Die Zeit 03.01.2013 Erscheinungsland: Deutschland | Auflage: 504.072 | Reichweite: Reichweite: 1.696.000 (3,1%) | Artikelumfang: 70.539 mm² Seite: 47 3/3 Thema: Burgtheater Autor: ANDREA HEINZ Anfragen für weitere Nutzungsrechte an den Verlag Zu dritt allein: Peter Simonischek, Sunnyi Melles <strong>und</strong> Joachim Meyerhoff Presseclipping erstellt am 03.01.2013 für Burgtheater Wien zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. © CLIP Mediaservice 2013 - www.clip.at
Süddeutsche Zeitung 03.01.2013 Erscheinungsland: Deutschland | Auflage: 546.093 | Reichweite: Reichweite: k.A. | Artikelumfang: 65.902 mm² Seite: 11, 11a 1/2 Anfragen für weitere Nutzungsrechte an den Verlag Thema: Burgtheater Autor: CHRISTOPHER SCHMIDT Anatomie einer Koloraturpuppe Jan Bosse versucht, aus <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s Farce <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>" am Wiener Burgtheater Funken zu schlagen. Doch es blieb bei einer komödiantischen Fehlzündung Ani VON CHRISTOPHER SCHMIDT Ende des ersten Teils, nach einer guten o<strong>der</strong> vielmehr lei<strong>der</strong> nicht so guten St<strong>und</strong>e hängt die Schauspielerin Sunnyi Melles in <strong>der</strong> Luft. Buchstäblich. Mit ihrer schwarzen Perücke, <strong>der</strong> Strahlenkrone <strong>und</strong> dem mit silbernen Pailletten besetzten langen Kleid hängt sie in <strong>der</strong> Dekoration wie ein Weihnachtsengel, <strong>der</strong> sich in die Hölle verflogen hat. An zwei langen Seilen baumelt sie über <strong>der</strong> Bühne des Burgtheaters, die nun völlig leer ist. Und wie sie da so schwebt <strong>und</strong> schaukelt, trällert sie die berühmte Arie <strong>der</strong> Königin <strong>der</strong> Nacht aus Mozarts Oper Die Zauberflöte" - <strong>und</strong> hört auch dann nicht auf, tapfer weiter zu singen, als die Seile in stärkere Schwingungen geraten <strong>und</strong> sie schließlich bedrohlich weit über die seitlichen Bühnenrän<strong>der</strong> <strong>und</strong> aus dem Blickfeld des Zuschauers tragen. Ein schaurig-schönes Bild ist das für die Leidensbereitschaft des Künstlers, <strong>der</strong> technischen Pannen mit Professionalität trotzt; eine Metapher auch für den Kunstbetrieb, <strong>der</strong> oft genug eine Hängepartie ist <strong>und</strong> manchmal eine bodenlose Unverschämtheit, in jedem Fall aber nichts an<strong>der</strong>es als ein großer Zirkus. Diese Luftnummer, mit <strong>der</strong> Regisseur Jan Bosse den Begriff Hochkultur" ironisiert, bleibt freilich <strong>der</strong> einzige Höhepunkt <strong>der</strong> Silvesterpremiere am Wiener Burgtheater mit <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>" - was schon einiges aussagt über die verzweifelten Bemühungen, dieses zu Recht selten gespielte Stück von <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> aus dem Jahr 1972 mit vereinten Kräften <strong>und</strong> verstärktem Körpereinsatz aus <strong>der</strong> Versenkung zu hieven. Es will einfach nicht hochkommen, <strong>und</strong> das liegt - so <strong>der</strong> Eindruck nach <strong>der</strong> zweiten Vorstellung - weniger an den Schauspielern o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Regie als am Stück. Zu überdeutlich <strong>und</strong> daher auf Dauer enervierend ist diese Kulturbetriebsfarce über eine erfolgreiche Sopranistin, die ihrer Rolle als Koloratunnaschine" mit hoher Drehzahl müde ist, über ihren trunksüchtigen Vater, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gar<strong>der</strong>obe auf sie wartet <strong>und</strong> sich dabei von einein befre<strong>und</strong>eten Arzt erzählen lässt, wie man fachgerecht eine Leiche obduziert. 1972 ha<strong>der</strong>te <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> mit einer Geselischaft die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt" Auf die Engführung von Natur <strong>und</strong> Kultur läuft hier alles hinaus, darauf, dass die musikalische Leistung des Virtuosen verdinglicht wird <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Kritik genauso kalt zerglie<strong>der</strong>t <strong>und</strong> daher entweiht wie <strong>der</strong> menschliche Körper durch den Anatomen. Diesen unmenschlichen Charakter des Star- Systems anzuprangern, ist schon die ganze Aussage des Stücks, das eher zu den misanthropischen Aufwärrnübungen <strong>Bernhard</strong>s zählt. Ein Feuerwerk <strong>der</strong> schlechten Laune, wenn man so will. Man würde sich kaum noch daran erinnern, verbände sich das Stück nicht mit einer immer wie<strong>der</strong> gern kolportierten Theater- Schnurre, dem sogenannten Salzburger Notlicht-Skandal". Für das Schlussbild wollte <strong>der</strong> Uraufführungs-Regisseur Claus Peymann bei den Salzburger Festspielen 1972 für zwei Minuten die Notbeleuchtung im Zuschauerraum löschen lassen, damit absolute Dunkelheit herrsche. Als dieses Vorhaben von <strong>der</strong> Festspielleitung vereitelt wurde, kam es zu Eklat <strong>und</strong> Handgemenge, Autor <strong>und</strong> Regisseur werteten den Vorfall als Vertragsbruch, so dass keine weitere Vorstellung gespielt werden konnte. Das waren noch Zeiten, als Peymann die Festspiele eine ganz schicke Scheiße" nannte <strong>und</strong> auch dadurch provozierte, dass er bereits für die Proben echten Champagner verlangte, während <strong>Bernhard</strong> telegrafisch erklärte: Eine Gesellschaft die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt kommt ohne mein Schauspiel aus Stop." Vierzig Jahre später sind die Theaterverhältnisse deutlich tutaufgeregter <strong>und</strong> <strong>Bernhard</strong>s Salzburger Schockerl taugt nur mehr als buntes Knallbonbon zum Jahreswechsel. Vor einer hohen Spiegelwand, die in St6phane Lairrds psychedelisch angehauchtem Bühnenbild das Publikum etwas wohlfeil eingemeindet in <strong>Bernhard</strong>s Theater-Schelte, sitzen Joachim Meyerhoff als Doktor <strong>und</strong> Peter Simonischek als Vater einan<strong>der</strong> in weißen Sesseln gegenüber - <strong>und</strong> den monologlastigen ersten Teil aus. Meyerhoff gibt im schwarzen Gehrock <strong>und</strong> mit schütterem Resthaar des Wahnsinns schlaksige Beute. Halb Frankenstein, halb Dr. Seltsam redet er sich um Kopf <strong>und</strong> steifen Kragen, steigert sich, ein Sprechautomat mit irrem Wackelkontakt, in sadistischen Furor hinein, wenn er sich in die Ekeldetails <strong>der</strong> Leichensektion vertieft, rangelt mit dem Vater um dessen Schnapsflasche - ein netter Gag, wenn er dessen Organe abtastet <strong>und</strong> dazu orchestrale Pupstöne aus dem Off erklingen. Peter Simonischek ist das ganz Fat-Suit gewordene Phlegma. Nur ab <strong>und</strong> zu grunzt er dazwischen, aber dies energisch, <strong>und</strong> haut, Meyerhoffs Suada interpunktierend, mit dem Teleskopstock auf den Tisch, Presseclipping erstellt am 03.01.2013 für Burgtheater Wien zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. © CLIP Mediaservice 2013 - www.clip.at