Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
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Krieg die Menschlichkeit nicht stirbt.<br />
Er verkörpert die Gestalt des Humanum.<br />
Ecce homo, scheint die Welt zu<br />
rufen, jene Kleinen und Demütigen,<br />
die den Glauben an die Herrscher in<br />
den Palästen, an ihre Versprechungen<br />
und hohlen Phrasen weitgehend verloren<br />
haben und die in dem Stellvertreter<br />
die Verheißung eines besseren<br />
Lebens wahrnehmen. Aus aller Welt<br />
kommen die Pilgergruppen, die<br />
meisten aus Italien. Im grünen Büstentalar<br />
präsentieren sich die „Amici<br />
di San Rocco Scilla“ neben einer<br />
Gruppe Studenten aus Neapel und<br />
einer weiteren aus New York. Die<br />
Stadtsparkasse Schmallenberg und<br />
das Klinikum Traunstein sind ebenso<br />
vertreten wie der Lions Club aus<br />
Verona und die Gruppe der Großeltern<br />
mit ihren Enkeln aus Betancour.<br />
Das Volk Gottes schart sich um den<br />
Oberhirten, videre Petrum. Ihre Namen<br />
sind Ausdruck der Volksfrömmigkeit:<br />
„Madre di bambino Gesu“,<br />
„Mutter des heiligsten Rosenkranzes<br />
der Ureinwohner“, „Mutter der Wunden“;<br />
der Kirchenchor von Rheinböllen<br />
ist da, eine Pilgerschar aus<br />
Dünkirchen mit ihrem Bischof,<br />
die Kolping-Familie von Mühlheim,<br />
ein evangelisches Dekanat,<br />
eine katholische Erziehergemeinschaft<br />
– das Bayerische<br />
Pilgerbüro spricht von einem<br />
anhaltenden „Rom-Boom“.<br />
Es stört offenbar niemanden,<br />
dass Zeitungen kurz zuvor<br />
noch über Unmut im Vatikan<br />
berichtet haben, weil Benedikt<br />
XVI. sich sehr zurückhalte,<br />
kaum jemanden empfange,<br />
die Distanz zum Volk suche<br />
und auch die „prima fila“, die<br />
erste Reihe der Gläubigen<br />
abgeschafft habe, die nach<br />
der Audienz zum Stuhl des<br />
Kirchenoberhaupts kommen,<br />
ihn begrüßen und beschenken<br />
dürfen. Die prima fila gibt es<br />
nicht mehr, in der Tat, aber der<br />
Grund ist ein anderer: Benedikt<br />
XVI. geht jetzt selber zu<br />
den Gläubigen. Und danach<br />
zu den Kranken und Kindern<br />
in den unteren Reihen. Er<br />
spricht mit ihnen, streichelt<br />
Kindern über den Kopf, tröstet<br />
und segnet Rollstuhlfahrer<br />
und ihre Pflegeschwestern,<br />
schüttelt Hände hinter den Absperrungen,<br />
hört zu und hat ein<br />
aufmunterndes Wort für jeden,<br />
der ihn ansprechen kann. Vor<br />
der Audienz war sein Wagen<br />
mit dem Nummernschild SCV<br />
– 1 durch die Menge gefahren,<br />
offen, ohne Panzerglas, unter<br />
dem Jubel der Gläubigen und<br />
unter den angestrengten Blicken<br />
der Leibwächter. Sie sind<br />
die Leidtragenden der neuen<br />
Situation, nicht das Volk.<br />
Man hat sich daran gewöhnt,<br />
dass vor allem die linkslibera-<br />
len Medien von Zeit zu Zeit versuchen,<br />
den Papst mittels Gerüchten in<br />
Misskredit zu bringen. Die Tatsachen<br />
sprechen eine andere Sprache. Dieser<br />
Papst hat im ersten halben Jahr seines<br />
Ponitifikats doppelt so viel Menschen<br />
versammelt wie sein Vorgänger. „Er<br />
ist einer von uns, unser Freund“, sagt<br />
begeistert ein junger glatzköpfiger Taxifahrer.<br />
Sie lieben seine natürliche,<br />
fast schüchterne Art, sein charmantes<br />
„Grazie“, seine einladenden Gesten,<br />
seine nahezu linkisch-grüßende<br />
Hand, seine tiefgründigen aber für<br />
jedermann verständlichen Worte, zum<br />
Beispiel die Schlussfolgerung der Katechese<br />
an diesem Mittwoch: „Wenn<br />
wir Christus nachfolgen, machen wir<br />
alles richtig“. Und das Gebet für die<br />
Opfer von Katastrophen in diesen<br />
Tagen, für alle, die in „geistlicher und<br />
physischer Not“ ausharren müssen.<br />
„Wir können uns das Phänomen nicht<br />
so recht erklären,“ meint ein Vaticanist,<br />
der seit mehr als zwei Jahrzehnten<br />
die römische Szene beobachtet.<br />
Vermutlich sei es so, dass sich die<br />
Hoffnung hier Bahn breche, sagt er.<br />
„Wie sollen wir das nur im Winter<br />
machen, die Halle Paul VI. fasst nur<br />
zehntausend Menschen“, fragt er<br />
sich halblaut und schaut sinnend auf<br />
die Tauben, die vor dem tiefblauen<br />
Firmament die Christus-Figur auf der<br />
Fassade von Sankt Peter umsegeln.<br />
Vor diesem Hintergrund darf<br />
man auch den Antrag des militanten<br />
Atheisten und Grünen-Abgeordneten<br />
Hans Christian Ströbele sehen. Er hat<br />
in einer Anfrage an die Bundesregierung<br />
seine „große Sorge“ darüber<br />
bekundet, ob „wir noch Papst sind“,<br />
denn der Papst habe ja die Staatsangehörigkeit<br />
des Vatikans und deshalb<br />
habe Benedikt XVI. seine deutsche<br />
Staatsangehörigkeit aufgeben müssen.<br />
Soviel kann man sagen: Benedikt<br />
XVI. ist ein Bezugspunkt für alle<br />
Menschen guten Willens. Insofern gehört<br />
Ströbele schon nicht mehr dazu.<br />
Und dass sich der Altachtundsechziger<br />
nun auf einmal um Deutschland<br />
sorgt, hat mehr mit der Heuchelei und<br />
doppelten Moral von Pharisäern zu<br />
tun als mit echtem Patriotismus. Und<br />
es ist wie damals: Während die Pharisäer<br />
der Politik den Menschen nur<br />
schwere Lasten aufbürden, wirkt die<br />
Frohe Botschaft des Einen und Seines<br />
Stellvertreters heute befreiend. Das<br />
dürfte das Geheimnis des Phänomens<br />
vom Petersplatz sein.<br />
q<br />
346 DER FELS 12/<strong>2005</strong>