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„One Day in Europe“, Berlinale Int. Wettbewerb „Die kleine Monsterin“, Berlinale Kinderfilm-Wettbewerb<br />
chensärge<br />
Von den in erfolgreichen Filmen verborgenen<br />
Sehnsüchten ist ja auch<br />
Siegfried Kracauer in seinem Analyseansatz<br />
von Kino ausgegangen. Wie<br />
würden Sie den Kassenerfolg von Filmen<br />
dieses neuen Historismus einerseits<br />
und andererseits des Kalauer-<br />
Kinos im Stile von Bully, „Der Wixxer“<br />
oder „7 Zwerge“ interpretieren?<br />
Flucht ins Lachen zum einen und<br />
Rückbesinnung auf Wurzeln zum anderen?<br />
Am 18.12.04 um 07:43 Uhr antwortete<br />
Dominik Graf:<br />
ch glaube, das ist nicht so schwer, diese<br />
IHits einzuordnen. Irgendwie scheint es,<br />
<strong>als</strong> ob die deutschen Nachkriegs-Mythologien<br />
sich gerade verselbstständigen. Ob<br />
Ost oder West. Fußball WM, Wiedervereinigung,<br />
Willy Brandt, Rosinenbomber, der<br />
Tunnel unter der Mauer, Edgar Wallace-Filme<br />
... alles sozusagen leuchtende vergangene<br />
Traumschiffe, die sich jetzt von ihrer<br />
eigentlichen Realität abgelöst haben und<br />
am ansonsten etwas düsteren gesamtdeutschen<br />
Himmel mythologisch dahinsegeln.<br />
Was Hitler betrifft, so bleibt halt das<br />
filmische Problem ungelöst. Vielleicht ist es<br />
auch nicht zu lösen? Aber das Schwierigste<br />
an all dem ist doch eigentlich nur, dass<br />
uns im Umgang mit diesen Mythen etwas<br />
Frisches, Radikales, Freches fehlt, so wie etwa<br />
die Amerikaner in den 70ern mit ihren<br />
Western umgegangen sind. Was wir gerade<br />
betreiben – ob Guido Knopp oder<br />
„Der Untergang“ – ist sozusagen eine Mythologisierung<br />
der Mythen. Das heißt anstatt<br />
diese teilweise absurden neudeutschen<br />
Heldensagen ein wenig in den zugehörigen<br />
Alltag, in ihre zugehörige Soziologie<br />
herunterzuholen, stilisieren wir sie<br />
noch mehr. Das ist halt ein bisschen klein-<br />
geistig, aber es ist wohl erfolgreich.<br />
Am 18.12.04 um 22:49 Uhr<br />
schrieb Oliver Baumgarten:<br />
Sie sprachen – im Gegensatz zu diesen<br />
Mythologisierungen – vom „Kino<br />
der Sozialanalysen“, <strong>als</strong>o Filmen, die<br />
gesellschaftliche Um- und Missstände<br />
direkt zum Thema machen. Hat<br />
dieser deutsche Sozialrealismus, wie<br />
er zur Zeit floriert, für Sie eher etwas<br />
Pädagogisches, <strong>als</strong>o etwas vom Filmemacher<br />
aus nach außen Gerichtetes,<br />
oder letztlich bloß etwas<br />
Selbstreflexives, <strong>als</strong>o auf den Filmemacher<br />
selbst Bezogenes? Provokant<br />
gefragt: Wem nützt ein solches Kino?<br />
Am 19.12.04 um 09:12 Uhr antwortete<br />
Dominik Graf:<br />
as kann man so, glaube ich, nicht fra-<br />
Dgen. Beim Kino ist es doch egal, wem<br />
es letztlich nutzt. Irgendwann zählt nur<br />
noch, ob ein Film gut ist, ob er Substanz<br />
hat und ob er sich vor der Filmgeschichte<br />
bewährt oder ob er verschwindet, oder?<br />
Vielleicht drückt dieses andere, dieses ärmere,<br />
„kleine“ deutsche Kino, das die Realität<br />
erkunden will, eher eine Sehnsucht<br />
der Autoren und Regisseure nach irgendeiner<br />
nicht definierten Art von deutschem<br />
„Independent“-Kino aus, während das teure<br />
Mythen-Kino sich mehr am Zuschauer<br />
zu orientieren versucht – dabei aber von<br />
Idee und Ideologie her das amerikanische<br />
Kino imitiert. Was uns teuer zu stehen<br />
kommt. Und sozialrealistisches Kino ist ja<br />
auch gewissermaßen billiger, was eher zu<br />
uns zu passen scheint, denn wir haben ja<br />
auch nicht viel Geld zur Verfügung. Schwierig<br />
finde ich daran nur, dass es, seit ich denken<br />
kann, diesen Gegensatz gibt, dass es<br />
bei uns verschiedene Schubladen in den<br />
Köpfen gibt; d. h. der einen Art von deutschem<br />
Kino fehlt vorsätzlich ein gewisser<br />
erzählerischer Glanz, dem anderen, dem<br />
teureren deutschen Kino – wenn es denn<br />
überhaupt Glanz hat – fehlt es komplett an<br />
Analyse, an einer notwendigen Härte und<br />
Kälte des Blicks und an Wahrhaftigkeitswillen.<br />
Gemeinsam würde da vielleicht<br />
irgendwann ein Schuh draus. Aber darauf<br />
können wir lange warten in Deutschland,<br />
glaube ich. Die jeweiligen Kommerz- und<br />
Kunst-Schubladen sind weltanschaulich beiderseits<br />
fest vernagelt in den Köpfen.<br />
Am 22.12.04 um 15:45 Uhr<br />
schrieb Oliver Baumgarten:<br />
Das Schubladendenken ist sicher problematisch,<br />
aber eint nicht alle Filmemacher<br />
im Grunde der tiefe<br />
Wunsch, dass sein Werk von möglichst<br />
vielen Menschen gesehen wird,<br />
woraus sich dann unter Umständen<br />
konzeptionelle Schwierigkeiten der<br />
Erwartungserfüllung entwickeln?<br />
Dahingehend auch meine Frage von<br />
neulich nach dem Nutzen: Ist nicht ein<br />
stimmiger, konsequenter und gelungener<br />
Film einer, den der Filmemacher<br />
auch zu einem gewissen Teil für<br />
sich selbst gemacht hat?<br />
Am 23.12.04 um 09:27 Uhr antwortete<br />
Dominik Graf:<br />
ch habe für mich und meine eigenen Fil-<br />
Ime eher das Gefühl, dass ich sowieso nur<br />
durch die Arbeit und die Leistung meiner<br />
Autoren bislang in der Lage war, Filme zu<br />
machen, von denen ich jetzt im Nachhinein<br />
sagen kann, dass ich stolz auf sie bin;<br />
dass ich einige dieser Filme auch für mich<br />
<strong>als</strong> Zuschauer halbwegs erträglich finde.<br />
Man möchte ja auch von seinen eigenen<br />
Filmen möglichst fasziniert werden, nicht?<br />
Man will ja die erfreulichen Dialoge, die<br />
widersprüchlichen, spannenden Figuren,<br />
die interessanten Konflikte, die man selbst<br />
im Leben, im Kino und in der Literatur liebt,<br />
im eigenen Film wieder finden ... Und dass<br />
diese Art Freude an der eigenen Arbeit<br />
überhaupt nur dann aufkommen kann,<br />
wenn man die Chance hat, mit Autoren<br />
wirklich konsequent zu arbeiten, das<br />
stimmt sicher. Aber allein diese schrekklichen<br />
Etiketten in Deutschland, dauernd<br />
suchen sie den „neuen Fassbinder“! Ich<br />
probier’s vielleicht mit den Schubladen auch<br />
noch mal anders: Ein paar der – wie ich finde<br />
– zur Zeit besten deutschen Regisseure,<br />
Frauen wie Männer, machen doch fast<br />
nur noch kleinere Filme. Ich vermute von<br />
meinen eigenen Erfahrungen her: aus Bedenken,<br />
dass ihnen bei uns gleichzeitig mit<br />
den größeren Budgets die Filme sofort verwässert,<br />
zerstört oder ganz und gar unmöglich<br />
gemacht werden. Es ist schon ein<br />
ökonomisches und psychologisches Problem,<br />
glaube ich, dass die Art von deutschem<br />
Kino, die offensiv auf das Publikum<br />
zugeht, die „größer” daherkommt, dass<br />
diese Art Kino fast immer auch erzählerisch,<br />
inhaltlich und im Detail herbe Kompromisse<br />
zu beinhalten scheint. Bei „Heimat 3“ dagegen<br />
kann man sehen, finde ich, dass allein<br />
schon die Art wie Reitz da die Tankstellenflaggen<br />
im Hunsrück 1995 wehen<br />
lässt, dass einem da um die Zukunft des dam<strong>als</strong><br />
so satten, neuen Großkohldeutschland<br />
noch mal nachträglich Angst und Bange<br />
wird ... Ich meine damit, im scheinbar<br />
kleineren Erzählen, in solchen Bildern heben<br />
sich die Schubladen und die Widersprüche<br />
unseres Kinos plötzlich für Momente<br />
auf.<br />
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