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„Sommersturm“, Berlinale German Cinema „Männer wie wir“, Berlinale German Cinema<br />
te in der jeweiligen Landessprache fehlten.<br />
Ich war ich in den letzten Jahren viel in Europa<br />
unterwegs, zuerst mit dem Rucksack<br />
dann mit dem Film „Berlin is in Germany“<br />
bei Kinostarts und Festiv<strong>als</strong>. Egal, ob Moskau,<br />
Budapest oder Warschau, Paris, London,<br />
Göteborg, Istanbul oder Barcelona,<br />
überall waren die „United States of Europe“<br />
Thema. Und überall stellte man sich dieselbe<br />
Frage: Europa schön und gut, aber<br />
wie reden wir miteinander ? Denglisch oder<br />
Spanglish, Franglais oder Frallemand?<br />
Und wie sollte ich einen Film machen<br />
über die unterschiedlichen Mentalitäten in<br />
Europa – was doch der Ausgangspunkt der<br />
Idee war? Mir fiel ein Satz ein, den ich auf<br />
meiner Filmschule, der DFFB, gelernt habe.<br />
Wenn du einen Film über die Post machen<br />
möchtest, dann mach´ einen Film über eine<br />
Briefmarke. Man kann unmöglich einen<br />
Film über ganz Europa machen und den Anspruch<br />
haben, allem gerecht zu werden.<br />
Welche Städte würde man nehmen? Die<br />
Städte sollten etwas aussagen über Europa.<br />
Außerdem sollten die Städte praktisch<br />
sein. Papier ist geduldig, aber ich wollte den<br />
Film ja auch noch drehen. In Berlin wohne<br />
ich, in Santiago de Compostela habe ich gewohnt,<br />
in Istanbul habe ich Freunde und<br />
kenne mich aus. Und Moskau ? Auch dort<br />
war ich schon paar Mal, habe Bekannte,<br />
aber kann man da drehen ? Egal Moskau<br />
muss dabei sein, denn über Europa nachzudenken<br />
und Moskau zu vergessen, das<br />
geht nicht. Aber was verbindet diese Städte<br />
? Jeder amerikanische Film, ob Scorcese,<br />
Jarmush oder Spielberg, verkauft uns en<br />
passant den American way of life. Aber was<br />
ist der European way of life ? Okay, alle Länder<br />
haben sich gegenseitig irgendwann Mal<br />
oder in naher Vergangenheit ganz heftig,<br />
barbarisch auf die Mütze gehauen. Nicht<br />
ausreichend, wenn man eine kulturelle Gemeinsamkeit<br />
sucht im Zeitalter 2000. Was<br />
sagt die Realität? Fußball, die Champions<br />
League, das ist doch der größte, gemeinsame,<br />
kulturelle Nenner. Fußball ist einfach,<br />
und Film muss auch einfach bleiben. Und<br />
Fußball schaut man überall, Religion hin<br />
oder her. Also fragte ich mich: Was wäre,<br />
wenn Galatasaray Istanbul gegen Deportivo<br />
La Coruna in Moskau im Champions-League-Finale<br />
spielen würde? In Moskau ginge<br />
es ab, in Istanbul sowieso, in Santiago<br />
de Compostela und in Berlin auch. Fußball<br />
<strong>als</strong> erzählerische Klammer, das hat Poesie,<br />
fand ich. Fußball <strong>als</strong> Leitmotiv. So, aber was<br />
„Der Film erzählt vom hier<br />
und jetzt, gleichzeitig<br />
berichtet er von einer Utopie.“<br />
passiert? Um Sprache sollte es gehen. Wie<br />
wäre es mir persönlicher Erfahrung? Reisen,<br />
Reisende in Europa. Jeder kennt das: Man<br />
kommt irgendwo an, wird bestohlen oder<br />
man verstrickt sich in eine blöde Situation,<br />
schon muss man reden, kann die Landessprache<br />
nicht, und schon wird es schwierig<br />
oder komisch. Vier einfache Geschichten<br />
sind daraus geworden. Eine Engländerin<br />
in Moskau, zwei Deutsche (Florian Lukas<br />
und Erdal Yildiz) in Istanbul, ein Ungar<br />
in Santiago de Compostela und zwei Franzosen<br />
in Berlin werden in Diebstähle verwickelt.<br />
Es ist der Tag des Champions-League-Finales<br />
zwischen Galatasaray und Deportivo,<br />
welches jede Stadt auf seine Art<br />
wahrnimmt. Es ist ein Film der kleinen Momente<br />
geworden, Momente die ich so oder<br />
ähnlich erlebt habe. Immer ging es mir um<br />
den europäischen Moment, das Aufeinandertreffen<br />
der verschiedenen europäischen<br />
Mentalitäten. Der Film erzählt vom<br />
hier und jetzt, gleichzeitig berichtet er von<br />
einer Utopie. Die United States of Europe<br />
wird es geben – irgendwann auch mit Istanbul,<br />
viel später mit Moskau. Die Frage ist,<br />
wie wir uns unterhalten. Ich tippe auf European<br />
English – mit den europaweit bekannten<br />
Wörtern Leitmotiv und kaputt, mit<br />
mise en scene und siesta, mit ciao und chill<br />
out area, mit wodka und mit merhaba.<br />
Warum Filme machen? Ich empfinde<br />
die Welt <strong>als</strong> eine große Tragödie, ohne Humor<br />
wäre sie nicht zu ertragen. Im Kino<br />
können wir lachen, über was man sonst<br />
nicht lacht. Wir können Leben<br />
leben, die wir nicht gelebt haben<br />
und nie leben werden.<br />
Wir können durch die Lupe<br />
des Films Dinge verstehen, die<br />
wir sonst nicht verstehen würden.<br />
Und wir können Utopien<br />
bauen, uns eine bessere Welt<br />
vorstellen. Was man sich nicht<br />
vorstellen kann, wird auch nie passieren.<br />
And last but not least ist Filmemachen ein<br />
Handwerk. Der Mensch lebt nicht vom Brot<br />
allein, Geschichten sind doch wie ein<br />
Grundnahrungsmittel, zumindest für den<br />
Kopf, das Herz und die Seele. Die einen<br />
backen Brötchen, andere machen Filme...<br />
Geist der<br />
Gegenwart<br />
VON ANDREAS DRESEN,<br />
REGISSEUR<br />
ohlstand ist tödlich – für die Kreati-<br />
Wvität jedenfalls. Das hat die Geschichte<br />
immer wieder gezeigt. Meist blühte<br />
die kulturelle Szene eher dann, wenn es<br />
gesellschaftlich oder politisch kriselte. In<br />
Phasen großer sozialer und politischer<br />
Spannungen, von Orientierungssuche und<br />
gesellschaftlicher Polarisierung ist es natürlich<br />
anregender, in Auseinandersetzung<br />
und Kommunikation einzutreten, <strong>als</strong> wenn<br />
man satt und zufrieden ist und es allen gut<br />
geht. Und uns ging es lange sehr, sehr gut!<br />
Hinzu kommt aber auch, dass es immer<br />
leichter ist, sich gegen Dinge zu wehren,<br />
wenn sie sich eindeutig zeigen. Hierzulande<br />
hingegen erscheinen die Strukturen oft eher<br />
schwammig, wie im Nebel. Ein wirklicher<br />
„Feind“, den man bekämpfen möchte, der<br />
emotionalisiert oder auch Hass weckt, ist<br />
sehr schwer auszumachen. Der demokratische<br />
Konsens verhindert in gewisser Weise<br />
zugespitzte Haltungen. Dabei gehören Liebe<br />
und Hass doch zu den Grundpfeilern<br />
dramatischen Erzählens! Das Problem einer<br />
Filmkultur kann werden, wenn es keine<br />
wirklichen Probleme gibt.<br />
Das hat sich in den letzten Jahren allerdings<br />
zum Teil verändert. Mitte der 90er Jahre<br />
gab es so gut wie keine radikal erzählten<br />
Filme. Das deutsche Kino war am Boden.<br />
Heute hingegen arbeitet es, und ich<br />
bin im Großen und Ganzen sehr erfreut<br />
über das, was sich auf den Leinwänden tut.<br />
Es gibt eine Menge verschiedener Handschriften<br />
und auch unterschiedliche Genres,<br />
die bedient werden. Unsere Kinoszene<br />
ist sehr viel farbiger geworden, und es gibt<br />
eine Reihe von Filmen, die sich mehr und<br />
mehr der Realität stellen. Manchmal würde<br />
ich mir das zwar noch radikaler wünschen,<br />
aber nichtsdestotrotz ist eine Ent-<br />
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