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Russische Kriegsgefangenschaft 1944 – 1949<br />
Um Ihnen meine späteren Handlungen und Ansichten etwas verständlicher zu<br />
machen, lassen sie mich Ihnen erst kurz schildern, wie ich überhaupt nach<br />
Russland kam.<br />
Ich war mit 18 Jahren Obergefreiter in Bergen-Belsen und absolvierte im Alter<br />
von 19 Jahren die Unteroffiziersschule und durchlief eine vollständige Ausbildung<br />
am Flammenwerfer.<br />
1943 bekamen wir den Marschbefehl. Wir kamen unter großen Verlusten bis<br />
nach Sawastopol, wo wir tagelang im Schützengraben lagen. Bei einem Angriff,<br />
der einem Himmelfahrtskommando gleichkam, verweigerten wir den Befehl und<br />
wurden gefangen genommen. Noch auf dem „Schlachtfeld“ wurden wir auf die<br />
Gravur der Waffen-SS untersucht. Diejenigen, die diese Tätowierung aufwiesen,<br />
wurden an Ort und Stelle exekutiert.<br />
Wer sich daraufhin einschmeicheln wollte und voller Verachtung auf sie<br />
spuckte, wurde ebenfalls sofort umgebracht. Das war im Winter 1944.<br />
Ich weiß nicht mehr genau, wohin sie uns damals brachten. Ich weiß nur noch,<br />
dass 40 Männer in einen kleinen Waggon gesperrt wurden und dass es kalt war,<br />
so kalt.<br />
Nun lassen sie mich mit meiner Schilderung der nun folgenden fünf Jahre<br />
beginnen:<br />
Da es mir bei meiner Gefangennahme gelungen war, meine Papiere, sprich<br />
meine Identität zu zerstören, konnte mein Rang nicht ermittelt werden. Diesem<br />
Umstand hatte ich es zu verdanken, dass ich in einer Schmiede arbeiten durfte,<br />
was auch mein erlernter Beruf war. Das Leben im Lager war grausam und die<br />
Lebensbedingungen hart. Das Essen war knapp und wenn du etwas haben<br />
wolltest, musste deine Leistung mindestens 100% betragen, ansonsten wurde<br />
deine Nahrung rationiert. Zu diesem Zeitpunkt überraschten mich die Russen<br />
das erste von vielen Malen. Sie waren uns immer als barbarische Feinde<br />
geschildert worden, doch ich musste erfahren, dass dem keineswegs so war: Die<br />
Gefangenen hatten oftmals sehr wenig Wasser und der nächste Brunnen war drei<br />
Kilometer weiter im Wald. Oft beobachteten wir die Frauen, wenn sie Wasser<br />
holten, doch da wir kein Russisch konnten, war es uns nicht möglich um einen<br />
Schluck zu bitten. Die Frauen müssen uns aber trotzdem bemerkt haben, denn<br />
sie kamen zu uns und ließen uns aus ihren Eimern trinken, wofür wir ihnen sehr<br />
dankbar waren.<br />
In so einem Lager bleibt es nicht aus, dass Gefangene und Wächter voneinander<br />
lernten. Durch die Arbeit in der Schmiede verstand ich bald ein paar Brocken<br />
Russisch. Mein Arbeitsplatz war in jenem Lager auch eine Art Treffpunkt zum<br />
Erzählen für die russischen Soldaten. Und der häufigste Satz den ich in dieser<br />
Zeit von ihnen hörte war: „Hitler nicht gut, Stalin nicht gut. Beide müssen an<br />
den Baum.“<br />
Durch das langsame Verstehen ihrer Sprache kamen mir diese Menschen auf<br />
eine bestimmte Art und Weise näher.