Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
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DER FELS 4215<br />
PVSt/Entgelt bezahlt/DPAG<br />
<strong>Fels</strong>-Verein e.V., Auslieferung<br />
Postfach 11 16<br />
86912 Kaufering<br />
Nach einem langen Lazarett-Aufenthalt<br />
musste<br />
der Soldat Ludwig S.<br />
nicht mehr an die Front zurück.<br />
Er bekam den Auftrag, ein Lager<br />
mit 15 französischen Kriegsgefangenen<br />
in der Heimat zu<br />
bewachen. Jeden Morgen musste<br />
er die Gefangenen so rechtzeitig<br />
fortschicken, dass sie um 7.00<br />
Uhr auf den Bauernhöfen in den<br />
umliegenden Dörfern eintrafen, und<br />
am Abend musste er darüber wachen,<br />
dass sie alle wieder pünktlich ins<br />
Lager zurückkamen. Damit hatte er<br />
mitten im Krieg das große Los gezogen,<br />
denn während seine früheren<br />
Kameraden an der Front in Russland<br />
frieren, hungern oder verbluten mussten,<br />
konnte Ludwig S. bequem seinen<br />
Dienst in der Heimat tun, zumal in<br />
der näheren Umgebung seine Eltern<br />
und Geschwister ihre Bauernhöfe<br />
hatten. Ludwig S. erlebte einen<br />
schönen und ruhigen Sommer in der<br />
Heimat. Dies hätte bis zum Kriegsende<br />
so bleiben können, wenn nicht<br />
im <strong>Dezember</strong> 1943 ein Politoffizier<br />
alle Wachsoldaten der Oberpfalz zu<br />
einem Schulungstag befohlen hätte.<br />
Dort erzählte Ludwig S. am Rande<br />
der Veranstaltung einigen Kameraden<br />
unvorsichtigerweise politische<br />
Witze. Ein Witz lautete: Hitler habe<br />
auf einem Berg Jesus getroffen. Dort<br />
habe er Jesus gesagt, dass sein Volk<br />
unter der Versorgungsnot schrecklich<br />
leiden müsse. „Sag mir,“ bedrängte<br />
Hitler Jesus „wie hast Du es gemacht,<br />
dass Du mit fünf Broten und zwei<br />
Fischen 5000 Männer und Frauen<br />
gespeist hast? Wenn Du mir das sagst,<br />
Eine Weihnachtsgeschichte<br />
aus dem Zweiten Weltkrieg<br />
dann darfst Du Dir etwas wünschen.“<br />
Darauf Jesus: „Das sag ich Dir nicht!<br />
Es sei denn, Du verrätst mir vorher,<br />
wie Du 80 Millionen Menschen besoffen<br />
gemacht hast und hast keinen<br />
Schnaps gehabt!“ Ein anderer Witz<br />
lautete: Ein Soldat antwortete auf<br />
den damals vorgeschriebenen Gruß<br />
„Heil Hitler!“ – „Nein, ich nicht! Heil<br />
Du ihn!“ Diese Witze hatten Folgen.<br />
Am nächsten Tag wurde Ludwig S.<br />
verhaftet und in Nürnberg vor das<br />
Kriegsgericht gestellt. Wenige Tage<br />
vor Weihnachten wurde er zur so<br />
genannten Frontbewährung verurteilt.<br />
Statt friedliche Weihnachtstage im<br />
Kreise der Familie zu verbringen, befand<br />
sich S. am Heiligen Abend in einem<br />
ungeheizten Militärzug Richtung<br />
Osten. Seine Eltern dachten vor allem<br />
in der Kirche an ihren Sohn. Und dieser<br />
hatte wieder Glück im Unglück.<br />
Trotz aller Gefahren an der Front und<br />
in der anschließenden Gefangenschaft<br />
kam S. 1945 wiederum kurz vor<br />
Weihnachten in die Heimat zurück.<br />
Diesmal konnte er ein glückliches<br />
Fest feiern. Bis er sein Cafehaus und<br />
seine Konditorei in einer Oberpfälzer<br />
Kreisstadt wieder eröffnen konnte,<br />
vergingen allerdings zwei Jahre. Als<br />
er später diese zwei Jahre auf<br />
seine Rente anrechnen lassen<br />
wollte, musste er vor dem Sozialgericht<br />
in Nürnberg klagen.<br />
Dort traf er einen Vorsitzenden<br />
Richter, der ihm sehr bekannt<br />
vorkam. Da fragte er ihn: „Waren<br />
Sie im <strong>Dezember</strong> 1943 beim<br />
Kriegsgericht in Nürnberg?“<br />
<strong>Der</strong> Richter antwortete mit „Ja“.<br />
„Haben Sie mich damals zur<br />
Frontbewährung verurteilt?“ lautete<br />
die Frage vorwurfsvoll – „Das weiß<br />
ich nicht, aber sagen Sie mir, warum<br />
waren Sie angeklagt?“ fragte der<br />
Richter. „Wegen ein paar Witzen, die<br />
mir als Wehrkraftzersetzung angelastet<br />
wurden,“ war die Antwort von S.,<br />
und er erzählte ihm die Witze von damals.<br />
Darauf antwortete der Richter:<br />
„An diese Verhandlung kann ich mich<br />
jetzt erinnern; denn auf Wehrkraftzersetzung<br />
stand die Todesstrafe. Ein<br />
Freispruch war nicht möglich. Das<br />
hätte die SS nicht akzeptiert. Das hätte<br />
für uns beide nichts Gutes bedeutet.<br />
Eine Verurteilung zum Tode wollte<br />
ich aber vermeiden. Deshalb habe ich<br />
Sie nur zur Frontbewährung verurteilt<br />
und gehofft, dass dieses Urteil von der<br />
SS nicht kassiert wird und Sie an der<br />
Front eine Überlebenschance haben.<br />
Was glauben Sie, wie viel mehr Leute<br />
erschossen worden wären, wenn wir<br />
alte Richter die Vernehmungsprotokolle<br />
nicht so uminterpretiert hätten!“<br />
Da fühlte der ehemalige Soldat keinen<br />
Vorwurf mehr und ging zufrieden<br />
nach Hause. Er starb 1968 an einem<br />
Herzinfarkt in seinem Cafehaus, sein<br />
Richter Josef Hartinger starb erst<br />
1974 in München. Eduard Werner<br />
376 DER FELS 12/<strong>2005</strong>