10. mai 2011 - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
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951, am Anfang des Hörspielpreises<br />
1der Kriegsblinden, stand die Aufgabe,<br />
soziales und kulturelles Engagement<br />
zu verbinden. 2001, zum 50. Geburtstag<br />
des weithin anerkannten Kulturpreises,<br />
hob Johannes Rau hervor, dass eben dieses<br />
Ziel dauerhaft und vorbildlich erreicht<br />
worden sei. Ebenso lobte der damalige<br />
Bundespräsident die mit dieser Auszeichnung<br />
verbundene Ermutigung zu Seriosität<br />
und Qualität in den Medien. Rau, der<br />
damals auch eine Renaissance des Hörens<br />
konstatierte, entpuppte sich dabei als<br />
Kenner und Liebhaber dieser medialen<br />
Form, die zeige, dass das gesprochene<br />
Wort, Geräusche und Musik genauso intensiv<br />
wahrgenommen werden könnten<br />
wie die gewaltigsten Bilder.<br />
Sicher war es bei diesem Jubiläum, gefeiert<br />
im damals nagelneuen Plenarsaal<br />
des Bundesrates in Berlin, ein Glücksfall,<br />
dass mit Walter Filz (siehe auch S. 19) ein<br />
Autor gekürt wurde, der mit größter Lust<br />
und Raffinesse die elektronischen Medien<br />
in allen Erscheinungsformen kunstvoll in<br />
neue Zusammenhänge bringt. Sein gar<br />
nicht zufällig in der WDR-Reihe „Lauschangriffe“<br />
ausgestrahltes Preisstück „Der<br />
Pitcher“, so damals die Laudatio, erfülle<br />
mit schöner Eindeutigkeit und spielerischer<br />
Leichtigkeit die Anforderungen und Kriterien:<br />
nämlich, die Möglichkeiten der<br />
Kunstform Hörspiel vorzüglich zu realisieren<br />
und zu erweitern.<br />
Ob der Erfinder und Hauptinitiator<br />
dieses Preises, Friedrich Wilhelm Hymmen,<br />
diese Konstanz und die Bestätigung des<br />
Preismodells über nunmehr sechs Jahrzehnte<br />
schon hat ahnen können? Auf jeden<br />
Fall hat er – der im Krieg nahezu vollständig<br />
erblindet war – als damaliger<br />
Schriftleiter des Bundes der Kriegsblinden<br />
Deutschlands mit großer Weitsicht diesem<br />
Preis von Anfang an eine hohe Präsenz<br />
und Bedeutung verschafft und ihm dann<br />
47 Jahre als Juryvorsitzender ein klares Profil<br />
gegeben. Als äußerst einflussreicher<br />
Medienjournalist des epd mahnte er<br />
schnell auch die gesellschaftliche Verantwortung<br />
jeglicher Kommunikation an und<br />
bewahrte schon zu Anfang die Juryarbeit<br />
vor dem Risiko eines professionellen Elfenbeinturms<br />
mit einem damals ungewöhnlichen<br />
Modell: Bestimmt wurde der Preisträger<br />
von einem Kreis aus Fachkritikern<br />
und Vertretern der Kriegsblinden selbst.<br />
Max Skiba, 1971 erstmals Mitglied der<br />
Jury, stellt noch heute schlicht fest: Er sehe<br />
sich ganz klar als Vertreter des allgemeinen<br />
Publikums und entscheide sich für das<br />
Hörspiel, „das mir gefällt“. Wobei die jährliche<br />
Begegnung mit den Fachkritikern und<br />
„das ganze Drum und Dran“ dieser Sitzungen<br />
äußerst anregend sei. Hans Zehrer, der<br />
jetzt ebenso wie Max Skiba ausscheidet,<br />
betont den lebendigen Prozess bei diesen<br />
Sitzungen: „Wir sind in die Arbeit hineingewachsen,<br />
haben die Überlegungen zur<br />
Urteilsfindung immer wieder erweitert.“ Er<br />
nennt die Juryarbeit „beglückend“, gibt<br />
aber auch aus seiner langen Erfahrung mit<br />
den Rückmeldungen durch die Verbandsmitglieder<br />
zu bedenken: „Die Kritiker denken<br />
zu wenig an die normalen Hörer.“<br />
Die Zusammensetzung dieser Jury (je<br />
zur Hälfte neun Fachkritiker und neun<br />
18<br />
60 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden<br />
Seismograf<br />
der<br />
Republik<br />
VON PETRA KAMMANN<br />
Kriegsblinde) hat sich geändert, seit die<br />
<strong>Filmstiftung</strong> <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong> 1994 als<br />
weiterer Träger die Basis für den Hörspielpreis<br />
der Kriegsblinden verbreiterte und<br />
stärkte: Vier Juroren werden durch diese<br />
große Medien-Fördereinrichtung jetzt direkt<br />
berufen. Bei den Kriegsblinden fand<br />
dieser Schritt nicht nur Freunde, es gab<br />
2003 sogar die prominent vorgetragene<br />
Forderung, den Preis „mit Anstand zu beerdigen“,<br />
begründet mit Befürchtungen,<br />
der Preis könne dem Verband, der natürlicherweise<br />
auch schwächer werde und<br />
den neuen Mehrheitsverhältnissen in der<br />
Jury nichts entgegensetzen könne, ganz<br />
aus der Hand gleiten und zu einer rein elitären<br />
Veranstaltung werden.<br />
Doch das anfängliche Misstrauen legte<br />
sich schnell. Dafür sorgten die beteiligten<br />
Verantwortlichen: Heinrich Johanning<br />
als damaliger BDK-Vorsitzender und Michael<br />
Schmid-Ospach als Chef der <strong>Filmstiftung</strong>,<br />
auch der jetzige Kriegsblinden-<br />
Vorsitzende Dieter Renelt. Und auch unter<br />
dem neuen Juryvorsitzenden Uwe<br />
Kammann (1996 bis 2001, ihm folgten<br />
Jörg Drews und ab 2008 Anna Dünnebier)<br />
stellte sich offenkundig jene Kontinuität<br />
ein, die für die klare Linie und den unbedingten<br />
Qualitätsanspruch der Entscheidungen<br />
stets tragend und prägend war.<br />
Denn das machte und macht den hohen<br />
Wert des auch bei der Kritik unumstrittenen<br />
Renommees des Preises sowohl bei<br />
den Hörspielautoren als auch den Radioverantwortlichen<br />
aus: Die Jurys erkannten<br />
und anerkannten jeweils die Möglichkeiten<br />
der Hörspielkunst und maßen die herausragenden<br />
Leistungen an dem, was ästhetisch<br />
die Spitze der Entwicklung repräsentierte.<br />
Immer wieder wird deshalb mit großem<br />
Recht gesagt: Die Liste der Hörspielpreisträger<br />
gleicht einem Who is Who der<br />
Literaturgeschichte der Bundesrepublik,<br />
vom legendären Günter Eich über Ingeborg<br />
Bachmann, Wolfgang Hildesheimer,<br />
Friedrich Dürrenmatt, Helmut Heißenbüttel,<br />
Christa Reinig, Ernst Jandl und Friederike<br />
Mayröcker bis hin zu Heiner Müller,<br />
Werner Fritsch und Elfriede Jelinek, die<br />
den Preis kurz vor dem Nobelpreis erhielt.<br />
Zugleich repräsentiert diese Liste an Namen<br />
und Titeln auch die Neuerungen,<br />
Überraschungen und Wendungen in der<br />
medialen Geschichte des Radios, weil die<br />
Jurys stets ein feines Gespür hatten für die<br />
Hörspielpreis 2004<br />
für Elfriede Jellinek,<br />
hier mit Dieter<br />
Renelt (l.), Christina<br />
Weiss, Jörg Drews<br />
und Michael<br />
Schmid-Ospach,<br />
Foto: Susan Skelton<br />
Bundesrats-<br />
Präsident Bernhard<br />
Vogel (r.) überreicht<br />
den Hörspielpreis<br />
der Kriegsblinden<br />
1988 an Ror Wolf,<br />
links: Franz Sonntag.<br />
Foto: Bundesarchiv<br />
neuen Qualitäten der medialen Auffächerungen.<br />
Natürlich gab es jeweils heiße Diskussionen,<br />
manche Entscheidungen fielen<br />
nur knapp aus, vor allem, nachdem alte<br />
Konventionen nicht mehr galten und die<br />
ziemlich festen Grenzen der Gattung gesprengt<br />
wurden. Das Neue Hörspiel wurde<br />
dabei sogar zum Fachbegriff, in dem<br />
sich spiegelte, dass Experimentelles angesagt<br />
war und die „klassische“, der Literatur<br />
verwandte Erzählhaltung und die dar-<br />
newsletter 2/<strong>2011</strong> – Schwerpunkt: NRW-Jubiläen<br />
auf fußende Komposition der Stücke aufgegeben<br />
werden konnte zugunsten einer<br />
Toncollage wie der kalkulierten Präsentation<br />
von vorgefundenem Material und zugunsten<br />
einer jederzeit veränderbaren Mischung<br />
medialer Elemente. Dazu konnte<br />
zitierte Filmmusik ebenso gehören wie die<br />
Tonbandaufzeichnungen aus einer Black<br />
Box von Flugzeugen.<br />
Für diese zweite Phase stehen Namen<br />
wie Mauricio Kagel, Paul Wühr, Andreas<br />
Ammer, Christoph Schlingensief, Paul<br />
Plamper, Rafael Sanchez, Eberhard Petschinka<br />
und – entsprechend dem neuen<br />
Medienverständnis – nehmen auch Kunst-<br />
Bezeichnungen wie FM Einheit oder Rimini<br />
Protokoll zu. Die Wende in der DDR und<br />
der nachfolgende Einheitsprozess spiegelt<br />
sich übrigens ebenfalls ganz unmittelbar<br />
in der Preisgeschichte, sowohl thematisch<br />
als auch bei den Preisträgern wie Jens<br />
Sparschuh, Fritz Rudolf Fries oder Thilo<br />
Reffert. Leicht ließe sich belegen, dass der<br />
Hörspielpreis der Kriegsblinden ein sehr<br />
feiner Seismograf der kulturellen, gesellschaftlichen<br />
und politischen Entwicklung<br />
erst der Bundesrepublik und dann des Einheits-Deutschlands<br />
ist – auch wenn inzwischen<br />
auch Hörspiele aus den Nachbarländern<br />
Schweiz und Österreich einbezogen<br />
werden.