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Madame

Eine Freundin von mir brachte neulich einen Hund mit nach Hause, gerettet vor seinem Besitzer, der es nicht gut mit ihm meinte. Sie gab dem Unhold 100 Euro, ließ beim Tierarzt checken, ob der kleine Cocker gesund und nicht gestohlen war, und da saß er nun verschüchtert rum mit seinen Kulleraugen und dem wuscheligen Fell. Die Kinder waren entzückt, der Ehemann weniger. „Ihr seid verrückt“, meinte er. „Wir haben doch schon einen Hund.

Eine Freundin von mir brachte neulich einen Hund mit nach Hause, gerettet vor seinem Besitzer, der es nicht gut mit ihm meinte. Sie gab dem Unhold 100 Euro, ließ beim Tierarzt checken, ob der kleine Cocker gesund und nicht gestohlen war, und da saß er nun verschüchtert rum mit seinen Kulleraugen und dem wuscheligen Fell. Die Kinder waren entzückt, der Ehemann weniger. „Ihr seid verrückt“, meinte er. „Wir haben doch schon einen Hund.

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PSYCHO<br />

116<br />

glaubt, dass die Beziehung nur funktioniert, wenn er stark<br />

ist … Am Ende gehen beide mit dem schlimmen Gefühl<br />

auseinander, dass nun alles gesagt ist, außer, wie es denn<br />

jetzt bloß weitergehen soll. Und mit der brennenden Frage:<br />

Bin ich überhaupt noch konsequent oder vielleicht schon<br />

längst stur geworden, ohne es zu merken?<br />

Was kann man tun, um sich Klarheit zu verschaffen? Man<br />

kann in Gedanken mit dem großen Zeh eine dicke Linie in<br />

den Sand ziehen, die eine Grenze markiert, zwischen Themen,<br />

bei denen es um die Sache geht, und solchen, bei<br />

denen es einem eigentlich um etwas ganz anderes geht: wer<br />

der Überlegene in der Beziehung ist. Kein konsequenter,<br />

sondern ein stur geführter Kampf, den keiner von beiden<br />

gewinnen kann, denn den Überlegenen gibt es in einer Beziehung<br />

nicht. Überlegen bin ich immer, wenn der andere<br />

etwas von mir will: Sex, Gespräche,<br />

„EIN STÖRRISCHER<br />

ESEL<br />

BRAUCHT EINEN<br />

STÖRRISCHEN<br />

TREIBER. “<br />

gemeinsam Pläne machen – was immer<br />

es ist, ich entscheide, ob ich es<br />

ihm gewähre oder auf stur schalte<br />

und ihn im Regen stehen lasse. Das<br />

kann mir umgekehrt genauso gehen,<br />

bei allem, was mir wichtig ist,<br />

was ich mir wünsche und was nur<br />

zusammen mit meinem Partner in<br />

Erfüllung gehen kann.<br />

Diesen Kampf zu beenden ist nicht<br />

leicht, weil Sturheit immer mit einer<br />

gehörigen Portion Wut einhergeht<br />

und Wut einer der heftigsten Impulse ist, die wir im Repertoire<br />

haben. Sie explodiert förmlich im Bauch, schießt wie<br />

eine Rakete hoch ins Hirn und blockiert sofort jeden klaren<br />

Gedanken außer diesem einen: Dir werde ich’s zeigen!<br />

Allerdings sind Impulse äußerst anfällig für kleine Psychotricks:<br />

Sobald man einen von ihnen in sich wahrnimmt:<br />

sofort den Raum oder den Ort wechseln, den Impuls mit<br />

einem klaren „Nein“ oder „Hau ab“, „Verschwinde“ oder<br />

was auch immer (der verbalen Fantasie sind da keine Grenzen<br />

gesetzt) des Feldes verweisen, einmal kräftig durchatmen<br />

und wieder zurück zum Geschehen. Eine Methode, die<br />

bezeichnenderweise an das australische Erziehungsprogramm<br />

„Triple P“ (Positive Parenting Program) angelehnt<br />

ist, mit der man sehr erfolgreich Zwei- bis Dreijährige in<br />

ihrer Trotzphase in den Griff kriegen kann. Also, Impuls<br />

weg, durchgeatmet, zurück zum Thema. Und dann? Dann<br />

gibt es diese eine, sehr schlichte, aber sehr bedeutsame<br />

Frage, mit der man sich das Leben insgesamt und natürlich<br />

auch die Liebe erheblich erleichtern kann, sie lautet: Kann<br />

ich das, was mich so ärgert, ändern oder kann ich es nicht?<br />

Denn natürlich ist es stures Verhalten par excellence, sich<br />

AUS DEM ORIENT<br />

an etwas abzuarbeiten, was nicht zu ändern ist. Wir werden<br />

als leidenschaftlicher Frühaufsteher aus einer Nachteule an<br />

unserer Seite in diesem Leben keinen gut gelaunten, fröhlich<br />

pfeifenden Mitstreiter für beherzten Sechs-Uhr-Morgenlanglauf<br />

machen. Wir werden konsequent daran scheitern,<br />

von einem Menschen Spontanität einzufordern, der nichts<br />

so sehr braucht, wie mittel- bis langfristige Planungssicherheit.<br />

Und niemand wird aus einem Rhythmus-Legas-<br />

theniker einen geschmeidigen Tangotänzer machen. Das<br />

bedeutet ja nicht, die eigenen Bedürfnisse zu verleugnen,<br />

es bedeutet nur, dass diese nicht vom Partner erfüllt werden<br />

können, sondern vielleicht gemeinsam mit guten Freunden.<br />

Setzt man sich einmal an den Schreibtisch und macht eine<br />

Liste solcher „Grundeinstellungen“, mit denen der Partner<br />

quasi ab Werk angeliefert wurde, kann man sich für den<br />

Rest des Lebens mit einem Federstrich<br />

eine gigantische Menge völlig nutzlos<br />

verpulverter Energie schenken. Ein gigantischer<br />

Befreiungsschlag ist das.<br />

Die frisch gewonnene Energie wird<br />

man allerdings brauchen, um sich den<br />

Dingen zu widmen, die man sehr wohl<br />

ändern kann, nicht mehr stur, sondern<br />

sehr konsequent, weil im Einklang mit<br />

der eigenen Haltung und im Hinblick<br />

auf ein gemeinsames Ziel. Insofern ist<br />

es mehr als konsequent, auf Gesprächen<br />

zu bestehen, wenn der Liebste<br />

sich Konflikten mit der 3-Wort-Methode („Ich hab nichts“<br />

bzw. „Es ist nichts“) zu entziehen versucht. Diese Forderung<br />

konsequent auf Wiedervorlage zu bringen, lohnt jeden<br />

Aufwand, weil es dazu gar keine Alternative gibt. Und<br />

weil Beharrlichkeit und Ausdauer immer zum Erfolg führen,<br />

vorausgesetzt, das Ziel lässt sich überhaupt realisieren.<br />

Bleibt am Ende die Frage, was zu tun ist, wenn der Lebensmensch<br />

trotz sachlicher Ansprache nach erfolgreicher Impulskontrolle,<br />

trotz Verzichts auf Machtkämpfe und trotz<br />

des guten und sicheren Gefühls, dass dieses Verhalten mit<br />

Ausdauer und Beharrlichkeit zu ändern wäre, sich konsequent,<br />

geradezu stur, weigert, die Käsekruste aus dem Ofen<br />

zu entfernen? Tja, da ist guter Rat teuer. Könnte es vielleicht<br />

sein, dass dieser Mann in allen anderen Lebenslagen das<br />

große Los ist, ein Geschenk des Himmels sozusagen, wenn<br />

nur die Sache mit der Tiefkühlpizza nicht wäre? Ja? Na,<br />

dann könnte man vielleicht über den Schatten aller<br />

Prinzipien springen und sich völlig inkonsequent und im<br />

krassen Gegensatz zu allen Überzeugungen die Gummihandschuhe<br />

überstreifen und mit mildem, verzeihendem<br />

Lächeln selbst zu Hammer und Meißel greifen. MARK KUNTZ<br />

MADAME 8/2013

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