fdw Nr. 2 Juni 2009 - Bund Freiheit der Wissenschaft eV
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„Mit den neu-deutschen Graden ,Bachelor, Master und Ph. D.‘ wird <strong>der</strong> deutschen studierenden Jugend<br />
<strong>der</strong> Weg in ihre angestammte akademische Behausung versperrt.“<br />
„Heiße Magister, heiße Doktor gar …“<br />
Akademische Grade und Ämter in den deutschen Landen im Wandel <strong>der</strong> Zeiten<br />
von Kurt Reinschke<br />
Wenn Goethe seinen Faust am Beginn<br />
<strong>der</strong> Tragödie erster Teil sinnieren läßt:<br />
„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin<br />
so klug als wie zuvor, heiße Magister,<br />
heiße Doktor gar, ...“, so geht es ihm<br />
um den lebensweltlichen Wert <strong>der</strong> höchsten<br />
akademischen Würden, die an den<br />
mittelalterlichen europäischen Univer -<br />
sitäten erworben werden konnten. Die<br />
Termini Magister (= Vorsteher, Meister,<br />
Lehrmeister) und Doktor (= Lehrmeis -<br />
ter, Lehrer) wurden jedoch schon Jahrhun<strong>der</strong>te<br />
vor den ersten Universitätsgründungen<br />
verwendet. Im alten Rom<br />
stand zum Beispiel M. census für<br />
Finanz minister, M. municipiorum für<br />
Gemeindevorsteher, M. equitum für<br />
Reiteroberst, M. morum für Sittenwächter.<br />
Die frühe Christenheit würdigte den<br />
Völkerapostel Paulus als Doctor gentium<br />
und die Kirchenväter als Doc tores<br />
ecclesiae. Seit dem Zeitalter <strong>der</strong> Scholastik<br />
bezeichnen die Titel Magister und<br />
Doctor akademische Ämter und Würden.<br />
Der vorliegende Aufsatz handelt<br />
von <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> akademischen<br />
Grade und Ämter in Deutschland, vom<br />
12. Jahrhun<strong>der</strong>t bis zum 21. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
Aufstieg und Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong><br />
europäischen Universitäten<br />
Die ersten Universitäten im lateinischen<br />
Europa, die nach unserem heutigen<br />
Sprachgebrauch aber nur einzelne<br />
Fakultäten waren, entstanden im 12.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t in Italien, so die Rechtsschule<br />
in Bologna und die medizinische<br />
Schule in Salerno. In Bologna wurde<br />
das Doktorat erstmals zu einer akademischen<br />
Würde gestempelt, als im Auftrage<br />
des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa<br />
dort Doctores legum (= Gesetzeslehrer)<br />
ernannt wurden. In <strong>der</strong><br />
damaligen Zeit <strong>der</strong> Scholastik entwikkelte<br />
sich Paris zum geistigen Mittelpunkt<br />
Europas. Die Universität von<br />
Paris wurde zum Muster für alle abendländischen<br />
Universitäten. Die innere<br />
4<br />
Organisation grün dete zunächst auf<br />
einer Einteilung <strong>der</strong> Schüler und Lehrer<br />
nach ihrer Natio na lität. Später dominierte<br />
die Einteilung nach Fakultäten<br />
(facultates o<strong>der</strong> ordines), die man sich<br />
als zunftartige Kollegialverbände unter<br />
den Lehrern <strong>der</strong> Theologie, <strong>der</strong> Jurisprudenz<br />
und <strong>der</strong> Medizin vorzustellen<br />
hat. Die „Universitas Lit terarum“ repräsentierte<br />
die Gesamtheit <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>en<br />
jener Zeit. Es war eine korporativ<br />
verfaßte „Universitas magistrorum<br />
et scholarium“ (= Gemeinschaft <strong>der</strong><br />
Lehrenden und Lernenden) mit drei<br />
Fakultäten – für Theologie, Jurisprudenz<br />
und Medizin. Hinzu kam <strong>der</strong> „ordo<br />
artium liberalium“ (= Fakultät <strong>der</strong> freien<br />
Künste, kurz „Artistenfakultät“) als<br />
vierte, auf die Fachstudien vorbereitende<br />
Struktureinheit.<br />
Der Papst Gregor IX (Pontifikat von<br />
1227 bis 1241) gewährte <strong>der</strong> Pariser<br />
Universität Privilegien und entließ sie<br />
schließlich in die Autonomie. 1231<br />
ordnete <strong>der</strong> Papst das Baccalaureat als<br />
niedrigsten Universitätsgrad, den die<br />
studiosi an <strong>der</strong> Universität von Paris<br />
erlangen konnten, an. Der Name „baccalaureus“<br />
kommt vom französischen<br />
bas chevalier (= Unterritter, Knappe)<br />
her und ist von dort auf das Universitätswesen<br />
übertragen worden. Die Univer<br />
sität erhielt das Recht, selbst akade -<br />
mische Titel zu verleihen, als höchste<br />
Würden den Doktor <strong>der</strong> Theologie<br />
(doctor theologiae), den Doktor <strong>der</strong><br />
Medizin (d. medicinae) und den Doktor<br />
bei<strong>der</strong> Rechte (d. utriusque iuris). Die<br />
Pariser Universität strahlte auf die an<strong>der</strong>en<br />
europäischen Län<strong>der</strong> aus. Dort entstanden<br />
in den folgenden Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />
ebenso verfaßte Universitäten. Kaiser<br />
Karl IV übertrug das Universitätswesen<br />
auf Deutschland. Mit kaiserlicher und<br />
päpstlicher Genehmigung entstanden<br />
die Universitäten in Prag (1348), Wien<br />
(1365), Heidelberg (1386), Köln<br />
(1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409),<br />
... Unter den Baccalaurei wurden mehrere<br />
Stufungen unterschieden: baccalau-<br />
rei simplices (einfache B.), baccalaurei<br />
sententiarii (geistreichere B.) und baccalaurei<br />
for mati (gebildete B.). Die baccalaurei<br />
licentiati durften gewisse Vorlesungen<br />
für die studiosi schon selbst<br />
halten, mußten zugleich aber weitere<br />
Kollegien <strong>der</strong> Magister besuchen. Die<br />
Magistri artium liberalium (= Meister<br />
<strong>der</strong> freien Künste) waren die uneingeschränkten<br />
Lehrmeister innerhalb <strong>der</strong><br />
Artistenfakultät.<br />
Den Lehrstoff <strong>der</strong> Artistenfakultät <strong>der</strong><br />
mittelalterlichen Universität bildeten<br />
die sieben freien Künste (= septem artes<br />
liberales), unterteilt in „Trivium“ und<br />
„Quadrivium“. Das Trivium (lat. „Dreiweg“,<br />
aber auch „öffentliche Straße“,<br />
also allgemein zugänglich) umfaßte die<br />
drei sprachlichen Fächer: 1 Grammatik<br />
(mit Literatur), Dialektik (mit Logik),<br />
Rhetorik (mit Recht und Ethik).<br />
Das Quadrivium (lat. „Vierweg“) be -<br />
inhaltete den weiterführenden Komplex<br />
<strong>der</strong> vier mathematischen Fächer: 2 Arithmetik,<br />
Geometrie (inkl. Geographie und<br />
Naturgeschichte), Astronomie/Astro lo -<br />
gie, Musiktheorie. Im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
entwickelten sich aus den Artistenfakultäten<br />
die philosophischen Fakultäten.<br />
Die höchste Würde an <strong>der</strong> unteren o<strong>der</strong><br />
Artistenfakultät war die des Magisters<br />
<strong>der</strong> freien Künste (M. artium liberalium).<br />
Die drei oberen Fakultäten (für<br />
Theologie, Jurisprudenz und Medizin)<br />
promovierten zu Doktoren.<br />
Die Lebensläufe von Doctor Martinus<br />
Luther und Magister Philippus Melan -<br />
chthon gewähren uns einen guten Einblick<br />
in das Universitätsleben <strong>der</strong> Re -<br />
formationszeit. Der 1483 in Eisleben geborene<br />
Martin Luther bezog 1501 die<br />
Universität Erfurt mit <strong>der</strong> Absicht, Rechtsgelehrter<br />
zu werden. Wie damals üblich<br />
studierte er zunächst an <strong>der</strong> Artistenfakultät,<br />
erwarb 1502 das Bakka laureat<br />
und 1505 die Magisterwürde. Erst nachdem<br />
Luther 1505 in das Erfurter Augustinerkloster<br />
eingetreten war, begann er<br />
mit theologischen Studien. 1508 ging er<br />
<strong>fdw</strong> 2/<strong>2009</strong>