Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
Dezember 2005 - Der Fels
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Franz Salzmacher:<br />
Schon um acht Uhr morgens<br />
bildet sich eine Schlange<br />
vor Sankt Peter. Es ist Ende<br />
Oktober, und die Saison ist längst<br />
vorüber. Aber die größte Kirche der<br />
Welt füllt sich wie zur Osterzeit. Ein<br />
Teil der Schlange zieht sich hinein<br />
in die Krypta unter dem Petersdom,<br />
wo einige Dutzend Päpste ihre Ruhestätte<br />
haben, bis hin zum Grab<br />
von Johannes Paul II. Alte, Kranke,<br />
Junge, Priester, ganze Familien und<br />
natürlich Pilgergruppen – alle ziehen<br />
sie vorbei, nicht wenige mit glänzenden<br />
Augen. Eine Frau wischt sich<br />
eine Träne weg, ein Priester bittet die<br />
Grabhüter, seinen Rosenkranz kurz<br />
auf die schlichte Platte zu legen, eine<br />
ältere Dame kann den Blick nicht<br />
vom Grab dieses Papstes abwenden,<br />
Das Phänomen vom Petersplatz<br />
Benedikt XVI. zieht nachhaltig die Massen an<br />
Ströbele und die anderen<br />
den sie vielleicht ein gutes Drittel ihres<br />
Lebens mit ihrem Gebet begleitet<br />
hat. Um diese Zeit ist der Andrang<br />
noch nicht so groß, eine Stunde später<br />
werden die Hüter die Gläubigen<br />
bitten müssen, höchstens drei, vier<br />
Sekunden zu verweilen und ihr Gebet<br />
an anderer Stelle fortzusetzen, damit<br />
der Stau nicht zu groß wird. In einiger<br />
Entfernung, aber in Sichtweite,<br />
kniet eine Gruppe von Schwestern.<br />
Eine größere Pilgergruppe beendet<br />
die Messe vor dem Grab des ersten<br />
Stellvertreters. Johannes Paul II. ruht<br />
keine 20 Meter vom heiligen Petrus<br />
entfernt. Es herrscht die Aura des<br />
Heiligen. Es ist, als ob sich Himmel<br />
und Erde berührten, und in vielen<br />
Herzen geschieht das auch. Hier in<br />
Sankt Peter fallen das Zentrum der<br />
Christenheit und das Zentrum jedes<br />
Christenlebens zusammen.<br />
Das geht nun schon seit April so.<br />
Johannes Paul II. ist noch in den<br />
Herzen lebendig. Aber Benedikt<br />
XVI. steht keineswegs im Schatten<br />
seines Vorgängers. Wie ein Magnet<br />
zieht auch er die Menschen<br />
an. Eine einfache Generalaudienz<br />
am Mittwoch auf dem Petersplatz<br />
– ohne Seligsprechung oder andere<br />
besondere Anlässe – bringt nicht<br />
selten fünfzigtausend und bis zu<br />
hundertzwanzigtausend Menschen<br />
zusammen. Videre Petrum, sie wollen<br />
Petrus sehen. Er symbolisiert in<br />
diesen unruhigen Zeiten die Hoffnung,<br />
dass es gut gehen kann, dass<br />
bei allen Katastrophen, Gewalt und<br />
DER FELS 12/<strong>2005</strong> 345