Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bahnhofsplatz von Luzern. Darunter Standaktion der Schweizer Initiative<br />
Wahre Liebe Wartet. Eine Aktion die großes Aufsehen und bei Jugendlichen<br />
Nachdenklichkeit über ihr sexuelles Verhalten hervorgerufen hat.<br />
Quelle: www.jesus.ch<br />
Die zweite Verstehenshilfe, die über<br />
das glaubensmäßige Erkennen hinausgeht,<br />
hat mit der Psychologie des<br />
Menschen zu tun. Man lernt als Seelsorger<br />
recht viele Ehepartner kennen,<br />
die zwar vor der Ehe sexuelle Kontakte<br />
pflegten, aber in ihrer Partnerschaft<br />
nie richtig eins geworden sind. Man<br />
hat den Eindruck, dass die Zahl der<br />
von Ehe und Partnerschaft frustrierten<br />
Menschen parallel zur Anzahl der<br />
freien vorehelichen Beziehungen zunimmt.<br />
Das körperliche Einswerden<br />
ist vom Ein-Herz-und-Eine-Seele-<br />
Werden zu unterscheiden. Ein tiefer<br />
Sinn der Enthaltsamkeit vor der Ehe<br />
liegt unter anderem darin, zwei Seelen<br />
aufeinander abzustimmen. <strong>Der</strong><br />
Verzicht auf die geschlechtliche Vereinigung<br />
kann zu einer objektiveren<br />
Annäherung führen, während die körperliche<br />
Nähe durchaus blind machen<br />
kann für charakterliche Differenzen.<br />
Manchmal ist Sex ein Ausgleichsversuch<br />
für einen fehlenden Gleichklang<br />
des Herzens. Diese Erkenntnis hat<br />
z.B. Walter Trobisch, der verdiente<br />
Eheberater und Buchautor, aus vielen<br />
Praxisfällen zusammengetragen.<br />
Einmal bringt er einen treffenden<br />
Vergleich: Wenn ein Orchester seine<br />
Instrumente stimmt, beginnen die<br />
leisen Instrumente zuerst, die Pauken<br />
kommen zum Schluss. So sei es auch<br />
mit der Freundschaft vor der Ehe: Die<br />
charakterliche und seelische Annäherung<br />
muss vorausgehen. <strong>Der</strong> Paukenschlag<br />
der körperlichen Ganzhingabe<br />
ist die Krönung in der Ehe.<br />
Wie gesagt, vernünftige Gründe,<br />
seien sie soziologischer oder psychologischer<br />
Natur, greifen nur begrenzt,<br />
wenn man Katholiken heute die<br />
Pflege der vorehelichen Keuschheit<br />
nahe legen will. Ich sage bewusst Katholiken,<br />
weil nicht nur Jugendliche<br />
davon betroffen sind, sondern genauso<br />
Erwachsene, wie z.B. Singles oder<br />
Witwer. Vielleicht sind Jugendliche<br />
sogar offener, wenn man ihnen wirklich<br />
vom Glauben her Auskunft gibt.<br />
„Die Keuschheit ist meiner Meinung<br />
nach die Grundlage aller Tugenden;<br />
sie muss in der Tat als Fundament<br />
des ganzen religiösen Lebens<br />
dienen.“ Diese Aussage erreicht möglicherweise<br />
nicht die Qualifikation für<br />
ein Lehrbuch der moraltheologischen<br />
Tugendlehre, dafür trägt sie die<br />
Unterschrift eines der erfahrensten<br />
Jugendseelsorgers aller Zeiten, die<br />
Don Boscos. Theologisch betrachtet<br />
sind Glaube, Hoffnung und Liebe<br />
die Grundpfeiler aller Tugenden, die<br />
Fundamente des religiösen Lebens.<br />
Seelsorglich betrachtet wird Don Bos-<br />
co recht haben; ohne die Keuschheit<br />
magert auch das Glaubensleben ab,<br />
stirbt allmählich die übernatürliche<br />
Liebe. In den vergangenen Jahren<br />
wurden intensive Analysen über das<br />
schwindende Glaubensbewusstsein<br />
in der westlichen Welt ausgearbeitet.<br />
Dieser Zusammenhang scheint im<br />
allgemeinen wenig bedacht worden<br />
zu sein: Je ungebundener Christen<br />
ihr Sexualleben gestalten, desto bindungsloser<br />
werden sie mit der Zeit<br />
auch im Glaubensleben. In meiner<br />
bescheidenen Erfahrung als Seelsorgspriester<br />
kann ich bezeugen: die<br />
einschneidendste Entfremdung junger<br />
Menschen vom kirchlichen Leben<br />
setzt in der Phase ein, wo Jugendliche<br />
sexuell aktiv werden. <strong>Der</strong> Geschmack<br />
an den geistlichen Gütern nimmt<br />
parallel zum Geschmack am ungeordneten<br />
geschlechtlichen Genuss<br />
ab. Die Beifügung „ungeordnet“ im<br />
vorhergehenden Satz ist wichtig, weil<br />
die Aussage nur für außereheliche<br />
Beziehungen gilt. In einer durch den<br />
Ehebund besiegelten Ganzhingabe<br />
von Mann und Frau ist die körperliche<br />
Vereinigung – wenn sie gottgemäß<br />
vollzogen wird – ein Abbild des Bundes,<br />
den Christus mit uns geschlossen<br />
hat, und kann durchaus tiefer zu Gott<br />
hinführen.<br />
Warum trübt die Unkeuschheit,<br />
der ungeordnete Gebrauch der Geschlechtskraft,<br />
so leicht das Gottesverhältnis?<br />
Thomas von Aquin sieht<br />
den Zusammenhang darin, dass „die<br />
Aufmerksamkeit des Menschen durch<br />
diese Sünde sehr stark auf Körperliches<br />
gelenkt und folglich die Aufmerksamkeit<br />
auf die geistigen Wirklichkeiten<br />
geschwächt wird“ (Vgl.<br />
Summa theologiae I-II, quaestio 15).<br />
In einem letzten gedanklichen<br />
Aufschwung wollen wir uns die<br />
Mittel überlegen, die helfen können,<br />
ein keusches Leben vor der Ehe, aber<br />
auch in der Ehe, zu führen. Wenn Gott<br />
wirklich durch die Lehre der Kirche<br />
zu uns spricht und die Beachtung<br />
dieser Lehre der richtige Weg zum<br />
Heil ist, muss es auch entsprechende<br />
Mittel geben, die diese Lehre lebbar<br />
machen.<br />
Wiederum möchte ich ein wenig<br />
aus eigener Erfahrung schreiben. Betrachtet<br />
man Kinder, wie sie täglich<br />
Schleckereien zu sich nehmen, wie<br />
ihnen zu allen Jahreszeiten fast alle<br />
354 DER FELS 12/<strong>2005</strong>