29.10.2013 Aufrufe

Klassenführung an HASCH und HAK - Institut für Unterrichts- und ...

Klassenführung an HASCH und HAK - Institut für Unterrichts- und ...

Klassenführung an HASCH und HAK - Institut für Unterrichts- und ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Joh<strong>an</strong>nes Mayr<br />

Mitarbeit <strong>und</strong> Störung im Unterricht:<br />

<strong>Klassenführung</strong> <strong>an</strong> <strong>HASCH</strong> <strong>und</strong> <strong>HAK</strong> 1<br />

„Wie können Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer ihre Klassen so führen, dass die Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler im Unterricht mit Engagement bei der Sache sind <strong>und</strong> der Unterricht relativ wenig<br />

durch Störungen behindert wird? Wie können sie mit den dennoch auftretenden Konflikten<br />

wirkungsvoll umgehen? Gibt es Wege des pädagogischen H<strong>an</strong>delns, die diese Ziele in einer<br />

Weise zu erreichen helfen, die zugleich das Befinden von Schülern <strong>und</strong> Lehrern fördert bzw.<br />

es zumindest nicht beeinträchtigt?“<br />

Zu diesen Fragen werden im Folgenden<br />

• einige theoretische Überlegungen <strong>an</strong>gestellt,<br />

• Bef<strong>und</strong>e aus empirische Studien präsentiert,<br />

• Anregungen gegeben, wie diese Überlegungen <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>e zur Weiterentwicklung des<br />

Lehrerh<strong>an</strong>delns genutzt werden können.<br />

1 Beobachtungen<br />

Wenn m<strong>an</strong> durch ein Schulhaus geht, so k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch als Laie bemerkenswerte<br />

Unterschiede im Verhalten der einzelnen Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer <strong>und</strong> auch der Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler feststellen. Werfen wir zur Illustration einen Blick auf den Beginn eines<br />

Schultages in einer fiktiven H<strong>an</strong>delsakademie:<br />

• Szene 1: Die Schulglocke läutet zum zweiten Mal. Einige Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer eilen zu<br />

ihren Klassen <strong>und</strong> schließen die Türen hinter sich. Aus einer dieser Klassen hört m<strong>an</strong> bald<br />

nur mehr die Stimme des Lehrers: Mit Enthusiasmus trägt er den Lehrstoff vor - dass auch<br />

Schüler im Raum sind, erkennt m<strong>an</strong> nur <strong>an</strong> gelegentlichem Räuspern oder Sessel-Rücken.<br />

Die Lehrerin einer <strong>an</strong>deren Klasse hat sich während dessen in einen lautstarken Disput mit<br />

einem Schüler über eine nicht gebrachte Hausaufgabe verwickelt, in den sich einige seiner<br />

Mitschüler durch Zwischenrufe einmengen.<br />

1 Geringfügig überarbeitetet Version eines gleichnamigen Beitrags, erschienen in: Peter Baumgartner & Heike<br />

Welte (Hrsg.). (2002): Reflektierendes Lernen. Beiträge zur Wirtschaftspädagogik. Innsbruck: Studienverlag.<br />

1


• Szene 2: Zwei <strong>an</strong>dere Lehrer schlendern während dessen den G<strong>an</strong>g entl<strong>an</strong>g, offensichtlich<br />

gut gelaunt, holen <strong>Unterrichts</strong>material aus dem Lehrmittelzimmer, verabreden sich noch<br />

<strong>für</strong> den Nachmittag <strong>und</strong> betreten d<strong>an</strong>n ihre Klassen. Bei einem von ihnen scheint das die<br />

Schüler nicht sonderlich zu beeindrucken: Ihre Unterhaltung wird kaum leiser <strong>und</strong> der<br />

Lehrer hat Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Sein Kollege ist in der Zwischenzeit schon<br />

wieder auf dem Weg zurück ins Lehrerzimmer: Angesichts des leeren Klassenraums hat er<br />

sich erinnert, dass seine Schüler heute mit einer Kollegin auf Exkursion sind. Unterwegs<br />

begegnet er einer Schülerin, die ebenfalls auf den Exkursionstermin vergessen hat <strong>und</strong> nun<br />

ratlos ist, was sie tun soll.<br />

• Szene 3: Im Weitergehen stößt m<strong>an</strong> auf einige Schüler, die unterwegs in die Bibliothek<br />

sind, wo sie sich mit Büchern eindecken, um <strong>an</strong> ihrem Projekt weiter zu arbeiten. In einer<br />

Nische am G<strong>an</strong>g vor der Klasse sitzt eine Gruppe bereits bei der Arbeit, während m<strong>an</strong><br />

durch die offene Klassenzimmertür mitbekommt, wie die Lehrerin mit zwei Schülern die<br />

nächsten Arbeitsschritte berät. Die Lehrerin muss wohl schon beim ersten Läuten in der<br />

Klasse gewesen sein, sonst wäre es nicht möglich, dass zu dieser Zeit der Unterricht bereits<br />

läuft. Oder haben die Schüler auch ohne Anwesenheit der Lehrerin <strong>an</strong> ihrem Projekt<br />

weitergearbeitet?<br />

2 Betrachtungsweisen<br />

2.1 Die Suche nach den Ursachen<br />

Die vorhin geschilderten Verhaltensweisen der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler (<strong>und</strong> auch die ihrer<br />

Lehrpersonen) erlauben unterschiedliche Betrachtungsweisen, einfachere <strong>und</strong> komplexere:<br />

• Eine einfache Sichtweise ist es, jede der h<strong>an</strong>delnden Personen zunächst einmal <strong>für</strong> sich zu<br />

betrachten: den Schüler, der seine Hausaufgabe nicht vorweisen k<strong>an</strong>n <strong>und</strong> die Lehrerin, die<br />

ihm Vorhaltungen macht; die Schülerin, die auf die Exkursion vergessen hat <strong>und</strong> ihren<br />

Lehrer, dem das selbe passiert ist; die Schüler die zielgerichtet am Projekt arbeiten <strong>und</strong> ihre<br />

unterstützend tätige Lehrerin. Die Ursachen <strong>für</strong> die konstruktiven Verhaltensweisen ebenso<br />

wie <strong>für</strong> die problematischen werden bei dieser individuumsorientierten Betrachtungsweise in<br />

den einzelnen Personen lokalisiert: in ihrer Leistungsmotivation, in ihrem<br />

Aggressionspotenzial oder in ihrer Psychodynamik, die sie z.B. zwänge, belastende<br />

Kindheitserlebnisse in der Schule „abzuarbeiten“. Die Wurzeln <strong>für</strong> diese Dispositionen wären<br />

in der individuellen Sozialisationsgeschichte, vielleicht auch in org<strong>an</strong>ischen Faktoren zu<br />

finden. Abhilfe könnte – dieser Sichtweise folgend – eventuell eine psychologische oder<br />

ärztliche Beh<strong>an</strong>dlung der „Problemfälle“ schaffen.<br />

2


• Eine komplexere Sicht bietet eine interpersonale Betrachtungsweise: Die Ursache <strong>für</strong> den<br />

Lärm in der einen Klasse <strong>und</strong> das Zuspätkommen der Schülerin würde dabei im Verhalten der<br />

jeweiligen Lehrpersonen gesucht. Wenn diese sich ein <strong>an</strong>deres Verhalten der Schüler<br />

wünschen, d<strong>an</strong>n müssten sie sich selbst <strong>an</strong>ders verhalten: zum Beispiel interess<strong>an</strong>ter<br />

unterrichten, damit die Schüler aufpassen; die Hausaufgaben in die Leistungsbeurteilung<br />

einbeziehen, damit sie auch gemacht werden; durch die eigene Pünktlichkeit den Schülern ein<br />

Vorbild geben. In einer interpersonalen Betrachtungsweise k<strong>an</strong>n aber auch das<br />

Schülerverhalten als Auslöser des Lehrerverhaltens gesehen werden: Wenn die Schüler (wie<br />

in Szene 3) verlässlich arbeiten, k<strong>an</strong>n sie die Lehrerin leicht unbeaufsichtigt lassen. Und es<br />

erscheint nachvollziehbar, dass die Lehrerin in Szene 1 ärgerlich reagiert, wenn Schüler die<br />

Hausaufgabe nicht machen <strong>und</strong> d<strong>an</strong>n auch noch zu Ausreden Zuflucht nehmen. Lehrer <strong>und</strong><br />

Schüler beeinflussen ein<strong>an</strong>der also wechselseitig – die Frage ist allenfalls, welcher der<br />

Interaktionspartner dabei den Anf<strong>an</strong>g gemacht hat (nach Watzlawick, Beavin & Jackson,<br />

1985, ein letztlich unlösbares Problem der „Interpunktion“).<br />

• Ohne solche Ursachen - oder gar Schuld-Zuschreibungen kommt dagegen die systemische<br />

Betrachtungsweise aus: Das Verhalten aller h<strong>an</strong>delnden Personen wird dabei als Resultat der<br />

Wirkkräfte im Gesamtsystem – bestehend aus Schülern, Lehrern <strong>und</strong> sozialem Umfeld -<br />

betrachtet. Die „Verhaltensauffälligkeit“ des „Problemschülers“ (oder des „Problemlehrers“)<br />

wird damit zum Symptom <strong>für</strong> Dysfunktionalitäten im System. Die lockere Arbeitshaltung der<br />

beiden Lehrer in Szene 2 ist vielleicht „notwendig“, um dem Enthusiasmus der Lehrerin in<br />

Szene 1 erst jene „Strahlkraft“ zu verleihen, die die Schüler so aufmerksam sein lässt, <strong>und</strong> die<br />

Verärgerung des Lehrers über die fehlende Hausaufgabe „erfordert“ in gewisser Weise die<br />

Gelassenheit <strong>an</strong>derer Lehrkräfte. Mit dieser Sichtweise hebt sich letztlich die Frage nach der<br />

Verursachung auf <strong>und</strong> die vorhin noch selbstverständlich erscheinende Bewertung von<br />

Verhaltensweisen wird obsolet: Jedes Verhalten trägt letztlich seinen Teil zum Funktionieren<br />

des Gesamtsystems bei <strong>und</strong> k<strong>an</strong>n in seinem Potenzial <strong>für</strong> die Weiterentwicklung des Systems<br />

gesehen <strong>und</strong> gewürdigt werden. Ziel ist damit nicht mehr die rasche Beseitigung von<br />

Problemverhalten oder der Ausschluss von „Symptomträgern“ aus der Klasse, sondern die<br />

Weiterentwicklung des Systems unter geteilter Ver<strong>an</strong>twortung aller Mitglieder dieses<br />

Systems.<br />

Hennig & Knödler (2000) konstatieren im Laufe der Psychologie-Geschichte einen W<strong>an</strong>del<br />

von der individuumsorientierten über die interpersonale hin zur systemischen<br />

Betrachtungsweise, ohne dass durch dieses Fortschreiten die älteren Ansätze bedeutungslos<br />

geworden wären. Wenn es um die Vermeidung von Disziplinproblemen geht, d<strong>an</strong>n könnte das<br />

3


edeuten: Auf der Basis einer systemischen Sicht k<strong>an</strong>n auch der individuelle Anteil einzelner<br />

Personen mitbedacht werden <strong>und</strong> – was g<strong>an</strong>z zentral <strong>für</strong> das hier abgeh<strong>an</strong>delte Thema ist - das<br />

Verhalten der Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer k<strong>an</strong>n als Einflussfaktor auf das Schülerverhalten<br />

gesehen werden. Nur d<strong>an</strong>n macht es letztlich Sinn, nach wirkungsvollen Wegen der<br />

<strong>Klassenführung</strong> zu suchen <strong>und</strong> Lehrer zu ermutigen ihre Ver<strong>an</strong>twortung – oder genauer: ihren<br />

Anteil <strong>an</strong> Ver<strong>an</strong>twortung – <strong>für</strong> das Geschehen in der Klasse wahrzunehmen. Dieser Anteil ist<br />

im hierarchisch strukturierten Schulsystem zweifellos ein sehr bedeutsamer (vgl. Grell &<br />

Grell, 1999). Die Frage „wer <strong>an</strong>gef<strong>an</strong>gen hat“ tritt dabei zurück hinter die Frage: Was können<br />

Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer tun, um zu einem produktiven Lehr- <strong>und</strong> Lernklima beizutragen?<br />

2.1 „Strategien“, die „Disziplin“ fördern<br />

Ziel der hier <strong>an</strong>gestellten Überlegungen ist nicht das Eliminieren von <strong>Unterrichts</strong>störungen<br />

<strong>und</strong> das Vermeiden zwischenmenschlicher Konflikte (was unmöglich wäre, selbst wenn m<strong>an</strong><br />

es erreichen möchte), wohl aber deren Reduzierung auf ein Ausmaß, das ein wirksames<br />

fachliches <strong>und</strong> überfachliches Lehren <strong>und</strong> Lernen erlaubt. „Disziplin“ wird damit primär als<br />

ein notweniges Zwischenziel zur Erreichung von Lehr- <strong>und</strong> Lernerfolg gesehen. Ein gewisses<br />

Ausmaß <strong>an</strong> Disziplin ist überdies eine Voraussetzung da<strong>für</strong>, dass Konflikte der Schüler<br />

unterein<strong>an</strong>der <strong>und</strong> zwischen Schülern <strong>und</strong> Lehrpersonen produktiv bearbeitet werden können.<br />

Diese Zwischenziel-Funktion von Disziplin schließt nicht aus, sie im Sinne von „Selbst-<br />

Disziplin“ auch als eine über die aktuelle Situation hinaus wirksame <strong>und</strong> auch <strong>für</strong> <strong>an</strong>dere<br />

Lebenssituationen hilfreiche Disposition zu betrachten <strong>und</strong> als eigenständiges pädagogisches<br />

Ziel <strong>an</strong>zustreben.<br />

Die zur Erreichung dieses (Zwischen-)Ziels von Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern gesetzten<br />

pädagogischen <strong>und</strong> didaktischen Maßnahmen werden im Folgenden als „Strategien“<br />

bezeichnet. Das soll unterstreichen, dass das Lehrerverhalten intentional sein k<strong>an</strong>n (ihm also<br />

der Status einer „H<strong>an</strong>dlung“ zukommt) <strong>und</strong> potenziell in umfassendere Pläne eingebettet ist<br />

(was den Begriff „Strategie“ nahe legt). Dass das Agieren von Lehrern häufig nur<br />

teilbewusstes „Tun“ ist, oftmals auch nur den Status von (reaktivem) „Verhalten“ hat, soll<br />

damit nicht bestritten werden. Im Gegenteil: Eine gewisse Routinisierung des H<strong>an</strong>delns<br />

erscheint durchaus wünschenswert <strong>und</strong> ist charakteristisch <strong>für</strong> Professionalität (vgl. Groeben,<br />

1986; Bromme, 1992). Für m<strong>an</strong>che der im Folgenden thematisierten Aspekte des Agierens<br />

von Lehrern wäre „strategische Zielgerichtetheit“ wahrscheinlich sogar kontraproduktiv:<br />

Schüler wünschen sich z.B. einen „Lehrer, der sie mag“ – nicht einen, der emotionale<br />

Zuwendung von Berufs wegen ausübt – <strong>und</strong> in einer <strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nten Situation ist „Humor als<br />

Persönlichkeitsmerkmal“ gefragt, nicht „humorvolles Verhalten“. Der Begriff „Strategie“<br />

4


wird hier dennoch als Oberbegriff <strong>für</strong> alle diese Phänomene verwendet. Und sofern<br />

ausgedrückt werden soll, dass ein Bündel von Strategien gemeinsam <strong>für</strong> das Verhalten eines<br />

Lehrers charakteristisch ist, d<strong>an</strong>n ist von „Wegen der <strong>Klassenführung</strong>“ die Rede.<br />

In ähnlicher, nicht g<strong>an</strong>z trennscharfer Weise werden im Folgenden auch die Begriffe<br />

„Konflikte“ <strong>und</strong> „Störungen“ verwendet. Es schwingen bei Ausdrücken dieser Art immer<br />

gewisse Konnotationen mit, die m<strong>an</strong> lieber nicht dabei hätte – verwendet m<strong>an</strong> dagegen ein<br />

<strong>an</strong>deres Wort, d<strong>an</strong>n löst das in der Regel nicht das Problem, sondern verschiebt es nur. Keiner<br />

dieser Begriffe k<strong>an</strong>n be<strong>an</strong>spruchen, der „bessere“ zu sein, er ist allenfalls der (relativ)<br />

„passendere“ von mehreren möglichen <strong>für</strong> den beabsichtigten Redezweck (zur Terminologie<br />

siehe Cloer, 1982; Lissm<strong>an</strong>n, 1995).<br />

3 Strategien <strong>und</strong> Wege der <strong>Klassenführung</strong><br />

3.1 Quellen des Wissens<br />

Wenn es um die Frage geht, welche pädagogischen H<strong>an</strong>dlungsstrategien geeignet sind,<br />

Disziplin zu fördern, d<strong>an</strong>n kommen <strong>für</strong> die Be<strong>an</strong>twortung dieser Frage Wissensbestände<br />

unterschiedlicher Herkunft in Betracht. Sie lassen sich grob zwei Kategorien zuordnen:<br />

• dem Alltagswissen von Personen mit Erfahrungen im pädagogischen Feld, wie es sich in<br />

den subjektiven Theorien von Lehrern <strong>und</strong> Schülern niederschlägt (vgl. Schlee & Wahl,<br />

1987);<br />

• den wissenschaftlich entwickelten oder zumindest wissenschaftlich überprüften Theorien<br />

<strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>en insbesondere aus der Lerntheorie, aus der <strong>Unterrichts</strong>forschung <strong>und</strong> aus<br />

unterschiedlichen psychotherapeutischen Richtungen.<br />

In die im Folgenden zusammengestellten empirischen Bef<strong>und</strong>e sind Informationen aus beiden<br />

Wissensquellen eingeg<strong>an</strong>gen. Sie stammen aus einer Sammlung <strong>und</strong> empirischen<br />

Überprüfung von „Ratschlägen“ von Lehrern <strong>und</strong> Schülern <strong>und</strong> von Theorien <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>en<br />

aus der pädagogisch-psychologischen Literatur bzw. von daraus abgeleiteten<br />

„H<strong>an</strong>dlungsempfehlungen“. Die Überprüfung erfolgte zunächst <strong>an</strong> Hauptschulklassen (Mayr,<br />

Eder & Fartacek, 1991) <strong>und</strong> wurde d<strong>an</strong>n ausgedehnt auf alle Schularten von der Gr<strong>und</strong>schule<br />

bis zum tertiären Bildungsbereich. In die dargestellten Bef<strong>und</strong>e fließen Erkenntnisse ein, die<br />

<strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Daten mehrerer Tausend Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler <strong>und</strong> einiger H<strong>und</strong>ert<br />

Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer gewonnen wurden. Eine besondere Rolle spielt dabei die Analysen<br />

des pädagogischen H<strong>an</strong>delns von Lehrpersonen, die im Sinne der einleitend formulierten<br />

5


Zielstellung als „erfolgreich“ bezeichnet werden können (zu diesem „Experten<strong>an</strong>satz“ siehe<br />

Bromme, 1992).<br />

3.2 Empirische Bef<strong>und</strong>e 2<br />

Als vorläufiges Ergebnis zeichnen sich 21 H<strong>an</strong>dlungsstrategien ab, die <strong>für</strong> die Mitarbeit der<br />

Schüler im Unterricht bzw. die Häufigkeit von <strong>Unterrichts</strong>störungen relev<strong>an</strong>t erscheinen. Sie<br />

lassen sich aufgr<strong>und</strong> inhaltlicher Gesichtspunkte <strong>und</strong> statistischer Analysen zu folgenden drei<br />

Bereichen zusammenfassen (siehe dazu Abbildung 1):<br />

• „Unterricht gestalten“. Dieser Bereich enthält u.a. Strategien, die sich in der<br />

<strong>Unterrichts</strong>forschung als subst<strong>an</strong>zielle Charakteristika „guten <strong>Unterrichts</strong>“<br />

herauskristallisiert haben bzw. gängigen methodisch-didaktischen Konzepten entsprechen<br />

(siehe z.B. Helmke & Weinert, 1997; Grell & Grell, 1999; Meyer, 1999).<br />

• „Beziehungen fördern“. Die Strategien dieses Bereichs spiegeln pädagogische Haltungen<br />

<strong>und</strong> Interaktionsformen wider, die von der hum<strong>an</strong>istischen Psychologie empfohlen werden<br />

(vgl. Singer, 1996; Gordon, 1997; Tausch & Tausch, 1998).<br />

• „Verhalten kontrollieren“. Dieser Bereich umfasst lerntheoretisch f<strong>und</strong>ierte bzw. aus den<br />

<strong>an</strong>gloamerik<strong>an</strong>ischen Forschungen zum classroom m<strong>an</strong>agement bek<strong>an</strong>nte Strategien<br />

(Kounin, 1970; Emmer, Evertson, S<strong>an</strong>ford, Clements & Worsham, 1985; Robertson,<br />

1996).<br />

Die Strategien des ersten Bereichs haben durchwegs störungspräventiven Charakter, dh. sie<br />

sollen die Schüler zur Mitarbeit <strong>an</strong>regen <strong>und</strong> die Wahrscheinlichkeit von <strong>Unterrichts</strong>störungen<br />

vermindern (z.B. die Strategie, Schüler im Unterricht immer zu beschäftigen). In den <strong>an</strong>deren<br />

Bereichen sind sowohl präventive Strategien vertreten als auch reaktive, also auf die<br />

Beendigung einer Störung gerichtete Strategien (wie z.B. unerwünschtes Schülerverhalten mit<br />

S<strong>an</strong>ktionen zu belegen). M<strong>an</strong>che Strategien können sowohl präventiv als auch reaktiv<br />

eingesetzt werden (z.B. das Sprechen über den Unterricht).<br />

Im Folgenden werden wichtige Ergebnisse <strong>und</strong> Folgerungen aus den bisherigen Studien<br />

vorgestellt. Dabei werden Bef<strong>und</strong>e in den Vordergr<strong>und</strong> gestellt, die <strong>an</strong> H<strong>an</strong>delsschulen <strong>und</strong><br />

H<strong>an</strong>delsakademien gewonnen wurden.<br />

Bef<strong>und</strong> 1: Das Verhalten von Lehrern, in deren Unterricht die Schüler intensiv mitarbeiten,<br />

wenig stören <strong>und</strong> zugleich zu diesen Lehrern positiv eingestellt sind, liegt<br />

innerhalb einer bestimmten, je nach Strategie unterschiedlichen B<strong>an</strong>dbreite.<br />

2 Für laufend aktualisierte Angaben zum Forschungsst<strong>an</strong>d siehe http://ius.uni-klu.ac.at/projekte/ldk/<br />

6


Abbildung 1 zeigt diese B<strong>an</strong>dbreite <strong>für</strong> die <strong>Klassenführung</strong> von Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrern <strong>an</strong><br />

H<strong>an</strong>delakademien <strong>und</strong> H<strong>an</strong>delsschulen. Die Daten stammen von Lehrkräften, die von<br />

Studenten der Wirtschaftspädagogik rückblickend auf ihre Schulzeit als besonders qualifiziert<br />

im Hinblick auf die gen<strong>an</strong>nten Kriterien eingeschätzt worden waren.<br />

Strategien der <strong>Klassenführung</strong><br />

<strong>an</strong> H<strong>an</strong>delsschulen <strong>und</strong> H<strong>an</strong>delsakademien stimmt<br />

stimmt nicht<br />

Unterricht gestalten<br />

1 Sie/Er k<strong>an</strong>n sehr viel in ihrem/seinem Fach. +<br />

4 Sie/Er beginnt jede St<strong>und</strong>e freudig <strong>und</strong> zuversichtlich. +<br />

7 Sie/Er gliedert die <strong>Unterrichts</strong>st<strong>und</strong>e in Abschnitte, die gut aufein<strong>an</strong>der passen. +<br />

10 Bei ihr/ihm wissen wir genau, was wir zu arbeiten haben. +<br />

18 Sie/Er unterrichtet interess<strong>an</strong>t. +<br />

20 Wenn sie/er etwas verspricht oder <strong>an</strong>kündigt, d<strong>an</strong>n hält sie/er das auch ein. +<br />

21 Was wir bei ihr/ihm lernen, bringt auch etwas <strong>für</strong> das spätere Leben. +<br />

Beziehungen fördern<br />

2 Sie/Er tut vieles, damit wir eine gute Klassengemeinschaft werden. +<br />

5 Wir reden mit ihr/ihm auch über den Unterricht <strong>und</strong> über die Klasse. +<br />

8 Sie/Er versucht uns auch d<strong>an</strong>n zu verstehen, wenn wir ihr/ihm einmal Schwierigkeiten machen. +<br />

11 Sie/Er ist zu uns offen <strong>und</strong> ehrlich. +<br />

14 Ich glaube, sie/er mag uns. +<br />

16 Sie/Er ist ausgeglichen <strong>und</strong> humorvoll. +<br />

19 Sie/Er lässt uns vieles selbst entscheiden. +<br />

Verhalten kontrollieren<br />

3 Sie/Er bemerkt alles, was in der Klasse vor sich geht. +<br />

6 Sie/Er kontrolliert laufend, wie wir arbeiten <strong>und</strong> was wir können.<br />

9 Sie/Er äußert sich <strong>an</strong>erkennend, wenn sich Schüler so verhalten, wie sie/er es haben möchte. +<br />

12 Sie/Er greift gleich ein, wenn ein Schüler zu stören <strong>an</strong>fängt.<br />

13 Sie/Er achtet darauf, dass wir im Unterricht immer beschäftigt sind. +<br />

5 4 3 2 1<br />

5 4 3 2 1<br />

5 4 3 2 1<br />

15 Wenn sich Schüler bei ihr/ihm falsch verhalten, müssen sie mit S<strong>an</strong>ktionen rechnen. +<br />

17 Bei ihr/ihm wissen wir genau, welches Verhalten sie/er von uns erwartet. +<br />

Die Angaben in der Tabelle beziehen sich auf 56 Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer, in deren Unterricht die Schüler intensiv mitarbeiten<br />

<strong>und</strong> relativ wenig stören. Überdies sind die Schüler zu diesen Lehrkräften positiv eingestellt.<br />

Die Mittelwerte der einzelnen Lehrer liegen jeweils innerhalb der hellgrau markierten B<strong>an</strong>dbreite. Der Mittelwert der<br />

Gesamtstichprobe liegt im dunkelgrauen Feld. Ein + bedeutet, dass es im Hinblick auf die <strong>an</strong>geführten Kriterien günstiger sein<br />

dürfte, näher <strong>an</strong> dieser Seite der B<strong>an</strong>dbreite zu liegen.<br />

Die Statements sind in der Tabelle thematisch geordnet, die Nummern entsprechen ihrer Reihenfolge im „Linzer Fragebogen<br />

zur <strong>Klassenführung</strong>“ (LDK).<br />

Abbildung 1: Strategien der <strong>Klassenführung</strong>: B<strong>an</strong>dbreite des Verhaltens „erfolgreicher“<br />

Lehrer <strong>an</strong> <strong>HAK</strong> <strong>und</strong> <strong>HASCH</strong> aus Sicht der Schüler<br />

7


Diese B<strong>an</strong>dbreite ist bei m<strong>an</strong>chen Strategien relativ schmal (z.B. bei der fachlichen<br />

Kompetenz), bei <strong>an</strong>deren sehr groß (z.B. beim Reden über den Unterricht <strong>und</strong> die Klasse).<br />

Einigen dieser Lehrer wurde – was auf den ersten Blick überraschend erscheinen mag - ein<br />

relativ unstrukturierter oder wenig interess<strong>an</strong>ter Unterricht (Strategien 7 bzw. 18) oder eine<br />

starke Tendenz zu S<strong>an</strong>ktionen (Strategie 15) attestiert. Vermutlich ist das ein Hinweis darauf,<br />

dass Kompetenzdefizite in dem einen oder <strong>an</strong>deren Bereich durch hohe Kompetenzen in<br />

<strong>an</strong>deren Bereichen kompensiert werden können (vgl. dazu Weinert & Helmke, 1996).<br />

Bef<strong>und</strong> 2: Bei den meisten Strategien lässt sich eine besonders günstige Position innerhalb<br />

der B<strong>an</strong>dbreite <strong>an</strong>geben.<br />

In Abbildung 1 ist durch Plus-Zeichen ersichtlich gemacht, wenn es bei einer Strategie<br />

günstig erscheint, dass sie intensiver oder weniger intensiv <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt wird. Diese<br />

Einschätzungen resultieren aus einer Zusammenschau aller bisher vorliegenden<br />

Untersuchungen unter Berücksichtigung der Kriterien Mitarbeit der Schüler, Häufigkeit von<br />

<strong>Unterrichts</strong>störungen <strong>und</strong> Einstellung der Schüler zum Lehrer. Dabei wurde ein Plus nur d<strong>an</strong>n<br />

vergeben, wenn die Strategie mit zumindest einem dieser Kriterien signifik<strong>an</strong>t korreliert <strong>und</strong><br />

zugleich keine Hinweise vorliegen, dass diese Strategie bezüglich eines <strong>an</strong>deren Kriteriums<br />

negative Auswirkungen hat (<strong>für</strong> die entsprechenden Bef<strong>und</strong>e siehe Mayr et al., 1991;<br />

Stockinger, 1999; Mayr, im Erscheinen).<br />

Bei einigen Strategien scheint die individuelle Position innerhalb der B<strong>an</strong>dbreite ohne<br />

nennenswerten Einfluss auf die Erfolgskriterien zu sein. Es gibt Gr<strong>und</strong> zur Annahme, dass es<br />

sich dabei um Strategien h<strong>an</strong>delt, bei denen ein mittleres Realisierungsausmaß <strong>für</strong> viele<br />

Situationen <strong>an</strong>gemessen ist. Zum Beispiel k<strong>an</strong>n beim Eingreifen, wenn Schüler zu stören<br />

beginnen (Strategie 12) ein zu rasches ebenso wie ein zu spätes Intervenieren zu Problemen<br />

führen. Im ersten Fall wird „zu viel des Guten“ get<strong>an</strong> (Patry & Klaghofer, 1988) <strong>und</strong> die<br />

Aggressionsneigung könnte steigen, im <strong>an</strong>deren Fall zu wenig <strong>und</strong> das Störverhalten (z.B. das<br />

Plaudern der Schüler mit dem Sitznachbarn) würde - weil vom Lehrer offensichtlich toleriert -<br />

zunehmen. Dieses Beispiel verweist auch auf die Möglichkeit, dass eine bestimmte Strategie<br />

sich unterschiedlich auf die einzelnen Kriterien auswirkt.<br />

Abbildung 2 enthält Angaben über solche Zusammenhänge aus einer Untersuchung von<br />

Stockinger (1999), der das Verhalten aller Lehrkräfte aus einer zweiten <strong>HASCH</strong>-Klasse <strong>und</strong><br />

einer zweiten <strong>HAK</strong>-Klasse durch die Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler einschätzen ließ <strong>und</strong> sie auch<br />

bat, ihr eigenes Lern- <strong>und</strong> Sozialverhalten im Unterricht dieser Lehrkräfte zu beurteilen. Diese<br />

Untersuchung ist insofern interess<strong>an</strong>t, als bei ihr – im Gegensatz zu den meisten Studien – die<br />

8


Schüler dieselben sind <strong>und</strong> nur die Lehrer variieren. Mit der gebotenen Vorsicht (vgl.<br />

Abschnitt 2) können daher die Unterschiede im Lehrerverhalten als Ursache <strong>für</strong> die<br />

Unterschiede im Schülerverhalten interpretiert werden. Die alternative Erklärungsvari<strong>an</strong>te, die<br />

Schüler würden sich bei den einzelnen Lehrern unterschiedlich verhalten <strong>und</strong> dadurch deren<br />

Verhalten steuern bzw. die Unterschiede in den sozialen <strong>und</strong> didaktischen Interaktionen<br />

wären nur aus der Dynamik des Systems dieser Klasse verstehbar, erscheint zumindest als<br />

Globalerklärung sehr unwahrscheinlich: In beiden untersuchten Klassen zeigen sich sehr<br />

ähnliche Korrelationsmuster, <strong>und</strong> sie stimmen auch weitestgehend mit den<br />

Zusammenh<strong>an</strong>gsstrukturen überein, die in Studien mit <strong>an</strong>derem Design gef<strong>und</strong>en worden<br />

waren.<br />

Lernengagement: Störverhalten: „Note“<br />

im Unterricht aggr.Verhalten <strong>für</strong> den<br />

zu Hause Unruhe Lehrer<br />

1 Er k<strong>an</strong>n sehr viel in seinem Fach ,75 ,57 -,49 -,83 ,72<br />

4 Er beginnt jede St<strong>und</strong>e freudig <strong>und</strong> zuversichtlich -,92 ,85<br />

7 Er gliedert die <strong>Unterrichts</strong>st<strong>und</strong>e in Abschnitte... ,66 ,39 -,65 -,80 ,82<br />

10 Bei ihm wissen wir genau, was wir zu arbeiten haben ,85 ,69 -,59 -,61 ,79<br />

18 Er unterrichtet interess<strong>an</strong>t ,78 -,84 -,43 ,96<br />

20 Wenn er etwas verspricht oder <strong>an</strong>kündigt, ... hält er das ... ein ,69 -,86 -,47 ,95<br />

21 Was wir bei ihm lernen, bringt auch etwas <strong>für</strong> das ... Leben ,50 ,76 -,62<br />

2 Er tut vieles, damit wir eine gute Klassengem. werden ,36 -,60 ,66<br />

5 Wir reden mit ihm auch über den Unterricht ...<br />

8 Er versucht uns auch d<strong>an</strong>n zu verstehen, wenn wir ... ,40 -,88 ,83<br />

11 Er ist zu uns offen <strong>und</strong> ehrlich ,55 -,81 ,86<br />

14 Ich glaube, er mag uns ,56 -,94 -,75 ,91<br />

16 Er ist ausgeglichen <strong>und</strong> humorvoll ,55 -,87 ,87<br />

19 Er lässt uns vieles selbst entscheiden -,83 ,68<br />

3 Er bemerkt alles, was in der Klasse vor sich geht ,41 -,62 ,47<br />

6 Er kontrolliert laufend, wie wir arbeiten u. was wir können ,39 ,58 -,42<br />

9 Er äußert sich <strong>an</strong>erkennend, wenn sich Schüler ... ,43 -,37 ,49<br />

12 Er greift gleich ein, wenn ein Schüler zu stören <strong>an</strong>fängt -,81<br />

13 Er achtet darauf, dass wir im Unterricht ... beschäftigt sind ,82 ,85 -,65 ,42<br />

15 Wenn sich Schüler bei ihm falsch verhalten, ... S<strong>an</strong>ktionen ,58 -,44<br />

17 Bei ihm wissen wir genau, welches Verhalten er ... erwartet ,67 ,49 -,78 ,58<br />

N = 15 Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer; verrechnet wurden jeweils die Mittelwerte der Einschätzungen aus Schülersicht; eingetragen<br />

sind Korrelationen, die zumindest eine Tendenz zur Signifik<strong>an</strong>z aufweisen, Koeffizienten ab .46 sind signifik<strong>an</strong>t (p < .05,<br />

einseitig);<br />

Ablesebeispiel: Je fachlich kompetenter ein Lehrer von der Klasse eingeschätzt wird (Strategie 1), desto höher ist das<br />

Lernengagement der Schüler, desto weniger Störverhalten tritt auf <strong>und</strong> desto positiver „benoten“ die Schüler diesen Lehrer.<br />

Abbildung 2: Zusammenhänge zwischen den Strategien der <strong>Klassenführung</strong>, dem<br />

Schülerverhalten <strong>und</strong> der Beurteilung des Lehrers in einer <strong>HASCH</strong>-Klasse (nach Stockinger,<br />

1999)<br />

9


Bef<strong>und</strong> 3: Lehrer bevorzugen unterschiedliche Kombinationen von H<strong>an</strong>dlungsstrategien.<br />

M<strong>an</strong>che der in der <strong>Klassenführung</strong> erfolgreichen Lehrpersonen bevorzugen eher<br />

beziehungsfördernde, kommunikative Strategien, m<strong>an</strong>che betonen deutlicher das fachliche<br />

Lernen, m<strong>an</strong>che stützen sich stärker auf "disziplinierende" Maßnahmen, <strong>und</strong> bei m<strong>an</strong>chen<br />

sind keine mark<strong>an</strong>ten Verhaltenstendenzen zu erkennen, ihr Verhalten liegt jedoch innerhalb<br />

der oben <strong>an</strong>gesprochenen B<strong>an</strong>dbreite. Diese vier „Wege der <strong>Klassenführung</strong>“ lassen sich<br />

herausfiltern, indem m<strong>an</strong> ein<strong>an</strong>der ähnliche Verhaltensprofile auf statistischem Weg<br />

zusammenfasst (Mayr et al., 1991, bzw. Mayr, 2004). Wenn ein Lehrer (fast) ausschließlich<br />

einen dieser Wege wählt, egal in welcher Klasse <strong>und</strong> welches Fach er gerade unterrichtet,<br />

d<strong>an</strong>n könnte m<strong>an</strong> von einem „Lehrertyp“ sprechen. Reine Vertreter des jeweiligen Typus<br />

würden sich ungefähr so beschreiben, wie es in Kasten 3 wiedergegeben ist (die<br />

Formulierungen wurden <strong>an</strong>geregt durch Aussagen von Lehrern in Interviews im Zuge der<br />

Studie von Mayr et al., 1991, <strong>und</strong> durch Beschreibungen dieser Typen bei Th<strong>an</strong>hoffer,<br />

Reichel & Rabenstein, 1992).<br />

Bef<strong>und</strong> 4: Welche H<strong>an</strong>dlungsstrategien von Lehrern <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt werden, hängt auch von<br />

Kontextbedingungen ab.<br />

Auch wenn viele Lehrer bestimmte Wege der <strong>Klassenführung</strong> bevorzugen, stimmen sie ihr<br />

H<strong>an</strong>deln doch mehr oder weniger deutlich auf die Situation in der jeweiligen Klasse ab. Es<br />

zeigte sich z.B., dass in leistungsstarken sowie in leistungsheterogenen Klassen eher als in<br />

leistungsschwachen Klassen beziehungsfördernde Strategien <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt werden <strong>und</strong> in<br />

Problemklassen eher disziplinierend agiert wird (vgl. auch Köttl & Sauer, 1980). Weiters: In<br />

der Funktion des Klassenvorst<strong>an</strong>ds agieren viele Lehrer stärker kommunikativ <strong>und</strong> Konflikte<br />

klärend (entsprechend Typ A) – in der Parallelklasse, in der sie diese Funktion nicht ausüben,<br />

beschränken sie sich vielleicht auf die Rolle als „Fach-Lehrer“ (Typ B).<br />

Das heißt zugleich auch: M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sinnvollerweise eher von (mehr oder weniger variablen)<br />

„Verhaltensmustern“ sprechen als von (situativ relativ stabilen) „Lehrertypen“. In der<br />

bildhaften Sprache Schulz von Thuns (1998) könnte m<strong>an</strong> es so formulieren: Lehrer haben in<br />

ihrem „inneren Team“ unterschiedliche „Spieler“ zur Verfügung; m<strong>an</strong>che bringen (fast) nur<br />

ihre „Stammspieler“ zum Einsatz <strong>und</strong> pflegen die Ersatzspieler auf der Ersatzb<strong>an</strong>k zu lassen,<br />

<strong>an</strong>dere schicken sehr flexibel jeweils jene Spieler aufs Feld, die ihnen <strong>für</strong> die jeweilige<br />

Spielsituation am passendsten erscheinen: einmal die <strong>für</strong> gute Kontakte zu den Schülern, ein<br />

<strong>an</strong>deres Mal die <strong>für</strong>s direktive Eingreifen bei Störungen (<strong>für</strong> eine ausführliche Diskussion der<br />

Situationsspezifität pädagogischen H<strong>an</strong>delns siehe Patry & Riffert, 2000).<br />

10


Wege der <strong>Klassenführung</strong><br />

Weg A: Kommunikativ-beziehungsorientiertes H<strong>an</strong>deln<br />

„Mir ist die persönliche Beziehung zu den Schülern wichtig, <strong>und</strong> ich möchte, dass auch die Schüler gut<br />

mit ein<strong>an</strong>der auskommen. Sicher sind die heutigen Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen nicht immer einfach – es<br />

ist ja auch nicht leicht, in einer Zeit wie der unsrigen aufzuwachsen! Aber ich mag sie einfach so wie<br />

sie sind, <strong>und</strong> ich versuche sie zu verstehen, auch wenn sie d<strong>an</strong>n <strong>und</strong> w<strong>an</strong>n Schwierigkeiten bereiten.<br />

Wenn es einen Konflikt gibt, d<strong>an</strong>n spreche ich ihn offen <strong>an</strong> <strong>und</strong> versuche mit den Schülern gemeinsam<br />

eine <strong>für</strong> alle akzeptable Lösung zu finden. Die Schüler kommen auch immer wieder mit privaten<br />

Problemen zu mir oder wenn es Schwierigkeiten mit <strong>an</strong>deren Lehrern gibt, leider zählt <strong>für</strong> m<strong>an</strong>che<br />

Kollegen ja nur der Lehrstoff. Auch ich möchte natürlich, dass die Schüler viel vom Unterricht<br />

profitieren <strong>und</strong> Interesse am Fach gewinnen – im Zweifelsfall ist mir aber immer der Mensch wichtiger<br />

als der Stoff. Die positiven Rückmeldungen von Schülern <strong>und</strong> Eltern bestätigen mich auf diesem<br />

Weg!“<br />

Weg B: Fachorientiertes H<strong>an</strong>deln<br />

„Ich bin in der glücklichen Lage, ein sehr interess<strong>an</strong>tes Fach zu unterrichten. Es hat mich schon<br />

während meiner eigenen Schulzeit <strong>und</strong> im Studium fasziniert. Und jetzt habe ich als Lehrer die<br />

Ch<strong>an</strong>ce, dieses Fach jungen Menschen nahe zu bringen! Meinem Eindruck nach gelingt mir das auch<br />

mit einigem Erfolg. Wichtig finde ich, dass m<strong>an</strong> den Unterricht fachlich <strong>und</strong> methodisch sehr gut<br />

vorbereitet. D<strong>an</strong>n geht m<strong>an</strong> schon mit Freude in die Klasse k<strong>an</strong>n sich sicher sein, dass m<strong>an</strong> den<br />

Schülern Interess<strong>an</strong>tes zu bieten hat, dass sie sich im Unterricht gut auskennen <strong>und</strong> viel profitieren.<br />

Meine Schüler Sie sind d<strong>an</strong>n meist wirklich g<strong>an</strong>z toll bei der Sache <strong>und</strong> Ihre Leistungen fallen<br />

entsprechend aus, so dass ich ihnen oft Anerkennung aussprechen k<strong>an</strong>n. <strong>Unterrichts</strong>störungen<br />

kommen bei mir kaum vor, ich würde die Unruhe <strong>und</strong> die Konflikte auch gar nicht aushalten, die es bei<br />

m<strong>an</strong>chen Kollegen im Unterricht gibt!“<br />

Weg C: Disziplinierendes H<strong>an</strong>deln<br />

„Die heutigen Schüler sind nicht einfach zu führen, dennoch komme ich recht gut mit ihnen zur<strong>an</strong>de.<br />

M<strong>an</strong> muss als Lehrer einfach die Schüler von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> klar wissen lassen, welches Verhalten m<strong>an</strong><br />

von ihnen erwartet. Weiters gilt es, immer die g<strong>an</strong>ze Klasse im Auge zu behalten, <strong>und</strong> wenn ein<br />

Schüler zu stören beginnt, d<strong>an</strong>n greift m<strong>an</strong> am besten sofort ein, ehe er auch <strong>an</strong>dere zu Unfug<br />

verleitet. Bei gröberen Verstößen soll m<strong>an</strong> keine Scheu zeigen, S<strong>an</strong>ktionen zu verhängen. Wichtig ist<br />

auch, dass es im Unterricht keine Leerläufe gibt, sondern dass die Schüler immer beschäftigt sind.<br />

Und wenn sie ordentlich arbeiten, d<strong>an</strong>n haben sie sich auch einmal ein Lob verdient. M<strong>an</strong>chmal<br />

komme ich mir mit diesem <strong>Unterrichts</strong>stil zwar wie ein „Dompteur“ vor, aber da<strong>für</strong> habe ich auch in<br />

schwierigen Klassen keine Disziplinprobleme, wie leider so m<strong>an</strong>che <strong>an</strong>dere Lehrer!“<br />

Weg D: Arbeitsökonomisches H<strong>an</strong>deln<br />

„Ich glaube, dass ich im Umg<strong>an</strong>g mit den Schülern keine besonders mark<strong>an</strong>ten Eigenheiten aufweise<br />

– weder besonders ausgeprägte Vorlieben noch ins Gewicht fallende Schwächen. Ich denke aber,<br />

dass ich meine Sache g<strong>an</strong>z gut mache: Die Schüler arbeiten im Unterricht ordentlich mit, <strong>und</strong> der<br />

Spaß kommt nicht zu kurz. Den Schülern gefällt offensichtlich meine Art des <strong>Unterrichts</strong>, auch wenn<br />

ich nicht der Lehrer bin, der sich <strong>für</strong> die Schule „zerspragelt“! Vielleicht ist es ihnen sogar g<strong>an</strong>z recht,<br />

dass ich nicht nur die Schule im Kopf habe, wie so m<strong>an</strong>che <strong>an</strong>dere Lehrer, <strong>und</strong> dass ich das G<strong>an</strong>ze<br />

auch mit einer gewissen Lockerheit nehme. Wenn ich heute nochmals wählen müsste, ich würde<br />

sofort wieder Lehrer werden – es ist ein schöner Beruf mit viel Abwechslung, <strong>und</strong> vor allem: Er lässt<br />

noch genügend Zeit <strong>für</strong> private Interessen!“<br />

Abbildung 3: Fiktive Selbstbeschreibung von Lehrern, die je einen der vier Wege der<br />

<strong>Klassenführung</strong> vertreten<br />

11


Bef<strong>und</strong> 5: Selbst- <strong>und</strong> Fremdeinschätzung des Lehrerverhaltens divergieren meist deutlich.<br />

Die Korrelationen zwischen der Selbsteinschätzung des pädagogischen H<strong>an</strong>delns <strong>und</strong> der<br />

Schülereinschätzung liegt im Durchschnitt der Strategien nur knapp über .20 (Mayr et al.,<br />

1991). Die meisten Lehrer schätzen überdies ihr Verhalten im Durchschnitt positiver ein, als<br />

ihre Schüler dies tun. M<strong>an</strong>che Lehrer sind zwar relativ gute „Diagnostiker“ des eigenen<br />

Verhaltens, aber auch sie haben häufig „blinde Flecken“ – oft genau bezüglich ihrer<br />

Problembereiche in der Interaktion mit den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern. Die Sicht der Schüler<br />

– vor allem wenn m<strong>an</strong> die Klassenmittelwerte als Gr<strong>und</strong>lage verwendet - stimmt auch eher<br />

mit jener neutraler Beobachter überein. Insgesamt betrachtet dürfte es <strong>für</strong> Lehrer jedenfalls<br />

schwierig sein, ihr eigenes Verhalten realitätsnah einzuschätzen (vgl. Hook & Rosenshine,<br />

1979).<br />

4 Was Lehrerstudenten <strong>und</strong> Lehrer tun können<br />

Die oben beschriebenen Forschungen waren mit dem expliziten Ziel begonnen worden,<br />

Lehrern Hilfestellungen <strong>für</strong> die Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen in der <strong>Klassenführung</strong><br />

<strong>an</strong>bieten zu können. Den Rahmen da<strong>für</strong> können formelle Fortbildungsver<strong>an</strong>staltungen oder<br />

Schulentwicklungsprogramme bieten (vgl. Krall, 1999), Lehrinnen <strong>und</strong> Lehrer können sich in<br />

informellen Teams zusammenfinden (vgl. Humpert & D<strong>an</strong>n, 2001) oder sie können ihr<br />

Vorhaben als Einzelpersonen in Angriff nehmen. In jedem Fall erscheinen zwei Schritte<br />

zweckmäßig: die Klärung des derzeitigen pädagogischen H<strong>an</strong>delns <strong>und</strong> das Durchführen von<br />

„H<strong>an</strong>dlungsexperimenten“. Die dazu im Folgenden gegebenen Hinweise eignen sich<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch <strong>für</strong> Lehrerstudenten im Praktikum, <strong>für</strong> diese sind allerdings die<br />

<strong>an</strong>gebotenen Vergleichswerte „erfolgreicher Lehrer“ aus Abbildung 1 nur beschränkt<br />

verwendbar <strong>und</strong> es k<strong>an</strong>n auch sein, dass sie die eine oder <strong>an</strong>dere H<strong>an</strong>dlungsstrategie kaum<br />

realisieren können, wenn es sich um ein kürzeres Praktikum h<strong>an</strong>delt oder ihr<br />

H<strong>an</strong>dlungsspielraum durch <strong>an</strong>dere Rahmenbedingungen eingeschränkt wird.<br />

4.1 Sich mit dem eigenen Verhalten ausein<strong>an</strong>dersetzen<br />

Eine günstige Voraussetzung <strong>für</strong> jede Weiterentwicklung des Lehrerverhaltens ist es,<br />

zunächst einmal das derzeitige Verhalten einer Betrachtung zu unterziehen. Dabei k<strong>an</strong>n der<br />

„Linzer Diagnosebogen zur <strong>Klassenführung</strong>“ (LDK) 3 verwendet werden, der im Rahmen der<br />

oben beschriebenen Untersuchungen entst<strong>an</strong>den ist. Seine Herstellung <strong>und</strong> die Schritte seines<br />

3 Auf der LDK-Website (http://ius.uni-klu.ac.at/projekte/ldk/) stehen verschiedene Versionen des LDK <strong>und</strong><br />

Anleitungen <strong>für</strong> seine Anwendung bereit.<br />

12


Einsatzes sind in Abbildung 4 beschrieben. An dieser Stelle werden einige ergänzende<br />

Hinweise gegeben.<br />

Technische Hinweise zum „Linzer Diagnosebogen zur <strong>Klassenführung</strong>“ (LDK)<br />

(1) Erstellen Sie aus den Items aus Abbildung 1 einen Fragebogen <strong>für</strong> Ihre Schüler. Ordnen Sie die<br />

Items nach den vor<strong>an</strong>gestellten Nummern.<br />

(2) Wählen Sie eine Klasse aus, von der Sie gerne Rückmeldungen erhalten möchten. Sie können<br />

natürlich auch gleich mehrere Klassen befragen.<br />

(3) Erläutern Sie den Schülern, was Sie vorhaben <strong>und</strong> warum Ihnen die Rückmeldungen wichtig sind.<br />

Falls Sie in dieser Klasse verschiedene Fächer unterrichten, so sollen die Schüler bei der<br />

Be<strong>an</strong>twortung nur <strong>an</strong> eines dieser Fächer denken - <strong>und</strong> zwar <strong>an</strong> jenes, das Sie ihnen vorgeben.<br />

(4) Sichern Sie den Schülern Anonymität zu <strong>und</strong> gewährleisten Sie diese auch.<br />

(5) Sollte einem Schüler ein Satz unklar sein, soll er ihn einfach auslassen.<br />

(6) Während die Schüler den Fragebogen ausfüllen (oder schon vorher zu Hause) schätzen Sie Ihr<br />

Verhalten in dieser Klasse <strong>und</strong> in diesem Fach selbst ein.<br />

(7) Werten Sie die Schüler<strong>an</strong>tworten aus, indem Sie bei jeder Frage den Mittelwert aus den<br />

Einschätzungen aller Schüler berechnen.<br />

(8) Tragen Sie diese Mittelwerte <strong>und</strong> Ihre Selbsteinschätzung in die Abbildung 1 ein. Dadurch haben<br />

Sie die Möglichkeit, Ihre Selbsteinschätzung, die Schülereinschätzungen <strong>und</strong> die<br />

Schülereinschätzungen „erfolgreicher Lehrer“ zu vergleichen.<br />

(9) Meist möchten die Schüler die Ergebnisse der Befragung erfahren. Im allgemeinen wird es auch<br />

sinnvoll sein, ihnen diese mitzuteilen <strong>und</strong> mit ihnen darüber zu reden.<br />

Abbildung 4: Anleitung zur Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem eigenen pädagogischen H<strong>an</strong>deln mit<br />

Hilfe des LDK<br />

Zunächst einmal: Die Selbsteinschätzung des Verhaltens mit Hilfe des LDK erleichtert das<br />

Vertrautwerden mit den einzelnen Strategien <strong>und</strong> ist schnell durchführbar. Sie bildet die Basis<br />

<strong>für</strong> alle weiteren Schritte. Was m<strong>an</strong> dabei bedenken sollte: Es ist schwierig, das eigene<br />

Verhalten realistisch einzuschätzen, <strong>und</strong> m<strong>an</strong> neigt im Allgemeinen dazu, es mehr oder<br />

weniger „geschönt“ zu sehen (was psychohygienisch durchaus günstig ist, sol<strong>an</strong>ge der Bezug<br />

zur Realität noch gewahrt bleibt).<br />

Die Einschätzung des Lehrerverhaltens durch die Schüler ist schon etwas aufwändiger – sie<br />

kostet mehr Zeit <strong>und</strong> auch einige Überwindung, beinhaltet sie doch das Risiko, im einen oder<br />

<strong>an</strong>deren Bereich auch unerfreuliche Rückmeldungen zu erhalten. Diese Befragung der Schüler<br />

sollten Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer, die ihr pädagogisches H<strong>an</strong>deln weiterentwickeln wollen,<br />

jedoch keinesfalls auslassen: Die Sicht der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler ist natürlich ebenfalls<br />

subjektiv, das kollektive Urteil der Klasse - wie es im Klassenmittelwert zum Ausdruck<br />

kommt – hat aber doch eine hohe Aussagekraft. Vor allem aber ist es letztlich die Sicht der<br />

Schüler, die darüber entscheidet, wie sie sich im Unterricht des betreffenden Lehrers<br />

verhalten.<br />

13


Beim vorgeschlagenen Vergleich von Selbst- <strong>und</strong> Schülereinschätzung muss mit mehr oder<br />

weniger großen Diskrep<strong>an</strong>zen gerechnet werden. Das liegt – neben den bereits <strong>an</strong>geführten<br />

Gründen – auch dar<strong>an</strong>, dass die Schülereinschätzungen als Durchschnittswerte eine Tendenz<br />

zur Mitte aufweisen – ein Wert von 5,0 wäre ja nur erreichbar, wenn alle Schüler das Item mit<br />

dem Wert 5 klassifizieren, was in der Praxis kaum vorkommt. Beim Vergleichen der Selbst-<br />

<strong>und</strong> Fremdeinschätzungen sollte m<strong>an</strong> sich vor Augen halten, dass jede dieser Sichtweisen<br />

legitim ist – ggf. k<strong>an</strong>n ein Gespräch Diskrep<strong>an</strong>zen zwischen den Sichtweisen klären helfen<br />

(Unterschiede, die kleiner als eine Skalenstufe sind, können dabei vernachlässigt werden).<br />

Der Vergleich der Schülereinschätzungen mit den Werten „erfolgreicher Lehrer“ zeigt sehr<br />

deutlich auf, wo aus Sicht der Schüler <strong>und</strong> gemessen <strong>an</strong> den empirischen Bef<strong>und</strong>en Stärken<br />

<strong>und</strong> Schwächen des pädagogischen H<strong>an</strong>delns (zumindest in dieser Klasse) liegen. Dieser<br />

Vergleich ist nur d<strong>an</strong>n zu empfehlen, wenn sich der Betreffende recht sicher ist, mit<br />

eventuellen Enttäuschungen umgehen zu können. Andererseits bietet gerade dieser<br />

Auswertungsschritt eine sehr informative Orientierung <strong>und</strong> liefert meist brauchbare<br />

Anhaltspunkte, wo Verbesserungsschritte <strong>an</strong>setzen sollten <strong>und</strong> vor allem auch, auf welche<br />

Kompetenzen dabei zurückgegriffen werden k<strong>an</strong>n.<br />

4.2 Sich auf H<strong>an</strong>dlungsexperimente einlassen<br />

Die Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem eigenen H<strong>an</strong>deln löst häufig den Wunsch nach<br />

Veränderungen aus. Die besten Partner <strong>für</strong> eine Veränderung sind dabei im Allgemeinen die<br />

Schüler, speziell wenn m<strong>an</strong> mit ihnen über die Befragungsergebnisse gesprochen hat. Sie<br />

haben meist ein vitales Interesse <strong>an</strong> gutem Unterricht <strong>und</strong> finden es in der Regel auch<br />

<strong>an</strong>erkennenswert, wenn Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer etwas dazulernen möchten. Dieses Gespräch<br />

mit den Schülern – es k<strong>an</strong>n schon ein erstes „H<strong>an</strong>dlungsexperiment“ sein - ist aber nicht<br />

jederm<strong>an</strong>ns Sache, wie folgendes Beispiel zeigt.<br />

Im Zuge eines Fortbildungskurses führte - ein durchaus „erfolgreicher“ Lehrer – eine<br />

Schülerbefragung mit dem LDK durch. Dabei erhielt er bezüglich einer Strategie eine<br />

Rückmeldung, die er sich nicht erklären konnte. Leider folgte er – entgegen seinem eigenen<br />

„Gefühl“ - dem Rat des Seminarleiters, doch einfach die Schüler um ergänzende<br />

Erläuterungen zu bitten: Ab diesem Zeitpunkt erlebte er sich in dieser Klasse unsicher <strong>und</strong><br />

verkrampft. In der Parallelklasse hatte er - ohne mit den Schülern zu reden – ein paar kleinere,<br />

gut überlegte Umstellungen vorgenommen <strong>und</strong> damit Erfolg erzielt, wie ein später<br />

eingeholtes, schriftliches Feedback ergab.<br />

14


Worin können nun solche Umstellungen sinnvollerweise bestehen? Dazu ein Beispiel:<br />

Einem Lehrer war bis zur Schülerbefragung gar nicht aufgefallen, dass er bisher eher die<br />

negativen Seiten seiner Schüler betont hatte. Er war gemäß Selbst- <strong>und</strong> Schülereinschätzung<br />

ein sehr kommunikationsbereiter Mensch (mit hohen Werten in den Strategien 5 <strong>und</strong> 8), der<br />

den Schülern gegenüber auch offen <strong>und</strong> ehrlich auftrat (Strategie 11) - jedenfalls was Kritik<br />

betraf. Die Schüler hatten jedoch den Eindruck, er würde erwünschtes Schülerverhalten nicht<br />

<strong>an</strong>gemessen <strong>an</strong>erkennen (Strategie 9). Da es seiner pädagogischen Philosophie widersprach,<br />

Schüler <strong>für</strong> erwünschtes Verhalten zu loben, wählte er einen <strong>an</strong>deren Weg, positive Aspekte<br />

zu thematisieren: Er achtete stärker als bisher auf die konstruktiven Verhaltensweisen seine<br />

Schüler, <strong>und</strong> er beg<strong>an</strong>n, seine Freude darüber im Sinne von „Ich-Botschaften“ (vgl. Gordon,<br />

1997) auszudrücken, was ihm offensichtlich in stimmiger Weise gel<strong>an</strong>g. Um nicht bald<br />

wieder auf seinen Vorsatz zu vergessen, ließ er sich eine Zeit l<strong>an</strong>g von den Schülern am Ende<br />

jeder Woche Rückmeldungen darüber geben, wie weit diese ihr Verhalten <strong>und</strong> ihre Arbeit<br />

<strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt erlebt hatten.<br />

Zentral <strong>für</strong> den Erfolg von H<strong>an</strong>dlungsexperimenten dürfte sein (das sollten auch die<br />

<strong>an</strong>geführten Beispiele unterstreichen), dass sie kompatibel mit den Wertvorstellungen,<br />

Philosophien <strong>und</strong> den schon vorh<strong>an</strong>denen Kompetenzen der Lehrperson sind. Zum Beispiel<br />

ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Lehrer mit einem skeptischen Menschenbild in<br />

kritischen Situationen auf das Problemlösepotenzial der Klasse vertraut <strong>und</strong> eine<br />

kommunikative Konfliktlösung (im Sinn des Weges A; vgl. Abbildung 3) <strong>an</strong>strebt. Für ihn<br />

muss es sinnvoller erscheinen, selbst die Lösung vorzugeben (wie es eher den Wegen B <strong>und</strong> C<br />

entspricht). Wenn dieser Lehrer dennoch versucht, mit den Schülern über den Unterricht zu<br />

reden, wird er unter Umständen das Gespräch unbeabsichtigt in einer Weise führen, dass das<br />

Ergebnis letztlich einmal mehr sein Menschenbild bestätigt, das ihn ja lehrt: „M<strong>an</strong> darf<br />

<strong>an</strong>deren nicht vertrauen!“ (vgl. Steiner, 1998). Im obigen Beispiel war <strong>für</strong> den Erfolg sicher<br />

mitentscheidend, dass sich der Lehrer <strong>für</strong> seine Veränderungsbemühungen auf seine<br />

hauptsächliche Stärke, die Kommunikation mit den Schülern, stützte <strong>und</strong> diese um eine neue<br />

Facette bereicherte.<br />

Ein H<strong>an</strong>dlungsexperiment ist stets – von der sicheren Basis des Vertrauten ausgehend - auch<br />

ein mehr oder weniger großer Schritt ins Neul<strong>an</strong>d. In der Terminologie Schulz von Thuns<br />

(1998) könnte m<strong>an</strong> diesen Sachverhalt vielleicht so umschreiben: Jeder Lehrer k<strong>an</strong>n nur mit<br />

jenen „Spielern“ <strong>an</strong>treten, die zu seinem „inneren Team“ gehören. Im Experiment riskiert er<br />

es aber, Spieler aufs Feld zu schicken, die bei ihm üblicherweise nur auf der „Ersatzb<strong>an</strong>k“<br />

15


sitzen. Diese können dadurch Spielpraxis gewinnen, Selbstvertrauen t<strong>an</strong>ken <strong>und</strong> in Zukunft<br />

vielleicht zu „Stammspielern“ werden.<br />

Schwieriger wird es, wenn auch auf der Ersatzb<strong>an</strong>k kein geeigneter Spieler zu finden ist. In<br />

diesem Fall muss ein neuer Spieler „engagiert“ werden: M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sich dazu z.B. einen Lehrer<br />

aus der eigenen Schulzeit, der „Meister“ in der betreffenden Strategie war, möglichst plastisch<br />

in Erinnerung rufen oder m<strong>an</strong> nimmt die Beschreibung eines solchen „Lehrertyps“ zu Hilfe,<br />

wie sie in Abbildung 3 gegeben wird. Mit Offenheit <strong>für</strong> Neues <strong>und</strong> Empathie k<strong>an</strong>n es<br />

gelingen, sich von der inneren (<strong>und</strong> vielleicht auch äußeren) Haltung, dieser Lehrperson<br />

„<strong>an</strong>stecken“ zu lassen <strong>und</strong> es einmal auch so zu probieren wie diese! Dabei ist es unter<br />

Umständen sinnvoll, sich eines „Spielervermittlers“ zu bedienen, also einer Person, die solche<br />

Techniken der Ressourcen-Nutzung beherrscht (siehe dazu z.B. Dilts, B<strong>an</strong>dler & Grinder,<br />

1994).<br />

Wenn pädagogisches H<strong>an</strong>deln wirksam sein soll, d<strong>an</strong>n muss es jedoch nicht nur zur<br />

h<strong>an</strong>delnden Person passen, sondern es muss auch der jeweiligen Situation <strong>an</strong>gemessen sein,<br />

dh. ihrer Vorgeschichte, dem Inhalt der Situation, den Zielen der h<strong>an</strong>delnden Personen <strong>und</strong><br />

ihren Beziehungen zu ein<strong>an</strong>der. Als Beleg da<strong>für</strong> können die Bef<strong>und</strong>e dienen, die im Abschnitt<br />

3.2 zur Kontextspezifität des H<strong>an</strong>delns „erfolgreicher Lehrer“ <strong>an</strong>geführt wurden. (Hinweise,<br />

wie m<strong>an</strong> sich einer solchen situativen Stimmigkeit des H<strong>an</strong>delns <strong>an</strong>nähern k<strong>an</strong>n, gibt Schulz<br />

von Thun, 1998).<br />

4.3 Was bewirkt verändertes Lehrerverhalten?<br />

Die vorgeschlagenen H<strong>an</strong>dlungsschritte basieren auf einer überwiegend interpersonalen Sicht<br />

der Lehrer-Schüler-Interaktion mit dem Fokus darauf, dass Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer durch ihre<br />

Art der <strong>Klassenführung</strong> das Verhalten der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler maßgeblich beeinflussen.<br />

Die Grenzen dieses Ansatzes sollten jedoch nicht übersehen werden: Wenn das Störverhalten<br />

eines Schülers sehr deutlich durch dessen persönliche Probleme bedingt ist, d<strong>an</strong>n reichen<br />

lehrerseitige Maßnahmen allein meist nicht aus, wenngleich sie zu einer Verbesserung der<br />

Situation durchaus beitragen können. Und wenn auf der Systemebene gravierende Probleme<br />

bestehen – z.B. Sp<strong>an</strong>nungen im Kollegium, die auf dem Umweg über die Klasse ausagiert<br />

werden – d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n auch eine unter <strong>an</strong>deren Umständen erfolgversprechende<br />

Verhaltensänderung einer Lehrperson wirkungslos verpuffen. Oder aber: Sie setzt einen<br />

Impuls im System, der dieses in eine konstruktive Richtung in Bewegung bringt <strong>und</strong> bewirkt<br />

mehr, als es der ursprünglichen Intention entsprach.<br />

16


Literatur<br />

Bromme, R. (1992): Der Lehrer als Experte. Zur Psychologie des professionellen Wissens.<br />

Bern: Huber.<br />

Cloer, E. (1982). Disziplinieren <strong>und</strong> Erziehen. Das Disziplinproblem aus pädagogisch-<br />

<strong>an</strong>thropologischer Sicht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.<br />

Dilts, R., B<strong>an</strong>dler, R. & Grinder, J. (1994): Strukturen subjektiver Erfahrung. 5. Auflage.<br />

Paderborn: Junferm<strong>an</strong>n<br />

Emmer, E. T., Evertson, C. M., S<strong>an</strong>ford, J. P., Clements, B. S. & Worsham, M. E. (1985).<br />

Classroom m<strong>an</strong>agement for secondary teachers. Englewood Cliffs: Prentice-Hall.<br />

Gordon, T. (1997). Lehrer-Schüler-Konferenz. 11. Auflage. München: Heyne.<br />

Grell, J. & Grell, M. (1999). <strong>Unterrichts</strong>rezepte. Taschenbuch. 3. Auflage. Weinheim: Beltz.<br />

Groeben, N. (1986). H<strong>an</strong>deln, Tun, Verhalten als Einheiten einer verstehend-erklärenden<br />

Psychologie. Tübingen: Fr<strong>an</strong>cke.<br />

Helmke, A. & Weinert, F. E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistung. In F. E.<br />

Weinert (Hrsg.), Psychologie des <strong>Unterrichts</strong> <strong>und</strong> der Schule (S. 71-176). Göttingen: Hogrefe.<br />

Hennig, C. & Knödler, U. (2000). Problemschüler - Problemfamilien. 5. Auflage. Weinheim:<br />

Beltz.<br />

Hook, C. M. & Rosenshine, B. V. (1979). Accuracy of teacher reports of their classroom<br />

behavior. Review of Educational Research, 49, 1-12.<br />

Humpert, W. & D<strong>an</strong>n, H.-D. (2001). KTM-Kompakt. Basistraining zur Störungsreduktion<br />

<strong>und</strong> Gewaltprävention. Bern: Huber.<br />

Kounin, J. S. (1970). Discipline <strong>an</strong>d group m<strong>an</strong>agement in classrooms. New York: Holt,<br />

Rinehart & Winston.<br />

Krall, H. (1999). „Wie bei den Höllenteufeln...“ Von der Aggression der SchülerInnen zur<br />

Kooperation der LehrerInnen. Journal <strong>für</strong> Schulentwicklung, 3 (3), 24-37.<br />

Lissm<strong>an</strong>n, U. (1995). Lehrer-Schüler-Konflikte in der Sek<strong>und</strong>arstufe. L<strong>an</strong>dau: Empirische<br />

Pädagogik.<br />

Mayr, J., Eder, F. &. Fartacek, W. (1991). Mitarbeit <strong>und</strong> Störung im Unterricht: Strategien<br />

pädagogischen H<strong>an</strong>delns. Zeitschrift <strong>für</strong> Pädagogische Psychologie, 5, 43-55.<br />

Mayr, J. (2004). Mitarbeit <strong>und</strong> Störung im Unterricht: Pädagogische H<strong>an</strong>dlungsstrategien von<br />

Lehrern <strong>an</strong> höheren Schulen. Unser Weg, 59, 21–26.<br />

17


Meyer, H. (1999). <strong>Unterrichts</strong>methoden. 6. Auflage. Fr<strong>an</strong>kfurt: Scriptor.<br />

Patry, J.-L. & Klaghofer, R. (1988). Zuviel des Guten? Das Bild vom 'idealen Lehrer'.<br />

Beiträge zur Lehrerbildung, 6 (1988), 150-165.<br />

Patry, J.-L. & Riffert, F. (Hrsg.). (2000). Situationsspezifität in pädagogischen<br />

H<strong>an</strong>dlungsfeldern. Innsbruck: Studienverlag.<br />

Robertson, J. (1996). Effective classroom control. 3rd edition. London: Hodder & Stoughton.<br />

Schlee, J. & Wahl, D. (Hrsg.). (1987). Veränderung Subjektiver Theorien von Lehrern.<br />

Oldenburg: Universität Oldenburg - Zentrum <strong>für</strong> pädagogische Berufspraxis.<br />

Schulz von Thun, F. (1998). Mitein<strong>an</strong>der reden 3: Das „Innere Team“ <strong>und</strong> situationsgerechte<br />

Kommunikation. Reinbek: Rowohlt.<br />

Singer, K. (1996). Lehrer-Schüler-Konflikte gewaltfrei regeln. 5.Auflage. Weinheim: Beltz.<br />

Steiner, C. (1998). Wie m<strong>an</strong> Lebenspläne verändert. 9. Auflage. Paderborn. Junferm<strong>an</strong>n.<br />

Stockinger, S. (1999). Störendes Schülerverhalten – Können Lehrer etwas dagegen tun?<br />

Diplomarbeit am <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Pädagogik <strong>und</strong> Psychologie der Universität Linz.<br />

Tausch, R. & Tausch, A.-M (1998). Erziehungspsychologie. Begegnung von Person zu<br />

Person. 11. Auflage. Göttingen: Hogrefe.<br />

Th<strong>an</strong>hoffer, M., Reichel, R. & Rabenstein, R. (1992). Kreativ unterrichten. Münster:<br />

Ökotopia.<br />

Watzlawick, P., Beavin, J. H. & Jackson, D. D. (1985). Menschliche Kommunikation. 7.<br />

Auflage. Huber: Bern.<br />

Weinert, F. E. & Helmke, A. (1996). Der gute Lehrer: Person, Funktion oder Fiktion? In A.<br />

Leschinsky (Hrsg.), Die <strong>Institut</strong>ionalisierung von Lehren <strong>und</strong> Lernen (S. 223-233).<br />

Weinheim: Beltz.<br />

18

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!