<br />
erfolgreich durchgeführt werden kann,<br />
wird das erste Schuljahr in Form einer<br />
Sprachlernklasse absolviert.<br />
Die sechsjährige Grundschule wird in<br />
den 5. und 6. Klassen überzeugend für<br />
die För<strong>der</strong>ung ausgebaut, so daß potentiell<br />
fähige Schüler noch zur 7. Klasse<br />
in die Realschulen und Gymnasien<br />
übergehen können. Die an<strong>der</strong>en gehen<br />
an die Haupt- und Gesamtschulen mit<br />
konsequenter beruflicher und praktischer<br />
Orientierung mit den entsprechenden<br />
Lehrplänen. Begabte Kin<strong>der</strong> aus<br />
Migrantenfamilien bzw. aus bildungsfernen<br />
deutschen Familien können nach<br />
einem Test in Gymnasien beson<strong>der</strong>er<br />
pädagogischer Prägung übergehen.<br />
Diese Schüler erhalten in Deutsch und<br />
im Fachunterricht in <strong>der</strong> 7. Klasse eine<br />
beson<strong>der</strong>e För<strong>der</strong>ung und können die 7.<br />
Klasse ohne Anrechnung auf ihre persönlichen<br />
Schulbesuchsjahre wie<strong>der</strong>holen<br />
o<strong>der</strong> müssen bei weiterer Nichteignung<br />
nach entsprechenden Tests zur<br />
Realschule, Gesamtschule o<strong>der</strong> Hauptschule<br />
wechseln.<br />
Schon ab den 3. Klassen werden an den<br />
Grundschulen beson<strong>der</strong>s leistungs- und<br />
interessensbezogene Klassen nach Ab -<br />
schluß <strong>der</strong> Alphabetisierung mit För<strong>der</strong>ung<br />
von leistungsschwachen, leistungsstarken<br />
und normal befähigten<br />
Schülern eingerichtet.<br />
Die Schulleiter- und Lehrerleistungen<br />
werden von einer entsprechend befähigten<br />
Schulaufsicht – auch hier müßte sich<br />
viel än<strong>der</strong>n – gesichert einer beson<strong>der</strong>en<br />
Beobachtung unterworfen bezüglich ihrer<br />
Unterrichts- und Erziehungsqualität (und<br />
Verwaltungs- und Führungsbefähigung)<br />
mit eventuellen Sanktionen bei Min<strong>der</strong>leistung.<br />
Technische Kräfte und Verwaltungspersonal,<br />
wie Schulsekretärinnen<br />
und Hausmeistermitarbeiter, entlasten<br />
das pädagogische Personal. Jugendhilfe<br />
und Schulpsychologie werden mit ihrem<br />
Personal überwiegend an den Schulen<br />
angesiedelt und dort eingesetzt und residieren<br />
nicht in Verwaltungsgebäuden.<br />
Mit dieser Schulreform wäre eine<br />
durchgreifende Verbesserung <strong>der</strong> schulischen<br />
Ergebnisse in Berlin zu erreichen,<br />
um unseren Kin<strong>der</strong>n, unserer<br />
Jugend und damit unserem Land wirklich<br />
eine Zukunft zu geben – und nicht<br />
mit ideologisch begründeter Gleichmacherei<br />
o<strong>der</strong> mit Reformstückwerken“.<br />
Kontakt:<br />
Gerhard Schmid<br />
Mobil: 01 70-8 15 78 65<br />
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Oberschulrat Gerhard Schmid<br />
Regionalbeauftragter für Berlin<br />
und Brandenburg<br />
E-Mail: ger-schmid@web.de<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 15
Bremen<br />
Abkehr vom längeren gemeinsamen Lernen?<br />
Künftig stehen nach <strong>der</strong> vierjährigen Grundschule nur noch zwei Schultypen zur Auswahl:<br />
Oberschule und Gymnasium.<br />
Bericht über die aktuelle Schulpolitik in Bremen<br />
Eine komplizierte Gemenge- und Stimmungslage<br />
Das an bildungspolitischer Experimentierfreudigkeit wahrlich nicht unterentwickelte kleinste <strong>Bund</strong>esland ist um eine<br />
weitere Variante reicher, mit <strong>der</strong> Bremen wie<strong>der</strong> einmal als Vorreiter in dem Wettlauf um Prioritätenruhm den an<strong>der</strong>en<br />
<strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n vorauszueilen hofft.<br />
Am 23. April <strong>2009</strong> titeln die „Bremer<br />
Nachrichten“: „Neues Schulgesetz für<br />
Bremen", und die zweite, in Bremen<br />
ebenfalls führende Tageszeitung „Weser-<br />
Kurier“ geht in ein wesentliches Detail<br />
mit <strong>der</strong> Überschrift „Bremen löst För<strong>der</strong>zentren<br />
auf.“ Dazu heißt es dort:<br />
„Neues Gesetz: Künftig stehen nur noch<br />
zwei Schultypen zur Auswahl.“<br />
Der Gesetzesentwurf stellt geradezu<br />
einen Tabubruch dar. Seit <strong>der</strong> letzten<br />
Wahl zur Bürgerschaft, dem Landtag,<br />
2007, regiert in Bremen eine rot-grüne<br />
Koalition, die die „Große Koalition“<br />
abgelöst hat. Nach dem undogmatisch<br />
auftretenden Willi Lemke ist für das<br />
Schulressort Renate Jürgens-Pieper<br />
(ebenfalls SPD), vormals Lehrerin in<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen, zuständig. Ihr Mut ist zu<br />
bewun<strong>der</strong>n. Dieser Entwurf für ein<br />
neues Schulgesetz, als „Zwei-Säulen-<br />
Modell“ bezeichnet, wurde kürzlich in<br />
<strong>der</strong> Bildungsdeputation (Landtagsausschuß)<br />
mit den Stimmen von SPD,<br />
CDU (unter Vorbehalt), FDP und Grünen,<br />
nicht <strong>der</strong> Linken, verabschiedet;<br />
mit ihm wird Bremen bundesweit zum<br />
Vorreiter für ein Schulsystem, das radikal<br />
mit Bisherigem bricht. Der Gesetzesentwurf<br />
gilt sogar als überparteilicher<br />
Kompromiß, <strong>der</strong> zudem selbst bei<br />
wechselnden politischen Mehrheitsverhältnissen<br />
zehn Jahre halten, also mögliche<br />
Regierungswechsel überdauern<br />
sollte.<br />
Nach <strong>der</strong> Zustimmung durch die Bildungsdeputation<br />
hat im <strong>Juni</strong> die parlamentarische<br />
Beratung begonnen, die<br />
voraussichtlich nur noch zu geringfügigen<br />
Än<strong>der</strong>ungen des jetzt vorliegenden<br />
Gesetzestextes führen könnte. Mit <strong>der</strong><br />
Einrichtung dieses Modells reagiert die<br />
Bildungspolitik auf die bundesweite<br />
Straffung <strong>der</strong> Schulzeit, die das Abitur<br />
nach 8 Jahren ermöglichen soll, neben<br />
16<br />
<strong>der</strong> Option für die bisherigen 9 Jahre,<br />
wobei Abgänge vorher, mit entsprechenden<br />
Abschlüssen, vorgesehen sind.<br />
Der Gesetzesentwurf sieht nur noch<br />
zwei „gleichwertige Säulen“ vor, nämlich<br />
Gymnasium und Oberschule, beide<br />
durchgängig. Das Gymnasium soll in<br />
8 Jahren zum Abitur führen („Turbo-<br />
Abitur“), die Oberschule diejenigen, die<br />
bis zur letzten Klasse darin verbleiben,<br />
in 9 Jahren. Im Gespräch sind auch se -<br />
parate Klassen, in denen in <strong>der</strong> Oberschule<br />
Schüler unterrichtet werden, die<br />
nicht das Abitur anstreben. Zu den<br />
Beson<strong>der</strong>heiten des Modells gehört ferner,<br />
daß behin<strong>der</strong>te und nichtbehin<strong>der</strong>te<br />
Schüler (mit wenigen genau festgelegten<br />
Ausnahmen) gemeinsam unterrichtet<br />
werden sollen.<br />
Die Einführung <strong>der</strong> Regelungen nach<br />
dem Gesetzentwurf macht eine Reihe<br />
von Än<strong>der</strong>ungen gegenüber dem Ge -<br />
wohnten notwendig. Das in Bremen<br />
Jahrzehnte lang verbindliche Stufenschulsystem<br />
hat damit ausgedient, im<br />
Rahmen des bisherigen Systems bestehende<br />
Schulformen und Einrichtungen<br />
sollen abgeschafft o<strong>der</strong> zumindest so<br />
modifiziert werden, daß sie mit dem<br />
„Zwei-Säulen-Modell“ konform gehen.<br />
Eine Reihe von Än<strong>der</strong>ungen<br />
Die Sekundarschulen, in denen bisher<br />
Haupt- und Realschulen aufgegangen<br />
waren, erst im Zuge <strong>der</strong> letzten Bildungsreform<br />
kreiert, aber wegen <strong>der</strong><br />
Kürze <strong>der</strong> Erprobungszeit von keinem<br />
Schüler bisher vollständig durchlaufen,<br />
zuletzt von immer weniger Schülern<br />
angewählt und kurz vor dem Eingehen,<br />
sollen verschwinden. Die wenigen<br />
sechsjährigen Grundschulen, ebenfalls<br />
Resultat <strong>der</strong> letzten Bildungsreform,<br />
sollen – von Ausnahmen abgesehen –<br />
<strong>der</strong> Vergangenheit angehören und durch<br />
vierjährige Grundschulen ersetzt werden.<br />
Die Schulzentren, von Bildungspolitikern<br />
in Bremen als das Aushängeschild<br />
hiesiger Bildungspolitik gepriesen<br />
und dem Konzept <strong>der</strong> Gesamtschule<br />
verpflichtet, werden unter dem neuen<br />
Etikett „Oberschule“ um gymnasiale<br />
Oberstufen erweitert und sollen<br />
gemeinsamen Unterricht für Hauptschüler,<br />
Realschüler und Gymnasiasten<br />
organisieren, also die Berufsbildungsreife,<br />
den mittleren Abschluß und das<br />
Abitur ermöglichen. Oberstufenzentren<br />
– eigenständige, auf das Konzept <strong>der</strong><br />
Stufenschule hin ausgerichtete Einrichtungen<br />
– fallen gleichfalls dem „Zwei-<br />
Säulen-Modell“ zum Opfer und sollen<br />
in einer <strong>der</strong> beiden Säulen aufgehen;<br />
Oberstufenzentren führten bislang Schüler<br />
<strong>der</strong> Klassen 11 bis 13, mit unterschiedlichen<br />
Profilen, aus benachbarten<br />
Stadtbezirken zusammen, nachdem sie<br />
dort nur bis zur 10. Klasse unterrichtet<br />
worden waren. Zukünftig sollen alle<br />
Oberschulen zum Abitur führen, entwe<strong>der</strong><br />
mit einer eigenen Oberstufe o<strong>der</strong> im<br />
Verbund mit an<strong>der</strong>en Oberschulen.<br />
Aufgelöst werden auch bisher bestehende<br />
„För<strong>der</strong>zentren“ (ganz früher Son<strong>der</strong>schulen<br />
genannt), mit Ausnahme <strong>der</strong><br />
Schulen für Behin<strong>der</strong>te (Schulen für<br />
Gehörlose, für Blinde und für Mehrfachbehin<strong>der</strong>te);<br />
geistig behin<strong>der</strong>te, kriminelle,<br />
gewalttätige und stark verhaltensauffällige<br />
Schüler sollen in „regionalen<br />
Unterstützungszentren“ nur noch<br />
zeitweilig untergebracht werden, wie<br />
jetzt bereits in Hamburg, und zwar bis<br />
zu einem halben Jahr. Die „Inklusion“,<br />
also die gemeinsame Unterrichtung von<br />
Kin<strong>der</strong>n mit und ohne Behin<strong>der</strong>ung,<br />
entspricht einer For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Vereinten<br />
Nationen aus dem Jahr 1994. Den<br />
Schulen solle allerdings mit <strong>der</strong>en Einführung<br />
Zeit gelassen werden, um Lehr-<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
kräfte entsprechend aus- und fortzubilden<br />
und an<strong>der</strong>e Rahmenbedingungen<br />
schaffen zu können. Dazu sind noch<br />
Übergangsregelungen vorgesehen. Es<br />
wird sogar die Einrichtung von Werkschulen<br />
mit eigenem Status an Oberschulen<br />
ins Gespräch gebracht, mit<br />
hohem Praxis-Anteil für solche Schüler,<br />
die sonst kaum zu einem Abschluß<br />
kämen.<br />
Knapp 20 Prozent aller Schüler sollen<br />
in Zukunft das Gymnasium besuchen,<br />
80 Prozent die Oberschule; es ist aber<br />
auch von <strong>der</strong> Aufteilung ein Drittel<br />
gegenüber zwei Dritteln die Rede. Die<br />
Zuweisung zu Oberschulen bzw. Gymnasien<br />
soll zukünftig nach Leistungskriterien<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage „bundesweiter<br />
Standards“ erfolgen.<br />
Eines <strong>der</strong> ehernen Prinzipien bremischer<br />
Schulpolitik, die Priorität des<br />
Elternwillens gegenüber <strong>der</strong> Schulempfehlung<br />
durch die abgebende<br />
Schule, soll grundsätzlich weiterhin<br />
gelten, jedoch bei <strong>der</strong> Entscheidung<br />
für überangewählte Gymnasien<br />
durch die Regelung <strong>der</strong> Zuweisung<br />
nach Leistungskriterien eine gewisse<br />
Einschränkung erfahren.<br />
Als noch zu bewältigendes organisatorisches<br />
Problem erweist sich die bisher<br />
schon sehr ungleiche Verteilung von<br />
Schülern unterschiedlicher Schulformen<br />
auf Stadtteile. Das neue Konzept<br />
soll vor allem dazu beitragen, leistungsfähige<br />
Schüler in ihrem Wohnstadtteil<br />
zu halten und den bisherigen Andrang<br />
zu den Innenstadtgymnasien aufzufangen,<br />
die in <strong>der</strong> Vergangenheit, ebenso<br />
wie einige <strong>der</strong> bestehenden Oberstufenzentren,<br />
erheblich stärkeren Zulauf<br />
gefunden haben als ungewohnte Schulstandorte.<br />
Der Idee <strong>der</strong> Gesamtschule,<br />
Leistungsstarke und Bildungsnahe mit<br />
Schwächeren und Bildungsfernen<br />
zusammen zu unterrichten, wird damit<br />
Rechnung getragen.<br />
Heftige Kämpfe<br />
Es überrascht nicht, daß nicht nur zwischen<br />
den Parteien in Bremen, son<strong>der</strong>n<br />
auch innerhalb <strong>der</strong> Parteien das zukünftige<br />
Schulgesetz heftig umkämpft ist.<br />
Hatte sich schon die Linke dem Vier-<br />
Parteien-Kompromiß, <strong>der</strong> gegen Jahresende<br />
2008 zustandekam, verweigert,<br />
und hatte die CDU nur mit Bedenken<br />
zugestimmt, so schied definitiv als erste<br />
die FDP aus dem Kompromiß des Parteienquartetts<br />
aus, sogar unter Auswechslung<br />
ihres Landesvorsitzenden.<br />
Dann kam es bei den Grünen über die<br />
Frage nach <strong>der</strong> Zulässigkeit von Mo -<br />
dellschulen und möglicher an<strong>der</strong>er<br />
Reformprojekte zum Streit mit den<br />
noch verbliebenen Partnern, aber<br />
schließlich ließ sich diese Partei wie<strong>der</strong><br />
„ins Boot holen“. (Wem fiele bei diesen<br />
Vorgängen nicht das heute aus Gründen<br />
politischer Correctness nicht mehr<br />
gesungene Kin<strong>der</strong>lied ein „... da<br />
waren’s nur noch drei ...“?) Auch in<br />
Zukunft bedarf das ehrgeizige Gesetzesvorhaben<br />
zu seiner endgültigen Realisierung<br />
noch mancher Kraftanstrengung<br />
(und in den Glie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Parteien,<br />
wie sich bereits gezeigt hat,<br />
mancher Selbstverleugnung).<br />
Mit großen Vorschußlorbeeren bedenkt<br />
jetzt die Bildungssenatorin, Renate Jürgens-Pieper,<br />
dieses System: Es sei<br />
„wegweisend für die <strong>Bund</strong>esrepublik“,<br />
„ein Meilenstein“; „Wir sind das einzige<br />
<strong>Bund</strong>esland, das einen Vorschlag für<br />
ein weitreichendes Gesetz hat“. „Für<br />
Deutschland ist das etwas Fortschrittliches.“<br />
Aber <strong>der</strong> Gesetzesentwurf<br />
scheint noch nicht „aus einem Guß“ zu<br />
sein; teilweise schmerzt „Dogmatiker“<br />
die schnelle Preisgabe von Positionen,<br />
parteiinterne Kritiker weisen auf Inkonsistenzen<br />
hin, teilweise dürften Gründe,<br />
die eher im Stadtstaat Bremen und seinen<br />
Problemen als primär in <strong>der</strong> Schulpolitik<br />
selbst liegen, die Umsetzung so<br />
wie geplant erschweren.<br />
In erster Linie stellt sich die Frage, wie<br />
das Land Bremen angesichts seiner<br />
finanziellen Situation das Projekt schultern<br />
kann. Zwar hofft Bremen darauf,<br />
mit Unterstützung durch die von <strong>der</strong><br />
Fö<strong>der</strong>alismuskommission zur Verfügung<br />
gestellten Mittel den Landeshaushalt<br />
dauerhaft zu konsolidieren; für eine<br />
für Bremen günstigere Verteilung <strong>der</strong><br />
verfügbaren Steuereinnahmen hat Bürgermeister<br />
Böhrnsen, <strong>der</strong> seine rotgrüne<br />
Koalition auch über die nächste<br />
Bürgerschaftswahl hinaus weiterführen<br />
möchte, wie ein Löwe gekämpft. Aber<br />
die Fülle <strong>der</strong> Aufgaben wird durch das<br />
ehrgeizige und auch finanziell an -<br />
spruchsvolle Reformprogramm im Bildungsbereich<br />
nicht gerade verringert.<br />
Dem Vernehmen nach wird bereits allen<br />
Ernstes im Haus des Bausenators (von<br />
den Grünen) die Schließung öffentlicher<br />
Toiletten in Erwägung gezogen,<br />
<strong>der</strong>en Funktion durch entsprechende<br />
Anlagen privater Händler o<strong>der</strong> Gastronomiebetriebe<br />
auf Vertragsbasis übernommen<br />
werden könnte.<br />
Harte Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
Immerhin gelten Bildung und Qualifizierungsmaßnahmen,<br />
sowie Sanierung<br />
des Haushalts als härteste Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
für das kleinste <strong>Bund</strong>esland.<br />
Bremen hat mehr als 15 Milliarden<br />
Euro Schulden, die Zinslast beträgt<br />
jährlich 600 Millionen Euro, mit steigen<strong>der</strong><br />
Tendenz. Der Armutsbericht des<br />
Senats weist dramatische Unterschiede<br />
zwischen den einzelnen Stadtteilen auf,<br />
was Arbeitslosigkeit, Armutsrisiko,<br />
Überschuldung, Inanspruchnahme von<br />
Sozialleistungen, mangelnde Integration,<br />
sprachliche Defizite anbetrifft. Be -<br />
vor die für Bremen deprimierenden<br />
PISA-Ergebnisse verkraftet waren, kam<br />
<strong>der</strong> nächste Schlag: <strong>der</strong> IGLU-Test zur<br />
Ermittlung <strong>der</strong> Lesefähigkeit von<br />
Grundschülern bescheinigt jedem fünften<br />
Viertklässler aus Bremen eine Lesefähigkeit,<br />
die nicht zum Besuch einer<br />
weiterführenden Schule ausreiche. Der<br />
Abstand zum nationalen Spitzenreiter<br />
Thüringen läuft auf etwa ein ganzes<br />
Jahr Lernrückstand hinaus.<br />
Über die Enttäuschung über den letzten<br />
Platz in <strong>der</strong> „Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung“<br />
(schlechter<br />
als Hamburg, beide <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong><br />
schwächer als <strong>der</strong> Durchschnitt <strong>der</strong> EU<br />
sowie <strong>der</strong> OECD) tröstet nur unzureichend<br />
<strong>der</strong> relative Erfolg, gegenüber<br />
2001 ein paar Punkte besser geworden<br />
zu sein. In Bremen stammt durchschnittlich<br />
je<strong>der</strong> zweite Schulanfänger<br />
aus einer Zuwan<strong>der</strong>erfamilie, manche<br />
Stadtteile kommen auf eine Zuwan<strong>der</strong>erquote<br />
von 90 Prozent o<strong>der</strong> sogar<br />
noch mehr. 15 Prozent aller Bremer<br />
Kin<strong>der</strong> nehmen <strong>der</strong>zeit vor <strong>der</strong> Einschulung<br />
Sprachför<strong>der</strong>ung in Anspruch, <strong>der</strong><br />
Bedarf ist weitaus höher.<br />
Zukünftig will Bremen mehr Geld<br />
für verbindliche Sprachtests ausgeben<br />
und so die Qualität im Bildungssystem<br />
verbessern.<br />
Geradezu Verrat an dem Prinzip längeren<br />
gemeinsamen Lernens, als Alternative<br />
zu früher Zuweisung zu getrennten<br />
Bildungsgängen, bisher Kernanliegen<br />
<strong>der</strong> Bildungspolitik <strong>der</strong> Partner in <strong>der</strong><br />
jetzigen Koalition, wittern die gegen-<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 17
über Erfahrungen aus <strong>der</strong> widrigen Praxis<br />
beson<strong>der</strong>s Resistenten im Gesetzesentwurf,<br />
an<strong>der</strong>en geht er darin allerdings<br />
immer noch zu weit. Auf Kritik<br />
(z. B. des Personalrats Schulen) stößt<br />
„Leistungsdruck in Grundschulen“, <strong>der</strong><br />
im Gesetzesentwurf erkennbar sei. Um<br />
ihn zu entschärfen, war in den 1970er<br />
Jahren die für alle Schüler verbindliche<br />
Orientierungsstufe (Klassen 5 und 6)<br />
ein geführt worden. Manche finden da -<br />
her jetzt die Errungenschaften <strong>der</strong> Orientierungsstufe<br />
im Entwurf nicht wie<strong>der</strong>,<br />
an<strong>der</strong>e befürchten eine Rückkehr<br />
zur Orientierungsstufe mit ihrer Unterfor<strong>der</strong>ung<br />
für früh als leistungsfähig<br />
erkennbare Schüler und bemängeln zu<br />
spät einsetzendes Lernen, das zum<br />
Abitur hinführt, wenn die Schulzeit im<br />
Gymnasium auf 8 Jahre reduziert wird.<br />
Hinzu kommt, daß auch die wenigen<br />
„Ausnahme-Grundschulen“ mit 6jähriger<br />
Dauer des Schulbesuchs nicht<br />
„abgehängt“ werden, son<strong>der</strong>n die<br />
Chance haben sollen, ihre Absolventen<br />
trotz <strong>der</strong> um zwei Jahre reduzierten<br />
Schuldauer bis zum Abitur noch zu diesem<br />
Abschluß führen zu können. Hier<br />
be fürchten Kritiker, daß die lange aufrechterhaltene<br />
Durchlässigkeit sich<br />
gravierend zu Lasten <strong>der</strong> Entfaltung<br />
früh Lernwilliger und -fähiger auswirken<br />
dürfte.<br />
Kritik und offene Fragen<br />
Kritik kommt aber auch von <strong>der</strong> Vereinigung<br />
<strong>der</strong> Schulleiter in Bremen, die<br />
mangelnde Beteiligung <strong>der</strong> Schulpraktiker<br />
an den bisherigen Beratungen<br />
beklagt, ohne die Reformen nicht<br />
gelingen könnten; demgegenüber hebt<br />
die Schulaufsicht die Kontinuität hervor<br />
und verweist auf die Schulstandortplanung<br />
im Herbst <strong>2009</strong>. Da auf Kontinuität<br />
innerhalb <strong>der</strong> Lehrerkollegien<br />
gesetzt wird, und nach Möglichkeit in<br />
festen Teams Lehrer ihre Schüler bis<br />
zum Abitur führen sollen, stellt sich die<br />
Frage, wie man Lehrer einsetzen kann,<br />
die bisher keine Erfahrungen mit<br />
Abituranfor<strong>der</strong>ungen sammeln konnten.<br />
Der Zentralelternbeirat bemängelt<br />
das Fehlen einer langfristigen Entwicklungsperspektive<br />
und ver weigert vorerst<br />
seine Zustimmung zu dem Kompromißpapier.<br />
Vorbehalte kommen<br />
auch seitens <strong>der</strong> Fraktion <strong>der</strong> Linken<br />
und – wen würde es überraschen? – <strong>der</strong><br />
GEW: Insbeson<strong>der</strong>e die Begrenzung<br />
<strong>der</strong> Grundschule auf vier Jahre ist ein<br />
Stein des Anstoßes.<br />
18<br />
Vor allem die „Oberstufe“, „Angelpunkt“<br />
des Gesetzesentwurfs, wirft viele<br />
Fragen, nicht zuletzt organisatorischer<br />
Art, auf. Um die leistungsfähigen Schüler<br />
in <strong>der</strong> Nähe des Wohnbezirks zu halten<br />
und so die Sozialstruktur zu erhalten,<br />
ist vorgesehen, bestehende Mittelstufen<br />
um Oberstufen auszubauen. Um drei<br />
parallele Klassenverbände mit unterschiedlichen<br />
fachlichen Schwerpunkten,<br />
„Profilen“, anbieten zu können, braucht<br />
eine Oberstufe mindestens 85, besser 90<br />
Schüler. Manche vorgesehenen Oberstufen<br />
kommen bei weitem nicht auf die<br />
notwendigen Anmeldezahlen. Hier stehen<br />
sich Vorstellungen <strong>der</strong> Schulbehörde<br />
und Elternwille gegenseitig im Weg.<br />
Während zudem die Grünen die großen<br />
Oberstufenzentren mit <strong>der</strong> Begründung<br />
verteidigen, daß dort eine breitere Palette<br />
inhaltlicher Schwerpunkte angeboten<br />
werden könne, gilt die Schulsenatorin<br />
nicht als Anhängerin <strong>der</strong> großen Oberstufenzentren.<br />
Hinzu kommt, daß es<br />
eine genau festgelegte Anzahl von<br />
Gymnasien (mit angeglie<strong>der</strong>ter Oberstufe)<br />
geben soll, die von <strong>der</strong> Behörde<br />
bereits ausgewählt seien. So wird an<br />
manchen Schulen für den Erhalt <strong>der</strong><br />
bestehenden gymnasialen Struktur er -<br />
bittert ge kämpft. Den Fortbestand <strong>der</strong><br />
acht durchgängigen Gymnasien in Bremen<br />
nimmt die CDU für sich in An -<br />
spruch.<br />
Zu begründen, daß Einschränkungen<br />
des Elternwillens in <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong><br />
Schulform unumgänglich seien, fällt<br />
jetzt schwer, nachdem in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
dem Elternwunsch gegenüber<br />
<strong>der</strong> Empfehlung <strong>der</strong> abgebenden Schule<br />
Priorität eingeräumt wurde. Dies hat<br />
ja zu mancher Fehlentwicklung ge -<br />
führt. Immerhin bleibt <strong>der</strong> Entscheidung<br />
<strong>der</strong> Eltern vorbehalten, ob ihr<br />
Kind nach 8 o<strong>der</strong> 9 Jahren gegebenenfalls<br />
das Abitur ablegen soll. Der relativ<br />
geringe Anteil an Abiturienten, die<br />
behördlicherseits für ein Gymnasium<br />
vorgesehen sind, könnte dazu führen,<br />
daß „Turbo-Abiturienten“ Oberschulen<br />
zugewiesen würden, sodaß im Unterricht<br />
nebeneinan<strong>der</strong> Schüler säßen, die<br />
teilweise nach 8, teilweise nach 9 Jahren<br />
das Abitur anstreben – organisatorisch<br />
ein schwer zu lösendes Problem. Für<br />
Oberschulen ohne eigene Oberstufe, so<br />
wird weiter befürchtet, bestünde zu -<br />
dem die Gefahr, von Leistungsstarken<br />
gemieden zu werden, wodurch es hier<br />
wie<strong>der</strong> zu einer Konzentration Leistungsschwacher<br />
käme.<br />
Selbstbewußte Privatschulen<br />
Ob die senatorische Behörde, angesichts<br />
<strong>der</strong> im Gesetzesentwurf erkennbaren<br />
Lockerung <strong>der</strong> bisher für unabdingbar<br />
gehaltenen Prinzipien eigener<br />
Schulpolitik, nun auch gegenüber Privatschulen<br />
einen weniger verkrampften<br />
Kurs fährt, bleibt abzuwarten. In<br />
Bremen blüht inzwischen, dank <strong>der</strong><br />
offiziell betriebenen Schulpolitik, ein<br />
Privatschulwesen, das sich seinen Status<br />
hart erkämpfen mußte. Wem nämlich<br />
für die eigenen Kin<strong>der</strong> (das gilt<br />
auch für Bildungspolitiker) das Bildungsangebot<br />
an staatlichen Schulen<br />
aus unterschiedlichen Gründen unzureichend<br />
erscheint, weicht, teilweise<br />
unter hohen finanziellen Opfern, auf<br />
Schulen in freier Trägerschaft, von<br />
Grundschulen bis zu Gymnasien, aus,<br />
z. B. auf die Evangelische Be -<br />
kenntnisschule, die Schule <strong>der</strong> katho -<br />
lischen Gemeinde St. Johann, die Waldorfschule,<br />
das Ökumenische Gymnasium.<br />
Argwohn brachten die staatlichen<br />
Behörden den privaten Initiativen entgegen,<br />
und die Hürden bis zur Einrichtung<br />
einer Schule in freier Trägerschaft<br />
sind in Bremen beson<strong>der</strong>s hoch.<br />
Die mittlerweile etablierten „Privatschulen“<br />
haben ihre jeweils eigene<br />
Geschichte, die sie indessen selbstbewußt<br />
gemacht hat. Aber selbst einer<br />
Schulbehörde, die mit Argwohn beabsichtigte<br />
Neugründungen verfolgt, fiel<br />
bis 2007 nicht auf, daß unbemerkt in<br />
einer ungenehmigten Grundschule<br />
14 Jahre lang 250 o<strong>der</strong> 300 Kin<strong>der</strong> –<br />
bei Verwandten o<strong>der</strong> außerhalb Bremens<br />
polizeilich gemeldet – unterrichtet<br />
wurden; erst durch Einführung<br />
eines Computerprogramms flog die<br />
Sache auf und rief großes Aufsehen<br />
hervor.<br />
Im übrigen bleibt abzuwarten, was –<br />
trotz <strong>der</strong> Ankündigung, den Gesetzesentwurf<br />
erfolgreich durch die parlamentarische<br />
Beratung zu bringen –<br />
letzten Endes davon im endgültigen<br />
Gesetzestext stehen bleibt und danach<br />
in <strong>der</strong> Unterrichtspraxis umgesetzt<br />
werden kann. Innerhalb <strong>der</strong> am Parteienkompromiß<br />
Beteiligten will ja keiner<br />
dem an<strong>der</strong>en allein den Erfolg<br />
überlassen – sofern <strong>der</strong> sich denn einstellen<br />
sollte. Und sonst? �<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Professor Dr. Gerhard Becker,<br />
Mo<strong>der</strong>sohnweg 25,<br />
28355 Bremen<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
Nordrhein-Westfalen<br />
Der gute Ruf <strong>der</strong> Kölner Wirtschaftswissenschaften in Frage gestellt<br />
Das Fach Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong> Universität zu Köln<br />
Von Hans Willgerodt und Christian Watrin<br />
I. Zur Ausgangssituation<br />
In jüngerer Zeit wurden die deutschen<br />
Universitäten mehrfach Reformen<br />
unter zogen, die in höchst verschiedene<br />
Richtungen gingen. Die Demokratisierungsgesetzgebung<br />
<strong>der</strong> sechziger und<br />
siebziger Jahre wird heutzutage abgelöst<br />
durch das Bologna-Programm. Es<br />
verän<strong>der</strong>t nicht nur tiefgreifend das<br />
Studium, son<strong>der</strong>n erzeugt im Zuge des<br />
Strebens nach sogenannter Excellenz<br />
auch weitreichende Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong><br />
Binnenstruktur von Universitäten.<br />
Hierzu zählen die Bestrebungen, spezialisierte<br />
Forschungsgruppen zu bilden,<br />
die nicht nur die Forschung vorantreiben,<br />
son<strong>der</strong>n auch dem Renommee<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Universitäten dienen<br />
sollen.<br />
Den dadurch erzeugten Nebenwirkungen<br />
wird in <strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht die<br />
erfor<strong>der</strong>liche Aufmerksamkeit gewidmet.<br />
Da die verfügbaren Mittel immer<br />
knapp sind, müssen für die neuen<br />
Gruppierungen in jedem Fall zunächst<br />
und wahrscheinlich auf Dauer Mittel<br />
aus an<strong>der</strong>en Universitätsbereichen ab -<br />
gezogen werden, um diese in die angestrebten<br />
Forschungsrichtungen zu lenken.<br />
Die daraus resultierenden Folgen<br />
sollen an Hand eines Beispiels, nämlich<br />
des Faches Wirtschaftspolitik an<br />
<strong>der</strong> Universität zu Köln, verdeutlicht<br />
werden.<br />
Die Kölner Universität verfügt seit längerem<br />
über zwölf Professuren <strong>der</strong> Volkswirtschaftslehre.<br />
Dieses Fachgebiet hat<br />
in den letzten Jahrzehnten allgemein<br />
eine große Expansion erfahren. Es reicht<br />
heute von Fragen <strong>der</strong> Sozialphilosophie<br />
und Wirtschaftsethik bis hin zu zahlreichen<br />
neuen Ansätzen wie <strong>der</strong> experimentellen<br />
Ökonomik, <strong>der</strong> Verhaltensökonomik<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Theorie<br />
<strong>der</strong> Spiele – um nur weniges zu nennen.<br />
Von den insgesamt vorhandenen zwölf<br />
Stellen für volks wirtschaftliche Hochschullehrer<br />
soll jetzt die Hälfte vor allem<br />
auf Kosten des Faches Wirtschaftspolitik<br />
für ein Spezialfach umgewidmet werden.<br />
An wärter für diese Professuren werden<br />
zur Zeit berufen.<br />
Das Fach Wirtschaftspolitik haben bisher<br />
vor allem die Inhaber von drei Professuren<br />
des Wirtschaftspolitischen Se -<br />
minars in Forschung und Lehre vertreten.<br />
Durch Fakultätsbeschluß wurden<br />
bzw. werden jetzt diese Stellen eingezogen.<br />
In <strong>der</strong> gleichen Weise wird mit<br />
einer finanzwissenschaftlichen Professur<br />
und zwei weiteren volkswirtschaftlichen<br />
Professuren verfahren. Die so frei<br />
werdenden sechs Stellen sollen in einer<br />
„Gruppe Makroökonomie“ zu sam men -<br />
gefaßt werden. Das hat zur Folge, daß<br />
unter an<strong>der</strong>em das Fach Wirtschaftspolitik<br />
aus dem Fächerkanon völlig verschwindet,<br />
wenn nicht Abhilfe geschaffen<br />
wird. Gleichzeitig ist es fraglich, ob<br />
die übrigbleibenden sechs volkswirtschaftlichen<br />
Hochschullehrerstellen an -<br />
gesichts <strong>der</strong> großen Zahl <strong>der</strong> Studenten<br />
und <strong>der</strong> dynamischen Entwicklung des<br />
Faches ausreichen werden, um ein breites<br />
Lehr- und Forschungsangebot auf<br />
dem bisherigen Niveau aufrecht zu<br />
erhalten.<br />
II. Zum Berufungsverfahren<br />
Das gegenwärtig angewandte Verfahren<br />
zur Berufung von sechs Vertreterinnen<br />
o<strong>der</strong> Vertretern <strong>der</strong> Makroökonomie<br />
verlief, was ungewöhnlich ist, über eine<br />
Sammelannonce. Es weicht in vier<br />
Punkten von den sonst eingehaltenen<br />
Regeln ab.<br />
1. Der im vorigen Jahr veröffentliche<br />
Ausschreibungstext weist nicht darauf<br />
hin, daß eine „Gruppe Makroökonomik“<br />
(so das Protokoll <strong>der</strong> Sitzung des Professoriums<br />
am 15. 12. 2008 TOP 2) geplant<br />
sei. Das mag ein Grund dafür sein, daß<br />
insgesamt 103 Bewerbungen eingegangen<br />
sind. Mehr als 90 Bewerberinnen und<br />
Bewerber wurden in einem Vorverfahren<br />
zurückgewiesen, dessen Rechtsgrundlagen<br />
zumindest prüfungswürdig sind. Das<br />
und weitere Begleitumstände lassen vermuten,<br />
daß von vornherein eine wirklich<br />
offene und allen Bewerberinnen und<br />
Bewerbern zugängliche Ausschreibung<br />
nicht beabsichtigt war, son<strong>der</strong>n daß vorzugsweise<br />
in den USA ausgebildete Ökonomen<br />
bestimmter Orientierung gewon-<br />
nen werden sollten. Es handelt sich eher<br />
um ein Netzwerk von Bewerbern, was<br />
unter an<strong>der</strong>em dadurch sichtbar wird,<br />
daß eine Reihe von Bewerbern auf drei<br />
o<strong>der</strong> vier Berufungslisten gleichzeitig<br />
ge nannt wird. Dies ge schieht in einem<br />
Augenblick, in dem die amerikanische<br />
makroökonomische Politik und die da -<br />
hinter stehenden Lehren in katastrophaler<br />
Weise versagt haben.<br />
Die hochschulrechtliche Zulässigkeit<br />
dieses Vorgehens ist prüfungswürdig.<br />
Hinzu kommt, daß Hochschullehrer zur<br />
selbständigen Wahrnehmung ihres in<br />
den Berufungsvereinbarungen be zeich -<br />
neten Faches verpflichtet sind. Zu be -<br />
achten ist, daß die Kölner Stellen einheitlich<br />
mit „wirtschaftliche Staatswissenschaften“<br />
und nicht mit engen<br />
Fachbeschreibungen versehen sind. Der<br />
Vorteil dieser Lösung besteht darin, daß<br />
sie die wissenschaftliche <strong>Freiheit</strong> jedes<br />
einzelnen Stelleninhabers schützen und<br />
gleichzeitig eine schnelle und effiziente<br />
Anpassung an neue Ansätze ermöglichen.<br />
Diese Regel dient dem Wettbewerb<br />
<strong>der</strong> Ideen und dem Schutz <strong>der</strong><br />
individuellen <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit. Sie<br />
kann nicht durch Verpflichtungserklärungen<br />
um gangen o<strong>der</strong> durch Einzelerklärung<br />
außer Kraft gesetzt werden.<br />
2. Bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Veröffentlichungen <strong>der</strong> Bewerber<br />
sind, einem in Deutschland um sich<br />
greifenden Mißbrauch folgend, solche<br />
Publikationen unbeachtet geblieben, die<br />
nicht in so genannten „international an -<br />
er kannten Zeitschriften“ veröffentlicht<br />
worden sind. Ferner wurden wissenschaftliche<br />
Monographien als gänzlich<br />
irrelevant betrachtet. Wer die A- und B-<br />
Zeitschriften als solche anerkannt hat, ist<br />
hier ebenso unklar wie die rechtliche<br />
Legitimation zu einer solchen Einordnung.<br />
Soll wirklich nicht mehr maßgebend<br />
sein, was man veröffentlicht hat,<br />
son<strong>der</strong>n nur noch <strong>der</strong> Erscheinungsort,<br />
also in welcher Zeitschrift ein Artikel<br />
erschienen ist? Und sind die Kriterien,<br />
etwa nach denen Zeitschriften Beiträge<br />
zur Publikation annehmen, wirklich<br />
maßgebend für die Berufungsfähigkeit<br />
von Bewerbern?<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 19
3. Zu beachten ist ferner, daß die Kooptation<br />
von Kolleginnen und Kollegen<br />
eine <strong>der</strong> wichtigsten Entscheidungen im<br />
Rahmen <strong>der</strong> Ausübung eines Professorenamtes<br />
ist. Damit be traute Fakultätsmitglie<strong>der</strong><br />
sind somit verpflichtet, sich<br />
ein Gesamtbild von jedem Bewerber zu<br />
machen. Dazu gehört das gesamte wissenschaftliche<br />
Oeuvre des Betreffenden<br />
und nicht ein eventueller Teilausschnitt.<br />
In Anbetracht <strong>der</strong> Fristen, innerhalb<br />
<strong>der</strong>en die Bewerbungen geprüft worden<br />
sind, ist es jedoch nicht sicher, daß die<br />
Berufungskommission sämtliche Be -<br />
werbungen auf ihren fachlichen Inhalt<br />
hin prüfen konnte. Inwieweit jedoch ein<br />
weniger gründliches Vorgehen mit den<br />
staatlichen Vorschriften über den Zu -<br />
gang zu öffentlichen Ämtern vereinbar<br />
ist, wäre zu prüfen.<br />
4. Angesichts <strong>der</strong> Beratungsdauer ist<br />
schließlich zu fragen, ob die erfor<strong>der</strong>lichen<br />
ausführlichen fachlichen Diskussionen<br />
über alle Bewerberinnen und<br />
Bewerber stattgefunden haben. Eher ist<br />
davon auszugehen, daß stattdessen<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger mechanisch allein<br />
das Kriterium <strong>der</strong> Publikation in den Ao<strong>der</strong><br />
B-Zeitschriften dominant gewesen<br />
ist. Die Mehrfachnennung einzelner<br />
Personen erweckt darüber hinaus den<br />
Eindruck, daß diesen eine höhere Berufungschance<br />
zuteil werden sollte als den<br />
übrigen Kandidatinnen und Kandidaten.<br />
Zu prüfen wäre, ob eine solche Diskriminierung<br />
zulässig ist.<br />
III. Das Fach Wirtschaftspolitik<br />
in <strong>der</strong> Lehre<br />
Das Gewicht <strong>der</strong> praktischen Wirtschaftspolitik<br />
in unserer heutigen Welt<br />
bedarf keiner geson<strong>der</strong>ten Darlegung.<br />
Nicht nur in den Medien unserer Tage<br />
spielen Fragen <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik<br />
eine überragende Rolle im Vergleich zu<br />
an<strong>der</strong>en Politikbereichen. Das Wohl und<br />
Wehe <strong>der</strong> Bürger eines Landes hängt entscheidend<br />
von den Erfolgen seiner Wirtschaftspolitik<br />
auf nationaler und internationaler<br />
Ebene ab. Wirtschaftspolitische<br />
Fehlleistungen können, wie jüngst in<br />
Grie chenland, zu bürgerkriegsartigen<br />
Erup tionen führen. Der Wettbewerb <strong>der</strong><br />
Wirtschaftsordnungen miteinan<strong>der</strong> kann,<br />
wie im Falle des So zialismus, dazu führen,<br />
daß ganze wirtschaftpolitische Konzeptionen<br />
scheitern und entsprechende<br />
Systeme zusammenbrechen.<br />
Seit Ende des zweiten Weltkrieges waren<br />
hervorragende wirtschaftspolitisch en -<br />
20<br />
gagierte Gelehrte an <strong>der</strong> Kölner Fakultät<br />
tätig, so Alfted Mü1ler-Armack, <strong>der</strong><br />
Vater <strong>der</strong> Sozialen Marktwirtschaft, und<br />
Günter Schmöl<strong>der</strong>s, o<strong>der</strong> Gerhard Weisser<br />
und Wilfried Schreiber, die beide<br />
entscheidende Impulsgeber für den Aufund<br />
Ausbau <strong>der</strong> sozialen Ordnung unseres<br />
Landes gewesen sind.<br />
Wirtschaftspolitik als akademisches<br />
Fach war bisher Pflichtfach für alle Studierenden<br />
<strong>der</strong> Volkswirtschaftlehre. Hinzu<br />
kamen wirtschaftspolitische Wahlfächer<br />
wie die Energiewirtschaftslehre,<br />
die Verkehrspolitik, die Sozialpolitik<br />
und in jüngerer Zeit die Wohnungswirtschaft.<br />
Im Gesamtverband lehrten und<br />
prüften die Inhaber <strong>der</strong> wirtschaftspolitischen<br />
Professuren auch Studierende<br />
<strong>der</strong> Betriebswirtschaftslehre und <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspädagogik, so daß ein breites<br />
Feld auch wirtschaftspolitischer<br />
Kenntnisse tonangebend für die Absolventen<br />
<strong>der</strong> Kölner Wirtschafts- und<br />
Sozialwissenschaftlichen Fakultät ge -<br />
wesen ist.<br />
Wenn jedoch in Zukunft die Wirtschaftspolitik<br />
als Lehr- und Prüfungsfach<br />
entfällt bzw. weit zurückgeschnitten<br />
werden sollte, dann verlieren<br />
die oben genannten Spezialfächer<br />
einschließlich <strong>der</strong> Sozialpolitik<br />
ihre theoretische Basis.<br />
Gleichzeitig wird <strong>der</strong> gute Ruf <strong>der</strong> Kölner<br />
Wirtschaftswissenschaften, <strong>der</strong> auf<br />
<strong>der</strong> Praxisnähe des akademischen Un -<br />
terrichtes gerade auch in Fragen <strong>der</strong><br />
Wirtschaftspolitik beruhte, in Frage ge -<br />
stellt. Beson<strong>der</strong>s die Studierenden <strong>der</strong><br />
Betriebswirtschaftslehre – sie machen<br />
in Köln etwa achtzig Prozent <strong>der</strong> Studierenden<br />
aus – waren und sind an einer<br />
praxisnahen Lehre nachhaltig interessiert.<br />
Die Fachvertreter <strong>der</strong> Wirtschaftspolitik<br />
haben stets versucht, diesem<br />
Bedürfnis zu entsprechen.<br />
IV. Das Wirtschaftspolitische<br />
Seminar und das Institut für<br />
Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong> Universität<br />
zu Köln<br />
Neben dem Wirtschaftspolitischen Se -<br />
minar besteht an <strong>der</strong> Wirtschafts- und<br />
Sozialwissenschaftlichen Fakultät in<br />
Köln seit 1952 das Institut für Wirtschaftspolitik,<br />
das aus Drittmitteln<br />
finanziert wird. Es ist dem gegenwärtig<br />
geschäftsführenden Direktor gelungen,<br />
dieses Institut durch eine Absprache<br />
mit einer an<strong>der</strong>en Einrichtung dauerhaft<br />
auf eine feste finanzielle Basis zu<br />
stellen. Nach den Statuten des Institutes<br />
muß sein Leiter ein ordentlicher<br />
Professor sein, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Fakultät das<br />
Fach Wirtschaftspolitik vertritt.<br />
Dieser Vorschrift kann nicht mehr entsprochen<br />
werden, wenn das Fach Wirtschaftspolitik<br />
mit dem Ausscheiden<br />
aus Altersgründen des jetzigen Ordinarius<br />
und eines weiteren Professors des<br />
Wirtschaftspolitischen Seminars im<br />
Jahre <strong>2009</strong> nicht mehr vertreten ist. Es<br />
gibt dann we<strong>der</strong> einen geschäftsführenden<br />
Direktor des Wirtschaftspolitischen<br />
Se minars noch einen Leiter des<br />
Institutes in vergleichbarer Funktion.<br />
Schon jetzt sind die Mittel, die einer<br />
seit 2007 vakanten Professur zur Verfügung<br />
ge standen haben, eingezogen<br />
und das dortige Personal ist auf an<strong>der</strong>e<br />
Stellen versetzt worden.<br />
Ein Seminar aber muß nicht nur aus<br />
sachlichen Gründen, son<strong>der</strong>n auch aus<br />
Rechtsgründen von mindestens einer<br />
Professorin/einem Professor geleitet<br />
werden. Steht eine entsprechende Professur<br />
nicht mehr zur Verfügung, so<br />
muß es aufgelöst werden.<br />
Das Gleiche gilt für das 1952 von<br />
Alfred Müller-Armack gegründete<br />
Institut für Wirtschaftspolitik an <strong>der</strong><br />
Universität zu Köln. Dieses Institut<br />
arbeitet seit seiner Gründung mit Er -<br />
folg in vielfältiger Weise auf dem<br />
Gebiet einer wissenschaftlich fundierten<br />
Wirtschaftspolitik.<br />
Aus den Reihen <strong>der</strong> Assistentinnen und<br />
Assistenten von Seminar und Institut<br />
sind bisher neun Lehrstuhlinhaber hervorgegangen.<br />
An<strong>der</strong>e frühere Mitarbeiter<br />
arbeiten heute unter an<strong>der</strong>em in<br />
<strong>Bund</strong>esministerien, in <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esbank<br />
o<strong>der</strong> in europäischen und internationalen<br />
Behörden im Rahmen wirtschaftspolitischer<br />
Fragestellungen. Die Zahl<br />
<strong>der</strong> Doktoren, die aus Seminar und<br />
Institut hervorgegangen sind, ist groß.<br />
Noch wesentlich größer ist die Zahl<br />
<strong>der</strong> im einzelnen nicht erfaßten Diplomanden.<br />
Seit seinem Bestehen gibt das Institut<br />
eine Zeitschrift heraus. Ihr ursprünglicher<br />
Name lautete „Wirtschaftspolitische<br />
Chronik“. Heute heißt sie „Zeitschrift<br />
für Wirtschaftspolitik“. In ihr<br />
werden nicht überwiegend institutsei-<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>:<br />
„Aufklärung und Appell“<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> wirkt durch Aufklärung und Appell an <strong>der</strong> Sicherung und Entwicklung eines<br />
leistungsorientierten, begabungsgerechten und humanen Bildungswesens in <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland mit.<br />
Wir tun dies insbeson<strong>der</strong>e durch Publikationen und öffentliche Veranstaltungen zu bildungspolitischen Themen.<br />
Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung.<br />
Wir laden Sie ein, Mitglied im <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> zu werden. O<strong>der</strong> helfen Sie uns durch eine Spende.<br />
Die Vorlage für einen Beitrittsantrag finden Sie auf <strong>der</strong> Rückseite dieses Heftes.<br />
Eine Spende erbitten wir auf das Kto.: 0 23 38 58 bei Deutsche Bank AG, Bonn, BLZ: 380 700 24<br />
gene Forschungsergebnisse veröffentlicht,<br />
son<strong>der</strong>n meist auch Arbeiten, die<br />
an an<strong>der</strong>en Orten entstanden sind. Die<br />
Zeitschrift versteht sich als ein Diskussionsforum<br />
für wirtschaftspolitische<br />
Fragen. Sie erscheint dreimal jährlich.<br />
Ihr Umfang pro Jahresband liegt bei<br />
etwa 400 Seiten. Vertrieben wird sie<br />
vom angesehenen Fachverlag Lucius<br />
und Lucius, Stuttgart.<br />
Forschungsergebnisse des Institutes<br />
werden einmal in seiner Schriftenreihe<br />
und zum an<strong>der</strong>en in seiner Untersuchungsreihe<br />
veröffentlicht. Der Verlagsort<br />
<strong>der</strong> ersteren wurde im Laufe<br />
<strong>der</strong> Zeit mehrmals gewechselt, letztere<br />
erscheint im Eigenverlag. Bisher wurden<br />
über 130 Manuskripte gedruckt.<br />
Sie sind im Buchhandel beziehbar und<br />
werden mit an<strong>der</strong>en Bibliotheken ausgetauscht.<br />
Die Direktoren des Institutes waren<br />
und sind in vielfältiger Weise im Rahmen<br />
<strong>der</strong> wirtschaftspolitischen Beratung<br />
und als Fachgutachter <strong>der</strong> Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft tätig.<br />
Vor allem ist die Beratung <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esregierung,<br />
<strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esministerien und<br />
die langjährige Mitarbeit in den <strong>Wissenschaft</strong>lichen<br />
Beiräten zu nennen.<br />
Zum Beispiel war Watrin Vorsitzen<strong>der</strong><br />
des <strong>Wissenschaft</strong>lichen Beirats beim<br />
<strong>Bund</strong>esminister für Wirtschaft, Professor<br />
Donges Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Deregulierungskommission<br />
<strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esregierung<br />
sowie des Sachverständigenrats<br />
zur Begutachtung <strong>der</strong> gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung. Daneben<br />
sind die Betreffenden auch Mitglie<strong>der</strong><br />
zahlreicher an<strong>der</strong>er Beratungseinrichtungen.<br />
Die Institutsdirektoren sind vielfach<br />
auch mit Gutachten für <strong>Bund</strong>esministerien<br />
befaßt und zu Anhörungen in<br />
Gesetzgebungsverfahren eingeladen<br />
wor den. Nur <strong>der</strong> kleinere Teil dieser<br />
Aufträge erschien in Pressejournalen,<br />
in an<strong>der</strong>en Fällen mußte <strong>der</strong> Vertraulichkeit<br />
Rechnung getragen werden.<br />
Das Institut hat zahlreiche internationale<br />
Kontakte und wird vor allem von<br />
<strong>Wissenschaft</strong>lern aus dem Ausland<br />
auch wegen seiner Bibliothek und seiner<br />
Verbindung mit <strong>der</strong> deutschen<br />
Wirtschaftspolitik gerne besucht.<br />
Sofern das Fach Wirtschaftspolitik<br />
nicht mit ausgewiesenen Fachvertretern<br />
wie<strong>der</strong> besetzt wird, ist seine Weiterexistenz<br />
fraglich. Auf diesen Zusammenhang<br />
haben <strong>der</strong> Vorsitzende des<br />
För<strong>der</strong>ervereins des Instituts und sein<br />
Stellvertreter vor kurzem den Herrn<br />
Dekan <strong>der</strong> Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen<br />
Fakultät hingewiesen.<br />
Kommt es zur Schließung von Institut<br />
und Seminar, so bedeutet das auch,<br />
daß seine Spezialbibliothek nicht<br />
mehr für Lehr- und Forschungsvorhaben<br />
zur Verfügung steht. Die dann im<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sprogramm <strong>der</strong> Fakultät<br />
entstehende Lücke kann nicht durch<br />
eine Gruppe Makroökonomik<br />
geschlossen werden. Die Makroökonomik<br />
kann in diesem Zusammenhang<br />
auch nicht als ein ausreichendes<br />
Substitut für die entfallenden Lehr –<br />
und Forschungsmöglichkeiten angesehen<br />
werden. Wirtschaftspolitische<br />
Analysen sind im übrigen ein nicht<br />
abtrennbarer Teil des Entstehens <strong>der</strong><br />
theoretischen Ökonomik vor zweihun<strong>der</strong>t<br />
Jahren.<br />
Selbst wenn, wie sich in Gesprächen<br />
andeutete, als Alternativlösung eine<br />
Professur für Wirtschaftspolitik und<br />
Wettbewerb ausgeschrieben würde,<br />
wäre diese Lösung nicht ausreichend.<br />
Solange die deutschen Universitäten <strong>der</strong><br />
Forschung und <strong>der</strong> Lehre dienen sollen<br />
und wollen, müssen sie auch die großen<br />
Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens<br />
zum Ge genstand ihres Handelns<br />
und Wirkens machen. Auf das<br />
Fach Wirtschaftspolitik bezogen heißt<br />
das, es muß im Rahmen des Verfügbaren<br />
danach gestrebt werden, die ganze<br />
Breite des Faches zu repräsentieren. Im<br />
vorliegenden Fall geht es hier auch um<br />
das tägliche Handeln aller staatlichen<br />
und auch quasi staatlichen Einrichtungen.<br />
Der jetzt geplante Forschungsverbund<br />
mit seiner Konzentration auf ein Teilgebiet<br />
des Faches Volkwirtschaftslehre<br />
leistet das nicht. Das gilt vor allem,<br />
wenn damit an<strong>der</strong>e wichtige Fächer wie<br />
die allgemeine und angewandte Wirtschaftspolitik<br />
o<strong>der</strong> die Finanzwissenschaft<br />
stillgelegt werden. Nicht nur in<br />
<strong>der</strong> Wirtschaft selber, son<strong>der</strong>n auch in<br />
<strong>der</strong> sie begleitenden Wirtschaftswissenschaft<br />
muß ein Gleichgewicht <strong>der</strong> Teile<br />
und <strong>der</strong> Kenntnisse beachtet bleiben. �<br />
Korrespondenzadressen:<br />
Professor Dr. Hans Willgerodt,<br />
Hubertushöhe 7,<br />
51429 Bergisch-Gladbach<br />
Professor Dr. Christian Watrin,<br />
Arndtstr. 9, 50996 Köln<br />
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Gebührenfrei<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 21
Endlich eine klare Auskunft<br />
Von Ulrich Sprenger<br />
„Die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien <strong>der</strong> letzten Jahre haben gezeigt, daß Schüler<br />
an integrierten Gesamtschulen im Vergleich zu Schülern im dreigliedrigen Schulsystem kein<strong>eV</strong>orteile<br />
erreichen.“ – Mit diesem Satz beginnt <strong>der</strong> Direktor des „Institutes für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen<br />
(IQB)“, Professor Dr. Olaf Köller, im MPIB-Bildungsbericht 2008 sein „Resümee“ zur<br />
Situation <strong>der</strong> Gesamtschulen (Cortina/Baumert/Leschinsky/Mayer/Trommer 2008, S. 463).<br />
Wie ein Nachruf<br />
Was dann anschließend von Professor<br />
Köller „resümiert“ wird, klingt fast wie<br />
ein Nachruf auf das Experiment Ge -<br />
samtschule: „Integration und die Offenhaltung<br />
von Bildungswegen als Hauptprogrammpunkte<br />
einer Gesamtschule<br />
scheinen zu wenig zu sein, um mittelfristig<br />
neben dem geglie<strong>der</strong>ten System be -<br />
stehen zu können.“ (S.465). Jene oftmals<br />
vorgetragene Parole „Wir sortieren zu<br />
früh!“ ist inzwischen offenbar überholt.<br />
Der För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong> Gesamtschule ist<br />
also nicht höher als <strong>der</strong> des dreigliedrigen<br />
Schulsystems. Eine solche Botschaft<br />
ist nicht überall gleichermaßen<br />
willkommen. Ihre Wirkung auf die Verfechter<br />
<strong>der</strong> Gesamtschulidee sollte da -<br />
her wohl abgepuffert werden mit dem<br />
Hinweis auf die Mo<strong>der</strong>nisierungs-Im -<br />
pulse, die von den Gesamtschulen ausgegangen<br />
seien.<br />
Derartige Hinweise sind ein sehr oft vorgetragenes,<br />
gleichwohl fragwürdiges Ar -<br />
gument: Es handelt sich da doch zumeist<br />
um Neuerungen, die im Laufe <strong>der</strong> letzten<br />
40 Jahre auch ohne die Experimente mit<br />
Gesamtschulen zustande gekommen wä -<br />
ren, etwa die hier erwähnten „Projektund<br />
Gruppenarbeiten als Möglichkeit,<br />
selbst ständiges Lernen zu för<strong>der</strong>n“. Aber<br />
sie wären zustande ge kommen ohne den<br />
dafür gezahlten ho hen Preis. Denn in<br />
dieser Zeit sind viele aus Erfahrung<br />
gewachsene Schullandschaften durch die<br />
Einführung von Gesamtschulen ruiniert<br />
worden.<br />
Die bemerkenswerte Erkenntnis <strong>der</strong> „Vertiefenden<br />
Analysen zu PISA 2000“ (Baumert/Stanat/Watermann<br />
2006, S.168), daß<br />
dort, wo Gesamtschulen und Schulen des<br />
22<br />
dreigliedrigen Schulsystems nebeneinan<strong>der</strong><br />
existieren, „eine Konkurrenzsituation<br />
entsteht, in <strong>der</strong> es nur Verlierer gibt“,<br />
wird im „Resümee“ nicht erwähnt.<br />
Bittere Bilanz<br />
Die bittere Bilanz: Wenn all das Geld<br />
und all <strong>der</strong> Eifer und all <strong>der</strong> gute Wille,<br />
die seit 1968 in die Gesamtschule investiert<br />
worden sind, dem dreigliedrigen<br />
Schulsystem, insbeson<strong>der</strong>e aber <strong>der</strong><br />
Hauptschule zugute gekommen wären,<br />
dann stünden wir heute nicht schlechter<br />
da als Finnland.<br />
Die Landesregierungen von Bayern,<br />
Baden-Württemberg, Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
und Nordrhein-Westfalen sind also gut<br />
beraten, wenn sie das dreigliedrige<br />
Schulsystem beibehalten.<br />
Alle jene Gruppierungen aber, die sich<br />
für „ein längeres gemeinsames Lernen“<br />
engagieren und deswegen das mit dem<br />
5. Jahrgang einsetzende dreigliedrige<br />
Schulsystem abschaffen wollen, sollten<br />
ihre Aktivitäten einstellen. Die Umsetzung<br />
ihrer Pläne würde dem deutschen<br />
Schulwesen keine Vorteile bringen, son<strong>der</strong>n<br />
weiteren Schaden zufügen. Das ist<br />
von <strong>der</strong> Bildungsforschung nachgewiesen<br />
worden. Vor dem Hintergrund ihrer<br />
Befunde heißt „keine Vorteile“ nämlich<br />
soviel wie „vorwiegend nur Nachteile“.<br />
Niedriger För<strong>der</strong>effekt<br />
von Gesamtschulen<br />
Der niedrige För<strong>der</strong>effekt von Gesamtschulen<br />
und die alarmierenden Folgen<br />
einer erst im 7. Jahrgang einsetzenden<br />
Differenzierung sind anhand von Daten<br />
www.schulformdebatte.de<br />
Viele wichtige Ergebnisse <strong>der</strong> Bildungsforschung sind hier zusammengestellt<br />
und je<strong>der</strong>zeit verfügbar, darunter auch Ergebnisse, die lediglich in <strong>der</strong> Fachliteratur<br />
zu finden waren und daher nicht bekannt wurden.<br />
aus NRW durch das MPIB-Projekt<br />
„BIJU“ (1991 bis 2001) überzeugend<br />
de mon striert worden.<br />
Nachfolgend einige Ergebnisse dieses<br />
Projektes:<br />
Bei leistungsschwächeren Schülern ist<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong> Gesamtschulen<br />
nicht höher als <strong>der</strong> För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong><br />
Hauptschulen. Das Selbstwertgefühl leis<br />
tungsschwächerer Gesamtschüler hingegen<br />
sinkt bis zum Ende des 10. Jahrgangs<br />
unter das von vergleichbaren<br />
Hauptschülern. (Vergleichbare Schüler<br />
sind Schüler, die gleiche kognitive<br />
Grundfähigkeiten und einen ähnlichen<br />
familiären Hintergrund haben.)<br />
Realschüler hatten gegenüber vergleichbaren<br />
Gesamtschülern am Anfang<br />
des 7. Jahrgangs in Mathematik und<br />
Englisch einen Leistungsvorsprung von<br />
etwa einem Schuljahr. Am Ende des 10.<br />
Jahrgangs lag er bei „etwa zwei Schuljahren“.<br />
Gymnasiasten hatten am Ende des 10.<br />
Jahrgangs in Mathematik und Englisch<br />
gegenüber vergleichbaren Gesamtschülern<br />
„einen Leistungsvorsprung von<br />
mehr als zwei Schuljahren“ (Baumert/<br />
Köller 1998, S.17 sowie Köller/<br />
Baumert/Schnabel 1999, S.404). Die<br />
Defizite werden von den Gesamtschülern<br />
bis zum Ende des 13. Jahrgangs<br />
nicht aufgeholt.<br />
Diese BIJU-Befunde zum niedrigen<br />
För<strong>der</strong>effekt <strong>der</strong> Gesamtschulen sind<br />
inzwischen durch die Ergebnisse von<br />
PISA-E 2003 bestätigt und aktualisiert<br />
worden.<br />
Mit den Daten aus PISA-E 2006 könnten<br />
die BIJU-Befunde zum niedrigen För<strong>der</strong>effekt<br />
von Gesamtschulen und ähnlich<br />
organisierten Schulformen auch für an<strong>der</strong>e<br />
<strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong> bestätigt und aktualisiert<br />
werden, durch „Kovarianz-Analysen“<br />
anhand von Vergleichen vergleichbarer<br />
Schüler. Denn aus den PISA-Studien gibt<br />
es ebenfalls Daten zur kognitiven Grundfähigkeit<br />
und zum familiären Hintergrund<br />
<strong>der</strong> Schüler. �<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
Nachruf auf Folkmar Koenigs<br />
Am 9. Mai <strong>2009</strong> verstarb Prof. Dr.<br />
Folkmar Koenigs im 93. Lebensjahr.<br />
Sein Lebensweg war eng mit dem<br />
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> sowie<br />
vor allem mit seiner Berliner Sektion,<br />
<strong>der</strong> Notgemeinschaft für eine freie<br />
Universität, verbunden. Seit <strong>der</strong> Gründung<br />
des Vereins diente er diesem in<br />
verschiedenen Funktionen und setzte<br />
sich mit großer Energie und Entschiedenheit<br />
für die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
und gegen Rechtsbrüche an <strong>der</strong><br />
Universität ein.<br />
Folkmar Koenigs wurde am 12. <strong>Juni</strong><br />
1916 geboren und wuchs so in einer<br />
Zeit auf, die von den heftigen Kämpfen<br />
um das Schicksal <strong>der</strong> Weimarer<br />
Republik und dann vom siegreichen<br />
Nationalsozialismus geprägt war. In<br />
seinem Elternhaus – sein Vater war in<br />
den dreißiger Jahren u. a. Staatssekretär<br />
im Verkehrsministerium – er lebte<br />
er u.a. den damaligen französischen<br />
Botschafter André François-Poncet<br />
und erinnerte sich an dessen kritische<br />
Bemerkungen angesichts <strong>der</strong> mit Fakkeln<br />
durch das Brandenburger Tor ziehenden<br />
Nationalsozialisten. Im Zweiten<br />
Weltkrieg diente Folkmar Koenigs<br />
bei <strong>der</strong> Wehrmacht; sein Vater Gustav<br />
Koenigs wurde nach dem gescheiterten<br />
Attentat Stauffenbergs auf Hitler<br />
verhaftet, weil Goerdeler bei seiner<br />
Verhaftung eine Liste bei sich trug,<br />
auf <strong>der</strong> auch Koenigs Vater stand, <strong>der</strong><br />
von den Verschwörern des 20. Juli für<br />
den Staatssekretärsposten vorgesehen<br />
war. Bevor sein Sohn jedoch aus dem<br />
Krieg zurückkehrte, fiel sein Vater am<br />
15. April 1945 in Potsdam einem<br />
Bombenangriff zum Opfer, nachdem<br />
es seiner Frau über Beziehungen<br />
gelungen war, ihn aus dem Konzentrationslager<br />
herauszuholen.<br />
Folkmar Koenigs, <strong>der</strong> Rechtswissenschaft<br />
in Freiburg, Königsberg, München<br />
und Berlin studiert hatte, erhielt<br />
nach Stationen in Hamburg als Assistent,<br />
im Bonner <strong>Bund</strong>eswirtschaftsministerium<br />
und im <strong>Bund</strong>eskartellamt<br />
1964 einen Ruf auf den Lehrstuhl für<br />
Handels- und Wirtschaftsrecht an <strong>der</strong><br />
Technischen Universität Berlin.<br />
In <strong>der</strong> heißen Phase <strong>der</strong> Kämpfe in<br />
den Jahren <strong>der</strong> sog. Studentenrevolte<br />
gehörte Professor Koenigs zu denjeni-<br />
gen, die sich von den studentischen<br />
Möchtegernrevolutionären nicht einschüchtern<br />
ließen. Wo er konnte, lieferte<br />
er ihnen Paroli und brachte es<br />
dabei sogar zu einem international<br />
verbreiteten Foto, da er sich nach<br />
einem Farbbeutelangriff auf ihn –<br />
beschmiert wie er war – mit einem<br />
Schild auf den Berliner Kudamm<br />
stellte, um so zu demonstrieren, wie<br />
manche Studenten mit ihren Professoren<br />
um gingen. Mit dieser Aktion<br />
gelang es Koenigs, sogar im Ausland<br />
Aufmerksamkeit für die kommunistischen<br />
Um triebe an einigen deutschen<br />
Universitäten zu schaffen. So wurde<br />
<strong>der</strong> Vorfall im Time Magazine in<br />
einem eigenen Artikel behandelt<br />
(„The Professor Protests“, Monday,<br />
July 30, 1973). Aber auch <strong>der</strong> Spiegel<br />
berichtete davon und druckte ein Foto<br />
von Koenigs, auf dem dieser mit seinem<br />
Plakat „TU-Professor – den<br />
Kommunisten mißliebig“ zu sehen ist<br />
(Spiegel <strong>Nr</strong>. 53, 1972, S. 38).<br />
Zu den besten Beiträgen von Koenigs<br />
gehört seine scharfe und klare Analyse<br />
<strong>der</strong> Studentenbewegung, die er<br />
unter dem Titel „Warum gelang die<br />
Berliner Kulturrevolution?” veröffentlichte<br />
(nachzulesen in: freiheit <strong>der</strong> wissenschaft<br />
<strong>Nr</strong>. 2, <strong>Juni</strong> 2001, S. 6–10).<br />
Koenigs bot hier eine tiefgründige<br />
Analyse, die auch seinen eigenen<br />
Berufsstand nicht schonte, wenn es<br />
darum ging festzuhalten, wer wie gut<br />
auf die Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Zeit<br />
reagiert hatte. Er zeigte im einzelnen<br />
auf, welche Bedingungen in den Jahren<br />
um 1968 zusammenkamen, um<br />
die „Strategie <strong>der</strong> Systemüberwindung“<br />
<strong>der</strong> studentischen Linken, von<br />
<strong>der</strong> Helmut Schelsky treffend gesprochen<br />
hatte, zu einer schweren Hypothek<br />
für die deutsche Universität werden<br />
zu lassen. Dazu gehörten nicht<br />
zuletzt die zahlreichen Störungen von<br />
Lehrveranstaltungen und Verunglimpfungen<br />
von Hochschullehrern, so daß,<br />
wie Koenigs schreibt, die „Lehrfreiheit<br />
<strong>der</strong> Professoren und die Lernfreiheit<br />
<strong>der</strong> Studenten (...) zu einem vom<br />
AStA und linken Gruppen gnädig<br />
gewährten je<strong>der</strong>zeit aufhebbaren Privileg“<br />
wurden. Koenigs ersparte in<br />
diesem Zusammenhang den Professoren<br />
nicht den schwerwiegenden Vor-<br />
wurf, daß zumindest „deutliche Worte<br />
zur Toleranz, Meinungsfreiheit und<br />
Recht auf ungehin<strong>der</strong>tes Lehren und<br />
Lernen“ hätten möglich sein müssen.<br />
Koenigs’ Fazit, daß er mit dem ihm<br />
eigenen Humor formulierte, lautete<br />
allerdings: „Die idealen Voraussetzungen<br />
für einen Professor an einer<br />
Berliner Universität in dieser Zeit,<br />
hohe wissenschaftliche Qualifikation,<br />
volle Ausbildung in marxistischer<br />
Theorie und höchster Judo-Grad, hat<br />
allerdings lei<strong>der</strong> kein Professor<br />
erfüllt.“<br />
In den Jahren <strong>der</strong> studentischen<br />
Revolte von 1967–1979 sammelte<br />
Koenigs zahlreiche Flugblätter, Plakate<br />
und Aushänge, von denen er eine<br />
schöne Auswahl an <strong>der</strong> Wand seines<br />
Dienstzimmers an <strong>der</strong> TU hängen<br />
hatte. Diese Sammlung steht <strong>der</strong> zeitgeschichtlichen<br />
Forschung nun im<br />
Archiv <strong>der</strong> Hoover Institution in Stanford<br />
zur Verfügung, wo seit mehreren<br />
Jahren auch das Archiv des <strong>Bund</strong>es<br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> liegt.<br />
Folkmar Koenigs war ein von preußischen<br />
Pflichtbegriffen geleiteter<br />
Mensch, <strong>der</strong> noch nach seiner Emeritierung<br />
1981 über 25 Jahre regelmäßig<br />
weiter Vorlesungen anbot, Prüfungen<br />
durchführte und seine Lehrmaterialien<br />
stets auf den neuesten Stand<br />
des Europäischen Wirtschaftsrechts<br />
brachte – keine Kleinigkeit angesichts<br />
des großen Volumens europäischer<br />
Rechtsetzung und -sprechung. Erst in<br />
seinem 92. Lebensjahr verabschiedete<br />
er sich von <strong>der</strong> akademischen Lehre.<br />
Auch wenn er über die politische Entwicklung<br />
Deutschlands nicht glücklich<br />
war, bewahrte er sich als echter<br />
homo politicus ein leidenschaftliches<br />
Interesse an den Fragen <strong>der</strong> Politik.<br />
Seine aufrechte Haltung und sein<br />
ethisch gegründeter Sinn für einen<br />
dem Recht verpflichteten Staat bleiben<br />
vorbildhaft.<br />
Folkmar Koenigs hinterläßt eine<br />
schmerzliche Lücke. Mit ihm ist ein<br />
tapferer Streiter für die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong> von uns gegangen, wie<br />
sie die deutsche Universität gerade<br />
heute wie<strong>der</strong> häufiger bräuchte.<br />
Till Kinzel<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 23
Leserbriefe<br />
I. „Verbohrte Meinungen“<br />
II. „Pro Reli“ – Gedanken zum Ethikuntericht<br />
24<br />
Zu diesem Leserbrief lese man den Beitrag<br />
von Prof. Dr. Kurt Reinschke mit<br />
dem Thema: „Heiße Magister, heiße<br />
Doktor gar . . .“ (S. 4 bis 14 in diesem<br />
Heft)!<br />
In <strong>der</strong> Bücherrevue dieser Ausgabe findet<br />
sich von Prof. Dr. Günter Püttner<br />
eine Rezension des Bologna-Schwarzbuches<br />
aus <strong>der</strong> Reihe „Forum“ des<br />
Deutschen Hochschulverbandes.<br />
Die Lektüre dieses Schwarzbuchs, herausgegeben<br />
von den Professoren Christian<br />
Scholz und Volker Stein, sei allen<br />
an <strong>der</strong> Hochschulentwicklung Interessierten<br />
empfohlen.<br />
Sehr kritisch und umfassend hat sich<br />
schon Prof. Dr. Jochen Krautz in seinem<br />
Buch „Ware Bildung“, (Kreuzlingen/München<br />
2007), mit den geplanten<br />
Verän<strong>der</strong>ungen an den Universitäten<br />
auseinan<strong>der</strong>gesetzt und ihre Hintergründe<br />
ausgeleuchtet (vgl. die Rezension in<br />
<strong>der</strong> Bücherrevue von „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“,<br />
Heft 4, Dez. 2007, S. 27 f.!)<br />
Vor <strong>der</strong> Bachelorisierung <strong>der</strong> deutschen<br />
Universitäten warnte jüngst Prof.<br />
Dr. Kurt Reinschke in einer Broschüre<br />
des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />
die weiterhin bei <strong>der</strong> Geschäftsstelle<br />
bezogen werden kann.<br />
In Kürze erscheint in <strong>der</strong> gleichen Reihe<br />
von Prof. Dr. Marius Reiser <strong>der</strong> Aufsatz:<br />
„Standardisierung und Kultur im<br />
,Bologna-Zeitalter‘“, die schriftliche<br />
Wie<strong>der</strong>gabe eines Vortrags, den er im<br />
<strong>Juni</strong> dieses Jahres beim <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> gehalten hat. (s. S. 3)<br />
<strong>fdw</strong>-Redaktion<br />
Offener Brief an den Vorsitzenden <strong>der</strong> SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Michael Müller<br />
Wolfram Ellinghaus, Geschäftsführer<br />
des Vereins „Lernen für die Deutsche<br />
und Europäische Zukunft“ sandte <strong>der</strong><br />
<strong>fdw</strong>-Redaktion einen „offenen Brief an<br />
den Vorsitzenden <strong>der</strong> SPD-Fraktion im<br />
Abgeordnetenhaus von Berlin“. Ellinghaus<br />
will Anstöße geben, wie im<br />
Anschluß an das Scheitern des Bürgerbegehrens<br />
„Pro Reli“ <strong>der</strong> Ethikunter-<br />
richt gestaltet werden kann, „damit diesen<br />
we<strong>der</strong> überzeugte Christen noch<br />
Atheisten o<strong>der</strong> Anhänger an<strong>der</strong>er Religionen<br />
mit vernünftigen Gründen<br />
zurückweisen können“.<br />
Nachfolgend drucken wir einige Passagen<br />
aus diesem Brief, die einen Einblick<br />
in die Intentionen des Verfassers<br />
geben. Sie enthalten am Ende einen<br />
Hinweis für diejenigen, die an detaillierteren<br />
Ausführungen interessiert sind.<br />
Unser Auszug setzt ein mit <strong>der</strong> Frage<br />
des Verfassers, ob die Nie<strong>der</strong>lage von<br />
„Pro Reli“ das „Aus für christliche<br />
Werte in Berliner Schulen“ bedeuten<br />
müsse. Die Zwischenüberschriften sind<br />
von <strong>der</strong> <strong>fdw</strong>-Redaktion eingefügt:<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
„Pro Reli“-Nie<strong>der</strong>lage<br />
Aus für die christlichen Werte<br />
an Berliner Schulen?<br />
Die meisten alten wie neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong><br />
haben für die Schüler, die<br />
gemäß den verfassungsrechtlichen<br />
Möglichkeiten nicht am Religionsunterricht<br />
teilnehmen, ein neues Pflichtfach,<br />
meist unter <strong>der</strong> Bezeichnung<br />
„Ethik“, eingeführt. Die Schüler haben<br />
dort also die Wahl zwischen zwei<br />
gleichberechtigten und zur gleichen<br />
Zeit unterrichteten Pflichtfächern:<br />
Ethik o<strong>der</strong> Religion, ausgenommen in<br />
Berlin, Brandenburg und Bremen.<br />
Nachdem nun am 26. April <strong>2009</strong> nur<br />
14,2 Prozent <strong>der</strong> Berliner Wahlberechtigten<br />
für eine Gleichberechtigung des<br />
Religionsunterrichts mit dem Ethikunterricht<br />
gestimmt haben, bleibt es bei<br />
Ethik als Pflichtunterricht für alle in<br />
den Klassen sieben bis zehn und Religionsunterricht<br />
als freiwillige zusätzliche<br />
Arbeitsgemeinschaft außerhalb des<br />
verbindlichen Fächerkanons, etwa am<br />
Nach mittag.<br />
Ob es nun für diese Verdrängung des<br />
Religionsunterrichts durch den Ethikunterricht<br />
eine pädagogische Berechtigung<br />
gibt, hängt von dessen Unterrichtsinhalten<br />
ab. Es geht um die säkularen Aufgaben<br />
des kon fes sions gebundenen Religionsunterrichts,<br />
die in dem Berliner Konzept<br />
<strong>der</strong> Ethikunterricht übernehmen<br />
muß. Diese Aufgaben bestehen in <strong>der</strong><br />
Vermittlung eines festen, dem jungen<br />
Menschen Selbstsicherheit und Lebenszuversicht<br />
gebenden geistigen Standortes<br />
in <strong>der</strong> sich dauernd wandelnden Welt<br />
sowie Antworten auf Fragen nach Ur -<br />
sprung und Ziel <strong>der</strong> eigenen Existenz,<br />
nach dem Sinn des Lebens: Persönlichkeitsbildung.<br />
Es geht also auch im Ethikunterricht<br />
um die Hilfe zur Gewinnung eines<br />
Wertsicherheit gewährenden geistigen<br />
Standortes und um sittliche Bildung<br />
und Erziehung, aber ohne eine sie von<br />
vornherein sichernde Begründung in<br />
<strong>der</strong> obersten Autorität.<br />
In diesem Unterrichtsfach soll also die<br />
Entwicklung des jungen Menschen zu<br />
einer sittlich hochwertigen Persönlichkeit<br />
geför<strong>der</strong>t werden, die willens ist,<br />
also aus eigenem Antrieb, sittlich hochwertig<br />
zu handeln.<br />
Gute Vorbil<strong>der</strong> werden selten<br />
Die Eltern können „die zuvör<strong>der</strong>st<br />
ihnen obliegende Pflicht“ <strong>der</strong> Erziehung<br />
(Art. 6 (2) GG) immer weniger<br />
wahrnehmen aus Zeitmangel wegen<br />
außerhäuslicher Erwerbstätigkeit,<br />
wachsen<strong>der</strong> erzieherischer Verunsicherung,<br />
religiös-weltanschaulicher Orien -<br />
tie rungs losig keit o<strong>der</strong> Gleichgültigkeit.<br />
Vorbil<strong>der</strong> werden in den zerbrechenden<br />
Familien immer seltener und auch im<br />
multikulturellen Umfeld einer pluralistisch<br />
geprägten Gesellschaft kaum<br />
möglich, weil differente o<strong>der</strong> gar konträre<br />
Lebensformen in ihrer Vorbildfunktion<br />
einan<strong>der</strong> aufheben. Das Fernsehen,<br />
dessen Einfluß durch die Vermin<strong>der</strong>ung<br />
des Elterneinflusses und das Fehlen<br />
einer sittlichen Bildung in <strong>der</strong> Schule<br />
erheblich gestiegen ist, bietet zu viele<br />
schlechte Vorbil<strong>der</strong>.<br />
Es ist eigentlich erstaunlich, daß unter<br />
so miserablen Bedingungen noch so<br />
viele Jugendliche gut, ja hervorragend<br />
geraten. Bei manchen sind vielleicht die<br />
guten Anlagen so stark, daß sie nicht so<br />
leicht zu verbiegen sind, und manche<br />
Kin<strong>der</strong> erfahren auch jetzt noch von<br />
ihren Eltern eine Erziehung, die diese<br />
Bezeichnung verdient.<br />
Welche sind nun die Faktoren, die das<br />
Bewußtsein am wirksamsten und nachhaltigsten<br />
prägen und den Menschen<br />
auch bei den sich wandelnden Lebensumständen<br />
zu spontanem, aber auch re -<br />
flektiertem sittlich hochwertigem Handeln<br />
und Verhalten führen? Die genetisch<br />
vorgegebenen Dispositionen kön nen<br />
zwar gebremst o<strong>der</strong> geför<strong>der</strong>t werden,<br />
entziehen sich aber auch weitgehend<br />
Än<strong>der</strong>ungsmöglichkeiten durch Bildung<br />
und Erziehung.<br />
Kognitive Vermittlung<br />
Die kognitive Vermittlung klarer empirisch<br />
belegter anthropologischer Konstanten<br />
gemäß z.B. <strong>der</strong> „Biologie des<br />
menschlichen Verhaltens“ von Irenäus<br />
Eibl-Eibesfeldt, <strong>der</strong> „Frage nach dem<br />
Sinn“ von Viktor Frankl, <strong>der</strong> Analyse<br />
<strong>der</strong> „Kunst des Liebens“ von Erich<br />
Fromm sowie <strong>der</strong> Goldenen Regel<br />
gemäß <strong>der</strong> Bibel und des kategorischen<br />
Imperativs nach Kant usw. können<br />
latent vorhandene Naturanlagen zu<br />
denen auch das natürliche Rechtsbewußtsein<br />
gehört, wecken und bewußt<br />
machen, das natürliche Wissen um Gut<br />
und Böse, sowie die christliche Nächstenliebe,<br />
auch als Grundlage des Völkerrechts.<br />
Die Werte des Grundgesetzes<br />
und <strong>der</strong> Verfassung müssen kognitiv<br />
vermittelt werden. ...<br />
Emotionale Ansprache<br />
Aber es ist ungewiß, ob die bloße Belehrung<br />
ausreicht, um gemäß <strong>der</strong> Lehre<br />
Jesu aus einem schlechten Baum, <strong>der</strong><br />
schlechte Früchte hervorbringt, einen<br />
guten Baum zu machen, <strong>der</strong> gute Früchte<br />
hervorbringt. Zusätzlich muß <strong>der</strong><br />
junge Mensch emotional angesprochen,<br />
über sein Gefühl gepackt werden mit Bildungsinhalten,<br />
die „die evidente Schönheit<br />
elementarer sittlicher Phänomene“<br />
zeigen und den „ethischen Relativismus<br />
als optische Täuschung“ er weisen. (Ro -<br />
bert Spaemann in: Herbert Huber., Hrsg.<br />
„Sittliche Bildung“, S. 355). Dabei ist<br />
fächerübergreifen<strong>der</strong> Unterricht notwendig,<br />
vor allem <strong>der</strong> Ethik mit dem Literaturunterricht<br />
...<br />
Hinweis des Verfassers:<br />
Diese kurzen Gedanken sind wesentlich<br />
detaillierter ausgeführt in dem Beitrag<br />
des Verfassers „Der Ersatzunterricht –<br />
Ziele, Aufgaben, Inhalte“ in dem von<br />
ihm selber 1996 herausgegebenen Sammelband<br />
„Wozu Ethikunterricht? Er -<br />
wartungen von Parteien und Verbänden<br />
– dazu Versuch einer Antwort.“ An den<br />
zu Grunde liegenden Fakten hat sich<br />
nichts geän<strong>der</strong>t außer in Sachsen, wo<br />
<strong>der</strong> heute gültige Ethiklehrplan die<br />
christlichen Religionen ausführlicher<br />
und inhaltlich angemessener berücksichtigt,<br />
und in Nordrhein-Westfalen, wo<br />
„Praktische Philosophie“ als Pflichtalternative<br />
für die nicht am Religionsunterricht<br />
teilnehmenden Schüler <strong>der</strong><br />
Klassen 9 und 10 eingeführt worden ist.<br />
Das Buch kann kostenlos gegen Erstattung<br />
<strong>der</strong> Versandkosten beim Verfasser<br />
bezogen werden.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Wolfram Ellinghaus,<br />
Hesselteicher Str. 66,<br />
33428 Harsewinkel,<br />
E-Mail: ldez.e.v@web.de<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 25
Hinsichtlich des vor gut zehn Jahren in<br />
Gang gesetzten Bologna -Prozesses hat<br />
es in jüngster Zeit einen deutlichen<br />
Meinungsumschwung gegeben, wie<br />
eine neuere HIS-Untersuchung bestätigt.<br />
Im Deutschen Hochschulverband,<br />
mit fast 25.000 Mitglie<strong>der</strong>n aus dem<br />
Lehrkörper <strong>der</strong> deutschen Hochschulen<br />
eine repräsentative Großorganisation,<br />
hat es anfangs viel Zustimmung zur<br />
Bologna-Reform gegeben; man wollte<br />
nicht als reformunwillig gelten. Und<br />
gegen das hehre Ziel einer besseren<br />
Vernetzung <strong>der</strong> Hochschulen in Europa<br />
und mehr Mobilität ließ sich auch<br />
zunächst nichts einwenden.<br />
Nun aber hat die Zahl <strong>der</strong> Kritiker des<br />
Bologna-Prozesses zu genommen. Viele<br />
ursprüngliche Reformbefürworter sind<br />
von den Ergeb nissen <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />
Bologna-Erklärung enttäuscht und for<strong>der</strong>n<br />
Kor rekturen. So hat sich <strong>der</strong> Deutsche<br />
Hochschulverband entschlossen,<br />
nun auch den Kritikern ein Forum zu<br />
bieten in Form des Schwarzbuchs und in<br />
Heft 6/09 <strong>der</strong> Zeitschrift „Forschung &<br />
Lehre“ (mit zusätzlichen Li tera tur an -<br />
gaben). Damit ist die Grundlage für eine<br />
Aufarbeitung <strong>der</strong> Problematik gelegt.<br />
Viele „Bologna“-Kritiker<br />
Das Schwarzbuch enthält – erfreulicherweise<br />
– nicht den kritischen Beitrag<br />
eines Autors (<strong>der</strong> könnte ja ein Son<strong>der</strong>fall<br />
sein), son<strong>der</strong>n 18 kürzere Kritiken<br />
von sehr unterschiedlichen Professoren<br />
aus ganz ver schiedenen Fächern, darunter<br />
zahlreiche Betriebswirte, bei denen<br />
man eher eine Vorliebe für Institutionen<br />
aus den USA wie Bachelor und Master<br />
vermuten würde. Es gibt pragmatische<br />
Beiträge, aber auch sehr grundsätzliche<br />
Darlegungen wie den Johannes Mehlig<br />
gewidmeten Diskurs von Walter Slaje,<br />
26<br />
revue<br />
Christian Scholz/Volker<br />
Stein (Hrsg.), Bologna-<br />
Schwarzbuch, herausge -<br />
geben im Auftrag des<br />
Präsidiums des DeutschenHochschulverbandes,<br />
<strong>2009</strong><br />
204 Seiten, 21 Euro,<br />
ISBN 978-3-924066-89-5<br />
<strong>der</strong> die „Zwangsvernetzung“ als „<strong>Wissenschaft</strong>s-Suizid“<br />
<strong>der</strong> Professoren, als<br />
Untergang von <strong>Wissenschaft</strong>sfreiheit<br />
anprangert. Ein ähnlicher Paukenschlag<br />
stammt von dem Betriebswirt Christian<br />
Scholz, überschrieben mit „Matrjoschka-Bolognese<br />
als Massenvernich -<br />
tungswaffe“. Er zählt fünf Komponenten<br />
des Bologna-Prozesses auf: Reform<br />
in Richtung Bachelor und Master,<br />
Hochschulneuglie<strong>der</strong>ung, Externe Evaluatoren,<br />
Steigerung <strong>der</strong> Bürokratie und<br />
Studiengebühren. Dann listet er die<br />
Gewinner und die Verlierer <strong>der</strong> Reform<br />
auf; je<strong>der</strong> kann nachlesen, wo er steht.<br />
Zahlreiche Kritikpunkte<br />
Die übrigen Beiträge können hier nicht<br />
im einzelnen vorgestellt wer den. Sie<br />
prangern durchweg die Demontage <strong>der</strong><br />
klassischen Universität an. Es ist die<br />
Rede von „Dienstleistungsprimat als<br />
Autonomiedemontage“, von „Akkreditierung<br />
als rechtlicher Systemfehler“,<br />
vom Bologna-Prozeß als „0rganisationsform<br />
<strong>der</strong> Ineffizienz“ und als „traurige<br />
Mogelpackung“, auch als „unnötige<br />
Bildungsreform“ und als „akademische<br />
Illusion“.<br />
Angeprangert wird ferner, daß es statt<br />
<strong>der</strong> erhofften Ausdehnung von Mobilität<br />
jetzt weniger davon gebe und auch<br />
die Effizienz eher gelit ten habe.<br />
Manches (o<strong>der</strong> vieles) davon wird die<br />
Anhänger <strong>der</strong> Bologna -Reform nicht<br />
sogleich umstimmen, aber doch hoffentlich<br />
zum Nachdenken veranlassen.<br />
Gelegentlich gibt es Denkhilfen von<br />
außen; so dürfte die ausführliche Kritik<br />
von Joachim Lege am System <strong>der</strong><br />
Akkreditierung jetzt wohl mehr überzeugen,<br />
seit nämlich früher hervorragend<br />
geratete Banken nun vor <strong>der</strong> Insolvenz<br />
stehen. Bei <strong>der</strong> in vielen Beiträgen<br />
kri tisierten schleichenden Aushöhlung<br />
des wissenschaftlichen Standards in<br />
Forschung und Lehre wird möglicherweise<br />
die Einsicht erst kommen, wenn<br />
es zu spät ist. Im übrigen wird immer<br />
wie<strong>der</strong> darauf hingewiesen, daß die<br />
erfor<strong>der</strong>liche Finanzierung <strong>der</strong> Reform<br />
ausgeblieben ist, womit die bekannte<br />
chronische Unterfinanzierung <strong>der</strong> Universitäten<br />
noch zugenommen habe.<br />
Alles in allem: Das Schwarzbuch sollte<br />
für jeden, <strong>der</strong> im Bildungs system tätig<br />
o<strong>der</strong> damit befaßt ist, zur Pflichtlektüre<br />
gehören. Denn den Fehlentwicklungen<br />
muß gegengesteuert werden, und zwar<br />
bald! Günter Püttner<br />
Walter Rüegg:<br />
Die 68er Jahre und die<br />
Frankfurter Schule<br />
(Schriften <strong>der</strong> Margotund-Friedrich-Becke-<br />
Stiftung zu Heidelberg 9),<br />
Heidelberg: Universitätsverlag<br />
Winter, 2008.<br />
31 Seiten, 8 Euro<br />
ISBN 978-3-8253-5552-4<br />
Der Schweizer Soziologe Walter<br />
Rüegg hielt am 31. Mai 2008 einen<br />
lesenswerten Vortrag, <strong>der</strong> hier in<br />
gedruckter Form zugänglich gemacht<br />
wird. Er schil<strong>der</strong>t im autobiographischen<br />
Zugriff sehr anschaulich seine<br />
Begegnungen und persönlichen Erfahrungen<br />
mit den Vertretern <strong>der</strong> Frankfurter<br />
Schule, vor allem Horkheimer<br />
und Adorno, in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />
und geht dann beson<strong>der</strong>s ausführlich<br />
auf die Turbulenzen ein, die ab <strong>der</strong><br />
zweiten Hälfte <strong>der</strong> sechziger Jahre vor<br />
allem die Hochschulen erfassen sollten.<br />
Rüegg erlebte die Studentenrevolte<br />
in einer Führungsposition als Rektor<br />
<strong>der</strong> Frankfurter Universität von<br />
1965 bis 1970 und kann daher aus<br />
nächster Nähe schil<strong>der</strong>n, wie „1968“<br />
tatsächlich aussah. So schil<strong>der</strong>t er, wie<br />
er auf Bitten Adornos, die vermittelt<br />
wurden durch den späteren Kultusminister<br />
von Friedeburg (im übrigen<br />
einer <strong>der</strong> Hauptverantwortlichen für<br />
die fatale Gesamtschulpolitik <strong>der</strong> siebziger<br />
Jahre), die Polizei alarmierte –<br />
was dann später so in die Überlieferung<br />
einging, „daß Adorno die Polizei<br />
hatte kommen lassen“.<br />
Interessant sind neben vielen Details<br />
die Beobachtungen Rüeggs zum Verhältnis<br />
von Adorno und Horkheimer<br />
sowie über die aufschlußreichen geistigen<br />
Absetzbewegungen Horkheimers<br />
von Frankfurt. Rüegg war in<br />
Osteuropa unterwegs, als Adorno<br />
einen Herzinfarkt erlitt und dann unter<br />
großer Anteilnahme in Frankfurt<br />
bestattet wurde. Horkheimer dagegen<br />
ließ sich in Bern beisetzen, was Rüegg<br />
so deutet: „Bei einem Mann, <strong>der</strong><br />
nichts, zum mindesten nichts Öffentliches<br />
ohne Absicht und tieferen Sinn<br />
unternahm, kann <strong>der</strong> Verzicht auf eine<br />
Gedenkfeier in Frankfurt nur bedeuten,<br />
daß er damit seine wohl überlegte<br />
Abkehr von Frankfurt und <strong>der</strong> Frankfurter<br />
Schule bekundete.“ Dafür<br />
spricht in <strong>der</strong> Tat einiges, zumal sich<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
in Horkheimers Schriften Texte finden,<br />
die von den Sympathisanten <strong>der</strong> Revolte<br />
kaum an<strong>der</strong>s als reaktionär genannt<br />
werden könnten. Mit diesem Abschied<br />
von Frankfurt, so Rüegg, verzichtete<br />
Horkheimer auch auf den Ruhm, den<br />
Adorno als „einer <strong>der</strong> ersten und erfolgreichsten<br />
Medienprofessoren“ noch bis<br />
vor wenigen Jahren erlangen sollte.<br />
Rüegg selbst trat nach <strong>der</strong> Verabschiedung<br />
des von Friedeburgschen Universitätsgesetzes<br />
von seinem Amt als Rektor<br />
zurück. 1973 ging er in die Schweiz<br />
an die Universität Bern, wo er, so sein<br />
nüchternes Fazit, wenigstens dort helfen<br />
konnte, „die Universität vor den<br />
hochschulpolitischen Auswirkungen<br />
<strong>der</strong> Frankfurter Schule zu schützen“.<br />
Dafür gebührt Rüegg Anerkennung.<br />
Till Kinzel<br />
Wolfgang Clemen<br />
im Kontext seiner Zeit :<br />
ein Beitrag zur <strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte<br />
vor<br />
und nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg/Hg. von Ina<br />
Schabert unter Mitarbeit<br />
von Andreas Höfele und<br />
Manfred Pfister. – Heidelberg:<br />
Winter, <strong>2009</strong>.<br />
217 Seiten, 35,– Euro<br />
ISBN 9778-38253540-46<br />
Wolfgang Clemen war gewiß einer <strong>der</strong><br />
bedeutendsten deutschen Anglisten des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, <strong>der</strong> mit seiner frühen<br />
bahnbrechenden Arbeit über die Bil<strong>der</strong>sprache<br />
Shakespeares die Forschung<br />
sehr angeregt hat und mit seinem späteren<br />
Kommentar zu Shakespeares<br />
Richard III Maßstäbe gesetzt hat. Clemen<br />
wirkte aber auch und vor allem als<br />
Lehrer, was insgesamt gesehen sogar<br />
wichtiger gewesen sein mag als sein<br />
wissenschaftliches Schrifttum. Die<br />
Autoren des vorliegenden Bandes<br />
rekrutieren sich zum geringeren Teil aus<br />
ehemaligen Schülern, zum größten Teil<br />
aber aus jüngeren <strong>Wissenschaft</strong>lern, die<br />
Clemen nicht mehr selbst erlebt haben<br />
und aus einem völlig an<strong>der</strong>en Theorieund<br />
Fachhorizont heraus schreiben.<br />
Daraus ist eine multiperspektivische<br />
Schau auf Clemens Werk und Leben<br />
geworden, die für die <strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte<br />
<strong>der</strong> Anglistik wie überhaupt<br />
<strong>der</strong> Philologie wertvoll ist und nach<br />
einer im engeren Sinne biographischen<br />
Übersicht von Werner Habicht Beiträge<br />
zu den Themenkreisen <strong>der</strong> Methoden<br />
und Ziele des Literaturwissenschaftlers,<br />
den nationalen und internationalen<br />
Positionierungen, dem<br />
künstlerischen Umfeld, dem Verhältnis<br />
von Literaturwissenschaft und Politik<br />
sowie zum gesellschaftlichen Auftrag<br />
<strong>der</strong> Literaturwissenschaft enthält. Clemens<br />
Karriere ist nicht zuletzt auch<br />
von wissenschaftsgeschichtlichem In -<br />
teresse, da <strong>der</strong>en Anfänge in die Zeit<br />
des Nationalsozialismus fallen, was<br />
stets mit beson<strong>der</strong>en Problemen im<br />
Spannungsfeld von Anbie<strong>der</strong>ung, Di -<br />
stanz und Ablehnung verbunden war.<br />
Kunst und <strong>Wissenschaft</strong><br />
Werner von Koppenfels greift in seinem<br />
Beitrag die Verknüpfung von<br />
Kunst und <strong>Wissenschaft</strong> auf, die sich<br />
aus <strong>der</strong> Konstellation von Friedrich<br />
Gundolf, Paul Clemen und George-<br />
Kult für Wolfgang Clemen ergeben<br />
hat. Eigenen Aussagen zufolge war<br />
Clemen beson<strong>der</strong>s von Ernst Robert<br />
Curtius und Gundolf geprägt worden.<br />
Bei Gundolf hatte Clemen gewürdigt,<br />
daß dieser in seiner zweibändigen<br />
Shakespeare-Gesamtdarstellung „auf<br />
die Rolle und Bedeutung <strong>der</strong> Gleichnisse“<br />
in den Stücken Rücksicht<br />
nehme, sonst aber nicht ausführlicher<br />
dazu Stellung genommen, weshalb<br />
Koppenfels in seinem Beitrag den<br />
„Einflußspuren“ nachgeht, die aufschlußreich<br />
seien für die „geistigen<br />
Bedingungen, die wesentlich zur<br />
deutsch-englischen Synthese seiner Art<br />
von Philologie beigetragen haben“. Es<br />
ist nicht unwahrscheinlich, daß die von<br />
seinem Vater gelebte Anglophilie<br />
sowie <strong>der</strong> Kontakt zum George-Kreis<br />
auch den jungen Wolfgang prägten, <strong>der</strong><br />
dadurch die „Ehrfurcht vor dem dichterischen<br />
Wort“, wie sie dort praktiziert<br />
wurde, erfuhr.<br />
Langsamkeit als Praxis<br />
Clemens Werk ist nach heutigen Maßstäben<br />
zu urteilen insgesamt eher<br />
schmal, und vor allem fällt auf, daß<br />
große Bereiche <strong>der</strong> englischen Literatur<br />
völlig aus seinem Gesichtskreis<br />
herausfallen. So spielt etwa <strong>der</strong> Roman<br />
in seinem Schaffen keine Rolle, und<br />
auch die Shakespeare-Stücke, die er<br />
lehrend und schreibend erkundete,<br />
erstrecken sich nicht auf das ganze<br />
Textkorpus. Oft legte er seinen Seminaren<br />
ein einziges Stück zugrunde,<br />
wie z. B. Manfred Pfister schreibt,<br />
„und für die einzelne Seminarsitzung<br />
reichten oft ein paar Verse“. Pfister<br />
betont, daß Clemens Seminare für<br />
seine Schüler eine „Entdeckung <strong>der</strong><br />
Langsamkeit“ im Lesen und Schreiben<br />
bedeuteten, die nicht methodisch<br />
bewußt reflektiert, son<strong>der</strong>n gewissermaßen<br />
als Praxis vermittelt wurde.<br />
Das damit einhergehende ständige<br />
Neu- und Umschreiben läßt sich an<br />
den zwei deutschen Nachdrucken von<br />
Teilen seiner Dissertation illustrieren,<br />
<strong>der</strong>en Originaltext Clemen nicht wie<strong>der</strong><br />
abdrucken wollte, son<strong>der</strong>n neu aus<br />
<strong>der</strong> überarbeiteten englischen Fassung<br />
übersetzen ließ bzw. übersetzte.<br />
Von beson<strong>der</strong>em Interesse ist schließlich<br />
die Würdigung <strong>der</strong> hochschulpolitischen<br />
Auffassungen Clemens durch<br />
Andreas Höfele, zumal Clemen in den<br />
siebziger Jahren in Reaktion auf die<br />
Studentenbewegung Mitglied des<br />
<strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
wurde. Höfele zeigt die Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
und Probleme <strong>der</strong> deutschen Universitätslandschaft<br />
auf, die im Grunde seit<br />
Jahrzehnten in immer neuer Form in<br />
Erscheinung traten und auch im Zuge<br />
<strong>der</strong> Exzellenzinitiative <strong>der</strong> letzten<br />
Jahre wie<strong>der</strong> an Bedeutung gewinnen.<br />
Der Spagat zwischen breiter Bildung<br />
bzw. Ausbildung einerseits und <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ung von Eliten (die in den Jahren<br />
nach 1968 stark verpönt war),<br />
kennzeichnet auch die gegenwärtige<br />
Situation, die man im Lichte des folgenden<br />
Clemen-Satzes vom Dezember<br />
1961 bedenken könnte: „Die planvolle<br />
Ausbildung einer Elite von Studenten<br />
durch eine Elite von<br />
Professoren, das wäre in <strong>der</strong> Tat eine<br />
<strong>der</strong> wichtigsten Aufgaben <strong>der</strong> Universität“.<br />
Bibliographie<br />
Der Band enthält eine Bibliographie<br />
<strong>der</strong> Schriften Clemens, die jedoch<br />
nicht vollständig ist, wie man leicht<br />
feststellen kann, wenn man die im<br />
Text des Buches zitierten Artikel Clemens<br />
z. B. aus <strong>der</strong> „Zeit“ hinzunimmt.<br />
So zitiert Andres Höfele einen Beitrag<br />
Clemens aus dem von dem Hans<br />
Maier und Michael Zöller herausgegebenen<br />
Band „Die an<strong>der</strong>e Bildungskatastrophe“,<br />
den er als dessen „letzten<br />
hochschulpolitischen Kommentar“<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 27
ezeichnet. Es fehlt aber ein Hinweis<br />
auf einen weiteren, wahrscheinlich<br />
diesmal wirklich letzten hochschulpolitischen<br />
Kommentar Clemens in den<br />
Hochschulpolitischen In for mationen<br />
des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
unter dem Titel „Zweifel an <strong>der</strong> Mitbestimmung“,<br />
<strong>der</strong> 1972 er schien (HPI <strong>Nr</strong>.<br />
6, 10.4.1972). Der lehrreiche und<br />
lesenswerte Band liefert wichtige Bausteine<br />
zu einer Geschichte <strong>der</strong> deutschen<br />
Anglistik im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t, die<br />
erst noch geschrieben werden muß.<br />
Till Kinzel<br />
Hubertus Knabe:<br />
Honeckers Erben.<br />
Die Wahrheit über die<br />
Linke, Berlin:<br />
Propyläen, <strong>2009</strong>.<br />
474 Seite, geb., 22,90 Euro<br />
ISBN 978-3549073292<br />
Man mag gegenüber Büchern skeptisch<br />
sein, die „die“ Wahrheit über irgend<br />
etwas verbreiten – dennoch ist das neue<br />
Buch von Hubertus Knabe lesenswert,<br />
gibt er doch einen konzisen und informationshaltigen<br />
Überblick über die Ge -<br />
schichte <strong>der</strong> kommunistischen Ka<strong>der</strong>partei,<br />
die sich über mehrere Stationen<br />
und Umbenennungen zur heutigen Partei<br />
„Die Linke“ wandelte. Knabe ist als<br />
Direktor <strong>der</strong> Gedenkstätte Hohenschönhausen<br />
(mit dem Gefängnis <strong>der</strong> Staatssicherheit<br />
<strong>der</strong> DDR) gut vertraut mit <strong>der</strong><br />
Geschichte des Kommunismus und hat<br />
bereits zahlreiche Werke zu zeitgeschichtlichen<br />
Themen verfaßt. Darunter<br />
sind auch solche zu brisanten Fragen<br />
wie den zahlreichen Helfershelfern <strong>der</strong><br />
Kommunisten im Westen Deutschlands,<br />
eine Thematik, die durch die jüngsten<br />
Enthüllungen über die Stasi-Mitarbeit<br />
und Mitgliedschaft in <strong>der</strong> SED des Polizisten,<br />
<strong>der</strong> Benno Ohnesorg erschoß,<br />
neuerlich die Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit fand.<br />
Die dunkle Vergangenheit <strong>der</strong> heutigen<br />
Partei „Die Linke“ verdient es ebenfalls,<br />
weithin bekannt gemacht zu werden<br />
– und sei es nur als Erinnerung an<br />
schon einmal gewußte Dinge. Auch<br />
wenn Knabe gelegentlich die Ge -<br />
schlossenheit <strong>der</strong> Partei übermäßig zu<br />
betonen scheint, sind doch die politischen<br />
Vorstellungen <strong>der</strong> „Linken“ aufs<br />
engste mit sozialismus-nostalgischen<br />
28<br />
Vorstellungen verbunden. Diese aber<br />
sollten durch Aufklärung ideologiekritisch<br />
durchleuchtet und ge schwächt<br />
werden. Hu bertus Knabe leistet dazu<br />
einen wichtigen Beitrag.<br />
Richard Wagner:<br />
Es reicht. Gegen den<br />
Ausverkauf unserer<br />
Werte, Berlin:<br />
Aufbau-Verlag 2008,<br />
163 Seiten, 16,95 Euro<br />
ISBN 978-3-351-02673-8;<br />
Till Kinzel<br />
Essayisten, die gegen den linksliberalen<br />
und Correctness-angereicherten<br />
Strom des bundesdeutschen Establishments<br />
schwimmen, sind seit geraumer<br />
Zeit selten. Wenn sie darüber hinaus<br />
noch die wichtigsten kulturkritischen<br />
Argumente, stilistisch brillant formuliert,<br />
eindringlich auf den Punkt bringen,<br />
ist ihre Lektüre dem zeitgenössischen<br />
Nonkonformisten ans Herz zu<br />
legen.<br />
Alles das trifft auf den neuesten Beitrag<br />
des Schriftstellers Richard Wagner<br />
zu. Er übersiedelte vor über zwei Jahrzehnten<br />
aus Rumänien nach Westdeutschland<br />
und bewertete den intellektuellen<br />
Mainstream <strong>der</strong> alten <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
quasi von außen. Diesen<br />
Blickwinkel hat er bis heute beibehalten.<br />
Neben seinen vielen belletristischen<br />
Veröffentlichungen fiel Wagner beson<strong>der</strong>s<br />
als Mitglied des Netzwerkes<br />
„Achse des Guten“ auf, das <strong>der</strong> Publizist<br />
Henrik Bro<strong>der</strong> gegen wachsende<br />
USA- und Israelfeindschaft sowie ge -<br />
gen unkritische Sichtweisen von Islam<br />
und Islamismus vor wenigen Jahren<br />
begründete.<br />
Sicherlich darf <strong>der</strong> (Unter-)Titel <strong>der</strong><br />
en g agierten Stellungnahme als wenig<br />
aussagekräftig gelten, ist doch die<br />
Bezeichnung „Werte“ eine <strong>der</strong> „vagesten,<br />
problematischsten Begriffe <strong>der</strong><br />
mo<strong>der</strong>nen Rechts sprache und Ethikdiskurse“<br />
(Friedrich W. Graf). Aber <strong>der</strong><br />
Leser merkt schnell, worum es dem<br />
Verfasser geht: Die Welt <strong>der</strong> universalen<br />
Güter und Dienstleistungen ist<br />
schon seit einiger Zeit in den Wettstreit<br />
um Ideen und Weltanschauungen ein-<br />
getreten. Beiläufige Zitate islamkritischer<br />
mittelalterlicher Herrscher können<br />
einen medialen Sturm heraufbeschwören.<br />
Nicht zufällig bekamen die<br />
überaus weiten Sektoren von Religion<br />
und Kultur im Zeitalter <strong>der</strong> globalen<br />
technischen Vereinheitlichung fast<br />
überall identitätsstiftende Funktion.<br />
Immer mehr kann man beobachten,<br />
wie Konfuzianismus, Ahnenkult und<br />
Mohammed-Verehrung als das Eigene<br />
gegen das in <strong>der</strong> Weltgesellschaft<br />
omnipräsente Fremde in Stellung<br />
gebracht werden.<br />
Nun ist dieser weltweit zu beobachtende<br />
Trend <strong>der</strong> Stärkung kultureller Herkunftstraditionen<br />
in Europa relativ<br />
schwach ausgeprägt. Außer heftigen<br />
Debatten um eine „Renaissance <strong>der</strong><br />
Religion“, die, wenn überhaupt, nur<br />
marginalen Einfluß gewinnen kann, ist<br />
wenig davon festzustellen. Wagner<br />
sieht die „kulturelle Charta“ <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />
europäischen Gesellschaften<br />
durch drei Faktoren gefährdet: die<br />
nachwirkende Ideologie <strong>der</strong> 68er, die<br />
stark medial bedingte Erlebnisgesellschaft,<br />
aber auch die sich durch forcierte<br />
Einwan<strong>der</strong>ung ergebenden<br />
Schwierigkeiten. Die zuletzt genannte<br />
Thematik betrifft den Autor selbst, war<br />
er doch mit dem vor einigen Jahren<br />
von einem fanatisierten islamistischen<br />
Gewalttäter ermordeten nie<strong>der</strong>ländischen<br />
Filmemacher Theo van Gogh<br />
bekannt.<br />
Wi<strong>der</strong> die Sprachregelungen<br />
<strong>der</strong> politischen Korrektheit<br />
Schon im Eröffnungskapitel setzt sich<br />
Wagner über die Sprachregelungen <strong>der</strong><br />
politischen Korrektheit hinweg:<br />
„Abendland“ besetzt er positiv und<br />
schlägt einen Bogen zum „mo<strong>der</strong>nen“<br />
Westen, den zu verteidigen schon vor<br />
9/11 Pflicht war, während man sich zu<br />
dem zuerst ge nannten Narrativ unserer<br />
Herkunft be stenfalls in ein „kritisches“<br />
Verhältnis zu setzen hatte. Wagner sieht<br />
hingegen beides im Zusammenhang.<br />
In <strong>der</strong> Tat braucht man die negativen<br />
Seiten <strong>der</strong> europäischen Geschichte<br />
nicht zu verschweigen. Jedoch gilt das<br />
auch für die nachwirkenden Aktiv-<br />
Posten, zu denen unter an<strong>der</strong>en die<br />
Toleranz in allen sozialen Bereichen<br />
gehört, nicht zuletzt in religiösen<br />
Angelegenheiten.<br />
Primitiver Antiamerikanismus, <strong>der</strong> zu<br />
Zeiten von konservativen Präsidenten<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
wie Ronald Reagan und George W.<br />
Bush journalistische Hochkonjunktur<br />
hatte, ist die Sache Wagners nicht. Er<br />
sieht die unstrittigen Vorherrschaftsansprüche<br />
<strong>der</strong> westlichen Supermacht vor<br />
allem in <strong>der</strong> militärischen Schwäche <strong>der</strong><br />
Europäer begründet, die schon seit<br />
Generationen unübersehbar ist: Wer<br />
befreite die Welt 1945 endgültig vom<br />
Faschismus? Wer rang später den Kommunismus<br />
nie<strong>der</strong>? Wer stellt sich heute<br />
dem Islamismus entgegen? Solche Fragen<br />
sollte man sich aus europäischer<br />
Perspektive häufiger stellen, ohne<br />
gleich in alte Wildwest-Stereotypen zu<br />
verfallen. Gleichfalls sind Wagners<br />
Anmerkungen zu den Themen<br />
Rußland, zum möglichen Beitritt <strong>der</strong><br />
Türkei zur EU und zur wirtschaftlichen<br />
Rückständigkeit <strong>der</strong> ehemaligen Kolonialstaaten<br />
wert, genau studiert zu werden.<br />
Daß Rußland nicht demokratisierbar<br />
ist, leuchtet dem üblichen Gutmenschentum<br />
hierzulande nicht ein.<br />
Sämtliche Argumente zu Gunsten eines<br />
EU-Beitritts <strong>der</strong> Atatürk-Erben werden<br />
Makulatur, wenn man bedenkt, daß die<br />
Türkei als einwohnerreichster Staat <strong>der</strong><br />
Europäischen Union, ist sie erst einmal<br />
Vollmitglied, den Haushaltsetat dieser<br />
Gemeinschaft entscheidend kontrollieren<br />
kann. Was das im Hinblick auf<br />
zukünftige Ausgaben und die Finanzpolitik<br />
<strong>der</strong> EU-Mitgliedsstaaten bedeutet,<br />
kann sich je<strong>der</strong> selbst ausrechnen.<br />
Noch mutiger als das bisher Erwähnte<br />
sind die Analysen des Publizisten hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> ehemaligen Kolonialstaaten,<br />
<strong>der</strong>en Rückständigkeit seiner Meinung<br />
nach vor allem Gründe erkennen<br />
läßt, die in <strong>der</strong> Mentalität und im<br />
Arbeitsethos begründet liegen. In <strong>der</strong><br />
verkürzten Sichtweise <strong>der</strong> politischen<br />
Korrektheit sind es ausschließlich die<br />
früheren Besatzungsmächte, die die<br />
Kolonialisierten ausbeuteten – eine<br />
Deu tung, die die heute vorhandenen<br />
Lektürehinweis:<br />
Gottfried Meinhold,<br />
Prag, Prag – Mitte – Transit<br />
Vechta-Langförden 2008<br />
Zur Besprechung vorgesehen.<br />
Asymmetrien höchstens zum kleinen<br />
Teil schlüssig erklärt. Ihre mangelnde<br />
Plausibilität wird durch wohl bekannte<br />
„Hypermoral“ (Arnold Gehlen) ersetzt.<br />
Kapitel über „1968“ –<br />
APO-Schelte<br />
Im Kapitel über „1968“, das in einer<br />
Analyse <strong>der</strong> unmittelbaren Gegenwartssituation<br />
beinahe obligatorisch ist, läuft<br />
Wagner zur Höchstform auf. Er betrachtet<br />
die von einer im Wohlstand aufgewachsenen<br />
Jugend provozierten Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
als „Überpolitisierung<br />
und -ideologisierung eines<br />
Generationenkonflikts, <strong>der</strong> auf ganz<br />
normalen Mo<strong>der</strong>nisierungsschüben und<br />
<strong>der</strong>en zö gerlicher Akzeptanz in <strong>der</strong><br />
Bevölkerung und in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
beruhte“. Die verän<strong>der</strong>ten materiellen<br />
und mentalen Lebensgrundlagen wurden<br />
vom Wirtschaftswun<strong>der</strong> und dem<br />
damit einhergehenden technischen<br />
Wandel in den 1950er Jahren geschaffen,<br />
nicht von <strong>der</strong>en verwöhnten Kritikern<br />
und Miesmachern. Daß die Revoltierenden<br />
eben nicht alles neu machten,<br />
wie rührselige Legenden uns glauben<br />
machen wollen, verdeutlicht <strong>der</strong> Verfasser<br />
durch einen verblüffend simplen<br />
Hinweis: Auch in einigen Regionen, die<br />
keine Studentenunruhen kannten – zu<br />
erwähnen sind die ehemaligen Ostblockstaaten<br />
o<strong>der</strong> Spanien und Portugal<br />
–, sind die heutigen Lebensverhältnisse<br />
und -gewohnheiten nicht merklich<br />
an<strong>der</strong>s. „1968“ hat höchstens beschleunigt,<br />
was ohnehin gekommen wäre. An<br />
die APO-Schelte schließt sich ein<br />
Abschnitt über die Neufindung einer<br />
gerechten und angemessenen Autorität<br />
an, die insbeson<strong>der</strong>e in Familie und<br />
Schule dringend fehlt.<br />
Der Essay schil<strong>der</strong>t prägnant die Entwicklung<br />
von <strong>der</strong> „DDR nach Ostdeutschland“<br />
(mit einigen signifikan-<br />
Lektürehinweis:<br />
Peter J. Brenner,<br />
Wie Schule funktioniert-<br />
Schüler, Lehrer, Eltern im<br />
Lernprozeß<br />
Kohlhammer 2007<br />
Peter J. Brenners Gespür für Schule<br />
... umfassend, kompetent, anregend!<br />
ten Einbrüchen) o<strong>der</strong> die oft kitschige<br />
Jesus-Welle, die Jesus nur als Kumpel<br />
betrachtet und nicht als Überbringer<br />
einer Wahrheit, die sich häufig kulturbegründend<br />
auswirkte. Die vielen interkulturellen<br />
Dialoge bewertet <strong>der</strong> Autor<br />
wohl nicht zu Unrecht als Zeichen von<br />
Kulturrelativismus und mangeln<strong>der</strong><br />
Fähigkeit, die eigenen Glaubensüberzeugungen<br />
an<strong>der</strong>en überzuordnen, was<br />
im „liberalen“ Westen meist als Fundamentalismus<br />
denunziert wird. Viele<br />
kluge und mit Verve vorgetragene<br />
Gedankengänge könnten noch erwähnt<br />
werden. Zu wi<strong>der</strong>sprechen ist dem leidenschaftlichen<br />
Verteidiger abendländischer<br />
Errungenschaften allerdings,<br />
wenn er behauptet, die so genannte<br />
„Neue Rechte“ habe sich in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
nicht dezidiert genug gegen<br />
neonazistische Einflüsse abgegrenzt.<br />
Vielmehr ist das Gegenteil <strong>der</strong> Fall.<br />
Dieter Stein, Redakteur <strong>der</strong> „Jungen<br />
<strong>Freiheit</strong>“, trennte sich von seinem Brüsseler<br />
Kolumnisten, dem FPÖ-Europaabgeordneten<br />
Andreas Mölzer, wegen<br />
seiner Versuche, Kontakte zur NPD zu<br />
knüpfen. Für das von Wagner erwähnte<br />
„Institut für Staatspolitik“ liegen ähnliche,<br />
ernst zu nehmende Bemühungen<br />
vor, dezidierte Abgrenzungen zur extremen<br />
Rechten vorzunehmen.<br />
Nein, Wagners Streitschrift ist wahrlich<br />
kein „Bäuerchen“ (Götz Kubitschek),<br />
auch wenn vermutet werden darf, daß<br />
die dominanten Deutungseliten das<br />
engagierte Plädoyer nicht zur Kenntnis<br />
nehmen und totschweigen: Es ist wohltuend,<br />
ein solch klares Bekenntnis zu<br />
lesen! Bleibt zu hoffen, daß <strong>der</strong> Verfasser<br />
die Grundlinien des Essays demnächst<br />
ausziehen und eine größere<br />
Monographie über das Thema vorlegen<br />
wird, die alles das im größeren Kontext<br />
präsentiert, was hier nur angedeutet<br />
werden konnte.<br />
Felix Dirsch<br />
Lektürehinweis:<br />
Dokumentation<br />
einer Fachtagung in Fulda<br />
Bildungsgerechtigkeit<br />
Mit Beiträgen zahlreicher <strong>Wissenschaft</strong>ler<br />
und einem Essay zum<br />
Thema von Josef Kraus<br />
Herausgegeben vom Deutschen<br />
Lehrerverband<br />
Burbacher Str. 8, 53129 Bonn<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 29
9. November soll an den Schulen Projekttag für deutsche Geschichte werden<br />
Appell <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz<br />
Tiefensee: Geschichte <strong>der</strong> DDR stärker im Unterricht berücksichtigen<br />
Der 9. November soll nach dem Willen<br />
<strong>der</strong> Kultusminister an allen Schulen zu<br />
einem «Projekttag» für die Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
mit <strong>der</strong> deutschen Ge -<br />
schichte werden.<br />
Am 9. November jähren sich <strong>der</strong> Beginn<br />
<strong>der</strong> Novemberrevolution 1918/1919, die<br />
Reichspogromnacht 1938 und <strong>der</strong> Mauerfall<br />
1989. Das Datum 9. November<br />
biete «die große Chance, Kontinuitäten<br />
und Brüche deutscher Geschichte im 20.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t mit den Schülern zu diskutieren»,<br />
sagte <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz<br />
(KMK), Henry Tesch<br />
(CDU/Mecklenburg-Vorpommern), am<br />
19. <strong>Juni</strong> in Berlin. An diesem Tag könnten<br />
zum Beispiel auch Gedenkstätten<br />
zum Nationalsozialismus o<strong>der</strong> zur DDR-<br />
Geschichte besucht o<strong>der</strong> Schüler zur<br />
Bestellschein<br />
An den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>,<br />
<strong>Bund</strong>esgeschäftsstelle<br />
Charlottenstraße 65, 10117 Berlin-Mitte<br />
Name, Vorname, Titel<br />
Straße, Hausnummer, PLZ, Ort<br />
Ort, Datum, Unterschrift<br />
Vereinfachte Zahlung durch Bankeinzug<br />
An den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, <strong>Bund</strong>esgeschäftsstelle Charlottenstraße 65, 10117 Berlin-Mitte<br />
Name, Vorname, Titel<br />
Straße, Hausnummer, PLZ, Ort<br />
Kto.-<strong>Nr</strong>. Kreditinstitut BLZ<br />
Ort, Datum, Unterschrift<br />
30<br />
«historischen Spurensuche» in Archiven<br />
o<strong>der</strong> Museen angeregt werden.<br />
Der Ost-Beauftragte <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esregierung,<br />
Wolfgang Tiefensee (SPD),<br />
hatte am Vortag in einem Brief an die<br />
Kultusminister appelliert, die Ge -<br />
schich te <strong>der</strong> DDR stärker im Schulunterricht<br />
zu berücksichtigen. So<br />
zeige ein Vergleich <strong>der</strong> Lehrpläne,<br />
daß nicht in jedem <strong>Bund</strong>esland alle<br />
Schüler auch etwas über die friedliche<br />
Revolution von 1989 er fahren.<br />
Tiefensee reagierte damit auf eine<br />
Studie, die bei 16- bis 17-jährigen<br />
Schülern zum Teil er schreckende<br />
Wissensdefizite über die DDR-Zeit<br />
aufgezeigt hatte. Eine Mehrheit <strong>der</strong><br />
Ich bitte um kostenlose Zusendung<br />
■ <strong>der</strong> Satzung des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />
<strong>der</strong> letzten Nummern <strong>der</strong> Zeitschrift „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“:<br />
■ <strong>Juni</strong> 2008 ■ September 2008 ■ Dezember 2008 ■ März <strong>2009</strong><br />
■ Ich bestelle zum Preis von 7,50 Euro die Broschüre<br />
„Notizen zur Geschichte des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>“,<br />
Dezember 2001.<br />
■ Ich bestelle zum Preis von 5,00 Euro die Broschüre Kurt Reinschke,<br />
Bologna-Prozeß und Bachelorisierung <strong>der</strong> deutschen Hochulen,<br />
Berlin 2008.<br />
■ Ich bestelle zum Preis von 5,00 Euro die Broschüre Kurt Reinschke (Hg.),<br />
Bologna-Prozeß in Deutschland: ein Trojanisches Pferd für das deutsche<br />
Hochschulsystem? – Nachschrift zu einer Podiumsdiskussion,<br />
Dresden <strong>2009</strong><br />
Hiermit ermächtige(n) ich/wir den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V. wi<strong>der</strong>ruflich, die von mir/uns zu entrichtenden Zahlungen bei Fälligkeit zu Lasten meines/<br />
unseres Kontos mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein/unser Konto die erfor<strong>der</strong>liche Deckung nicht ausweist, besteht seitens des kontoführenden Kreditinstituts<br />
keine Verpflichtung zur Einlösung. Teileinlösungen werden im Lastschriftverfahren nicht vorgenommen.<br />
■ Jahresbeitrag Einzelmitglied 100,– Euro<br />
■ Jahresbeitrag Mitglied aus den neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n 75,– Euro<br />
■ Jahresbeitrag Berufsanfänger 50,– Euro<br />
■ Jahresbeitrag Schüler/Student 15,– Euro<br />
■ Jahresbeitrag För<strong>der</strong>mitglied 125,– Euro<br />
■ Jährliche Spende<br />
Schüler konnte beispielsweise nicht<br />
sagen, wer für den Bau <strong>der</strong> Mauer<br />
verantwortlich war.<br />
Material ist beispielsweise erhältlich über<br />
die <strong>Bund</strong>esstiftung zur Aufarbeitung <strong>der</strong><br />
SED-Diktatur. Sie ist eine bundesunmittelbare<br />
Stiftung öffentlichen Rechts. Die<br />
Geschäfte <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esstiftung führt ein<br />
ehrenamtlich tätiger Vorstand. Postanschrift:<br />
Kronenstr. 5, 10117 Berlin. Internetseite:<br />
www.stiftung-aufarbeitung.de.<br />
Der Stiftungsrat wählte am 6. Mai <strong>2009</strong><br />
den dritten Stiftungsvorstand für die<br />
kommenden fünf Jahre. Ihm gehören<br />
Rainer Eppelmann, Prof. Dr. Bernd Faulenbach,<br />
Annemarie Franke, Gerry Kley<br />
und Gerd Poppe an.<br />
dpa/<strong>fdw</strong><br />
✄<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Aufgabe des Vereins, Satzung<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> setzt<br />
sich für die <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und<br />
die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Hochschulen und<br />
Schulen ein.<br />
Er wurde am 19. November 1970 in Bad<br />
Godesberg gegründet und ist eine über -<br />
parteiliche Vereinigung zur Verteidigung <strong>der</strong><br />
<strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> von<br />
Forschung, Lehre und Studium. Auf <strong>der</strong><br />
Grund lage <strong>der</strong> freiheitlich-demokratischen<br />
Rechtsordnung <strong>der</strong> <strong>Bund</strong>esrepublik Deutsch -<br />
land und im Bewußtsein <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Verantwortung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> setzt<br />
sich <strong>der</strong> Verein unter Ausschluß von parteipolitischen<br />
Bindungen zur Aufgabe:<br />
1. die <strong>Freiheit</strong> von Forschung, Lehre und<br />
Studium zu wahren und zu för<strong>der</strong>n,<br />
2. sich je<strong>der</strong> Unterwerfung unter die Machtansprüche<br />
einzelner Gruppen o<strong>der</strong><br />
Interes sen zu wi<strong>der</strong>setzen,<br />
3. auf eine Politik zu drängen, die eine stetige<br />
Verbreiterung <strong>der</strong> Bildungschancen mit<br />
<strong>der</strong> Erhöhung <strong>der</strong> Leistungsmaßstäbe verbindet.<br />
Regionalbeauftragte<br />
Baden-Württemberg:<br />
Professor Dr. Jürgen Kullmann,<br />
Panoramastr. 27, 72116 Mössingen,<br />
Tel. Universität Tübingen (0 74 73) 57 68<br />
Fax (0 74 73) 2 67 68,<br />
E-Mail: juergen.kullmann@uni-tuebingen.de<br />
Bayern:<br />
Oberstudiendirektor Willi Eisele,<br />
Kiefernweg 1, 82515 Wolfratshausen,<br />
Tel. (0 89) 23343126, Tel. (0 81 71) 41 09 23,<br />
E-Mail: willi.eisele@gmx.de<br />
Berlin und Brandenburg:<br />
Oberschulrat Gerhard Schmid,<br />
Markelstraße 53, 12163 Berlin,<br />
Tel. priv. (0 30) 79 218 93,<br />
Mobil (01 70) 8 15 78 65,<br />
Dienstl. (0 30) 9 02 98-36 22,<br />
Fax priv. (030) 79 01 62 61<br />
E-Mail: ger-schmid@web.de<br />
Bremen:<br />
Professor Dr. Wolfgang Dreybrodt,<br />
Bekassinenstr. 86, 28357 Bremen,<br />
Tel. (04 21) 27 18 79, E-Mail: dreybrodt@t-online.de<br />
Hamburg:<br />
Staatsrat a. D. Dr. Reiner Schmitz<br />
Elbchaussee 110, 22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 8 00 22 73, Fax (0 40) 87 08 05 16<br />
E-Mail: reinerschmitzhh@yahoo.de<br />
Hessen:<br />
Privatdozent Dr. habil. Siegfried Uhl,<br />
Homburger Landstraße 225/I 408,<br />
60435 Frankfurt am Main,<br />
Tel. (06 11) 5 82 7110<br />
Fax (0611) 5827109<br />
E-Mail: s.uhl@iq.hessen.de<br />
Mecklenburg-Vorpommern:<br />
Professor Dr. Klaus-Dieter Rosenbaum,<br />
Bärenfelsallee 20, Gutshaus Rustow, 17121 Loitz<br />
Der Satzungszweck wird verwirklicht insbeson<strong>der</strong>e<br />
durch die Durchführung wissenschaft -<br />
licher Veranstaltungen und Forschungs vor -<br />
haben, Publikationen und In formationen <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit über die Situation von Hochschule,<br />
Schule und <strong>Wissenschaft</strong> (§ 2 <strong>der</strong> Satzung).<br />
Die vollständige Satzung kann mit dem in<br />
diesem Heft abgedruckten Bestellschein<br />
angefor<strong>der</strong>t werden.<br />
Vorstand:<br />
Vorsitzende<br />
Dr. Hans Joachim Geisler, Dernburgstr. 53,<br />
14057 Berlin, Tel. (0 30) 322 3158, Fax über<br />
BFW-Büro, E-Mail: hjgeisler@gmx.de<br />
Oberstudiendirektor Dr. Winfried Holzapfel,<br />
An <strong>der</strong> Ölmühle 16, 47608 Gel<strong>der</strong>n,<br />
Tel. (0 28 31) 4416, Fax (0 28 31) 99 29 72,<br />
E-Mail: dr.winfried.holzapfel@t-online.de<br />
Professor Dr. Dr. Kurt J. Reinschke,<br />
Wachwitzer Bergstr. 32, 01326 Dresden,<br />
Tel. (0351) 2686166<br />
E-Mail: kurt.reinschke@tu-dresden.de<br />
E-Mail: kurt.reinschke@t-online.de<br />
Schatzmeister<br />
Professor Dr. Günter Püttner,<br />
Schwerdstr. 3, 67346 Speyer<br />
Tel. (0 62 32)719 97<br />
Tel./Fax (03 99 98) 3 12 93,<br />
E-Mail: rosen@uni-greifswald.de<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen:<br />
Oberstudiendirektor Bernd Ostermeyer<br />
Lageweg 4, 29342 Wienhausen<br />
Tel./Fax (0 51 49) 82 63<br />
Dienstl. Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium<br />
– Europaschule –<br />
Hannoversche Straße 53, 29221 Celle<br />
Tel. (05 1 41) 92 40 30<br />
Fax (0 51 41) 90 77 68<br />
E-Mail: sl@kav-celle.de<br />
Nordrhein-Westfalen:<br />
Studiendirektor Norbert Schlö<strong>der</strong>,<br />
Pater-Delp-Str. 11, 47877 Willich,<br />
Tel. (0 21 54) 8 76 84<br />
E-Mail: norbert.schloe<strong>der</strong>@t-online.de<br />
Sachsen:<br />
Professor Dr. Sigismund Kobe<br />
Leonhard-Frank-Str. 32, 01069 Dresden,<br />
Tel. (03 51) 4 71 43 11<br />
E-mail: kobe@theory.phy.tu-dresden.de<br />
Thüringen:<br />
Professor Dr. Gerd Wechsung,<br />
Rosenweg 3, 07751 Cospeda,<br />
Tel. (0 36 41) 44 76 73<br />
Sektion Berlin-Brandenburg:<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Dr. habil. Till Kinzel,<br />
Dortmun<strong>der</strong> Str. 15, 10555 Berlin,<br />
Tel. (0 30) 3 92 55 00,<br />
E-Mail: till.kinzel@gmx.de<br />
Abonnement <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>fdw</strong><br />
Jahresabonnement für Nichtmitglie<strong>der</strong>: 12,–<br />
Euro inkl. Porto und Versandkosten. Für Mitglie<strong>der</strong><br />
des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> ist<br />
<strong>der</strong> Verkaufspreis durch den Mitgliedsbeitrag<br />
abgegolten. Auch Spen<strong>der</strong> erhalten die Zeit-<br />
Erweiterter Vorstand:<br />
Professor Dr. Wolfgang Dreybrodt,<br />
Bekassinenstr. 86, 28357 Bremen,<br />
Tel. (04 21) 27 18 79<br />
E-Mail: dreybrodt@t-online.de<br />
Oberstudiendirektor Josef Kraus,<br />
Fürstenstr. 59, 84032 Ergolding,<br />
Tel. (08 71) 6 86 74, Fax (08 71) 63 03 90,<br />
E-Mail: josef.kraus@landshut.org<br />
Dr. Brigitte Pötter<br />
Heinrich-Heine-Str. 7 b, 15831 Mahlow<br />
Tel. (0 33 79) 20 58 65,<br />
Fax (0 33 79) 2061 26<br />
E-Mail: bpoetter@gmx.de<br />
Professor Dr. Klaus-Dieter Rosenbaum,<br />
Bärenfelsallee 20, Gutshaus Rustow,<br />
17121 Loitz,<br />
Tel./Fax (03 99 98) 3 12 93,<br />
E-Mail: rosen@uni-greifswald.de<br />
Professor Dr. Winfried Schlaffke,<br />
Rüdellstr. 10, 50737 Köln,<br />
Tel. (02 21) 74 7159,<br />
Fax (02 21) 7 40 52 50,<br />
E-Mail: w.schlaffke@t-online.de<br />
schrift kostenlos. Bitte verwenden Sie für ein<br />
Abonnement einfach den beigefügten Abschnitt.<br />
Mitgliedschaft, Jahresbeiträge<br />
Schüler, Studenten 15,– Euro, Berufsanfänger 50,–<br />
Euro, Einzelmitglie<strong>der</strong> 100,– Euro, För<strong>der</strong>mitglie<strong>der</strong><br />
125,– Euro, Mitglie<strong>der</strong> aus den neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
75,– Euro.<br />
Mitglie<strong>der</strong> erhalten die Zeitschrift „freiheit <strong>der</strong> wissenschaft“<br />
und sonstige Veröffentlichungen des BFW<br />
kostenlos.<br />
Mitgliedsbeiträge sind steuerbegünstigt (s. u.); sie erhalten<br />
ohne Auffor<strong>der</strong>ung eine Spendenbescheinigung.<br />
Bitte verwenden Sie die beigefügte Beitrittserklärung<br />
und zur Vereinfachung <strong>der</strong> Zahlungen am besten auch<br />
die beigefügte Ermächtigung zum Bankeinzug.<br />
Spenden<br />
Für Spenden auf das Konto <strong>Nr</strong>. 0 233 858, (BLZ<br />
380 700 24) Deutsche Bank Bonn ist <strong>der</strong> <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> dankbar. Spenden an den<br />
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> sind steuerbegünstigt<br />
(s. u.). Sie erhalten ohne Auffor<strong>der</strong>ung eine Spendenbescheinigung.<br />
Für regelmäßige Spenden können<br />
Sie zur Vereinfachung <strong>der</strong> Zahlungen am besten die<br />
beigefügte Ermächtigung zum Bankeinzug benutzen.<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V. ist we -<br />
gen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> und <strong>der</strong> Volksbildung<br />
(entspr. Abschnitt A <strong>Nr</strong>. 4 <strong>der</strong> Anlage 1 zu<br />
§ 48 Abs. 2 EStDV) nach dem letzten uns zugegangenen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts<br />
für Körperschaften I von Berlin, St<strong>Nr</strong><br />
27/657/50589, vom 22. 2. 2007 für die Jahre<br />
2003, 2004 und 2005 nach § 5 Abs. 1 <strong>Nr</strong>. 9 des<br />
Körperschaftssteuergesetzes von <strong>der</strong> Körperschaftssteuer<br />
befreit, weil er ausschließlich und<br />
unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen<br />
Zwecken im Sinne <strong>der</strong> §§ 51 ff. AO dient.<br />
2/<strong>2009</strong> <strong>fdw</strong> 31
<strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V.<br />
Charlottenstraße 65, 10117 Berlin Telefon (030) 204 547 04, Telefax (030) 204 547 06,<br />
bund.freiheit.wissenschaft@t-online.de, http://www.bund-freiheit-<strong>der</strong>-wissenschaft.de<br />
Wir brauchen ein leistungsorientiertes Bildungssystem.<br />
Der Bologna-Prozeß in den Hochschulen erreicht seine Ziele nicht. Diese wissenschaftsfremde Reform hat nur zu<br />
mehr Bürokratie geführt. Professoren und Studenten lehnen sie ab. Alternativen wie Diplom- und Magisterstudiengänge<br />
o<strong>der</strong> Staatsexamen sind nicht zugelassen o<strong>der</strong> sollen auch bei Lehrern, Juristen und Medizinern abgeschafft<br />
werden. Von <strong>Freiheit</strong> in Lehre und Studium ist keine Rede. Der Bachelor-Abschluß bietet keine wissenschaftliche<br />
Berufsqualifikation. Die Mobilität <strong>der</strong> Studenten sinkt. Es gibt weiter hohe Abbrecherquoten. Die Studienorganisation<br />
ist bürokratisch und wi<strong>der</strong>spricht dem Ziel einer umfassenden wissenschaftlichen Bildung.<br />
Wir sind gegen die Einheitsschule. Denn nur ein geglie<strong>der</strong>tes Schulwesen wird den unterschiedlichen Begabungen<br />
<strong>der</strong> Schüler gerecht. Verschiedene Schultypen entsprechen <strong>der</strong> unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und den unterschiedlichen<br />
Zukunftsvorstellungen <strong>der</strong> Schüler. Das geglie<strong>der</strong>te Schulwesen vermittelt Bildung, nicht nur Ausbildung.<br />
Bildung bedeutet auch Entwicklung <strong>der</strong> Persönlichkeit. Gesamtschulen haben sich nicht bewährt, auch nicht<br />
bei <strong>der</strong> Aufgabe, soziale Unterschiede auszugleichen. Leistung in <strong>der</strong> Bildung betrifft Qualität, nicht nur Quantität.<br />
Das Abitur muß die Studierfähigkeit nicht nur bescheinigen, son<strong>der</strong>n auch gewährleisten.<br />
Der <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> hat seit 1970 für die <strong>Freiheit</strong> von Forschung, Lehre und Studium gestritten.<br />
Er hat sich für hohe Leistungsmaßstäbe in den Schulen und ein begabungsgerechtes Schulsystem eingesetzt.<br />
Beide Ziele sind wie<strong>der</strong> in Gefahr.<br />
Wir brauchen Mitstreiter. Unterstützen Sie unsere Ziele und unsere Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft!<br />
Wir heißen Sie im <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> herzlich willkommen.<br />
Dr. Hans Joachim Geisler Dr. Winfried Holzapfel Professor Dr. Kurt Reinschke<br />
Ich möchte dem <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> e.V. beitreten als<br />
o Einzelmitglied zum Jahresbeitrag von 100,– Euro<br />
o Mitglied aus den neuen <strong>Bund</strong>eslän<strong>der</strong>n zum Jahresbeitrag von 75,– Euro<br />
o Berufsanfänger zum Jahresbeitrag von 50,– Euro<br />
o Schüler/Student zum Jahresbeitrag von 15,– Euro<br />
o För<strong>der</strong>mitglied zum Jahresbeitrag von 125,– Euro<br />
Im Mitgliedsbeitrag ist die kostenlose Zusendung <strong>der</strong> Zeitschrift <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> enthalten.<br />
Ich zahle meinen Beitrag auf das Konto des <strong>Bund</strong>es <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> bei <strong>der</strong> Deutschen Bank AG<br />
Bonn, BLZ 380 700 24, Kontonummer 0233858.<br />
Mitgliedsbeiträge für den <strong>Bund</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> sind steuerbegünstigt.<br />
Ich bin damit einverstanden, daß meine persönlichen Daten nur für die satzungsgemäßen Zwecke des Vereins elektronisch<br />
gespeichert werden.<br />
Name und Anschrift:<br />
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